Interaktionsarbeit gestalten - Projektatlas des BMBF-Förderschwerpunktes "Zukunft der Arbeit: Arbeiten an und mit Menschen"

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Interaktionsarbeit gestalten - Projektatlas des BMBF-Förderschwerpunktes "Zukunft der Arbeit: Arbeiten an und mit Menschen"
Interaktionsarbeit
gestalten
Projektatlas des BMBF-Förderschwerpunktes
„Zukunft der Arbeit: Arbeiten an und mit Menschen“
Interaktionsarbeit gestalten - Projektatlas des BMBF-Förderschwerpunktes "Zukunft der Arbeit: Arbeiten an und mit Menschen"
Interaktionsarbeit gestalten - Projektatlas des BMBF-Förderschwerpunktes "Zukunft der Arbeit: Arbeiten an und mit Menschen"
Inhaltsverzeichnis
  Grußwort zum „Projektatlas Interaktionsarbeit“                                          3
  Vorwort: Interaktionsarbeit gestalten                                                   4

1 Einführung in das Thema Interaktionsarbeit                                             6

2 Die Bedeutung der Interaktionsarbeit in der betrieblichen Praxis                       12

3 Der Förderschwerpunkt „Arbeiten an und mit Menschen“                                   14

4 Steckbriefe                                                                            21

  InWiGe – Interaktionsarbeit: Wirkungen und Gestaltung des technologischen Wandels      22
  Interaktion innerhalb des Förderschwerpunktes – Die Fokusgruppen                       24

  Fokusgruppe 1: „Direkte Interaktion“                                                   26
  AnEffLo – Anti-Effizienzlogiken: Reflexiv-nachhaltige Perspektiven auf Interaktions-   26
  arbeit am Beispiel Pflege
  DigitalerEngel – Stärkung der Interaktionsarbeit von Pflegekräften durch den           28
  Einsatz digitaler Assistenzsysteme
  GIDA – Gute Interaktionsarbeit digital assistiert                                      30
  INSTANT – Intelligente Zusammenarbeit mit SprachbasierTen AssisteNTen                  32
  PARCURA – Partizipative Einführung von Datenbrillen in der Pflege im Krankenhaus       34
  RespectWork – Entwicklung gegenseitigen Respekts in der Kundeninteraktion zur          36
  Verbesserung von Arbeits- und Dienstleistungsqualität
  UMDIA – Unterbrechungsmanagement bei digital gerahmter Interaktionsarbeit              38

  Fokusgruppe 2: „Zwischenbetriebliche Interaktion“                                      40
  DigiLab NPO – Digitallabor für Non-Profit-Organisationen                               40
  PRIME. – Prozessbasierte Integration menschlicher Erwartungen in digitalisierten       42
  Arbeitswelten
  ProDigA – Versorgungsprozesse digital unterstützen für die Gestaltung guter            44
  Interaktionsarbeit
  SO-SERVE - Social Service Engineering - Synergien von Arbeits- und Dienst-             46
  leistungswissenschaft für die Verbesserung von Arbeit an und mit Menschen nutzen
  TOAB – Technische und organisatorische Arbeitsgestaltung in der Psychosozialen         48
  Beratung
  VISITS – Vernetzung und Interaktionsarbeit in Smarten Technischen Services             50

  Fokusgruppe 3 „Innerbetriebliche Interaktion“                                          52
  eLLa4.0 – Gute Führung und Arbeit in der soziodigitalen Transformation                 52
  InkluServ – Gestaltung digital unterstützter Interaktionsarbeit von schwer-            54
  behinderten Auslieferungsfahrern
  KILPaD – Kommunikation, Innovation und Lernen in der Produktionsorganisation           56
  unter Bedingungen agiler Digitalisierung
  KomIn – Kompetenzorientierte Interaktionsarbeit in der Pflege                          58
  teamIn – Digitale Führung und Technologien für die Teaminteraktion von morgen          60

5 Ausgewählte Literaturhinweise zur Interaktionsarbeit                                   62

  Impressum                                                                              64
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Grußwort zum
„Projektatlas
Interaktionsarbeit“

Der technologische Wandel und die digitale
Vernetzung verändern unsere Arbeitswelt.
Digitale Assistenten, Maschinen und Robo-
ter unterstützen uns und machen unsere
Arbeit effizienter. Sie stellen uns aber auch
vor neue Herausforderungen: Wir müssen
gut ausgebildet und qualifiziert sein, um sie
nutzen zu können. Gleichzeitig beeinflussen
sie die Art und Weise, wie wir miteinander
umgehen und kommunizieren.

Klar ist: Insbesondere für Tätigkeiten, bei de-   Mit dem vorliegenden Projektatlas werden
nen das menschliche Miteinander im Mittel-        die Zusammenhänge und Ziele der betei-
punkt steht, ist es entscheidend, dass tech-      ligten Projekte zusammengefasst. Zudem
nologische und soziale Innovationen stets         werden sie für Wissenschaft und Praxis an-
Hand in Hand gehen. Nur so können Lösun-          schaulich aufbereitet.
gen entstehen, die für die Praxis taugen.
                                                  Allen Projektpartnern und Beschäftigten so-
Darum unterstützt das Bundesministerium           wie den anderen Akteuren im Förderschwer-
für Bildung und Forschung (BMBF) die Pro-         punkt wünsche ich weiter viel Erfolg. Lassen
grammlinie „Zukunft der Arbeit“ und den           Sie uns gemeinsam eine lebens­werte Ar-
dazugehörigen      Förderschwerpunkt        zur   beitswelt der Zukunft schaffen.
Interaktionsarbeit seit 2019 mit mehr als
37 Millionen Euro. In insgesamt 18 Verbund-
projekten werden innovative Konzepte und
Strategien entwickelt, ergänzt durch ein
begleitendes    wissenschaftliches    Projekt.
Mehr als hundert Partner erproben nach-
haltige Methoden und Instrumente für die          Anja Karliczek
Arbeit im digitalen Wandel. Sie erforschen        Mitglied des Deutschen Bundestages
die Gestaltung und prozessbegleitende Ana-        Bundesministerin für Bildung und Forschung
lyse von Geschäftsmodellen der interaktiven
Arbeit. Und nicht zuletzt entwickeln sie neue
Formen der Organisation innerbetrieblicher
Zusammenarbeit und Führung.
Interaktionsarbeit gestalten - Projektatlas des BMBF-Förderschwerpunktes "Zukunft der Arbeit: Arbeiten an und mit Menschen"
4   Interaktionsarbeit gestalten

    Vorwort:
    Interaktionsarbeit
    gestalten

    Entwicklungen wie die fortschreitende Glo-       dazu befähigen, gute Interaktionsarbeit leis-
    balisierung,   technologische   Innovationen     ten zu können. Organisationale Rahmenbe-
    oder die Digitalisierung der Arbeitswelt un-     dingungen können jedoch auch zu konfligie-
    terstreichen, dass das Themenspektrum            renden Anforderungen führen. Etwa, wenn
    ‚Arbeit‘ stetigen Wandlungsprozessen unter-      die ökonomischen Ziele der Organisation im
    liegt. Trotz dieser vielfältigen Veränderun-     Widerspruch mit den Wünschen der Kund-
    gen wird Erwerbsarbeit oftmals noch immer        schaft stehen. Dann wird es Aufgabe der
    aus dem klassischen Blickwinkel der Produk-      Beschäftigten, abzuwägen, wie sie diesen
    tionsarbeit betrachtet: Es werden Gegen-         Ansprüchen gleichermaßen gerecht werden
    stände hergestellt und Güter produziert, die     können. Ein solches Spannungsverhältnis
    anschließend am Markt verkauft werden. Im        zwischen Rationalisierung und Humanisie-
    Dienstleistungssektor stehen hingegen kei-       rung ist im Rahmen der Interaktionsarbeit
    ne materiellen Güter im Vordergrund, son-        vielfach vorzufinden.
    dern die Arbeit an und mit Menschen. Diese
    Form der Erwerbsarbeit, die auch Interakti-      Bei der Arbeit an und mit Menschen kann
    onsarbeit genannt wird, schließt daher nicht     es im Kontext des Dienstleistungsdreiecks
    nur den Beschäftigten und seine Organisati-      zudem zu inkongruenten Interessen der ein-
    on ein, sondern auch KundInnen, PatientIn-       zelnen Akteure kommen. In der Interaktion
    nen, BürgerInnen, KlientInnen und ähnliche       zwischen Beschäftigten und KundenInnen
    Gruppen. Jene drei Gruppen – Organisation,       oder ähnlichen Gruppen gilt es dann, die
    Dienstleistungsgeber und Dienstleistungs-        gegenseitigen Erwartungen anzugleichen.
    nehmer – sind die zentralen Akteure im so­­-     So verlangt Interaktionsarbeit immer auch
    genannten Dienstleistungsdreieck. Interakti-     nach einem gegenseitigen Verständigungs-
    onsarbeit findet allerdings nicht ausschließ-    prozess, der im Kontext von Organisationen,
    lich im Dienstleistungssektor statt. Sie ist     Berufsgruppen und Branchen stattfindet.
    vielmehr Teil des Arbeitsalltags vieler Be-      Diese Spezifika und Herausforderungen sind
    schäftigter in verschiedenen Berufsgruppen       bei der Erforschung und Gestaltung von An-
    und Branchen und findet auch inner- und          fang an in den Blick zu nehmen.
    zwischenbetrieblich statt.
                                                     Der vom Bundesministerium für Bildung und
    Ob Interaktionsarbeit erfolgreich ist, hängt –   Forschung (BMBF) initiierte Förderschwer-
    neben den Beschäftigten und den KundIn-          punkt „Zukunft der Arbeit: Arbeiten an und
    nen – nicht zuletzt von den organisationalen     mit Menschen“ will einen Beitrag leisten,
    Rahmenbedingungen ab. Diese sind es, die         das Verständnis von Interaktionsarbeit zu
    die Beschäftigten mitunter teilweise erst        erweitern und wissensbasierte Gestaltungs-
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Vorwort    5

empfehlungen für die betriebliche Praxis zu
entwickeln. Die Anwendungsfelder, zu denen
die 19 beteiligten Projekte arbeiten, sind viel-
fältig und spiegeln die Tatsache wider, dass
Interaktionsarbeit nicht nur in der Dienstleis-
tungsbranche von Bedeutung ist, sondern
einen elementaren Bestandteil vieler Berufe
und Branchen darstellt.

Mit dem „Projektatlas Interaktionsarbeit“
möchten wir einen Überblick zu den For-
schungs- und Gestaltungsfeldern interak-
tiver Arbeit in Deutschland bieten. Dazu
werden die 19 beteiligten Projekte in Form
von Steckbriefen vorgestellt. Mit unserem
Projekt „Interaktionsarbeit: Wirkungen und
Gestaltung des technologischen Wandels
(InWiGe)“ haben wir eine Doppelrolle: Ne-
ben unseren eigenen Forschungsarbeiten, in         Wir hoffen, dass dadurch die besonderen
deren Zentrum auch die Entwicklung einer           Anforderungen der Interaktionsarbeit so-
Taxonomie der Interaktionsarbeit steht, un-        wohl in der wissenschaftlichen als auch der
terstützen wir den Förderschwerpunkt, tra-         gesellschaftlichen Debatte sichtbarer wer-
gen zu seiner Vernetzung bei und machen            den. Zudem sollten jene Besonderheiten
die erarbeiteten Ergebnisse für verschiede-        auch in Regulierungsstrukturen – sei es in
ne Zielgruppen zugänglich.                         Ausbildungsordnungen, Tarifverträgen oder
                                                   der betrieblichen Gefährdungsbeurteilung –
Der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Ar-        stärker berücksichtigt werden.
beitsmedizin (BAuA) ist es dabei ein Anlie-
gen, das vorhandene Wissen und die neuen           Im Namen des gesamten Projektteams von
Erkenntnisse der Verbundprojekte aufzube-          InWiGe möchten wir uns herzlich bei den
reiten und zu systematisieren. Basierend auf       beteiligten WissenschaftlerInnen und Pra-
einem tätigkeitsbezogenen Beobachtungs-            xispartnern bedanken, die es uns ermöglicht
fokus interessieren uns vor allem die Entste-      haben, diesen Überblick über den Förder-
hung und Wirkung von Arbeitsbedingungen            schwerpunkt zu erstellen. Unser Dank gilt
in der Interaktionsarbeit und ihr Zusammen-        nicht zuletzt auch dem Bundesministerium
hang zum gesundheitlichen Befinden der             für Bildung und Forschung sowie dem Pro-
Beschäftigten. Neben den klassischen ar-           jektträger Karlsruhe.
beitswissenschaftlichen Bedingungsfaktoren
beziehen wir auch die Rahmenbedingungen            Wir wünschen viel Freude beim Lesen und
und Kontexte, in denen Interaktionsarbeit          den einen oder anderen neuen Einblick in die
geleistet wird, in unsere Studie ein. Auf die-     sich wandelnde Arbeitswelt.
ser Basis wollen wir über Berufsgruppen und
Branchen hinweg Gestaltungsempfehlungen            Dr. Beate Beermann
ableiten, die sich auf zentrale interaktive Tä-    Dr. Armin Windel
tigkeiten beziehen.                                Projektleitung InWiGe
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6   Interaktionsarbeit gestalten

1   Einführung in
    das Thema
    Interaktionsarbeit
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Einführung in das Thema Interaktionsarbeit   7

Was ist Interaktionsarbeit?                         Vorgesetzten und Mitarbeitenden und zwi-
                                                    schen KollegInnen – als auch Interaktionen
Interaktionsarbeit ist – ganz allgemein be-         zwischen Beschäftigten aus verschiedenen
trachtet – die Arbeit an und mit Menschen.          Betrieben zur Arbeit an und mit Menschen.

Interaktionen mit anderen Menschen sind             Interaktionsarbeit kann grundsätzlich von
für viele Beschäftigte ein grundlegender Be-        Angesicht zu Angesicht erfolgen oder aber
standteil ihrer täglichen Arbeit: Sie beraten       durch unterschiedliche Technologien digital
und informieren, erziehen, verhandeln, ge-          vermittelt oder unterstützt werden. Sie um-
ben Anweisungen und vieles mehr. Sie alle           fasst somit sowohl verbale als auch schrift-
leisten Interaktionsarbeit im Kontext der           liche, zeitlich synchrone oder asynchrone
Erwerbsarbeit. Da für diese Form der Arbeit         Kommunikation. Zentraler Gegenstand der
aber bislang kein einheitliches Begriffsver-        Interaktionsarbeit ist und bleibt aber auch
ständnis vorhanden ist, muss zunächst er-           dabei der Mensch, was Interaktionsarbeit zu
klärt werden, was wir unter Interaktionsar-         einer besonderen Art der Arbeit, zu einer
beit verstehen. Daher ist es hilfreich, sich die    „Leistung eigener Art“ macht.
Begriffsbestandteile näher anzuschauen:

›› (Soziale) Interaktion (lateinisch inter „zwi-   Was macht Interaktionsarbeit
  schen“ und actio „Tätigkeit“, „Handlung“)         besonders?
  beschreibt das aufeinander bezogene
  Handeln zweier oder mehrerer Personen.            Interaktionsarbeit ist durch die Zusammen-
  Dabei orientieren sich die Handelnden in          arbeit mit einem oder mehreren Menschen
  der Regel an einander komplementären              eine besondere Form der Erwerbsarbeit,
  Erwartungen, Verhaltensweisen und Akti-           die sich von der Arbeit an und mit Objek-
  onen;                                             ten, beispielsweise in der Produktion, un-
›› Arbeit ist eine bewusste, zweckmäßige,          terscheidet.
  zielgerichtete Tätigkeit.
                                                    Auf Basis des hier zugrunde gelegten, brei-
Bei der Arbeit an und mit Menschen geht es          ten Begriffsverständnisses, findet Interak-
also um Tätigkeiten, deren „Gegenstände“            tionsarbeit in unterschiedlichen Tätigkeits-
keine Objekte, sondern andere Menschen              bereichen und Kontexten statt. Dadurch
sind, die es beispielsweise zu beeinflussen,        unterscheiden sich auch die Charakteristika
zu beraten, zu heilen, zu bedienen, zum Kau-        der Interaktion sowie die Anforderungen an
fen zu veranlassen oder zu unterhalten gilt.        die Beschäftigten. Überdies kann die Arbeit
                                                    an und mit Menschen sowohl eine physische
Im Förderschwerpunkt bezieht sich Inter-            als auch eine psychisch-emotionale Interak-
aktionsarbeit auf sämtliche arbeitsbezoge-          tion erfordern. Dennoch lassen sich berufs-
ne soziale Interaktionen und somit auf alle         und branchenübergreifend besondere Merk-
interaktiven Arbeitstätigkeiten, bei denen          male interaktiver Tätigkeiten beschreiben.
Beschäftigte an und mit anderen Menschen
arbeiten.

Dies umfasst einerseits die Arbeit mit Kun-
dInnen, KlientInnen, PatientInnen, Bürge-
rInnen und vergleichbaren betriebsexter-
nen Personen sowie deren Angehörigen.
Andererseits zählen soziale Interaktionen
innerhalb eines Betriebes – wie zwischen
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8   Interaktionsarbeit gestalten

                                                     KundInnen resultieren. Jene Ko-Produktion,
       ›	Interaktionsarbeit ist Arbeit mit          die zwingend für die Erstellung der Dienst-
          Menschen – Menschen, die eigene            leistung benötigt wird, beeinflusst deren Ge-
          Interessen, Meinungen, Gefühle,            lingen und Qualität.
          Erwartungen und Anliegen haben.
          Sie handeln und agieren aktiv und          Mittlerweile gibt es in der nationalen De-
          selbstbestimmt. Ihr Erleben und            batte eine Vielzahl konzeptioneller und
          Verhalten muss anders als bei der          empirischer Beiträge zum Thema Interak-
          Arbeit mit Objekten berücksichtigt         tionsarbeit, die vor allem seit den 1990er
          werden.                                    Jahren erschienen sind. Viele dieser Beiträ-
                                                     ge beziehen sich auf drei Ansätze, die die
       › Interaktionsarbeit ist Zusammen­           nationale Forschung und Debatte zum The-
         arbeit: Diese erfordert ein zweck-          ma Interaktionsarbeit maßgeblich geprägt
         gerichtetes Zusammenwirken, eine            haben: Dies ist einerseits das Konzept der
         Ko-Operation der Interaktionsak-            dialogisch-interaktiven Erwerbsarbeit von
         teure. Daraus ergibt sich je nach           Winfried Hacker, welches seinen Ursprung
         konkreter Situation und Kontext eine        in der Arbeitspsychologie hat. Andererseits
         unterschiedlich stark ausgeprägte           zu nennen sind hier die arbeitssoziologi-
         gegenseitige Abhängigkeit. Qualität         schen Konzepte der interaktiven Arbeit von
         und Erfolg der Interaktion liegen           Wolfgang Dunkel und Margit Weihrich sowie
         damit nicht allein in der Hand des          der Interaktionsarbeit von Fritz Böhle – ur-
         Beschäftigten.                              sprünglich mitentwickelt von Jürgen Glaser
                                                     sowie später weiterentwickelt unter Mitar-
                                                     beit von Ursula Stöger und Margit Weihrich.
    Interaktionsarbeit im wissen-
    schaftlichen Diskurs                             In der internationalen wissenschaftlichen
                                                     Debatte konnten sich Konzepte der Interak-
    Die Charakteristika der Arbeit an und mit        tionsarbeit bislang kaum etablieren. Wenn-
    Menschen wurden bereits von verschiede-          gleich Interaktionsarbeit implizit in vielen
    nen Forschungsgruppen unterschiedlicher          Publikationen thematisiert wird, erfolgt oft-
    Disziplinen empirisch untersucht und kon-        mals keine explizite Benennung. Dennoch
    zeptionell näher beschrieben.                    spielt Interaktionsarbeit vor allem in zwei
                                                     anhaltenden Debatten eine große Rolle.
    Die Anfänge der Interaktionsforschung lie-       Zum einen in der transdisziplinären Debat-
    gen in den USA; die sogenannte Chicago           te zum Thema Emotional Labour, welche
    School – die Abteilung für Soziologie der Uni-   die Rolle von Gefühlen in Interaktionen mit
    versität Chicago – hat bereits in der Nach-      KundInnen thematisiert und durch das von
    kriegszeit Studien hervorgebracht, die die       der Soziologin Arlie Hochschild publizierte
    Besonderheiten von sozialen Interaktionen        Buch „The Managed Heart“ ausgelöst wur-
    in der Dienstleistungsarbeit hervorheben.        de. Das Buch zeigt anhand des Beispiels von
    Insbesondere sind hierbei die Arbeiten von       FlugbegleiterInnen auf, dass Beschäftigte
    Erving Goffman zu erwähnen.                      im Rahmen ihrer Tätigkeit ihre eigenen Ge-
                                                     fühle verschleiern müssen bzw. diese an die
    Ein wichtiger Meilenstein für die Forschung      geltenden „Gefühlsregeln“ ihrer Organisati-
    in Deutschland war eine Publikation von          on anpassen müssen. Zum anderen hat sich
    Bernhard Badura und Peter Gross aus dem          seit den 1990er Jahren eine Debatte zum
    Jahr 1977. Diese definiert Dienstleistungen      Thema Service Work entwickelt, die sich vor
    als soziale Angelegenheiten, die aus der         allem in der Soziologie und Sozioökonomie
    Ko-Produktion zwischen Beschäftigten und         verortet. Robin Leidners Buch „Fast Food,
Einführung in das Thema Interaktionsarbeit    9

Fast Talk“ hat den Begriff des Service Tri-      plinarität des Konzepts liegen – gleichwohl
angle bzw. Dienstleistungsdreiecks geprägt,      kann es als Indiz dafür verstanden werden,
welches Beschäftigte, Organisationen und         dass die Forschung und Debatte zum Thema
KundInnen als Hauptakteure im Dienstleis-        Interaktionsarbeit gestärkt werden sollte.
tungsprozess sieht. Überdies hat Marek
Korczynskis sozioökonomisches Konzept der
Customer-Oriented Bureaucracy – welches          Die Verbreitung und Veränderung
den Spagat zwischen Kundenorientierung           von Interaktionsarbeit
und betriebswirtschaftlicher Effizienz be-
tont – die Debatte maßgeblich beeinflusst.       Warum ist die menschengerechte Gestal-
Seine Argumentation beruht auf der These,        tung von Interaktionsarbeit ein wichtiges
dass die Präsenz von KundInnen innerhalb         Thema für die Zukunft der Arbeit?
des Dienstleistungsdreiecks alle Facetten
der Arbeitsorganisation und -gestaltung be-      Interaktionsarbeit hat in den vergangenen
einflusst.                                       Jahrzehnten in wissenschaftlichen und ge-
                                                 sellschaftlichen Diskussionen an Bedeutung
Generell lässt sich beobachten, dass es in       gewonnen. Welche Bedeutung Interaktions-
der nationalen und insbesondere in der in-       arbeit aktuell für viele Beschäftigte einnimmt,
ternationalen Debatte in verschiedenen           zeigt die Beschäftigtenbefragung DGB Index
Disziplinen eine Vielzahl wissenschaftlicher     „Gute Arbeit“ (2018): Etwa zwei Drittel aller
Arbeiten gibt, die soziale Interaktionen zwi-    Beschäftigten berichten, dass sie sehr häu-
schen Beschäftigten und KundInnen implizit       fig oder oft im direkten Kontakt zu KundIn-
thematisieren, ohne Interaktionsarbeit expli-    nen oder vergleichbaren betriebsexternen
zit in den Vordergrund zu stellen bzw. zu be-    Personengruppen stehen, also interaktive
nennen. Dies mag sowohl an der Komplexität       Tätigkeiten ausüben. Betrachtet man zu-
und Vielschichtigkeit als auch der Interdiszi-   sätzlich arbeitsbezogene Interaktionen mit
10   Interaktionsarbeit gestalten

     KollegInnen, berichten 89 % der Beschäf-      Pflege. Er kann aber auch eine Ergänzung zu
     tigten ohne Führungsverantwortung und         anderen Aufgaben sein, wie beispielsweise in
     96 % der Führungskräfte davon, häufig mit     technischen oder handwerklichen Berufen.
     anderen, auch betriebsinternen, Personen
     beruflich kommunizieren zu müssen (BIBB/      Im Zeitverlauf haben sich nicht nur die Ver-
     BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2018, eige-      breitung und Bedeutung von Interaktionsar-
     ne Auszählungen).                             beit verändert, sondern vielmehr auch die
                                                   Arbeit an und mit Menschen selbst. Entwick-
     Bislang wurde Interaktionsarbeit vorrangig    lungen in Politik, Gesellschaft und Technik
     dem Dienstleistungsbereich zugeordnet. Die    wirken sich auf die Interaktionsarbeit und
     Daten zeigen aber, dass interne wie externe   die Anforderungen an die Beschäftigten aus.
     Interaktionen auch außerhalb des tertiären    Man denke beispielsweise an Ereignisse wie
     Sektors, in praktisch allen Berufssegmenten   die Verbreitung von Geld- und Ticketauto-
     und Branchen bedeutsam sind. Dabei kann       maten, die Einführung der Fallpauschale im
     der direkte Kontakt zu KundInnen, Klien-      Gesundheitswesen oder die Zunahme von
     tInnen oder PatientInnen die Kernaufgabe      Callcentern.
     darstellen, wie etwa in der Beratung oder
Einführung in das Thema Interaktionsarbeit   11

Aktuelle Entwicklungen, denen das Begriffs-      ›› demografiebedingte Veränderungen und
verständnis, die Forschung wie auch die Ge-        zunehmende Diversität der Gesellschaft:
staltung von Interaktionsarbeit zukünftig          Durch die steigende Lebenserwartung
Rechnung tragen muss, ergeben sich bei-            sowie einer älter werdenden Gesellschaft
spielsweise durch:                                 werden neue Dienstleistungen und Ver-
                                                   sorgungssysteme für ältere Menschen,
›› den aktuellen technologischen Wandel:          aber auch längere Lebensarbeitszeiten
  Gerade interaktive Tätigkeiten verändern         erforderlich. Immer neue Anforderungen
  sich durch digitale Technologien zum Teil        an die Beschäftigten und deren Qualifizie-
  stark. Soziale Interaktionen finden zuneh-       rung ergeben sich im Kontext von Migra-
  mend digital vermittelt statt, z. B. über        tions- und Inklusionsprozessen beispiels-
  E-Mail, Messenger-Dienste oder Telefon,          weise durch unterschiedliche Sprachen
  dadurch wandeln sich teilweise ganze             und Wertvorstellungen oder den Umgang
  Tätigkeitsbereiche oder entstehen neu.           mit Menschen mit Behinderungen.
  Ebenso bietet der Einsatz neuer Techno-
  logien, wie z. B. die automatisierte Medika-   Jene Beispiele verdeutlichen, dass aktuelle
  mentenausgabe im Pflegebereich oder die        Entwicklungen die Arbeit an und mit Men-
  Chatfunktionen bei Kundenberatungen,           schen beeinflussen. Obgleich Entwicklungen
  Beschäftigten Chancen und Möglichkei­-         wie der technologische Fortschritt mit Ra­
  ten – stellen sie aber auch vor neue He­-      tionalisierungstendenzen einhergehen könn­-
  rausforderungen. Erste Studien deuten          ten, zeigt sich dennoch, dass Interaktionsar-
  darauf hin, dass Anforderungen durch den       beit nicht ohne weiteres ersetzbar ist. Viel-
  technologischen Wandel sowohl steigen          mehr unterliegt sie einem stetigen Wandel,
  als auch abnehmen können.                      der in der betrieblichen Praxis aktiv gestal-
                                                 tet werden sollte. Dies ist eine Aufgabe, der
›› Globalisierung: Durch eine wachsende         sich der 2019 gestartete Förderschwerpunkt
  globale Vernetzung von Arbeitsprozessen        „Arbeiten an und mit Menschen“ widmet.
  finden Interaktionen zunehmend zeitlich
  asynchron statt oder erfordern das Arbei-
  ten in den Rand- und Nachtzeiten. Außer-
  dem erfordern inter- und transkulturelle
  Kooperationen neue interaktive Kompe-
  tenzen, wie etwa Vorurteilsfreiheit oder
  Ambiguitätstoleranz.

›› gesellschaftlicher und arbeitsorganisato-
  rischer Wandel: Waren und Dienstleistun-
  gen werden zunehmend rund um die Uhr
  nachgefragt. Damit ändern sich die Erwar-
  tungen an interaktive Tätigkeiten, wie zum
  Beispiel an die Erreichbarkeit von Kunden-
  betreuerInnen. Darüber hinaus erfordern
  neue Formen der Zusammenarbeit wo-
  möglich agilere Organisationsformen und
  eine neue Intensität von Interaktionen.
  Dies gilt nicht nur innerbetrieblich, son-
  dern auch über- bzw. zwischenbetrieblich.
12   Interaktionsarbeit gestalten

2    Die Bedeutung
     der Interaktionsarbeit
     in der betrieb­lichen
     Praxis

     Wie sieht „gute Interaktionsarbeit“ in der      sich Beschäftigte in der Interaktionsarbeit
     Praxis aus? Wie können durch eine men-          konfrontiert sehen. Hier sind Unterneh-
     schengerechte Arbeitsgestaltung die Be-         mensleitungen, Beschäftigte und Interes-
     dürfnisse von Dienstleistungsgeber, Dienst-     sensvertretungen aufgefordert, gemeinsam
     leistungsnehmer und der Organisation in         Gestaltungsansätze zu finden, um die Arbeit
     Einklang gebracht werden?                       mit PatientInnen, KundInnen oder Klien-
                                                     tInnen gesundheitsförderlich zu gestalten.
     Interaktionsarbeit gut zu gestalten ist nicht   Gleichzeitig steht dabei auch immer die Qua-
     immer einfach. Voraussetzung für eine men-      lität der Dienstleistung im Mittelpunkt, denn
     schengerechte Gestaltung der Arbeit an          Interaktionsarbeit ist langfristig nur erfolg-
     und mit Menschen ist ein Verständnis dafür,     reich, wenn am Ende der Dienstleistungs-
     mit welchen besonderen Anforderungen            nehmer mit der Pflege, der Beratung oder
                                                     dem Verkaufsgespräch zufrieden ist.

                                                     Zwei Statements von Unternehmen und In-
                                                     teressenvertretung machen exemplarisch
                                                     deutlich, wo Ansatzpunkte für eine men-
                                                     schengerechte Gestaltung von Interaktions-
                                                     arbeit liegen.   Der Arbeitsschutz, das be-
                                                     triebliche Gesundheitsmanagement sowie
                                                     individuelle Beratungs- und Unterstützungs-
                                                     angebote tragen dazu bei, Beschäftigte in
                                                     der Interaktionsarbeit zu unterstützen und
                                                     den Umgang mit möglicherweise herausfor-
                                                     dernden Situationen zu erleichtern.
Die Bedeutung der Interaktionsarbeit in der betrieb­lichen Praxis   13

”
    Beschäftigte, die mit Kundschaft, Patientinnen, Klienten und vergleichbaren Gruppen
    arbeiten, sind besonderen Verletzlichkeiten ausgesetzt. Die tägliche Begegnung mit
    Leid, Aggressionen und Unberechenbarkeiten wird von ihnen oft als schwer belastend
    empfunden. Die Pflicht, nach Arbeitgeber-Vorgaben zu handeln, die sie als mensch-
    lich unangemessen empfinden, führt häufig zu inneren Konflikten. Überdurchschnittlich
    groß ist unter ihnen aber auch der Anteil der körperlich schwer Arbeitenden.

    Dies alles wissen wir aus unserer betrieblichen Praxis und aus Beschäftigtenumfragen
    u. a. mit dem DGB-Index Gute Arbeit. ver.di-Leitlinie ist dabei, die Beschäftigten nicht
    als Objekt von Beobachtung zu behandeln, sondern als Dialogpartner in die Erarbei-
    tung von Wissen und Lösungen einzubeziehen. Bislang hat die Interaktionsarbeit in der
    Arbeitsforschung, aber auch im Arbeitsschutzhandeln nicht die nötige Aufmerksamkeit
    gefunden. Dass sich dies jetzt ändern soll, findet in der Perspektive Gute Arbeit unsere
    volle Unterstützung.

    Martina Rößmann-Wolf, Vorsitzende des ver.di-Gewerkschaftsrats

”   Für die Beschäftigten der REWE Group haben wir eine Reihe von gesundheitsförder­
    lichen Angeboten zusammengestellt, die zu einem respektvollen und wertschätzenden
    Umgang im Arbeitskontext beitragen und ein positives Arbeitsumfeld schaffen.

    Wir stellen den Mitarbeitenden daher ein umfassendes Beratungsangebot im beruf-
    lichen und privaten Kontext zur Verfügung, welches einerseits durch interne Unter-
    stützungsmöglichkeiten, andererseits durch professionelle Beratung in verschiedenen
    Lebenslagen abgebildet wird (medizinische und psychosoziale Beratung, Kinderbetreu-
    ung, Pflege, Sucht, Arbeitssicherheit etc.). Hierbei werden die Bedarfe und Probleme
    der Mitarbeitenden erkannt und in einem vertrauensvollen Umfeld angegangen.

    Einen gebündelten Zugang zu allen Maßnahmen bietet unsere Gesundheitsplattform
    Gemeinsam.topfit, die den Mitarbeitenden ermöglicht, sich allumfassend mit ihrer phy-
    sischen und mentalen Gesundheit interaktiv auseinanderzusetzen. Mit diesen Angebo-
    ten legt die Rewe Group einen wichtigen Grundstein für gelingende Interaktionsarbeit.

    Bianca van Wijnen, CoE Gesundheit & Innovation, REWE Group
14   Interaktionsarbeit gestalten

3    Der Förderschwerpunkt
     „Arbeiten an und mit
     Menschen“

     Im Förderschwerpunkt des Bundesminis-          mit KollegInnen und Vorgesetzten stellt den
     teriums für Bildung und Forschung (BMBF)       wesentlichen Gegenstand der Arbeit dar.
     „Arbeiten an und mit Menschen“ steht Ar-
     beit mit direkter Interaktion im Fokus. Das    Der Förderschwerpunkt ist als Teil des Dach-
     menschliche Miteinander zwischen Beschäf-      programms „Innovationen für die Produkti-
     tigten und ihren KundInnen, KlientInnen oder   on, Dienstleistung und Arbeit von morgen“
     PatientInnen, aber auch organisationsintern    eingebettet in die Hightech-Strategie der
Der Förderschwerpunkt „Arbeiten an und mit Menschen“                 15

Bundesregierung. Neue Technologien, dar-
unter insbesondere die Digitalisierung von         Historische Einordnung des
Produktions- und Dienstleistungsprozessen,         Förderschwerpunktes
verändern die Arbeitswelt und damit die Ar-
beitsbedingungen der Beschäftigten. Durch          Die Ziele und Herausforderungen des Förderschwer-
neue Technologien entstehen auch neue              punktes „Arbeiten an und mit Menschen“ lassen sich
Formen der Interaktion und Kommunikation           in eine historische Perspektive einbetten. Im Rahmen
zwischen Menschen innerhalb und außer-             des Programms „Humanisierung des Arbeitslebens“
halb der eigenen Organisation. Diese Inter-        (HdA), das bereits 1974 startete und in dessen Rah-
aktion erfolgt klassisch im direkten Kontakt       men circa 1.600 Projekte gefördert wurden, wurden
miteinander (live oder technisch vermittelt).      deutliche Fortschritte bezüglich guter Arbeitsbedin-
Aber auch die Mensch-Maschine-Interakti-           gungen erzielt sowie Beiträge für verbesserte Sicher­
on stellt durch selbstlernende Systeme und         heit und Gesundheit der Beschäftigten geleistet.
künstliche Intelligenz neue Herausforderun-        In einem Punkt zeigt sich aber eine grundlegende
gen an die Unternehmen und Beschäftigten.          Herausforderung der Arbeitsgestaltung, die auch
Dieser Wandel von Wirtschaft und Arbeits-          heute noch besteht, nämlich das Spannungsverhält­-
welt betrifft Produkte und Dienstleistungen        nis zwischen Rationalisierung und Humanisierung.
sowie Produktions- und Arbeitsprozesse. Er         Während es zu Zeiten des Programms HdA primär
hat gleichermaßen Auswirkungen auf Be-             um Fließbandarbeit und Faktoren wie Lärm, Staub
triebsstrukturen sowie Arbeitsverhältnisse         und Monotonie in der Produktion ging, stehen Inter­
und -tätigkeiten. Um Wissenschaft und Wirt-        aktionsarbeitende heute vor der Herausforderung,
schaft bei der Erforschung und praktischen         ökonomische Kennzahlen zu erreichen und gleich­
Bewältigung dieser Herausforderungen zu-           zeitig KundInnen und ähnliche Gruppen zufrieden
sammenzuführen und zu unterstützen, för-           zu stellen. Dieses Spannungsverhältnis von wirt-
dert das BMBF derzeit drei Programmlinien:         schaftlichem Erfolg, Kostendruck und den Ansprü-
„Forschung für Produktion“, „Forschung für         chen der KundInnen und DienstleisterInnen an „gute
Dienstleistung“ und „Zukunft der Arbeit“.          Interaktionsarbeit“ spielt in allen Verbund­projekten
Diese drei Linien sind nicht getrennt vonei-       mehr oder minder explizit eine Rolle, um eine nach-
nander zu betrachten; sie integrieren viel-        haltige und menschengerechte Gestaltung von In-
mehr auch immer maßgeblich Fragestellun-           teraktionsarbeit in den Modellbetrieben und darüber
gen der anderen Bereiche.                          hinaus leisten zu können.

Der Förderschwerpunkt „Arbeiten an und             Ein direkter Bezug des aktuellen Förderschwerpunk-
mit Menschen“ ist Teil der Programmlinie           tes besteht zum Rahmenkonzept „Forschung für die
„Zukunft der Arbeit“, der es Unternehmen           Produktion von morgen“ und den Projektfördermaß-
und Forschungseinrichtungen ermöglicht,            nahmen Anfang der 2000-Jahre an. Hier wurden
mit innovativen Forschungsprojekten aktiv          bereits erste Vorhaben gefördert, die die Rolle von In-
die Zukunft unserer Arbeitswelt mitzuge-           teraktionsarbeit, insbesondere in der Dienstleistungs-
stalten. Im Förderschwerpunkt „Arbeiten an         wirtschaft, in den Blick nahmen. Der bereits vielfach
und mit Menschen“ sollen Ansätze zur Neu-          angesprochene Wandel der Arbeit führt jedoch dazu,
gestaltung von Abläufen und Prozessen              dass sich Berufe und Branchen in den letzten 15 Jah-
bei Interaktionsarbeit entwickelt werden,          ren zum Teil so grundlegend verändert haben, dass
um auch in Zukunft eine gute Arbeit an und         auch viele der interaktiven Tätigkeiten heutzutage
mit Menschen zu ermöglichen. Diese Ansät­          unter ganz anderen Bedingungen stattfinden, so dass
ze werden in der betrieblichen Praxis pilot­       sich neue Herausforderungen für die Arbeitswissen-
haft erprobt und breitenwirksam weiterent­         schaften und -gestaltung ergeben.
wickelt.
16                           Interaktionsarbeit gestalten

Inhaltliche Schwerpunkte     Im August 2017 veröffentlichte das BMBF
der Verbundprojekte:         die Richtlinie zur Förderung von Maßnah-           Die Verbundprojekte widmen
Arbeitsorganisation,         men für den Schwerpunkt „Zukunft der               sich verschiedenen Beschäftigten-
Arbeits- und Beschäf-        Arbeit: Arbeiten an und mit Menschen“.             gruppen, Berufs­gruppen,
tigungsbedingungen,          Die Bewilligung einer Vielzahl von Vor­            Branchen bzw. Anwendungsfeldern,
Führung, emotionale          haben, die neue Konzepte, Modelle und              unter anderem:
Anforderungen, Respekt,      Strategien im Zusammenhang mit Arbeit
Arbeitsunterbrechungen,      in Interaktion mit Menschen initiieren,            › Anwaltschaft
Kompetenzentwicklung,        entwickeln und gestalten, erfolgte in den          › 	 Arbeitsvermittlung
Prozessoptimierung,          Jahren 2019 und 2020. Gefördert werden             › 	Ehren- und Hauptamtliche in
Schnittstellen­management,   18 Verbundprojekte und das wissenschaftli-            Non-Profit-Organisationen
Integra­tion, Dienstleis­    che Metaprojekt InWiGe. Das Projektvolumen         › 	 Einzelhandel
tungsnetzwerke, Anti-        im Förderschwerpunkt (entstehende Kosten           › 	 Führungskräfte
Effizienz, Technikakzep-     aller Projekte) liegt bei 45,2 Mio. Euro, die      › 	 Gastronomie
tanz und Digitalisierungs­   Förderung umfasst 37,1 Mio. Euro durch das         › 	 Kindertageseinrichtungen
strategie.                   BMBF und teilweise mit Kofinanzierung aus          › 	 Kundenservice
                             dem Europäischen Sozialfonds (ESF).                › 	 Logistik und Auslieferung
                                                                                › 	 Öffentliche Verwaltung
                             So bunt und vielfältig wie die Interakti-          › 	 Pflege
                             onsarbeit selbst sind auch die Projekte im         › 	 Polizeidienst
                             Förderschwerpunkt. Mit ihrer interdiszipli­        › 	Produzierendes Gewerbe und
                             nären, inhaltlichen und methodischen Hete­-           technische Dienstleistungen
                             ro­genität sowie ihren verschiedenen An-           › 	 Psychosoziale Beratung
                             wendungsfeldern, Ziel- und Fragestellungen         › 	 Softwareentwicklung
                             spiegeln sie die vielfältigen Perspektiven auf     › 	Soziale Arbeit / Dienstleister
                             und Facetten von Interaktionsarbeit wider.         › 	 Unternehmensberatung
                                                                                › 	Weitere Versorgungs- und
                             Die Diversität zeigt sich auch an den unter-          Gesundheitsdienstleistungen
                             schiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen,
                             die am Förderschwerpunkt beteiligt sind.
                             Aus Natur-, Geistes- und Sozialwissenschaf-      Dabei stehen die drei Schwerpunkte der
                             ten sind dies neben vielen anderen die Psy-      Förderrichtlinie im Fokus:
                             chologie und Soziologie, Arbeits- und Dienst-    ›› Entwicklung von Methoden und Instru-
                             leistungswissenschaften sowie Ingenieur-,          menten für die Arbeit an und mit Men-
                             Informations- und Kommunikationswissen-            schen im digitalen Wandel,
                             schaften. Obwohl sich die Perspektiven auf       ›› Gestaltung und prozessbegleitende Ana-
                             Interaktionsarbeit zwischen den einzelnen          lyse von Geschäftsmodellen der interakti-
                             Fachgebieten unterscheiden, bestehen den-          ven Arbeit sowie
                             noch Überschneidungen bei den für Interak-       ›› neue Formen der Organisation innerbe-
                             tionsarbeit wichtigen Konzepten und Inhal-         trieblicher Zusammenarbeit und Führung.
                             ten, die in den Projekten näher betrachtet
                             werden. Im Zentrum der Verbundprojekte           Gemeinsam verfolgen sie das übergeord-
                             steht grundsätzlich Interaktionsarbeit und       nete Ziel des Forschungsschwerpunktes:
                             deren Gestaltung als Basis der zu erbringen-     neue Konzepte, Modelle und Strategien im
                             den Qualität der Dienstleistung.                 Zusammenhang mit Arbeit in Interaktion
                                                                              mit Menschen initiieren, entwickeln und
                                                                              gestalten.
Der Förderschwerpunkt „Arbeiten an und mit Menschen“   17

Der Förderschwerpunkt in Zahlen

 5 Jahre                                               Projektvolumen
 Laufzeit
 1. April 2019 – 30. April 2024
                                                       45,2 Mio. Euro
 (i. d. R. 3 Jahre Projektlaufzeit)                    davon 37,1 Mio. Euro
                                                       BMBF-Förderung
                                                       mit tlw. ESF-Kofinanzierung

 19 Forschungs-                                        101
 projekte                                              Verbundpartner
 1                                                     (2–8 Verbundpartner pro Projekt)
 wissenschaftliches Metaprojekt
 18                                                    34
 Verbundprojekte                                       wissenschaftliche Partner
                                                       52
                                                       Praxispartner

 3 Fokusgruppen
                                                       15
                                                       sonstige Partner
                                                       28
                                                       bereits assoziierte Partner
                                                       ohne Förderung

 52 Standorte                                          mehr als           200
                                                       involvierte
                                                       Personen

 über     18                                           20 beteiligte
 Berufsgruppen, Branchen                               wissenschaftliche
 bzw. Anwendungsfelder                                 Disziplinen / Fachgebiete
18                        Interaktionsarbeit gestalten

                          Landkarte zum Förderschwerpunkt

                                                                     Hamburg

                                  Oldenburg                                     Ludwigslust
                                              Bremen

                                                           Hannover                                            Berlin
                                                                 Sehnde           Magdeburg
                            Rheine
                              Greven
                                         Bielefeld                           Halberstadt
            Coesfeld          Münster
                                        Verl                                 Quedlinburg
      Recklinghausen               Beckum
                     Herne       Hamm                           Göttingen
           Bottrop
              Essen
                                 Dortmund
                       Bochum                                                                       Leipzig
        Duisburg    Witten    Hagen
     Düsseldorf            Schwelm
                       Wuppertal                                                                                  Dresden
                                                                                   Jena
              Aachen

                                      Eschborn
                                               Rodenbach
                          Frankfurt                                                    Bayreuth
                                             Mühlheim
                          am Main

                       Saarbrücken
                                       Karlsruhe
                                               Kornwestheim
                                                  Stuttgart
                                                         Esslingen          Augsburg                Hutthurm

                                                                                           Unterföhring
                                                                 Stadtbergen
                                  Freiburg                                             München
                                    Tengen
                                          Konstanz                                     Geretsried
                                                         Friedrichshafen

                              Praxis- und sonstige Partner            Wissenschaftliche Partner
Der Förderschwerpunkt „Arbeiten an und mit Menschen“   19

Wissenschaftliches Metaprojekt                 InWiGe nimmt damit im Förderschwerpunkt
des Förderschwerpunktes –                      eine Doppelrolle ein:
Doppelrolle von InWiGe
                                               ›› Zum einen systematisiert InWiGe den
Wie in anderen umfangreichen Förderpro­          Forschungsstand zur Interaktionsarbeit
grammen mit einer Vielzahl einzelner Vor-        auf der Basis der vorhandenen Literatur,
haben üblich, wird vom Bundesministerium         den aktuellen Ergebnissen der Verbund-
für Bildung und Forschung (BMBF) auch im         projekte, quantitativer Reanalysen sowie
Förderschwerpunkt „Arbeiten an und mit           einer eigenen, vergleichenden Studie. Ziel
Menschen“ neben 18 verschiedenen Ver-            ist es, die Entstehung und Wirkung von
bundprojekten ein übergeordnetes Vorha-          Arbeitsbedingungen in der Interaktions-
ben gefördert: das wissenschaftliche Meta­       arbeit besser zu verstehen und daraus
projekt „Interaktionsarbeit: Wirkungen und       wissensbasierte Handlungsempfehlungen
Gestaltung des technologischen Wandels“          abzuleiten. In diesem Sinne leistet InWiGe
(InWiGe).                                        quasi als 19. Verbundprojekt einen eige-
                                                 nen wissenschaftlichen Beitrag zum För-
Für den Förderschwerpunkt „Arbeiten an           derprogramm „Arbeiten an und mit Men-
und mit Menschen“ übernimmt die Bun-             schen“. Diese Forschungsleistung ist auf
desanstalt für Arbeitsschutz und Arbeits-        den folgenden Seiten im Projektsteckbrief
medizin (BAuA) gemeinsam mit ihrem Pro-          näher beschrieben.
jektpartner, dem Internationalen Institut
für Empirische Sozialökonomie (INIFES)         ›› Zum anderen – und darum geht es insbe-
gGmbH, im Rahmen von InWiGe die Rolle            sondere in diesem Abschnitt – übernimmt
des wissenschaftlichen Metaprojektes. Ne-        das Metaprojekt die Rolle eines Dienst-
ben eigenen wissenschaftlichen Arbeiten ist      leisters für die Verbundprojekte und da-
es eine zentrale Aufgabe, die 18 Verbundpro-     mit übergeordnete Aufgaben im Förder-
jekte des Förderschwerpunktes in ihrer Zu-       schwerpunkt. Diese beiden Rollen sind
sammenarbeit zu unterstützen sowie einen         natürlich nicht voneinander losgelöst,
nachhaltigen Transfer der Ergebnisse des         sondern hängen eng zusammen.
Förderschwerpunktes in Gesellschaft, Politik
und Wirtschaft zu gewährleisten.
20                         Interaktionsarbeit gestalten

          Kernziele von
             InWiGe als       Forschung                                      Vernetzung
     wissenschaft­lichem
                              Nationale Debatte stärken,                     Nachhaltige Vernetzung
            Metaprojekt
                              internationale Debatte                         im Förderschwerpunkt und
                              initiieren                                     darüber hinaus

                              Gestaltung                                     Transfer
                              Gestaltungswissen für                          Kommunikation der Ergeb­nisse
                              die betriebliche Praxis                        des Förderschwerpunktes an
                              aufarbeiten                                    verschiedene Zielgruppen

                           Die wesentlichen Ziele von InWiGe als wis-       Um die dafür erforderliche Kommunika-
                           senschaftlichem Metaprojekt lassen sich in       tion und Kooperation innerhalb des För-
                           die vier eng miteinander verknüpften Berei-      derschwerpunktes zu ermöglichen und zu
                           che Forschung, Vernetzung, Gestaltung und        begleiten, bietet InWiGe unterschiedliche
                           Transfer einteilen.                              Formate für die Zusammenarbeit an.
                                                                            Kernstück sind die drei Fokusgruppen (sie-
                           ›› Der Bereich „Forschung“ leistet analy-       he Kapitel 4) sowie förderschwerpunktin-
                             tische, konzeptionelle und empirische          terne Veranstaltungen und die Arbeit an
                             Beiträge zur Erforschung der Arbeitsbe-        gemeinsamen Produkten. Durch die Co-
                             dingungen in der Interaktionsarbeit. Ziel      rona-Krise haben sich zunächst vor allem
                             ist es, eine Taxonomie zur Erklärung der       virtuelle Formate bewährt. Zudem fördert
                             Entstehung und Wirkung von Arbeitsbe-          InWiGe die Vernetzung über den Förder­
                             dingungen bei der Arbeit an und mit Men-       schwerpunkt hinaus, beispielsweise wer­
                             schen abzuleiten.                              den Ergebnisse in Fachdiskussionen ver­
                                                                            schiedener Zielgruppen eingebracht. Ziel
                           ›› Das Ziel „Gestaltung“ ist, auf Basis der     ist der Aufbau eines nachhalti­­gen „Kom-
                             wissenschaftlichen Ergebnisse eine Tool­-      petenznetzwerkes Interaktionsarbeit“.
                             box mit Instrumenten zur Analyse und
                             Gestaltung von Interaktionsarbeit für die    ›› Diese Aktivitäten unterstützen ebenfalls
                             betriebliche Praxis zu entwickeln. Beide       die Aufgaben im Bereich „Transfer“. Hier
                             Elemente – d. h. Taxonomie und Toolbox –       geht es InWiGe um die Aufbereitung
                             dienen gleichzeitig sowohl der Integration     und Verbreitung projektübergreifender
                             als auch der Synthese der in den Verbund­-     Schlussfolgerungen und um aktive Öffent-
                             projekten entwickelten Konzepte, Modelle       lichkeitsarbeit. Ziel von InWiGe ist es, die
                             und Produkte. Sie tragen somit zur Ver-        breite Verwertung der entwickelten Kon-
                             bindung der Ergebnisse der einzelnen Ver-      zepte und Produkte in Gesellschaft, Politik
                             bundprojekte bei. Auf diese Weise er­mög-      und betriebliche Praxis zu fördern. Der
                             licht InWiGe die Verknüpfung der Hand-         vorliegende Projektatlas, Veranstaltungen
                             lungsbereiche der Förderrichtlinie und die     und die Webseite des Förderschwerpunk-
                             transdisziplinäre Zusammenführung zu ei-       tes (www.interaktionsarbeit.de) sowie
                             nem übergreifenden Gesamtbild.                 Social-Media-Angebote tragen dazu bei,
                                                                            die Strahlkraft der einzelnen Verbundpro-
                           ›› Die „Vernetzung“ aller Akteure ist eine      jekte sowie des Förderschwerpunktes zu
                             wesentliche Voraussetzung um Einzeler-         erhöhen.
                             kenntnisse zusammenführen zu können.
21

Steckbriefe
Die Projekte stellen sich vor
                                4
22                Interaktionsarbeit gestalten

     InWiGe – Interaktionsarbeit:
     Wirkungen und Gestaltung des
     technologischen Wandels

                                                               Verständnis von Interaktionsarbeit
                                                               InWiGe versteht unter Interaktionsarbeit ei-
                          inter                                nen sozialen Aushandlungsprozess im Rah-
                          aktions
                          arbeit
                                                               men der Erwerbsarbeit, in dem Menschen
                          gestalten                            miteinander agieren, um bestimmte Ziele zu
                                                               erreichen. Der Fokus des Forschungsvorha-
                                                               bens liegt auf den Beschäftigten und inter-
                                                               aktiven Arbeitstätigkeiten: Tätigkeiten, bei
                                                               denen an und mit Menschen gearbeitet wird.
      Laufzeit: 01.04.2019 bis 31.03.2023
                                                               Dabei konzentriert sich InWiGe auf die Inter-

      Koordinator: Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
                                                               aktionsarbeit mit betriebsexternen Personen,
      Arbeitsmedizin                                           bei der ein direkter Kontakt zwischen den
                                                               Beschäftigten und den PatientInnen, Kun­-
      Wissenschaftliche Partner: Internationales Institut      ­d­Innen, KlientInnen und BürgerInnen besteht.
      für Empirische Sozialökonomie gGmbH
                                                               Motivation
      Anwendungsfelder: Fachhandel, Gastronomie,
                                                               Soziale Interaktionen am Arbeitsplatz wer-
      Anwaltschaft, Unternehmensberatung, Polizeidienst,
                                                               den in der wissenschaftlichen und gesell-
      Arbeitsvermittlung, Altenpflege
                                                               schaftlichen Debatte wie auch in der Arbeits-
      Forschungs- und Entwicklungsmethodik:                    welt bislang kaum bei der Gestaltung von
      Qualitative, halbstandardisierte Interviews und offene   Arbeit berücksichtigt. Bisher liegen zumeist
      Beobachtungen, quantitative Sekundärdatenanalysen        berufsspezifische und beschreibende Arbei-
                                                               ten vor, die eher selten allgemeine, übergrei-
      Angestrebte Produkte: Taxonomie zur Interaktions­        fende Charakteristika von Interaktionsar-
      arbeit, Toolbox mit Gestaltungsinstrumenten,             beit abbilden. Der Forschungsstand zu den
      Handlungsleitfaden
                                                               Arbeitsbedingungen bei Interaktionsarbeit
                                                               sowie zur Frage, was diese beeinflusst und
      Schlagworte: Arbeitsbedingungen, Kontextualisie-
      rung, Gesundheit, Arbeitsgestaltung, vergleichende       wie sich die Besonderheiten interaktiver Tä-
      Studie                                                   tigkeiten auf die Beschäftigten auswirken, ist
                                                               entsprechend heterogen und fragmentarisch.
      Kontakt: Dr. Nadja Dörflinger                            InWiGe sieht Interaktionsarbeit als besonde-
      Bundesanstalt für Arbeitsschutz und                      re Form der Arbeit (vor allem in Abgrenzung
      Arbeitsmedizin (BAuA)                                    zur klassischen Produktionsarbeit), die mit
      Friedrich-Henkel-Weg 1 – 25
                                                               spezifischen Anforderungen an und Wirkun-
      44149 Dortmund
                                                               gen auf Beschäftigte einhergeht. Sie bedarf
      Telefon 0231 90712710
      E-Mail inwige@baua.bund.de
                                                               einer besonderen Analyse und Gestaltung, da
                                                               Interaktionsarbeit von immer mehr Beschäf-
      Weblink: www.interaktionsarbeit.de                       tigten in praktisch allen Berufsfeldern geleis-
                                                               tet wird. Ziel von InWiGe ist es daher, durch
                                                               eigene Forschungsarbeiten ein Konzept von
                                                               Interaktionsarbeit systematisch zu fundieren,
InWiGe – Interaktionsarbeit: Wirkungen und Gestaltung des technologischen Wandels                                       23

”   Mit InWiGe wollen wir die nationale Debatte zu
    Interaktionsarbeit stärken und die internationale anstoßen.
    Zitat einer Projektbeteiligten / Dr. Nadja Dörflinger

arbeitswissenschaftlich gesicherte Erkennt-                 das Projektteam verschiedene Stakeholder         Schon gewusst?
nisse zur Gestaltung von Interaktionsarbeit                 dabei unterstützen, die Arbeit an und mit        Zur BAuA gehört die einzig­
zu generieren und Empfehlungen zur Regu-                    Menschen    zukünftig    menschengerechter       artige Arbeitsweltausstel-
lierung von Interaktionsarbeit zu liefern.                  gestalten zu können.                             lung DASA in Dortmund,
                                                                                                             in der Arbeit interaktiv
Nutzen                                                      Forschungsfragen                                 erfahren werden kann –
InWiGe trägt dazu bei, den Wissensstand zu                  ›› Wie entstehen Arbeitsbedingungen bei         ein Besuch lohnt sich
den Arbeitsbedingungen bei Interaktion­                       der Interaktionsarbeit bzw. was beein-         immer.
sarbeit sowie deren Entstehung und Wir-                       flusst Arbeitsbedingungen bei der Inter-
kungen zu systematisieren und durch ei-                       aktionsarbeit?
gene Arbeiten weiter auszubauen. Neben                      ›› Wie wirken sich die Besonderheiten der In-
Tätigkeitsmerkmalen         und      Ausführungs­             teraktionsarbeit auf die Beschäftigten und
bedingungen der Arbeit bezieht das Team                       deren Gesundheit aus? Wie gehen diese
gesellschaftliche, nationale, sektorale und                   damit um?
organisationale Rahmenbedingungen ein,                      ›› Wie kann Interaktionsarbeit menschen­
die für die Sicherheit und Gesundheit bei                     gerecht gestaltet werden (auch im Hin-
der Arbeit von Bedeutung sind. Relevante                      blick auf den digitalen Wandel)?
berufs- und branchenübergreifende Faktoren
und Kontexte für die Analyse und Gestaltung
von Interaktionsarbeit werden berücksichtigt,
um die Entstehung und Wirkung von Arbeits­                    Zentrale Botschaft:
bedingungen besser verstehen und erklären                     Bei der Analyse und Gestaltung der Ar-
zu können. Im Zentrum des Vorhabens steht                     beit an und mit Menschen sollten stär-
die Entwicklung einer Taxonomie der Interak-                  ker branchen- und berufsübergreifende
tionsarbeit auf Basis eines induktiven Vorge-                 Tätigkeitsmerkmale und Arbeitsbedin-
hens mit Literaturanalysen (Reviews), quanti-                 gungen bei Interaktionsarbeit in den
tativen Reanalysen vorhandener Datensätze                     Blick genommen werden. Übergreifende
und eigenen qualitativen Datenerhebungen.                     Kontextfaktoren sowie konkrete Ausfüh-
Damit möchte das InWiGe-Team bisherige                        rungsbedingungen am Arbeitsplatz sind
Forschungslücken schließen und einen theo-                    hierbei zentrale Ansatzpunkte.
retischen und analytischen Beitrag zum Ver-
ständnis von Interaktionsarbeit leisten.

Für die betriebliche Praxis werden darauf
aufbauend ein Handlungsleitfaden und eine
Toolbox mit Instrumenten zur Analyse und
Gestaltung von Interaktionsarbeit entwi-
ckelt, in die auch die Ergebnisse aus den Ver-
bundprojekten mit einfließen. Diese werden
digital aufbereitet und über die Webseite des
Förderschwerpunktes verbreitet. Damit will
24   Interaktionsarbeit gestalten

     Interaktion innerhalb des
     Förderschwerpunktes –
     Die Fokusgruppen

     Um den Austausch der 18 Verbundprojek-           Das Konzept für die inhaltliche Strukturie-
     te untereinander leichter zu ermöglichen,        rung der Fokusgruppen orientiert sich am
     hat das Metaprojekt InWiGe ein Konzept           Dienstleistungsdreieck: Hierbei handelt es
     zur Interaktion innerhalb des Förder-            sich um ein Modell, das die Beziehungen der
     schwerpunktes entwickelt: Für eine ver-          beteiligten Akteure – Dienstleistungsgeber,
     tiefte Bearbeitung relevanter Themen-            -nehmer und Organisation – in den Fokus
     felder und eine intensivere Vernetzung           von Dienstleistungsarbeit stellt und struk-
     ähnlicher Verbundprojekte und fachlicher         turiert abbildet. Entsprechend der sektoren-
     Expertisen hat sich die Zusammenar-              und branchenübergreifenden Verbreitung
     beit in kleineren Gruppen – sogenannten          von Interaktionsarbeit sowie der Konzep-
     Fokus­gruppen – bewährt.                         tion des Förderschwerpunktes wird für die
                                                      Fokusgruppen ein weites Verständnis des
     Die Fokusgruppen sind im Förderschwer-           Modells zugrunde gelegt, das sich nicht auf
     punkt „Arbeiten an und mit Menschen“ ein         den Dienstleistungssektor beschränkt. Jede
     Instrument, um Kompetenzen und Exper-            der drei Fokusgruppen stellt jeweils eine Sei-
     tisen sinnvoll zu bündeln und in kleineren       te des Dienstleistungsdreiecks ins Zentrum,
     festen Gruppen intensiver an konkreten           berücksichtigt jedoch ebenfalls die Interde-
     ausgewählten Fragestellungen zu arbeiten.        pendenzen innerhalb des Dreiecks. Diese
     Darüber hinaus sollen sie einen projektüber-     Systematik greift außerdem die drei bereits
     greifenden Wissenstransfer zwischen den          genannten Themenfelder im Förderschwer-
     Verbundprojekten im Förderschwerpunkt            punkt „Arbeiten an und mit Menschen“ auf.
     und mit dem Metaprojekt ermöglichen.             Die Verbundprojekte haben sich in Abspra-
                                                      che mit dem Metaprojekt InWiGe einer der
     InWiGe möchte mit den Fokusgruppen Syn-          drei thematischen Fokusgruppen zugeordnet.
     ergien nutzbar machen und einen Mehrwert
     für alle Beteiligten schaffen, indem Ergebnis-   Die Fokusgruppe 1 „Direkte Interaktion“
     se gebündelt und in ein Gesamtbild integriert    betrachtet die Interaktion zwischen Dienst-
     werden. Darüber hinaus dienen die Fokus-         leistungsnehmer und Dienstleistungsgeber
     gruppen den Projektbeteiligten auch als Aus-     auf der Tätigkeits- und Interaktionsebene.
     tauschforum für Erfahrungen und Heraus-          Im Vordergrund stehen Maßnahmen und
     forderungen in der Projektarbeit – wie z. B.     Instrumente, die auf die konkrete Gestal-
     durch die Corona-Pandemie – sowie dem Tei-       tung der persönlichen Interaktion zwischen
     len gefundener Lösungen. Kern der Fokus­         Beschäftigten und KundInnen, PatientInnen
     gruppenarbeit sind halbjährlich stattfinden-     und KlientInnen abzielen. Themen sind hier
     de Treffen aller Mitglieder. Die Ergebnisse      beispielsweise das Management von Arbeits-
     der Zusammenarbeit werden u. a. bei der          unterbrechungen, die Entwicklung und der
     Abschlussveranstaltung des Förderschwer-         Einsatz von smarten Datenbrillen, die Ein-
     punktes präsentiert und diskutiert.              führung und Nutzung einer Emotionserken-
                                                      nungs-App oder die Bedeutung von Respekt
                                                      in der Interaktionsarbeit.
Interaktion innerhalb des Förderschwerpunktes – Die Fokusgruppen               25

Fokusgruppenkonzept: das „Dienstleistungsdreieck“

                                                          DigiLab NPO

                                                         ProDigA           PRIME.

                                                                                               2
                                                                                    TOAB
                                                               SO-SERVE
                                   Organisation
                                                                                  VISITS        Zwischenbetriebliche
              ella4.0
                                                        Fok                                     Interaktionsarbeit –
                                                           u sgr                                Zusammenarbeit von
                                                                 u  pp
                                                                          e2                    Dienstleistern
       InkluServ
                                pe 3

                                               inter
              KomIn
                                    p

                                               aktions
                                sgru

                                                                                       Dienst­
    KILPaD
                                               arbeit                                  leistungs­
                            Foku

                                               gestalten                               nehmer
       teamIn
                                                                      1
                                                               uppe
                                                           sgr
                                                                                               1
                                                        ku

3
Die Bedeutung
                        Dienst­
                        leistungs­­
                                                     Fo                        AnEffLo

                                                                      Digitaler Engel          Direkte Interaktion
von Kompetenz­          geber                                                                  zwischen Dienst­
                                                        INSTANT                 GIDA           leistungsgeber und
entwicklung und
                                                                                               Dienstleistungsnehmer
Führung für die                                     PARCURA               UMDIA
Interaktionsarbeit –
die innerbetriebliche                                  RespectWork
Perspektive

Die Fokusgruppe 2 „Zwischenbetriebliche                   In Fokusgruppe 3 „Innerbetriebliche Inter-
Interaktion“ konzentriert sich auf die über-              aktion“ stehen Kompetenzentwicklung und
bzw. zwischenbetriebliche Ebene sowie die                 Führung sowie mögliche Gestaltungsansät­-
Integration der KundInnen, PatientInnen und               ze auf innerbetrieblicher Ebene im Mittel­
KlientInnen in Dienstleistungsprozesse. Da-               punkt. Zentral wird hier die Frage sein,
mit steht einerseits die Interaktion zwischen             welche Be­deutung Führung und Kompe-
verschiedenen Dienstleistern und anderer-                 tenzentwicklung in der Interaktionsarbeit
seits die Interaktion von Organisationen und              einnehmen und wie sie sich auf die Arbeits-
Dienstleistungsnehmern im Mittelpunkt. Ein                und Beschäftigungsfähigkeit auswirken. Be-
wesentliches Interesse besteht in der Orga-               zogen auf das Dienstleistungsdreieck steht
nisation und Unterstützung von Dienstleis-                insbesondere der Beschäftigte als Dienst-
tungsnetzwerken und in der Gestaltung von                 leistungsgeber im jeweiligen Organisations-
verschiedenen      Schnittstellen.         Außerdem       kontext im Zentrum.
geht­ es um die Entwicklung von geeigneten
Geschäftsmodellen und die Frage, wie Kun-
dInnen, PatientInnen und KlientInnen aktiv
in Geschäfts- bzw. Arbeitsprozesse integriert
werden können.
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