Informationen für evangelische Religionslehrerinnen und -lehrer in Westfalen und Lippe - Jahrgang 2 | 2021 - PI Villigst
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Informationen für evangelische Religionslehrerinnen und -lehrer in Westfalen und Lippe 50. Jahrgang 2 | 2021
Resilienz und Religion „Das musste ja so kommen“ – Sind Lebensläufe von Kindern und Jugendlichen aus schwierigen Verhältnissen vorherbestimmt? Keineswegs! Viele Kinder haben ihre ganz eigenen Strategien, mit Krisen umzugehen. Der Religionsunterricht hat seine eigenen Rahmenbedingungen, um Kinder dabei zu fördern. Und zahlreiche religiöse Anknüpfungspunkte, um das Thema Resilienz greifbar und erfahrbar zu machen. In dieser Ausgabe Resilienz und Vulnerabilität | S. 3 terrichts der SEK I, eine resiliente Haltung von Gottes Ebenbild | S. 32 Was ist Resilienz? Wie ist der Forschungs- Schüler*innen zu fördern. Religion kann sich erwiesenermaßen positiv stand und kann man Resilienz erlernen? Bri- auf Bewältigungsstrategien von Kindern und gitte Zeeh-Silva, Grebin, gibt einen Überblick. Es riecht nach Hoffnung | S. 23 Jugendlichen auswirken. Christiane Karp-Lan- Die Widerstandsfähigkeit in Krisen-Situati- gejürgen, Pfarrerin und RU-Lehrerin in Halle Nur ein Mode-Wort? | S. 9 onen ist auch Thema im RU der SEK II. Nicht (Westf.), zeigt Anknüpfungspunkte auf. Meinfried Jetzschke, Schwerte-Ergste, zeigt ohne einen Blick in die eigene Biografie des konkrete Handlungsfelder auf und gibt gut Unterrichtenden, meint Wolfram Bensberg, Zwischen Liebeskummer und Mobbing | verständliche Sprachbilder vor, wie man die Schwerte-Villigst. S. 38 Resilienz bei jungen Menschen fördern kann. Wie gehe ich mit der Trennung meiner Eltern Übergänge | S. 28 um? Wie verkrafte ich den Tod der Oma? Krafttankstellen für Lehrer*innen | S. 15 Ulrich Walter, Schwerte-Villigst, lenkt den Blick Christiane Karp-Langejürgen hat mit Schü- Überfordernde Situationen kennen nicht nur auf die besonderen Zeiten des Schul-Über- ler*innen der 12. Klasse Coping-Strategien in Schüler*innen. Bernhard Sieland, Lüneburg, gangs und unterstützende Ideen des RU für einem „Schatzkästchen fürs Leben“ gesam- gibt Anregungen und stellt hilfreiche Fragen die Schüler*innen in diesen Tagen. melt. zum eigenen Umgang mit stressigen Zeiten im Schulalltag. Zollstock-Segen | S. 30 Schilfkörbchen-Erfahrungen | S. 41 Rituale und Zuspruch sind wichtige Bausteine Welche Bilder, Geschichten, Symbole ... geben Wenn mich andere auspfeifen, für eine gute Entwicklung der Schüler*innen. Kindern Hilfe für ihre eigene seelische Wider- höre ich Applaus | S. 19 Segen fördert Leben, gerade auch in Krisen- standskraft. Christiane Karp-Langejürgen Marco Sorg, Schwerte-Villigst, erläutert die zeiten. Ulrich Walter hat einen ganz beson- nutzt dazu die Lebensgeschichte des Moses besonderen Möglichkeiten des Religionsun- deren entwickelt. und seine ungewöhnliche Karriere. ru intern
Bausteine für den Religionsunterricht und ein gutes Schulklima Die Seele stärken, Resilienz fördern, einfach evangelisch! Resilienz und Resilienzförderung über 40 Jahre lang knapp 700 Kinder, die 1955 handlung, niedriger Bildungsstand der Eltern, in der Schule* auf der Hawaii-Insel Kauai geboren wurden. etc. ⅔ dieser „Risiko Kinder“ fielen als Jugend- Knapp ⅓ dieser Kinder wuchsen unter äußerst liche durch Lern- oder Verhaltensstörungen 1 Das Phänomen der Resilienz schwierigen Verhältnissen mit hohen Risi- auf, wurden straffällig bzw. psychiatrisch auf- 1.1 Was heisst „Resilienz“? kofaktoren auf: Armut, Krankheit der Eltern, fällig. Gleichzeitig entwickelte sich ⅓ dieser (Lat. resilere – ‚zurückspringen‘, ‚abprallen‘) Vernachlässigung, Gewalt in der Familie, Miss- Kinder erstaunlich positiv. Sie waren erfolg- Resilienz bezeichnet die psychische Wider- standsfähigkeit von Kindern gegenüber sog. Risikofaktoren wie biologischen, psychologi- schen und psychosozialen Entwicklungsrisi- ken (z.B. chronische Armut, Gewalterfahrun- gen, Verlust eines Elternteils, traumatische Situationen wie Naturkatastrophen oder Kriegserlebnisse). Das Gegenstück zu Resilienz ist Vulnerabi- lität (engl. Vulnerability): Verletzbarkeit, d.h. erhöhte Bereitschaft, durch äußere Verlet- zungsfaktoren physische oder psychische Erkrankungen zu entwickeln. Die Kauai Studie, eine Pionierstudie (1973 – 2001) Die US-amerikanische Entwicklungspsycho- login Emmy Werner und ihr Team begleiteten Die US-amerikanische Entwicklungspsychologin Emmy Werner. Foto: Bwag, wikimedia.org 2 / 2021 3
reich in der Schule, waren in das soziale Leben des Kindes und/oder seiner Lebesumwelt ver- einer gelingenden Lebensbewältigung, sog. integriert und wiesen zu keinem Zeitpunkt der ankert sind. „Life skills“ erforscht werden. Untersuchung irgendwelche Verhaltensauffäl- Kein Mensch ist immer gleich widerstands- Die Resilienzforschung untersucht erstmals, ligkeiten auf. Die grundlegende Erkenntnis aus fähig. Die Entwicklung von Resilienz hängt wie Risikosituationen bewältigt werden kön- dieser (und anderer) Studie(n) ist, dass ungüns- z.B. von der jeweiligen Risikokonstellation nen. tige (Start-) Voraussetzungen nicht zwingend (Risikofaktoren / Risikomechanismen), von Die Resilienzforschung hat keine defizit zu Elend und Misserfolg führen müssen. der Entwicklungsphase und von den vorhan- orientierte Perspektive, sondern eine res- Resiliente Kinder (Erwachsene) verfügen über denen, bzw. entwickelten Schutzfaktoren ab. sourcenorientierte: Es geht um Fähigkeiten, bestimmte Eigenschaften und Strategien, die Potenziale und Ressourcen des Kindes. ihnen ermöglichen, an widrigen Umständen 1.3 Was ist das Besondere an Die Resilienzforschung zielt darauf ab, Kin- nicht zu zerbrechen. Der ursprünglich auf der Resilienzforschung? der so früh wie möglich für Stress- und Belas- Kinder und Jugendliche gelegte Fokus der Innerhalb der Längsschnittstudien wird nicht tungssituationen zu „stärken“. Resilienzforschung hat sich in der Zwischen- nur auf Ursachen und Bedingungen für die zeit sehr stark in Richtung Erwachsenenalter Entstehung psychischer Störungen geschaut, 1.4 Was sind Hauptergebnisse der Resilienz- (z.B. Belastungs-, Traumaverarbeitung), in sondern es wird versucht, neben Risikofak- forschung? die Arbeitswelt (resiliente Teams) sowie auf toren auch Schutzfaktoren zu identifizieren, 1.4.1 Interne / Personale Schutzfaktoren soziale Systeme ausgeweitet. die für den Erhalt seelischer und körperlicher des Kindes Gesundheit maßgeblich sind. Dieser Perspek „Die Annahme, dass sich Kinder aus einer tivwechsel / Paradigmenwechsel innerhalb 1 Selbst- und Fremdwahrnehmung Hochrisikofamilie zwangsläufig zum Versager der Forschungsbereiche Psychologie, Päda- Resiliente Kinder kennen die verschiedenen entwickeln, wird durch die Resilienzforschung gogik und Gesundheitswissenschaften führte Gefühle und können sie adäquat ausdrücken widerlegt.” Emmy Werner in den 90er Jahren zu einem erweiterten (mimisch und sprachlich); sie können Stim- Begriff des Verständnisses von ‚Gesundheit‘, mungen bei sich und anderen erkennen und 1.2 Was ist heute über Resilienz bekannt? in der (WHO) sehr umfassend definiert als einordnen: sie können sich, ihre Gefühle und Resilienz ist kein angeborenes Persönlich- „Zustand vollkommenen körperlichen, geis- Gedanken reflektieren und in Bezug zu ande- keitsmerkmal eines Kindes. tigen und sozialen Wohlbefindens“. ren setzen. Resilienz entwickelt sich aus der Interaktion Daraus entwickelten sich zahlreiche Konzepte Förderung der Selbstwahrnehmung: durch des Kindes mit seiner Umwelt. innerhalb der Präventionsforschung zur För- Erhöhung des Fokuses für die Sensibilität für Wer Resilienz entwickelt, verfügt über so derung und zur Erhaltung von Gesundheit, den eigenen Körper und die eigenen Gefühle. genannte Schutzfaktoren, die in der Person wobei die Entwicklung von Fähigkeiten zu Differenzierte Sprache. Beispiel: „Es geht 4 ru intern
wortungsübernahme im Alltag machen können. Erwachsene sollten den Kindern ihre Stärken und Kompetenzen spiegeln und sie darin bestärken, auf ihre Fähigkeiten zu vertrauen, ihnen etwas zutrauen und nicht vorschnell eingreifen, sondern sie ermuti- gen, auch bei Schwierigkeiten weiterzuma- chen. 3 Selbststeuerung / Selbstregulation Resiliente Kinder können sich und ihre Gefühlszustände selbstständig regulieren bzw. kontrollieren: Sie wissen, was ihnen hilft, um sich selbst zu beruhigen und wo sie sich ggf. Hilfe holen können; sie kennen Handlungsalternativen und Stategien zur Selbst- regulierung. Resiliente Kinder haben gelernt, innere Anforderungen zu bewältigen und ihnen zu begegnen (von der Situation der Bedrohung zur Bewältigung). Welche Strategien wenden Kinder an, um sich wieder „ins Lot“ zu bringen? Foto: Dirk Purz Förderung der Selbststeuerung: Zur Unter- stützung der Ausbildung von Selbstregulati- mir schlecht“ – Entschlüsselung in: „Ich bin zu diesem Ziel gebracht haben: Sie können onsfähigkeiten ist ein positives emotionales wütend / traurig / /genervt / habe Angst.“ diese Strategien auf andere Situationen über- Klima in der Famile wichtig sowie der offene tragen und wissen, welche Auswirkungen ihr Umgang mit Gefühlen, z.B. durch häufige 2 Selbstwirksamkeit Handeln hat und vor allem, dass ihr Handeln Gespräche über Gefühle. Entscheidend ist vor Resiliente Kinder kennen ihre eigenen Stär- auch etwas bewirkt. allem Hilfestellung bei der Emotionsregula- ken und Fähigkeiten und sind stolz darauf; sie Förderung der Selbstwahrnehmung: Damit tion, z.B. indem die Gefühle angesprochen können ihre Erfolge auf ihr Handeln beziehen Kinder sich als selbstwirksam erleben kön- und daran Möglichkeiten des Umgangs oder und wissen, welche Strategien und Wege sie nen, müssen sie Erfahrungen der Verant- Alternativen zur Verfügung gestellt werden. 2 / 2021 5
tegien und können diese anwenden; sie wis- sen, wie sie sich Unterstützung holen können und wann sie diese brauchen; sie können die Situationen reflektieren und bewerten. Förderung der adaptiven Bewältigungskom- petenz: Die Förderung dieses Resilienzfaktors wird unterstützt, wenn mit Kindern reflek- tiert wird, was für sie stressauslösende Situ- ationen sind und welche Strategien für sie hilfreich sind. Das können Entspannungs- übungen sein, aber auch bewegungsförder- liche Angebote, das Aufzeigen von Unter- stützungspersonen und Orte, an denen sie sich zurückziehen können. 6 Problemlösefähigkeiten Resiliente Kinder haben gelernt, sich realis- tische Ziele zu setzten; sie trauen sich, Pro- bleme direkt anzugehen und kennen dafür Zuwendung, Halt, Gesprächspartner, Vorbild - Bezugspersonen sind vieles in einem. Foto: Dirk Purz Problemlösestrategien: Sie sind in der Lage, verschiedene Lösungsmöglichkeiten zu ent 4 Soziale Kompetenz und deren Reflexion helfen, sich in andere wickeln. Resiliente Kinder können auf andere Men- hineinzuversetzen und Lösungsstrategien zu Förderung der Problemlösefähigkeit: Um schen zugehen und Kontakt aufnehmen; sie entwickeln. diese Fähigkeit zu entwickeln, brauchen Kin- können sich aber auch selbst behaupten und der Erwachsene, die ihnen zutrauen, Prob- Konflikte adäquat lösen. 5 Adaptive Bewältigungskompetenz leme grundsätzlich alleine lösen zu können, Förderung der sozialen Kompetenz: Kinder Resiliente Kinder können für sie stressige und die erst dann Unterstützung geben, wenn brauchen Erwachsene als Kommunikations- Situationen einschätzen, d.h. sie erkennen, das Kind darum bittet. Insbesondere der Ein- modell (Mimik, Gestik, Emotion). Klare Regeln ob sie für sie bewältigbar sind, und kennen bezug in alltägliche Planungs- und Entschei- und Abläufe bei der Lösung von Konflikten ihre Grenzen; sie kennen Bewältigungsstra- dungsprozesse wirkt hier fördernd. 6 ru intern
Weitere Schutzfaktoren: Kohärenz-Sinn / und ist ein dynamischer Anpassungs- und den werden. Kinder werden als aktive Bewäl- Optimistische Lebenseinstellung / Kreativi- Entwicklungsprozess. Innerhalb der For- tiger und Gestalter ihres Lebens wahrgenom- tät, Hobbies / Körperliche Gesunderhaltung. schung bedarf es multikausaler Entwick- men (kompetent). lungsmodelle und einer einheitlichen Termi- 1.4.2 Externe Schutzfaktoren in der Lebens- nologie zur Erfassung der differenzierbaren umwelt des Kindes Resilienzfaktoren. 2 RESILIENZFÖRDERUNG IN DER SCHULE Mindestens eine stabile, verlässliche Be Da Resilienz weder umfassend noch Bausteine für den Religionsunterricht und ein zugsperson, die Sicherheit, Vertrauen und beständig ist, bedarf es einer permanenten gutes Schulklima Autonomie fördert und die als positives Rol- Resilienzförderung im Kontext von Kindern. lenmodell fungiert. Dies heißt, kontinuierlich die individuelle 2.1 Resilienzfördernde Bausteine in Situation von Kindern in den Blick zu nehmen, der Schule „Die erste große Botschaft ist: Resilienz be um mögliche Belastungen frühzeitig erken- Klare, transparente und konsistente Regeln ruht, grundlegend, auf Beziehungen.“ nen und Schutzfaktoren rechtzeitig aktivie- und Strukturen. (Suniya Luthar, 2006. Schlussfolgerung aus ihrer ren zu können. Wertschätzendes Klima (Wärme, Respekt umfassenden Analyse der letzten fünfzig Jahre Seit 1980er Jahre wurden auch in Deutsch- und Akzeptanz gegenüber dem Kind). Resilienzforschung) land gezielte psychosoziale Präventions- Positive Verstärkung der Leistungen und programme für das Säuglings-, Vorschul-, Anstrengungsbereitschaft des Kindes. Gute Bewältigungsfähigkeiten der Eltern Schul- sowie Jugendalter entwickelt, erprobt Positive Peerkontakte / positive Freund in Belastungssituationen (Familiäres „Netz- und evaluiert. Diese Programme schließen schaftsbeziehungen. werk“: Freunde, Verwandte, Nachbarn). immer die Arbeit mit den Bezugspersonen ein Förderung von Basiskompetenzen (Resili- Ein wertschätzendes und unterstützen- mit dem Ziel, eine positive Eltern-Kind-Be- enzfaktoren). des Klima in den Bildungsinstitutionen (Kita ziehung zu stärken. Zusammenarbeit mit dem Elternhaus und / Schule als „zweites Zuhause“, „Zufluchtsort“) Beispiel.: ‚Coping-Strategien‘: konkrete Ver- anderen sozialen Institutionen. Dosierte soziale Verantwortlichkeiten und änderung der Umwelt, des eigenen Verhal- individuell angemessene Leistungs anfor- tens und der Veränderung eigener Wahr- 2.2 Resilienz und Religion derungen. nehmungs- und Interpretationsmuster (Be- „Eine religiöse Überzeugung ist ebenfalls ein wertungsprozesse). Schutzfaktor im Leben von Risikokindern. 1.5 Implikationen für die Resilienzforschung Kinder in ihren eigenen Stärken zu stärken, Sie gibt den widerstandsfähigen Jungen und Resilienz entwickelt sich im komplexen um die Schwächen zu schwächen, kann als Mädchen Stabilität, ein Gefühl, dass ihr Leben Austausch zwischen Individuum und Umwelt Leitsatz für pädagogisches Handeln verstan- Sinn und Bedeutung hat, und den Glauben, 2 / 2021 7
dass sich trotz Not und Schmerzen die Dinge am Ende zum Guten Kohärenz-Sinn spricht eine tiefe religiöse Dimension an: Vertrauen. wenden … ganz gleich, ob sie Buddhisten, Mormonen, Katholiken Das Vertrauen, dass der Strom des Lebens mich trägt, dass eine höhere oder Protestanten waren. Auch als sie erwachsen waren, war ein sol- Macht ist, die mich hält und stärkt. cher Glaube immer noch ein wichtiger Schutzfaktor in ihrem Leben.“ Emmy Werner Religion / Spiritualität stärkt ein positives Selbstbild und ein sinnhaftes Weltbild; Die Sichtweise auf das eigene Selbst, die Welt und die Vorstellung von Autonomie und Verantwortungsbewusstsein für alles, was ist; einem sinnvollen Leben hängen zusammen. Die Resilienzforsche- die Seele bei der Bewältigung existenzieller Lebenssituationen; rin Corina Wustmann weist Religion und Spiritualität auf Grund des das Bewusstsein einer Lebens-Gemeinschaft; Kohärenzgefühls (die Überzeugung, dass alle Dinge und Geschehnisse die Sprachfähigkeit der Seele, wo die Alltagssprache endet; „zusammenhängen“) als wichtigen schützenden Faktor aus. durch ihre Rituale die Daseins-Präsenz. Dieser Begriff wurde vom Pionier und Medizinsoziologen Aaron Anto- novsky geprägt, der, im Gegensatz zur Pathologie (Lehre der Krank- 2.3 Religionsunterricht - Zwischenraum der Seele heiten), einen Perspektivwechsel durch den Ansatz der Salutogenese Sola gratia - Du bist angenommen – bedingungslos – KIND SEIN können: beschritten hat (Lehre von der Entstehung der Gesundheit). Der Kohärenz-Sinn ist die innerste Überzeugung, dass auch schwie- K Klassenzimmer-Dynamik: „Ich bin Kind mit Leib und Seele!“ rige Situationen einen Sinn haben und der Mensch gerade darin eigene (HUMOR) Handlungs- und Gestaltungsmöglichkeiten hat. Diese Lebenshaltung I Individuelles und Intuitives Sehen und Begleiten: „Ich sehe Dich / wird von drei Säulen getragen: dahinter!“ N Nähe und Wärme, Annahme und Liebe: „Ich bin für Dich da!“ 1. Mein Leben ist verstehbar: Mein Glaube / meine religiösen Überzeu- D DU-Begegnung / Interaktionen: „Dir kann ich vertrauen - Gott gungen helfen mir, Lebenserfahrungen zu begreifen, zu deuten, zu kann ich vertrauen!“ verstehen. 2. Mein Leben ist bewältigbar: Ich verfüge über eigene Fähigkeiten zur S Segensmomente: „Du bist ein Segen!“ (Jedes Kind hat POTENZIALE!) Bewältigung und nehme die Herausforderungen als Chancen eigener E Entspannung und Ermutigung durch Kooperation im Klassenzim- Entwicklung und Reifung. Ich verfüge über innere und äußere Res- mer sourcen und vertraue darauf, von Gott unterstützt zu werden. I „INNEN und AUSSEN“: Expression und Meditation (Spannungs- 3. Mein Leben ist sinnhaft: Ich bewältige bedrohliche Situationen im ausgleich) Vertrauen, dass es sich lohnt. Was ich tue, ist wichtig, und ich ver- N „Nein“ sagen können: Das Recht des Kindes auf Selbstbestim- traue darauf, dass Gott ein sinnvolles Leben für mich möchte. mung 8 ru intern
„Seien Sie sich immer bewusst: Sie sind wich- Warum Resilienz zurzeit Hochkonjunktur hat tig und hilfreich für die Kinder!“ In Krisen und Katastrophenzeiten Emmy Werner nicht den Kopf verlieren Literatur: *Wustmann: Resilienz. Widerstandsfähigkeit von Kindern in Tageseinrichtungen fördern (2012). Fröhlich-Gildhoff, Rönnau-Böse: Resilienz, utb 42015. Betz, Dietermann, Hilt, Schwarze: Resilienz – Resilienz Modewort? Wie Religion Kinder stark macht, Evangelisches Sie liegen entspannt in der Badewanne und In den 1950er Jahren taucht ‚Resilienz‘ in Medienhaus GmbH, Stuttgart 2014. spielen mit der Badeente Ihrer Kinder. Loriot anderen Kontexten auf, seit den 1970ern in Thich Nhat Hanh. Achtsamkeit mit Kindern, Nym lässt grüßen. Sie knautschen die Ente fast bis der sozialwissenschaftlichen und entwick- phenburger Verlag, München 2012. zur Unkenntlichkeit, lassen los — und ‚zack‘ lungspsychologischen Forschung. „Resilienz springt die Ente in ihre ursprüngliche Form hat Konjunktur“, so der Soziologe Andreas Brigitte Zeeh-Silva zurück. Das ist Resilienz! Reckwitz. ist Dozentin für Schulentwicklung in Kooperation Resilienz ist inzwischen nicht nur das mit dem IQSH Kronshagen (Institut für Qualitäts Der Begriff (lat. ‚resilere‘ = ‚zurückspringen, „Schlüsselkonzept einer langfristigen Krisen- entwicklung an Schulen Schleswig-Holstein) und abprallen‘) hat seinen Ursprung in der Werk- prävention“ im Kontext von „Therapie und den Pädagogisch-Theologischen Instituten Kiel, stoffkunde für Materialien, die trotz massiver Beratung“, sondern auch ein „neues Leitbild Hamburg und Moritzburg. Schwerpunkte: Acht- Gewalteinwirkung immer wieder der Politik“ in Zeiten globa- samkeitspädagogik, Resilienzstärkung, Künstle- ihre ursprüngliche Form anneh- ler Risiken und Katastrophen, rischer Ausdruck und Kontemplation men. ein Projektionsfeld individu- eller sowie sozialer Rettungs- und Überlebenswünsche. Wie kann ich angesichts globaler (Klimakatastrophe, Pande- mie) und existenzieller (Alles, was ich mir aufgebaut habe, bricht mir weg!) Bedrohun- gen so weiterleben, dass mein 2 / 2021 9
Traum vom Leben nicht zerbricht? „Resilienz daraufhin, wie es fast einem Drittel von ihnen Definitionen bedeutet, dass Individuen und Gesellschaften gelang, dieses Grauen – seelisch relativ unbe- Der Referendar ist kurz vor dem Nervenzu- an Robustheit gewinnen“, so Reckwitz. schadet – zu überleben. sammenbruch und erhält den wohlmeinen- Die Entwicklungspsychologinnen Ruth Smith den Rat: ‚Wenn du in der Schule überleben Resilienz — Salutogenese und Emmy Werner konnten in ihrer Arbeit mit willst, musst du dir ein dickes Fell zulegen!‘ Weit umfassender jedoch ist das Konzept der Jugendlichen auf Hawaii beobachten, dass Das ist grundsätzlich nicht falsch; denn Salutogenese (lat. ‚salus‘ = ‚Gesundheit, Glück, etwa ein Drittel der Kinder und Jugendlichen das ‚dicke Fell‘ beschreibt recht zutreffend, Rettung, Sicherheit‘ und ‚genero‘ = ‚erzeugen, trotz widriger Sozialisationsbedingungen nicht worum es bei Resilienz in psychischer Hinsicht hervorbringen‘), das von dem israelisch-ame- verhaltensauffällig wurde. Resilienz muss als geht: sich eine ‚Schutzschicht‘ zuzulegen, die rikanischen Soziologen Aaron Antonovsky Teil dieses salutogenetischen Ansatzes ver- es verhindert, dass die seelische Integrität entwickelt wurde. Was erzeugt Gesundheit, standen werden. Weg von der Orientierung an nachhaltig beschädigt wird. Glück, das Gefühl von Sicherheit und Gebor- Defiziten und dafür den Blick auf die vorhan- Andere beliebte Metaphern sind das Ste- genheit? Hier wird nicht gefragt: Was macht denen Ressourcen lenken. Weg von dem Blick haufmännchen oder der Bambus, der auch mich krank?, sondern: Was hält mich gesund? auf Risiken und hin zur Suche nach Faktoren, durch den heftigsten Sturm nicht genickt Antonovsky befragte Holocaustüberlebende die Menschen schützen und bewahren. wird. Die amerikanische Psychologenvereini gung definiert Resilienz als einen „Pro zess der guten Anpassung angesichts von Widrigkeiten, Trauma, Tragödien, Bedroh ungen oder anderen wesentlichen Quellen von Stress“. Wann ist ein Anpassungsprozess als gelun- gen zu betrachten? Robustheit um jeden Preis kann kaum das erwünschte Ziel sein. Darum geht es: In Krisen überlebensfähig bleiben und zugleich Empathiefähigkeit und Solidarität bewahren. Wie kann das gelingen? 10 ru intern
Resilienzfaktoren Diese Faktoren sind nur ein kleiner Ausschnitt, Lange Zeit wurde der salutogenetische An „Woher nimmt Laschet diese Resilienz?“ Ist aber sie zeigen, dass neben den Persönlich- satz im deutschsprachigen Raum ignoriert. das Begabung oder Fleiß? Als Pädagog*in- keitsmerkmalen vor allem das soziale Umfeld Inzwischen kann man von einer gesund- nen kennen Sie solche falschen Alternati- wichtig ist. Eine Familie, die verlässliche Struk- heitspolitischen Wende sprechen. Gesund- ven und so handelt es sich auch bei Resilienz turen bietet, in der respektvoll miteinander heitsprophylaxe und Prävention hab en um „ein hochkomplexes Zusammenspiel von umgegangen wird, Peergroups, die eine Erfah- einen hohen Stellenwert erhalten (mit dem genetischen und epigenetischen Faktoren“. rungsebene auf Augenhöhe bieten, Schulen Präventionsgesetz – PrävG 2015 werden die Die gute Botschaft lautet: Wir können etwas mit einheitlichen, transparenten Regeln, in Krankenkassen verpflichtet, hohe Summen tun! Die Kehrseite ist: Wenn du etwas ändern denen sich die Schüler*innen angenommen, für Präventionsmaßnahmen auszugeben). willst, musst du selbst aktiv werden! Resilienz aufgehoben, aber zugleich auch gefordert und Der verstärkte Einsatz von Schulsozial- lässt sich aneignen und trainieren. Maßgeb- gefördert wissen – das alles hat großen Ein- arbeiter*innen wie die Verpflichtung der lich sind dabei personale und soziale Faktoren: fluss auf die Resilienzentwicklung. Schulen, Beratungskonzepte zu entwickeln, ist sicherlich auch Ausdruck dieser Entwick- lung. Die sieben Bausteine der Resilienz im Schulalltag Es gibt eine Vielzahl von Resilienz-Modellen. Im Folgenden orientiere ich mich an einem Konzept, das sich in weiten Bereichen (z.B. bei den Krankenkassen) durchgesetzt hat: 2 / 2021 11
1. Mit Akzeptanz fängt alles an. Wer sich 2. Lösungsorientierung heißt, sich aus der selbst nicht leiden kann, hat schon verloren. Fixierung auf Probleme zu befreien, neue Stopp! Genau umgekehrt! Wer grundsätz- Blickrichtungen einzunehmen und so die lich ‚Ja‘ zu sich sagt mit allen seinen ‚Macken‘ eigenen Spielräume zu erweitern. Sie alle (Stichwort: Fehlerfreundlichkeit!) hat bereits kennen die Metapher vom halb vollen bzw. gewonnen. Wer Schüler*innen als Bedro- halb leeren Glas. Noch passender finde ich das hung empfindet oder als ‚unbrauchbares Beispiel vom halben Apfel, den jemand mit Schülermaterial‘ (Originalzitat), wird in der mir teilt. Ein halber Apfel? Besser als nichts! Schule nicht glücklich werden. Das ‚Recht auf Unvollkommenheit‘ sollten Sie für sich selbst „… aber es gibt auch so etwas wie die Süße in Anspruch nehmen und auch Ihren Schü- der gelungenen Halbheit. Ich glaube, man ler*innen gewähren. entmutigt sich selbst, wenn man immer Schaue ich mehr auf das Dunkle oder lasse ich auf die Ganzheiten starrt. Ein halbes Glück mich vom Hellen anziehen? „Gib mir die Gelassenheit, Dinge zu akzep- ist viel Glück.“ tieren, die ich nicht ändern kann, den Mut, gen Tochter 30 mal ‚Nein‘ gesagt und 50 Ver- Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und So geht es auch im schulischen Alltag darum, bote ausgesprochen hat. Baumann, ein 1,90 die Weisheit, das eine vom anderen zu die positiven Ansätze zu würdigen, phanta- Meter-Mann, tiefe Stimme, wie er sich selbst unterscheiden.“ sievoll und experimentierfreudig an Heraus- beschreibt, ist darüber erschrocken. Burkhard forderungen heranzugehen. Es wird Miss- Günther berichtet, dass ein Kind, „bis es in die Die Kunst der Unterscheidung zwischen erfolge geben. Dann liegt viel daran, wie ich Schule kommt, hunderttausendmal die Wör- Dingen, die sich verändern lassen, und sol- es interpretiere: Empfinde ich es selbst als ter nein und nicht“ hört und dass „sich diese chen, mit denen ich mich arrangieren sollte, Versagen oder deute ich Fehlversuche als Nein-Nicht-Kultur“ in der Schule leider fort- um mich nicht zu zerreiben, gilt auch für Chance? ‚Das Falsche ist oft die Wahrheit, die auf setzt. den Schulalltag: ‚Nein‘ zu Überforderung dem Kopf steht‘, soll Siegmund Freud gesagt und Perfektionismus. An welchen Stell- haben. Mache einen Kopfstand und schon „Wir sehen die Dinge nicht, wie sie sind, wir schrauben lässt sich drehen, um die Rah- hast du die Lösung. sehen die Dinge, wie wir sind.“ menbedingungen zu verbessern? Wo finde ich Verbündete? Aber auch: Wo lohnt es sich, 3. Optimismus. Der Journalist Marc Baumann Es gibt Situationen, in denen klar und nicht zu kämpfen, weil ich mir nur eine blu- hat sich einen Tag lang selbst beobachtet deutlich Grenzen gesetzt werden müssen. tige Nase hole? und protokolliert, dass er zu seiner vierjähri- Zuerst geht es um die Grundstimmung, die 12 ru intern
in Schule und Klassenraum verbreitet wird: Ist es eine optimistische Willkommenskul- tur oder eine Atmosphäre der Unsicherheit und Angst? Es liegt an uns, was wir beför- dern und befeuern. 4. Eigenverantwortungsübernahme. Der Kla gegesang aus dem Lehrerzimmer gehört zum Kernprogramm vieler Kabarettisten. Die Klagepsalmen belegen, dass Klagen befrei- end sein kann. Nur: Strukturell ändern wer- den Sie damit nichts. Bewegung wird dann in die Angelegenheit kommen, wenn Sie die Opferrolle verlassen und selbst aktiv werden. Albert Bandura hat das Konzept der Selbst- wirksamkeit (self-efficacy) entwickelt und gezeigt, dass die Erfahrung, selbst etwas tun und bewirken zu können, eine entscheidende Gesundheitsressource ist. Dazu brauche ich Träume, Visionen, ‚innere werde ich mir Unterstützung holen. Damit „Geht es einmal, geht’s auch noch mal. Bilder‘ (Gerald Hüther) davon, wie ich eigent- werde ich mich belohnen! Geht es noch mal, geht’s auch von vorn. lich leben und arbeiten möchte. Auch das Was von vorn geht, ist erst der Anfang. verbindet Lehrer*innen und Schüler*in- 6. Beziehungsgestaltung Wenn ich nicht anfang’, geh ich verloren.“ nen. Ohne solche konkreten Ziele oder Ideen besteht die Gefahr, in Lethargie zu verfallen. „Einsam bist du klein, aber gemeinsam 5. Zukunftsgestaltung ‚Auch der längste Weg beginnt mit einem werden wir Anwalt des Lebendigen sein.“ ersten Schritt‘ (Konfuzius). Dieser ist oft der Die Zukunft kann man am besten voraus- schwerste. Deswegen helfen konkrete Ziel- „Resilienz [ist] die Fähigkeit, förderliche Bezie- sagen, wenn man sie selbst gestaltet. vereinbarungen mit sich selbst: Bis dann und hungen einzugehen und sich Unterstützung bei dann werde ich das und das umsetzen. Dort Personen oder Institutionen zu holen.“ Voraus- 2 / 2021 13
setzung ist die Bereitschaft, sich auf Beziehun- rer Erfahrungssatz aus der Supervisions- 8 Siehe ebd., 30–55. gen ein- und Unterstützung generell zuzulassen. praxis. Es reicht nicht, sich jeden Tag einen 9 Günther, Resiliente Lehrer – resiliente Schüler, Hamburg Oft steht falsch verstandenes Einzelkämpfer- ‚Mini-Holiday‘ oder einen Spaziergang vor- 2019; Gruhl und Körbächer, Mit Resilienz leichter durch tum oder die Angst, als Versager*in zu gelten, zunehmen, man muss es auch tun. In die- den Alltag, Freiburg i.Br. 2012. dem entgegen. Obwohl inzwischen viele Stu- sem Sinne: Seien Sie gut zu sich selbst! Ihre 10 Das sog. ‚Gelassenheitsgebet‘ von Reinhold Niebuhr. dien belegen, dass professionelle Lehr-Lern-Ge- Kolleg*innen und Schüler*innen werden es 11 Fulbert Steffensky, WDR Lebenszeichen, 1.7.2018. meinschaften, Supervision und Kollegiale Fall- Ihnen danken. 12 „[…] an einem normalen Tag, an dem weder ich schlechte beratung über einen längeren Zeitraum das P.S. Religion und Spiritualität gehören zu den Laune hatte noch mein Kind besonders wild gewesen Beste ist, was Lehrer*innen für sich tun können, „wichtigsten Resilienz- und Wirkfaktoren“! wäre“. https://szmagazin.sueddeutsche.de/kinder/nein- liegt die Inanspruchnahme dieser Angebote Sicherlich ein Grund, weshalb Schulseelsorge 80 145, Zugriff 5 2021. nach wie vor im einstelligen Bereich. zunehmend an Bedeutung gewinnt. 13 A.a.O., 62. 14 Gruhl, Resilienz für Lehrerinnen und Lehrer, Freiburg i.Br. 7. Selbstregulationsfähigkeit Dr. Meinfried Jetzschke 2014, 38. Freiberuflicher Dozent, Supervisor (DGSv), Qigong- 15 Rosenstolz: „Ich bin mein Haus“, auf der CD „Die Suche „Wenn ich nicht für mich bin, wer ist für Lehrer, Systemischer Körperpsychotherapeut (GST) geht weiter“, 2008. mich? – Und wenn ich (nur) für mich bin, 16 Dem amerikanischen Informatiker Alan Kay zugeschrie- was bin ich? – Und wenn nicht jetzt, wann 1 Die neue Politik des Negativen, DER SPIEGEL 10, 6.3.2021, ben. dann?“ 42f. 17 Text: F.K. Barth (1981), P. Horst (1981). Melodie: P. Janssens 2 Wenn Sie Resilienz googeln, erhalten Sie über 3 Millio- (1981). Darum geht es: Selbstfürsorge, d.h. acht- nen(!) Einträge, bei Salutogenese, dem wichtigeren, weil 18 Berndt, Resilienz, München 4/2013, 68. sam und liebevoll mit sich selbst umgehen, umfassenderen Begriff dagegen nur 286.000 Einträge. 19 Siehe Jetzschke, Supervision mit Lehrkräften, Weinheim- die eigenen Grenzen achten, körperliche Zugriff 5 2021. Basel 2018, 48f.; 55–60; s.a. das Supervisionsangebot des und psychische Warnsignale ernst nehmen, 3 Siehe Faltermaier, Gesundheitspsychologie, Stuttgart 2/ Pädagogischen Instituts der EKvW: https://www.pi-villigst. kreativ und proaktiv mit potenziellen Stres- 2017, 74. de/supervision. soren umgehen. Konkret: Nicht warten bis 4 Siehe Böhme, Resilienz, München 2019, 10. 20 Rabbi Hillel zugeschrieben, Pirkej Awot 1,14, zur Burnout-Diagnose, sondern im Vorfeld 5 Zitiert nach: https://www.quarks.de/gesellschaft/psycho- zit. n.: https://www.juedische-allgemeine.de/religion/wenn- Auszeiten und Entspannungsrituale ver- logie/resilienz-gegen-stress-gewappnet/, Zugriff 5 2021. nicht-ich-wer-dann/, Zugriff 5 2021. bindlich integrieren (z.B. Achtsamkeitstrai- 6 Fragte die Westfälische Rundschau am 13.4. 2021 unter 21 Lang, Resilienz, Stuttgart 2019, 85. ning oder Qigong). ‚Wir sind Vorsatzriesen dem Titel „Das Geheimnis von Laschets Stehvermögen“. 22 Siehe auch https://www.pi-villigst.de/schulseelsorge. und Umsetzungszwerge‘ lautet ein weite- 7 Böhme, a.a.O., 35. (© Alle Fotos und Grafiken beim Autor) 14 ru intern
Wie kann ich mich im Schulalltag stärken und stärken lassen? Denken Sie an den Kanarienvogel „Die Welt braucht Menschen, die so sehr an eine andere Welt glauben, Resiliente Schüler*innen und Lehrpersonen sollten sich dass sie nicht anders können, als sie heute schon zu leben!“ idealerweise selbst stärken, damit sie nicht zu sehr von Shane Claiborne den Stärkungen der Mitmenschen abhängig sind oder unter deren Frustrationen leiden. Darüber hinaus sollten sie einander stärken. Die Schule verlangt wie jeder Lebensraum einen hohen Energiever- brauch bei unsicheren Erfolgen. Alle Alltagsinteraktionen kosten und schenken Kraft. So entwickelt jede Person beruflich und privat Selbsthilfe eine Anstrengungs-Belohnungs-Bilanz. Sie erlebt und vergleicht die Summe ihrer (täglichen) Anstrengungen mit deren Effekten an Freude und Leid und manchmal fehlt die Kraft für anstehende Aufgaben. Lehr- personen brauchen eine ansteckende Gesundheit. Ein depressiver Pas- tor kann keine frohe Botschaft verkünden! Hilfe suchen Mitmenschen Anforderungen – Anstrengung Reward – Ressourcen und empfangen unterstützen Was kostet Kraft? Was gibt Kraft? - Beruf - Beruf - Familie - Familie - Freundeskreis - Freundeskreis Abb.2: Drei Funktionen in einem resilienten sozialen Netz - Freizeit - Freizeit - Umgang mit sich selbst - Umgang mit sich selbst Im Bergbau nutzte man lange Kanarienvögel. Solange die zwitscher- ng ten, war die Luft rein. Sonst mussten die Kumpel die Arbeit beenden Belohnu en Ressourc und sich retten. ungen Wo und wie achten Sie auf ausreichende Kraftvorräte? Anforder Wie sieht das in Ihrer Schule bzw. bei Ihnen persönlich aus: Was tun Sie, um sich zu stärken? Abb.1: Die individuelle Stärke als Anstrengungs-Belohnungs-Balance Bei wem bzw. wo suchen Sie eine Stärkung bzw. lassen Sie sich stärken? 2 / 2021 15
Wie stärken Sie Ihre Mitmenschen? kung und Schwäche von den Mitmenschen 2. Welche Kraftquellen nutzen Sie oder soll- Welche der drei Funktionen im sozialen und beeinflusst deren Stärke und Schwäche. ten Sie sich zusätzlich erschließen? Wo und Netz (vgl. Abb. 1) sollten Sie in dieser Woche wie tanken Sie im Alltag: Freude, Dankbar- gezielt fördern bzw. suchen, nutzen, erbitten? Bevor Sie weiterlesen, sollten Sie folgendes keit, Sinn, heilende Erinnerungen an über- Selbstinterview durchführen und mit Kol- wundene Tiefen, Befriedigung der Grund- Mit Ihren Kraftreserven verhält es sich wie mit leg*innen oder auch Ihren Schüler*innen bedürfnisse? einem Girokonto: Wer täglich abheben muss, über die Titelfrage sprechen. 3. Wie werden Sie Überdruck los: Welches muss auch für regelmäßige Zuflüsse sorgen, Es lohnt sich, daraus hin und wieder eine „Seelen-WC“ nutzen Sie? Kennen Sie po und wer mit unerwarteten Sonderausga- „Frage des Monats“ für das Kollegium, die sitive und negative Vorbilder? Wie sieht ben rechnen muss, braucht eine zusätzliche Schüler*innen und Eltern zu machen. Dabei Ihr Notfallplan in Belastungssituationen „Notfallreserve“. Trotz aller noch so wichti- sollten Erkenntnisse in vertrauten kleinen aus? gen Aufgaben sollte man – wenn möglich – Kreisen besprochen und z.B. anonym in Foren 4. Notfallplan austesten: Was sollten Sie tun nie lange und zu stark sein Konto überziehen. oder Chatgruppen zusammengetragen wer- oder lassen, wenn Sie unter Druck gera- Als Bodenpersonal arbeiten Sie für Lösungen den, um sich für Erfahrungen gegenseitig zu ten, wenn es mal zu viel wird? Was sollten – für Erlösung ist Gott zuständig. sensibilisieren und voneinander zu lernen. andere tun oder lassen, die Ihnen dann hel- Manche Lehrpersonen müssen lange mit roten Auch kleine Checklisten (vgl. Tab. 1) bieten fen wollen? Zahlen leben. Andere achten auf ihre Befind- sich an, um sich für unentdeckte Stärken und 5. Welche Überlastungskontrolle nutzen Sie: lichkeit. Sie erleben klare Signale bei sich selbst Schwächen zu sensibilisieren. Welche inneren und äußeren Signale zei- und den Mitmenschen, wenn die Kraft nach- gen Ihnen eine kritische Überlastung an lässt und das Stimmungsbarometer sinkt. Fragen für Ihr Selbstinterview sowie für Ge- und wie reagieren Sie darauf? Nutzen Sie Wieder andere ignorieren steigendes oder spräche mit Kolleg*innen und Schüler*innen klare Stopp-Befehle nach innen und nach schwindendes Stärkeempfinden. Sie über- außen? Machen Sie eine Resilienz-Diag- fordern vielleicht nicht nur sich selbst, son- (Beachten Sie die Vielfalt der Antworten und nose: www.resilience-project.eu/uploads/ dern auch ihre Mitmenschen. Dabei gilt doch erproben Sie auch gute Ideen von anderen.) media/self_evaluation_de.pdf. gerade in der Schule, sensibel zu bleiben für 6. Erholungsstrategien: Was könnten Sie tun Über- und Unterforderung bei sich und den 1. Welche Schwankungen an Lebensstärke oder lassen, um sich täglich wirkungsvol- Mitmenschen. haben Sie bisher erlebt? Welche erwarten ler zu erholen bzw. Pausen zu machen? Und schließlich ist die Schule eine Energiege- Sie in kommender Zeit? Wie erklären Sie Sammeln und erproben Sie Maßnahmen meinschaft: Jeder stärkt oder schwächt sich sich Ihre Höhe- und Tiefpunkte, und was für kleinere Pausen bis 5 Minuten, bis 10 mehr oder weniger selbst, empfängt Stär- haben Sie selbst dazu beigetragen? Minuten und bis 15 Minuten! 16 ru intern
7. An welchen Risikofaktoren sollten Sie arbeiten? Regeln erkennen, 11. Stimmung gefördert? Freude erleichtert Freundlichkeit und Beziehung! mit denen Sie sich überlasten, zu große Belastungsbereitschaft, 12. dich selbst oder Authentisch Enttäuschung ausdrücken oder den Partner unrealistische Ideale, übergriffige Anforderungen, fehlende Verzei- Mitmenschen „zur Ader lassen“! hung, riskante Vergleiche, schlechtes Gewissen, Überempathie für entlastet? andere oder zu wenig Selbstempathie? 8. Welchen Energieverbund sollten Sie organisieren bzw. stärker nut- Tabelle 1: Tagesimpulsen zur Stärkung Ihrer Interaktionspartner*innen zen? Kollegiale Supervision bzw. Beratung, Tandems zur wechselsei- (Sieland 2020) tigen Aussprache und Stärkung, Selbsthilfeforen, Gebet und Gottes- dienst …? Es folgt eine Auswahl von Übungsvorschlägen aus Sieland (2020) für Lehrpersonen, die angepasst auch mit Schüler*innen genutzt werden können. Hast du heute schon … 1. jemanden gelobt Verstärke gute Leistungen bzw. Verhaltensweisen! 2. jemanden Sag ihm, welche Fähigkeiten du an ihm schätzt! wertgeschätzt? 3. jemanden positiv Sag ihm, was er ändern soll, warum, und dass er das kritisiert? wirklich kann! 4. Kontakt gehabt? Ein fürsorglicher Blick tut gut! 5. das Gespräch Zeigen Sie Interesse an der Meinung bzw. Person des anderen! gesucht? 6. für Klarheit gesorgt? Informationen geben und einholen zeigt Wertschätzung! 7. gelächelt? Beziehung braucht Herz und Gesicht! 8. richtig Pause Die brauchen alle im Team! gemacht? 9. aufgepasst? Auf sich selbst und auf Ihre Interaktionspartner! 10. Dank empfunden Innere Freude über etwas Gutes, erleben und mitteilen! Slackline: Welche Risiken gehe ich ein und wie kann ich mich vor falscher und ausgedrückt? Selbsteinschätzung schützen? Foto: Dirk Purz 2 / 2021 17
Welches Erholungsverhalten führt bei Ihnen zu deutlichem Erholungs- Jeder von uns kennt Tätigkeiten, die die eigene Stimmung verbessern erleben? Entwickeln Sie im Gespräch mit anderen Ihre persönliche Liste können. Füllen Sie bitte die folgende Liste aus und nutzen Sie täglich von Erholungs- und Pausenverhalten verschiedener Dauer und finden drei der fünf Kraftquellen über den Tag verteilt. Sie die wirksamsten fünf in jeder Kategorie. Fünf Kraftquellen im Alltag Welche haben Welche wollen Sie Sie in der letzten in der kommenden Bis 5 Minuten 5 – 15 Minuten Ab 15 Minuten Woche genutzt? Woche erproben? Gesicht in die Sonne Tee, Milchkaffee, etc. Baden, länger duschen Aktive Hobbies: schwimmen, tanzen, halten und trinken und genießen joggen gehen tief durchatmen Leistungen und lästige Pflichten An etwas Schönes lebhaft Sudoku, Kreuzworträtsel Einen Film ansehen erledigen: Aufgeschobene Gespräche, denken lösen Besuche, E-Mails endlich abhaken Solitär spielen – eine Ein Video auf YouTube Telefonieren / Kurze Freuden ohne Leistung: Essen Lieblingsmusik hören anschauen ein Buch lesen gehen, etwas Schönes kaufen … Tabelle 2: Beispiele zur Stärkung Ihres Erholungs- und Pausenverhalten Jemanden um Hilfe bitten – und sich so das eigene Leben erleichtern Als Schnellladesystem für die individuelle und Anderen helfen oder eine Freude machen: angenehme Energiegewinnung empfehlen jemanden besuchen, einladen und sich über dessen Freude freuen Frank und Storch den Mañana-Test (siehe Internet-Adresse am Ende des Beitrages1). Tabelle 3: Kraftquellen für die Selbststärkung (vgl. Sieland, 2020, S. 1782) Mit Apps können sich Nutzer*innen Push-Im- Bernhard Sieland pulse in Ihren Alltag holen. In der folgenden Professor (em.) für Pädagogische Psychologie der Leuphana-Universität kostenfreien APP können Sie über das Aus- Lüneburg, forscht und publiziert seit mehreren Jahrzehnten zu dem Thema wahlfenster zwischen 8 Trainings wählen. Schul- und Lehrergesundheit app apple: stark im stress 1 Frank, G. & Storch, M.: Die Mañana-Kompetenz. München 2010 (www.manana-kompetenz. app google: Lehrergesundheit de/images/mananatest.pdf). (Stichwort: Lerngesundheit) 2 Sieland, B.: Hast Du heute schon gelebt? 15 Minuten Selbst-Coaching im Alltag. Lüneburg 2020 (https://sieland.eu – Videos und Leseprobe). 18 ru intern
Resilienz und Religionsunterricht in der Sekundarstufe I therapeutischen Wirkungen eines solchen Unterrichts3 bleibt Stoodts Verdienst, die Hoffnung lernen Ich-Stärkung der Schüler*innen ins Zentrum des Religionsunterrichts gerückt zu haben. So bietet auch der aktuelle, kompetenzori- Resilienz wird als „Immunsystem der See- le“1 verstanden: eine Umschreibung, die in besonderer Weise zur Pandemie-Situation passt. Kann der Religionsunterricht, dem es bei aller Wissensvermittlung im Kern um Seelen-Bildung geht, einen Beitrag zu einem solchen „Immunschutz“ leisten? Gibt es Ele- mente des Religionsunterrichts, die geeignet sind, Resilienz bei den Schüler*innen zu för- dern? Im Folgenden soll diese Frage auf den Religi- onsunterricht in der Sekundarstufe I fokus- siert werden. Das Alter zwischen 10 und 16 Jahren hat eine besondere Relevanz, weil die Pubertät in der Resilienz-Forschung als besonders vulnerable Phase wahrgenom- men wird.2 Um es vorweg zu sagen: Resili- enz kann kein unmittelbares Ziel des Religi- Der Religionsunterricht bietet günstige Rahmenbedingungen, um Resilienz zu fördern. Foto: Dirk Purz onsunterrichts sein: Das würde den Rahmen eines schulischen Lehrfachs sprengen. Aller- Vor 50 Jahren hat Dieter Stoodt mit dem entierte Religionsunterricht spezifische An dings gibt es Charakteristika des Religions- sogenannten sozialisationsbegleitenden Reli- satzpunkte, um das Ich der Schüler*innen zu unterrichts, die eine Stärkung der Resilienz gionsunterricht ein Konzept entwickelt, dass stärken und damit deren Resilienz zu fördern. der Schüler*innen bewirken können: Einige auf Resilienz der Jugendlichen abzielte, noch Kompetenzorientierung im religionspädago- davon sollen in diesem Beitrag dargestellt bevor der Begriff geläufig war: Ungeach- gischen Kontext heißt, zur Bewältigung von werden. tet aller berechtigten Kritik an angestrebten komplexen Alltagssituationen zu befähi- 2 / 2021 19
gen, insbesondere von existenziell relevan- seine Didaktik daraus ab. Das führt einerseits und seiner Botschaft bringt den Schüler*in- ten. Wenn das in lebensnaher Weise gelingt, dazu, dass die Auseinandersetzung mit die- nen eine grundlegende Hoffnungsperspek- wird die Problemlösefähigkeit der Jugendli- sem Theologumenon zur Obligatorik im Reli- tive nahe. In der Bergpredigt wird zugesagt, chen gestärkt – und damit einer der zentra- gionsunterricht der Sekundarstufe I gehört.7 dass in der Orientierung auf das Reich Gottes len Faktoren für Resilienz.4 Andererseits folgen daraus Anforderungen alle Sorgen aufgehoben sind (Mt 6, 33). Die Ein weiterer, wichtiger Resilienzfaktor ist die an die Schülerorientierung: Im Religions- Geschichte von Tod und Auferstehung mar- Suche nach Sinn und die Orientierung an Zie- unterricht ist nach individuell angemesse- kiert den Weg von der Verzweiflung zu neuem len im Leben.5 Damit wird das Kerngeschäft nen Leistungsanforderungen zu suchen, die Leben. Der Lehrplan hebt diese Inhalte her- des Religionsunterrichts angesprochen, das Bewertung ist daran auszurichten. Die Gaben vor und öffnet so den Religionsunterricht exemplarisch in einer Kompetenzerwartung (1. Kor 12) der einzelnen Schüler*innen sollen für ein Lernen der Hoffnung.10 Die biblischen des Kernlehrplans Evangelische Religions- zum Zuge kommen und damit die individuel- Geschichten geben uns zu verstehen: Gott lehre zum Ausdruck kommt: „Die Schülerin- len Ressourcen gestärkt werden. Wenn dies kann etwas möglich machen, wo nichts mehr nen und Schüler erläutern Fragen nach Grund, auch nur punktuell geschieht, so kann ein möglich zu sein scheint. Es gibt einen Weg Sinn und Ziel der Welt und der eigenen Exis- nachhaltiger Beitrag zur Selbstwirksamkeit von der Vulnerabilität zur Resilienz. tenz …“6 eines Kindes und damit zu seiner Resilienz Der Tennisspieler Novak Djokovic hat in geleistet werden.8 einem Interview gesagt: „Wenn mich die 1. Resilienz-fördernde Aspekte im „Es geht nicht darum, optimal zu funktionie- anderen auspfeifen, höre ich Applaus.“11 Eine Religionsunterricht der Sekundarstufe I ren, sondern es geht darum, ob es uns gelingt, resiliente Haltung, deren religiöse Variante Nach dieser grundsätzlichen Einschätzung lebendig zu bleiben“ schreibt Gerald Hüther.9 wäre: die Hoffnung nicht sinken zu lassen zur Resilienz-Relevanz des Religionsunter- Aus evangelischer Perspektive ist zu ergän- und auch im Scheitern den Applaus Gottes richts in der Sekundarstufe I sollen nun kon- zen: Es geht darum, Gottes Zuspruch anzu- hören. krete inhaltliche Anknüpfungspunkte her- nehmen. ausgearbeitet werden. 1.3 Resilienz biografie-orientiert lernen 1.2 Resilienz durch Hoffnung: Resilienz lässt sich in besonderer Weise an 1.1. Das evangelische Menschenbild als die Botschaft Jesu Lebensbeispielen lernen: vorzugsweise an Grundlage von Resilienz In der evangelischen Theologie ist das sola Menschen, die einem real begegnen und zu Im Zentrum evangelischer Theologie steht gratia untrennbar mit dem solus Christus ver- positiven Rollenmodellen für uns werden, die Rechtfertigung des Menschen allein aus bunden. Das Inhaltsfeld 3 „Jesus, der Christus“ aber auch an Lebenszeugnissen bekannter Gnade. Der evangelische Religionsunterricht ist daher die theologische Mitte des Kernlehr- Persönlichkeiten. Der Lehrplan öffnet dazu baut auf diesem Menschenbild auf und leitet plans. Die Beschäftigung mit seinem Leben die Möglichkeit, in dem er ein biografie-ori- 20 ru intern
bleiben und dabei mehr an andere als an sich selbst zu denken.13 Resilienz lässt sich auch am Leben Viktor Frankls und dessen Buch über seine Zeit im Konzentrationslager ablesen: Er beschreibt, wie ihn das Annehmen der Herausforde- rungen und die Orientierung an der Zukunft gestärkt haben. Ein Beispiel für einen zeitgenössischen, resi- lienten Menschen ist Samuel Koch, der in einer „Wetten dass“-Sendung verunglückte und trotz weitgehender körperlicher Läh- mung eine Laufbahn als Schauspieler einge- schlagen hat. Er nennt explizit den Glauben als eine Quelle seiner Resilienz: „Glaube ist … eine Steigerung des Fürmöglichhaltens.“14 1.4 Das Miteinander stärkt die Resilienz Selbst- und Fremdwahrnehmung sowie sozi- ale Kompetenz sind zentrale Faktoren für die Bildung von Resilienz.15 Der Religionsunter- richt bietet sowohl inhaltlich als auch struk- Samuel Koch hat seine Erlebnisse vom Tiefpunkt des Lebens zu neuer Lebensqualität eindrücklich turell Gelegenheiten, diese Kompetenzen zu beschrieben. Foto: Dirk Purz entwickeln. Das Phänomen Religion wird in seiner Pluralität wahrgenommen, Aspekte entiertes Arbeiten insbesondere im Themen- bindung von Glaube und politischem Wider- interreligiösen Lernens sind an zahlreichen komplex „Kirche in totalitären Systemen“ stand. Lohnenswert ist auch, seine resiliente Stellen des Kernlehrplans zu finden16 und fordert.12 Haltung in der Gefängnishaft zum Lernge- werden angesichts der gesellschaftlichen Im Unterricht fällt die Wahl häufig auf die Bio- genstand zu machen: Den Tod vor Augen Entwicklung immer relevanter. Werden die grafie Dietrich Bonhoeffers und dessen Ver- ist es ihm gelungen, positiv und dankbar zu Chancen der religiösen Pluralität innerhalb 2 / 2021 21
und außerhalb der Schule genutzt und kommt 2. Resilienz-Förderung im Umfeld des zahlreiche Ansatzpunkte, die Widerstands- es zu einem Lernen in der Begegnung, dann Religionsunterrichts kraft der Seele zu stärken. Er tut dies … kann die Selbst- und Fremdwahrnehmung in In Abschnitt 1 wurden resilienz-fördernde 1) durch eine Haltung, die darin begrün- exemplarischer Weise gefördert werden. Elemente dargestellt, die dem Religionsun- det ist, dass Gott jeden Menschen ohne Im konfessionell-kooperativen Religions- terricht immanent sind. Religion kann dar- Bedingung annimmt, unterricht gehört die Selbst- und Fremd- über hinaus Beiträge zu einer resilienz-för- 2) durch inhaltliche Zugänge, die auf die Per- wahrnehmung genuin zum Konzept: Es sol- dernden Schule leisten. Religiöse Elemente im spektive der Hoffnung fokussieren, len Differenzen zwischen den christlichen Schulleben wie Schulgottesdienste, Andach- 3) durch ein Lernen in Beziehung, in dem Konfessionen wahrgenommen und Gemein- ten, Gedenkfeiern, Orte der Stille sind Ange- Menschen zum Ausdruck bringen, was samkeiten gestärkt werden, indem unter- bote, die Schüler*innen Zugänge zur eigenen ihnen wichtig ist, schiedliche konfessionelle Zugänge durch Spiritualität öffnen können, die in ihrer fami- 4) und durch eine Öffnung für die Welt der evangelische und katholische Lehrkräfte und liären Sozialisation immer seltener vorkom- Spiritualität, in der Sinn und Orientierung konfessionell heterogene Lerngruppen bear- men. Die Schulseelsorge, die an einer zuneh- für das eigene Leben gefunden werden beitet werden. menden Zahl von Schulen institutionalisiert können. Das konfessionelle und religiöse Miteinan- wird, leistet dazu einen wichtigen Beitrag. In diesem Sinne bietet der Religionsunter- der kann so eingeübt, das soziale Miteinan- Das Sozialpraktikum für Schüler*innen, das richt in der Sekundarstufe I ein reichhaltiges der gestärkt werden. Zur Stärkung sozialer zum Programm vieler Schulen gehört, ist Potenzial für resilienz-förderndes Lernen. Kompetenz gehört auch, Konflikte wahrzu- häufig mit der Fachschaft Religion verbun- nehmen, deren Ursachen zu verstehen und den: Ein solches Praktikum, kombiniert mit Marco Sorg zu deren Bewältigung beizutragen: In die- einer reflexiven Begleitung, kann Resilienz in Dozent und Pfarrer am Pädaogischen Institut sem Kontext ist zu erwähnen, dass Antise- umfassender Weise stärken. der EKvW mitismus und Fundamentalismus als Themen Die Forschung belegt, dass Resilienz durch 1 Siehe Tom Levold, Metaphern der Resilienz, in: Ros im Religionsunterricht der Sekundarstufe I zu Religiösität und Spiritualität signifikant erhöht marie Welter-Enderlin / Bruno Hildenbrand (Hg.): behandeln sind.17 wird: In der vor kurzem erschienenen Studie Resilienz – Gedeihen trotz widriger Umstände, Heidel Mit einem Wechsel der Perspektive kann „Junge Deutsche 2021“ wird dieser Befund berg 32010, 240. eine Veränderung in Gang kommen. Um es noch einmal für das Jugendalter bestätigt. mit Max Planck zu sagen: „Wenn Sie die Art 2 Siehe Klaus Fröhlich-Gildhoff / Maike Rönnau-Böse: und Weise ändern, wie sie die Dinge betrach- 3. Zusammenfassung Resilienz, München 52019, 25. ten, ändern sich die Dinge, die Sie betrach- Religionsunterricht ist Seelen-Bildung und 3 Vgl. Bernd Schröder, Religionspädagogik, Tübingen ten.“ er bietet insbesondere in der Sekundarstufe I 2012, 599. 22 ru intern
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