Genossenschaften für Geschlechter-gleichheit - DAS MAGAZIN FÜR DAS GENOSSENSCHAFTLICHE NETZWERK | 5-2021 - Genossenschaftsverband

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Genossenschaften für Geschlechter-gleichheit - DAS MAGAZIN FÜR DAS GENOSSENSCHAFTLICHE NETZWERK | 5-2021 - Genossenschaftsverband
GEN AL
  DAS MAGAZIN FÜR DAS GENOSSENSCHAFTLICHE NETZWERK | 5-2021

Genossenschaften
für Geschlechter-
gleichheit
Genossenschaften für Geschlechter-gleichheit - DAS MAGAZIN FÜR DAS GENOSSENSCHAFTLICHE NETZWERK | 5-2021 - Genossenschaftsverband
Unter Leistungsfähigkeit verstehen wir,
gemeinsam mit unseren Kunden aus Heraus-
forderungen Verbesserungen zu machen.
Was zunächst wie ein Verlust erscheint, ist manchmal der Anfang von etwas
Neuem. Das japanische Handwerk Kintsugi beweist das eindrucksvoll. Es ver-
körpert den Glauben, dass erst die kunstvolle Reparatur ein Objekt vollendet.
Auch für uns von der DZ BANK bedeuten Umbrüche Chancen. Denn wenn
wir Herausforderungen heute partnerschaftlich begegnen, gehen wir mit noch
besseren Lösungen in die Zukunft. Erfahren Sie mehr über unsere Haltung
unter: dzbank.de/haltung
Genossenschaften für Geschlechter-gleichheit - DAS MAGAZIN FÜR DAS GENOSSENSCHAFTLICHE NETZWERK | 5-2021 - Genossenschaftsverband
EDITORIAL

                                                                                           Nachhaltigkeitsziel Nr. 5:
                                                                                               Genossenschaften für
                                                                                              Geschlechtergleichheit

                                                           Liebe Leser*innen!
                                                           die verheerende Flutkatastrophe, die im Juli Teile Deutschlands traf,
                                                           ist aus den Medien bereits verschwunden. In den Hochwasserge-
                                                           bieten, bei vielen Menschen vor Ort bestimmt sie jedoch noch im-
                                                           mer den Alltag. Zahlreiche genossenschaftliche Initiativen und Spen-
                                                           denaktionen wurden ins Leben gerufen, um den Wiederaufbau zu
                                                           unterstützen. Auch der Genossenschaftsverband – Verband der
                                                           Regionen e.V. und seine Mitgliedsgenossenschaften haben eine
                                                           Spendenaktion initiiert. Bis Mitte September konnten hier bereits
                                                           rund 1,6 Millionen Euro gesammelt werden, die über die Genossen-
                                                           schaftsstiftung an Empfänger*innen in den betroffenen Gebieten
                                                           übergeben werden. Für Ihre Unterstützung danken wir an dieser Stel-
                                                           le ganz herzlich! Ob Crowdfunding oder Flutwein: Lesen Sie auf den
                                                           Seiten 6–9 mehr über die Initiativen vor Ort.
                                                                Liebe Leser*innen, auch die vorliegende Ausgabe von GENiAL
                                                           widmet sich mit der Überschrift „Geschlechtergleichheit“ einem Ziel
                                                           der UN-Nachhaltigkeitsagenda.
                                                                In unserem Schwerpunkt (S.18–36) haben unsere Autor*innen
                                                           Interviews und Storys zu starken Frauen und starken Männern zu-
                                                           sammengetragen. Mit Eva Wunsch-Weber, Vorstandsvorsitzende der
                                                           Frankfurter Volksbank, sprachen wir beispielsweise über ihren eige-
                                                           nen Karriereweg und Frauen in Führungspositionen (S. 24–25). Auch
                                                           die Volksbank Mittelhessen setzt mit der Unterzeichnung der „Charta
                                                           der Vielfalt“ ein starkes Zeichen für Diversität. „Wir werden uns täg-
                                                           lich aufs Neue dafür engagieren, ein Arbeitsumfeld zu schaffen, das
                                                           frei von Vorurteilen und geprägt von Respekt ist“, sagt Dr. Lars Wit-
                                                           teck, Vorstandsmitglied bei der Volksbank Mittelhessen (S. 34–35).
                                                           Dass in Sachen Geschlechtergleichheit noch viel Luft nach oben ist,
                                                           darin sind sich auch die Chefinnen verschiedener Genossenschaften
                                                           einig. Wir haben mit einigen von ihnen über ihre Erfahrungen gespro-
      Genossenschaftsverband – Verband der Regionen e.V.

                                                           chen (S. 29–31).

                                                              Ich wünsche Ihnen viel Freude beim Lesen!

                                                              Ihre                                                                  Lisa König-Topf
                                                              Lisa König-Topf                                                       Abteilungsleiterin Presse- und
Foto.Genossenschaftsverband

                                                                                                                                    Öffentlichkeitsarbeit, Bereich
                                                                                                                                    Kommunikation & Change,
                                                           PS: Über Lob, Anregung und Kritik freuen wir uns jederzeit unter
                                                                                                                                    Genossenschaftsverband –
                                                           genial@genossenschaftsverband.de                                         Verband der Regionen e.V.
Foto:

                                                                                                                                                         5-2021 | GENIAL | 3
Genossenschaften für Geschlechter-gleichheit - DAS MAGAZIN FÜR DAS GENOSSENSCHAFTLICHE NETZWERK | 5-2021 - Genossenschaftsverband
6                                     8                                     16

                                                                            Im Fokus:
                                                                            Genossenschaften
                                                                            für Geschlechter-
                                                                            gleichheit

In Kürze
Fluthilfe in RLP und NRW
                                      Aus dem Verband
                                      Whistleblower besser schützen –
                                                                                Im Fokus
                                                                                        18
                                                                                Schwerpunkt Geschlechtergleichheit

                                                                                                                               Fotos: Matthias Baltes/Winzergenossenschaft Mayschoß-Altenahr eG, Jan Pfülb/privat, Volksbank RheinAhrEifel eG,
                                      Interview mit Christian M. Düssel,
Volksbank RheinAhrEifel:              AWADO-Rechtsanwaltsgesellschaft,          Digitalisierung geschlechtergerecht
„Ahrtal findet zu seiner              und Dirk Dietrich,                        gestalten – Interview mit
alten Stärke zurück“             6   Genossenschaftsverband              10   der Soziologin Dr. Caroline Richter      20
Winzergenossenschaft                  AWADO-Gruppe:                             Deutschlands erste Bankdirektorin        22
Mayschoß-Altenahr:                    Projekt Fusionsmanagement 360       12
„Es sieht hier aus wie nach dem                                                 Frauen Mut machen,
Kosovo-Krieg“                    8   Genossenschaft macht Schule         14   Frauen Verantwortung übertragen –
                                                                                Interview mit Eva Wunsch-Weber,
                                      AWADO vereinfacht das                     Frankfurter Volksbank                    24
                                      Compliance-Management               15
                                                                                WeiberWirtschaft eG:
                                      Nachhaltigkeit beim Fondssparen –         Neue Gründerinnen braucht das Land       26
                                      Interview mit Dr. Henrik Pontzen,
                                      Mitglied des                              Personalvorstand Marco Schulz:
                                                                                                                               Union Investment, gerasimov174/adobe.com

                                      Nachhaltigkeitsrats im                    „Der Erfolg gibt der Diversität recht“   28
                                      Genossenschaftsverband	             16
                                                                                Geschlechtergleichheit –
                                                                                noch viel Luft nach oben
                                                                                Statements von Vorständinnen der
                                                                                genossenschaftlichen Wirtschaft          29
                                                                                Die Wohlstandsgenossenschaft:
                                                                                Finanzfitness für Frauen                 32

4 | GENIAL | 5-2021
Genossenschaften für Geschlechter-gleichheit - DAS MAGAZIN FÜR DAS GENOSSENSCHAFTLICHE NETZWERK | 5-2021 - Genossenschaftsverband
INHALT

     Genossenschaften in Regionen

                         Köln

Volksbank Mittelhessen: Klare Kante   34
Frauennetzwerke –
die Fondsfrauen & Co.                 36

Aus den Regionen
Der IT-Partner des Vertrauens –
die Hostsharing eG                    38

                                                                             40
Aus der Reihe                               GENiAL war in der „diversen“
                                            Stadt Köln, hat die
Journalistenpreis Blaue Boje –              Beginenhof eG besucht,
für Pressefreiheit und                      ist auf dem Christopher Street
Qualitätsjournalismus                 47   Day mitmarschiert und hat die
                                            aktuelle „Emma“ gelesen.

Impressum                             46

                                                                             5-2021 | GENIAL | 5
Genossenschaften für Geschlechter-gleichheit - DAS MAGAZIN FÜR DAS GENOSSENSCHAFTLICHE NETZWERK | 5-2021 - Genossenschaftsverband
Mitarbeiter*innen der Volksbank RheinAhrEifel packen mit an und räumen
Schlamm und Geröll aus den überfluteten Bankgebäuden.

6 | GENIAL | 5-2021
Genossenschaften für Geschlechter-gleichheit - DAS MAGAZIN FÜR DAS GENOSSENSCHAFTLICHE NETZWERK | 5-2021 - Genossenschaftsverband
IN KÜRZE steht in dieser Ausgabe unter
                                                                       dem Thema Fluthilfe in RLP und NRW                                               IN KÜRZE

                                                                       „Ahrtal findet zu seiner
                                                                       alten Stärke zurück“
                                                                       Sascha Monschauer, Vorstandsvorsitzender der Volksbank
                                                                       RheinAhrEifel eG, berichtet über den Wiederaufbau nach der
                                                                       Hochwasserkatastrophe. Die Volksbank hat ihr Geschäftsgebiet

                                                                                                                                                                        Helfen
                                                                       unter anderem im Kreis Ahrweiler, vor allem das Ahrtal wurde
                                                                       stark zerstört. GENiAl führte das Interview Mitte August.

                                                                       Herr Monschauer, wird sich das Ahr-                                                              Sie mit –
                                                                                                                                                                        spenden
                                                                       tal von der Flutkatastrophe erholen
                                                                       können?
                                                                       SASCHA MONSCHAUER: Davon bin ich

                                                                                                                                                                        Sie für die
                                                                       fest überzeugt. Das Ahrtal wird zu seiner al-
                                                                       ten Stärke zurückfinden und wieder so attrak-
                                                                       tiv werden wie vor der Hochwasserkatastro-

                                                                                                                                                                        Flutopfer
                                                                       phe. Das wird heute noch nicht abschätzbare
                                                                       Kapitalmittel erfordern – und das über Jahre.
                                                                       Wir stehen da aber fest an der Seite unserer     Ihre Bank hat – wie auch der genos-
                                                                       Kund*innen sowie der Menschen im Ahrtal          senschaftliche Verbund – Hilfspakete
                                                                       wie auch in anderen betroffenen Städten und      für die Region geschnürt und Spen-              Über hundert Tote, zerstörte Infrastruk-
                                                                                                                                                                        turen und Landschaften. Viele Men-
                                                                       Gemeinden unseres Geschäftsgebietes.             den in großer Höhe eingeworben …
                                                                                                                                                                        schen stehen nach der Hochwasserka-
                                                                                                                        Ja, wir haben Spenden aus ganz Deutschland
                                                                                                                                                                        tastrophe in Nordrhein-Westfalen und
                                                                       Sind Ihre Mitarbeiter*innen unver-               erhalten – von Privatpersonen und Unterneh-
                                                                                                                                                                        Rheinland-Pfalz vor dem Nichts. Des-
                                                                       letzt geblieben?                                 men. So hat auch unsere Bank 650.000 Euro
                                                                                                                                                                        halb haben neben vielen anderen ge-
                                                                       Von unseren 700 Mitarbeiter*innen sind           für den Wiederaufbau zur Verfügung gestellt.
                                                                                                                                                                        nossenschaftlichen Initiativen auch der
                                                                       rund 50 von der Naturkatastrophe betroffen.      Zusätzlich haben wir über die Crowdfunding-     Genossenschaftsverband – Verband der
                                                                       Sie haben Glück gehabt, dass sie unversehrt      Plattform „Viele schaffen mehr“ Spenden         Regionen e.V. und seine Mitgliedsge-
                                                                       geblieben sind. Schlimm ist jedoch, dass eini-   in Höhe von 1,4 Millionen Euro eingesam-        nossenschaften eine Spendenaktion ins
                                                                       ge von ihnen Todesfälle im näheren Umfeld        melt. Darüber hinaus wurden bislang rund        Leben gerufen. Die gesammelten Spen-
                                                                       beklagen müssen. Darüber hinaus können           zwei Millionen Euro auf das Spendenkon-         den werden über die gemeinnützige
                                                                       fast 30 unserer Mitarbeiter*innen ihre Woh-      to unserer Bürgerstiftung eingezahlt. Knapp     Genossenschaftsstiftung ausschließlich
                                                                       nungen und Häuser vorübergehend oder gar         zwei Millionen Euro wurden bereits über die     an die Empfänger*innnen in den betrof-
                                                                       nicht mehr bewohnen.                             Bürgermeister*innen der jeweiligen Städte       fenen Flutgebieten vergeben. So sind
                                                                                                                        und Gemeinden an die Flutopfer ausgezahlt.      bis Mitte September rund 1,6 Millionen
Fotos: Volksbank RheinAhrEifel eG, Edith Billigmann, Christian/Adobe

                                                                       Und wie sieht es mit Ihrer Bank aus?             Zusätzlich haben wir 250.000 Euro bereitge-     Euro eingegangen.
                                                                       Bei uns sind fünf Filialen und vier SB-Stellen   stellt, um Elektromaterial zu beschaffen, um
                                                                       von der Flut stark beschädigt worden, am         die Wohngebäude wieder mit Strom zu ver-
                                                                       schlimmsten hat es unseren Verwaltungssitz       sorgen. 150.000 Euro gingen an die IHK, um      Empfänger: Genossenschaftsstiftung
                                                                       in Bad Neuenahr sowie unsere Geschäfts-          Mitgliedsbetriebe zu unterstützen. Betroffene   Kennwort: Fluthilfe NRW, RLP
                                                                       stelle am Ahrweiler Marktplatz getroffen.        Feuerwehren im Kreis Ahrweiler erhielten –      Kreditinstitut: DZ Bank Frankfurt
                                                                       Beide Gebäude sind so beschädigt, dass           über eine Aktion der R+V Versicherung bzw.      IBAN: DE92 5006 0000 0010 0292 54
                                                                       sie renoviert und deshalb erstmal geschlos-      der R+V Stiftung – 150.000 Euro. Außerdem       BIC: GENODE55XXX
                                                                       sen bleiben müssen. Stark getroffen wurden       werden wir noch Schulen und Kindergärten
                                                                       auch unsere SB-Stellen entlang der Ahr, vor      mit rund 260.000 Euro bedenken.
                                                                       allem in Mayschoß und Altenahr. Hier stel-            Für unsere Privat- und Firmenkunden ha-
                                                                       len wir jetzt erstmal mobile Geldausgabeau-      ben wir ein Sonderkreditprogramm in Höhe
                                                                       tomaten auf, um die finanzielle Versorgung       von 50 Millionen Euro aufgelegt. Hinzu kom-
                                                                       der Bevölkerung zu sichern. Unsere SB-Stelle     men schnelle Liquiditätshilfen, um zum Bei-
                                                                       in Dernau und die Filiale Ahrbrück an der Ahr    spiel Versicherungsleistungen vorzufinanzie-
                                                                       konnten wir schon wieder öffnen.                 ren.                        Sabine Bömmer

                                                                                                                                                                                            5-2021 | GENIAL | 7
Genossenschaften für Geschlechter-gleichheit - DAS MAGAZIN FÜR DAS GENOSSENSCHAFTLICHE NETZWERK | 5-2021 - Genossenschaftsverband
Geschäftsführer Matthias Baltes

„Es sieht hier aus wie nach
dem Kosovo-Krieg“
Ein Großteil der Winzerbetriebe und Rebflächen an der Ahr ist von der Hochwasser-
katastrophe am 14. Juli zerstört worden: Viele Menschen stehen vor den Trümmern ihrer
Existenz. GENiAL sprach in der ersten Augustwoche mit Matthias Baltes, Vorstand und
Geschäftsführer der Winzergenossenschaft Mayschoß-Altenahr, über die Lage vor Ort.

E
           s sieht hier aus wie nach dem Ko-           Fast alle Einwohner des Ahrtals leben           200 Weinfässer aus den Lesen seit 2018
           sovo-Krieg“, sagt Matthias Baltes,      vom Wein und vom Tourismus. Viele haben         waren in den Gebäuden und Kellern gelagert,
           Chef der ältesten Winzergenos-          durch das Hochwasser ihre Existenzen ver-       außerdem rund 1,6 Millionen Flaschen mit
           senschaft in Mayschoß, die vor al-      loren. Auch die Winzergenossenschaft, ihre      Rotwein, Weißwein und Sekt. Was und wie
lem Rotweine produziert. Das Unternehmen           Mitarbeiter*innen und die 460 Winzer-Mit-       viel davon übrig geblieben ist? Baltes weiß
hat seinen Sitz mitten im Flutkatastrophen-        gliedsbetriebe, davon 250, die bei der Ge-      es noch nicht. „Zig Weinpaletten schwim-
gebiet, dem Ahrtal, mit Standorten in May-         nossenschaft Trauben anliefern, hat es hart     men jetzt wohl durch die Nordsee“, fürchtet
schoß, Altenahr und Walporzheim. Drei Wo-          getroffen. „75 Prozent von ihnen hat die Flut   er. Große Sorge machen ihm auch die Wein-
chen nach der Flutkatastrophe wirkt der Ge-        Häuser und Wirtschaftsgebäude, Maschi-          fässer, die irgendwo unter den Schlammla-
schäftsführer immer noch stark mitgenom-           nen, Geräte wie auch Rebflächen wegge-          winen, einem Gemisch aus Müll, Heizöl und
men. „Alles hier ist kaputt“, sagt er. „Straßen,   rissen. Unsere drei Verkaufsstellen sind zer-   Abwässern, liegen. „Keine Ahnung, wie viele
Gebäude, Landschaften.“ Und das Schlimms-          stört, ebenso das Verwaltungsgebäude und        davon noch da sind und unbeschädigt geblie-
te für ihn ist: „Viele Menschen sind gestor-       die beiden Restaurants“, listet Baltes auf.     ben sind.“ Weinflaschen und Fässer müssen
ben, viele werden immer noch vermisst. Ob          „Unsere Mitarbeiter*innen sind unversehrt       nun erst gesucht, händisch geborgen, vom
sie von der gigantischen Hochwasser-Druck-         geblieben, müssen sich nun aber um ihre Fa-     Schlamm befreit und auf ihre Qualität geprüft
welle mitgerissen wurden oder noch irgend-         milien und zerstörten Häuser kümmern, wir       werden. „Das wird Monate dauern“, schätzt
wo unter den Trümmern liegen: Wir wissen           arbeiten mit kleiner Notbesetzung.“             Baltes. Mitgerissen von den Fluten wurden
es nicht.“                                                                                         neben der kompletten Infrastruktur auch vie-

Neues aus dem Ahrtal
Die durch die Flutwelle im Juli beschädigte Traubenannahmestation der Winzergenossenschaft
konnte rechtzeitig zur Weinlese ab dem 17. September repariert werden. Geschäftsführer Matt-
hias Baltes rechnet unter anderem durch die Wetterkatastrophe, aber auch durch Pilzkrankhei-
ten mit einem Ernteausfall von insgesamt 35 bis 40 Prozent. Die positive Nachricht in diesem
Zusammenhang: Für die Lese standen ausreichend freiwillige Erntehelfer*innen zur Verfügung.

                                                                                                                    Fotos: Matthias Baltes, Jan Pfülb/pivat

8 | GENIAL | 5-2021
Genossenschaften für Geschlechter-gleichheit - DAS MAGAZIN FÜR DAS GENOSSENSCHAFTLICHE NETZWERK | 5-2021 - Genossenschaftsverband
IN KÜRZE

                                                                                        Bildqualität: Alle Fotos wurden mit dem Handy aufgenom-
                                                                                        men und nach Wiederherstellung des Mobilfunknetzes später
                                                                                        per Whatsapp an die Redaktion geschickt.

                                    Der Wiederaufbau beginnt und der Flutwein wird geborgen.

le Rebflächen entlang der Ahr. Die Winzerbe-     Steillagen des Ahrtals. Da ist die Flutwelle             Ist die Genossenschaft eigentlich von ir-
triebe der Genossenschaften bewirtschaften       nicht hingekommen.“ Baltes oberste Priorität        gendeiner offiziellen Stelle vor dem Hoch-
150 Hektar Rebfläche, 15 Prozent sind Was-       ist es nun, die Ernte, die ab September be-         wasser gewarnt worden? „Uns hat nie-
ser und Schlamm zum Opfer gefallen. „Eine        ginnt, zu retten: „Sonst sind die Verluste noch     mand aktiv informiert“, sagt Baltes. Die Ge-
volle Ernte können wir dieses Jahr verges-       größer.“ Er ist sich sicher: „Das schaffen wir!“,   nossenschaft hatte schon Erfahrungen mit
sen“, sagt Baltes, dessen Genossenschaft         und lobt die Solidarität und die Tatkraft der       dem Hochwasser im Jahr 2016. Er habe des-
im Schnitt 1,2 Millionen Liter Wein, vor allem   Bürger*innen im Ahrtal. „Alle Winzer*innen          halb schon Tage zuvor den Deutschen Wet-
Rotwein wie Spätburgunder, aber auch zu 25       des Ahrtals packen ebenfalls mit an, stellen        terdienst verfolgt, der Starkregen mit Über-
Prozent Weißwein produziert.                     uns ihre Arbeitskraft, Maschinen und Gerä-          schwemmungen vorhergesagt habe, und für
    Bei allem Unglück hat die Winzergenos-       te zur Verfügung.“ Auch von außen erreichen         seine Winzergenossenschaft Vorsorge ge-
senschaft noch ein wenig Glück gehabt: „60       immer mehr Helfer*innen das Katastrophen-           troffen. „Wir haben uns auf einen Wasserpe-
Prozent unserer Rebflächen liegen in den         gebiet. Alle Kraft setzt Baltes deshalb dar-        gel von knapp vier Metern vorbereitet“, sagt
                                                 an, die elektronische Traubenpresse in May-         er. „Doch mit dieser riesigen Druckwelle von
                                                 schoß wieder in Gang zu setzen, die durch           neun Metern, die sich nachts innerhalb ei-
                                                 das Wasser funktionsuntüchtig geworden              ner Stunde aufgebaut hatte, haben wir nicht
                                                 ist. „Das müssen wir unbedingt bis zur Lese         gerechnet.“
                                                 schaffen“, sagt er.                                                            Sabine Bömmer

                                    Spendenaktion für das Ahrtal
                                    Wie viele andere Winzerbetriebe beteiligt sich auch die Winzergenossenschaft Mayschoß-Altenahr an der
                                    Spendenaktion mit Flutwein. So können gemischte „Hochwasser Schlammweinpakete“ mit sechs Flaschen
                                    Wein bei der Genossenschaft per E-Mail an info@wgmayschoss.de bestellt werden. Der Versand dauert vier
                                    bis sechs Wochen. Zahlungen gehen bitte per Vorkasse an: Volksbank RheinAhrEifel BIC GENODED1BNA,
                                    IBAN DE19 5776 1591 0550 0821 01, WG Mayschoß-Altenahr, Stichwort: Hochwasserpaket

                                                                                                                            5-2021 | GENIAL | 9
Genossenschaften für Geschlechter-gleichheit - DAS MAGAZIN FÜR DAS GENOSSENSCHAFTLICHE NETZWERK | 5-2021 - Genossenschaftsverband
Herr Düssel, was genau steckt hinter der EU-
                                                        Richtlinie 2019/1937?

Für eine starke                                         CHRISTIAN M. DÜSSEL: Wir sehen immer wieder Fäl-
                                                        le von Fehlverhalten und Rechtsverstößen in Unterneh-

Compliance-Kultur –
                                                        men. Sie verursachen häufig enorme materielle und im-
                                                        materielle Schäden. Wirecard ist sicher der aktuellste Fall.

Whistleblower besser
                                                        Aber auch der Verbund ist vor solchen Vorkommnissen
                                                        nicht sicher. Ein Großteil der Fälle kann vermieden wer-
                                                        den, wenn ein wirksames Hinweisgebersystem besteht.

schützen                                                Dies setzt jedoch voraus, dass Hinweisgeber*innen ano-
                                                        nym und wirksam entsprechende Hinweise melden kön-
                                                        nen. Die EU-Richtlinie setzt hier an und schafft in allen
                                                        Mitgliedstaaten einheitlich hohe Schutzstandards für in-
                                                        und externe Hinweisgeber*innen. Sie muss bis 17. De-
Die neue EU-Whistleblower-Richtlinie fordert für alle
                                                        zember 2021 in nationales Recht umgewandelt werden.
Unternehmen ab 50 Mitarbeiter*innen sichere Melde-
kanäle für in- und externe Hinweisgeber*innen. Der      Wer ist künftig wozu genau verpflichtet?
                                                        Alle Unternehmen und Behörden mit mehr als 50 Be-
Genossenschaftsverband nutzt das Hinweisgeber-          schäftigten müssen künftig sichere interne Meldekanä-
system 360 der AWADO Rechtsanwaltsgesellschaft          le für in- und externe Hinweisgeber*innen bereitstellen
(RAG). Darüber sprachen wir mit Christian M. Düssel,    – also auch Genossenschaften. Für alle ist dies mit einem
                                                        enormen Aufwand verbunden. Denn sie müssen nicht
Geschäftsführer der AWADO RAG, und Dirk Dietrich,       nur die Möglichkeit der Meldung von Missständen sicher-
Leiter der Stabsabteilung „Integriertes Risikomanage-   stellen, sondern auch deren Dokumentation und mögli-
                                                        che Folgemaßnahmen durch unabhängige und kompe-
ment“ des Genossenschaftsverbandes.                     tente Expert*innen. Und: Die Hinweisgeber*innen müs-
                                                        sen absolut darauf vertrauen können, dass ihre Identität
                                                        geschützt ist.

10 | GENIAL | 5-2021
AUS DEM
                                                                                                                                                                                                VERBAND
                                                                       www.hinweisgebersystem360.de

                                                                       Christian M. Düssel                               Dirk Dietrich

                                                                       Gibt es so etwas nicht schon in den               Steckt dahinter mehr als eine techni-             Kartellrecht oder zivilrechtliche Fragen geht,
                                                                       Genossenschaften?                                 sche Lösung?                                      ist die Einschaltung von Expert*innen für uns
                                                                       Viele Banken haben bereits Hinweisgeberka-        Auf jeden Fall. Dem System liegt die Techno-      gewinnbringend. Die AWADO RAG hat hier
                                                                       näle, weil dies im Geldwäschegesetz (GWG)         logie eines Marktführers zugrunde. Aber wir       eine breite Expertise und auch die erforderli-
                                                                       oder Kreditwesengesetz (KWG) vorgeschrie-         machen deutlich mehr: Wir richten den Kanal       chen Ressourcen sowie entsprechend stan-
                                                                       ben wird. Die Qualität dieser Kanäle variiert     ein, betreuen ihn und stellen das Reporting,      dardisierte Prozesse und Reportings. Somit
                                                                       jedoch sehr stark und nicht jeder Kanal erfüllt   die saubere, fristgerechte und rechtliche Be-     sind wir in der Bearbeitung deutlich schneller
                                                                       die Anforderungen der Richtlinie. Ein Brief-      arbeitung der Hinweise sowie die Anonymi-         und effektiver, wenn die Hinweise gleich bei
                                                                       kasten an der Tür des Compliance-Beauf-           tät der Hinweisgeber*innen sicher. Dadurch        der AWADO RAG eingehen.
                                                                       tragten oder eine Mailadresse reichen nicht       sparen Unternehmen immense Ressourcen
                                                                       – schon aus Gründen der Anonymität und Er-        sowie Zeit- und Personalaufwand ein. Vie-         Wo sehen Sie weitere Vorteile?
                                                                       reichbarkeit für Externe. Zudem richtet sich      le Unternehmen haben übrigens weder das           Ich bin hier bei den Aussagen von Herrn Düs-
                                                                       der Blick bei bestehenden Kanälen bisher          Know-how noch die zeitlichen und personel-        sel. Denn wir wollen, dass das Hinweisge-
                                                                       nur auf banktypische Themen. Die Richtlinie       len Kapazitäten, um die neuen Vorgaben um-        bersystem von unseren Mitarbeiter*innen,
                                                                       geht jedoch weit hierüber hinaus und fördert      zusetzen.                                         Mitgliedern, Vertragspartner*innen und al-
                                                                       jeden Hinweis, egal von wem und egal zu                                                             len, mit denen wir in geschäftlichem Kontakt
                                                                       welchem Verstoß – ob Mobbing, Diskriminie-        Herr Dietrich, warum nutzt der Ge-                stehen, akzeptiert, genutzt und positiv wahr-
                                                                       rung, Datenschutz oder Kartellrecht.              nossenschaftsverband das Hinweis-                 genommen wird. Für uns ist dies kein Fei-
                                                                           Entscheidend ist aber noch ein ganz an-       gebersystem 360 der AWADO RAG?                    genblatt, sondern ein wesentlicher Baustein
                                                                       derer Punkt: Ich bin der festen Überzeu-          Können Sie dies nicht intern lösen?               für die aktive Gestaltung einer Risiko- und
                                                                       gung, dass jedes Unternehmen heute eine           DIRK DIETRICH: Diese Frage haben wir              Compliance-Kultur.
                                                                       starke Compliance-Kultur benötigt. Die-           uns natürlich auch gestellt. Aber letztlich ist       Deshalb ist es für uns wichtig, dass sys-
Fotos: AWADO RAG, Genossenschaftsverband – Verband der Regionen e.V.

                                                                       se erreicht man nur, wenn man die Richtli-        die Antwort klar. Zuallererst: Wir hätten auch    temseitig und prozessual im Hinblick auf Ver-
                                                                       nie nicht als Regulierungsdruck, sondern als      ohne die rechtliche Verpflichtung durch die       traulichkeit ein höchstmöglicher Standard ge-
                                                                       Chance begreift und sich mit einem wirksa-        Richtlinie ein Hinweisgebersystem einge-          wahrt wird. Der Schutz des Hinweisgebers
                                                                       men Hinweisgebersystem gegenüber den              führt. Unser Ziel ist es, ein wirksames Risi-     oder der Hinweisgeberin spielt hierbei eine
                                                                       eigenen Mitarbeiter*innen, Kund*innen und         komanagement für den Genossenschafts-             herausragende Rolle. Bei rein intern bereit-
                                                                       Vertragspartner*innen klar zu einer trans-        verband sicherzustellen. Dies umfasst auch        gestellten Meldewegen bleibt immer das be-
                                                                       parenten und starken Compliancekultur be-         das Management von Compliance-Risiken.            wusste oder unterbewusste Misstrauen der
                                                                       kennt. Unser Managed Legal Service „Hin-          In diesem Zusammenhang spielen das Mel-           potenziellen Hinweisgeber*innen, dass die
                                                                       weisgebersystem 360“ schafft das.                 den potenziellen Fehlverhaltens und damit         so eminent wichtige Anonymität nicht ge-
                                                                                                                         ein wirksames Hinweisgebersystem eine             wahrt bleibt. Oder dass der Hinweis nicht
                                                                                                                         wichtige Rolle. Aber zu Ihrer Frage: Natür-       gehört, nicht mit der nötigen Intensität be-
                                                                                                                         lich können wir einzelne Hinweise auch sel-       handelt oder gar unter den Tisch fallen gelas-
                                                                       „Jedes Unternehmen benötigt heute                 ber bearbeiten, solange sie unsere Kernthe-       sen wird. So ist es ja bei Wirecard gesche-
                                                                          eine starke Compliance-Kultur.“                men wie zum Beispiel das Berufsrecht oder         hen. Hier wollen wir als Verband ganz klar mit
                                                                                      Christian M. Düssel                GWG betreffen. Spätestens aber, wenn es           gutem Beispiel vorangehen.
                                                                                                                         um andere Themen wie das Arbeits- oder

                                                                                                                                                                                                 5-2021 | GENIAL | 11
Projektwilligkeit und -fähigkeit führen
zum Fusionserfolg
Seit April berichtet GENiAL über das Projekt Fusionsmanagement 360, in dem die AWADO
Gruppe Unterstützungsleistungen für Transformationsprozesse bündelt. GENiAL sprach mit
Alexander May, Manager in der AWADO Services, über das Projektmanagement als
„Transmissionsriemen“ einer Fusion.

Her May, welche Bedeutung hat                                                                         Welche Anforderungen gibt es gene-
das Projektmanagement bei einer                                                                       rell an das Projektmanagement?
Fusion?                                                                                               Das sind drei Dinge:
ALEXANDER MAY: Eine Fusion gehört für                                                                 • Das Projektmanagement muss es durch
die beteiligten Banken mit zu den komple-                                                             methodische Exzellenz schaffen, dass sich
xesten Projekten ihrer Unternehmensge-                                                                die Projektbeteiligten auf die Inhalte fokus-
schichte – vielleicht noch vor der Umstellung                                                         sieren können. Hier ist wenig Platz für Expe-
von bank21 auf agree21. Die Banken müssen                                                             rimente.
die unterschiedlichsten Aktivitäten umset-        satorische Fusion sowie die technische Fu-          • Die Projektleitung muss umfassende Erfah-
zen. Das gilt selbst im „einfachen Fall“, wenn    sion. Darunter subsummieren sich weitere            rung im Management großer Projekte mit-
eine sehr große Bank mit einer deutlich klei-     Themen wie steuerliche oder aufsichtsrecht-         bringen. Wer nur rein theoretisches Wissen
                                                                                                                                                          Foto: AWADO Services

neren Bank fusioniert und die Prozesse der        liche Fragen. Das stellt vor allem Institute, die   hat, lässt in der Anwendung bei Projekten
großen Bank im Grunde häufig „nur“ über-          noch keine oder nur aus ferner Vergangen-           dieser Größe häufig Federn.
nommen werden müssen.                             heit Fusionserfahrung besitzen, vor Heraus-         • Das Projektmanagement muss eine ent-
    Dabei lassen sich drei zentrale Bereiche      forderungen – neben dem Umfang kommt                sprechende Professionalität haben. Projekt-
skizzieren: die juristische Fusion, die organi-   noch das Neue dieses Prozesses hinzu.               pläne in Excel sind hier definitiv fehl am Platz.

12 | GENIAL | 5-2021
AUS DEM VERBAND

                                                                                                    Was ist der Mehrwert durch den
                                                                                                    Ansatz Fusionsmanagement 360 und
                                                                                                    insbesondere des Projektmanage-
                                                                                                    ments?
                                                                                                    Das Projektmanagement verkörpert die 360
                                                                                                    Grad, also die Betrachtung einer Fusion aus
                                                                                                    allen Perspektiven. Dabei hat das Projekt-
                                                                                                    management sinnbildlich die Rolle eines Or-
                                                                                                    chesterdirigenten inne: Es antizipiert Ände-
                                                                                                    rungen im Rhythmus des Projekts, steuert
                                                                                                    zeitgerecht Aktivitäten und den Einsatz von
                                                                                                    Beteiligten, organisiert Übergangsphasen
                                                                                                    und ändert, wenn nötig, Instrumente oder
                                                                                                    Methoden. Das Projektmanagement behält
                                                                                                    – mit wechselndem Fokus – beständig alles
                                                                                                    im Blick.
                                                                                                        Der gemeinsame Auftritt der AWADO
                                                                                                    Gruppe, der GenoAkademie und der Geno-
                                                                                                    PersonalConsult mit ihren Spezialist*innen
                                                                                                    hat den großen Vorteil, dass jeder den an-
                                                                                                    deren und seine Spielweise kennt. So funk-
Was sind typische Fehler im Pro-                                                                    tioniert das Zusammenspiel für eine erfolg-
jektmanagement einer Fusion?                                                                        reiche Fusion ohne zusätzliche Proben oder
Klassische Fehler sind, zu viel zu schnell                                                          Diskussionen.
mit zu wenig Ressourcen bewerkstelli-                                         Alexander May             Aber auch „Gastspieler“ – wie der jewei-
gen wollen. Gerade bei einer Fusion mit                                                             lige Prüfungsverband, die Atruvia oder an-
den aufsichtsrechtlichen Vorgaben, die ei-                                                          dere Dienstleister der Bank – werden durch
nem Zeitplan mit verschiedenen Meilenstei-                                                          das Projektmanagement so dirigiert, dass
nen folgen sollte, ist eine umfassende Pla-                                                         sie ohne Dissonanzen zusammenarbei-
nung mit einer realistischen Einschätzung             Dies wird insbesondere bei dem häu-           ten können. Ein gutes Projektmanagement
der notwendigen Zeiten und potenzieller Puf-      fig ersten Schritt des Projektmanagements         muss auf allen Ebenen wirken: von den
fer zwingend notwendig. Insbesondere un-          deutlich: einer funktionalen Projektorganisati-   Entscheider*innen über die Manager*innen
erfahrene Banken, die sich entscheiden, eine      on. Ihr primäres Ziel ist es, im Projektverlauf   bis hin zur operativen Ebene.
Fusion ohne externe Unterstützung durchzu-        effektiv und effizient Entscheidungen zu tref-
führen, laufen hier Gefahr, die Anforderun-       fen. Diese Projektorganisation bietet dann        Was ist das wichtigste Element des
gen zu unterschätzen.                             auch die benötigte Struktur, um die Aktivitä-     Projektmanagements?
                                                  ten der juristischen, organisatorischen und       A und O einer Fusion ist neben einer voraus-
Wie sieht Ihr Ansatz im Projektma-                technischen Fusion abzuarbeiten.                  schauenden Planung eine effektive und effizi-
nagement aus?                                                                                       ente Kommunikation mit den Stakeholdern,
Unser Projektmanagementansatz steht auf           Um welche Phasen handelt es sich                  also allen am Projekt Beteiligten. Eine regel-
den zwei Pfeilern Projektwilligkeit und Pro-      dabei?                                            basierte und schlanke Projektkommunikati-
jektfähigkeit. Fehlt eine dieser beiden Voraus-   Wir unterteilen die Aktivitäten grundsätzlich     on unterstützt die Projektorganisation dabei
setzungen, ist das Projekt bereits zum Schei-     in sechs Phasen: 1. Sondierung, 2. Vorberei-      nachhaltig und dient den Projektleiter*innnen
tern verurteilt.                                  tung, 3. Konzeption Zielbild, 4. Ausarbeitung     als ständiger „Pulsmesser“ des Projekts. So
    Während die Projektwilligkeit bei den         Konzeption, 5. Umsetzung und 6. Post-Mer-         hat die Projektleitung einen guten Überblick
handelnden Personen meistens gegeben ist          ger, also die Integrationsphase nach einer Fu-    aller Aktivitäten und kann Probleme oder
(unterlegt mit den entsprechenden Ressour-        sion. Der strategische Fokus nimmt mit jeder      Schwächen frühzeitig identifizieren. Auf die-
cen), ist die Projektfähigkeit immer wieder       Phase ab, während die operative Arbeit zu-        se Weise werden alle direkt und indirekt am
ein Problem.                                      nimmt. In der Praxis sind die Phasen jedoch       Projekt Beteiligten regelmäßig abgeholt –
                                                  nicht „hart“ voneinander getrennt, denn vie-      das Commitment für die Fusion steigt.
                                                  le Aktivitäten überlappen sich.                                           Dr. Volker Hetterich

                                                                                                                          5-2021 | GENIAL | 13
#GENOFORSCHOOL

                            Genossenschaft
                            macht Schule
                                            Was es bisher ausschließlich in Deutschland gab, hat
                                            nun auch in Österreich seinen Anfang genommen: Un-
                                            ter dem Motto „Genossenschaft macht Schule“ haben
                                            Schüler*innen der HBLA (Höhere Bundeslehranstalt) für
                                            Forstwirtschaft, der „Försterschule“ aus Bruck/Mur in der
                                            Steiermark, und der HLBLA (Höhere landwirtschaftliche
                                            Bundeslehranstalt) St. Florian in Oberösterreich jeweils
                                            eine Schülergenossenschaft gegründet, um kooperatives
                                            Wirtschaften in der Praxis zu erlernen.

                                            I
                                                   n der Schülergenossenschaft der HBLA Försterschule in Bruck/Mur kümmern
                                                   sich die jungen Genoss*innen um Einkauf und Vertrieb von Funktionskleidung
                                                   für den Schulbetrieb mit dem eigens kreierten Logo ihrer Genossenschaft. Die
                                                   Schüler*innen der HLBLA St. Florian widmen sich der Tierhaltung und werden
                                            künftig nicht nur die Schuljause betreuen, sondern zudem mit einem mobilen Hühner-
                                            stall die Versorgung mit Eiern sicherstellen.
                                                Beide Schülergenossenschaften gehen auf ein vom Österreichischen Raiffeisenver-
                                            band (ÖRV) initiiertes Pilotprojekt zurück, das gemeinsam mit den zuständigen Ministe-
                                            rien für Bildung und für Landwirtschaft sowie dem Österreichischen Genossenschafts-
                                            verband Schulze-Delitzsch (ÖGV) und dem Wohnbauverband (GBV) entwickelt wurde.
                                            Als Unterstützer und für den Praxisbezug mit an Bord sind jeweils Partnergenossen-
                                            schaften aus der Region sowie für die Gründungsbegleitung und die jährliche Revision
                                            der Schülergenossenschaft der jeweilige Landesrevisionsverband. Auch der Genossen-
                                            schaftsverband – Verband der Regionen war unterstützend tätig. Dominik Kitzinger, Be-
                                            reichsleiter Prüfung und Betreuung Genossenschaften Süd/West, freut sich, dass er sei-
                                            ne Erfahrung bei der Gründung und Betreuung von mittlerweile annähernd 200 Schü-
                                            lergenossenschaften in Deutschland einbringen konnte.
                                                Derzeit gibt es an österreichischen Schulen bereits 850 Übungsfirmen und 350 so-
                                            genannte Junior Companies. Mit den Schülergenossenschaften kommt nun eine neue
                                            Form dazu, die der österreichische Bundesbildungsminister Heinz Faßmann sogar als
                                            „Königsdisziplin der Schülerfirmen“ bezeichnet, weil in ihnen viele wichtige Aspekte im
                                                                                                                                        Fotos: HLBLA St. Florian, Försterschule Bruck/Mur

                                            Mittelpunkt stehen, „wie etwa nachhaltiges Wirtschaften in der Region, Finanzbildung,
                                            die vier Ks der 21st Century Skills – Kritisches Denken, Kreativität, Kooperation und
              Bild oben: Mobiler Hühner-
              stall der HLBLA St. Florian
                                            Kommunikation – und effektives Projektmanagement“, so der Minister, der Genossen-
                                            schaften insgesamt als „Rechtsform der Zukunft“ sieht.
              Bild unten: Vorstand und          Für die Pilotphase wurden insgesamt vier Schulen in Österreich ausgewählt – neben
              Aufsichtsrat der Schülerge-   der Försterschule Bruck und der HLBLA St. Florian sind das die Praxis-HAK in Völker-
              nossenschaft Försterschule    markt und das Josephinum in Wieselburg, wo die Gründungsversammlungen noch an-
                                            stehen und jeweils im Herbst 2021 geplant sind.                             Brigitte Ott

14 | GENIAL | 5-2021
AUS DEM VERBAND

                       AWADO vereinfacht das Compliance-
                       Management
                       Die stetig steigenden Anforderungen beim Thema Finanzmarkt-
                       regulierung machen vor Genossenschaftsbanken nicht halt. Sie
                       wirken sich unter anderem auch auf Aufgaben im Bereich Com-
                       pliance aus und sind in den vergangenen Jahren immer viel-
                       fältiger, umfangreicher und komplizierter geworden. Ein neues
                       Angebot der AWADO GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft
                       Steuerberatungsgesellschaft (WPG StBG) schafft nun Abhilfe.

                       B
                                    isher ist das Thema Compliance an   • Alle anderen Aktivitäten werden eventu-
                                    verschiedenen Stellen in der Bank      ell in Projektunterlagen, Mails oder Papier-
                                    verortet. Die meisten haben kein       form abgelegt und
                                    einheitliches Compliance-Manage-    • der Jahresbericht wird dann mühsam ma-
                       ment-System. „Die Daten liegen in der Bank          nuell erstellt, was insgesamt sehr kosten-     Peter Uherr ist zertifizierter Experte für
                       oft an vielen verschiedenen Stellen. Die Ver-       und zeitintensiv, aber auch fehleranfällig,    Compliance bei der AWADO WPG StBG.
                       knüpfung der einzelnenThemen ist meist nicht        ist.
                       gegeben und eventuell notwendige Aktuali-             Zusammen mit der FORUM Gesellschaft          „MaRisk-Compliance“ bereits in diesen Ta-
                       sierungen erfolgen nicht im entsprechenden       für Informationssicherheit mbH entwickelt         gen nach der abgeschlossenen Pilotphase
                       Umfang“, erklärt Peter Uherr, Gesamtbank-        die AWADO GmbH WPG StBG ein modu-                 mit ersten Banken. Danach folgen die Module
                       Compliance-Manager bei der AWADO GmbH            lares       Compliance-Management-System,         Tax-Compliance, WpHG-Compliance, Geldwä-
                       WPG StBG. Als Beispiele nennt er:                das unterschiedliche Compliance-Themen            sche- und Betrugsprävention (zentrale Stelle)
                       • Die Risikoanalyse wird zum Beispiel in         und -Funktionen zusammenführt. „Dies er-          und ein Gesamtbank-Modul über alle Com-
                          Word oder Excel erstellt, meist einmal im     möglicht Synergien, vermeidet Doppelarbei-        pliance-Bestandteile (unter anderem eine Ge-
                          Jahr, evtl. notwendige unterjährige Aktua-    ten, fördert Transparenz und steigert letzten     samtbank-Risikoanalyse). „Selbstverständlich
                          lisierungen erfolgen selten.                  Endes den Nutzen für den Kunden“, erläu-          begleiten wir die Banken auf Wunsch bei der
                       • Ein rechtliches Monitoring wird oft ver-       tert unser Compliance-Experte. Er ergänzt:        Umsetzung – beratend, aber auch aktiv un-
                          sucht über Notes darzustellen oder extern     „Banken können es modular erwerben und            terstützend, zum Beispiel bei der Erstellung
                          eingekauft.                                   bankindividuell an die jeweiligen Bedürfnisse     von bankindividuellen Risikoanalysen, dem
                       • Der Jahresüberwachungsplan wird manu-          anpassen.“                                        Aufbau von rechtlichen Monitorings oder von
                          ell in einem weiteren Medium aufwendig                                                          Jahresüberwachungsplänen sowie bei der
Foto: AWADO WPG StBG

                          zusammengestellt. Die dafür notwendige        „MaRisk-Compliance“ ist startklar                 Durchführung von Kontrollhandlungen“, erklärt
                          Herleitung ist oft nicht nachvollziehbar.                                                       Uherr. Wichtig sei vor allem, dass den Kunden
                       • Kontrollhandlungen werden wiederum             Die einzelnen Module werden jetzt nach und        ein System zur Verfügung stehe, dass sie ei-
                          in einem weiteren Medium isoliert doku-       nach für die Banken angeboten. Ab 2023 ste-       genständig nutzen können, bei dem alle Da-
                          mentiert, die Ergebnisse werden aber oft      hen dann alle Module für Compliance-The-          ten im direkten Zugriff sind und dass sie in ih-
                          nicht in die Risikoanalyse integriert.        men zur Verfügung. Das Erste startet mit          rer täglichen Arbeit unterstützt.

                                                                                                                                                  5-2021 | GENIAL | 15
„Wir beeinflussen bereits heute
entscheidend die Lebensqualität der
Generationen von morgen“
Dr. Henrik Pontzen, Leiter ESG (Environmental Social Governance) bei Union Investment, ist
Mitglied im Nachhaltigkeitsrat des Genossenschaftsverbandes. GENiAL hat nachgefragt, was
die genossenschaftlichen Fondsexpert*innen unter Nachhaltigkeit verstehen, was das alles mit
Investmentfonds und Sparen zu tun hat und wie er sich im nachhaltigen Netzwerk des
Verbandes einbringen möchte.

Was verstehen Sie unter Nachhaltig-                 Was können Sie als Assetmanager                dite zu verzichten, wie unsere Befragungen
keit?                                               beim Thema Nachhaltigkeit tun, und             zeigen. Das ist aber gar nicht nötig, im Ge-
DR. HENRIK PONTZEN: Bei Union Invest-               was tun Sie bereits?                           genteil. Die Berücksichtigung von Nachhal-
ment beschäftigen wir uns seit gut 30 Jahren        Wir berücksichtigen bereits beim über-         tigkeitskriterien kann dazu beitragen, Risi-
mit nachhaltigen Kapitalanlagen. Nachhal-           wiegenden Teil des von uns verwalteten         ken bei Investments frühzeitig zu erkennen.
tigkeit umfasst für uns sowohl ökologische          Vermögens ESG-Kriterien, nicht nur bei         Handeln Unternehmen ohne Rücksicht auf
(englisch: environmental) und soziale (social)      den Nachhaltigkeitsfonds. Wir engagie-         Gesellschaft und Umwelt, drohen ihnen er-
Aspekte als auch eine verantwortungsvolle           ren uns zudem als aktiver Aktionär. Unse-      hebliche Reputationsschäden und finanzielle
Unternehmensführung (governance), wofür             re Fondsmanager*innen führen rund 4.000        Verluste. Werden Investments in Wertpapie-
die englische Abkürzung „ESG“ steht. Viele          Unternehmensgespräche im Jahr, bei de-         re solcher Unternehmen vermieden, lassen
Menschen verbinden Nachhaltigkeit bei der           nen auch die Nachhaltigkeit eine große Rolle   sich Risiken reduzieren und das Portfolio wird
Geldanlage bisher in erster Linie mit Ökolo-        spielt. Im Dialog mit den Unternehmen for-     stabiler. Umgekehrt sollte es sich auszahlen,
gie. Doch nur wer alle drei Säulen der Nach-        dern wir Veränderungsprozesse ein. Natür-      wenn sie auf nachhaltige Unternehmen set-
haltigkeit berücksichtigt, investiert nachhaltig.   lich arbeiten wir auch intensiv daran, unse-   zen. Allerdings nicht nur auf solche, die be-
                                                    re eigene Nachhaltigkeitsleistung zu verbes-   reits sehr nachhaltig und daher oft teuer sind,
                                                    sern. Unser unternehmensweites Nachhal-        sondern auch auf Unternehmen, die auf dem
                                                    tigkeitsprogramm wird jährlich geprüft und     Weg sind, nachhaltiger zu werden. Gelingt
                                                    kontinuierlich weiterentwickelt.               diesen eine solche Transformation, fördert
                                                                                                   das den nachhaltigen Umbau der Wirtschaft
                                                    Was nutzt dies alles Ihren                     und kommt gleichzeitig den Sparer*innen zu-
                                                    Kund*innen, was hat Sparen mit                 gute.
                                                    Nachhaltigkeit zu tun?
                                                          Sparen und Nachhaltigkeit sind ei-       Nachhaltigkeit wird auch bei der
                                                           nander ähnlich. Denn wer spart,         Geldanlage zunehmend ein Thema,
                                                            handelt vorausschauend – und           weil Anleger*innen künftig dazu im
                                                             wer vorausschauend handelt,           Beratungsgespräch befragt werden
                                                             handelt auch nachhaltig. Zuguns-      müssen. Was sind hier die größten
                                                              ten der Nachhaltigkeit wären vie-    Herausforderungen?
                                                                le Sparer*innen sogar bereit,      Wir haben Berater*innen aus Genossen-
                                                                  bei der Geldanlage auf Ren-      schaftsbanken und weiteren Geldinstitu-
                                                                                                   ten zum Thema Nachhaltigkeit befragt.
                                                                                                   Sie gehen davon aus, dass die nachhalti-
                                                                                                   ge Geldanlage stark an Bedeutung gewin-
                                                                                                   nen wird. Als Herausforderung haben sie

                                                                                    „Nachhaltige Geldanlage wird
                                                                                    stark an Bedeutung gewinnen.“

16 | GENIAL | 5-2021
AUS DEM VERBAND

                                                                                                                                               Dr. Henrik Pontzen von Union Investment
                                                                                               „Dank der Initiative des
                                              jedoch gleichzeitig die hohe Komplexität
                                                                                               Genossenschaftsverbandes                        Durch den gesellschaftlichen Wertewandel
                                              des Themas und das Fehlen einer ein-             ist eine Plattform geschaf-                     sowie neue Technologien gewinnt Nachhal-
                                              heitlichen Definition von Nachhaltigkeit                                                         tigkeit immer weiter an Bedeutung. Dabei
                                              genannt. Außerdem war vielen noch nicht
                                                                                               fen worden, die bei der                         sollten sich Sparer*innen allerdings bewusst
                                              bewusst, dass sie zukünftig verpflichtet         Nachhaltigkeit einen Blick                      sein, dass es keine Antwort auf die Herausfor-
                                              sein werden, Privatkund*innnen zu ihren                                                          derungen der Zukunft sein kann, ausschließ-
                                              Nachhaltigkeitspräferenzen zu befragen.          über den Tellerrand                             lich in besonders nachhaltige Branchen zu in-
                                              Der Informationsbedarf ist hier entspre-         ermöglicht.“                                    vestieren. Vielmehr gilt es, den Wandel wich-
                                              chend hoch und nimmt noch weiter zu, je                                                          tiger Wirtschaftssektoren wie der Automo-
                                              mehr regulatorische Vorgaben zum Tragen                                                          bil- oder der Stahlindustrie zu begleiten und
                                              kommen. Wir haben in Zusammenarbeit              kern statt, die beim Thema Nachhaltigkeit mit   innovative Technologien gezielt zu fördern.
                                              mit unseren Partnerbanken bereits modu-          ganz unterschiedlichen Herausforderungen        Über die Geldanlage hinaus sollten wir uns als
                                              lar aufgebaute Schulungen rund um das            konfrontiert werden. Als Vertreter von Uni-     Konsument*innen natürlich alle die Frage stel-
                                              Thema Nachhaltigkeit durchgeführt. Darü-         on Investment mit eigenem Nachhaltigkeits-      len, welchen individuellen Beitrag wir für eine
                                              ber hinaus erhalten die Berater*innen von        team und Nachhaltigkeits-Research kann ich      lebenswerte Zukunft leisten können. Denn
                                              uns umfangreiche Materialien, damit sie          unsere neuesten Erkenntnisse mit in die Dis-    wir beeinflussen bereits heute entscheidend
                                              ihren Kund*innen die nachhaltige Geldan-         kussion einbringen. Im Gegenzug erfahre         die Lebensqualität der Generationen von mor-
                                              lage und entsprechende Produkte näher-           ich, was die Kolleg*innen in der Verbandsfa-    gen.
                                              bringen können.                                  milie beim Thema Nachhaltigkeit aktuell be-
Fotos: Union Investment, Jan Will/adobe.com

                                                                                               wegt und auf welche Lösungen sie setzen.        Wie nachhaltig leben Sie selbst
                                              Wie können Sie mit Ihrer Expertise               Vor allem im Hinblick auf die Entwicklung       privat?
                                              den Nachhaltigkeitsrat des Genos-                neuer Ansätze und Konzepte ist eine solche      Beruflich fahre ich meist mit dem Zug und
                                              senschaftsverbandes unterstützen?                Vernetzung im Nachhaltigkeitsrat sehr hilf-     privat mit dem Rad, ohne jedoch ganz auf
                                              Dank der Initiative des Genossenschaftsver-      reich, um die verschiedenen Bedürfnisse be-     ein Auto zu verzichten. Lebensmittel kaufe
                                              bandes ist eine Plattform geschaffen wor-        rücksichtigen zu können.                        ich überwiegend auf dem Wochenmarkt und
                                              den, die bei der Nachhaltigkeit einen Blick                                                      baue neuerdings auch Gemüse in einem Ge-
                                              über den Tellerrand ermöglicht. Im Nachhal-      Was können und müssen wir tun, um               wächshaus im eigenen Garten an. Und bei
                                              tigkeitsrat findet mit wissenschaftlicher Be-    die Welt für heutige und zukünftige             der Geldanlage setze ich natürlich vor allem
                                              teiligung ein intensiver Austausch von Prakti-   Generationen zu gestalten?                      auf nachhaltige Investments.

                                                                                                                                                                      5-2021 | GENIAL | 17
Genossenschaften
  für Geschlechter-
  gleichheit

Der „Im Fokus“-Themenplan von GENiAL 2021 entlang der
UN-Nachhaltigkeitsagenda und was
dies für Genossenschaften bedeutet:
Ausgabe 1: Wirtschaft, Innovation und Infrastruktur (UN-Ziel 9)
Ausgabe 2: Gesundheit und Wohlergehen (UN-Ziel 3)
Ausgabe 3: Hochwertige Bildung (UN-Ziel 4)
Ausgabe 4: Nachhaltige Städte und Gemeinden (UN-Ziel 11)
Aktuell: Geschlechtergleichheit (UN-Ziel 5)
Ausgabe 6: Bezahlbare und saubere Energie (UN-Ziel 7)

                                                   Foto: gerasimov174/adobe.com; Quellen: Bundesregierung, Statistisches Bundesamt
18 | GENIAL | 5-2021
SCHWERPUNKT GESCHLECHTERGLEICHHEIT

                     1919: Deutschland führt das Frauen-Wahlrecht ein.

                                              1957: Gesetz über die Gleichberechtigung von
                                              Mann und Frau auf dem Gebiet des
                                              bürgerlichen Rechts wird verabschiedet.

                             1958:    Frauen dürfen von
                             nun an ein eigenes Konto
                             eröffnen und über ihr eigenes
                             Geld entscheiden.
                                                               1977:    Reform des
                                                               Ehe- und Familienrechts im
Juni 1994:       Der Paragraf 175 des deutschen                BGB. Bisher durften Frauen
Strafgesetzbuches wird abgeschafft. Er stellte bis             nur arbeiten, solange sie
dahin sexuelle Handlungen zwischen Personen                    die Familie und Ehe nicht
männlichen Geschlechts unter Strafe.                           vernachlässigten.

          12. August 2021:            Das 2. Führungspositionengesetz tritt in Kraft.
          Es enthält verbindliche Vorgaben für die Wirtschaft und den öffentlichen
          Dienst bei der Besetzung von Frauen in Führungspositionen.

          „Tatsächliche Gleichstellung von Frauen und
          Männern haben wir in Deutschland noch nicht
          erreicht. Es bleibt noch viel zu tun.“
          Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (16. August 2021)

          Die Bundesregierung schließt sich deshalb
          dem 5. Ziel Geschlechtergleichheit der
                  UN-Nachhaltigkeitsagenda an, das vor
                          allem die Benachteiligung von Frauen
                                      und Mädchen in Wirtschaft,
                                          Gesellschaft und Politik
                                              aufheben will. Auch
                                              GENiAL konzentriert
                                              sich in dieser
                                              Ausgabe auf das
                                              Thema und berichtet
                                                über starke Män-
          Frauenanteile: Bundestag
          31 Prozent, auf kommunaler             ner und Frauen in
          Ebene in Führungspositionen            ebenso starken
          30 Prozent, in den Verwaltungs-      Genossenschaften.
           spitzen von Städten und
           Gemeinden   11 Prozent, bei
           Universitätsprofessuren
           24,7 Prozent

                                                                        5-2021 | GENIAL | 19
Digitalisierung geschlechtergerecht
                                                                                                 Dr. Caroline Richter ist Soziologin am Institut
                                                                                                 Arbeit und Qualifikation der Universität
                                                                                                 Duisburg-Essen.

                                                                                                 Welche Rolle spielt dabei die Künstli-
                                                                                                 che Intelligenz?
                                                                                                 Die Künstliche Intelligenz (KI) ist ja nicht von
                                                                                                 sich aus neutraler oder objektiver. Sie wird
                                                                                                 von Menschen, vorwiegend Männern, ge-
                                                                                                 staltet, die von sich und ihrer Lebens- und
                                                                                                 Arbeitswelt ausgehen. Softwaresysteme für
                                                                                                 Personalauswahlverfahren verbreiten sich in-
                                                                                                 zwischen auch in Europa. Lebensläufe wer-
                                                                                                 den von algorithmischen Systemen gescannt
                                                                                                 und bewertet.
                                                                                                     Durch Videospiele und Analysen von Ton-
                                                                                                 und Videoaufnahmen in Bewerbungsgesprä-
                                                                                                 chen werden Soft-Skills-Profile erstellt und
                                                                                                 damit die Eignung der Kandidat*innen für
                                                                                                 einen Job berechnet. Oft basieren die Sys-
                                                                                                 teme auf Tausenden Vergleichsdatensätzen
                                                GENiAL sprach mit der                            aus Lebensläufen oder Spielergebnissen er-
                                                                                                 folgreicher Mitarbeiter*innen. Werden die
                                                Soziologin Dr. Caroline
                                                                                                 Lebensläufe einer vorwiegend männlichen
                                                Richter, die der Sach-                           Belegschaft oder Führungsetage zugrunde
Das Gutachten zum 3. Gleichstel-                verständigenkommission                           gelegt, schneiden Bewerberinnen prinzipiell
lungsbericht der Bundesregierung                                                                 schlechter ab. Amazon verzichtete deshalb
stellt fest: Die digitale Welt ist immer
                                                zum 3. Gleichstellungs-                          2016 auf eine solche Software zur Führungs-
noch männlich, also nicht geschlech-            bericht der Bundesregierung                      kräfteauswahl. Auch viele andere Digitalisie-
tergerecht. Können Sie Beispiele                angehört.                                        rungsansätze haben große Diskriminierungs-
nennen?                                                                                          potenziale, natürlich auch in allen anderen
DR. CAROLINE RICHTER: In der digitalen                                                           Lebenswelten.
Lebens- und Arbeitswelt ist es grundsätz-
lich nicht anders als in der analogen. Auch     dien geschlechterneutral oder geschlechter-      Woran liegt es, dass Frauen in der di-
hier gibt es Diskriminierungen, Ungleichhei-    gerecht, wie geschlechterbezogene Gewalt         gitalen Welt so wenig präsent sind?
ten oder Ausgrenzungen. In der Sachver-         und „Hate Speech“ zeigen.                        Gibt es Zugangsbarrieren?
ständigenkommission haben wir diskutiert,           Bei algorithmischen Zugangssystemen          Ja, viele. Einige sind davon unmittelbar ge-
was eigentlich das „Neue“ für Geschlech-        aus den USA kann es passieren, dass einer        schlechtsbezogen, andere überschneiden
terperspektiven durch Digitalisierung ist.      Frau mit Doktortitel der elektronische Zugang    sich mit anderen Diskriminierungskategorien
Unser Fazit: Die Erscheinungsformen sind        zu einer Frauenumkleidekabine in einem Fit-      und das über den gesamten Lebensverlauf
anders, und es entstehen neue Gelegenhei-       nessstudio verwehrt wird. Es ordnet den          hinweg. Neben Zugangs- führen aber auch
ten, Ungleichheiten sichtbar zu machen. Wir     Doktortitel nur Männern zu. „Frau Dr.“ wäre      Nutzungs- und Gestaltungsbarrieren dazu,
sprechen deshalb gerne von „altem Wein in       also in die männliche Umkleidekabine hinein-     dass Frauen potenziell weniger beteiligt, un-
schnelleren Schläuchen“.                        gekommen. Und Sprachassistenzsysteme             sichtbarer und machtloser sind.
     Und ja, es gibt zahlreiche Beispiele für   wie Siri oder Alexa haben weibliche Namen             Der Digitalbranche fehlt die Beteiligung
eine nicht geschlechtergerechte digitale        und Stimmen und wussten anfänglich in ih-        von Frauen wie auch die Diversität. Das muss
Welt: Mädchen finden nach wie vor schwe-        ren direkt programmierten Antworten zwar,        sich dringend ändern. Nicht Frauen müssen
rer den Zugang zu MINT-Fächern, der Drop-       wie die Sextarife für heterosexuelle Männer      fit für die Digitalbranche gemacht werden,
out von Frauen aus der Informations- und        sind und wo es Kondome gibt. Sie wussten         sondern die herrschende Arbeits-, Organi-
Kommunikationstechnik-Branche ist ange-         aber nicht, wo es die Pille gibt, was ein Tam-   sations- und Ausbildungskultur muss ge-
sichts der ohnehin geringen Repräsentanz        pon ist oder wo Frau Hilfe bei ehelicher Ge-     schlechtergerecht gestaltet werden. Das gilt
immens hoch. Auch das mobile Arbeiten ist       walt findet.                                     auch für andere Branchen wie zum Beispiel
nicht automatisch ein Selbstläufer für ge-                                                       die Plattformökonomie, die Arbeitskräfte für
                                                                                                                                                    Foto: Privat

schlechtergerechte Vereinbarkeit oder Er-                                                        Essenslieferung oder Reinigungsarbeiten on-
werbsarbeit, ebenso wenig sind soziale Me-                                                       line vermittelt. Frauen haben hier höhere Risi-

20 | GENIAL | 5-2021
SCHWERPUNKT GESCHLECHTERGLEICHHEIT

gestalten
                             Das Gutachten sowie weitere Empfehlungen der Sachverständigenkommission sind zu finden unter:
                             www.dritter-gleichstellungsbericht.de/de/topic/61.veroeffentlichungen.html

                                                          „Der Digitalbranche fehlt die Beteiligung von
                                                          Frauen wie auch die Diversität. Das muss sich
                                                          dringend ändern.“
 ken. Sie haben zwar in ihrer Arbeit mehr Fle-
 xibilität und Regionalität, andererseits ist der
 rechtliche Status der hier arbeitenden Men-
 schen zu klären. Außerdem müssen die hier          möglichkeiten staatlicher Institutionen, Un-    Ansätze müssen deshalb weiter ausgebaut
 erworbenen Erfahrungen und Kompetenzen             ternehmen und anderer Organisationen wie        werden.
 sichtbar sein, damit die Übergänge im Le-          auch aus den Wertvorstellungen der beteilig-        Sehr wichtig ist auch das Thema Bildung
 bensverlauf erleichtert werden.                    ten Akteur*innen eingewoben. Bei der Ent-       und Weiterbildung. Die Weiterbildungsbetei-
                                                    wicklung von Technik und speziell der von Al-   ligung steigt insgesamt, aber die Geschlech-
 Was empfiehlt die Sachverständigen-                gorithmen orientieren sich Entwickler*innen     terungleichheiten bleiben. Digitale Angebo-
 kommission, um mehr Geschlechter-                  und Entscheider*innen noch zu oft an sich       te könnten für Menschen mit Sorgeverant-
 gerechtigkeit zu erreichen?                        selbst und ihrer eigenen Erfahrungswelt. Die    wortung oder Beeinträchtigungen leichter
 Wir haben 101 konkrete Handlungsempfeh-            Bedürfnisse der Nutzer*innen werden da-         zugänglich sein. Nur brauchen sie dann auch
 lungen erarbeitet, für die wir die Digitalbran-    bei nicht genügend berücksichtigt. Und weil     digitale Kompetenzen, um diese Materialien
 che, die digitale Wirtschaft, die digitalisierte   Frauen in der KT kaum repräsentiert sind,       nutzen zu können. Diese Kompetenzen müs-
 Wirtschaft und die digitalisierte Gesellschaft     fehlen ihre Perspektiven. Dabei wäre es         sen schon im Kindergarten und in der Grund-
 analysiert haben.                                  wichtig, für lebensnahe Tests von Konzepten     schule vermittelt werden. Geschlechterge-
     Technik und ihre Entwicklung sind nicht        und Prototypen Beteiligte und Kontexte so       rechtigkeit im digitalen Bereich braucht also
 neutral. Sie sind immer in einen sozialen          divers wie nur möglich auszuwählen. In der      eine Lebensverlaufsperspektive.
 und kulturellen Kontext aus politischen Rah-       Arbeitswelt müssen Hierarchien und Macht-                                   Sabine Bömmer
 menbedingungen, Interessen und Einfluss-           gefüge berücksichtigt werden. Partizipative

 Wir verbinden.
 Füreinander.

                                                                                       Aus Fiducia & GAD wird Atruvia.
                                                                                       Damit wir die Zukunft besser machen, bilden wir eine
                                                                                       starke Gemeinschaft. Denn wir glauben daran, dass
                                                                                       man gemeinsam weiter kommt als alleine. Zusammen
                                                                                       übersetzen wir Ideen, Technologien und Daten in ein­
                                                                                       fache, sichere Angebote und zukunftsfähiges Banking.
                                                                                       Füreinander – in einer digitalisierten Gesellschaft, die
 atruvia.de                                                                            ein menschlicheres Miteinander schafft.
Deutschlands
erste
Bankdirektorin
Emmeline Stegmann war nicht nur die erste genossenschaftli-
che, sondern Deutschlands erste Bankdirektorin überhaupt.

W
                   ar Hermann Schulze-De-             genossenschaftliche, sondern generell die
                   litzsch, der Gründer des           erste Bankdirektorin Deutschlands. Steg-
                   deutschen       Genossen-          mann wurde am 23. Juli 1865 in Schönlan-
                   schaftswesens und Verfas-          ke in der preußischen Provinz Posen (heute
ser des Genossenschaftsgesetzes, ein Fe-              Polen) geboren. Ein Jahr zuvor hatten neun
minist? Dann hat ihm Emmeline Stegmann                Personen, darunter auch Stegmanns Vater, in
im Jahre 1907 ihren Aufstieg zur Chefin des           der etwa 4.000 Einwohner großen Stadt eine
Spar- und Vorschussverein zu Schönlanke               örtliche Genossenschaftsbank gegründet.
eGmbH, der späteren Volksbank Schönlanke,             Mit 21 Jahren absolvierte Emmeline Steg-
zu verdanken.                                         mann dort eine Lehre und arbeitete dann
     Denn Schulze-Delitzsch unterschied in            mit ihrem Vater zusammen, der als Kassierer
seinem Gesetz von 1867 nicht zwischen                 dem Bankvorstand angehörte.
weiblichen und männlichen Genossen-
schaftsmitgliedern. Damit leistete er be-             Außergewöhnliche Karriere
wusst oder unbewusst einen wichtigen Bei-
trag zur Gleichstellung von Mann und Frau.            Als die junge Frau zur Direktorin gewählt
Doch es sollte noch einige Gerichtsverfahren          wurde, hatte die Genossenschaft etwa 900
und Jahre dauern, bis der Jurist und Publi-           Mitglieder, einen Umsatz von 65 Millionen
zist Ludolf Parisius, ein enger Mitstreiter von       Mark und ein Eigenkapital von rund 500.000
Schulze-Delitzsch in der Verbandszeitschrift          Mark. 1908 konnte Emmeline Stegmann mit
„Blätter für das Genossenschaftswesen“                ihren Mitarbeitern das neu erbaute Bankhaus
öffentlich feststellte: „Wir würden uns […]           beziehen. Aus diesem Anlass stiftete sie
nicht graulen, eine Volksbank unter weibli-           ein Medaillon, auf dem ein von Bienen um-                        Emmeline Stegmann: Deutschlands erste
chem Zepter zu erblicken.“ Und weiter: „Eine          schwärmter Bienenkorb – als Symbol für das                       Bankdirektorin
Volksbank-Direktrice ist heute schon gesetz-          Sparen – dargestellt war. Dieses hatte die In-
lich möglich“.                                        schrift: „Nur ernste Arbeit sichert den Erfolg“.
     28 Jahre später (1895) berichtetete die          Die Karriere von Stegmann war so außer-
Verbandszeitschrift, dass nur eine Kreditge-          gewöhnlich für die Zeit, dass verschiedene
nossenschaft ein weibliches Vorstandsmit-             große Familien- und Frauenzeitschriften aus-
glied habe: ein westpreußischer Vorschuss-            führlich über sie berichteten. Dadurch wurde
verein, in dem „seit einer Reihe von Jahren           Emmeline Stegmann in ganz Deutschland
infolge von Wahl und Wiederwahl als ein-              bekannt.
getragenes Vorstandsmitglied ein Fräulein                 Über 25 Jahre führte die Vorständin ihre
zu allgemeiner Zufriedenheit die Stelle des           Bank erfolgreich – unter anderem durch den                                                 Hochanerkannt und vielfach
                                                                                                                                                            ausgezeichnet:
Buchhalters“ ausübte.                                 Ersten Weltkrieg, die Inflationszeit und die
                                                                                                                                                      Emmeline Stegmann
     Es vergingen weitere zwölf Jahre, bis am         Weltwirtschaftskrise. Innerhalb des Deut-                                                    an ihrem 70. Geburtstag
19. Juni 1907 Emmeline Stegmann einstim-              schen Genossenschaftsverbandes war sie
mig zum ersten Vorstandsmitglied der Spar-            eine anerkannte Persönlichkeit, die auf den
und Vorschussverein zu Schönlanke eGmbH,              Verbandstagen oft das Wort ergriff. Auch in
der späteren Volksbank Schönlanke, gewählt            ihrem Heimatort wurde sie geschätzt und zur
wurde. Damit wurde sie nicht nur die erste            ersten weiblichen Geschworenen gewählt.

                                  Fotos: Kreisarchiv-Nordfriesland, Fotoalbum N-F 21. Die Bildrechte konnten nicht ermittelt werden, Rechteinhaber mögen sich gegebenenfalls melden.
22 | GENIAL | 5-2021
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