Welt SEPT.-NOV.2020 C5178 - Nordkirche weltweit

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Welt SEPT.-NOV.2020 C5178 - Nordkirche weltweit
welt         SEPT. – NOV. 2020   C 51 78
                                          Schwerpunkt

Wenn‘s drauf ankommt
Partnerschaften in Zeiten der Krise                     weltbewegt   37
Welt SEPT.-NOV.2020 C5178 - Nordkirche weltweit
Schwerpunkt

                                                                                                                                                                                                                        Aus dem Inhalt                                                                                                                        Editorial
                                                                                                                                                                                                                             Es öffnen sich neue                                     Lasst uns Ubuntu
                                                                                                                                                                                                                             Türen                                                   leben!
                                                                                                                                                                                                                         4                                                                                                   19
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                              Liebe Leser*in,
                                                                                                                                                                                                                             Die Pandemie hat Indien hart                            Der Gesamtafrikanische Kir-
                                                                                                                                                                                                                             getroffen. Trotz der Not gibt es                        chenrat (AACC) hat zehn                                                  vor dem Coronavirus bleibt kein
Die Pandemie in Afrika erfordert gemeinsames
                                                                                                                                                                                                                             neue Formen der Verbindung,                             theologische Thesen zur Co-                                              Land verschont. Dennoch, in
Handeln von Christ*innen und Muslimen
                                                                                                                                                                                                                             so Jörg Ostermann-Ohno.                                 vid-19 Pandemie formuliert.                                              den ärmeren Ländern werden
Eine globale Pandemie macht globales Handeln notwen-                                                                                                                                                                                                                                                                                                          die Menschen von den Folgen
dig, davon ist die christlich-muslimische Organisation in                                                                                                                                                                    Wir sitzen alle im                                      Jetzt erst recht!                                                        der Pandemie erbarmungsloser
Afrika (PROCMURA) überzeugt. Covid-19 habe als „Afri-                                                                                                                                                                        selben Boot                                                                                                                      getroffen. Zwei von drei Opfern
                                                                                                                                                                                                                                                                                     Gerade in dieser Zeit, die Leid
                                                                                                                                                                                                                         6                                                                                                   22
candemic“ den gesamten Kontinent getroffen, nun sei auch                                                                                                                                                                                                                                                                                                      weltweit kommen von dort.
vereintes Handeln gefragt, heißt es in einem Ende Mai ver-                                                                                                                                                                   Als die Inderin Mary Chang                              und Unsicherheit erzeugt, hat                                            Indien verzeichnet derzeit die höchste Zahl von Neuin-
öffentlichten Statement, das dazu aufruft, gemeinsam zum                                                                                                                                                                     nach Hamburg zog, kam der                               Christian Wollmann erfahren, wie                                         fektionen an einem Tag. Besonders betroffen auch hier:
Wohle aller zu handeln. Covid-19 sei ein existenzielles Pro-                                                                                                                                                                 Lockdown und die Verbun-                                lebendig und tragfähig christ-                                           die indigene Bevölkerung. Viele leben in der Jeyporekir-
blem, das besondere Maßnahmen erfordere, erklärte PROC-                                                                                                                                                                      denheit zur Heimat wuchs.                               liche Partnerschaften sind.                                              che, einer Partnerkirche der Nordkirche. Es fehlt die In-

                                                                                    Fotos: C. Plautz (1), C. Wenn (1), adpic (5), JELC (1), A. Michael (1), wikimedia (2), A. Mc Kellar (1), A. Jones (1), Fan Pu (1)
MURA, ein langjähriger Partner des Zentrums für Mission                                                                                                                                                                                                                                                                                                       frastruktur, um Pandemien rechtzeitig eindämmen oder
und Ökumene. „Es besteht daher ein dringender Bedarf, die                                                                                                                                                                    Im Sturm müssen wir                                     Andere nicht zum                                                         schnelle medizinische Versorgung gewährleisten zu kön-
ausgegrenzten und benachteiligten Menschen in der Gesell-                                                                                                                                                                    zusammenhalten                                          Objekt machen                                                            nen. Krankenhäuser oder Krankenstationen sind weit

                                                                                                                                                                                                                         8                                                                                                   23
schaft mit Lebensmitteln zu versorgen, damit die Menschen,                                                                                                                                                                                                                                                                                                    entfernt, medizinische Ausstattung und Schutzkleidung
die infolge der Pandemie in wirtschaftliche Schwierigkeiten                                                                                                                                                                  Welche Qualitäten brauchen                              In der weltweiten Ökumene                                                oft mangelhaft. In diesen Ländern können sich die
geraten sind, über die Runden kommen“, heißt es. So hat die                                                                                                                                                                  Kirchenpartnerschaften?                                 geht es heute vor allem um                                               wenigsten Menschen leisten, zuhause zu bleiben. Zwei
Organisation nach einer länderübergreifenden Analyse ent-                                                                                                                                                                    Joshuva Peter hat biblische                             Gerechtigkeit und Teilhabe,                                              Milliarden Menschen arbeiten nach Aussage der Interna-
schieden, erste Hilfsmaßnahmen in den Slums von Nairobi                                                                                                                                                                      Vorbilder entdeckt.                                     erklärt Anton Knuth.                                                     tionalen Arbeitsorganisation (ILO) im sogenannten in-
zu starten. Sowohl Christ*innen als auch Muslime sollen                                                                                                                                                                                                                                                                                                       formellen Sektor. Das heißt, sie sind ohne feste Anstel-
nicht nur von den Maßnahmen profitieren, sondern auch                                                                                                                                                                        „Sie protestieren, weil                                 Wir sind nicht allein,                                                   lung und verdienen ihr Geld etwa als Straßenverkäuferin,
bei der Umsetzung eingebunden sein – so PROCMURA.                                                                                                                                                                            sie Hunger haben“                                       das stärkt                                                               Tagelöhner, Hausangestellte oder Wanderarbeiter. Am
Gemeinsam mit lokalen Gemeinden verteilte die Organisa-
tion Essenspakete sowie waschbare Gesichtsmasken speziell
                                                                                                                                                                                                                        12   Die Zahl der Opfer in Latein-                           Als Polen die Grenzen schloss,          26                               stärksten betroffen sind die Menschen in Afrika und
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                              Lateinamerika. Für sie kommen viele Probleme zusam-
                                                                                                                                                                                                                             amerika steigt rasant und mit                           war es für Anna Wrzesińska ein
für Kinder und stellte Wasserfässer zum Händewaschen                                                                                                                                                                                                                                                                                                          men: Covid-19, der Klimawandel, große gesellschafts-
                                                                                                                                                                                                                             ihr die Armut. Partner können                           Trost, dass das Netzwerk der
auf. Alle seien aufgefordert die Hygienemaßnahmen zu                                                                                                                                                                                                                                                                                                          politische Konflikte und Ungerechtigkeit. So ist die Sorge
                                                                                                                                                                                                                             helfen, so Diana Sanabria                               Kirche funktioniert.
befolgen nach dem Motto „Indem ich andere schützte,                                                                                                                                                                                                                                                                                                           berechtigt, dass mehr Menschen an Hunger und Armut
schütze ich mich selbst“. Die Organisation betonte weiter-                                                                                                                                                                                                                                                                                                    infolge der Pandemie sterben könnten, als an dem Virus
hin, „die dringende Notwendigkeit“ mit anderen religiösen                                                                                                                                                                    Nach der Krise neue                                     Zusammen, selbst                                                         selbst. Diese verschiedenen Lebenswirklichkeiten prägen
Gruppen, Regierungen und Organisationen der Zivilgesell-                                                                                                                                                                     Wege gehen                                              wenn wir getrennt sind                                                   die Beziehungen zu Kirchen in Indien, China, Tansania,

                                                                                                                                                                                                                        14
schaft zusammenzuarbeiten, „um durch eine kollektive                                                                                                                                                                                                                                                                                                          Lateinamerika, Europa und den USA. Man fragt sich:
Aktion eine weitere Ausbreitung der Pandemie zu verhin-
dern“. Die Organisation hat die Hoffnung, dass mit einem
                                                                                                                                                                                                                             Blanca Cortés Robles will,
                                                                                                                                                                                                                             dass Kirchen gesellschaftliche
                                                                                                                                                                                                                                                                                     Wie sieht eine lebendige
                                                                                                                                                                                                                                                                                     Kirchengemeinschaft aus in              28                               Können unsere ökumenische Partnerschaften das ver-
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                              kraften? Liest man die Beträge der Autorinnen und Auto-
gemeinsamen Handeln größeres Leid verhindert werden                                                                                                                                                                          Veränderungen fördern sollen,                           einer Post-Brexit-Welt?, fragt                                           ren aus den Partnerkirchen, heißt die Antwort: Ja, unsere
kann. So heißt es zum Schluss des christlich-muslimischen                                                                                                                                                                    die jetzt notwendig werden.                             Kate Boardman.                                                           Partnerschaften halten das aus. Einige meinen sogar, es
Statements: „Lasst uns eine Kerze der Hoffnung anzünden,                                                                                                                                                                                                                                                                                                      sei etwas gewachsen, aber auch an der Zeit, Altes in Frage
um die Dunkelheit zu überwinden, die Covid-19 über uns                                                                                                                                                                       Die Bedeutung der                                       Gleichberechtigung ist                                                   zu stellen.
gebracht hat. Möge Gott, in dem wir leben, uns daran erin-                                                                                                                                                                   Kirche wächst weiter                                    das Wichtigste                                                           Ihre

                                                                                                                                                                                                                        17                                                                                                   30
nern, dass wir als Menschen in Bedrängnis leben, aber nicht
vernichtet werden können“.                                                                                                                                                                                                   Kirchen hatten in Ghana im-                             Welche Rolle haben weltweite
                                                                                                                                                                                                                             mer eine wichtige Bedeutung.                            Partnerschaften? Ruomin Lui,
                                                                                                                                                                                                                             Die ist in der Krise noch ge-                           Theologe aus China, sprach für                                           PS: Ihre Meinung interessiert uns. Deshalb schreiben Sie uns gern!
                                                                                                                                                                                                                             wachsen, so Agnes Quansah.                              weltbewegt mit Landsleuten.

    weltbewegt-Post-Anschrift: Zentrum für Mission und Ökumene – Nordkirche weltweit, Postfach                                                                                                                                                                  52 03 54, 22593 Hamburg, Telefon 040 88181-0, Fax -210, E-Mail: info@nordkirche-weltweit.de
    IMPRESSUM: weltbewegt (breklumer sonntagsblatt fürs Haus) erscheint viermal jährlich. HERAUSGEBER UND ­V ERLEGER: ­Zentrum für Mission und Ökume-                                                                                                           DRUCK, VERTRIEB UND VERARBEITUNG: Druckzentrum Neumünster, JAHRESBEITRAG: 15,– Euro, SPENDENKONTO: IBAN DE77 5206 0410 0000 1113 33
    ne – Nordkirche weltweit, Breklum und ­Hamburg. Das Zentrum für Mission und Ökumene ist ein Werk der ­Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland.                                                                                                   EVANGELISCHE BANK, BIC GENODEF1EK1. Mit Namen gekennzeichnete Artikel geben die Meinung des Autors/der Autorin und nicht unbedingt die Ansicht des
    DIREKTOR: Pastor Dr. Christian Wollmann (V.i.S.d.P.), REDAKTION: Ulrike Plautz, GESTALTUNG: Christiane Wenn, KONZEPT: Andreas Salomon-Prym, SCHLUSS­                                                                                                        ­herausgebenden Werkes wieder. Die Redaktion behält sich vor, Manuskripte redaktionell zu b­ earbeiten und gegebenenfalls zu kürzen. Gendergerechte Sprache
    KORREKTUR: Constanze Bandowski, ADRESSE: Agathe-Lasch-Weg 16, 22605 H          ­ amburg, Telefon 040 88181-0, Fax: 040 88181-210, w
                                                                                                                                      ­ ww.nordkirche-weltweit.de.                                                                                              wenden wir in dieser Publikation an, indem wir das sogenannte Gendersternchen (*) in einem Wort benutzen. Gedruckt auf TCF – total chlorfrei gebleichtem Papier.

2       weltbewegt                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                           weltbewegt            3
Welt SEPT.-NOV.2020 C5178 - Nordkirche weltweit
Schwerpunkt

                       Es öffnen sich neue Türen,
                                     trotz der Not                                                                                                                                                                                                                                     Die Menschen in
                                                                                                                                                                                                                                                                                       Assam sind auf
                                                                                                                                                                                                                                                                                       Nahrungsmittel-
                      Indien hat sich derzeit zum Corona-Hotspot entwickelt.                                                                                                                                                                                                           pakete angewie-
                     Weit über 90.000 Neuinfektionen wurden innerhalb eines                                                                                                                                                                                                            sen, weil die
                                                                                                                                                                                                                                                                                       Arbeit auf den
                   Tages registriert, die höchste Zahl weltweit. Betroffen sind
                                                                                                                                                                                                                                                                                       Teeplantagen
                    auch hier besonders die Armen und damit auch die Men-                                                                                                                                                                                                              während der
                    schen der Partnerkirche in in Odisha. Welche Bedeutung                                                                                                                                                                                                             Pandemie nicht
                                                                                                                                                                                                                                                                                       möglich war.
                      hat in diesen Zeiten die ökumenische Partnerschaft zu
                                                                                                                                                                                                                                                                                       (Bischof Nag (l.)
                                                  Kirchen wie der Nordkirche?                                                                                                                                                                                                          bei der Verteilung
                                                                                                                                                                                                                                                                                       der Hilfsgüter)
                                                                Jörg Ostermann-Ohno

                 G     emessen an der Zahl der bestä-
                       tigten Covid-19-Fälle belegt
                 Indien mit derzeit knapp 4,1 Millio-
                                                         heitssystem, das auf diese Pandemie
                                                         insgesamt schlecht vorbereitet war.
                                                         Hier rächt sich nun, dass Indien mit
                                                                                                                                                            denden zu organisieren. Ranjita
                                                                                                                                                            Christie Borgoary, Frauensekretä-
                                                                                                                                                            rin der UELCI, war von der Situati-
                                                                                                                                                                                                      größer. An knapp 300 Familien ha-
                                                                                                                                                                                                      ben freiwillige Helfer*innen Notfall-
                                                                                                                                                                                                      rationen von Reis, Linsen, Öl und
                                                                                                                                                                                                                                              gen Zeit bewährt. So waren einzel-
                                                                                                                                                                                                                                              ne Personen und ganze Kirchen-
                                                                                                                                                                                                                                              kreise in der Nordkirche sehr
                 nen Fällen weltweit einen traurigen     3,6 Prozent des BIP (Stand 2018)                                                                   on tief berührt: „Die Menschen            Hygieneartikeln verteilt.               schnell zur Stelle und haben Spen-
                 dritten Platz hinter den USA und        auch im internationalen Vergleich                                                                  waren durstig und hungrig. Sie                Insbesondere die Jeypore-Kirche     den für die Partnerkirchen wie
                 Brasilien. Die Zahl der Toten stieg     (Deutschland: 11,2 Prozent) sehr we-                                                               haben uns gedankt mit Tränen in           trifft die Pandemie in einer ohne-      auch für die Theologiestudierenden
                 auf über 70 626 Menschen. Eine          nig für sein Gesundheitswesen aus-                                                                 den Augen, dass wir ihnen in dieser       hin krisenhaften Zeit. Anfang des       am Orissa Christian College ge-
                 Besserung ist nicht in Sicht. Im        gibt.                                                                                              Zeit der Not zu Hilfe gekommen            Jahres wurde das Konto für die Aus-     sammelt.
                 Gegenteil: mit 90 632* Neuinfektio-                                                                                                        sind.“                                    landsgelder der Kirche durch die           Reisen und Begegnungen wer-
                 nen am Tag verzeichnet Indien die       Indische Kirchen helfen, ob-                                                                           Dies ist nur ein Beispiel, in welch   Regierung gesperrt. Damit sind          den vermutlich für längere Zeit
                 höchste Infektionsrate weltweit.        wohl sie selbst betroffen sind                                                                     vielfältiger Weise die indischen Kir-     auch die Gelder für Programme           nicht möglich sein. Dennoch hat
                 Waren es zunächst vor allem die                                                                                                            chen das ihnen Mögliche tun, um           und die jetzt so dringend nötigen       die Krise uns nicht auseinander-
                 Metropolregionen wie Mumbai,            Pastor Joshuva Peter, der Exekutiv-                                                                notleidenden Menschen in dieser           Hilfsmaßnahmen nicht abrufbar.          gebracht. Online-Gottesdienste auf
                 Delhi oder Chennai, die besonders       sekretär der United Evangelical Lu-                                                                Pandemie zur Seite zu stehen, un-         Gerade in dieser Situation bewährt      Facebook, Zoom-Meetings zum the-
                 stark von Corona betroffen waren,       theran Church (UELCI) in Chen-                                                                     geachtet ihrer Herkunft, Religion         sich nun die ökumenische Verbun-        matischen und persönlichen Aus-
                 so greift die Pandemie mittlerweile     nai, des Dachverbands der meisten                                                                  oder Kaste. Dabei hat die Pandemie        denheit innerhalb der lutherischen      tausch und die Kommunikation
                 auch in den ländlichen Regionen um      lutherischen Kirchen in Indien,                                                                    auch die Kirchen selbst schwer            Kirchengemeinschaft in Indien. So       über die sozialen Medien lassen uns
                 sich. Auch der Koraput-Distrikt ist     berichtet von dramatischen Szenen                                                                  getroffen. Da infolge des monate-         war es möglich, über die UELCI in       Anteil nehmen am Leben der
                 mittlerweile eine „Rote Zone“, also     in Chennai. So waren am 18. Mai                                                                    langen und sehr harten Lockdowns          Chennai die Gelder des Corona-Not-      Christ*innen in Indien. Zeitnah
                 besonders stark betroffen. Ein          an die 2 000 Arbeitsmigrant*innen                                                                  in Indien auch keine Versammlun-          fallfonds der Nordkirche und einzel-    erreichen uns Fotos, auf denen zu
                 Grund dafür ist wohl auch der           und ihre Familien, die auf dem Weg                                                                 gen oder Gottesdienste stattfinden        ne Spenden für Hilfsmaßnahmen           sehen ist, wie der Bischof oder die
                 Umstand, dass Millionen Wan-            in ihre Heimatorte in den nordöst-                                                                 konnten, fielen in den meisten Ge-        wie Lebensmittelverteilungen und        Pastor*innen und freiwillige Helfer*-
                 derarbeiter*innen von einem Tag auf     lichen Bundesstaaten Indiens, im                                                                   meinden die Kollekten und Ein-            Hygieneschulungen an die Jeypore-       innen Lebensmittel verteilen. Ein-
                 den anderen mit ihrer Arbeit auch       Nehru-Stadium nahe dem zentra-                                                                     nahmen weg. Viele der Pastor*innen        Kirche zu überweisen. Insgesamt 34      zelne Gemeindeglieder teilen Ge-
                 ihr Einkommen und ihre Bleibe ver-      len Hauptbahnhof gestrandet, wo                                                                    und kirchlichen Mitarbeiter*innen         000 Euro konnten wir auf diesem         betsanliegen über WhatsApp. Pas-

                                                                                                  Foto: E. v. d. Heyde (1), Assam-Kirche (1), C. Wenn (1)
                 loren und somit gezwungen waren,        sie auf Sonderzüge und Busse war-                                                                  vor allem in den ländlichen Regio-        Weg für Notfallhilfe für die Jeypo-     tor*innen streamen ihre Gottes-
                 in ihre Heimatorte zurückzukehren.      teten, die die Regierung für sie orga-                                                             nen waren damit selbst in Not gera-       re-Kirche übermitteln, wo diese Hil-    dienste. Christliche Jugendgruppen
                 Viele von ihnen mussten ihren           nisieren wollte. Seit zwei Tagen                                                                   ten. Dennoch engagieren sich unse-        fen dringend gebraucht werden.          singen und musizieren auf Face-
                 Heimweg zu Fuß zurücklegen –            wurden sie dort jedoch sich selbst                                                                 re kirchlichen Partner, um Jesu                                                   book und anderen Medien. Die er-
                 manchmal über Hunderte von Kilo-        überlassen, in der prallen Sommer-                                                                 Worte in die Tat umzusetzen: „Ich         Die Krise konnte uns nicht              zwungene physische Distanz schafft
                 metern. Da es für sie auf diesen ent-   hitze ohne jegliche Versorgung mit                                                                 war hungrig, und ihr habt mir zu          auseinanderbringen                      damit neue Wege der Verbindung,
                 behrungsreichen Wegen weder eine        Trinkwasser oder Essen. Unter ih-                                                                  essen gegeben.“ Schon im April hat                                                die geeignet sind, uns näher zusam-
                 staatliche Versorgung noch Mög-         nen waren auch zahlreiche Kinder,                                                                  Bischof Nag von der Assamkirche           Die Krise, deren Ende noch lange        menzu ringen als je zuvor. So öff-
                 lichkeiten von Hygiene, medizini-       Schwangere und Kranke. Auf Ver-                                                                    mit Geldern aus der Nordkirche            nicht absehbar ist, ist für die Men-    nen sich trotz aller Not und Gefähr-     Jörg Ostermann-
                 scher Versorgung oder gar Testung       mittlung einer Hilfsorganisation                                                                   erste Hilfsmaßnahmen initiiert. Da        schen in unseren Partnerkirchen         dung viele neue Fenster und Türen        Ohno ist Indien-
                 gab, brachten einigen von ihnen das     hat die UELCI umgehend reagiert.                                                                   die meisten der lutherischen Christ*-     nach wie vor bedrohlich. Es ist         zwischen unseren Kirchen, die wir        referent des
                 Virus wohl auch mit in ihre Heimat-     Ein Hilfsteam wurde gebildet, um                                                                   innen ihrer Arbeit auf den Teeplan-       jedoch ermutigend zu sehen, wie         hoffentlich auch auf lange Sicht         Zentrums für
                 regionen. Dort trafen sie auf ein       die Verteilung von Wasserrationen                                                                  tagen nicht mehr nachgehen konn-          sehr sich unsere geschwisterliche       offen halten werden, auch in der         Mission und
                 ohnehin schon überlastetes Gesund-      und Lebensmitteln an die Notlei-                                                                   ten, wurde die Not von Tag zu Tag         Verbundenheit in dieser schwieri-       ersehnten Post-Corona-Zeit.              Ökumene.

4   weltbewegt   (* Erhebungen der Johns-Hopkins-Universität in Baltimore am 6.9.2020)                                                                                                                                                                                                weltbewegt     5
Welt SEPT.-NOV.2020 C5178 - Nordkirche weltweit
Schwerpunkt
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                  Schwerpunkt

                                       Wir sitzen alle im selben Boot
                             Als Mary Chang aus Indien zum Studium nach Hamburg kam,
                                       hatte sich das Virus auch hier gerade ausgebreitet.
                                  Noch nie hatte sie sich ihren Landsleuten so nahe gefühlt
                                            und gleichzeitig wurde klar, dass Krisen wie diese helfen
                                                                                                                                                                                                                                                                                                    Und so gibt es auch in diesen
                                                           neue Fragen zu stellen, auch in der Kirche.
                                                                                                                                                                                                                                                                                                Zeiten der Krise die Erfahrungen,
                                                                                                                                                                                                                                                                                             dass Freunde und Freundinnen,
                                                                                                                                                                                                                                                                                             Partner und Partnerinnen alterna-
                                                                                                                                                                                                                                                                                             tive Wege fanden, um sich auszutau-
                                                                                                                                                                                                                                                   sind. Inzwischen hören wir, wie viele     schen und füreinander da zu sein.

                     V    or mir lag das erste Jahr in       wie Hamburg treffen könnten, wo ich     auch in dieser Zeit nicht allein lässt.                                                                  Beginn der Krise, über Erfah-        Branchen von der Krise betroffen          Längst verlorene Freund*innen fin-

                                                                                                                                               Fotos: C. Wenn (1), F. Bimmer/REUTERS (1), M. Chang (1)
                          einem fremden Land. Ich war        mich bislang so sicher und geborgen     Ich habe erfahren, dass die christ-                                                                     rungen auszutauschen.                 sind: dazu gehören unter anderem          den wieder zusammen, Kinder küm-
                     hoch motiviert und es schien ein        gefühlt hatte. Dann folgte das, was     liche Gemeinschaft auch unter die-                                                                       Als die Pandemie immer mehr          viele multinationale Unternehmen,         mern sich intensiver um das Wohl
                     erfolgreiches und glückliches Jahr      alle noch gut in Erinnerung haben:      sen besonderen Bedingungen leben-                                                                   Länder, Städte und Dörfer erreichte,      Import und Export und nicht zu-           ihrer Eltern und Großeltern. Kolleg*-
                     zu werden. Auf dem Frühstückstisch      die Schließung aller Institutionen,     dig bleibt. Als während des Lock-                                                                   waren wir alle gleichermaßen von          letzt auch die Tourismusbranche.          innen, deren übliche Diskussion
                     stand eine heiße Tasse Kaffee, ge-      der Märkte und öffentlichen Plätze.     downs auch die Türen unserer Missi-                                                                 einem Gefühl der Verwundbarkeit           Eine beispiellose Kettenreaktion, die     hauptsächlich berufsbezogen war,
                     röstetes Brot und ein Ei. Ich genoss    In vielen Gesichtern sah ich Angst      onsakademie schließen mussten, öff-                                                                 betroffen. „Wir sitzen in dieser Situa-   sicher eine globale Krise zur Folge       fragen nach dem Wohlergehen der
                     das Frühstück, suchte parallel in       und Unsicherheit. Der Park, in dem      neten sich andere Türen, beziehungs-                                                                tion alle im selben Boot“, erklärte so    haben wird.                               Familie des anderen. Und nicht
                     meinem Telefon nach Neuigkeiten         ältere Menschen auf den Bänken          weise neue digitale „Kommunikati-                                                                   auch UN-Generalsekretär António               Als Folge des landesweiten Lock-      zuletzt hat auch die Natur begonnen,
                     und Updates und freute mich auf         saßen und plauderten und der erfüllt    onsfenster“. Durch sie konnten wir                                                                  Guterres. Der Apostel Paulus hatte        downs fehlte auch die Arbeitskraft        ihren Raum zurückzugewinnen, der
                     motivierende Neuigkeiten. Doch was      war vom fröhlichen Kichern spielen-     auf andere Weise mit unseren Kolle-                                                                 dafür das Bild von dem einen Leib         der Wanderarbeiter*innen. Die lange       Himmel wurde klarer und blauer
                     ich las bewirkte das Gegenteil. Die     der Kinder, war nun leer. Diese neue    ginnen und Kollegen zusammenar-                                                                     mit vielen Gliedern gebraucht.            Lieferkette wurde unterbrochen, was       und die Rückkehr von Delfinen in
                     Nachrichten und Videos in den sozi-     Situation erschwerte auch meinen        beiten. Durch sie konnten wir aber                                                                                                            in einigen Regionen zu Nahrungs-          ihre ursprünglichen Gewässer brach-
                     alen Medien erfüllten mich mit          Alltag als Studentin.                   auch mit Freundinnen, Freunden                                                                      Während des Lockdowns                     mittelknappheit führte, während in        te Freude und Hoffnung, dass nicht
                     Angst. Der Kaffee wurde plötzlich           Trotz dieser Herausforderung hat-   und Familienmitgliedern in Verbin-                                                                  gab es in vielen Regionen                 anderen Gebieten Lebensmittel wäh-        alles verloren ist.
                     kalt, als ich von einer unbekannten     te ich die Hoffnung, dass uns Gott      dung treten, um uns, vor allem zu                                                                   Indiens nichts mehr zu essen              rend des Transports verdorrten und            In den weltweiten Partnerschaf-
                     Krankheit in Wuhan erfuhr. Videos                                                                                                                                                                                             verfaulten und erst gar nicht auf den     ten der Ökumene wurden neue Wege
                     von Menschen, die auf Autobahnen                                                                                                                                                                       In meinem Hei-         Weg gebracht werden konnten. Viele        des Engagements gesucht und gefun-
                     atemlos zusammenbrachen, von Men-                                                                                                                                                                      matland Indien         Menschen mussten tagelang hungern         den. Wie notwendig es ist, Beziehun-
                     schen, die Schwierigkeiten hatten,                                                                                                                                                                     haben viele ihren      und viele Kilometer zu Fuß laufen,        gen zu pflegen, stärkere Netzwerke
                     im Inkubator zu atmen, und die                                                                                                                                                                         Job und ihren Le-      um schließlich einen Ort zu finden,       und Partnerschaften auf allen Ebe-
                     Unsicherheit, die mit dieser neuen                                                                                                                                                                     bensunterhalt ver-     an dem man etwas zu essen kaufen          nen aufzubauen, zeigt sich besonders
                     Krankheit verbunden war, beunru-                                                                                                                                                                       loren. Vor allem       konnte.                                   in dieser Zeit der Krise, die bisher
                     higten mich zutiefst. Mir wurde heiß                                                                                                                                                                   die armen Men-             Es gibt Situationen, in denen Geld    beispiellos ist. Es gibt inzwischen
                     und kalt zugleich. Was für ein Jah-                                                                                                                                                                    schen, die zu den      allein das Problem nicht lösen kann,      viele neue Bemühungen der Zusam-
                     resbeginn? Ich betete innerlich, dass                                                                                                                                                                  Marginalisierten       sondern mehr gefragt ist: Tatkraft        menarbeit. Mehr als bisher fordern
                     diese Nachrichten nur ein schlechter                                                                                                                                                                   gehören, sind ver-     und Aufmerksamkeit für die Bedürf-        die Partner sich gegenseitig zu gei-
                     Scherz seien.                                                                                                                                                                                          zweifelt und ver-      nisse des Anderen. Im neuen Testa-        stiger, spiritueller und psychologi-
                                                                                                                                                                                                                            unsichert, was ih-     ment heißt es: „Du sollst deinen          scher Unterstützung auf und ich           Mary Chang ist
                     Ich hätte nicht gedacht, dass                                                                                                                                                                          re Zukunft be-         Nächsten lieben wie dich selbst“          habe beobachtet, dass das Bestreben       Theologin und
  Auch Hamburg       die Pandemie auch Städte                                                                                                                                                                               trifft. Die Nach-      (Matthäus 22,39). Als Christ*innen        zur harmonischen Zusammenarbeit           Stipendiatin
    war betroffen    wie Hamburg trifft                                                                                                                                                                                     richten, die ich       sind wir aufgerufen, ohne Vorurteile      stärker geworden ist. Krisen wie          Missionsakademie
 und die Hilfsbe-                                                                                                                                                                                                           aus meinem Land        auf Andere zuzugehen. Denn wir            diese können auch helfen, sich zu neu     der Universität
  reitschaft groß:   Damals hätte ich nicht gedacht, dass                                                                                                                                                                   bekam, waren be-       halten an der Sehnsucht fest, dass alle   die Frage zu stellen, was wir wirklich    Hamburg. Vorher
An einen Gaben-      sich die unbekannte Krankheit in-                                                                                                                                                                      drückend.     Die      Menschen ein Dach über dem Kopf           voneinander erwarten, wie wir uns         lebte und arbeitete
    zaun hängten     nerhalb eines Monats in Windeseile                                                                                                                                                                     Pandemie stellte       haben und genug Nahrung für Kör-          am sinnvollsten unterstützen und          sie in Nagaland/
Hamburger*innen      ausbreiten könnte. Noch als ich die                                                                                                                                                                    viele vor neue         per und Geist haben sollen, sowie in      den christlichen Auftrag noch besser      Indien, wo sie sich
 Gegenstände für     ersten Nachrichten über diese neue                                                                                                                                                                     Herausforderun-        Frieden und Mitgefühl füreinander         erfüllen können.                          besonders für
   Menschen, die     „Phantomkrankheit“ sah, habe ich                                                                                                                                                                       gen, insbesondere      leben sollen. Mehr als zuvor fordern                                                Frauen und junge
 durch Corona in     mir nicht vorstellen können, dass                                                                                                                                                                      die Branchen, die      sich die Partner zu spiritueller und                                                Menschen enga-
Not geraten sind.    ihre giftigen Pfeile auch eine Stadt                                                                                                                                                                   ohnehin bedroht        seelischer Unterstützung auf.                      Übersetzung: Ulrike Plautz       gierte.

  6     weltbewegt                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    weltbewegt    7
Welt SEPT.-NOV.2020 C5178 - Nordkirche weltweit
Schwerpunkt

                         Um durch den Sturm
                     zu kommen, müssen wir
                          zusammenhalten
                                                                                                                                                                                                                                     Die Wanderarbei-         Heute gibt es in der Mission
                                                                                                                                                                                                                                     ter müssen zurück        keine „Geber“ und „Empfän-
                                                                                                                                                                                                                                    in ihre Heimatregi-       ger“ mehr
                                                                                                                                                                                                                                   onen und befolgen
                                                                                                                                                                                                                                  damit die Anweisung         Welche neuen Aufgaben haben
                                                                                                                                                                                                                                  der Regierung.              Partnerschaft und Mission heute,
          Welche Qualitäten braucht eine Partner-                                                                                                                                                                                                             in dieser so besonderen Situation?
                                                                                                                                                                                                                                                              Die vier biblischen Beispiele geben
            schaft zwischen Kirchen, wenn sie
                                                                                                                                                                                                                                                              uns dafür ermutigende Vorbilder.
           gelingen soll? Der indische Pastor                                                                                                                                                                                                                 Das wichtigste Anliegen der Missi-
          Joshuva A. Peter hat in biblischen                                                                                                                                                                                                                  on Jesu Christi ist es, uns ein Leben
                                                                                                                                                                                                                                                              in seiner ganzen Fülle zu geben.
            Geschichten Vorbilder entdeckt.
                                                                                                                                                                                                                                                              So sollte es auch das Hauptanliegen
                                                                                                                                                                                                                                                              einer Partnerschaft sein, allen Men-
                                                                                                                                                                                                                                                              schen ein Leben in Fülle zu ermög-
                                                                                                                                                                                                                                                              lichen. Dafür brauchen wir starke
                                                                                                                                                                                                                                                              Partnerschaften. Ist das Hauptkenn-
                                                                                                                                                                                                                                                              zeichen einer Partnerschaft nur Zu-
                                                                                                                                                                                                                                                              sammengehörigkeit? Nein, das kann
                                                                                                                                                                                                                                                              nicht alles sein! Wenn wir uns die
                                                                                                                                                                                                                                                              Merkmale der Partnerschaft in den

                 J   esus sagt: „Ich bin gekommen,
                     damit sie das Leben haben und
                 es in Fülle haben.“ Gott sendet sei-
                                                         Situation fordert uns heraus, die Be-
                                                         deutung von Partnerschaft neu zu
                                                         definieren; neue Wege, Hoffnungen
                                                                                                  hung zu Lot zu überdenken. Schließ-
                                                                                                  lich kamen Lot und Abraham zu
                                                                                                  dem Schluss, dass es für alle besser
                                                                                                                                                                           „den Anderen zu ergänzen“. Um die
                                                                                                                                                                           Mission Gottes erfüllen zu können,
                                                                                                                                                                           müssen Partner sich ergänzen, das
                                                                                                                                                                                                                   Naomi und Ruth

                                                                                                                                                                                                                   Naomi und Ruth sind zwei schöne
                                                                                                                                                                                                                                                              biblischen Beispielen ansehen, geht
                                                                                                                                                                                                                                                              es in einer gelungenen Partnerschaft
                                                                                                                                                                                                                                                              vor allem darum, sich gegenseitig
                 nen Sohn also allein für diesen         und Impulse zu entdecken.                wäre, wenn sie sich trennen und ver-                                     ist die wichtige Lektion, die wir aus   und starke weibliche Charaktere. We-       zu schätzen, sich zu ergänzen, ein-
                 Zweck: damit alle Menschen ein                                                   schiedene Wege gehen würden.                                             dieser Geschichte lernen.               gen einer Hungersnot in Israel flieht      ander treu zu sein und sich gegen-
                 Leben in Fülle haben können.            Biblische Geschichten                    Abraham überließ Lot das Vorrecht                                                                                Naomi mit ihrer Familie in das Land        seitig auch belasten zu können.
                 Zwischen Gott und seinem Sohn           zeigen, wie wir Partnerschaft            zuerst zu wählen, wohin er weiterzie-                                    David und Jonathan                      Moab. Dort heiraten ihre Söhne die             Aus der Geschichte des Christen-
                 besteht von Beginn an eine leben-       stärken können                           hen wolle. „Den anderen achten und                                                                               Frauen Ruth und Orpa. Später sterben       tums haben wir gelernt, dass die Mis-
                 dige Partnerschaft, die Leben dort                                               schätzen“, das ist eines der wichtigen                                   Als Sinnbild einer gelungenen           jedoch Naomis Mann und deren Söh-          sion zuerst von den Ländern des Nor-
                 wachsen lässt, wo es bisher leblos      Der Blick in die Bibel liegt nahe, ist   Eigenschaften, die wir von diesem                                        Freundschaft gelten David und Jona-     ne. Nach der Hungersnot will Naomi         dens ausging. Heute geht die Mission
                 war. Die Menschen werden zu Mit-        sie doch immerhin wichtigste             Duo lernen können.                                                       than. Obwohl beide aus vollkommen       nach Israel zurückzukehren. Ruth           auch von Ländern des globalen Sü-
                 schöpfer*innen, um Gottes Schöp-        Grundlage für die christliche Theo-                                                                               verschiedenen Verhältnissen stam-       und Orpa begleiten sie zunächst.           dens aus. So gibt es keine „Geber“
                 fung zu bewahren. Diese von Gott        logie. Einige biblische Geschichten      Mose und Aaron                                                           men, was den Lebensstil, die fami-      Doch Naomi riet ihnen wieder in ihre       oder „Empfänger“ mehr, die im alten
                 gewollte Partnerschaft scheiterte       und Charaktere können Modelle                                                                                     liäre Situation, ihre Kultur und den    Heimat nach Moab zurückzukehren.           Missionsmodell noch eine komplexe
                 jedoch im Garten Eden. Aber es          dafür sein, wie wir unsere Partner-      Mose wurde von Gott dazu auser-                                          gesellschaftlichen Status betrifft,     Orpa befolgte den Rat. Aber Ruth sag-      Rolle spielten.
                 blieb nicht dabei. Um die Partner-      schaft gestalten, wie wir sie stärken    wählt, die Israeliten aus der Knecht-                                    gelten der Königssohn Jonathan und      te: „Dränge mich nicht, dich zu ver-           Im Zuge der veränderten Situati-
                 schaft zurückzugewinnen, sandte         und festigen können. Hier einige Bei-    schaft der Sklaverei in Ägypten zu                                       der Hirtenjunge David als unzer-        lassen!“ und blieb. Was für eine selbst-   on durch die Globalisierung hat sich
                 Gott seinen Sohn, damit alle ein        spiele:                                  befreien. Moses erwies sich als                                          trennlich. Um seiner Freundschaft       bewusste und mutige Aussage der            auch die bisherige Ausrichtung der
                 Leben in Fülle haben sollen. Dieses                                              große Führungspersönlichkeit, der                                        zu David willen gibt Jonathan seine     jungen Witwe. Die Beziehung zu ihrer       Mission geändert, die bisher von den
                 Leben in Fülle ist durch unzählige      Abraham und Lot                          sich dem Pharao tapfer entgegen                                          Besitztümer auf, verzichtet auf Pri-    Schwiegermutter veranlasste sie zu         Privilegierten ausging und sich an die
                 Faktoren bedroht. Aktuell stellt uns                                             stellte und ihn herausforderte. Als                                      vilegien und überlässt David sogar      dieser Entscheidung, trotz des Wis-        Marginalisierten richtete. Heute geht
                 die lebensbedrohliche Covid-19-         Die Familien von Abraham und Lot         Mose von Gott aufgefordert wurde,                                        seine Rüstung und macht sich damit      sens, dass das Leben von Witwen in         die christliche Mission nicht mehr
                 Pandemie vor neue, bisher unbe-         lebten über Jahre lange zusammen         diese Mission auszuführen, zögerte                                       verwundbar. Die Beziehung sei-          einem Patriarchat sehr zermürbend          hin zu den „Menschen, die am Rande
                                                                                                                                           Foto: D. Siddiqui/REUTERS (1)

                 kannte Herausforderungen. Wir le-       und ihre Beziehung war gut. Abra-        er anfangs wegen seiner „stammeln-                                       nes Vaters König Saul zu David war      sein kann. Dennoch beschloss Ruth,         stehen“, sondern sie geht von den
                 ben jetzt in einer anderen Lebens-      ham und Lot schätzten sich und           den Zunge“. So wurde Aaron, der                                          gestört – Saul suchte sogar nach        ihrer Schwiegermutter im Alter zu          Menschen „die am Rande stehen“
                 wirklichkeit, in einer Situation, die   waren mit ihrer Partnerschaft zu-        Bruder von Mose, von Gott zu sei-                                        Gelegenheiten David zu töten – den-     helfen und auch in Zeiten der Not an       aus. Dieses Missionsverständnis ver-
                 Menschen trennt, die uns zwingt,        frieden. Doch dann kam es immer          nem Sprecher ernannt. Ein Mangel                                         noch blieb Jonathan un-beirrt sei-      ihrer Seite zu bleiben, damit beide ein    ändert auch das Bild von Partner-
                 isoliert zu leben und uns misstrau-     häufiger zu Auseinandersetzungen         oder die fehlende Fähigkeit ei-ner                                       nem Freund David treu. „Loyal zuei-     Leben in Fülle leben können. Auch          schaft. Es betont die Gleichberechti-
                 isch gegenüber anderen werden           zwischen den Hirten von Lot und          Person wurde durch eine andere                                           nander sein“, auch in Zeiten der        diese Geschichte zeigt beispielhaft,       gung beider und dadurch gewinnt die
                 lässt. Es ist eine Wirklichkeit, die    Abraham. Das veranlasste Abra-           Person ausgeglichen. Diese Partner-                                      Krise, das ist das wichtigste Merk-     wie Solidarität in der Partnerschaft       „Gegenseitigkeit“ im Partnerschafts-      Fortsetzung
                 verwirrt und verunsichert. Diese        ham, die partnerschaftliche Bezie-       schaft wurde ins Leben gerufen, um                                       mal dieser Partnerschaft.               aussehen kann.                             verständnis an Dynamik.                   Seite 10

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Welt SEPT.-NOV.2020 C5178 - Nordkirche weltweit
Schwerpunkt

                                                                      Bildung ist der wichtigste Schlüssel, um später eine Arbeit zu bekommen.
                                                                         Der Weltalphabetisierungstag am 8. September erinnert daran, dass es
                                                                      weltweit immer noch 750 Millionen Analphabeten gibt, in Indien sind es 39
                                                                           Prozent der Bevölkerung, davon zweidrittel Frauen. Wenn infolge der
                                                                        Pandemie die Armut wächst, werden kostenlose Bildungsangebote, die
                                                                        die Kirchen anbieten, noch wichtiger. Dafür brauchen sie Unterstützung
                                                                                                                  der Partner aus dem Ausland.

                          Es gibt auch Grenzen im                         Zum Respekt zwischen Partnern        allem den Menschen Hoffnung, die
                          gegenseitigen Verständnis                   gehört es, dass die dringenden Prob-     durch Covid-19 besonders vom Aus-
                                                                      leme des einen keine dringende A-        schluss bedroht waren.
                          Da die indischen Kirchen in einer           genda des anderen sein müssen.               Unsere Kirchen müssen sich kurz-
                          multikulturellen und multireligiösen        Wichtig ist, dass sich Partner bewusst   fristige und langfristige Strategien
                          Gesellschaft leben, ist ihre Mission        werden, dass es Grenzen im gegensei-     überlegen und Programme entwi-
                          mehrdimensional und vielschichtig.          tigen Verständnis gibt und sie sollten   ckeln, um für die Migrant*innen zu
                          Die indischen Kirchen arbeiten mit          sie auch benennen. Es ist wichtig, die   sorgen. Sie können sich zum Beispiel
                          Menschen unterschiedlicher Glau-            Ansichten der Anderen zu respektie-      für die Menschen einsetzen, indem
                          bensrichtungen und Kulturen zu-             ren, denn die gesellschaftliche Situa-   sie Durchgangslager in kirchlichen
                          sammen und es fällt ihnen schwer            tion und die Lebenswirklichkeit en       Räumen einrichten und sich dort um
                          ihre christliche Identität zu wahren,       können vollkommen unterschiedlich        den täglichen Bedarf der Menschen
                          im Gegensatz zu ihren Partnern im           und sehr komplex sein. Um ein wirk-      kümmern, die zu unserer Großfami-
                          Westen. Deshalb suchen indische             liches Verständnis füreinander zu ent-   lie gehören. Zu den langfristigen Pro-
                          Kirchen Partner, von denen sie sich         wickeln, sollten alle die Bereitschaft   jekten, die der „Hilfe zur Selbsthilfe“
                          respektiert fühlen. Früher gab es zwi-      und Offenheit zum Perspektivwech-        dienen, müssten dann Programme
                          schen den Partnern häufig Konflikte.        sel haben und bereit sein, „in die       stehen, die die Selbstständigkeit för-
                          Im Bewusstsein, ein Leib Christi zu         Schuhe des anderen zu schlüpfen“.        dern. Es müssten zum Beispiel Ver-
                          sein, sollte die Kirche sich als integra-   Gegenseitiges Vertrauen und gegen-       dienstmöglichkeiten geschaffen wer-
                          tive globale Gemeinschaft begreifen         seitiger Respekt sind wichtige Aspek-    den, kostenlose Bildung für Migrant-
                          und Heilung und Versöhnung in den           te für eine sinnvolle und nachhaltige    *innenkinder in Missionsschulen, Be-
                          Mittelpunkt stellen. Statt miteinan-        Partnerschaft.                           reitstellung der nicht genutzten land-
                          der zu konkurrieren, sollten sich die                                                wirtschaftlichen Flächen der Kirchen
                          Partner in dieser sich stetig verän-        Die Kirchen müssen kosten-               oder Einbindung in kirchliche Grup-
                          dernden Welt gegenseitig ergänzen,          lose Bildung für Kinder von              pen.
                          um gemeinsam durch die Gewässer             Migrant*innen anbieten                       Das alles bedarf einer uneinge-
                          segeln zu können. Vor allem wenn es                                                  schränkten Unterstützung durch die
                          stürmisch wird.                             Nach der Kreuzigung Christi blieben      Mitglieder der Kirchen und der Part-
                              In Indien ist die christliche Be-       die Jünger aus Angst und Bestürzung      ner aus dem Ausland. „Teilen“ ist das
                          völkerung sehr unbedeutend. Aller-          hinter verschlossenen Türen. Es gab      Herzstück christlichen Lebens. Die
                          dings hat die christliche Mission im-       keine Hoffnung für sie, sie hatten       praxisorientierte christliche Liebe ist
                          mer noch einen großen Einfluss. Dem-        Angst vor den Mächten des Todes. In      durch die Covid-19-Pandemie neu
                          entsprechend wird sie von der indi-         ähnlicher Weise zwang die Covid-         herausgefordert. Christliche Liebe
                          schen Regierung heute eher misstrau-        19-Pandemie Menschen hinter ver-         nimmt den anderen Menschen in den
                          isch beäugt.                                schlossene Türen. Als die zahlreichen    Blick und liebt den Nächsten wie sich
                              Indien ist zweifellos ein reiches       Migrant*innen hunderte von Kilo-         selbst. Im Mittelpunkt der Mission
                                                                                                                                                         Fotos: J. A. Peter (1), J. Böthling (1)

                          Land. Umso trauriger und empören-           metern gingen, blieben viele Christi*-   Gottes stehen die Verletzlichen, die
                          der ist es, dass die Mehrheit gezwun-       innen aus Vorsicht in ihren Häusern      Bedürftigen und Entmutigten. Vor
                          gen ist, in Armut zu leben. Vor allem       und die meisten Kirchentüren blie-       allem gelten die Worte von Jesus
   Joshuva A. Peter       die Armen und Bedürftigen zählen            ben verschlossen. Jedoch haben sich      Christus auch für sie: „Ich bin ge-
ist Pastor in Chennai     zu den Opfern der Covid-19-Pande-           auch Christ*innen und Organisatio-       kommen, damit sie das Leben haben
  und Exekutivsekre-      mie. Ihr Leben ist nicht nur durch das      nen wie die Vereinigte Evangelisch-      und es in Fülle haben“.
       tär der United     Virus bedroht, sondern ebenso durch         Lutherischen Kirchen in Indien
   Evangelical Luthe-     Hunger. In dieser Krisensituation           (UELCI) bemüht, sich in dieser Not-
 ran Church in Indien     sind wir auf die Unterstützung der          situation für die Migrant*innen ein-
              (UELCI).    Partner angewiesen.                         zusetzen. Diese Solidarität gab vor               Übersetzung: Ulrike Plautz

     10      weltbewegt                                                                                                                                                                                          weltbewegt
                                                                                                                                                                                                                 weltbewegt   11
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Welt SEPT.-NOV.2020 C5178 - Nordkirche weltweit
Schwerpunkt

                                          „Hier protestieren Menschen,                                                                                                        Hygieneregeln einhalten, wenn das Wasser knapp
                                                                                                                                                                              ist? Hinzu kommt die finanzielle Not. Es
                                                                                                                                                                              gibt keine Sicherheiten. Diese Situation, in

                                          weil sie Hunger haben“                                                                                                              der kein Mensch weiß, wie lange das noch
                                                                                                                                                                              dauert, erzeugt enormen Stress. Viele Frauen
                                                                                                                                                                              leiden unter häuslicher Gewalt. Alle Lebensumstände
                                          Die Pandemie hat verheerende Folgen für die Menschen                                                                                erhöhen das Erkrankungs- und Sterberisiko stark. Zu-
                                                                                                                                                                              mal unter diesen Bedingungen auch die Rate der Vorer-
                                          in Lateinamerika. Die Zahl der Opfer gehört weltweit zu                                                                             krankungen höher ist als in anderen sozialen Schichten.
                                          den höchsten und auch die Armut wächst enorm. Aber es                                                                               Zur Bevölkerungsgruppe, die am stärksten betroffen ist,
                                          gibt Menschen, die sich wehren. Auch als Partner können                                                                             gehören die sogenannten Afro-Latinos. Zurzeit haben                                                                      Um die Lage zu
                                          wir etwas tun. Fragen an Diana Sanabria, Referentin für                                                                             die Menschen wirklich wenig Hoffnung und große                                                                         verbessern, brauchen
                                                                                                                                                                              Angst vor der Zukunft. In Lateinamerika haben Menschen                                                               die Länder in Lateiname-
                                          Weltwirtschaft.                                                                                                                     protestiert, aber nicht weil sie Corona-Leugner sind,                                                              rika vor allem Geld und
                                                                                                                                                                              sondern weil sie Hunger haben. Aber es gab auch viel                                                             einen Schuldenerlass.
                                                                                                                                                                              Solidarität. Menschen haben sich sofort organisiert und
                                                                                                                                                                              Geld gesammelt, Essen gekauft und es an Bedürftige
                                                                                                                                                                              verteilt. Das Engagement war und ist immer noch sehr groß
                                          Wie ist derzeit die Situation in Kolumbien?                                                                                         und es ist berührend das zu sehen.
                                          Diana Sanabria: Sie ist schwer für die Bevölkerung. Die Ausgangssperren sind
                                          immer noch sehr strikt und kein Mensch weiß, wie lange das noch so geht. Das                                                        Welche wirtschaftlichen Auswirkungen wird das für die          Masken oder Schutzkleidung da sind. Ein andere wichtiger
                                          hat weitreichende Folgen vor allem für die Menschen, die im informellen Sektor                                                      Bevölkerung haben?                                             Aspekt ist der Ausbau der Bildung. Das verbessert die
                                          arbeiten. Für diejenigen, die ihr Geld etwa als Straßenverkäufer, auf Märkten oder                                                  Insgesamt wird für ganz Lateinamerika ein negatives Wachs-     Zukunftschancen junger Menschen fundamental. Wer eine
                                          Tagelöhner verdienen. Das sind immerhin 60 Prozent. Seit dem Lockdown haben                                                         tum von minus 9,1 Prozent prognostiziert. 44 Millionen         bessere Bildung hat, interessiert sich auch für politische
                                          sie nun überhaupt keine Einnahmen mehr. Es gibt kein Arbeitslosengeld und keine                                                     Menschen werden aufgrund der Pandemie zusätzlich               Entwicklungen. Ein weiterer wichtiger Punkt sind die tiefen
                                          Sozialversicherung. Für einige Familien gab es zwar einmalig ein paar Pesos vom                                                     arbeitslos. Man geht davon aus, dass 2,7 Millionen             Ungleichheiten, die abgebaut werden müssen. Es gibt
                                          Staat, aber die Mehrheit der Betroffenen wird von den Zahlungen gar nicht erreicht,                                                 Unternehmen in Lateinamerika insolvent gehen. Man spricht      wenige Reiche, die extrem reich sind, und viele Arme, das
                                          da die meisten nicht registriert sind, geschweige denn ein Bankkonto haben. Die                                                     bereits von einer verlorenen Dekade in der Entwicklung wie     muss verteilt werden. Dazu gehört auch eine Landreform.
                                          Mittelschicht kann es sich vielleicht leisten für ein paar Monate zuhause zu bleiben.                                               schon 2010.                                                    Wenn man das mit einer guten Steuerreform begleiten kann,
                                          Diese paar Monate sind in Kolumbien aber auch schon vorbei. Wie die Krise zu                                                                                                                       wäre das eine gute Perspektive. Leider ist es in dem heutigen
                                          meistern ist, weiß ich im Moment auch nicht.                                                                                        Wenn Menschen so um ihr tägliches Überleben kämpfen            Weltwirtschaftssystem so, dass die lateinamerikanischen
                                                                                                                                                                              müssen, können sie sich meist nicht auch noch politisch        Staaten die hohen Kredite bedienen müssen. Das heißt
                                                                                                                                                                              organisieren, um sich für ihre Rechte und eine andere          Steuern der Bevölkerung gehen zum Teil dafür drauf, dass
                                          Wie sieht es mit der gesundheitlichen Situation im Kolumbien aus?                                                                   Politik einzusetzen, oder?                                     Regierungen Schulden samt Zinsen abbezahlen. Das Geld
                                          Im Vergleich zu anderen Ländern Lateinamerikas steht Kolumbien, was das                                                             Genau, das ist das große Problem. Die meisten sind zu sehr     geht ins Ausland und die Bevölkerung hat davon gar nichts.
                                          Gesundheitssystem betrifft, noch ganz gut da. Dennoch ist es so, dass viele keinen                                                  mit ihrem Überleben beschäftigt. Wenn man auf eine Demo        Ein Schuldenerlass ist nach wie vor nötig.
                                          Zugang zu Krankenhäusern haben, einfach weil es keines in der Nähe gibt. Hinzu                                                      geht, kann man nicht gleichzeitig als Straßenverkäufer
                                          kommt, dass viele Krankenhäuser jetzt restlos überfüllt sind. Das habe ich auch                                                     arbeiten. Wenn man vor der Wahl steht, den Lebensunterhalt     Was können wir als Partnerin tun?
                                          innerhalb unserer Familie erlebt. Als mein Onkel an Corona erkrankt war, gab es                                                     zu verdienen oder zur Demo zu gehen ist die Wahl klar. Viele   Wir können die politische Bildung fördern und vor allem den
                                          im Krankenhaus kein freies Bett mehr. Man wollte ihn, wie bereits viele vor ihm,                                                    haben anstrengende Jobs, müssen morgens früh zur Arbeit        Anliegen lateinamerikanischer Länder Gehör verschaffen. Das
                                          nach Hause schicken, aber seine Töchter drängten darauf, dass er bleiben kann.                                                      gehen und kommen erst spät wieder. Auch dann geht man          gelingt durch entwicklungspolitische Bildungsarbeit. Wichtig
                                          So musste er einen Tag und eine Nacht auf dem Stuhl verbringen, mit 86 Jahren.                                                      nicht mehr auf eine politische Informationsveranstaltung.      ist, dass wir durch Initiativen erreichen, dass endlich die
                                          Zum Glück scheint er die Krankheit zu überstehen.                                                                                   Wenn also ein Politiker kommt und dir ein T-Shirt schenkt,     Schulden erlassen werden. Deutschland ist ein Land, das Ein-
                                                                                                                                                                              und das dann der einzige Politiker ist, den du gesehen         fluss ausüben kann. So sollten wir uns auch dafür einset-
                                          Die steigenden Infektionszahlen in allen lateinamerikanischen Ländern                                                               hast, wird der eben gewählt. Das hat nichts mit Dummheit       zen, dass lateinamerikanische Staaten bei internationa-
                                          sind bedrückend. Wie ist die Situation dort insgesamt?                                                                              oder Unvermögen zu tun, sondern schlicht mit mangelnden        len Abkommen nicht als Verlierer herausgehen, wie dies
                                                                                                                                  Foto: C. Wenn (2), L.Gonzalez/REUTERS (1)

                                          Derzeit steht der ganze amerikanische Kontinent im Focus der Pandemie.                                                              Möglichkeiten an Zeit und Kraft.                               zum Beispiel gerade bei den Investitionsschutz abkom-
                                          Es gibt heute (Stand: 5. 8. 20) über 9 Millionen Infizierte, allein in Lateinamerika                                                                                                               men geschieht, die ausschließlich private wirtschaft-
                                          über 5 Millionen. Ein Ende ist nicht in Sicht. Das hängt auch mit der latein-                                                       Was könnte die Lage verbessern?                                liche Interessen schützen und sowohl Menschenrechte als
                                          amerikanischen Entwicklung zusammen. Ein Drittel der Bevölkerung wohnt in                                                           Immer wieder Geld, so simpel das klingt. Man muss              auch den Umweltschutz außer Acht lassen. Was unmittelbar
                                          Großstädten mit mehr als einer Million Menschen.                                                                                    in Gesundheitssysteme investieren, in Bildung und              wirkt ist tatsächlich auch: Geld spenden. Außerdem ist es         Diana Sa-
                                          Menschen leben unter Bedingungen, die wir uns hier vielleicht nicht so vorstellen                                                   Sozialversorgung. Wenn Menschen Arbeit haben und               gut, sobald es wieder möglich sein wird, nach Lateinamerika       nabria ist
                                          können. Was das bedeutet, wenn eine Familie auf 40 qm wohnt und dann über                                                           versorgt sind, sinkt die Kriminalitätsrate. Wer zu essen       zu fahren, um mehr über die Lebenswirklichkeit der Men-           Referentin für
                                          eine längere Zeit nicht raus darf, kann man sich vorstellen. In den Armenvierteln,                                                  hat, muss nichts klauen, so einfach ist das. Und dass          schen dort zu erfahren. Wichtig ist, dass die Menschen            Weltwirtschaft
  Proteste in Kolumbien fordern von der   den Favelas, Comunas, oder Villas ist das Infektionsrisiko natürlich noch einmal                                                    ganz viel ins Gesundheitssystem gehen muss, ist während        wissen, dass sie nicht vergessen sind, dass sie eine Stimme       im Zentrum
  Regierung die Unterstützung der Armen   höher, weil der Abstand allein schon aufgrund der Wohnsituation in dicht                                                            der Pandemie noch einmal sehr deutlich geworden.               bekommen – und dass wir sie auch hören.                           düe Mission
                                          bewohnten Vierteln nicht eingehalten werden kann. Und wie soll man die                                                              Natürlich wird Krankenhauspersonal krank, wenn zu wenig                                             Interview: Ulrike Plautz     und Ökumene.

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        weltbewegt                                                                                                                                                                                                                                                                                           weltbewegt   13
Welt SEPT.-NOV.2020 C5178 - Nordkirche weltweit
Schwerpunkt

                       Nach der Krise müssen wir neue Wege gehen
                                                                                                                                                                                                                                                               Wie diese Frau sind die
                       Die Covid-19-Pandemie zeigt auch in Nicaragua deutlich: Schon lange stehen gesellschaft-                                                                                                                                          meisten Menschen in Nicara-
                                                                                                                                                                                                                                                        gua zu Fuß oder in öffentlichen
                       liche Veränderungen an, um die Lebensbedingungen der armen Bevölkerung zu verbessern.                                                                                                                                            Verkehrsmitteln unterwegs und
                       Das sollten die Kirchen unterstützen.                                                                                                                                                                                                    damit einer hohen An-
                                                                                                                                                                                                                                                          steckungsgefahr ausgesetzt.
                                                                                                              Blanca Cortés Robles

                       N     imm meine Gabe an, denn ich
                             habe dein Angesicht gesehen,
                       als hätte ich das Angesicht Gottes
                                                                Bruder Esau, dem er mit einer List
                                                                das Erstgeburtsrecht genommen
                                                                hatte. Nach einer Zeit kam es doch
                                                                                                      absurd erscheinenden Situationen
                                                                                                      Widerstand zu leisten, Schäden zu
                                                                                                      beheben und die besten Lösungen
                                                                                                                                                                                                            schichtige und integrale Blick auf
                                                                                                                                                                                                            das Gefüge des Lebens und der Ge-
                                                                                                                                                                                                            schwisterlichkeit lässt uns erken-
                                                                                                                                                                                                                                                    Zeugnis einer Kirche zu sein, die
                                                                                                                                                                                                                                                    Liebe und Erlösung verkündet.
                                                                                                                                                                                                                                                    Wenn wir also über Strategien der
                       gesehen“ 1. Mose, 33 : 10                zur Versöhnung (Genesis 33,10 ff).    zu finden.                                                                                            nen, dass wir uns nicht isoliert ohne   Unterstützung und Sicherheit nach-
                           Im Jahr 2020 wurde die Welt von      Seitdem gingen beide, wenn auch           Wenn wir uns als globale Part-                                                                    Unterstützung inmitten der Gefahr       denken, heißt das nicht, sich der
                       einem Virus überrascht, das auf-         nicht gemeinsam, doch denselben       ner sehen, heißt das, dass wir den                                                                    abschotten können, und das bedeu-       Gefahr auszusetzen, sondern sich
                       grund seiner hohen Ansteckungs-          Weg. Sie erkannten und schätzten      eingeschränkten Blick auf das Le-                                                                     tet, dass auch gefährdete Bevölke-      bewusst zu werden, dass die Krise
                       gefahr schnell zu einer Pandemie         sich. Mit dem gleichen Ziel vor Au-   ben, auf die Natur und auch auf uns                                                                   rungsgruppen Quarantäne benö-           zwar global ist, aber nicht alle Men-
                       wurde. Seitdem prägt Covid-19            gen war es ihnen möglich, die Angst   selbst, hinter uns lassen können                                                                      tigen, um sich zu schützen.             schen gleichermaßen betrifft. Das
                       unvorhergesehen die Lebensrealität       voreinander zu überwinden.            und uns als Teil eines großen Netz-                                                                       In Zeiten der Ausgangssperren       bedeutet: Wir müssen unseren Blick
                       der Menschen und hinterlässt bei            Krisen rufen uns zur Solidarität   werks und Beziehungsgeflechts be-                                                                     geht es darum, dass Betroffene nicht    schärfen, um unser Handeln und
                       vielen einen unerträglichen Schmerz.     und gegenseitiger Unterstützung       greifen, in dem Wissen, dass alles,                                                                   diskriminiert oder ausgegrenzt wer-     unsere Aktionen auf die besondere
                       In dieser Situation zeigen sich die      auf. Sie ermutigen uns, zu Fuß zu     was uns als Einzelpersonen wider-                                                                     den, sondern dass sie die Unterstüt-    Situation von Frauen und Kindern
                       zwei Gesichter des Menschen: Auf         gehen. So ist es möglich, selbst in   fährt, auch das Kollektiv betrifft.                                                                   zung bekommen, die ihnen wirklich       auszurichten, die Gewalt erfahren.
                       der einen Seite steht Edelmut, Men-                                            Unser menschliches Verhalten hat                                                                      hilft. Familien, die in der „selb-      Zu den Menschen, die unsere be-
                       schen, die für ihre Freund*innen ihr                                           immer auch Auswirkungen auf die                                                                       ständigen Wirtschaft“, das heißt im     sondere Aufmerksamkeit brauchen
                       Leben geben würden, nach dem Vor-                                              ökologische Natur. Es gibt keine                                                                      informellen Sektor, arbeiten, brau-     gehören auch Migrant*innen, deren
                       bild Jesu. Zugleich treten Ungerech-                                           Grenzen. Alles ist mit allem verbun-                                                                  chen Unterstützung in Form von          Menschenrechte in Gefahr sind.
                       tigkeit, Machtmissbrauch und die                                               den.                                                                                                  Nahrungsmitteln, von Wasser und         Dazu gehören Menschen, die wegen
                       Ge-fühllosigkeit der Menschen zuta-                                                                                                                                                  Medikamenten für ihre Kinder.           ihrer sexuellen Ausrichtung diskri-
                       ge, die die wirtschaftlichen und poli-                                         Betroffene brauchen die                                                                               Die normale Bevölkerung, die öf-        miniert werden und viele andere
                       tischen Systeme sowie die Wissen-                                              Unterstützung, die wirklich                                                                           fentliche Verkehrsmittel nutzt oder     verletzliche Gruppen. Alle – und
                       schaft ihren egoistischen Ambitio-                                             hilft                                                                                                 zu Fuß durch die Straßen geht, und      nicht zuletzt auch die Erde – warten
                       nen unterordnen. Mit der Folge, dass                                                                                                                                                 sich dadurch einer hohen An-ste-        auf unsere Veränderungen im Den-
                       in unseren Ländern einer großen                                                Der Lockdown hat vielerorts auch                                                                      ckungsgefahr aussetzt, fordert uns      ken und Handeln. In Krisenzeiten
                       Mehrheit der Armen der Zugang zu                                               positive Auswirkungen auf die                                                                         heraus, in ihnen unsere Nachbarn        über Partnerschaft nachzudenken,

                                                                                                                                               Fotos: B. Cortès (2), C. Wenn (1), J. C. Ulate/REUTERS (1)
                       medizinischen Leistungen und men-                                              Umwelt. So tauchten plötzlich wie-                                                                    zu erkennen, zu ihnen zu gehen,         ist nicht einfach: Es erfordert Be-
                       schenwürdiger Behandlung ver-                                                  der Tiere auf, die fast ausgestorben                                                                  ihnen zu begegnen, in ihnen das         wusstsein, Vorbereitung, Ausbil-
  Blanca Cortés        schlossen bleibt.                                                              wären. Als Fabriken und Industrien                                                                    Antlitz Gottes zu erkennen, einen       dung, Strategien und natürlich akti-
   Robles lebt in                                                                                     ihren Verbrauch an Energie und                                                                        Menschen, der leidet, und der           ve Liebe, die es uns erlaubt, uns als
 Managua und ist       Als globale Partner müssen                                                     Treibhausgasen reduzierten, hat sich                                                                  darum kämpft, diese Krise unver-        Teil eines globalen Hauses, des öku-
  Dekanin an der       wir uns als Teil eines großen                                                  die Umweltverschmutzung dras-                                                                         sehrt zu überstehen.                    menischen Hauses, zu sehen, in
   Evangelischen       Beziehungsgeflechts begrei-                                                    tisch verringert.                                                                                                                             dem jeder Mensch zählt. Es ist die
       Fakultät für    fen                                                                                Eine große Mehrheit der Stim-                                                                     Es gibt viele verletzliche Grup-        Kraft der Ruah (des Geistes, Anm.
    Theologische                                                                                      men ist sich einig, dass es notwen-                                                                   pen, die schon lange auf un-            d. Red.), jene Energie, die zur Ver-
  Studien (FEET),      In Krisenzeiten ist die geschwister-                                           dig ist, eine Zeit vor und nach dieser                                                                sere Veränderungen warten               wandlung kommt. Sie regt uns dazu
dem Ausbildungs-       liche Solidarität gefordert. Ein Vor-                                          Krise zu markieren. Dazu gehört                                                                                                               an, „in neuen Zungen zu sprechen“,
       institut der    bild dafür ist die biblische Erzäh-      Auch in Nicaragua gehören Kinder      auch, uns bewusst zu machen, wel-                                                                     Wenn wir als Kirche nach dieser         neue Worte zu finden, die uns auf
   evangelischen       lung der Begegnung zwischen den          zu denen, die am meisten von          chen Einfluss wir auf die Natur aus-                                                                  Krise einen neuen Weg einschlagen,      diesem Weg der Versöhnung und
    Kirchen Nica-      Brüdern Jakob und Esau. Jakob            Armut als Folge der Pandemie          üben und in welcher Art und Weise                                                                     müssen wir über wirksame Strategi-      der Begegnung mit den Geschwis-         Übersetzung:
          raguas.      hatte zunächst Angst vor seinem          betroffen sind.                       wir mit ihr umgehen. Dieser viel-                                                                     en nachdenken, um ein lebendiges        tern begleiten.                         Claudia Hug / Marcia Palma

   14     weltbewegt                                                                                                                                                                                                                                                                                                     weltbewegt
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                         weltbewegt   15
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                       15
Welt SEPT.-NOV.2020 C5178 - Nordkirche weltweit
Schwerpunkt
                                                                                                                                                                                   Schwerpunkt

                                                                              Die Bedeutung der Kirche
                                                                              ist weiter gewachsen
                                                                              Kirchen hatten in Ghana schon immer eine wichtige Rolle. In der Covid-19-
                                                                              Pandemie ist ihre Bedeutung auch für die Regierung noch größer geworden.
                                                                                                                                                          Agnes Quansah

                                                                              I  n einer globalen Krise wie der Covid-19-Pandemie
                                                                                 wird einmal mehr deutlich, wie wichtig die Stimme
                                                                              der Kirchen ist. Das gilt auch für die Politik. Die Regie-
                                                                                                                                           Sofort haben die Kirchen Lebensmittel
                                                                                                                                           und Geld an Betroffene verteilt

                                                                              rung sucht ausdrücklich den Rat der Kirchen. Sie gelten      Auch in Ghana gab es eine zweiwöchige Ausgangs-
                                                                              als überparteilich und vertreten die religiöse Ebene.        sperre. Daran konnten sich die meisten Menschen
                                                                              Dies hat für die Menschen in Ghana eine enorme Bedeu-        jedoch nicht halten. Sie leben von der Hand in den
                                                                              tung. Zusammen mit der Regierung sorgen die einfluss-        Mund, mussten also ihren Kleinhandel weiterbetreiben,
                                                                              reichen Kirchen dafür, dass die Gesundheits- und Prä-        um sich und ihre Familien ernähren zu können. Also
                                                                              ventionsmaßnahmen zum Schutz der Bevölkerung vor             hat die Regierung einen Covid-19-Fonds eingerichtet,
                                                                              der Pandemie auch umgesetzt werden.                          um die Armen und Bedürftigen während der Krise mit
                                                                                  Die Kirchen unterstützen bereits auf ihren Internet-     Nahrungsmitteln oder Bargeld zu versorgen. Auch die
                                                                              seiten das Einhalten der vorgeschriebenen Sicherheits-       Kirchen haben sofort reagiert, indem sie Lebensmittel
                                                                              maßnahmen. Alle Kirchen haben sich an die Richtlinien        zur Verfügung stellten, Betroffene entweder direkt
                                                                              der Regierung gehalten und virtuelle Gottesdienste           finanziell unterstützten oder Geld für den Covid-19
                                                                              gefeiert. Dabei haben sie stets betont, dass alle Gläubi-    Fond der Regierung spendeten. Zudem wurden Notrufe
                                                                              gen während der Pandemie sicher und gesund bleiben           bereitgestellt, über die Menschen finanzielle Unterstüt-
                                                                              sollen. Durch das Tragen von Masken demonstrieren            zung anfordern konnten. Manche Kirchen stellten
                                                                              die Pastor*innen und Kirchenleitenden, wie wichtig die       außerdem Teile ihrer Infrastruktur zur Verfügung. So
                                                                              Regeln sind. Bevor die Kirchen ihre Gottesdienste wieder     bot die Pfingstkirche ihr Gemeindezentrum (PCC) zur
                                                                              aufgenommen hatte, traf sich die Regierung mit der Lei-      Be-handlung und Isolierung von Corona-Infizierten an.
                                                                              tung der verschiedenen Kirchen, um über mögliche Maß-        Dass mitgliederfinanzierte Kirchen nicht nur ihre Mit-
                                                                              nahmen zur Gewährleistung der Sicherheit aller Gemein-       glieder unterstützten, sondern allen Betroffenen Hilfs-
                                                                              demitglieder zu diskutieren. Zurzeit wird überlegt, wie      güter zur Verfügung stellten, wurde von der Gesell-
                                                                              Gottesdienste mit Besucher*innen unter bestimmten            schaft als Geschenk an alle geschätzt.
                                                                              Hygiene- und Abstandsregeln stattfinden können.                  Einige religiöse Gruppen und verschiedene kirch-
                                                                                  Insgesamt sind die Kirchen zur ökumenischen Zu-          liche Gremien organisierten allerdings auch ein drei-
                                                                              sammenarbeit bereit. Zu ihnen gehören der Christliche        tägiges nationales Fasten mit Gebeten in dem Glauben,
                                                                              Rat von Ghana, der Pfingst- und Christenrat, die Katho-      die Menschen so vom Virus befreien zu können. Auch
                                                                              lische Bischofskonferenz, die Nationale Vereinigung          gab es immer wieder Stimmen, die behaupteten, Gott
                  Fotos: www.adpic.de (1), epd bild (1)

                                                                              charismatischer und christlicher Kirchen und andere          wolle mit dem Virus die Welt für ihre Sünden bestrafen.
                                                                              ökumenische Gremien. Alle haben eine hohe Anhän-             Sie verglichen die Zeit mit der Sintflut zur Zeit Noahs.
                                                                              gerschaft und großen Einfluss. So bat der Präsident die
                                                                              Kirchen verschiedener Traditionen und Mus-lime, für          Zusammenarbeit mit der Regierung ist
                                                                              die Gesundheit der Menschen zu beten. Diese Gebete           wichtig, zum Wohle der Bevölkerung
                                                                              richteten sich nicht nur an Gläubige, sondern auch an
                                                          Foto: J. Böthling

                                                                              Angehörige der Gesundheitsberufe und Virologen. Das          Die meisten Prediger, wie Pastor Mensah Otabil, sind
                                                                              zeigt, dass in Ghana nicht nur die wissenschaftliche,        allerdings nicht der Meinung, dass Gott dieses Virus in
                                                                              sondern auch die spirituelle Perspektive in dieser Krise     die Welt geschickt hat, um sie zu zerstören. Vielmehr        Fortsetzung auf
                                                                              eine wichtige Rolle spielt.                                  ermutigten sie die Menschen, ihre Hoffnung nicht zu          Seite 18

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Welt SEPT.-NOV.2020 C5178 - Nordkirche weltweit
Schwerpunkt
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                       Schwerpunkt

                                                                                                                                         Fotos: C. Wenn (1), www.adpic.de (1), A. Quansah (1), F. Kokoroko/REUTERS (1)
                                                                                                                                                                                                                         Lasst uns Ubuntu leben!
                                                                                                                                                                                                                         Zehn theologische Thesen zur Covid-19-Pandemie

      Verkündigung
     im Kleinformat:                                                                                                                                                                                                     Theologie ist „God-Talk“. Sie reflektiert, wie wir in   Falsche Propheten und religiöse Scharlatane nut-
           In Ghana                                                                                                                                                                                                      verschiedenen Situationen über Gott sprechen. Die       zen Krisenzeiten wie die Covid-19-Pandemie, um
           verfolgen                                                                                                                                                                                                     Covid-19-Pandemie fordert uns stark in unserem          Gläubige mit einer Religion der Angst zu terrorisie-
            Kindern                                                                                                                                                                                                      Glauben heraus. Seitdem das Virus im Dezember           ren. Sie behaupten, Visionen und Zeichen erhalten
       während des                                                                                                                                                                                                       2019 ausgebrochen ist, kämpft die gesamte Welt          zu haben, um selbst nicht in Frage gestellt zu wer-
        Lockdowns                                                                                                                                                                                                        gegen diese beispiellose Krankheit. Mit ihren schwe-    den. Gegen diese Gefahr warnt uns die Bibel. Wir
         einen Live-                                                                                                                                                                                                     ren wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen          lesen: „Geliebte, glaube nicht jedem Geist, sondern
       Gottesdienst                                                                                                                                                                                                      hat Covid-19-Verschwörungstheorien, Spekulatio-         prüfe die Geister, um zu sehen, ob sie von Gott
            auf dem                                                                                                                                                                                                      nen und unterschiedliche theologische Interpretati-     sind, denn viele falsche Propheten sind in die Welt
       Smartphone.                                                                                                                                                                                                       onen auf den Plan gerufen. Als Gesamtafrikanische       hinausgegangen“ (1. Johannes 4,1). Alle gewissen-
                                                                                                                                                                                                                         Kirchenkonferenz haben wir zehn theologische            haften Gläubige und demütige Forschende sind in
                                                                                                                                                                                                                         Thesen erarbeitet, um die afrikanischen Kirchen in      der Lage, Personen und Lehrende zu beurteilen.
                                                                                                                                                                                                                         ihrem Denken und Handeln zu unterstützen. Allen         Der Geist Gottes spricht nie gegen sein Wort.
                        verlieren und auch in der Krise auf Gott zu vertrauen.                                                                                                                                           voran steht die Erkenntnis, dass Gott schlechte und
                        Um die Menschen mit ihrer Botschaft zu erreichen,          In Ghana leben etwa 28.500.000 Menschen.                                                                                              gute Dinge in der Welt geschehen lässt.                 These 3: Apokalyptische Erklärungen der Pan-
                        hielten sie ihre Gottesdienste über elektronische Medi-    71,2 Prozent gehören der christlichen Reli-                                                                                                                                                   demie lehnen wir ab
                        en. So konnten die Gläubigen bequem von zu Hause aus       gion an. 17,6 Prozent sind Muslime, 5,2 Pro-                                                                                          These 1: Spekulationen über Ursprung und                „Von jenem Tage aber oder der Stunde weiß nie-
                        daran teilnehmen. Die ökumenischen Einrichtungen in        zent sind Mitglieder traditioneller afrikani-                                                                                         Zweck von Covid-19 sind reine Vermutungen               mand, auch die Engel im Himmel nicht, auch der
                        Ghana haben also mit der Regierung zusammengear-           scher Religionen und 0,8 gehören anderen                                                                                              „Denn meine Gedanken sind nicht eure Gedanken,          Sohn nicht, sondern allein der Vater“ (Markus 13,
                        beitet, um die Ausbreitung des Virus zu verringern.        Religionsgemeinschaften an.                                                                                                           und eure Wege sind nicht meine Wege, spricht der        32).
                        Und sie haben Solidarität gezeigt, indem sie sich selbst                                                                                                                                         HERR; sondern so viel der Himmel höher ist denn         Diese Pandemie ist nicht die erste in der Geschich-
                        an die Hygiene- und Abstandsmaßnahmen gehalten                                                                                                                                                   die Erde, so sind auch meine Wege höher denn eu-        te, doch jedes Mal gab es Versuchungen, die außer-
                        haben. Früher dauerten Gottesdienste in der Regel drei                              Übersetzung: Ulrike Plautz                                                                                   re Wege und meine Gedanken denn eure Gedan-             gewöhnlichen Ereignisse apokalyptisch zu interpre-
                        bis vier Stunden. Jetzt dauern sie nur noch eine Stunde,                                                                                                                                         ken“ (Jesaja 55, 8-9).                                  tieren, zum Beispiel den Millenniumswechsel im
                        zugelassen sind nur einhundert Besucher*innen, alle                                                                                                                                              In Zeiten der Bedrängnis und Verwirrung suchen          Jahr 2000. Wir wissen, dass diese Interpretationen
                        tragen einen Mund-Nase-Schutz.                                                                                                                                                                   Menschen nach Ursprung und Zweck des Unglücks.          falsch waren, denn die Welt existiert weiter und
                            In der Krise hat sich gezeigt, dass es mit einer gut                                                                                                                                         Theologische Interpretationen stützen sich meist        Jesus ist noch nicht zurückgekehrt. Er verbot sei-
                        funktionierenden Kooperation zwischen ökumenischen                                                                                                                                               auf Bibelstellen. Doch längst nicht alle Erklärungen    nen Jüngern, den genauen Zeitpunkt seiner Rück-
                        Gremien und der Regierung gelingen kann, Maß-                                                                                                                                                    sind haltbar, selbst wenn sie mit Zitaten oder ande-    kehr vorherzusagen. Sie sollten lieber mit ihrer
    Agnes Quansah       nahmen zum Wohle der Bevölkerung umzusetzen.                                                                                                                                                     ren Beweistexten untermauert sind. So kursieren in      Arbeit fortfahren, als ob er nicht käme, denn Jesus
   aus Gomoa Nyan-      Das sollte auch in Zukunft so bleiben. Dadurch ist                                                                                                                                               den Kirchen, den Medien und sozialen Netzwerken         wird zu der Zeit kommen, zu der man es am wenigs-
    yano in Ghana ist   gewährleistet, dass spirituelle Anliegen der Men-                                                                                                                                                Spekulationen über Covid-19 als Zeichen der End-        ten erwartet. Darauf sollten wir als Christ*innen in
 zurzeit Stipendiatin   schen und ihr Bedürfnis nach Hoffnung ernst                                                                                                                                                      zeit, als Strafe Gottes für unsere Sünden wie bei-      freudiger Hoffnung auf ewige Erlösung warten und
an der Missionsaka-     genommen werden. Trotzdem gibt es einige Dinge,                                                                                                                                                  spielsweise ein ausschweifendes Sexualleben.            nicht voller Angst vor einer Strafe und Verurteilung.
 demie der Universi-    die sich in Zukunft noch verbessern ließen. So sollten                                                                                                                                           Schon in der Vergangenheit haben sich solche Er-
tät Hamburg. Vorher     die Kirchen auf nationaler Ebene noch gendergerechter                                                                                                                                            klärungen als falsch erwiesen.                          These 4: Gott verspricht uns, auch bei Leid und
 war sie in Accra am    vertreten sein. Hier sind Frauen immer noch unterre-       Vor allem in stürmischen                                                                                                                                                                      Tod mit uns zu sein
  Department for the    präsentiert. Außerdem sollten auch die Stimmen der         Zeiten braucht man einen                                                                                                              These 2: Wir müssen jeden Propheten prüfen              „Dies habe ich mit euch geredet, damit ihr in mir
   Study of Religions   Ausgegrenzten noch stärker Gehör finden. Denn zur          gemeinsamen Kompass, an                                                                                                               „Auch von den Propheten lasst zwei oder drei re-        Frieden habt. In der Welt habt ihr Angst; aber seid
 an der University of   Hauptaufgabe der Kirchen gehört es dafür zu sorgen,         dem man sich ausrichten und                                                                                                          den, und die andern lasst darüber urteilen“ (1. Ko-     getrost, ich habe die Welt überwunden“ (Johannes          Fortsetzung auf
         Ghana tätig.   dass alle Menschen ein Leben in Fülle haben.                               orientieren kann.                                                                                                     rinther 14, 29).                                        16, 33).                                                  Seite 20

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