Privatversicherung für alle - Ein Zukunftsmodell für das Gesundheitswesen Argumente zu Marktwirtschaft und Politik - Stiftung Marktwirtschaft

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Nr. 92
August 2005
               Argumente
               zu Marktwirtschaft und Politik

          Privatversicherung für alle
Ein Zukunftsmodell für das Gesundheitswesen

               Johann Eekhoff, Guido Raddatz, Anne Zimmermann

                           Stiftung Marktwirtschaft

                             ISSN: 1612 – 7072
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Privatversicherung für alle
Ein Zukunftsmodell für das Gesundheitswesen

Privatversicherung für alle:
Ein Zukunftsmodell für das Gesundheitswesen

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A Warum brauchen wir Änderungen                                                              tigung erschweren. Sie müssen vom Arbeits-
  im Gesundheitswesen?                                                                       verhältnis abgekoppelt werden.

                                                                                     Die Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung
 1 Die Beitragssätze dürfen nicht unkontrollier-
   bar steigen. Die Gesundheitsleistungen müs-                                       wirken wie eine Steuer auf die Beschäftigung: Wenn
   sen finanzierbar bleiben. Die Verlagerung der                                     der Lohn steigt, steigt auch der Beitrag und zwar so-
   Kosten auf künftige Generationen ist zu be-                                       wohl für den Arbeitgeber als auch für den Arbeitneh-
   enden.                                                                            mer. Wer mehr arbeitet und mehr Lohn erhält, muss ei-
                                                                                     nen höheren Beitrag zahlen, auch wenn sich am
                                                                                     Krankheitsrisiko und an der Versicherungsleistung
Wenn das System der gesetzlichen Krankenversiche-                                    nichts ändert. Je stärker der Beitragssatz steigt, umso
rung (GKV) nicht geändert wird, werden die Beitrags-                                 mehr versuchen die Arbeitnehmer, auf abgabenfreie
sätze in den kommenden Jahren kräftig steigen. Das                                   Tätigkeiten wie z. B. Nachbarschaftshilfe, Schwarzar-
liegt hauptsächlich an der demographischen Ent-                                      beit usw. auszuweichen, und umso schwerer wird es,
wicklung, die durch einen ständig zunehmenden An-                                    aus der Arbeitslosigkeit und der Abhängigkeit von So-
teil der älteren Menschen gekennzeichnet ist, aber                                   zialleistungen wieder herauszukommen.
auch am medizinisch-technischen Fortschritt sowie
zum Teil am unzureichenden Wettbewerb und an der                                     Für Unternehmen stellen die Versicherungsbeiträge
Verschwendung im Gesundheitssystem. Nach den                                         als Lohnzusatzkosten einen Kostenfaktor dar, den sie
Prognosen des Sachverständigenrates zur Begut-                                       auch bei ihren Standortentscheidungen berücksichti-
achtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (JG                                   gen. Steigt der Beitragssatz in der gesetzlichen Kran-
2004/05, Kasten 19) werden die Beitragssätze von                                     kenversicherung, wovon in den kommenden Jahr-
heute gut 14 Prozent im günstigen Fall auf rund 20                                   zehnten auszugehen ist, müssen die Löhne entspre-
Prozent steigen, im ungünstigen Fall auf 30 Prozent                                  chend langsamer steigen oder sogar sinken, wenn
(Abbildung 1).                                                                       keine Arbeitsplätze abgebaut werden sollen. Steigen
                                                                                     die Beitragsätze während der Laufzeit von Tarifver-
Die Belastung der beitragspflichtigen Lohneinkom-                                    trägen, dann steigen für den Arbeitgeber automatisch
men mit allen Sozialabgaben liegt bereits bei 42 Pro-                                die Lohnkosten. In den nachfolgenden Lohnverhand-
zent. Zusammen mit den erwarteten Bei-
tragssatzsteigerungen droht die Gesamt-
                                                   Abbildung 1: Entwicklung und Prognose der
belastung auf etwa 60 Prozent der Löhne                              Beitragssätze in der GKV
zu steigen. Das ist unseren Kindern und
Enkeln gegenüber nicht zu verantworten,               32

zumal sich dadurch die Beschäftigungs-                27
                                                          Beitragssatz in Prozent

probleme verschärfen werden. Schon
heute betragen die aufgelaufenen An-                  22

sprüche gegenüber den nachfolgenden
                                                      17
Generationen allein in der gesetzlichen
Krankenversicherung etwa 700 bis 800                  12
Mrd. Euro. Das ist die implizite Verschul-
                                                       7
dung der gesetzlichen Krankenversiche-
                                                                                    1970

                                                                                            1975

                                                                                                   1980

                                                                                                          1985

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                                                                                                                               2000

                                                                                                                                      2005

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                                                                                                                                                    2015

                                                                                                                                                           2020

                                                                                                                                                                  2025

                                                                                                                                                                         2030
                                                                                                                                                                                2035

                                                                                                                                                                                       2040

                                                                                                                                                                                              2045

                                                                                                                                                                                                     2050

rung. Die Last der künftigen Erwerbsgene-
rationen steigt mit jedem Jahr, das ohne
                                                    Quelle: Eigene Darstellung, Daten siehe Sachverständigenrat zur
Umstellung des Umlagesystems vergeht.
                                                                                           Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung,
                                                                                           JG 2004/2005.

                                                                                                                                                                                                            3
Privatversicherung für alle
Ein Zukunftsmodell für das Gesundheitswesen

lungsrunden wird dann darüber gestritten, ob die            Die Umverteilung und soziale Absicherung kann nicht
Arbeitgeber die auf sie entfallenen Beitragserhöhun-        sinnvoll bei einzelnen Gütern oder bei einzelnen Ver-
gen von der sonst möglichen Lohnerhöhung abzie-             sicherungsleistungen organisiert werden. Diese Auf-
hen dürfen oder ob sie die Löhne wegen der höheren          gabe muss auf das allgemeine Steuer- und Transfer-
Beiträge sogar stärker erhöhen müssen, weil den             system übertragen werden. Dort werden die wirt-
Arbeitnehmern weniger übrig bleibt. Dieser Streit soll-     schaftlichen Bedingungen umfassend berücksichtigt,
te aus den Lohnverhandlungen herausgehalten wer-            also nicht nur der Lohn, sondern das gesamte
den. Deshalb sollten die Arbeitgeber ihren aktuellen        Einkommen und das Vermögen, und zwar sowohl der
Anteil an der Krankenversicherung als zusätzlichen          einzelnen Person als auch des Lebenspartners, der
Lohn an die Arbeitnehmer auszahlen. Die Arbeitneh-          Kinder und der Eltern. Wer in diesem Sinne bedürftig
mer hätten dann die Mittel, um den vollen Beitrag           ist und seinen Lebensunterhalt einschließlich der
selbst zu zahlen. Falls sie in eine Versicherung mit        Krankenversicherung nicht bezahlen kann, muss eine
einem geringeren Beitrag wechseln, würden sie dann          angemessene finanzielle Unterstützung erhalten. Die
vom Prämienvorteil nicht nur zur Hälfte, sondern in         Kosten sind aus dem Steuersystem zu tragen. Die er-
vollem Umfang profitieren.                                  forderlichen Mittel werden nach der Leistungsfähig-
                                                            keit der Bürger aufgebracht.

    3 Die Umverteilung in der gesetzlichen Kran-
      kenversicherung und die damit angestrebte              4 Die negative Auswahl der Versicherten zu
      soziale Absicherung werden zunehmend will-               Lasten von Menschen mit erheblichen Ge-
      kürlich und ungerecht. Sie müssen aus der                sundheitsrisiken muss beendet werden.
      Versicherung herausgenommen werden und                   Deshalb müssen die Krankenversicherungen
      sich nach der Bedürftigkeit der Begünstigten             eine leistungsgerechte Prämie für die Über-
      und der Leistungsfähigkeit der Belasteten                nahme der Kostenrisiken erhalten.
      richten.
                                                            Da die gesetzlichen Krankenkassen grundsätzlich
In unserer Gesellschaft ist es selbstverständlich, dass     den gleichen Beitrag für gute und schlechte Risiken
für alle Menschen eine angemessene Gesundheitsver-          erhalten, versuchen sie – trotz des bestehenden Risi-
sorgung gesichert wird. Das ist nur zu erreichen, wenn      kostrukturausgleichs –, möglichst gesunde Versi-
die leistungsschwachen Menschen eine solidarische           cherte anzuwerben und gesundheitlich belastete Ver-
Unterstützung erhalten. Das gegenwärtige System ist         sicherte fernzuhalten (negative Auswahl). Das wird
aber aus vielerlei Gründen sozial ungerecht. Wer heute      sich nur ändern, wenn sie für gute Risiken eine ver-
mehrere Wohnungen erbt und deshalb weniger arbei-           gleichsweise geringe Prämie und für schlechte
tet oder wer es sich leisten kann, auf Teilzeitarbeit zu    Risiken eine hohe Prämie erhalten. Nur unter dieser
gehen, wird so behandelt, als sei er nicht mehr in der      Bedingung werden die Versicherungen sich gleicher-
Lage, den bisherigen Beitrag zur Krankenversicherung        maßen um Versicherte mit geringen und mit hohen
zu zahlen. Sein Beitrag wird kräftig gesenkt, weil er       Gesundheitsrisiken bemühen.
weniger Lohn bezieht. Die sonstigen Einkünfte und das
Vermögen werden nicht berücksichtigt. Die Vollzeit-         Wenn die privaten Versicherungen unterschiedliche
arbeitskräfte müssen einen Versicherten unterstützen,       Prämien für ihre Versicherten erhalten, betrifft das im
der gegebenenfalls ein höheres Einkommen und ein            Wesentlichen Personen, die die Versicherung ge-
erheblich größeres Vermögen hat.                            wechselt haben. Das bedeutet nicht, dass Versicher-
                                                            te mit erheblichen gesundheitlichen Einschränkungen
Verdienen Ehepartner jeweils 3.525 Euro monatlich,          stärker belastet werden als gesunde Versicherte. Bei
also insgesamt 7.050 Euro, zahlen sie einen doppelt
                                                            einem möglichst frühen Vertragsabschluss, also zu
so hohen Beitrag zur Krankenversicherung wie ein
                                                            einem Zeitpunkt, zu dem die Gesundheitsrisiken
Ehepaar, bei dem nur eine Person beschäftigt ist und
                                                            noch nicht erkennbar sind, zahlen die Versicherten in
alleine 7.050 Euro verdient. Außerdem werden die
Kinder von gesetzlich versicherten Personen unent-          der selben Versicherung die gleiche Prämie. Die Ver-
geltlich mitversichert, von privat versicherten nicht. In   sicherungen bilden Rückstellungen, die später haupt-
der gesetzlichen Krankenversicherung wird also von          sächlich von den Versicherten in Anspruch genom-
den Kinderlosen zu den Personen mit Kindern umver-          men werden, die überdurchschnittliche Kosten ver-
teilt, in der privaten Krankenversicherung nicht.           ursachen. Die Versicherungsleistung besteht gerade

4
Privatversicherung für alle
Ein Zukunftsmodell für das Gesundheitswesen

darin, den Versicherten davor zu schützen, im Krank-     chen und zum Teil auch in der privaten Krankenversi-
heitsfall mit hohen Kosten belastet zu werden. In        cherung erst noch eingeführt werden.
jeder Versicherung gibt es den Ausgleich zwischen
Versicherten, die hohe Leistungen in Anspruch neh-
men müssen, und Versicherten, die geringe oder gar
keine Leistungen brauchen.                               B Die Lösung:
Die privaten Krankenversicherungen verlangen zwar          Privatversicherung für alle
auch heute schon risikogerechte Prämien. Sie haben
trotzdem kein starkes Interesse an Versicherten mit      Die genannten Anforderungen an eine Krankenversi-
hohen gesundheitlichen Risiken, weil diese nach den      cherung können am besten durch eine „Privatversi-
geltenden Regelungen ihre Altersrückstellung zu-         cherung für alle“ erfüllt werden. Die „Privatversiche-
rücklassen, wenn sie zu einer anderen Versicherung       rung für alle“ unterscheidet sich in einigen wesent-
wechseln und weil die aufnehmende Versicherung           lichen Punkten von der bestehenden privaten Kran-
wegen der fehlenden Altersrückstellung eine sehr ho-     kenversicherung. Sie umfasst folgende Elemente:
he Prämie verlangen muss.

                                                          1 Alle Bürger sind verpflichtet, eine Mindest-
 5 Der Wettbewerb zwischen den Krankenversi-                versicherung abzuschließen, deren Leis-
   cherungen ist nach wie vor stark einge-                  tungen etwa dem Leistungskatalog der ge-
   schränkt. Um die Kräfte des Wettbewerbs zu               setzlichen Krankenversicherungen ent-
   nutzen, um die Kosten zu senken und die                  spricht, gegebenenfalls verringert um einige
   Leistungen zu verbessern, ist es erforderlich,           Positionen wie beispielsweise zahnmedizini-
   dass die Versicherten ohne Nachteil die Ver-             sche Leistungen und Krankengeldzahlungen.
   sicherung wechseln können.                               Darüber hinausgehende Leistungen können
                                                            freiwillig gegen eine entsprechende Prämie
Wegen der Regelung, dass Altersrückstellungen nicht         versichert werden.
übertragen werden, können privat Versicherte mit zu-
nehmendem Alter praktisch nicht mehr wechseln,           Mit der Versicherungspflicht soll sichergestellt wer-
denn bei der neuen Versicherung müssen sie erheb-        den, dass jeder Bürger, der die Prämien tragen kann,
lich höhere Prämien zahlen. Damit bleibt der Wettbe-     auch eine Versicherung abschließt und es nicht dar-
werb zwischen privaten Krankenversicherungen fast        auf ankommen lässt, dass er später soziale Leistun-
vollständig auf junge Erstversicherte beschränkt. Zwi-   gen in Anspruch nehmen muss, weil er die Krank-
schen den gesetzlichen Krankenversicherungen ist         heitskosten nicht bezahlen kann.
der Wechsel zwar erleichtert worden, aber wenn ein
Versicherter, der hohe Kosten verursacht, zu einer       Der Umfang der Versicherungsleistungen soll sich
anderen Versicherung wechselt, müssen die hohen          daran orientieren, welche Leistungen die Gesellschaft
Kosten der neuen Versicherung in einem komplizier-       einem Menschen auch dann gewähren würde, wenn
ten bürokratischen Verfahren wieder ausgeglichen         dieser keine eigenen Mittel aufbringen könnte. Wer-
werden (Risikostrukturausgleich). Einen echten Wett-     den einzelne dringend notwendige Leistungen aus
bewerb gibt es weder zwischen den privaten Kran-         dem gegenwärtigen Leistungskatalog der gesetz-
kenversicherungen noch zwischen den gesetzlichen         lichen Krankenversicherung herausgenommen, so
Krankenkassen.                                           muss sichergestellt sein, dass die Kosten für solche
                                                         als unverzichtbar angesehene Leistungen entweder
Eine Krankenversicherung kann nur in einen unver-        unmittelbar aus dem verfügbaren Einkommen ge-
zerrten Wettbewerb um Versicherte eintreten, wenn        deckt, von den Sozialsystemen übernommen oder an
die in einem neuen Vertrag vereinbarte Prämie das zu     anderer Stelle versichert werden können.
übernehmende Risiko abdeckt. Für den wechselnden
Versicherten kann die Prämie nur dann niedrig blei-
ben, wenn eine individuelle Altersrückstellung gebil-
det wurde und er das Recht hat, diese Altersrückstel-
lung zu der neuen Versicherung mitzunehmen. Diese
Wettbewerbsbedingungen müssen in der gesetzli-

                                                                                                             5
Privatversicherung für alle
Ein Zukunftsmodell für das Gesundheitswesen

                                                             zunehmen, wie dies bei den privaten Krankenversi-
    2 Jeder Versicherte zahlt eine Prämie für die            cherungen bereits geschieht.
      von ihm in Anspruch genommene Versiche-
      rungsleistung. Die Prämie hängt nicht vom
                                                             Wird erst in einem späteren Zeitpunkt des Lebens
      Lohn, sondern von den persönlichen Merk-
      malen zum Zeitpunkt des Abschlusses der                eine Versicherung abgeschlossen, kann die Prämie
      Versicherung ab. Sie ändert sich nicht, wenn           wegen des Alters und möglicherweise auch wegen
      sich im Laufe des Lebens das persönliche               erkennbar gewordener Gesundheitsrisiken höher sein
      Krankheitsrisiko verändert.                            als für eine gleichaltrige Person, die von Geburt an
                                                             versichert ist. Ziel ist es daher, für die gesamte Bevöl-
Mit dieser Regelung wird die Prämie von den Arbeits-         kerung einen Versicherungsabschluss bei oder vor
verhältnissen gelöst. Die Einnahmen der Versiche-            der Geburt zu erreichen bzw. vorzuschreiben.
rungen hängen nicht mehr von der Beschäftigung,
von der Höhe der Löhne sowie von Verschiebungen              Die Prämie ändert sich nicht, wenn sich später her-
zwischen den Einkunftsarten ab.                              ausstellt, dass ein Versicherter besonders hohe
                                                             Gesundheitsleistungen in Anspruch nehmen muss.
Besonders wichtig ist das Abgehen vom Umlagever-             Es ist ja gerade der Zweck der Versicherung den
fahren, in dem die laufenden Aufwendungen der Kran-          Versicherten gegen dieses Kostenrisiko zu schützen.
kenversicherungen aus den laufenden Beiträgen der            Das bedeutet aber umgekehrt auch, dass Versicherte
Versicherten gezahlt werden. Das Umlagesystem rea-           mit guter Gesundheit keinen Prämiennachlass erhal-
giert extrem empfindlich auf demographische Verän-           ten, wenn sie die Krankenversicherung unterdurch-
derungen, wie die Zunahme des Anteils alter Men-             schnittlich in Anspruch nehmen.
schen mit hohen Gesundheitsaufwendungen und ver-
gleichsweise geringen Einkünften. In dem hier vorge-            Die Prämien in der „Privatversicherung für alle“ dürf-
schlagenen System wird dagegen in jungen Jahren                 ten sich in einer Größenordnung bewegen, die heute
eine Kapitalreserve angelegt, die verfügbar ist, wenn           als Gesundheitspauschale für ein Leistungsniveau
im Alter die Krankheitskosten steigen. Die nachfolgen-          aufgebracht werden müsste, wie es in der gesetzliche
den Generationen müssen nicht mehr mit einem Teil               Krankenversicherung üblich ist, also um 180 Euro
der Kosten belastet werden, weil jede Generation die            monatlich. Bei den jungen und gesunden Versicher-
Kosten ihrer Versicherung
selbst trägt.
                                   Abbildung 2: Glättung der Prämie durch Altersrückstellungen
Grundsätzlich wird die Prä-
mie nach dem erwarteten
                                    Aufwendungen
Krankheitsrisiko des Versi-         Prämie
cherten zum Zeitpunkt des
Eintritts in die Versicherung
bemessen. Daraus ergeben
                                                                                              Durchschnittliche
sich nicht zwingend unter-                                                                    Gesundheitsauf-
schiedliche Prämien. Wenn                                                                     wendungen
sich die Risiken zum Zeit-
punkt des Abschlusses der
Versicherung nicht unter-                                                      Abflüsse aus den
scheiden, sind die Prämien                                                     Altersrückstellungen
bei derselben Versicherung
gleich. Das wird am ehe-
                                                Zuflüsse zu den
sten erreicht, wenn die Ver-
                                                Altersrückstellungen
sicherung zum Zeitpunkt
                                                                        Prämie
der Geburt abgeschlossen
wird. Noch besser ist die
Zusage an jeden Ver-
sicherten, für den Fall der                                                                                     Alter
Geburt eines Kindes dieses
                                   Eigene Darstellung.
Kind zum Normaltarif auf-

6
Privatversicherung für alle
Ein Zukunftsmodell für das Gesundheitswesen

ten wären darin Sparanteile für den Aufbau von           4 Die Altersrückstellungen sind für jeden Versi-
Altersrückstellungen erhalten. Bei den älteren und         cherten individuell auszuweisen und bei
kranken Versicherten würden Altersrückstellungen           einem Wechsel der Krankenversicherung auf
abgebaut.                                                  die neue Versicherung zu übertragen.

 3 Die Prämie soll real etwa gleich bleiben, insbe-     Die Versicherten sollen die Möglichkeit haben, zu der
   sondere soll ein starker Anstieg der Prämien         Versicherung zu wechseln, die günstigere Prämien
   im Alter vermieden werden. Deshalb wird der          oder bessere Leistungen anbietet. Deshalb müssen
   Prämienverlauf geglättet, indem in der ersten        Altersrückstellungen nach dem individuellen Krank-
   Phase der Versicherungszeit Altersrückstel-          heitsrisiko des einzelnen Versicherten gebildet und im
   lungen gebildet und in späteren Lebensjahren         Falle des Wechsels auf die neue Versicherung übertra-
   wieder aufgelöst werden. Wird die Prämie für         gen werden. Die individuelle Altersrückstellung wird so
   Kinder abgesenkt, muss sie in der Erwerbs-
                                                        bemessen, dass die Summe aus zukünftigen Prä-
   phase entsprechend erhöht werden.
                                                        mienzahlungen und die Altersrückstellung für jeden
                                                        Versicherten gerade seine zu erwartenden Gesund-
Die durchschnittlichen Aufwendungen für einen           heitsausgaben deckt. Wenn die Altersrückstellungen
Versichertenjahrgang bzw. eine Kohorte steigen mit      für einen Altersjahrgang ausreichen, müssen sie auch
dem Alter der Versicherten und erreichen den höch-      für jeden einzelnen Versicherten des Jahrgangs aus-
sten Stand in den letzten Lebensjahren. Würde die       reichen.
Prämie nach den jeweiligen durchschnittlichen jähr-
lichen Aufwendungen festgesetzt, könnten viele Ver-     Da den Versicherten mit hohen gesundheitlichen Ri-
sicherte die Prämie im Alter nicht bezahlen, weil sie   siken hohe Rückstellungen und den Versicherten mit
dafür in der Regel keine hinreichenden Ersparnisse      geringen Risiken entsprechend geringe Rückstellun-
ansammeln. Deshalb sind die privaten Krankenversi-      gen zugewiesen werden, kann die Prämie bei einem
cherungen heute bereits verpflichtet, in den ersten     Wechsel zu einer anderen Versicherung etwa gleich
Lebensabschnitten eine Prämie zu verlangen, die         bleiben. Die neue Versicherung kann aber in dem
über den durchschnittlichen Aufwendungen liegt, und     Maße günstiger sein, wie sie mit geringeren Kosten
Altersrückstellungen für die später zu erwartenden      arbeitet. Oder sie kann für die gleiche Prämie mehr
hohen Aufwendungen zu bilden.                           Leistungen anbieten.

Die Belastung durch die Prämie soll grundsätzlich       Der Staat kann die Bildung und Übertragung von Al-
während des gesamten Lebens nicht ansteigen. Das        tersrückstellungen regulieren. An einem Wechsel und
kann eine real gleich bleibende Prämie sein – wie in    der Übertragung von Altersrückstellungen haben die
Abbildung 2. Das kann auch eine Prämie sein, die mit    Krankenversicherungen aber auch insoweit ein eige-
den erwarteten durchschnittlichen Einkommen steigt.     nes Interesse, als sie durch das Ausscheiden eines
Eine über die vereinbarte Prämie hinausgehende Er-      Versicherten von erwarteten Kosten entlastet werden
höhung kann von den Aufsichtsbehörden für die Fälle     – bis heute allerdings unter Einbehaltung der Alters-
zugelassen werden, in denen neue Krankheiten und        rückstellungen („Vererbung“ der Rückstellungen an
neue Behandlungsmethoden in die Versicherung ein-       die bisherige Kohorte) – und als sie für einen aufzu-
bezogen werden. Da auch weiterhin mit verbesserten      nehmenden Versicherten eine niedrige Prämie anbie-
Behandlungsmöglichkeiten zu rechnen ist, empfiehlt      ten können.
es sich, die Prämie entsprechend der Preissteigerung
im Gesundheitssektor anzuheben.

Dem Versicherten bzw. den Eltern des Versicherten        5 Jeder Versicherte trägt einen prozentualen
können bestimmte Wahlmöglichkeiten eingeräumt              Selbstbehalt an allen Krankheitskosten. Der
                                                           Selbstbehalt ist nach oben zu begrenzen.
werden, die Prämie in der Kinderphase abzusenken
und dafür später zu erhöhen oder die Prämie in der
Erwerbsphase aufzustocken, um in der Rentenphase        Damit der Versicherte nur dann Versicherungsleistun-
eine Entlastung zu haben.                               gen beansprucht, wenn sie erforderlich sind, muss er
                                                        sich an den Kosten beteiligen. Ein Selbstbehalt bietet
                                                        außerdem einen Anreiz, sich um kostengünstige

                                                                                                             7
Privatversicherung für alle
Ein Zukunftsmodell für das Gesundheitswesen

Arzneimittel und Behandlungen zu bemühen. Letzte-         werden vor allem von den Personen aufgebracht, die
res gilt selbst für chronisch Kranke. Bei den Empfän-     heute in der gesetzlichen Krankenversicherung Be-
gern von Sozialhilfe und Arbeitslosengeld II müssen       träge zwischen 250 und 500 Euro monatlich zahlen,
die Regelsätze es erlauben, die vorgegebenen Min-         und von den privat Versicherten.
destsätze der Selbstbeteiligung zu tragen.

Insgesamt ist die Selbstbeteiligung zu begrenzen,          7 Die Unterscheidung zwischen privaten und
weil der einzelne Versicherte sonst schnell überfor-         gesetzlichen Krankenversicherungen entfällt.
dert wäre und weil verhindert werden muss, dass              Alle Versicherungen arbeiten unter gleichen
eine sehr hohe Selbstbeteiligung mit einer entspre-          rechtlichen Bedingungen. Auch für die
chend geringen laufenden Prämie gewählt wird. Bei            Versicherten in den bisherigen gesetzlichen
extrem hoher Selbstbeteiligung wird weitgehend auf           Krankenversicherungen sind Altersrückstel-
Versicherungsleistungen verzichtet, so dass der              lungen aufzubauen.
Versicherte im Notfall doch wieder auf öffentliche
Hilfe angewiesen ist.                                     Die neue kapitalgedeckte Krankenversicherung kann
                                                          letztlich nur von privaten Versicherungen angeboten
                                                          werden. Um faire Wettbewerbsbedingungen zu
    6 Ein Versicherter, der die Prämie und den            schaffen, müssen die öffentlich-rechtlichen Kranken-
      Selbstbehalt nicht tragen kann, erhält einen        kassen unter den gleichen Bedingungen anbieten
      Zuschuss aus öffentlichen Mitteln. Dadurch          können.
      wird der notwendige Gesundheitsschutz für
      alle Bürger garantiert.
                                                          In der gesetzlichen Krankenversicherung gibt es kei-
                                                          ne Altersrückstellungen. Um dieses System auf die
Jeder Bürger soll für eine Versicherung attraktiv sein    „Privatversicherung für alle“ umzustellen, müssen Al-
und umworben werden, unabhängig von seinem                tersrückstellungen gebildet werden. Das kann über
Gesundheitszustand. Das wird erreicht, indem er der       mehrere Jahre gemacht werden. Besser wäre es
Versicherung im Prinzip eine am Risiko orientierte        aber, sofort auf die Privatversicherung für alle umzu-
Prämie zahlt. Diese Prämie ist zum Zeitpunkt der          stellen und die Versicherten unmittelbar mit Alters-
Geburt bzw. bei einer Versicherungszusage bereits         rückstellungen auszustatten bzw. den Versicherun-
vor der Geburt für alle Versicherten gleich. Versicher-   gen entsprechende Forderungen gegenüber einem
te, die später eintreten, zahlen grundsätzlich eine       staatlich garantierten Fonds einzuräumen. Dadurch
etwa gleich hohe Prämie, bringen aber unterschiedli-      entstehen keine zusätzlichen Kosten; denn diese For-
che Altersrückstellungen mit.                             derungen bestehen heute bereits gegenüber den
                                                          künftigen Generationen, ohne sie allerdings offen
Ein Teil der Bürger kann eine solche Prämie und den       auszuweisen.
zusätzlichen Selbstbehalt nicht aufbringen – nicht
weil sie aufgrund eines erhöhten Gesundheitsrisikos
zu hoch wäre, sondern weil die normale Prämie in der       8 Das Sachleistungsprinzip wird durch das
Größenordnung von 180 Euro einige Versicherte                Kostenerstattungsprinzip ersetzt, d. h. jeder
überfordert. Die Gesellschaft sorgt aber dafür, dass         Versicherte bekommt die Rechnungen in die
auch diese Bürger die Regelleistungen erhalten. Für          Hand.
Bürger ohne Einkommen oder mit einem sehr gerin-
gen Einkommen entsteht kein Problem, weil die             Die Ärzte und Krankenhäuser sollen nicht mehr un-
Kosten im Rahmen der Sozialhilfe oder des Arbeitslo-      mittelbar mit der Versicherung abrechnen, sondern
sengelds II übernommen werden. Für steuerpflichtige       jeder Versicherte soll die volle Information über die
Personen kann der Freibetrag in der Einkommensteu-        ihm in Rechnung gestellten Kosten erhalten. Das ist
er angehoben werden, um eine übermäßige Belas-            Voraussetzung für mehr Eigenverantwortung im
tung zu vermeiden. Auf diese Weise wird erreicht,         Gesundheitswesen, denn ohne Information über die
dass jedem die Zahlung seiner Krankenversiche-            Kosten führt die Eigenbeteiligung nicht dazu, dass
rungsprämie ermöglicht wird und umgekehrt jeder           der Versicherte sich um kostengünstige Leistungen
nach seiner Leistungsfähigkeit zur Finanzierung der       bemüht oder auf unnötige Leistungen verzichtet.
Unterstützung der Einkommensschwachen beiträgt.           Deshalb muss der Versicherte noch nicht „in
Die Mittel für die Absicherung der Grundversorgung        Vorkasse treten“. Er kann die Rechnungen innerhalb

8
Privatversicherung für alle
Ein Zukunftsmodell für das Gesundheitswesen

der Zahlungsfrist bei der Versicherung einreichen        für Patienten erbringen, wenn diese einen entspre-
oder Abschlagszahlungen beantragen.                      chenden Versicherungstarif haben oder wenn sie be-
                                                         reit sind, eine Zuzahlung zu leisten. Eine Zulassung
                                                         als Kassenarzt ist nicht mehr erforderlich, weil sich je-
 9 Der Risikostrukturausgleich kann nach der             der Arzt im Wettbewerb um Verträge mit Krankenver-
   Umstellungsphase ersatzlos entfallen.                 sicherungen bemühen oder unmittelbar Patienten be-
                                                         handeln kann, die sich für einen Tarif mit freier Arzt-
Im System der „Privatversicherung für alle“ erhalten     wahl entschieden haben oder eine Zuzahlung leisten.
die Versicherungen leistungsgerechte Prämien für je-
den einzelnen Versicherten. Es gibt kein Rosinen-
picken in dem Sinne, dass Versicherungen für alle         12 Die duale Finanzierung der Krankenhäuser
Versicherten die gleiche Prämie erhalten und sich            wird aufgegeben.
dann um die guten Risiken bemühen. Systeme mit
gleichen pauschalen Beiträgen oder – wie heute – mit
lohnbezogenen Beiträgen brauchen einen staatlich         Krankenhäuser sollen sich ausschließlich über ihre Ge-
organisierten Risikostrukturausgleich. Nach einem        bührensätze finanzieren, so dass die Länder keine
Übergang auf die „Privatversicherung für alle“ ist ein   Krankenhausbedarfspläne mehr erstellen und keine
solcher staatlicher Eingriff nicht mehr erforderlich.    Investitionen mehr finanzieren müssen. Die bei den
                                                         Ländern eingesparten Mittel müssen den Bürgern über
                                                         Steuersenkungen zugute kommen. Der Vorteil dieses
 10 Die Krankenkassen können mit Ärzten und              Verfahrens liegt in der besseren Abstimmung des An-
    Krankenhäusern Verträge über eine Zusam-             gebots von Krankenhausleistungen auf die Nachfrage.
    menarbeit und über Leistungsvergütungen
    schließen. Sie können das Erbringen ihrer
    Leistungen für die Versicherten auf die Ver-
    tragspartner beschränken. Versicherte, die
    trotzdem den Arzt und das Krankenhaus frei           C Die alternativen Reformansätze
    wählen wollen, müssen einen Tarifzuschlag              sind unzureichend
    oder im Einzelfall eine begrenzte Erstattung
    der Kosten hinnehmen.
                                                         Neben der hier dargestellten Privatversicherung für
                                                         alle ist von Seiten der SPD und Bündnis 90 / Die
Die freie Wahl des Arztes und des Krankenhauses          Grünen vorgeschlagen worden, eine einkommensab-
bleibt erhalten. Einen günstigeren Versicherungstarif    hängige Bürgerversicherung einzuführen, während
erhalten Versicherte, die ihre Gesundheitsleistungen     die CDU sich für Gesundheitspauschalen ausgespro-
ausschließlich von Ärzten und Krankenhäusern bezie-      chen hat, die mit Rücksicht auf die CSU möglicher-
hen, die einen Leistungsvertrag mit der Krankenkasse     weise modifiziert werden.
haben. Das Modell mit festen Vertragspartnern ist vor
allem deshalb preiswerter, weil die Versicherungen       Das Hauptanliegen der einkommensabhängigen Bür-
den Vertragspartnern einen hohen Auslastungsgrad         gerversicherung besteht darin, alle Bürger zwangs-
bieten können.                                           weise in den so genannten Solidarausgleich der gesetz-
                                                         lichen Krankenversicherung einzubeziehen. Das geht
Jeder Arzt und jedes Krankenhaus kann – wie auf an-      so weit, dass die privaten Krankenkassen – nach einer
deren Märkten auch – einer Versicherung Leistungen       Übergangsphase – aufgelöst werden sollen bzw. nur
bzw. Leistungspakete anbieten.                           noch Zusatzversicherungen abschließen dürfen.

                                                         Um den sozialen Ausgleich zu verbessern, sollen außer
 11 Die freie Berufsausübung der Ärzte wird er-          dem Lohneinkommen auch die (meisten) übrigen Ein-
    möglicht, die Zulassung von Kassenärzten             künfte mit Beiträgen belastet werden. Wollte man wirk-
    entfällt.                                            lich konsequent die Leistungsfähigkeit erfassen, müs-
                                                         sten auch das eigene Vermögen sowie das Einkom-
Die Ärzte können wie erwähnt Verträge mit Kranken-       men und Vermögen der unmittelbaren Angehörigen
versicherungen abschließen. Sie können außerdem          einbezogen werden. Das entspricht aber genau dem
nach wie vor ohne vertragliche Bindung Leistungen        Verfahren im Sozialhilfesystem. Ein konsequenter

                                                                                                                9
Privatversicherung für alle
Ein Zukunftsmodell für das Gesundheitswesen

Sozialausgleich innerhalb der gesetzlichen Kranken-           eine einheitliche Prämie bezahlen. Die bisherigen
versicherung würde also noch einmal den gleichen              Arbeitgeberbeiträge sollen auf den Bruttolohn aufge-
Aufwand erfordern, wie er im Rahmen der Sozialhilfe           schlagen, versteuert und an die Arbeitnehmer ausge-
bzw. des Arbeitslosengeldes II bereits geleistet wird.        zahlt werden. Damit würden die Beiträge zur gesetz-
                                                              lichen Krankenversicherung vollständig von den Löhnen
Wegen der breiteren Belastung der Einkommen könn-             gelöst. Wichtigstes Anliegen beim Gesundheitspau-
te der Beitragssatz einmalig geringfügig um etwas             schalen-Modell ist ebenfalls, die nicht mehr hinnehmba-
mehr als einen Prozentpunkt sinken. Da aber keine             ren Verzerrungen des bestehenden sozialen Ausgleichs
Kapitaldeckung vorgesehen ist, würden die Beitrags-           zu vermeiden. Statt aber den Versuch zu machen, die
sätze langfristig fast genauso stark ansteigen, wie es        vielfältigen Mängel innerhalb des Systems der Kranken-
bei Weiterführung des Status quo der Fall wäre – mit          versicherung zu beheben, wird die Aufgabe der sozialen
denselben negativen Beschäftigungswirkungen.                  Absicherung konsequent auf das dafür geeignete
                                                              Steuer-Transfer-System übertragen. Damit würde eine
Im Übrigen bleiben in einer solchen Bürgerversicherung        entscheidende Verbesserung erreicht, ohne die gesetz-
nahezu alle oben angeführten Mängel – unzureichender          liche Krankenversicherung wie bei der Bürgerver-
Wettbewerb, stark steigende Kosten aufgrund von In-           sicherung auszuweiten oder mit unnötigen zusätzlichen
effizienzen, sich verschärfende demographische Pro-           Kosten zu belasten. Es handelt sich also um einen gro-
bleme, staatliche Reglementierung – bestehen. Sie ver-        ßen Schritt in die richtige Richtung, aber leider nur bezo-
schärfen sich sogar insoweit, als das System der priva-       gen auf die Umverteilungsfrage. Ungelöst bleiben vor
ten Krankenversicherungen, in dem es bereits Alters-          allem die demographischen Probleme und der Mangel
rückstellungen gibt, aufgegeben werden soll. Eine sol-        an Wettbewerb.
che Bürgerversicherung kann auf Dauer nur mit rigo-
rosen und nicht vorhersehbaren staatlichen Eingriffen         Erst mit dem Vorschlag der risikoäquivalenten Präm-
überleben. Von einem Gesundheitsmarkt, der Teil der           ien werden leistungsgerechte Preise eingeführt, ohne
Wachstumsdynamik der Gesamtwirtschaft wäre und                die ein Marktwettbewerb nicht möglich ist. Risikoäqui-
die Kosten gering hielte, bliebe nichts übrig. Deshalb ist    valente Prämien unterscheiden sich scheinbar nicht
es zwingend, nach echten Lösungen zu suchen.                  von Kopfpauschalen, wenn die Versicherung un-
                                                              mittelbar nach der Geburt abgeschlossen oder, besser
Das Gesundheitspauschalen-Modell ist dadurch cha-             noch, vor der Geburt zugesagt wird. Das ist nur des-
rakterisiert, dass alle Versicherten einer Versicherung       halb der Fall, weil die Risiken zu diesem Zeitpunkt für

Abbildung 3: Die wichtigsten Merkmale der drei Vorschläge

                                  Bürgerversicherung           Gesundheitspauschale         Privatversicherung für alle

 Versichertenkreis             alle Bürger                   bisherige Pflichtversicherte   alle Bürger

 Grundlage der                 einkommensabhängige           einheitliche Prämie für alle   risikoäquivalente bzw. leis-
 Prämienberechnung             Prämie                        Versicherten                   tungsgerechte Prämie

 Umlage- oder                  Umlageverfahren, beste-       Umlageverfahren, be-           Kapitaldeckungsverfahren,
 Kapitaldeckungsverfahren?     hende Altersrückstellungen    stehende Altersrückstel-       übertragbare Altersrückstel-
                               laufen aus                    lungen nicht betroffen         lungen für alle Versicherten

 Anbieterkreis                 nur noch gesetzliche          gesetzliche und private        nur noch private
                               Versicherungen                Versicherungen bleiben         Versicherungen
                                                             bestehen

 Solidarausgleich              Umverteilung innerhalb der    Umverteilung im Steuer-        Umverteilung im Steuer-
                               Krankenversicherungen         und Transfersystem             und Transfersystem

10
Privatversicherung für alle
Ein Zukunftsmodell für das Gesundheitswesen

alle Versicherten gleich sind. Wenn sich mit zunehmen-      schen Versicherten mit relativ geringem Lohneinkom-
dem Lebensalter unterschiedliche Gesundheitsrisiken         men und Versicherten mit vergleichsweise hohem
zeigen, wird die Prämie beim Neuabschluss einer Ver-        Lohneinkommen orientiert sich wie gezeigt zu wenig
sicherung entsprechend den dann erkennbaren Risi-           an der Bedürftigkeit und Leistungsfähigkeit.
ken differenziert. Bringt der zu Versichernde aber eine
Altersrückstellung mit, die seinen Gesundheitsrisiken       In einem dritten Schritt sollte von der Umlagefinanzie-
entspricht, kann die Prämie auch bei eingetretenen Ri-      rung auf die Kapitaldeckung umgestellt werden. Dies
siken grundsätzlich gleich bleiben. Wie bei pauschalen      ist der Übergang auf die „Privatversicherung für alle“.
Gesundheitsprämien muss die soziale Absicherung             Dafür ist es erforderlich, die gesetzlich Versicherten
selbstverständlich über Transferzahlungen gewährlei-        mit individuellen Altersrückstellungen auszustatten
stet werden.                                                und die Prämien am Risiko zu orientieren. Das ist der
                                                            weitestgehende Schritt.
In einem System mit risikoäquivalenten bzw. leistungs-
gerechten Prämien ist automatisch gesichert, dass           Der erste Schritt ist weitgehend unumstritten, auch
keine Ansprüche zu Lasten künftiger Generationen ent-       wenn die technischen Details noch nicht alle geklärt
stehen. Jede Generation trägt ihre eigenen Kosten, so       sind. Der zweite Schritt – Übergang auf pauschale
dass die Versicherung unabhängig wird von der demo-         Gesundheitsprämien und Verlagerung der Umvertei-
graphischen Entwicklung. Eine etwa gleich bleibende         lung auf das Steuer-Transfer-System – wird von den
reale Prämie über den Lebenszyklus wird durch Alters-       meisten Experten unterstützt, stößt aber noch auf
rückstellungen erreicht, wie dies in der privaten           erheblichen Widerstand. Deshalb müssen die be-
Krankenversicherung inzwischen geschieht. Diese             rechtigten Sorgen genau analysiert und getrennt wer-
Rückstellungen sind allerdings zu individualisieren und     den von unberechtigten Einwänden wie z. B.
bei einem Versicherungswechsel zu übertragen, wenn
es einen dauerhaften Wettbewerb zwischen den                • der Versicherten, die nach der Umstellung höhere
Kassen geben soll.                                            Prämien zahlen müssen, aber ein hinreichendes
                                                              Einkommen haben und bislang zu Unrecht von
                                                              Beitragszahlern mit geringerem Einkommen und
                                                              Vermögen unterstützt werden,
D Was kann getan werden?
                                                            • der Vertreter der paritätischen Finanzierung, die
                                                              befürchten, die Versicherten müssten künftig den
Der erste und einfachste Schritt besteht darin, die pri-      vollen statt den halben Beitrag zahlen,
vaten Krankenversicherungen aufzufordern, die Al-
tersrückstellungen zu individualisieren und beim            • der Steuerpolitiker, die das Steuersystem nicht mit
Wechsel eines Versicherten an die aufnehmende Ver-            einer zusätzlichen sozialen Absicherung belasten
sicherung zu übertragen, und gegebenenfalls gesetz-           wollen,
liche Regelungen vorzusehen. Es ist dringend erfor-
derlich, dass der private Sektor sich dem Wettbewerb        • der Kommunen, die befürchten, mit höheren
stellt und damit bessere Voraussetzungen schafft, die         Sozialhilfeaufwendungen belastet zu werden,
Gesundheitskosten zu begrenzen – auch für die Wei-
terentwicklung des Systems (vgl. den dritten Schritt).      • der Versicherten, denen aufgrund der Höhe der Al-
                                                              tersrückstellungen deutlich wird, wie ihr Krank-
Der zweite Schritt ist sehr viel schwieriger, nämlich die     heitsrisiko eingeschätzt wird.
Umverteilung vollständig aus der gesetzlichen Kran-
kenversicherung herauszunehmen. Das lässt sich              Entscheidend für die Akzeptanz einer Ausgliede-
erreichen, indem pauschale Gesundheitsprämien statt         rung der Umverteilung aus der gesetzlichen Kran-
lohnbezogene Beiträge gezahlt werden und der sozia-         kenversicherung wird es sein, deutlich zu machen,
le Ausgleich über Transferzahlungen und Steuern             dass einerseits die gegenwärtige Anlastung der
gesichert wird. Schon heute wird die soziale Absiche-       Beiträge in hohem Maße ungerecht ist und allen
rung für die einkommensschwächsten Bürger nicht in-         Prinzipien des sozialen Ausgleichs widerspricht
nerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung ge-            und andererseits eine angemessene Krankenversi-
währleistet, sondern durch die Sozialhilfe und das Ar-      cherung für alle Bürger sichergestellt wird.
beitslosengeld II. Die verbleibende Umverteilung zwi-

                                                                                                                11
Privatversicherung für alle
Ein Zukunftsmodell für das Gesundheitswesen

Orientiert man sich dabei sinnvollerweise an der finan-     man ihnen entsprechende Ansprüche ein, so muss auf
ziellen Bedürftigkeit der Geringverdiener, dann können      der anderen Seite ein staatlich gesicherter Fonds mit
der erforderliche unmittelbare Transferbedarf von rund      Schulden in Höhe von 700 bis 800 Mrd. Euro stehen.
10 Mrd. Euro und die Steuerausfälle von etwa 4 Mrd.         Diese Schulden können so gedeckt werden, wie es in
Euro – aufgrund der zu erhöhenden Vorsorgepau-              der bestehenden gesetzlichen Krankenversicherung
schale – aus den Mehreinnahmen von 16 Mrd. Euro             angelegt ist, nämlich durch sukzessive Erhöhungen
durch die Besteuerung der ausgezahlten Arbeitgeber-         der Beitragssätze. Dann würde wie bisher ein großer
anteile finanziert werden. Im Vergleich zum bestehen-       Teil der Kosten auf künftige Generationen verschoben.
den System geht die Abgabenlast insgesamt zurück,           Die Gesellschaft könnte aber auch daran denken, früh-
weil ein Teil der Versicherten in den unteren und mittle-   zeitig einen Teil der impliziten Verschuldung zu tilgen,
ren Lohngruppen keinen Sozialausgleich braucht. Ver-        um das Wachstum der Belastung mit Krankenversi-
sicherte mit vergleichsweise hohen Löhnen zahlen            cherungsbeiträgen abzubremsen. Sollen die künftigen
zwar mehr Steuern, werden aber bei den Versiche-            Generationen nicht stärker belastet werden als die
rungsbeiträgen noch stärker entlastet.                      gegenwärtigen, müssten zumindest die Zinsen auf die
                                                            impliziten Schulden getragen werden. Das sind etwa
Geht man im dritten Schritt auf eine Privatversiche-        30 Mrd. Euro jährlich. Wollte man im gegenwärtigen
rung für alle über und führt man risikoorientierte          System eine Verlagerung von Kosten auf die künftige
Prämien statt der Gesundheitspauschalen ein, ändert         Generationen vermeiden, müssten der Beitragssatz ab
sich an der sozialen Absicherung nichts.                    sofort auf mindestens 17 Prozent angehoben und die
                                                            zusätzlichen Mittel angespart werden. Auf jeden Fall
Ein vermeintlich deutlich größeres Problem der dritten      fördert das Offenlegen der bestehenden impliziten
Stufe stellen die fehlenden Altersrückstellungen in der     Verschuldung eine Diskussion über die angelegte
gesetzlichen Krankenversicherung dar. Dabei handelt         Steigerung der Belastungen und über mögliche gesell-
es sich um nichts anderes als die ungedeckten               schaftliche Kompromisse.
Ansprüche der heutigen Versicherten gegenüber
zukünftigen Generationen von Beitragspflichtigen. Da        Wagt man den Schritt, die implizite Verschuldung of-
diese im Umlagesystem nicht direkt sichtbar werden,         fen zu legen und die gesetzlichen Krankenkassen mit
spricht man auch von einer impliziten Verschuldung          Altersrückstellungen auszustatten, so steht einem
der gesetzlichen Krankenversicherung. Dass diese fi-        Systemwechsel nichts mehr im Wege. Insbesondere
nanziellen Lasten nichtsdestoweniger real vorhanden         müssten die heute Älteren oder Kranken nicht be-
sind, zeigen die weiter vorne skizzierten Beitrags-         fürchten, durch risikobezogene Versicherungsprämien
satzprognosen für die kommenden Jahrzehnte.                 finanziell überfordert zu werden. Da die bisher fehlen-
                                                            den Altersrückstellungen in der gesetzlichen Kranken-
Um eine erste Vorstellung davon zu erhalten, wie hoch       versicherung „nachfinanziert“ und gemäß den indivi-
die implizite Verschuldung in der gesetzlichen Kranken-     duellen Risiken aufgeteilt werden, erhalten sie eine
versicherung ist, kann man auf Daten der privaten           entsprechend hohe Altersrückstellung, als ob sie von
Krankenversicherung zurückgreifen. Dort sind etwa 10        Geburt an privat versichert gewesen wären. Damit
Prozent der Bevölkerung krankenversichert, für die bis-     wird zugleich sichergestellt werden, dass jeder Versi-
her rund 84 Mrd. Euro an Altersrückstellungen gebildet      cherte für die Versicherungsunternehmen interessant
wurden. Hochgerechnet auf 90 Prozent der Bevölke-           ist und ein funktionsfähiger Wettbewerb zustande
rung in der gesetzlichen Krankenversicherung ergibt         kommt. Es gibt begründete Anhaltspunkte dafür, dass
sich ein Volumen zwischen 700 und 800 Mrd. Euro.            die Kosten wegen des intensiveren Wettbewerbs und
Das ist der Betrag, den man ungefähr benötigt, um die       der größeren Effizienz der Umverteilung sinken.
gesetzlichen Krankenkassen mit einer vergleichbaren
Altersrückstellung wie die PKV auszustatten.                Ein wichtiges Thema für die kapitalgedeckte Privat-
                                                            versicherung für alle ist die Sicherung der Altersrück-
Zu beachten ist jedoch, dass es sich dabei nicht um         stellungen vor Konkursrisiken u. a. durch eine ange-
neue, zusätzliche Kosten eines Systemwechsels han-          messene Unterlegung mit Eigenkapital, eine Rück-
delt, sondern lediglich um die im heutigen Umlage-          versicherung oder einen Sicherungsfonds der Versi-
verfahren versteckten Schulden.                             cherungswirtschaft. Mit dem Versicherungsaufsichts-
                                                            gesetz wird diesem Anliegen bei den privaten Kran-
Stattet man die gesetzlichen Krankenversicherungen          kenkassen bereits weitgehend Rechnung getragen.
unmittelbar mit Altersrückstellungen aus oder räumt

12
Privatversicherung für alle
Ein Zukunftsmodell für das Gesundheitswesen

                                                             Sie sind aber am ehesten in einem System mit Rück-
                                                             stellungen – also mit Kapitaldeckung – zu bewältigen,
E Fragen zum Konzept der                                     wie es hier vorgeschlagen wird. In einem solchen Sys-
  „Privatversicherung für alle“                              tem wird nicht nur vorgesorgt, sondern auch vermieden,
                                                             sich von der Anzahl der künftigen Beschäftigten und
                                                             deren Belastungsfähigkeit abhängig zu machen.
 1 Welche Aufgabe haben die Altersrückstellun-
   gen?
                                                              3 Werden hinreichende Altersrückstellungen
Eine Aufgabe der Altersrückstellungen ist die bereits           aufgebaut und gesichert?
beschriebene Glättung der Prämien über den Lebens-
zyklus, also das Vermeiden sehr hoher Prämien im             Inwiefern kann gewährleistet werden, dass die Versi-
Alter. Die zweite Aufgabe besteht darin, für jeden Ver-      cherungen tatsächlich die notwendigen Altersrückstel-
sicherten die erwarteten individuellen Gesundheits-          lungen aufbauen und nicht für andere Zwecke verwen-
aufwendungen zu decken, die über die noch zu zah-            den? Kann ein Aufsichtsamt die Angemessenheit der
lenden Prämien hinausgehen – auch bei sehr hohen             individuellen Altersrückstellungen prüfen? Kann es we-
Kosten. Damit wird gleichzeitig eine Wechselmög-             nigstens die Summe der Altersrückstellungen kontrol-
lichkeit ohne Nachteile für die Versicherten geschaffen      lieren, die für eine Kohorte vorhanden sein muss, oder
und die negative Auswahl ausgeschaltet.                      muss auch eine Vorgabe für die angemessene Prämie
                                                             gemacht werden?

 2 Ist die Konstanz der realen Prämie über den               Mit Sicherheit kann eine Aufsichtsbehörde nicht die
   Lebensverlauf gewährleistet?                              angemessene individuelle Altersrückstellung hinrei-
                                                             chend beurteilen. Es ist auch schon schwierig, die not-
Vor dem Hintergrund, dass auch in der heutigen priva-        wendige Rückstellung für eine Kohorte zu überprüfen,
ten Krankenversicherung die Prämien mit zunehmen-            weil die verschiedenen Versicherungen sehr unter-
dem Alter ansteigen, stellt sich die Frage, ob die           schiedliche Kosten und Präventivprogramme haben
Prämien in der Krankenversicherung für alle tatsächlich      können. Folgende Wege kommen in Betracht, ange-
real konstant bleiben können.                                messene Altersrückstellungen sicherzustellen:

Mit den Altersrückstellung kann die Prämie über den          • Die Vorgabe einer hohen Eigenkapitalquote, damit
Lebenszyklus einigermaßen stabil gehalten werden,              Fehlkalkulationen und bewusst niedrig angesetzte
und zwar um so eher, je besser sich die Gesundheits-           Prämien zu einem erheblichen Teil in der Eigenkapi-
kosten über lange Fristen schätzen lassen. Unproble-           talrendite und letztlich durch das Eigenkapital auf-
matisch sind Prämienerhöhungen mit der allgemeinen             gefangen werden. Prämienerhöhungen müssen re-
Preissteigerungsrate; real bleiben die Prämien kons-           striktiv auf zusätzliche Leistungen (Ausweitung des
tant. Sinnvoll ist es auch, wenn die Prämien mit der           Leistungskatalogs), neue teure Behandlungsme-
spezifischen Preissteigerungsrate im Gesundheits-              thoden sowie allgemeine und relative Preissteige-
sektor steigen. Dadurch wird der relativ steigende Wert        rungen begrenzt werden.
von Gesundheitsleistungen ausgedrückt.
                                                             • Den Versicherungen kann vorgeschrieben werden, ei-
Einige Unsicherheiten bleiben. Die Entwicklung der fer-        nen Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit zu bil-
neren Lebenserwartung und ihr Einfluss auf die Ausga-          den, der sicherstellt, dass die Ansprüche der Versi-
ben sind nur schwer vorherzusagen. Das gilt in noch            cherten erfüllt werden. Die Alternative ist eine ge-
stärkerem Maße für das Auftreten neuer Krankheiten             nerelle Rückversicherung. Sowohl ein Versicherungs-
und aufwendiger Behandlungsmethoden. Der medizi-               verein als auch die Rückversicherungen würden eine
nisch-technische Fortschritt führt nicht nur zu verringer-     wichtige Kontrollaufgabe übernehmen und dafür sor-
ten Kosten, sondern auch zu neuen und aufwändigen              gen, dass für Risikofälle vorgesorgt wird. Einen ersten
Verfahren und teuren Medikamenten. Schließlich kann            Ansatz hierfür gibt es bereits durch die Einführung der
sich eine Gesellschaft entschließen, den Basisleist-           Medicator AG im Jahre 2003, eine freiwillige Aktion
ungskatalog auszuweiten, beispielsweise wenn das all-          der privaten Krankenversicherungen, die die Zah-
gemeine Einkommensniveau steigt. Diese Einflüsse wir-          lungsfähigkeit der Versicherungen gewährleisten soll.
ken auf alle Gesundheits- und Finanzierungssysteme.            Zudem gibt es seit Mitte 2004 die gesetzliche Vorga-

                                                                                                                   13
Privatversicherung für alle
Ein Zukunftsmodell für das Gesundheitswesen

     be der Bildung eines Sicherungsfonds für Kranken-      5 Sind Altersrückstellungen letztlich nicht
     versicherungen (VAG).                                    anderes als eine Form des Altersvorsorge-
                                                              sparens?
• Letztlich sorgt der Wettbewerb dafür, dass ausrei-
  chende (individuelle) Altersrückstellungen durch die
  Versicherungen gebildet werden, weil eine falsche        Diese Sicht der Altersrückstellungen, die beispielsweise
  Berechnung zum Schaden der eigenen Versicherung          vom Sachverständigenrat zur Begutachtung der ge-
  ausgeht, nämlich mit Eigenkapitalverlusten. Daher        samtwirtschaftlichen Entwicklung geäußert wird (JG
  wird auch die Vorgabe einer konkreten Prämie nicht       2004/05, Ziffer 507), ist unvollständig. Der zentrale
  notwendig sein, wenn die Versicherungen im Wett-         Punkt, nämlich die Versicherungsfunktion der Alters-
  bewerb stehen. Hier besteht nämlich für alle Versi-      rückstellungen, bleibt ausgeklammert. Würde der ein-
  cherungen immer die Gefahr, von Konkurrenten un-         zelne Versicherte eine geringere Prämie zahlen und
  terboten zu werden und so Versicherte zu verlieren.      selbst ansparen, wäre er kaum in der Lage, die steigen-
                                                           den Prämien im Alter zu tragen, wenn er zu den
                                                           Menschen mit überdurchschnittlicher Lebensdauer
 4 Können negative Altersrückstellungen ent-               zählt. Das Risiko aus der Lebenserwartung kann nur
   stehen?                                                 innerhalb einer Versicherung ausgeglichen werden. Das
                                                           könnte auch eine Lebensversicherung leisten.
Wenn beispielsweise die erwarteten Behandlungskos-
ten von Kindern im ersten Lebensjahr vergleichsweise       Noch wichtiger ist die Funktion der Altersrückstellungen
hoch sind, höher jedenfalls als die real konstante         innerhalb des Krankenversicherungssystems. Es wer-
Prämie, dann ist die Altersrückstellung am Ende des        den individuelle Rückstellungen entsprechend der er-
ersten Lebensjahres negativ. Wenn generell eine sehr       warteten Gesundheitsaufwendungen für den jeweiligen
geringe oder gar keine Prämie für Kinder gezahlt wird,     Versicherten gebildet. Die erforderlichen individuellen
d.h. allgemein wenn die erwarteten Gesundheitsauf-         Rückstellungen können sich sprunghaft ändern. Nur
wendungen im ersten Lebensabschnitt höher sind als         wenn solche individuellen Altersrückstellungen be-
die Prämie, dann entsteht eine „negative Altersrück-       stehen und bei einem Wechsel des Versicherten mitge-
stellung“. Die Prämie muss dann in den folgenden Le-       geben werden, kann es einen funktionierenden Wettbe-
bensphasen entsprechend höher sein, damit erstens          werb zwischen den Versicherungen um Bestandskun-
das Defizit abgebaut und zweitens eine Altersrück-         den geben. Im Konzept des Sachverständigenrats zur
stellung für das Alter aufgebaut werden kann.              Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung
                                                           ist nach wie vor ein staatlich regulierter Risikostruktur-
Für den potenziellen Wechsel eines solchen Versi-          ausgleich notwendig, um den Kampf der Versicherun-
cherten bedeutet dies: Hat die Versicherung beispiels-     gen um gute Risiken sowie das Ausgrenzen schlechter
weise für ein Kind in den ersten Versicherungsjahren       Risiken zu vermeiden, da die Prämien nicht nach Alter
keine Prämie erhalten, besteht ein Anspruch auf ent-       und Gesundheitszustand differenziert werden dürfen.
sprechend höhere Prämien in der Zukunft. Der Ver-
sicherte hat Versicherungsleistungen noch nicht bezahlt
(negative Rückstellung). Wechselt der Versicherte zu
einer anderen Versicherung, könnte die aufnehmende          6 Werden aus Wettbewerbsgründen zu Anfang
eine günstigere Prämie anbieten als die bisherige             zu geringe Prämien verlangt?
Versicherung, weil sie keine Nachforderungen geltend
machen muss. Aber die abgebende Versicherung muss          Von den Gegnern risikoäquivalenter Prämien mit über-
in diesem Fall einen Ausgleich der negativen Altersrück-   tragbaren Altersrückstellungen wird eingewandt, die
stellung von der aufnehmenden Versicherung fordern         Versicherungen würden aus Wettbewerbsgründen zu
können, so dass sich die Prämie in der aufnehmenden        Beginn der Versicherungszeit zu geringe Prämien fest-
Versicherung nicht deshalb besonders niedrig sein          setzen und damit zu geringe Altersrückstellungen bil-
kann, weil der Versicherte durch einen Wechsel bereits     den, so dass die Prämien später kräftig angehoben wer-
in Anspruch genommene Leistungen nicht bezahlt.            den müssten. Das sei für die Versicherten schwer
                                                           erkennbar, weil sie lediglich die geringere Prämie sehen.

                                                           Das Argument ist ernst zu nehmen, d. h. es muss si-
                                                           chergestellt werden, dass eine Versicherung nicht des-

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