Trialog Wandel mit Struktur - Beteiligungsformate zur Gestaltung der Transformation in der Lausitz - HUMBOLDT-VIADRINA ...

Die Seite wird erstellt Horst-Adolf Wimmer
 
WEITER LESEN
Trialog Wandel mit Struktur - Beteiligungsformate zur Gestaltung der Transformation in der Lausitz - HUMBOLDT-VIADRINA ...
Trialog®
Wandel mit Struktur
Beteiligungsformate zur Gestaltung der Transformation in der Lausitz
Prof. Dr. Gesine Schwan, Katja Treichel und Raffael Barth
Die Lausitz und ihre Landkreise
    LDS   Landkreis Dahme-Spreewald   SPN   Spree-Neiße
    EE    Elbe-Elster                 BZ    Bautzen
    OSL   Oberspreewald-Lausitz       GR    Görlitz
    C     Cottbus                           Bergbaugebiet

2
Inhalt
1.   Hintergrund des Projekts und Trialogs                             S. 4
     1.1   Einbettung und Aufbau des Projekts                          S. 4
     1.2   Der Trialog                                                 S. 5
     1.3   Auswahl der Inputgebenden                                   S. 6
     1.4   Agenda                                                      S. 7

2.   Analyse des Trialogs                                              S. 8
     2.1   Auswertungsmethode und Überblick                            S. 8
     2.2   Herausforderungen der Transformation                        S. 9
     2.3   Chancen der Transformation                                 S. 12
     2.4   Kultur und Identität                                       S. 14
     2.5   Partizipation zur Gestaltung des Wandels                   S. 17
           2.5.1 Grundlegendes                                        S. 17
           2.5.2 Partizipation Ja! – aber Wie?                        S. 19
           2.5.3 Beispiele für Partizipationsansätze                  S. 20
           2.5.4 Zusammenfassung Partizipation                        S. 29
     2.6   Transformationsnotwendigkeiten                             S. 31
     2.7   Zusammenfassung, offene Fragen und Handlungsempfehlungen   S. 33

3.   Ausblick auf Folgeaktivitäten                                    S. 36

4.   Stakeholder-Auswertung                                           S. 37

     Annex I: Z usammenfassung der beiden Workshops                  S. 40
              für den Trialog

     Annex II: Über die HUMBOLDT-VIADRINA Governance Platform        S. 46
                und die Trialoge

                                                                              3
1. Hintergrund des Projekts und
       Trialogs
    1.1 Einbettung und Aufbau des Projekts

    Der Kohleausstieg ist beschlossen: die Kommis­     und Wissenschaft wesentliche Erfolgsfaktoren
    sion Wachstum, Strukturwandel und Beschäfti-       für einen gelungenen Transformationsprozess
    gung legte vor einem Jahr, am 26. Januar 2019      darstellen.
    ihren Abschlussbericht vor mit der Empfeh­
    lung, bis spätestens 2038 aus der Kohlenener­
    gie auszusteigen und die betroffenen Regio­          „Was ist sinnvoll, wo soll
    nen mit Strukturhilfen zu unterstützen. Mit
    den Gesetzen zur Strukturstärkung und dem            was hingehen, wo soll
    Kohleausstieg sollen diese Empfehlungen um­
    gesetzt werden. Dennoch bleibt manches aus           was nicht hingehen? [...]
    Sicht vieler beteiligter Akteure umstritten, an­
    deres unklar. Die Diskussionen zwischen den
                                                         all diese Fragen stehen am
    gesellschaftlichen Akteuren befassen sich mit
    energie- und klimapolitischen Fragen, mit
                                                         Beginn des Prozesses.“
    wirtschaftlichen Auswirkungen und möglichen          Politik und Verwaltung
    Gegenmaßnahmen sowie finanziellen, sozia­
    len und kulturellen Aspekten der Beendigung
    der Kohle­verstromung.                             Ziel des Projektes Partizipatorische Entwick-
                                                       lungsstrategie für die Lausitz ist es, Fragen der
    Das vom Bundesministerium für Umwelt, Na­          Kultur und Identität in den Strukturwandelpro­
    turschutz und nukleare Sicherheit (BMU) ge­        zess zu integrieren sowie Vertrauen durch Teil­
    förderte Projekt Partizipatorische Entwick-        habe und damit Mut und Zuversicht zu för­
    lungsstrategie für die Lausitz fokussierte sich    dern. Das Projekt möchte den Umgang mit
    auf die Frage, wie der Kohleausstieg in der        Perspektivenvielfalt sowie mit Argumenten
    Lausitz von den Bürgerinnen und Bürgern vor        und Begründungen als Grundlage der Koope­
    Ort zunehmend als Chance wahrgenommen              ration und Zukunftsgestaltung unterstützen.
    werden könnte. Denn gerade in der struktur­        Im Rahmen des neunmonatigen Projekts ha­
    schwachen Lausitz leistet Kohle seit langem        ben neben dem Trialog in Berlin zwei Work­
    einen wesentlichen Beitrag zur regionalen          shops in der Lausitz stattgefunden, auf denen
    Wertschöpfung und ist aufgrund der histori­        insgesamt ca. 70 Akteure aus Politik und Ver­
    schen Bedeutung für den wirtschaftlichen           waltung, Wirtschaft, organisierter Zivilgesell­
    Aufschwung auch identitätsstiftender Faktor.       schaft und Wissenschaft sowie Kulturschaffen­
    Dabei geht das Projekt davon aus, dass neben       de anwesend waren. Die große Mehrheit der
    wirtschaftlichen Alternativen zur Kohleindust­     Teilnehmenden kam aus der Lausitz. Es wurden
    rie der Ausbau der Infrastrukturen, klug an­       aber auch explizit externe Akteure hinzugela­
    gelegte Teilhabe der Bürgerinnen und Bürger        den, um auch die überregionale Expertise und
    aller Altersgruppen vor Ort und das Zusam­         Perspektive als Impulsgeber und Reflexionsflä­
    menwirken mit Unternehmen, lokaler Politik         che einzubringen.

4
Auf dem ersten Workshop wurde diskutiert,         zu unterstützen. Dabei ging es sowohl um die
was aus Sicht der Teilnehmer für eine gelunge­    technische Umsetzung der Formate als auch
ne Transformation notwendig ist, was die Kri­     um Fragen von Kultur, Selbstverständnis, Selbst­
terien des Gelingens sind und welche Bedeu­       wertgefühl, Selbstwirksamkeit, Bürgernähe,
tung Kultur und Identität in bisherigen           Vertrauen, Mut zu Veränderungen und bishe­
Prozessen gespielt haben und in zukünftigen       rige Erfahrungen und Enttäuschungen. Die
Entwicklungen spielen sollten. Außerdem wur­      Teilnehmenden der beiden Workshops waren
de betrachtet, welche Ideen zur Teilhabe an       sich unter anderem darüber einig, dass nach­
Transformationsprozessen in der Lausitz be­       haltige Ermöglichungsstrukturen zu schaffen
reits vorhanden sind, welche Akteure beteiligt    seien und finanzielle Mittel auch kleineren Ins­
werden und wer darüber hinaus beteiligt wer­      titutionen zugute kommen sollten – nicht nur
den könnte und sollte. Es wurden Beispiele        denjenigen, die sowieso zumeist Zugang dazu
wirtschaftlichen Unternehmertums aus der          haben. Jedoch reiche Geld allein nicht aus,
Lausitz vorgestellt, die in ihrer Kombination     sondern auch weiche Faktoren wie Identität,
mit kulturellen und sozialpsychologischen As­     Selbstwirksamkeit, Kultur und Gemeinschaft
pekten Mut machen. Im zweiten Workshop            seien wichtig für einen gelingenden Struktur­
gab es einen Austausch darüber, welche Betei­     wandel. Diese Faktoren müssen in die ver­
ligungsformate derzeit in der Lausitz und an­     schiedenen Verfahren auf kommunaler Ebene
deren Regionen konkret genutzt werden, um         systematisch integriert werden.
gesellschaftspolitische Transformationsprozesse

1.2 Der Trialog
Der Trialog Wandel mit Struktur: Beteiligungs-    1. Was sind gute Beispiele und Beteiligungs-
formate zur Gestaltung der Transformation in          formate einer Transformation?
der Lausitz war die abschließende Veranstal­
tung im Rahmen des Projekts und fand am           2. Welche Kriterien spielen eine bedeutende
16. Januar 2020 in Berlin statt. Im Mittelpunkt       Rolle? Wie können Akteure der Transforma-
der Diskussionen stand, bereits bestehende            tion beteiligt und erreicht werden? Wer
partizipatorische Ansätze zusammenzuführen,           sind die Akteure der Transformation?
gegebenenfalls mit weiteren zu verbinden und
ihre Übertragbarkeit auf oder ihre Anpassung      3. Welche Rolle spielt Kultur in Transformati-
für die Lausitz zu diskutieren.                       onsprozessen?

Ausgangspunkt der Diskussion bildeten die Er­     4. Inwieweit mobilisieren einzelne Formate
gebnisse der ersten beiden Workshops in der           und schaffen Win-Win-Situationen – und
Lausitz (siehe auch Annex I) sowie sich daraus        welche Voraussetzungen braucht es dazu?
ergebende Leitfragen, die im Vorfeld abge­
stimmt wurden:

                                                                                                     5
1.3 Auswahl der Inputgebenden

    Im Allgemeinen erfolgt die Auswahl und Einla­                             kratie e. V., stellte nach der Mittagspause die
    dung der Inputgeber*innen entlang der Stake­                              Ergebnisse des Bürgerrats Demokratie vor und
    holderzuordnung1 des Trialog-Formats Politik                              diskutierte, inwiefern ein derartiges Beteili­
    und Verwaltung, Wirtschaft, organisierte Zivil­                           gungsformat auf den Strukturwandel in der
    gesellschaft und Wissenschaft (siehe Annex II).                           Lausitz übertragbar wäre. Außerdem sprach
    Bei diesem Trialog standen hingegen die un­                               Dr. Juliane Stückrad über ostdeutsche Trans­
    terschiedliche Beteiligungsformate im Vorder­                             formationserfahrungen und wie diese Partizi­
    grund und deren Diskussion im Rahmen der                                  pationsprozesse beeinflussen können. Im letz­
    Erfahrungen aus der Lausitz, sodass Vertre­                               ten Input stellte Dr. Malisa Zobel mit den
    ter*innen verschiedener Beteiligungsformate                               Multi-Stakeholder-Beiräten ein weiteres Betei­
    sowie der Lausitz aus den Stakeholdergruppen                              ligungsformat vor, welches für die zukünftige
    Politik und Verwaltung, organisierte Zivilge­                             Gestaltung des Strukturwandels in der Lausitz
    sellschaft und Wissenschaft kurze Inputs ga­                              gewinnbringend sein könnte.
    ben. Die Einladung der Teilnehmenden erfolgte
    wie gehabt breit über die Stakeholdergruppen                              Die Begrüßung und Moderation des Trialogs er­
    verteilt und ermöglichte somit eine vielfältige                           folgte durch Prof. Gesine Schwan, HUMBOLDT-
    Plenumsdiskussion.                                                        VIADRINA Governance Platform.

    Die Begrüßung des Trialogs erfolgte von Seiten                            Sowohl die Ergebnisse des Projekts als auch
    des BMU durch den Ministerialdirektor Diet­                               die Diskussionen des Trialogs finden Eingang
    mar Horn, Abteilungsleiter Grundsätzliche und                             in die Überlegungen des BMU, die Struktur­
    übergreifende Angelegenheiten der Umwelt­                                 wandelprozesse politisch weiter zu entwi­
    politik, Nachhaltigkeit, gesellschaftspolitische                          ckeln. Das auf Grundlage der Kommission
    Grundsatzfragen. Anschließend stellte Ralf                                Wachstum, Strukturwandel und Beschäfti-
    Brehmer, Bürgermeister der Gemeinde Riet­                                 gung und des entsprechenden Gesetzes zur
    schen, die kommunalpolitische Perspektive                                 Verfügung zu stellende Budget für die nächs­
    des Strukturwandels in der Lausitz vor.                                   ten 20 Jahre muss klug eingesetzt werden.
                                                                              Prozesse wie die in diesem Projekt helfen zu
    Danach folgten Impulsvorträge aus der Sicht                               entscheiden, „wie sind die Verfahren, nach
    weiterer Akteure: Zunächst erläuterte Evelyn                              denen verteilt wird. Was ist sinnvoll, wo soll
    Bodenmeier von der Zukunftswerkstatt, Wirt­                               was hingehen, wo soll was nicht hingehen?
    schaftsregion Lausitz, die Erfahrungen aus                                Wie kriegt man das an die Kommunen über
    dem Prozess Leitbild für die Lausitz. Im An­                              die Länder [...] all diese Fragen stehen am Be-
    schluss schilderte Dirk Neubauer, Bürgermeis­                             ginn des Prozesses“ (Politik und Verwaltung).
    ter Stadt Augustusburg, wie Bürgerbeteiligung                             Sie werden in der Bundesregierung beraten,
    durch Bürgerprojekte praktisch umgesetzt                                  mit den Ländern, den Kommunen und weite­
    werden kann. Claudine Nierth, Mehr Demo­                                  ren Stakeholdern.

    1 Diese formale Unterteilung hat selbstverständlich ihre Grenzen: Ein*e Unternehmer*in ist bspw. auch Teil der organisierten Zivilgesellschaft,
       genauso wie auch ein*e Politiker*in usw. Gleichwohl bestehen dominierende Rollenwahrnehmungen, die über diese Unterteilung abgebildet
       werden.

6
1.4 Agenda
08:30 Anmeldung und Kaffee                      13:00 	Mittagspause

09:00 Begrüßung und Einführung                  14:00 	Ergebnisse des „Bürgerrat Demo­
	Gesine Schwan, HUMOBLDT-VIADRINA                      kratie“ – ein Fall für die Lausitz?
      Governance Platform                               Claudine Nierth, Mehr Demokratie e. V.

09:15 I mpulse zum Kohleausstieg in der        14:20	Ostdeutsche Transformations­
      Lausitz – Teilhabe und Transformation            erfahrungen – Lokale Krisen und
      Dietmar Horn, Bundesministerium für              deren Überwindung
      Umwelt, Naturschutz und nukleare                 Juliane Stückrad, Universität Jena
      Sicherheit, Abteilungsleiter
	Ralf Brehmer, Bürgermeister                   14:40	Multi-Stakeholder-Beiräte für die
  Gemeinde Rietschen                                   Lausitz?
                                                       Malisa Zobel, HUMBOLDT-­VIADRINA
09:45	Diskussion zwischen allen                       Governance Platform
       Teilnehmenden
                                                15:00	Diskussion zwischen allen
10:30 Kaffeepause                                      Teilnehmenden

11:00 	Erfahrungen aus dem Prozess             16:00 	Kaffeepause
        „Leitbild für die Lausitz“
        Evelyn Bodenmeier, Zukunftswerkstatt,   16:30 	Abschlussdiskussion und
        Wirtschaftsregion Lausitz                       Zusammenfassung
                                                        Gesine Schwan, HUMBOLDT-VIADRINA
11:15	Augustusburg – durch Bürgerprojekte              Governance Platform
       Teilhabe ermöglichen
       Dirk Neubauer, Bürgermeister             17:00	Ausklang der Veranstaltung
       Augustusburg

11:30 	Diskussion zwischen allen
        Teilnehmenden

                                                                                                 7
2. Analyse des Trialogs
    2.1 Auswertungsmethode und Überblick
    Die qualitative Auswertung der transkribier­     erreichen wir eine tiefergehende Interpreta­
    ten Diskussion erfolgte angelehnt an die do-     tion des Materials als es bei einer Interpreta­
    kumentarische Methode nach Ralf Bohnsack,        tion ausschließlich entlang des Diskussions­
    eine etablierte Methode der qualitativen So­     verlaufs möglich ist. Die diskutierten Themen
    zialforschung, die insbesondere für die Aus­     werden schließlich gebündelt dargestellt und
    wertung von Gesprächen mit mehreren Per­         prägnante Aussagen zitiert.
    sonen angewandt wird. Mit diesem Verfahren

    In der Auswertung des Transkriptmaterials        • Rolle von Kultur und Identität
    erwiesen sich folgende Themen als diskussi­
    onsleitend:                                      • Beteiligung und Formate – Beispiele, Anfor­
                                                       derungen, Möglichkeiten
    • Herausforderungen der Transformation
                                                     • Transformationsnotwendigkeiten
    • Chancen der Transformation – gemeinsam
       gestalten

    Es handelt sich bei der dokumentarischen Me­     Im ersten Schritt wird herausgearbeitet, wel­
    thode um ein verstehendes Verfahren, das sich    che Themen und Unterthemen im Interview
    für die Rekonstruktion und Interpretation im­    oder der Gruppendiskussion angesprochen
    manenter Sinngehalte von Erzähl- und Diskurs­    werden. Im zweiten Interpretationsschritt er­
    verläufen eignet. Leitgedanke des Begründers     folgt eine Rekonstruktion und Explikation des
    des Verfahrens, Ralf Bohnsack, ist, dass ein     Rahmens, innerhalb dessen das Thema abge­
    Unterschied zwischen Verstehen und Interpre­     handelt wird. Diese Identifizierung von Bedeu­
    tieren existiert, der durch die Rekonstruktion   tungszusammenhängen wird als reflektieren-
    überwunden werden soll.                          de Interpretation bezeichnet. Nachdem der
                                                     Diskursverlauf im Zuge der formulierenden
                                                     und der reflektierenden Interpretation in seine
                                                     Komponenten zergliedert wurde, wird in der
         Verstehen          Interpretation           so genannten Fallbeschreibung all dies wieder
                                                     zusammengesetzt und eingebunden. An die­
                                                     ser Stelle entwickelt man eine Art Nacherzäh­
                                                     lung der Diskussion. Dabei werden ausgewähl­
                                                     te Textpassagen als Zitate eingefügt.
                 Rekonstruktion
                                                     Weitere Informationen bspw. auf
                                                     https://blogs.uni-paderborn.de/fips/2014/11/26/
                                                     dokumentarische-methode/

8
Diese Themen wurden mit den dazugehörigen           Sie zeigen, wie aus Sicht der vertretenen Sta­
Beiträgen näher beleuchtet und ausgewertet.         keholder weitere Entwicklungsprozesse ange­
Aus den Ergebnissen ergibt sich ein Stand der       gangen werden sollten und welche offenen
Diskussion, aus dem sich Korridore eines gesell­    Fragen und Gesichtspunkte der weiteren Ver­
schaftlichen Grundkonsenses ableiten lassen.        tiefung bedürfen.

2.2 Herausforderungen der Transformation
Die Herausforderungen des Strukturwandelpro­        Transformationshindernis dar – und zwar auf
zesses wurden im Trialog von verschiedenen          sämtlichen Ebenen. Es fehle in vielen Bereichen
Seiten beleuchtet. Allgemein kommen den The­        geordnetes Wissen, wie wir Menschen, auch
men politische Strukturen, Finanzierung von         aus anderen Ländern, dafür gewinnen, in den
Strukturwandelprozessen, deren Nachhaltigkeit       ländlichen Raum (zurück) zu ziehen und dauer­
sowie soziale und kulturelle Hintergründe der       haft dort zu bleiben und Entwicklungen vor Ort
Regionen eine besondere Bedeutung hinzu. Die        mit voranzutreiben. Noch stochert „jeder so
Teilnehmenden verwiesen darauf, dass der            ein bisschen mit der Stange im Nebel, aber wir
Strukturwandel in der Lausitz nicht isoliert ge­    kommen zu keinen strukturierten Lösungen.
schieht. „Die Lausitz hat die gleichen Heraus-      Die Vielfalt der Lösungen, die lokal gefunden
forderungen wie alle anderen ländlichen Regio-      wurden und angemessen sind, können so über-
nen in Europa“ (Politik und Verwaltung). Der        haupt nicht multipliziert und weiterentwickelt
Kohleausstieg sei nur eine Initialzündung für die   werden“ (Wissenschaft). Eine besondere regio­
Diskussionen über Transformationserfordernis­       nale Herausforderung ist, dass sich die Lausitz
se, die alle Regionen berühren. Selbst in der       über zwei Bundesländer erstreckt, die seit
Lausitz betrifft die Kohle nur manche Kommu­        30 Jahren unterschiedlich regiert werden und
nen besonders stark. Grundsätzlich seien die        in denen sich auch die Förderphilosophien un­
Gesellschaft und die dazugehörigen Rahmenbe­        terscheiden. So verläuft die Ländergrenze z. B.
dingungen stets im Wandel. Dennoch müssen           durch das Gebiet „Schwarze Pumpe“. Hinzu
wir uns aktuell klar machen, wie groß die Her­      kommt, dass die Lausitz für Brandenburg ein
ausforderungen sind. „Ansonsten führen wir ei­      wirtschaftlich relevantes Gebiet ist, während
nen Diskussionsprozess, in dem die Rahmenda­        sie in Sachsen eine geringere Rolle spielt.
ten nicht stimmen“, so ein Teilnehmer. Dazu
gehöre aber auch zu erkennen: Strukturwandel
sei nicht nur Verlust, Strukturwandel heiße auch
positive Entwicklungsmöglichkeiten. Dabei rei­         „Die Lausitz hat
chen weder Geld noch Arbeitsplätze allein aus,
um die Chancen der Veränderung glaubwürdig
                                                       die gleichen
zu vermitteln und zu realisieren.                      Herausforderungen
Vor diesem Hintergrund betonte eine Teilneh­           wie alle anderen
                                                       ländlichen Regionen
merin, dass in der Vergangenheit bereits viele
Erfahrungen mit Strukturbrüchen und Struktur­
wandel gemacht wurden und ausreichend
Ideen und Ansätze existieren, wie mit Transfor­        in Europa.“
mation umgegangen werden kann. Allerdings              Politik und Verwaltung
gibt es in „vielen Ministerien und Referaten
Zugriffsprobleme auf diese Werkzeugkoffer“
(Wissenschaft). Informationsdefizite stellen ein

                                                                                                      9
Eine weitere Teilnehmerin aus der Wissen­         Bürger nicht das Gefühl bekommen, sie setzen
     schaft betonte Defizite, die sie im Forschungs­   nur Fremdinteressen durch. Es brauche Owner­
     bereich beobachte: transdisziplinäre Zusam­       ship und Verständnis für die Größe der Her­
     menarbeit sei anspruchsvoll und oft nicht dort    ausforderungen und entsprechende Visionen.
     zu finden, wo man sie am nötigsten braucht:       Die Wahlergebnisse in den entsprechenden
     nämlich zwischen Verwaltung, Wirtschaft und       Bundesländern, Landkreisen und Kommunen
     Zivilgesellschaft. Damit wird die Deutungsho­     zeige, wie die Bürger*innen die Funktionalität
     heit „zwischen Akteuren [behindert], die teil-    des Systems bewerten. Dies sei ein deutlicher
     weise schon seit 30 Jahren versuchen im länd-     Hinweis, den wir ernst nehmen müssen.
     lichen Raum nicht als die Abgehängten zu
     gelten, sondern zu sagen, wir wollen hier noch
     was erreichen“ (Wissenschaft). Auch im wissen­       „Viele bisherigen
     schaftlichen Bereich fehle es an nachhaltigen
     Strukturen: Kommunen gehen skeptisch damit           Beteiligungsansätze und
     um und vermuten hinter interessierten wis­
     senschaftlichen Projekten, dass diese nicht
                                                          Diskussionen in der
     langfristig angelegt sind und nach ein bis zwei
     Jahren Projektlaufzeit beendet werden. Es fehle
                                                          Lausitz springen
     in vielen Bereichen an Vertrauen und Konti­          eigentlich zu kurz.“
     nuität. Erschwerend kommt hinzu, schnell
     handeln zu müssen, aber zugleich gemeinsa­           Politik und Verwaltung
     me Entscheidungen zu treffen. Erfolgreiche
     Beteiligungsansätze zeigen, dass diese Zeit
     brauchen: „am Anfang kommen zwei, dann            Hier setzt der Ansatz einer gemeinsamen,
     kommen fünf, am Ende kommen ein paar Dut-         partizipativen Entwicklungsstrategie an. Dazu
     zend Leute. Das heißt auch, dass viele von den    wurde angemerkt, dass es auch an Personal in
     Beteiligungsansätzen und Diskussionen, die        den Kommunen fehle, die die Transformation
     wir in den letzten Monaten und Jahren in der      partizipativ umsetzen können: Zwar gibt es
     Lausitz gefahren haben, eigentlich viel zu kurz   fachlich gut ausgebildetes Personal, aber im
     springen. Da kann man sich im Grunde nur          Umgang mit den Bürgerinnen und Bürgern
     Frust darüber abholen, dass das viel zu spät      mangele es an geeigneten Aus- oder Fortbil­
     kommt, dass das nicht themenangemessen            dungen. Ziel sollte sein, Interessen abzufragen
     ist, dass die Ergebnisse nirgendwo hinfließen.    und abzuwägen, um Prozesse schnell und ef­
     Ich glaube, wir müssen uns mehr darüber Ge-       fektiv anzulegen und Meinungen der Bür­
     danken machen auf welcher Ebene, welche           ger*innen angemessen in Entscheidungen zu
     Fragen auch von wem verhandelt werden und         berücksichtigen. Dafür fehlt es an Werkzeu­
     dann auch ein bisschen Geld und Zeit laufen       gen, Instrumenten, Ressourcen, Mut und Er­
     lassen, damit etwas entsteht“ (Wissenschaft).     fahrungen. Auch in der Zivilgesellschaft man­
                                                       gelt es in der Lausitz an Ressourcen. So gibt es
     Andererseits wurde angemahnt, dass der Struk­     zwar Aktive, zivilgesellschaftliche Vereine und
     turwandel Menschen überfordern könne: ins­        Initiativen, aber oft stehen keine Ressourcen
     besondere, wenn Prozesse nur schleppend           zur Verfügung, mit denen ihre Arbeit weiter­
     vorankommen und nicht sichtbar ist, welche        entwickelt werden und sich größere Wirkung
     positiven Entwicklungen erreicht wurden oder      entfalten kann. Auf Landesebene gibt es häu­
     langfristig angestrebt werden. Bisher wurde       fig zu wenig Kenntnisse über die zivilgesell­
     bereits zwei, drei Jahre über den Kohleaus­       schaftlichen Akteure vor Ort. Das gilt es zu be­
     stieg politisch verhandelt ohne dass sich vor     denken, wenn Prozesse mit unterschiedlichen
     Ort viel verändert hat. Wichtig sei in diesem     Akteuren durchgeführt werden, die Vertrauen
     Zusammenhang auch, dass Bürgerinnen und           voraussetzen.

10
Beide Herausforderungen – fehlendes Personal       te bleiben und sich besser aus- und fortbilden
in den Kommunen und fehlende Ressourcen in         können in Schulen, Fachhochschulen, Berufs­
der organisierten Zivilgesellschaft sind eng       akademien usw.. Die Frage sei aber auch, wie
verknüpft mit allgemein fehlenden frei zu­         gewinne man Arbeitskräfte zurück, vor allem
gänglichen Fördertöpfen: Es mangelt in den         auch aus Westdeutschland, die vor 10, 20 Jah­
Kommunen an Personalmitteln, die im größe­         ren dort hingegangen sind. „Wir haben aber,
ren Umfang meist nicht aus Bundesmitteln zur       und das hat der Kollege gerade gesagt, ein gro­
Verfügung gestellt, sondern aus den Landes-        ßes Fachkräfte-Problem auch jetzt schon. Also
und Kommunalhaushalten gestemmt werden.            die Vorstellung, da soll doch mal ein Großun­
Das wiederum ist im Rahmen der Schulden­           ternehmen sich in der Lausitz in Senftenberg
bremse schwer zu ändern. Fördergelder müs­         ansiedeln, wird natürlich nicht kommen, weil
sen leichter zugänglicher sein und es müsse        ich dafür die Arbeitskräfte nicht habe“ (Politik
mehr Vertrauen in die Kommunalverwaltung           und Verwaltung).
und deren Mittelvergabe gesetzt werden, an­
statt sie am „goldenen Zügel“ zu halten (Politik
und Verwaltung). Vor dem Hintergrund der so­        „Wir haben aber ein
ziokulturellen Bedeutung von Transformation
sowie den Möglichkeiten, über Kultur und
                                                    großes Fachkräfte-
Kunst den Transformationsprozess positiv zu
beeinflussen, wurden auch fehlende freie Res­
                                                    Problem, auch jetzt schon.“
sourcen für Kunst und Theater moniert: Diese        Politik und Verwaltung
dürfen nicht nur in größere Städte fließen. Auch
dezentral müssen Lösungen gefunden werden,
wie Laientheater, Scheunenkino, Lesungen, die      Insbesondere in ländlichen Regionen werden
dauerhaft finanziert werden können.                die Herausforderungen der Transformation
                                                   verschärft durch demografische Veränderun­
Ein sehr großer Teil der Diskussion während        gen. Ein grundsätzliches Problem ist dabei die
des Trialogs widmete sich dem Thema Arbeits­       Mittelzuweisung Pro-Kopf der Bevölkerung,
kräfteentwicklung. Dieses komme noch zu            die dazu führt, dass Infrastrukturen wie Kin­
kurz in der Debatte und wird nicht tief genug      dergärten, Schulen, Feuerwehren etc. im länd­
angegangen. Es herrscht bereits jetzt in vielen    lichen Raum verschwinden, sodass auch ein
Regionen Ostdeutschlands ein Arbeits- und          Zuzug ausbleibt, da gerade junge Familien da­
Fachkräftemangel und auch die durch den            rauf angewiesen sind. Auch der Neubau von
Kohleausstieg frei werdenden Arbeitskräfte         Infrastrukturen ist in demografisch betroffe­
können den Bedarf nicht decken: „so viele          nen Kommunen schwierig: die administrative
kommen aus der Kohle nicht auf den Markt,          Argumentation bezieht sich in ihrer Ablehnung
das ist etwa die Hälfte der jetzigen, das sind     von neuen Projekten wie bspw. Sportplätzen
8.500 derzeit, davon die Hälfte bleibt bis dahin   auf den Status-Quo der alternden Bevölke­
noch in Dienst. Die können ohne weiteres un­       rung. Neue Projekte, die eher junge Familien
tergebracht werden [...] nach der Umfrage, die     als Zielgruppen haben, lohnen sich in den so­
wir gestartet haben, das wird nicht reichen,       wieso schon engen kommunalen Haushalten
auch schon jetzt reicht es nicht und es ist die    demnach nicht. Wenn aber weiterhin so argu­
Frage, wie komm ich an zusätzliche Arbeits­        mentiert wird, ist garantiert, dass der Zuzug
kräfte, um diese Region insgesamt zu dem zu        ausbleibt und die Kommunalverwaltung zu
bringen, wo wir alle hinwollen“ (Wirtschaft).      viel Zeit aufwenden muss, um sich für eben
Wenn sich neue Industrien ansiedeln sollen,        solche Projekte einzusetzen. Hier besteht die
stehen sie vor diesem Problem. Es müsse das        Frage, inwieweit das durch interministerielle
Image der gesamten Region aufgebessert wer­        und interdisziplinäre Zusammenarbeit neu ge­
den, um Anreize zu schaffen, dass Arbeitskräf­     ordnet werden könnte?

                                                                                                      11
Im Hinblick auf die Europäische Dimension ist    wie der Glas- oder Textilindustrie in der Lausitz
     es nicht immer leicht zu vermitteln, warum       zur Wende passiert ist und der Braunkohlein­
     bspw. das Bundesministerium für Umwelt,          dustrie heute. Nach der Wende gab es nichts
     Naturschutz und Reaktorsicherheit über EUKI-     für die absterbende Industrie, heute gibt es
     Europäisch Klimaschutzinitiative noch Gelder     Ausgleichszahlungen. Darüber hinaus ist die
     in andere Kohleregionen fließen lässt. Der       Braunkohleindustrie ein Kernindustriezweig
     Austausch zwischen den 42 in Europa betrof­      der Lausitz, in dem die Arbeitnehmer verhält­
     fenen Kohleregionen ist aber wichtig und die     nismäßig gut verdienen, was von hoher Be­
     Herausforderungen Deutschlands werden ein        deutung ist.
     stückweit relativiert. „Aber das Problem darü-
     ber zu streiten, wie man in insgesamt 20 Jah-    Auch das Selbstverständnis der kommunalen
     ren, 40 Milliarden unterbringen soll: Das hät-   Selbstverwaltung ist in den ostdeutschen Bun­
     ten die Menschen in Polen, die Tschechien,       desländern immer noch ein anderes als in den
     Rumänien oder Bulgarien auch gern“ (Politik      alten Bundesländern. Der in der DDR gelernte
     und Verwaltung). Es bestehe auch eine Chan­      Blick nach oben ist noch immer da, wie ein
     ce und gegebenenfalls Notwendigkeit darin,       Teilnehmer aus der Region betonte. Deshalb
     qualifizierte Arbeitskräfte aus dem östlichen    müsse auf lokale Begebenheiten eingegangen
     Europa in die Region zu bringen. Aber gerade     werden und dazu gehört in den ostdeutschen
     in der Lausitz mit der Grenze zu Polen ist Ak­   Kommunen auch ein Verständnis für 40 Jahre
     zeptanz von Zuwanderern ein Problem, was         DDR und deren Auswirkung.
     sich auch im Wahlverhalten widerspiegelt.
     Es herrsche eine unbewusste Furcht, dass         Es dürfen nicht zu hohe Erwartungen an ein­
     die Region mit Zuwanderern überschwemmt          zelne Transformationsprojekte gestellt wer­
     werde.                                           den: So ist die Erwartungshaltung an die Zu­
                                                      kunftswerkstatt sehr hoch als sei sie eine Art
     Diese unbewusste Furcht, aber auch andere        „deus ex machina, die alles richten, alles bün-
     Emotionen der Bürger*innen vor Ort, die im       deln, alle vernetzen wird. Abstimmungspro-
     Zusammenhang mit den Wandlungsprozessen          zesse, die Dekaden nicht funktionierten, wird
     stehen, müssen ernst genommen werden:            die Zukunftswerkstatt regeln, sie wird zu-
     Veränderungen lösen häufig Angst aus. Wie        kunftsfähige Entwicklungspfade aufzeigen.
     kann diese aufgefangen werden? Die Skepsis       Sie wird die Visionen und die Leitideen festle-
     vieler Akteure im Hinblick auf Transformation    gen, und sie wird natürlich Projektideen, die
     ist eben auch auf ihre jahrelangen Erfahrun­     mannigfaltig vorhanden sind, herausgreifen
     gen zurückzuführen. Es muss zunächst ein Ver­    und zur Entwicklungsreife bringen“ (Politik
     trauen in innovatives Querdenken und neue        und Verwaltung). Wir müssen realistisch blei­
     demokratische Prozesse etabliert werden. Bei­    ben und schauen, wie die einzelnen Projekte
     de Aspekte sind bisher weniger in der Region     zu einer Entwicklungsstrategie der Lausitz ver­
     verankert. Hinzu kommt, dass in Ostdeutsch­      netzt werden können. Dazu gehört auch zu ak­
     land in gewisser Weise eine Diskrepanz zwi­      zeptieren, dass auch Fehler im Transformati­
     schen dem besteht, was mit vielen Industrien     onsprozess passieren können.

     2.3 Chancen der Transformation
     Es gab in der Geschichte immer Strukturbrü­      ten. Insbesondere der Alarmismus bezüglich
     che – diese zogen stets Entwicklungsprozesse     der durch den Kohleaussteig wegfallenden
     nach sich. Deshalb sollten wir nicht in Panik    Arbeitsplätze sei nicht zielführend. Dieser Ver­
     verfallen, wie einige Teilnehmer*innen beton­    lust wäre im Vergleich zu den Chancen gering.

12
Die eine Millionen Einwohner*innen der Lau­       Beteiligung vor Ort konkret umzusetzen, aber
     sitz stellen ein Potential für die Region dar.    auch Erkenntnisgewinne zu generieren, die
     „Im Wandel steckt Chance, das kommt mir in        verallgemeinerbar und skalierbar sind. Auch
     diesen ganzen Diskussionen zu wenig vor“          die Erfahrungen anderer Kohlereviere sind
     (Politik und Verwaltung). Es bestehen Chan­       eine Chance neue Ideen aufzugreifen, zu mo­
     cen in neuen Kooperationsformaten zwischen        difizieren und Erfahrungen zu vergleichen.
     den Stakeholdergruppen und durch den Zu­
     gang zu neuen Geldern. Diese Potenziale soll­
     ten genutzt werden, um neue Wege zu finden,       „Gemeinsam an einem
     den gesellschaftlichen Herausforderungen zu
     begegnen und gemeinsame Lösungsansätzen           Werk zu arbeiten,
     zu finden. Plattformen und Formate, sich ein­
     zubringen und auseinanderzusetzen mit den         schweißt zusammen.“
     Heraus­forde­rungen und Optionen der Trans­       organisierte Zivilgesellschaft
     formation, konträre Interessen auszuhandeln
     und Entscheidungen zu treffen, seien als Weg
     zu verstehen.                                     Die Erkenntnisse der deutschen Kinder- und
                                                       Jugendstiftung könnten hierbei auch wertvoll
„Im Wandel steckt Chance,                              sein: Kinder und Jugendliche aktiv mit ihren
                                                       Ideen zum Wandel zu beteiligen, da sie oft­
das kommt mir in diesen                                mals kein festgefahrenes, sondern integriertes
                                                       Denken einbringen. Dadurch können Lösun­
ganzen Diskussionen zu                                 gen entstehen, „die auch anderen zugute-
                                                       kommen, die vielleicht sonst nicht zu Wort
wenig vor.“                                            kommen“ (organisierte Zivilgesellschaft). Das
                                                       bedeutet auch eine große Chance, die Genera­
Politik und Verwaltung
                                                       tionengerechtigkeit tatsächlich mit Leben zu
                                                       füllen und einen Generationenmix zu erzeu­
     Der Mitmach-Fonds im Freistaat Sachsen2 (sie­     gen, „der [...] grundlegend ist, für das, was
     he auch Kapitel 2.5.3) wurde als positives Bei­   langfristig die Herausforderung ist, nämlich,
     spiel genannt, um Menschen zu motivieren,         dass wir in einer Welt zusammenleben, die zu-
     eigene Ideen einzubringen – ohne große Ver­       kunftsfähig ist“ (organisierte Zivilgesellschaft).
     waltungsbürokratie. Es wurden viele Projekte
     mit dem Mitmach-Fonds umgesetzt – alles           Mit der Gestaltung des Kohleausstiegs vor Ort
     keine Ideen, die die wirtschaftliche Tätigkeit    in den Kommunen wird deutlich, wie dringli­
     der Region voranbringen. Aber der Fonds „ist      che globale Probleme auf lokaler Ebene ange­
     ein Instrument, um Menschen vor Ort ankom-        gangen werden können. Es gibt eine Reihe
     men zu lassen, in einer Demokratie ankom-         transnationaler Herausforderungen, die direkt
     men zu lassen“ und zu erfahren, dass ihre Teil-   vor Ort spürbar sind: z. B. „… dass es eine Fi-
     habe und Idee zählt (Politik und Verwaltung).     nanzkrise gibt, weil das Schwimmbad ge-
                                                       schlossen wird, weil der Sparkommissar in der
     Auch von Seiten der Wissenschaft wurde her­       Kommune ist. Sie merken den Klimanotstand
     vorgehoben, dass der Transformationsprozess       vor Ort [...] aber oft sind Lösungen dann nicht
     neue Ansätze ermöglicht, transdisziplinäre        angeboten und dann kommt so ein Gefühl
     Arbeitsweisen zwischen Verwaltung, Wirtschaft,    von Machtlosigkeit, dass man keine eigenen
     Zivilgesellschaft im ländlichen Raum stärker      Selbstwirksamkeit hat [...] Die Kommune ist
     auszuprobieren. Das würde helfen, einerseits      also eine Chance für die Wiederbelebung

     2 https://www.mitmachfonds-sachsen.de/

                                                                                                            13
demokratischer Politik, weil sie diesen prag-     Zuwanderung und Digitalisierung wurden für
        matischen Problemlösungswillen hat. Man           Regionen wie die Lausitz als Chancen gese­
        kann hier, wenn man sie mit einer Partizipati-    hen. Letztere ermöglicht eine Dezentralisie­
        onsinitiative ausstattet, die Selbstwirksamkeit   rung von Arbeit und Dienstleistungen. „Regi-
        den Bürgerinnen und Bürgern zurückgeben           onen, die nicht unmittelbar im urbanen
        indem man sie eben zur Mitgestaltung ein-         Bereich sind, haben so Möglichkeiten an die-
        lädt“ (organisierte Zivilgesellschaft).           ser Transformation teil zu haben, sie aktiv
                                                          mitzugestalten, ohne dass man da große
                                                          Wege hin und her gehen muss. Oder ohne,
     „Die Kommune ist also                                dass man seinen Wohnsitz und seine ganze

     eine Chance für die                                  Familie dann gleich nach Berlin transferieren
                                                          muss. Sowas ist tatsächlich durch Digitalisie-
     Wiederbelebung                                       rung möglich und wird in Teilen auch schon
                                                          gemacht“ (Politik und Verwaltung). Zuwan­
     demokratischer Politik,                              derung kann einen Ausgleich zum Fachkräfte­
                                                          mangel beitragen, sofern sie strukturiert er­
     weil sie diesen prag­                                folgt und Bevölkerung vor Ort beteiligt.

     matischen Problem­                                   Konkret wurde im Trialog erfragt, was aus

     lösungswillen hat.“                                  der Idee zur Schaffung eines europäischen
                                                          Katastrophenschutzzentrums mit einer Lösch­
                                                          flugzeugstaffel und einem Wasserlandeplatz
     organisierte Zivilgesellschaft
                                                          auf dem Sedlitzer See für den Standort Wel­
                                                          zow geworden ist. Im September 2019 hatte
        Beteiligung in der Transformation schafft dem­    sich Christos Stylianides, EU-Kommissar für
        zufolge breite und tiefe Lernerfahrungen und      Katastrophenschutz, den Welzower Verkehrs­
        ermöglicht die Verbindung von globalen Her­       landeplatz angeschaut und in einer Konferenz
        ausforderungen mit lokalen Fragen. Dabei soll­    über die Möglichkeiten eines Katastrophen­
        ten wir auch Fehler im Transformationsprozess     schutzzentrums in der Lausitz gesprochen.
        als Chance sehen lernen. Eine neue Fehlerkul­     Damit würden 600 Arbeitsplätze in der Regi­
        tur müsse im Rahmen der Lernprozesse ange­        on geschaffen. Wenn der Klimawandel weiter
        stoßen werden. So könnten längerfristig           voranschreite, so wird es auch weiter Brände
        Haltungs­änderungen anstoßen, dass man ge­        geben, wie eine Teilnehmerin betonte. Aller­
        meinsam etwas erreichen kann. „Dieses Ge-         dings fehle derzeit die Unterstützung der Lan­
        meinsame, das ist ein alter Gedanke seit der      desregierung, was auf Unverständnis bei eini­
        Antike. Gemeinsam an einem Werk zu arbei-         gen lokalen Akteuren treffe. Denn das Projekt
        ten, schweißt zusammen" (organisierte Zivil-      würde allgemein für gut befunden und gelte
        gesellschaft).                                    als Chance für neue Arbeitsplätze.

        2.4 Kultur und Identität
        „Die Heraus­forderung in der Lausitz hat einen    Selbstverständlich beeinflussen Transformati­
        Lausitzfaktor. Der Lausitzer der ist nämlich      onsprozesse Menschen auf unterschiedliche
        nicht so einfach hinter dem Ofen hervor zu ho-    Weise, je nachdem welche Gewinne und Ver­
        len [...] Es braucht eine Kultur des Wandels.“    luste entstehen, was der soziokulturelle Rah­
        (Politik und Wirtschaft)                          men ist und welche Erfahrungen prägend wa­
                                                          ren. Für den Kohleausstieg muss auch hinter

14
die ökonomischen Kennzahlen geschaut wer­             „Das, was wir in der
den. Fragen der Kultur und Identität werden
sich nicht über ökonomische Faktoren lösen            Lausitz erlebt haben
lassen. Aber diese Fragen sind wichtig und
dürfen nicht unterschätzt werden. So sind             30 Jahre, ist
Bergleute ein stolzes Volk, wie ein Teilnehmer
betonte. „Zur Barbarafeier wird der Schutz-
                                                      Transformation by
göttin gehuldigt [...], da wird gemeinsam das
Steigerlied gesungen und da steht man Seite
                                                      Desaster. Das ist auch
an Seite. Und man ist eigentlich auch stolz auf
die Arbeit, die man tut, sowohl in den Kraft-
                                                      das, was die Stimmung
werken als auch in den Braunkohletagebauen.           in der Region ausmacht.“
Nicht nur darin spiegelt sich das wider, son-
dern unsere meisten Sportvereine in der Ge-           Wirtschaft
gend heißen Turbine oder Energie, wie der FC
Energie Cottbus zum Beispiel. Man merkt, die
Leute identifizieren sich da mit etwas und          Kultur prägt die Prozesse. So sei Sachsen bei­
genau darum geht es. Das soll weggenommen           spielweise nicht unbedingt Symbol für inno­
werden“ (Politik und Verwaltung). Diese Ver­        vatives Querdenken und unproblematisches
lustangst ist auch in den Erfahrungen der Lausit­   Demokratiegeschehen, wie ein Teilnehmer an­
zer begründet, die sich seit vielen Jahrzehnten     merkte.
in einem steten Wandel befinden. In Transfor­
mationsprozessen gibt es im Grunde genom­           Lokale Verwaltungsstrukturen und die in der
men zwei Möglichkeiten: Transformation by           Vergangenheit durchgeführten Gebietsrefor­
Design oder Transformation by Desaster. „Das,       men hatten einen massiven Einfluss auf die
was wir in der Lausitz erlebt haben 30 Jahre,       lokalen Entwicklungen. Durch die Zusammen­
ist Transformation by Desaster. Das ist auch        legung verschiedener Kommunen und eine
das, was die Stimmung in der Region aus-            stärkere Zentralisierung der Verwaltungszu­
macht“ (Wirtschaft). Dennoch dürfen Wende           ständigkeiten sind einige Aktivitäten, darunter
und Kohleausstieg nicht gleichgesetzt werden,       auch kulturelle Aktivitäten, unnötig kompli­
wie ein Teilnehmer einwandte. Die meisten           ziert geworden. Eine Teilnehmerin berichtete
der LEAG-Mitarbeiter werden ohne Abschlä­           von einem Dorf in Sachsen, in dem der Hei­
ge in die Rente kommen und bis dahin sind           matverein den Umzug zum Dorffest früher
noch 18 Jahre Zeit. Der Kohleausstieg ist nicht     mit dem Bürgermeister absprechen konnte.
gleichzusetzen mit der Wende 1990, woran            Durch die Gebietsreform müsse dafür nun ein
aber immer wieder viele anknüpfen.                  schriftlicher Antrag mit einer Verwaltungsge­
                                                    bühr gestellt werden „nur um eine Kleinigkeit
Nichtdestotrotz stößt man, wenn man sich mit        zu organisieren“ (Wissenschaft). Das hemme
der Identität der Menschen vor Ort auseinan­        die Dynamik in niedrigschwelligen kulturellen
dersetzt, auf soziokulturelle Verwurzelungen in     Aktivitäten und ehrenamtlichen Tätigkeiten.
der DDR – insbesondere in Bezug auf die Kom­
munikation. Während in der DDR mit einem            Ein weiteres Beispiel betrifft ein Verwaltungs­
falschen Wort eine ganze Karriere ruiniert wer­     gebäude, welches nach der Gebietsreform
den konnte, kann man heute zwar fast alles          nicht mehr benötigt wurde, was aber auch Ort
sagen „aber es interessiert keinen mehr. Dann       der Begegnung war. Das Gebäude wurde für
ist das Gegenteil zu dieser sehr starken Ver-       1 Euro an einen Investor verkauft, der sich
bindlichkeit ein zu großes Maß an Beliebig-         aber darum nicht gekümmert hat, sodass das
keit. Hier müssen wir eine Balance wieder           Gebäude nun als Schandfleck mitten im Dorf
finden...“ (Wissenschaft). Auch die politische      steht. Es gebe unzählige solcher Geschichten

                                                                                                      15
in strukturschwachen ländlichen Regionen.                                   über die Herausforderungen wichtige Stell­
        Zwar kämen nun Projekte hinzu, welche mit                                   schrauben sind. Sie bieten den Menschen vor
        finanziellen Mitteln kulturelle Orte und Begeg­                             Ort eine Projektionsfläche und Identifikations­
        nungsstätten im ländlichen Raum wieder er­                                  potential. Solche Angebote müssen auch lang­
        schaffen (bspw. das Trafo-Programm3). „Par-                                 fristig finanziert werden und dürfen nicht nach
        allel dazu ist die Kommunalaufsicht hinterher,                              ein- oder zweijährigen Projekten wieder ver­
        dass überflüssige Verwaltungsgebäude ab-                                    schwinden. Oftmals gibt es in den Dörfern ei­
        gestoßen werden“ (Wissenschaft). Eine inte­                                 nen großen Pool an Ehrenamt und Dynamik,
        grierte Sicht auf die Strukturen, Bedarfe und                               um kulturelle Gemeinschaftsaktivitäten am
        Möglichkeiten und eine entsprechendes ko­                                   Leben zu halten. Aber dazu muss verstanden
        operatives politisches Zusammenwirken könn­                                 werden, dass nicht nur ein großes Konzert im
        ten dem an manchen Stellen entgegenwirken.                                  Schlosspark oder ähnliches, sondern eben
                                                                                    auch das Feuerwehrfest oder das Schulkonzert

     „Man merkt, die Leute
                                                                                    zur Sinnstiftung vor Ort beiträgt und Unter­
                                                                                    stützung finden müssen. Wie können Finanz­

     identifizieren sich da                                                         mittel bereitgestellt werden, die nicht nur in
                                                                                    kulturelle Institutionen von größeren Städten
     mit etwas und genau                                                            fließen?

     darum geht es.“                                                                Konkret wurde das Stück vom Lausitzer Schrift­
                                                                                    steller Lukas Rietzschel Mit der Faust in die
     Politik und Verwaltung                                                         Welt schlagen als ein Theaterstück genannt,
                                                                                    um den Bewohner*innen der Lausitz eine Re­
                                                                                    flexionsmöglichkeit zu geben. Bisher wurde es
        Positiv hervorgehoben wurde, dass die Ober­                                 nur in Dresden und wenigen anderen größe­
        lausitz ein Kulturraum auf Basis des sächsi-                                ren Städte aufgeführt, aber nicht in der Lau­
        schen Kulturraumgesetzes4 ist. Das sei einzigartig                          sitz. Es fehlt an finanziellen Mitteln dafür. Auch
        in Deutschland. Denn das Kulturraumgesetz                                   das Licht- und Klangfestival transNATURALE
        verankert Kulturpflege als kommunale Pflicht­                               zwischen der Industriekulisse des Kraftwerk
        aufgaben und regelt die Finanzierung nicht­                                 Boxbergs und dem Bärwalder See findet nicht
        staatlicher Kultureinrichtungen in Sachsen mit                              mehr statt. Es wurde aber als ein spannender
        dem Ziel auch Kultur in ländlichen Regionen                                 Ansatz genannt, den Transformationsprozess
        aufrecht zu erhalten. Es enthält zudem Struk­                               der Region kulturell zu bearbeiten und zu be­
        turen aktiver Bürgerbeteiligung und demokra­                                gleiten.
        tischer Mitbestimmung. Es wurde gefragt, ob
        die dort verankerten Prozesse ggf. auch für die                             Auch die Zukunftswerkstatt Lausitz hat eine
        Herausforderungen des Strukturwandels An­                                   Kulturstrategie in Angriff genommen und mit
        knüpfungspunkte beinhalten.                                                 400 Kulturverantwortlichen in der Ober- und
                                                                                    Niederlausitz gesprochen. Die Ergebnisse wer­
        Kultur versteht sich als ein „Transmitter im                                den im Frühjahr 2020 zusammengefasst. Ein
        Trans­formationsprozess“ (Politik und Verwal-                               Teilergebnis ist, dass sich Kultureinrichtungen
        tung). Auch viele der Teilnehmenden hoben                                   und Kommunen, die mit Kultur zu tun haben,
        hervor, dass selbst niedrigschwellige kulturelle                            eine stärkere Vernetzung, Wissensaustausch,
        Angebote wie gemeinsame Theaterstücke                                       Koordinierung und einen leichteren Zugang zu

        3 Das Programm „TRAFO – Modelle für Kultur im Wandel“ ist eine Initiative der Kulturstiftung des Bundes. Es unterstützt Regionen dabei, ihre
           Kulturorte und ihr Kulturangebot dauerhaft zu stärken. Beteiligt sind bislang das Oderbruch, Südniedersachsen, die Saarpfalz und die Schwäbische
           Alb. Ab 2020 kommen die Regionen Altenburger Land, Köthen, Kusel, Mestlin, Rendsburg-Eckernförde, Uecker-Randow und Vogelsberg hinzu.
          https://www.trafo-programm.de/
        4 https://revosax.sachsen.de/vorschrift/3215-Saechsisches-Kulturraumgesetz

16
Fördermitteln wünschen. Es reiche nicht, Kul­       schwierig, wie von außen über die Lausitz ge­
tur nur auf die Agenda zu setzen: Kultur ist        sprochen wird. Wenn man aber dort lebt, kann
chronisch unterfinanziert. Fördertöpfe könn­        man die Schwermut der Region verstehen, die
ten geöffnet und eine Brücke zur Agenda 2030        auch auf „mannigfaltige Entwurzelungser-
geschlagen werden. Kultur und Nachhaltigkeit        fahrungen“ zurückgeht (organisierte Zivil­
können sich gegenseitig befruchten. Auch            gesellschaft).
könne eine Vernetzung mit anderen Kohlere­
vieren interessante Ansätze generieren wie          In den schrumpfenden Kleinstädten gibt es
bspw. mit dem Rheinland und der dortigen In­        nach den Erfahrungen einiger Teilnehmer*in­
dustrie- und Baukultur. Baukultur kann als          nen jedoch viele spannende Gründungsge­
Bleibe- und Wiederkehrfaktor eine wichtige          schichten, aber auch Arbeitslosenbiografien,
Rolle spielen, so dass auch Architekten in ei­      aus denen die Menschen vor Ort sich auch
nem inter- und transdisziplinären Transforma­       immer wieder herausgearbeitet haben wie
tionsprozess beteiligt werden sollten. Schließ­     „Stehaufmännchen“ (Wissenschaft). In diesen
lich kommt hinzu, dass es zwar um den               Kommunen findet seit 30 Jahren stete Trans­
Lausitzer Kohleausstieg geht, aber die Lausitz      formation statt und die Menschen reagieren
eher ein künstlicher Verwaltungsbegriff ist.        empfindlich auf das Wort. Sie wünschen sich
Die Lausitz ist kein Kulturraum, mit dem sich       auch ein Stück weit Beständigkeit. Anderer­
alle Bürgerinnen und Bürger identifizieren. Es      seits gibt es dort auch jüngere Generationen
gibt Teilidentitäten, die auch historisch ge­       mit Visionen, die etwas gestalten wollen. Bei­
wachsen sind. Das ist kein Hindernis. Aber es       des müsse zusammengebracht werden. Wie
ist ein kultureller Rahmen, der im Transforma­      kann kultureller, regionaler Besitzstand be­
tionsprozess respektiert werden sollte.             wahrt und gleichzeitig an neue gesellschaftli­
                                                    che Bedingungen angepasst und erneuert
Neben den Wende-Erfahrungen und Hinder­             werden? Es müssen Zeit und Raum ermöglicht
nissen, die Kultur der Region wieder stärker        werden, um Geschichte und kulturelle Erb­
aufleben zu lassen, haftet an der Lausitz aktu­     schaften aufzuarbeiten und in neuen kreati­
ell auch ein negatives Image. Es ist mitunter       ven Ideen und Ansätzen einfließen zu lassen.

2.5 Partizipation zur Gestaltung des Wandels
2.5.1 Grundlegendes

„Transformation und Partizipation gehören           Augustusburg). Dennoch haben sich qualitativ
zusammen“ (organisierte Zivilgesellschaft).         gute Beteiligungsprozesse für den Wandel noch
Transformation könne nicht bedeuten, dass           nicht breitflächig durchgesetzt.
etwas top-down mit der Erwartung umgesetzt
wird, dass es im Anschluss einfach von allen
akzeptiert werde. Vielmehr müsse Transfor­            „Transformation und
mation aktiv und breit initiiert, unterstützt und
mitgetragen werden, damit sie nachhaltig ge­          Partizipation gehen
lingt. Obwohl die Mehrheit der Teilnehmen­
den dem zustimmte, gehöre diese Erkenntnis            Hand in Hand.“
noch nicht zum Gemeingut. Es gebe zwar viele
                                                      organisierte Zivilgesellschaft
erfolgreiche Beispiele, wie Transformation
durch Beteiligung gelänge und zudem neue
digitale Beteiligungsmöglichkeiten (siehe z. B.

                                                                                                     17
In der Lausitz gibt es 235 Gemeinden mit ins­       che Entwicklungen sein, aber auch Bewahrer.
        gesamt 1,2 Millionen Einwohnern, die mitein­        Oft genieße sie eine hohe Glaubwürdigkeit
        ander ihre Zukunft nachhaltig gestalten kön­        und thematisiere öffentlich Zusammenhänge
        nen. Qualitativ gute Beteiligung bedeutet zum       und gesellschaftliche Anliegen politischer Ent­
        einen, möglichst viele verschiedenen Perspek­       scheidungen oder wirtschaftlichen Handelns.
        tiven im Prozess dabei zu haben, aus verschie­      Wissenschaft bringe ihre Erkenntnisse in die
        denen Stakeholdergruppen wie Politik und            gesellschaftspolitischen Debatten ein, verbin­
        Verwaltung, Wirtschaft, organisierte Zivilge­       det unterschiedliches Wissen und schärft im
        sellschaft, Wissenschaft. Des Weiteren solle in     Austausch mit der Gesellschaft ihre Forschung
        Beteiligungsprozessen die Möglichkeit veran­        und fundiert so auch Entscheidungen.
        kert sein, Positionen nicht nur postulieren zu
        dürfen, sondern auch auszuhandeln. So könne         Wir können folglich nicht davon ausgehen,
        am Ende ein Art Grundkonsenskorridor zwi­           dass der Zusammenhalt, die gemeinsame
        schen den beteiligten Akteuren entstehen, in        Handlungsfähigkeit, die Verwirklichung ge­
        dem weitere Entwicklungen stattfinden können.       meinsamer Ziele von Städten, Kommunen und
        Im Austausch zwischen verschiedenen Pers­           Ländern von ganz allein kommt. Sie muss un­
        pektiven – sei es im Trialog, in einer Bürgerver­   terstützt werden. Dazu gehöre auch zu ver­
        sammlung oder im Multi-Stakeholder-Beirat           stehen, dass „Bürgerbeteiligung nicht zum
        (siehe dazu Kapitel 2.5.3) – ist es bedeutsam,      Nulltarif zu haben ist, genauso wie Parla-
        sich auf andere Perspektiven zu beziehen und        mente nicht zum Nulltarif zu haben sind“
        seine eigene Position zu begründen.                 (organisierte Zivilgesellschaft). Es brauche
                                                            Ressourcen, um die gesellschaftlichen Aus­
     „Bürgerbeteiligung ist                                 tauschprozesse zu ermöglichen – personell,
                                                            finanziell, zeitlich. Neben Ermöglichungsräu­
     nicht zum Nulltarif zu                                 men gehören dazu auch Befähigungsaktivitä­
                                                            ten. Inwieweit brauchen wir mehr Bildung auch
     haben.“                                                im Erwachsenenalter darüber, wie Deutschland
                                                            funktioniert, wie kommunale Strukturen funk­
     organisierte Zivilgesellschaft                         tionieren? Wer darf oder sollte was entschei­
                                                            den? Und wie können sich Bürgerinnen und
        So hänge die Transformation in der Lausitz          Bürger in der Entscheidung über ihre gemein­
        nicht allein von Ideen ab, die in Berlin auf Re­    samen Angelegenheiten beteiligen?
        gierungsebene entworfen und kommuniziert
        werden. Politik müsse auch zuhören – wie ein        Ebenfalls müsse bedacht werden, dass Politik
        Teilnehmer aus Politik und Verwaltung beton­        überall geschieht, in den Kommunen, Städten,
        te. Aber auch Unternehmen müssen partizi­           national, europäisch, international. Es gebe be­
        pieren: Sie haben zwar keine demokratische Le­      reits – wenn auch unsystematisch und nicht
        gitimation, wirken aber in viele Ebenen hinein      überall – Dialogprozesse mit diversen Stakehol­
        – von lokal bis global. Mit dieser Macht geht       dern. Dabei läuft vieles parallel und nicht alles
        Verantwortung für die Folgen des unterneh­          kongruent. Es werden am Ende nicht alle Inter­
        merischen Handels einher, d. h. es gilt nicht       essensgegensätze aufgelöst. Aber es bleibt im­
        mehr „the business of business is business“,        mer die Chance voneinander zu lernen und
        (organisierte Zivilgesellschaft) wie der Öko­       sich gemeinsam zu entwickeln. Hierbei spielen
        nom Milton Friedman postulierte. Unterneh­          Kommunen eine herausragende Rolle für das
        men müssen zu einem befähigenden Umfeld             Überleben der Demokratie. Wenn das bejaht
        ihres wirtschaftlichen Handelns selbst beitra­      wird, brauchen wir einen grundlegenden Sys­
        gen. Die organisierte Zivilgesellschaft ist „der    temwandel. Dann müssen wir wegkommen
        Kitt der Gesellschaft“ (organisierte Zivilgesell-   von Geldern, die hinter einem „Wust von För-
        schaft): Sie kann Speerspitze für gesellschaftli­   derinstrumenten stecken … und da müssen

18
Dinge, die in Kommunen geregelt werden kön-         verständlich sei, dass Bund und Länder die
     nen, auch dort geregelt werden dürfen“ (Poli-       Kommunen auch als Dialogbrücken für Beteili­
     tik und Verwaltung). Aus der Wissenschaft           gung gewinnen; aber es sei wichtig für das Ge­
     wurde angemerkt, dass es noch nicht selbst­         lingen der Prozesse.

     2.5.2 Partizipation Ja! – aber Wie?
     Die Diskussion im Trialog zeigte, dass Betei­       Beteiligungsprozesse in der Lausitz, die auch
     ligung nicht gleich Beteiligung ist! „Es ist ein    mit öffentlichen Geldern bezahlt wurden?
     Handwerk, gute Partizipation zu machen. Näm-        „Bräuchten wir nicht eine Bündelung dieser
     lich zu überlegen, wen beteilige ich denn, mit      Ergebnisse? Würde das nicht einen Mehrwert
     welchen Fragen, in welcher Form. Welche Me-         generieren? Auch für diejenigen, die befragt
     thodenansätze nehme ich? Zu welchen Anläs-          worden sind?“ (Politik und Verwaltung).
     sen überhaupt? Und wer koordiniert und steu-
     ert diesen Prozess?“ (Politik und Verwaltung)       Des Weiteren darf Beteiligung Menschen nicht
                                                         aussortieren. Gerade auf kommunaler Ebene
     Seit dem Bekanntwerden des Kohleausstiegs           sollte die Möglichkeit genutzt werden, sich mit
     gab es viele, auch von extern initiierte Beteili­   wirklich jedem auseinanderzusetzen. Damit
     gungsprozesse – von EU-Ebene, Bund, Län­            haben auch Nörgler keine Chance, eine wohl­
     dern, Kommunen, Think-Tanks, Gewerkschaf­           wollende Gemeinschaftsatmosphäre als Nähr­
     ten. Aber oftmals wurden immer wieder die           boden für Veränderung zu verunglimpfen.
     gleichen, bekannten Akteure befragt, wie eine       Menschen gehen unterschiedlich mit Verände­
     Teilnehmerin anmerkte: „keiner hatte eigent-        rungen um. Es gibt diejenigen, die gern Gele­
     lich wirklich Lust mit den Einwohner*innen          genheiten zu Veränderung nutzen, es gibt aber
     der Lausitz in Kontakt zu treten, sondern man       auch solche, die eher abwarten oder grund­
     befragte meist lieber Intermediäre“ (Politik        sätzlich Veränderungen ablehnend gegen­
     und Verwaltung).                                    überstehen. Wir brauchen aber alle Stimmen
                                                         im Prozess, um sich auch gegenseitig zu unter­

„Es ist ein Handwerk, gute                               stützen und zu verständigen. „Denn je mehr
                                                         Leute das Gefühl haben, [...] in ihrer Kommu-
Partizipation zu machen.“                                ne, ich kann mitmachen, ich werde gehört, ich
                                                         kann meine Meinung sagen, ich kann mich
Politik und Verwaltung                                   einbringen, dann stellen Sie auch die kalt, die
                                                         ständig um die Ecke kommen und alles stän-
                                                         dig besser wissen“ (Politik und Verwaltung).
     Auch wurde mitunter beklagt, dass sich seit­
     dem noch nicht viel Greifbares entwickelt hat.      Wenn man die Bürgerinnen und Bürger aus
     Vielfach ist ein Gefühl entstanden, dass man        der Kommune involviert in lokale Gestaltungs­
     die befragten Akteure abgeschöpft hat und           prozesse, ist es wahrscheinlicher, dass die
     sich darüber hinaus die unterschiedlichen Pro­      Menschen, die von politischen Entscheidun­
     zesse hier und da gegenseitig ausgebremst ha­       gen final betroffen sind, diese auch selbst
     ben. Beteiligung dürfe aber nicht heißen: ein       mittragen und als legitim und gerecht wahr­
     paar Information und ein bisschen Diskussion!       nehmen. Dazu zählt auch, dass Projekte, die
     Beteiligung muss mit Gestaltungsmacht ein­          als Umsetzungspartner Organisationen direkt
     hergehen, ansonsten kommt es nur zur Ver­           vor Ort gewinnen, wie die Kirche oder die Feu­
     drossenheit. Es müsse kritisch hinterfragt wer­     erwehr, eine bessere Chance haben, relevante
     den, wer Eigentümer von einer Beteiligung ist.      Probleme aufzugreifen, örtliche Begebenhei­
     Wer stößt an? Was passiert mit den Ergeb­           ten zu erkennen und allgemein akzeptierbare
     nissen, der vielen bereits stattgefundenen          Lösungen zu finden als ferne Behörden.

                                                                                                           19
Sie können auch lesen