Welt SEPT.-NOV.2020 C5178 - Nordkirche weltweit
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welt SEPT. – NOV. 2020 C 51 78 Schwerpunkt Wenn‘s drauf ankommt Partnerschaften in Zeiten der Krise weltbewegt 37
Schwerpunkt Aus dem Inhalt Editorial Es öffnen sich neue Lasst uns Ubuntu Türen leben! 4 19 Liebe Leser*in, Die Pandemie hat Indien hart Der Gesamtafrikanische Kir- getroffen. Trotz der Not gibt es chenrat (AACC) hat zehn vor dem Coronavirus bleibt kein Die Pandemie in Afrika erfordert gemeinsames neue Formen der Verbindung, theologische Thesen zur Co- Land verschont. Dennoch, in Handeln von Christ*innen und Muslimen so Jörg Ostermann-Ohno. vid-19 Pandemie formuliert. den ärmeren Ländern werden Eine globale Pandemie macht globales Handeln notwen- die Menschen von den Folgen dig, davon ist die christlich-muslimische Organisation in Wir sitzen alle im Jetzt erst recht! der Pandemie erbarmungsloser Afrika (PROCMURA) überzeugt. Covid-19 habe als „Afri- selben Boot getroffen. Zwei von drei Opfern Gerade in dieser Zeit, die Leid 6 22 candemic“ den gesamten Kontinent getroffen, nun sei auch weltweit kommen von dort. vereintes Handeln gefragt, heißt es in einem Ende Mai ver- Als die Inderin Mary Chang und Unsicherheit erzeugt, hat Indien verzeichnet derzeit die höchste Zahl von Neuin- öffentlichten Statement, das dazu aufruft, gemeinsam zum nach Hamburg zog, kam der Christian Wollmann erfahren, wie fektionen an einem Tag. Besonders betroffen auch hier: Wohle aller zu handeln. Covid-19 sei ein existenzielles Pro- Lockdown und die Verbun- lebendig und tragfähig christ- die indigene Bevölkerung. Viele leben in der Jeyporekir- blem, das besondere Maßnahmen erfordere, erklärte PROC- denheit zur Heimat wuchs. liche Partnerschaften sind. che, einer Partnerkirche der Nordkirche. Es fehlt die In- Fotos: C. Plautz (1), C. Wenn (1), adpic (5), JELC (1), A. Michael (1), wikimedia (2), A. Mc Kellar (1), A. Jones (1), Fan Pu (1) MURA, ein langjähriger Partner des Zentrums für Mission frastruktur, um Pandemien rechtzeitig eindämmen oder und Ökumene. „Es besteht daher ein dringender Bedarf, die Im Sturm müssen wir Andere nicht zum schnelle medizinische Versorgung gewährleisten zu kön- ausgegrenzten und benachteiligten Menschen in der Gesell- zusammenhalten Objekt machen nen. Krankenhäuser oder Krankenstationen sind weit 8 23 schaft mit Lebensmitteln zu versorgen, damit die Menschen, entfernt, medizinische Ausstattung und Schutzkleidung die infolge der Pandemie in wirtschaftliche Schwierigkeiten Welche Qualitäten brauchen In der weltweiten Ökumene oft mangelhaft. In diesen Ländern können sich die geraten sind, über die Runden kommen“, heißt es. So hat die Kirchenpartnerschaften? geht es heute vor allem um wenigsten Menschen leisten, zuhause zu bleiben. Zwei Organisation nach einer länderübergreifenden Analyse ent- Joshuva Peter hat biblische Gerechtigkeit und Teilhabe, Milliarden Menschen arbeiten nach Aussage der Interna- schieden, erste Hilfsmaßnahmen in den Slums von Nairobi Vorbilder entdeckt. erklärt Anton Knuth. tionalen Arbeitsorganisation (ILO) im sogenannten in- zu starten. Sowohl Christ*innen als auch Muslime sollen formellen Sektor. Das heißt, sie sind ohne feste Anstel- nicht nur von den Maßnahmen profitieren, sondern auch „Sie protestieren, weil Wir sind nicht allein, lung und verdienen ihr Geld etwa als Straßenverkäuferin, bei der Umsetzung eingebunden sein – so PROCMURA. sie Hunger haben“ das stärkt Tagelöhner, Hausangestellte oder Wanderarbeiter. Am Gemeinsam mit lokalen Gemeinden verteilte die Organisa- tion Essenspakete sowie waschbare Gesichtsmasken speziell 12 Die Zahl der Opfer in Latein- Als Polen die Grenzen schloss, 26 stärksten betroffen sind die Menschen in Afrika und Lateinamerika. Für sie kommen viele Probleme zusam- amerika steigt rasant und mit war es für Anna Wrzesińska ein für Kinder und stellte Wasserfässer zum Händewaschen men: Covid-19, der Klimawandel, große gesellschafts- ihr die Armut. Partner können Trost, dass das Netzwerk der auf. Alle seien aufgefordert die Hygienemaßnahmen zu politische Konflikte und Ungerechtigkeit. So ist die Sorge helfen, so Diana Sanabria Kirche funktioniert. befolgen nach dem Motto „Indem ich andere schützte, berechtigt, dass mehr Menschen an Hunger und Armut schütze ich mich selbst“. Die Organisation betonte weiter- infolge der Pandemie sterben könnten, als an dem Virus hin, „die dringende Notwendigkeit“ mit anderen religiösen Nach der Krise neue Zusammen, selbst selbst. Diese verschiedenen Lebenswirklichkeiten prägen Gruppen, Regierungen und Organisationen der Zivilgesell- Wege gehen wenn wir getrennt sind die Beziehungen zu Kirchen in Indien, China, Tansania, 14 schaft zusammenzuarbeiten, „um durch eine kollektive Lateinamerika, Europa und den USA. Man fragt sich: Aktion eine weitere Ausbreitung der Pandemie zu verhin- dern“. Die Organisation hat die Hoffnung, dass mit einem Blanca Cortés Robles will, dass Kirchen gesellschaftliche Wie sieht eine lebendige Kirchengemeinschaft aus in 28 Können unsere ökumenische Partnerschaften das ver- kraften? Liest man die Beträge der Autorinnen und Auto- gemeinsamen Handeln größeres Leid verhindert werden Veränderungen fördern sollen, einer Post-Brexit-Welt?, fragt ren aus den Partnerkirchen, heißt die Antwort: Ja, unsere kann. So heißt es zum Schluss des christlich-muslimischen die jetzt notwendig werden. Kate Boardman. Partnerschaften halten das aus. Einige meinen sogar, es Statements: „Lasst uns eine Kerze der Hoffnung anzünden, sei etwas gewachsen, aber auch an der Zeit, Altes in Frage um die Dunkelheit zu überwinden, die Covid-19 über uns Die Bedeutung der Gleichberechtigung ist zu stellen. gebracht hat. Möge Gott, in dem wir leben, uns daran erin- Kirche wächst weiter das Wichtigste Ihre 17 30 nern, dass wir als Menschen in Bedrängnis leben, aber nicht vernichtet werden können“. Kirchen hatten in Ghana im- Welche Rolle haben weltweite mer eine wichtige Bedeutung. Partnerschaften? Ruomin Lui, Die ist in der Krise noch ge- Theologe aus China, sprach für PS: Ihre Meinung interessiert uns. Deshalb schreiben Sie uns gern! wachsen, so Agnes Quansah. weltbewegt mit Landsleuten. weltbewegt-Post-Anschrift: Zentrum für Mission und Ökumene – Nordkirche weltweit, Postfach 52 03 54, 22593 Hamburg, Telefon 040 88181-0, Fax -210, E-Mail: info@nordkirche-weltweit.de IMPRESSUM: weltbewegt (breklumer sonntagsblatt fürs Haus) erscheint viermal jährlich. HERAUSGEBER UND V ERLEGER: Zentrum für Mission und Ökume- DRUCK, VERTRIEB UND VERARBEITUNG: Druckzentrum Neumünster, JAHRESBEITRAG: 15,– Euro, SPENDENKONTO: IBAN DE77 5206 0410 0000 1113 33 ne – Nordkirche weltweit, Breklum und Hamburg. Das Zentrum für Mission und Ökumene ist ein Werk der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland. EVANGELISCHE BANK, BIC GENODEF1EK1. Mit Namen gekennzeichnete Artikel geben die Meinung des Autors/der Autorin und nicht unbedingt die Ansicht des DIREKTOR: Pastor Dr. Christian Wollmann (V.i.S.d.P.), REDAKTION: Ulrike Plautz, GESTALTUNG: Christiane Wenn, KONZEPT: Andreas Salomon-Prym, SCHLUSS herausgebenden Werkes wieder. Die Redaktion behält sich vor, Manuskripte redaktionell zu b earbeiten und gegebenenfalls zu kürzen. Gendergerechte Sprache KORREKTUR: Constanze Bandowski, ADRESSE: Agathe-Lasch-Weg 16, 22605 H amburg, Telefon 040 88181-0, Fax: 040 88181-210, w ww.nordkirche-weltweit.de. wenden wir in dieser Publikation an, indem wir das sogenannte Gendersternchen (*) in einem Wort benutzen. Gedruckt auf TCF – total chlorfrei gebleichtem Papier. 2 weltbewegt weltbewegt 3
Schwerpunkt Es öffnen sich neue Türen, trotz der Not Die Menschen in Assam sind auf Nahrungsmittel- Indien hat sich derzeit zum Corona-Hotspot entwickelt. pakete angewie- Weit über 90.000 Neuinfektionen wurden innerhalb eines sen, weil die Arbeit auf den Tages registriert, die höchste Zahl weltweit. Betroffen sind Teeplantagen auch hier besonders die Armen und damit auch die Men- während der schen der Partnerkirche in in Odisha. Welche Bedeutung Pandemie nicht möglich war. hat in diesen Zeiten die ökumenische Partnerschaft zu (Bischof Nag (l.) Kirchen wie der Nordkirche? bei der Verteilung der Hilfsgüter) Jörg Ostermann-Ohno G emessen an der Zahl der bestä- tigten Covid-19-Fälle belegt Indien mit derzeit knapp 4,1 Millio- heitssystem, das auf diese Pandemie insgesamt schlecht vorbereitet war. Hier rächt sich nun, dass Indien mit denden zu organisieren. Ranjita Christie Borgoary, Frauensekretä- rin der UELCI, war von der Situati- größer. An knapp 300 Familien ha- ben freiwillige Helfer*innen Notfall- rationen von Reis, Linsen, Öl und gen Zeit bewährt. So waren einzel- ne Personen und ganze Kirchen- kreise in der Nordkirche sehr nen Fällen weltweit einen traurigen 3,6 Prozent des BIP (Stand 2018) on tief berührt: „Die Menschen Hygieneartikeln verteilt. schnell zur Stelle und haben Spen- dritten Platz hinter den USA und auch im internationalen Vergleich waren durstig und hungrig. Sie Insbesondere die Jeypore-Kirche den für die Partnerkirchen wie Brasilien. Die Zahl der Toten stieg (Deutschland: 11,2 Prozent) sehr we- haben uns gedankt mit Tränen in trifft die Pandemie in einer ohne- auch für die Theologiestudierenden auf über 70 626 Menschen. Eine nig für sein Gesundheitswesen aus- den Augen, dass wir ihnen in dieser hin krisenhaften Zeit. Anfang des am Orissa Christian College ge- Besserung ist nicht in Sicht. Im gibt. Zeit der Not zu Hilfe gekommen Jahres wurde das Konto für die Aus- sammelt. Gegenteil: mit 90 632* Neuinfektio- sind.“ landsgelder der Kirche durch die Reisen und Begegnungen wer- nen am Tag verzeichnet Indien die Indische Kirchen helfen, ob- Dies ist nur ein Beispiel, in welch Regierung gesperrt. Damit sind den vermutlich für längere Zeit höchste Infektionsrate weltweit. wohl sie selbst betroffen sind vielfältiger Weise die indischen Kir- auch die Gelder für Programme nicht möglich sein. Dennoch hat Waren es zunächst vor allem die chen das ihnen Mögliche tun, um und die jetzt so dringend nötigen die Krise uns nicht auseinander- Metropolregionen wie Mumbai, Pastor Joshuva Peter, der Exekutiv- notleidenden Menschen in dieser Hilfsmaßnahmen nicht abrufbar. gebracht. Online-Gottesdienste auf Delhi oder Chennai, die besonders sekretär der United Evangelical Lu- Pandemie zur Seite zu stehen, un- Gerade in dieser Situation bewährt Facebook, Zoom-Meetings zum the- stark von Corona betroffen waren, theran Church (UELCI) in Chen- geachtet ihrer Herkunft, Religion sich nun die ökumenische Verbun- matischen und persönlichen Aus- so greift die Pandemie mittlerweile nai, des Dachverbands der meisten oder Kaste. Dabei hat die Pandemie denheit innerhalb der lutherischen tausch und die Kommunikation auch in den ländlichen Regionen um lutherischen Kirchen in Indien, auch die Kirchen selbst schwer Kirchengemeinschaft in Indien. So über die sozialen Medien lassen uns sich. Auch der Koraput-Distrikt ist berichtet von dramatischen Szenen getroffen. Da infolge des monate- war es möglich, über die UELCI in Anteil nehmen am Leben der mittlerweile eine „Rote Zone“, also in Chennai. So waren am 18. Mai langen und sehr harten Lockdowns Chennai die Gelder des Corona-Not- Christ*innen in Indien. Zeitnah besonders stark betroffen. Ein an die 2 000 Arbeitsmigrant*innen in Indien auch keine Versammlun- fallfonds der Nordkirche und einzel- erreichen uns Fotos, auf denen zu Grund dafür ist wohl auch der und ihre Familien, die auf dem Weg gen oder Gottesdienste stattfinden ne Spenden für Hilfsmaßnahmen sehen ist, wie der Bischof oder die Umstand, dass Millionen Wan- in ihre Heimatorte in den nordöst- konnten, fielen in den meisten Ge- wie Lebensmittelverteilungen und Pastor*innen und freiwillige Helfer*- derarbeiter*innen von einem Tag auf lichen Bundesstaaten Indiens, im meinden die Kollekten und Ein- Hygieneschulungen an die Jeypore- innen Lebensmittel verteilen. Ein- den anderen mit ihrer Arbeit auch Nehru-Stadium nahe dem zentra- nahmen weg. Viele der Pastor*innen Kirche zu überweisen. Insgesamt 34 zelne Gemeindeglieder teilen Ge- ihr Einkommen und ihre Bleibe ver- len Hauptbahnhof gestrandet, wo und kirchlichen Mitarbeiter*innen 000 Euro konnten wir auf diesem betsanliegen über WhatsApp. Pas- Foto: E. v. d. Heyde (1), Assam-Kirche (1), C. Wenn (1) loren und somit gezwungen waren, sie auf Sonderzüge und Busse war- vor allem in den ländlichen Regio- Weg für Notfallhilfe für die Jeypo- tor*innen streamen ihre Gottes- in ihre Heimatorte zurückzukehren. teten, die die Regierung für sie orga- nen waren damit selbst in Not gera- re-Kirche übermitteln, wo diese Hil- dienste. Christliche Jugendgruppen Viele von ihnen mussten ihren nisieren wollte. Seit zwei Tagen ten. Dennoch engagieren sich unse- fen dringend gebraucht werden. singen und musizieren auf Face- Heimweg zu Fuß zurücklegen – wurden sie dort jedoch sich selbst re kirchlichen Partner, um Jesu book und anderen Medien. Die er- manchmal über Hunderte von Kilo- überlassen, in der prallen Sommer- Worte in die Tat umzusetzen: „Ich Die Krise konnte uns nicht zwungene physische Distanz schafft metern. Da es für sie auf diesen ent- hitze ohne jegliche Versorgung mit war hungrig, und ihr habt mir zu auseinanderbringen damit neue Wege der Verbindung, behrungsreichen Wegen weder eine Trinkwasser oder Essen. Unter ih- essen gegeben.“ Schon im April hat die geeignet sind, uns näher zusam- staatliche Versorgung noch Mög- nen waren auch zahlreiche Kinder, Bischof Nag von der Assamkirche Die Krise, deren Ende noch lange menzu ringen als je zuvor. So öff- lichkeiten von Hygiene, medizini- Schwangere und Kranke. Auf Ver- mit Geldern aus der Nordkirche nicht absehbar ist, ist für die Men- nen sich trotz aller Not und Gefähr- Jörg Ostermann- scher Versorgung oder gar Testung mittlung einer Hilfsorganisation erste Hilfsmaßnahmen initiiert. Da schen in unseren Partnerkirchen dung viele neue Fenster und Türen Ohno ist Indien- gab, brachten einigen von ihnen das hat die UELCI umgehend reagiert. die meisten der lutherischen Christ*- nach wie vor bedrohlich. Es ist zwischen unseren Kirchen, die wir referent des Virus wohl auch mit in ihre Heimat- Ein Hilfsteam wurde gebildet, um innen ihrer Arbeit auf den Teeplan- jedoch ermutigend zu sehen, wie hoffentlich auch auf lange Sicht Zentrums für regionen. Dort trafen sie auf ein die Verteilung von Wasserrationen tagen nicht mehr nachgehen konn- sehr sich unsere geschwisterliche offen halten werden, auch in der Mission und ohnehin schon überlastetes Gesund- und Lebensmitteln an die Notlei- ten, wurde die Not von Tag zu Tag Verbundenheit in dieser schwieri- ersehnten Post-Corona-Zeit. Ökumene. 4 weltbewegt (* Erhebungen der Johns-Hopkins-Universität in Baltimore am 6.9.2020) weltbewegt 5
Schwerpunkt Schwerpunkt Wir sitzen alle im selben Boot Als Mary Chang aus Indien zum Studium nach Hamburg kam, hatte sich das Virus auch hier gerade ausgebreitet. Noch nie hatte sie sich ihren Landsleuten so nahe gefühlt und gleichzeitig wurde klar, dass Krisen wie diese helfen Und so gibt es auch in diesen neue Fragen zu stellen, auch in der Kirche. Zeiten der Krise die Erfahrungen, dass Freunde und Freundinnen, Partner und Partnerinnen alterna- tive Wege fanden, um sich auszutau- sind. Inzwischen hören wir, wie viele schen und füreinander da zu sein. V or mir lag das erste Jahr in wie Hamburg treffen könnten, wo ich auch in dieser Zeit nicht allein lässt. Beginn der Krise, über Erfah- Branchen von der Krise betroffen Längst verlorene Freund*innen fin- Fotos: C. Wenn (1), F. Bimmer/REUTERS (1), M. Chang (1) einem fremden Land. Ich war mich bislang so sicher und geborgen Ich habe erfahren, dass die christ- rungen auszutauschen. sind: dazu gehören unter anderem den wieder zusammen, Kinder küm- hoch motiviert und es schien ein gefühlt hatte. Dann folgte das, was liche Gemeinschaft auch unter die- Als die Pandemie immer mehr viele multinationale Unternehmen, mern sich intensiver um das Wohl erfolgreiches und glückliches Jahr alle noch gut in Erinnerung haben: sen besonderen Bedingungen leben- Länder, Städte und Dörfer erreichte, Import und Export und nicht zu- ihrer Eltern und Großeltern. Kolleg*- zu werden. Auf dem Frühstückstisch die Schließung aller Institutionen, dig bleibt. Als während des Lock- waren wir alle gleichermaßen von letzt auch die Tourismusbranche. innen, deren übliche Diskussion stand eine heiße Tasse Kaffee, ge- der Märkte und öffentlichen Plätze. downs auch die Türen unserer Missi- einem Gefühl der Verwundbarkeit Eine beispiellose Kettenreaktion, die hauptsächlich berufsbezogen war, röstetes Brot und ein Ei. Ich genoss In vielen Gesichtern sah ich Angst onsakademie schließen mussten, öff- betroffen. „Wir sitzen in dieser Situa- sicher eine globale Krise zur Folge fragen nach dem Wohlergehen der das Frühstück, suchte parallel in und Unsicherheit. Der Park, in dem neten sich andere Türen, beziehungs- tion alle im selben Boot“, erklärte so haben wird. Familie des anderen. Und nicht meinem Telefon nach Neuigkeiten ältere Menschen auf den Bänken weise neue digitale „Kommunikati- auch UN-Generalsekretär António Als Folge des landesweiten Lock- zuletzt hat auch die Natur begonnen, und Updates und freute mich auf saßen und plauderten und der erfüllt onsfenster“. Durch sie konnten wir Guterres. Der Apostel Paulus hatte downs fehlte auch die Arbeitskraft ihren Raum zurückzugewinnen, der motivierende Neuigkeiten. Doch was war vom fröhlichen Kichern spielen- auf andere Weise mit unseren Kolle- dafür das Bild von dem einen Leib der Wanderarbeiter*innen. Die lange Himmel wurde klarer und blauer ich las bewirkte das Gegenteil. Die der Kinder, war nun leer. Diese neue ginnen und Kollegen zusammenar- mit vielen Gliedern gebraucht. Lieferkette wurde unterbrochen, was und die Rückkehr von Delfinen in Nachrichten und Videos in den sozi- Situation erschwerte auch meinen beiten. Durch sie konnten wir aber in einigen Regionen zu Nahrungs- ihre ursprünglichen Gewässer brach- alen Medien erfüllten mich mit Alltag als Studentin. auch mit Freundinnen, Freunden Während des Lockdowns mittelknappheit führte, während in te Freude und Hoffnung, dass nicht Angst. Der Kaffee wurde plötzlich Trotz dieser Herausforderung hat- und Familienmitgliedern in Verbin- gab es in vielen Regionen anderen Gebieten Lebensmittel wäh- alles verloren ist. kalt, als ich von einer unbekannten te ich die Hoffnung, dass uns Gott dung treten, um uns, vor allem zu Indiens nichts mehr zu essen rend des Transports verdorrten und In den weltweiten Partnerschaf- Krankheit in Wuhan erfuhr. Videos verfaulten und erst gar nicht auf den ten der Ökumene wurden neue Wege von Menschen, die auf Autobahnen In meinem Hei- Weg gebracht werden konnten. Viele des Engagements gesucht und gefun- atemlos zusammenbrachen, von Men- matland Indien Menschen mussten tagelang hungern den. Wie notwendig es ist, Beziehun- schen, die Schwierigkeiten hatten, haben viele ihren und viele Kilometer zu Fuß laufen, gen zu pflegen, stärkere Netzwerke im Inkubator zu atmen, und die Job und ihren Le- um schließlich einen Ort zu finden, und Partnerschaften auf allen Ebe- Unsicherheit, die mit dieser neuen bensunterhalt ver- an dem man etwas zu essen kaufen nen aufzubauen, zeigt sich besonders Krankheit verbunden war, beunru- loren. Vor allem konnte. in dieser Zeit der Krise, die bisher higten mich zutiefst. Mir wurde heiß die armen Men- Es gibt Situationen, in denen Geld beispiellos ist. Es gibt inzwischen und kalt zugleich. Was für ein Jah- schen, die zu den allein das Problem nicht lösen kann, viele neue Bemühungen der Zusam- resbeginn? Ich betete innerlich, dass Marginalisierten sondern mehr gefragt ist: Tatkraft menarbeit. Mehr als bisher fordern diese Nachrichten nur ein schlechter gehören, sind ver- und Aufmerksamkeit für die Bedürf- die Partner sich gegenseitig zu gei- Scherz seien. zweifelt und ver- nisse des Anderen. Im neuen Testa- stiger, spiritueller und psychologi- unsichert, was ih- ment heißt es: „Du sollst deinen scher Unterstützung auf und ich Mary Chang ist Ich hätte nicht gedacht, dass re Zukunft be- Nächsten lieben wie dich selbst“ habe beobachtet, dass das Bestreben Theologin und Auch Hamburg die Pandemie auch Städte trifft. Die Nach- (Matthäus 22,39). Als Christ*innen zur harmonischen Zusammenarbeit Stipendiatin war betroffen wie Hamburg trifft richten, die ich sind wir aufgerufen, ohne Vorurteile stärker geworden ist. Krisen wie Missionsakademie und die Hilfsbe- aus meinem Land auf Andere zuzugehen. Denn wir diese können auch helfen, sich zu neu der Universität reitschaft groß: Damals hätte ich nicht gedacht, dass bekam, waren be- halten an der Sehnsucht fest, dass alle die Frage zu stellen, was wir wirklich Hamburg. Vorher An einen Gaben- sich die unbekannte Krankheit in- drückend. Die Menschen ein Dach über dem Kopf voneinander erwarten, wie wir uns lebte und arbeitete zaun hängten nerhalb eines Monats in Windeseile Pandemie stellte haben und genug Nahrung für Kör- am sinnvollsten unterstützen und sie in Nagaland/ Hamburger*innen ausbreiten könnte. Noch als ich die viele vor neue per und Geist haben sollen, sowie in den christlichen Auftrag noch besser Indien, wo sie sich Gegenstände für ersten Nachrichten über diese neue Herausforderun- Frieden und Mitgefühl füreinander erfüllen können. besonders für Menschen, die „Phantomkrankheit“ sah, habe ich gen, insbesondere leben sollen. Mehr als zuvor fordern Frauen und junge durch Corona in mir nicht vorstellen können, dass die Branchen, die sich die Partner zu spiritueller und Menschen enga- Not geraten sind. ihre giftigen Pfeile auch eine Stadt ohnehin bedroht seelischer Unterstützung auf. Übersetzung: Ulrike Plautz gierte. 6 weltbewegt weltbewegt 7
Schwerpunkt Um durch den Sturm zu kommen, müssen wir zusammenhalten Die Wanderarbei- Heute gibt es in der Mission ter müssen zurück keine „Geber“ und „Empfän- in ihre Heimatregi- ger“ mehr onen und befolgen damit die Anweisung Welche neuen Aufgaben haben der Regierung. Partnerschaft und Mission heute, Welche Qualitäten braucht eine Partner- in dieser so besonderen Situation? Die vier biblischen Beispiele geben schaft zwischen Kirchen, wenn sie uns dafür ermutigende Vorbilder. gelingen soll? Der indische Pastor Das wichtigste Anliegen der Missi- Joshuva A. Peter hat in biblischen on Jesu Christi ist es, uns ein Leben in seiner ganzen Fülle zu geben. Geschichten Vorbilder entdeckt. So sollte es auch das Hauptanliegen einer Partnerschaft sein, allen Men- schen ein Leben in Fülle zu ermög- lichen. Dafür brauchen wir starke Partnerschaften. Ist das Hauptkenn- zeichen einer Partnerschaft nur Zu- sammengehörigkeit? Nein, das kann nicht alles sein! Wenn wir uns die Merkmale der Partnerschaft in den J esus sagt: „Ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und es in Fülle haben.“ Gott sendet sei- Situation fordert uns heraus, die Be- deutung von Partnerschaft neu zu definieren; neue Wege, Hoffnungen hung zu Lot zu überdenken. Schließ- lich kamen Lot und Abraham zu dem Schluss, dass es für alle besser „den Anderen zu ergänzen“. Um die Mission Gottes erfüllen zu können, müssen Partner sich ergänzen, das Naomi und Ruth Naomi und Ruth sind zwei schöne biblischen Beispielen ansehen, geht es in einer gelungenen Partnerschaft vor allem darum, sich gegenseitig nen Sohn also allein für diesen und Impulse zu entdecken. wäre, wenn sie sich trennen und ver- ist die wichtige Lektion, die wir aus und starke weibliche Charaktere. We- zu schätzen, sich zu ergänzen, ein- Zweck: damit alle Menschen ein schiedene Wege gehen würden. dieser Geschichte lernen. gen einer Hungersnot in Israel flieht ander treu zu sein und sich gegen- Leben in Fülle haben können. Biblische Geschichten Abraham überließ Lot das Vorrecht Naomi mit ihrer Familie in das Land seitig auch belasten zu können. Zwischen Gott und seinem Sohn zeigen, wie wir Partnerschaft zuerst zu wählen, wohin er weiterzie- David und Jonathan Moab. Dort heiraten ihre Söhne die Aus der Geschichte des Christen- besteht von Beginn an eine leben- stärken können hen wolle. „Den anderen achten und Frauen Ruth und Orpa. Später sterben tums haben wir gelernt, dass die Mis- dige Partnerschaft, die Leben dort schätzen“, das ist eines der wichtigen Als Sinnbild einer gelungenen jedoch Naomis Mann und deren Söh- sion zuerst von den Ländern des Nor- wachsen lässt, wo es bisher leblos Der Blick in die Bibel liegt nahe, ist Eigenschaften, die wir von diesem Freundschaft gelten David und Jona- ne. Nach der Hungersnot will Naomi dens ausging. Heute geht die Mission war. Die Menschen werden zu Mit- sie doch immerhin wichtigste Duo lernen können. than. Obwohl beide aus vollkommen nach Israel zurückzukehren. Ruth auch von Ländern des globalen Sü- schöpfer*innen, um Gottes Schöp- Grundlage für die christliche Theo- verschiedenen Verhältnissen stam- und Orpa begleiten sie zunächst. dens aus. So gibt es keine „Geber“ fung zu bewahren. Diese von Gott logie. Einige biblische Geschichten Mose und Aaron men, was den Lebensstil, die fami- Doch Naomi riet ihnen wieder in ihre oder „Empfänger“ mehr, die im alten gewollte Partnerschaft scheiterte und Charaktere können Modelle liäre Situation, ihre Kultur und den Heimat nach Moab zurückzukehren. Missionsmodell noch eine komplexe jedoch im Garten Eden. Aber es dafür sein, wie wir unsere Partner- Mose wurde von Gott dazu auser- gesellschaftlichen Status betrifft, Orpa befolgte den Rat. Aber Ruth sag- Rolle spielten. blieb nicht dabei. Um die Partner- schaft gestalten, wie wir sie stärken wählt, die Israeliten aus der Knecht- gelten der Königssohn Jonathan und te: „Dränge mich nicht, dich zu ver- Im Zuge der veränderten Situati- schaft zurückzugewinnen, sandte und festigen können. Hier einige Bei- schaft der Sklaverei in Ägypten zu der Hirtenjunge David als unzer- lassen!“ und blieb. Was für eine selbst- on durch die Globalisierung hat sich Gott seinen Sohn, damit alle ein spiele: befreien. Moses erwies sich als trennlich. Um seiner Freundschaft bewusste und mutige Aussage der auch die bisherige Ausrichtung der Leben in Fülle haben sollen. Dieses große Führungspersönlichkeit, der zu David willen gibt Jonathan seine jungen Witwe. Die Beziehung zu ihrer Mission geändert, die bisher von den Leben in Fülle ist durch unzählige Abraham und Lot sich dem Pharao tapfer entgegen Besitztümer auf, verzichtet auf Pri- Schwiegermutter veranlasste sie zu Privilegierten ausging und sich an die Faktoren bedroht. Aktuell stellt uns stellte und ihn herausforderte. Als vilegien und überlässt David sogar dieser Entscheidung, trotz des Wis- Marginalisierten richtete. Heute geht die lebensbedrohliche Covid-19- Die Familien von Abraham und Lot Mose von Gott aufgefordert wurde, seine Rüstung und macht sich damit sens, dass das Leben von Witwen in die christliche Mission nicht mehr Pandemie vor neue, bisher unbe- lebten über Jahre lange zusammen diese Mission auszuführen, zögerte verwundbar. Die Beziehung sei- einem Patriarchat sehr zermürbend hin zu den „Menschen, die am Rande Foto: D. Siddiqui/REUTERS (1) kannte Herausforderungen. Wir le- und ihre Beziehung war gut. Abra- er anfangs wegen seiner „stammeln- nes Vaters König Saul zu David war sein kann. Dennoch beschloss Ruth, stehen“, sondern sie geht von den ben jetzt in einer anderen Lebens- ham und Lot schätzten sich und den Zunge“. So wurde Aaron, der gestört – Saul suchte sogar nach ihrer Schwiegermutter im Alter zu Menschen „die am Rande stehen“ wirklichkeit, in einer Situation, die waren mit ihrer Partnerschaft zu- Bruder von Mose, von Gott zu sei- Gelegenheiten David zu töten – den- helfen und auch in Zeiten der Not an aus. Dieses Missionsverständnis ver- Menschen trennt, die uns zwingt, frieden. Doch dann kam es immer nem Sprecher ernannt. Ein Mangel noch blieb Jonathan un-beirrt sei- ihrer Seite zu bleiben, damit beide ein ändert auch das Bild von Partner- isoliert zu leben und uns misstrau- häufiger zu Auseinandersetzungen oder die fehlende Fähigkeit ei-ner nem Freund David treu. „Loyal zuei- Leben in Fülle leben können. Auch schaft. Es betont die Gleichberechti- isch gegenüber anderen werden zwischen den Hirten von Lot und Person wurde durch eine andere nander sein“, auch in Zeiten der diese Geschichte zeigt beispielhaft, gung beider und dadurch gewinnt die lässt. Es ist eine Wirklichkeit, die Abraham. Das veranlasste Abra- Person ausgeglichen. Diese Partner- Krise, das ist das wichtigste Merk- wie Solidarität in der Partnerschaft „Gegenseitigkeit“ im Partnerschafts- Fortsetzung verwirrt und verunsichert. Diese ham, die partnerschaftliche Bezie- schaft wurde ins Leben gerufen, um mal dieser Partnerschaft. aussehen kann. verständnis an Dynamik. Seite 10 8 weltbewegt weltbewegt 9
Schwerpunkt Bildung ist der wichtigste Schlüssel, um später eine Arbeit zu bekommen. Der Weltalphabetisierungstag am 8. September erinnert daran, dass es weltweit immer noch 750 Millionen Analphabeten gibt, in Indien sind es 39 Prozent der Bevölkerung, davon zweidrittel Frauen. Wenn infolge der Pandemie die Armut wächst, werden kostenlose Bildungsangebote, die die Kirchen anbieten, noch wichtiger. Dafür brauchen sie Unterstützung der Partner aus dem Ausland. Es gibt auch Grenzen im Zum Respekt zwischen Partnern allem den Menschen Hoffnung, die gegenseitigen Verständnis gehört es, dass die dringenden Prob- durch Covid-19 besonders vom Aus- leme des einen keine dringende A- schluss bedroht waren. Da die indischen Kirchen in einer genda des anderen sein müssen. Unsere Kirchen müssen sich kurz- multikulturellen und multireligiösen Wichtig ist, dass sich Partner bewusst fristige und langfristige Strategien Gesellschaft leben, ist ihre Mission werden, dass es Grenzen im gegensei- überlegen und Programme entwi- mehrdimensional und vielschichtig. tigen Verständnis gibt und sie sollten ckeln, um für die Migrant*innen zu Die indischen Kirchen arbeiten mit sie auch benennen. Es ist wichtig, die sorgen. Sie können sich zum Beispiel Menschen unterschiedlicher Glau- Ansichten der Anderen zu respektie- für die Menschen einsetzen, indem bensrichtungen und Kulturen zu- ren, denn die gesellschaftliche Situa- sie Durchgangslager in kirchlichen sammen und es fällt ihnen schwer tion und die Lebenswirklichkeit en Räumen einrichten und sich dort um ihre christliche Identität zu wahren, können vollkommen unterschiedlich den täglichen Bedarf der Menschen im Gegensatz zu ihren Partnern im und sehr komplex sein. Um ein wirk- kümmern, die zu unserer Großfami- Westen. Deshalb suchen indische liches Verständnis füreinander zu ent- lie gehören. Zu den langfristigen Pro- Kirchen Partner, von denen sie sich wickeln, sollten alle die Bereitschaft jekten, die der „Hilfe zur Selbsthilfe“ respektiert fühlen. Früher gab es zwi- und Offenheit zum Perspektivwech- dienen, müssten dann Programme schen den Partnern häufig Konflikte. sel haben und bereit sein, „in die stehen, die die Selbstständigkeit för- Im Bewusstsein, ein Leib Christi zu Schuhe des anderen zu schlüpfen“. dern. Es müssten zum Beispiel Ver- sein, sollte die Kirche sich als integra- Gegenseitiges Vertrauen und gegen- dienstmöglichkeiten geschaffen wer- tive globale Gemeinschaft begreifen seitiger Respekt sind wichtige Aspek- den, kostenlose Bildung für Migrant- und Heilung und Versöhnung in den te für eine sinnvolle und nachhaltige *innenkinder in Missionsschulen, Be- Mittelpunkt stellen. Statt miteinan- Partnerschaft. reitstellung der nicht genutzten land- der zu konkurrieren, sollten sich die wirtschaftlichen Flächen der Kirchen Partner in dieser sich stetig verän- Die Kirchen müssen kosten- oder Einbindung in kirchliche Grup- dernden Welt gegenseitig ergänzen, lose Bildung für Kinder von pen. um gemeinsam durch die Gewässer Migrant*innen anbieten Das alles bedarf einer uneinge- segeln zu können. Vor allem wenn es schränkten Unterstützung durch die stürmisch wird. Nach der Kreuzigung Christi blieben Mitglieder der Kirchen und der Part- In Indien ist die christliche Be- die Jünger aus Angst und Bestürzung ner aus dem Ausland. „Teilen“ ist das völkerung sehr unbedeutend. Aller- hinter verschlossenen Türen. Es gab Herzstück christlichen Lebens. Die dings hat die christliche Mission im- keine Hoffnung für sie, sie hatten praxisorientierte christliche Liebe ist mer noch einen großen Einfluss. Dem- Angst vor den Mächten des Todes. In durch die Covid-19-Pandemie neu entsprechend wird sie von der indi- ähnlicher Weise zwang die Covid- herausgefordert. Christliche Liebe schen Regierung heute eher misstrau- 19-Pandemie Menschen hinter ver- nimmt den anderen Menschen in den isch beäugt. schlossene Türen. Als die zahlreichen Blick und liebt den Nächsten wie sich Indien ist zweifellos ein reiches Migrant*innen hunderte von Kilo- selbst. Im Mittelpunkt der Mission Fotos: J. A. Peter (1), J. Böthling (1) Land. Umso trauriger und empören- metern gingen, blieben viele Christi*- Gottes stehen die Verletzlichen, die der ist es, dass die Mehrheit gezwun- innen aus Vorsicht in ihren Häusern Bedürftigen und Entmutigten. Vor gen ist, in Armut zu leben. Vor allem und die meisten Kirchentüren blie- allem gelten die Worte von Jesus Joshuva A. Peter die Armen und Bedürftigen zählen ben verschlossen. Jedoch haben sich Christus auch für sie: „Ich bin ge- ist Pastor in Chennai zu den Opfern der Covid-19-Pande- auch Christ*innen und Organisatio- kommen, damit sie das Leben haben und Exekutivsekre- mie. Ihr Leben ist nicht nur durch das nen wie die Vereinigte Evangelisch- und es in Fülle haben“. tär der United Virus bedroht, sondern ebenso durch Lutherischen Kirchen in Indien Evangelical Luthe- Hunger. In dieser Krisensituation (UELCI) bemüht, sich in dieser Not- ran Church in Indien sind wir auf die Unterstützung der situation für die Migrant*innen ein- (UELCI). Partner angewiesen. zusetzen. Diese Solidarität gab vor Übersetzung: Ulrike Plautz 10 weltbewegt weltbewegt weltbewegt 11 11
Schwerpunkt „Hier protestieren Menschen, Hygieneregeln einhalten, wenn das Wasser knapp ist? Hinzu kommt die finanzielle Not. Es gibt keine Sicherheiten. Diese Situation, in weil sie Hunger haben“ der kein Mensch weiß, wie lange das noch dauert, erzeugt enormen Stress. Viele Frauen leiden unter häuslicher Gewalt. Alle Lebensumstände Die Pandemie hat verheerende Folgen für die Menschen erhöhen das Erkrankungs- und Sterberisiko stark. Zu- mal unter diesen Bedingungen auch die Rate der Vorer- in Lateinamerika. Die Zahl der Opfer gehört weltweit zu krankungen höher ist als in anderen sozialen Schichten. den höchsten und auch die Armut wächst enorm. Aber es Zur Bevölkerungsgruppe, die am stärksten betroffen ist, gibt Menschen, die sich wehren. Auch als Partner können gehören die sogenannten Afro-Latinos. Zurzeit haben Um die Lage zu wir etwas tun. Fragen an Diana Sanabria, Referentin für die Menschen wirklich wenig Hoffnung und große verbessern, brauchen Angst vor der Zukunft. In Lateinamerika haben Menschen die Länder in Lateiname- Weltwirtschaft. protestiert, aber nicht weil sie Corona-Leugner sind, rika vor allem Geld und sondern weil sie Hunger haben. Aber es gab auch viel einen Schuldenerlass. Solidarität. Menschen haben sich sofort organisiert und Geld gesammelt, Essen gekauft und es an Bedürftige verteilt. Das Engagement war und ist immer noch sehr groß Wie ist derzeit die Situation in Kolumbien? und es ist berührend das zu sehen. Diana Sanabria: Sie ist schwer für die Bevölkerung. Die Ausgangssperren sind immer noch sehr strikt und kein Mensch weiß, wie lange das noch so geht. Das Welche wirtschaftlichen Auswirkungen wird das für die Masken oder Schutzkleidung da sind. Ein andere wichtiger hat weitreichende Folgen vor allem für die Menschen, die im informellen Sektor Bevölkerung haben? Aspekt ist der Ausbau der Bildung. Das verbessert die arbeiten. Für diejenigen, die ihr Geld etwa als Straßenverkäufer, auf Märkten oder Insgesamt wird für ganz Lateinamerika ein negatives Wachs- Zukunftschancen junger Menschen fundamental. Wer eine Tagelöhner verdienen. Das sind immerhin 60 Prozent. Seit dem Lockdown haben tum von minus 9,1 Prozent prognostiziert. 44 Millionen bessere Bildung hat, interessiert sich auch für politische sie nun überhaupt keine Einnahmen mehr. Es gibt kein Arbeitslosengeld und keine Menschen werden aufgrund der Pandemie zusätzlich Entwicklungen. Ein weiterer wichtiger Punkt sind die tiefen Sozialversicherung. Für einige Familien gab es zwar einmalig ein paar Pesos vom arbeitslos. Man geht davon aus, dass 2,7 Millionen Ungleichheiten, die abgebaut werden müssen. Es gibt Staat, aber die Mehrheit der Betroffenen wird von den Zahlungen gar nicht erreicht, Unternehmen in Lateinamerika insolvent gehen. Man spricht wenige Reiche, die extrem reich sind, und viele Arme, das da die meisten nicht registriert sind, geschweige denn ein Bankkonto haben. Die bereits von einer verlorenen Dekade in der Entwicklung wie muss verteilt werden. Dazu gehört auch eine Landreform. Mittelschicht kann es sich vielleicht leisten für ein paar Monate zuhause zu bleiben. schon 2010. Wenn man das mit einer guten Steuerreform begleiten kann, Diese paar Monate sind in Kolumbien aber auch schon vorbei. Wie die Krise zu wäre das eine gute Perspektive. Leider ist es in dem heutigen meistern ist, weiß ich im Moment auch nicht. Wenn Menschen so um ihr tägliches Überleben kämpfen Weltwirtschaftssystem so, dass die lateinamerikanischen müssen, können sie sich meist nicht auch noch politisch Staaten die hohen Kredite bedienen müssen. Das heißt organisieren, um sich für ihre Rechte und eine andere Steuern der Bevölkerung gehen zum Teil dafür drauf, dass Wie sieht es mit der gesundheitlichen Situation im Kolumbien aus? Politik einzusetzen, oder? Regierungen Schulden samt Zinsen abbezahlen. Das Geld Im Vergleich zu anderen Ländern Lateinamerikas steht Kolumbien, was das Genau, das ist das große Problem. Die meisten sind zu sehr geht ins Ausland und die Bevölkerung hat davon gar nichts. Gesundheitssystem betrifft, noch ganz gut da. Dennoch ist es so, dass viele keinen mit ihrem Überleben beschäftigt. Wenn man auf eine Demo Ein Schuldenerlass ist nach wie vor nötig. Zugang zu Krankenhäusern haben, einfach weil es keines in der Nähe gibt. Hinzu geht, kann man nicht gleichzeitig als Straßenverkäufer kommt, dass viele Krankenhäuser jetzt restlos überfüllt sind. Das habe ich auch arbeiten. Wenn man vor der Wahl steht, den Lebensunterhalt Was können wir als Partnerin tun? innerhalb unserer Familie erlebt. Als mein Onkel an Corona erkrankt war, gab es zu verdienen oder zur Demo zu gehen ist die Wahl klar. Viele Wir können die politische Bildung fördern und vor allem den im Krankenhaus kein freies Bett mehr. Man wollte ihn, wie bereits viele vor ihm, haben anstrengende Jobs, müssen morgens früh zur Arbeit Anliegen lateinamerikanischer Länder Gehör verschaffen. Das nach Hause schicken, aber seine Töchter drängten darauf, dass er bleiben kann. gehen und kommen erst spät wieder. Auch dann geht man gelingt durch entwicklungspolitische Bildungsarbeit. Wichtig So musste er einen Tag und eine Nacht auf dem Stuhl verbringen, mit 86 Jahren. nicht mehr auf eine politische Informationsveranstaltung. ist, dass wir durch Initiativen erreichen, dass endlich die Zum Glück scheint er die Krankheit zu überstehen. Wenn also ein Politiker kommt und dir ein T-Shirt schenkt, Schulden erlassen werden. Deutschland ist ein Land, das Ein- und das dann der einzige Politiker ist, den du gesehen fluss ausüben kann. So sollten wir uns auch dafür einset- Die steigenden Infektionszahlen in allen lateinamerikanischen Ländern hast, wird der eben gewählt. Das hat nichts mit Dummheit zen, dass lateinamerikanische Staaten bei internationa- sind bedrückend. Wie ist die Situation dort insgesamt? oder Unvermögen zu tun, sondern schlicht mit mangelnden len Abkommen nicht als Verlierer herausgehen, wie dies Foto: C. Wenn (2), L.Gonzalez/REUTERS (1) Derzeit steht der ganze amerikanische Kontinent im Focus der Pandemie. Möglichkeiten an Zeit und Kraft. zum Beispiel gerade bei den Investitionsschutz abkom- Es gibt heute (Stand: 5. 8. 20) über 9 Millionen Infizierte, allein in Lateinamerika men geschieht, die ausschließlich private wirtschaft- über 5 Millionen. Ein Ende ist nicht in Sicht. Das hängt auch mit der latein- Was könnte die Lage verbessern? liche Interessen schützen und sowohl Menschenrechte als amerikanischen Entwicklung zusammen. Ein Drittel der Bevölkerung wohnt in Immer wieder Geld, so simpel das klingt. Man muss auch den Umweltschutz außer Acht lassen. Was unmittelbar Großstädten mit mehr als einer Million Menschen. in Gesundheitssysteme investieren, in Bildung und wirkt ist tatsächlich auch: Geld spenden. Außerdem ist es Diana Sa- Menschen leben unter Bedingungen, die wir uns hier vielleicht nicht so vorstellen Sozialversorgung. Wenn Menschen Arbeit haben und gut, sobald es wieder möglich sein wird, nach Lateinamerika nabria ist können. Was das bedeutet, wenn eine Familie auf 40 qm wohnt und dann über versorgt sind, sinkt die Kriminalitätsrate. Wer zu essen zu fahren, um mehr über die Lebenswirklichkeit der Men- Referentin für eine längere Zeit nicht raus darf, kann man sich vorstellen. In den Armenvierteln, hat, muss nichts klauen, so einfach ist das. Und dass schen dort zu erfahren. Wichtig ist, dass die Menschen Weltwirtschaft Proteste in Kolumbien fordern von der den Favelas, Comunas, oder Villas ist das Infektionsrisiko natürlich noch einmal ganz viel ins Gesundheitssystem gehen muss, ist während wissen, dass sie nicht vergessen sind, dass sie eine Stimme im Zentrum Regierung die Unterstützung der Armen höher, weil der Abstand allein schon aufgrund der Wohnsituation in dicht der Pandemie noch einmal sehr deutlich geworden. bekommen – und dass wir sie auch hören. düe Mission bewohnten Vierteln nicht eingehalten werden kann. Und wie soll man die Natürlich wird Krankenhauspersonal krank, wenn zu wenig Interview: Ulrike Plautz und Ökumene. 12 12 weltbewegt weltbewegt weltbewegt 13
Schwerpunkt Nach der Krise müssen wir neue Wege gehen Wie diese Frau sind die Die Covid-19-Pandemie zeigt auch in Nicaragua deutlich: Schon lange stehen gesellschaft- meisten Menschen in Nicara- gua zu Fuß oder in öffentlichen liche Veränderungen an, um die Lebensbedingungen der armen Bevölkerung zu verbessern. Verkehrsmitteln unterwegs und Das sollten die Kirchen unterstützen. damit einer hohen An- steckungsgefahr ausgesetzt. Blanca Cortés Robles N imm meine Gabe an, denn ich habe dein Angesicht gesehen, als hätte ich das Angesicht Gottes Bruder Esau, dem er mit einer List das Erstgeburtsrecht genommen hatte. Nach einer Zeit kam es doch absurd erscheinenden Situationen Widerstand zu leisten, Schäden zu beheben und die besten Lösungen schichtige und integrale Blick auf das Gefüge des Lebens und der Ge- schwisterlichkeit lässt uns erken- Zeugnis einer Kirche zu sein, die Liebe und Erlösung verkündet. Wenn wir also über Strategien der gesehen“ 1. Mose, 33 : 10 zur Versöhnung (Genesis 33,10 ff). zu finden. nen, dass wir uns nicht isoliert ohne Unterstützung und Sicherheit nach- Im Jahr 2020 wurde die Welt von Seitdem gingen beide, wenn auch Wenn wir uns als globale Part- Unterstützung inmitten der Gefahr denken, heißt das nicht, sich der einem Virus überrascht, das auf- nicht gemeinsam, doch denselben ner sehen, heißt das, dass wir den abschotten können, und das bedeu- Gefahr auszusetzen, sondern sich grund seiner hohen Ansteckungs- Weg. Sie erkannten und schätzten eingeschränkten Blick auf das Le- tet, dass auch gefährdete Bevölke- bewusst zu werden, dass die Krise gefahr schnell zu einer Pandemie sich. Mit dem gleichen Ziel vor Au- ben, auf die Natur und auch auf uns rungsgruppen Quarantäne benö- zwar global ist, aber nicht alle Men- wurde. Seitdem prägt Covid-19 gen war es ihnen möglich, die Angst selbst, hinter uns lassen können tigen, um sich zu schützen. schen gleichermaßen betrifft. Das unvorhergesehen die Lebensrealität voreinander zu überwinden. und uns als Teil eines großen Netz- In Zeiten der Ausgangssperren bedeutet: Wir müssen unseren Blick der Menschen und hinterlässt bei Krisen rufen uns zur Solidarität werks und Beziehungsgeflechts be- geht es darum, dass Betroffene nicht schärfen, um unser Handeln und vielen einen unerträglichen Schmerz. und gegenseitiger Unterstützung greifen, in dem Wissen, dass alles, diskriminiert oder ausgegrenzt wer- unsere Aktionen auf die besondere In dieser Situation zeigen sich die auf. Sie ermutigen uns, zu Fuß zu was uns als Einzelpersonen wider- den, sondern dass sie die Unterstüt- Situation von Frauen und Kindern zwei Gesichter des Menschen: Auf gehen. So ist es möglich, selbst in fährt, auch das Kollektiv betrifft. zung bekommen, die ihnen wirklich auszurichten, die Gewalt erfahren. der einen Seite steht Edelmut, Men- Unser menschliches Verhalten hat hilft. Familien, die in der „selb- Zu den Menschen, die unsere be- schen, die für ihre Freund*innen ihr immer auch Auswirkungen auf die ständigen Wirtschaft“, das heißt im sondere Aufmerksamkeit brauchen Leben geben würden, nach dem Vor- ökologische Natur. Es gibt keine informellen Sektor, arbeiten, brau- gehören auch Migrant*innen, deren bild Jesu. Zugleich treten Ungerech- Grenzen. Alles ist mit allem verbun- chen Unterstützung in Form von Menschenrechte in Gefahr sind. tigkeit, Machtmissbrauch und die den. Nahrungsmitteln, von Wasser und Dazu gehören Menschen, die wegen Ge-fühllosigkeit der Menschen zuta- Medikamenten für ihre Kinder. ihrer sexuellen Ausrichtung diskri- ge, die die wirtschaftlichen und poli- Betroffene brauchen die Die normale Bevölkerung, die öf- miniert werden und viele andere tischen Systeme sowie die Wissen- Unterstützung, die wirklich fentliche Verkehrsmittel nutzt oder verletzliche Gruppen. Alle – und schaft ihren egoistischen Ambitio- hilft zu Fuß durch die Straßen geht, und nicht zuletzt auch die Erde – warten nen unterordnen. Mit der Folge, dass sich dadurch einer hohen An-ste- auf unsere Veränderungen im Den- in unseren Ländern einer großen Der Lockdown hat vielerorts auch ckungsgefahr aussetzt, fordert uns ken und Handeln. In Krisenzeiten Mehrheit der Armen der Zugang zu positive Auswirkungen auf die heraus, in ihnen unsere Nachbarn über Partnerschaft nachzudenken, Fotos: B. Cortès (2), C. Wenn (1), J. C. Ulate/REUTERS (1) medizinischen Leistungen und men- Umwelt. So tauchten plötzlich wie- zu erkennen, zu ihnen zu gehen, ist nicht einfach: Es erfordert Be- schenwürdiger Behandlung ver- der Tiere auf, die fast ausgestorben ihnen zu begegnen, in ihnen das wusstsein, Vorbereitung, Ausbil- Blanca Cortés schlossen bleibt. wären. Als Fabriken und Industrien Antlitz Gottes zu erkennen, einen dung, Strategien und natürlich akti- Robles lebt in ihren Verbrauch an Energie und Menschen, der leidet, und der ve Liebe, die es uns erlaubt, uns als Managua und ist Als globale Partner müssen Treibhausgasen reduzierten, hat sich darum kämpft, diese Krise unver- Teil eines globalen Hauses, des öku- Dekanin an der wir uns als Teil eines großen die Umweltverschmutzung dras- sehrt zu überstehen. menischen Hauses, zu sehen, in Evangelischen Beziehungsgeflechts begrei- tisch verringert. dem jeder Mensch zählt. Es ist die Fakultät für fen Eine große Mehrheit der Stim- Es gibt viele verletzliche Grup- Kraft der Ruah (des Geistes, Anm. Theologische men ist sich einig, dass es notwen- pen, die schon lange auf un- d. Red.), jene Energie, die zur Ver- Studien (FEET), In Krisenzeiten ist die geschwister- dig ist, eine Zeit vor und nach dieser sere Veränderungen warten wandlung kommt. Sie regt uns dazu dem Ausbildungs- liche Solidarität gefordert. Ein Vor- Krise zu markieren. Dazu gehört an, „in neuen Zungen zu sprechen“, institut der bild dafür ist die biblische Erzäh- Auch in Nicaragua gehören Kinder auch, uns bewusst zu machen, wel- Wenn wir als Kirche nach dieser neue Worte zu finden, die uns auf evangelischen lung der Begegnung zwischen den zu denen, die am meisten von chen Einfluss wir auf die Natur aus- Krise einen neuen Weg einschlagen, diesem Weg der Versöhnung und Kirchen Nica- Brüdern Jakob und Esau. Jakob Armut als Folge der Pandemie üben und in welcher Art und Weise müssen wir über wirksame Strategi- der Begegnung mit den Geschwis- Übersetzung: raguas. hatte zunächst Angst vor seinem betroffen sind. wir mit ihr umgehen. Dieser viel- en nachdenken, um ein lebendiges tern begleiten. Claudia Hug / Marcia Palma 14 weltbewegt weltbewegt weltbewegt 15 15
Schwerpunkt Schwerpunkt Die Bedeutung der Kirche ist weiter gewachsen Kirchen hatten in Ghana schon immer eine wichtige Rolle. In der Covid-19- Pandemie ist ihre Bedeutung auch für die Regierung noch größer geworden. Agnes Quansah I n einer globalen Krise wie der Covid-19-Pandemie wird einmal mehr deutlich, wie wichtig die Stimme der Kirchen ist. Das gilt auch für die Politik. Die Regie- Sofort haben die Kirchen Lebensmittel und Geld an Betroffene verteilt rung sucht ausdrücklich den Rat der Kirchen. Sie gelten Auch in Ghana gab es eine zweiwöchige Ausgangs- als überparteilich und vertreten die religiöse Ebene. sperre. Daran konnten sich die meisten Menschen Dies hat für die Menschen in Ghana eine enorme Bedeu- jedoch nicht halten. Sie leben von der Hand in den tung. Zusammen mit der Regierung sorgen die einfluss- Mund, mussten also ihren Kleinhandel weiterbetreiben, reichen Kirchen dafür, dass die Gesundheits- und Prä- um sich und ihre Familien ernähren zu können. Also ventionsmaßnahmen zum Schutz der Bevölkerung vor hat die Regierung einen Covid-19-Fonds eingerichtet, der Pandemie auch umgesetzt werden. um die Armen und Bedürftigen während der Krise mit Die Kirchen unterstützen bereits auf ihren Internet- Nahrungsmitteln oder Bargeld zu versorgen. Auch die seiten das Einhalten der vorgeschriebenen Sicherheits- Kirchen haben sofort reagiert, indem sie Lebensmittel maßnahmen. Alle Kirchen haben sich an die Richtlinien zur Verfügung stellten, Betroffene entweder direkt der Regierung gehalten und virtuelle Gottesdienste finanziell unterstützten oder Geld für den Covid-19 gefeiert. Dabei haben sie stets betont, dass alle Gläubi- Fond der Regierung spendeten. Zudem wurden Notrufe gen während der Pandemie sicher und gesund bleiben bereitgestellt, über die Menschen finanzielle Unterstüt- sollen. Durch das Tragen von Masken demonstrieren zung anfordern konnten. Manche Kirchen stellten die Pastor*innen und Kirchenleitenden, wie wichtig die außerdem Teile ihrer Infrastruktur zur Verfügung. So Regeln sind. Bevor die Kirchen ihre Gottesdienste wieder bot die Pfingstkirche ihr Gemeindezentrum (PCC) zur aufgenommen hatte, traf sich die Regierung mit der Lei- Be-handlung und Isolierung von Corona-Infizierten an. tung der verschiedenen Kirchen, um über mögliche Maß- Dass mitgliederfinanzierte Kirchen nicht nur ihre Mit- nahmen zur Gewährleistung der Sicherheit aller Gemein- glieder unterstützten, sondern allen Betroffenen Hilfs- demitglieder zu diskutieren. Zurzeit wird überlegt, wie güter zur Verfügung stellten, wurde von der Gesell- Gottesdienste mit Besucher*innen unter bestimmten schaft als Geschenk an alle geschätzt. Hygiene- und Abstandsregeln stattfinden können. Einige religiöse Gruppen und verschiedene kirch- Insgesamt sind die Kirchen zur ökumenischen Zu- liche Gremien organisierten allerdings auch ein drei- sammenarbeit bereit. Zu ihnen gehören der Christliche tägiges nationales Fasten mit Gebeten in dem Glauben, Rat von Ghana, der Pfingst- und Christenrat, die Katho- die Menschen so vom Virus befreien zu können. Auch lische Bischofskonferenz, die Nationale Vereinigung gab es immer wieder Stimmen, die behaupteten, Gott Fotos: www.adpic.de (1), epd bild (1) charismatischer und christlicher Kirchen und andere wolle mit dem Virus die Welt für ihre Sünden bestrafen. ökumenische Gremien. Alle haben eine hohe Anhän- Sie verglichen die Zeit mit der Sintflut zur Zeit Noahs. gerschaft und großen Einfluss. So bat der Präsident die Kirchen verschiedener Traditionen und Mus-lime, für Zusammenarbeit mit der Regierung ist die Gesundheit der Menschen zu beten. Diese Gebete wichtig, zum Wohle der Bevölkerung richteten sich nicht nur an Gläubige, sondern auch an Foto: J. Böthling Angehörige der Gesundheitsberufe und Virologen. Das Die meisten Prediger, wie Pastor Mensah Otabil, sind zeigt, dass in Ghana nicht nur die wissenschaftliche, allerdings nicht der Meinung, dass Gott dieses Virus in sondern auch die spirituelle Perspektive in dieser Krise die Welt geschickt hat, um sie zu zerstören. Vielmehr Fortsetzung auf eine wichtige Rolle spielt. ermutigten sie die Menschen, ihre Hoffnung nicht zu Seite 18 16 16 weltbewegt weltbewegt weltbewegt 17
Schwerpunkt Schwerpunkt Fotos: C. Wenn (1), www.adpic.de (1), A. Quansah (1), F. Kokoroko/REUTERS (1) Lasst uns Ubuntu leben! Zehn theologische Thesen zur Covid-19-Pandemie Verkündigung im Kleinformat: Theologie ist „God-Talk“. Sie reflektiert, wie wir in Falsche Propheten und religiöse Scharlatane nut- In Ghana verschiedenen Situationen über Gott sprechen. Die zen Krisenzeiten wie die Covid-19-Pandemie, um verfolgen Covid-19-Pandemie fordert uns stark in unserem Gläubige mit einer Religion der Angst zu terrorisie- Kindern Glauben heraus. Seitdem das Virus im Dezember ren. Sie behaupten, Visionen und Zeichen erhalten während des 2019 ausgebrochen ist, kämpft die gesamte Welt zu haben, um selbst nicht in Frage gestellt zu wer- Lockdowns gegen diese beispiellose Krankheit. Mit ihren schwe- den. Gegen diese Gefahr warnt uns die Bibel. Wir einen Live- ren wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen lesen: „Geliebte, glaube nicht jedem Geist, sondern Gottesdienst hat Covid-19-Verschwörungstheorien, Spekulatio- prüfe die Geister, um zu sehen, ob sie von Gott auf dem nen und unterschiedliche theologische Interpretati- sind, denn viele falsche Propheten sind in die Welt Smartphone. onen auf den Plan gerufen. Als Gesamtafrikanische hinausgegangen“ (1. Johannes 4,1). Alle gewissen- Kirchenkonferenz haben wir zehn theologische haften Gläubige und demütige Forschende sind in Thesen erarbeitet, um die afrikanischen Kirchen in der Lage, Personen und Lehrende zu beurteilen. ihrem Denken und Handeln zu unterstützen. Allen Der Geist Gottes spricht nie gegen sein Wort. verlieren und auch in der Krise auf Gott zu vertrauen. voran steht die Erkenntnis, dass Gott schlechte und Um die Menschen mit ihrer Botschaft zu erreichen, In Ghana leben etwa 28.500.000 Menschen. gute Dinge in der Welt geschehen lässt. These 3: Apokalyptische Erklärungen der Pan- hielten sie ihre Gottesdienste über elektronische Medi- 71,2 Prozent gehören der christlichen Reli- demie lehnen wir ab en. So konnten die Gläubigen bequem von zu Hause aus gion an. 17,6 Prozent sind Muslime, 5,2 Pro- These 1: Spekulationen über Ursprung und „Von jenem Tage aber oder der Stunde weiß nie- daran teilnehmen. Die ökumenischen Einrichtungen in zent sind Mitglieder traditioneller afrikani- Zweck von Covid-19 sind reine Vermutungen mand, auch die Engel im Himmel nicht, auch der Ghana haben also mit der Regierung zusammengear- scher Religionen und 0,8 gehören anderen „Denn meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, Sohn nicht, sondern allein der Vater“ (Markus 13, beitet, um die Ausbreitung des Virus zu verringern. Religionsgemeinschaften an. und eure Wege sind nicht meine Wege, spricht der 32). Und sie haben Solidarität gezeigt, indem sie sich selbst HERR; sondern so viel der Himmel höher ist denn Diese Pandemie ist nicht die erste in der Geschich- an die Hygiene- und Abstandsmaßnahmen gehalten die Erde, so sind auch meine Wege höher denn eu- te, doch jedes Mal gab es Versuchungen, die außer- haben. Früher dauerten Gottesdienste in der Regel drei Übersetzung: Ulrike Plautz re Wege und meine Gedanken denn eure Gedan- gewöhnlichen Ereignisse apokalyptisch zu interpre- bis vier Stunden. Jetzt dauern sie nur noch eine Stunde, ken“ (Jesaja 55, 8-9). tieren, zum Beispiel den Millenniumswechsel im zugelassen sind nur einhundert Besucher*innen, alle In Zeiten der Bedrängnis und Verwirrung suchen Jahr 2000. Wir wissen, dass diese Interpretationen tragen einen Mund-Nase-Schutz. Menschen nach Ursprung und Zweck des Unglücks. falsch waren, denn die Welt existiert weiter und In der Krise hat sich gezeigt, dass es mit einer gut Theologische Interpretationen stützen sich meist Jesus ist noch nicht zurückgekehrt. Er verbot sei- funktionierenden Kooperation zwischen ökumenischen auf Bibelstellen. Doch längst nicht alle Erklärungen nen Jüngern, den genauen Zeitpunkt seiner Rück- Gremien und der Regierung gelingen kann, Maß- sind haltbar, selbst wenn sie mit Zitaten oder ande- kehr vorherzusagen. Sie sollten lieber mit ihrer Agnes Quansah nahmen zum Wohle der Bevölkerung umzusetzen. ren Beweistexten untermauert sind. So kursieren in Arbeit fortfahren, als ob er nicht käme, denn Jesus aus Gomoa Nyan- Das sollte auch in Zukunft so bleiben. Dadurch ist den Kirchen, den Medien und sozialen Netzwerken wird zu der Zeit kommen, zu der man es am wenigs- yano in Ghana ist gewährleistet, dass spirituelle Anliegen der Men- Spekulationen über Covid-19 als Zeichen der End- ten erwartet. Darauf sollten wir als Christ*innen in zurzeit Stipendiatin schen und ihr Bedürfnis nach Hoffnung ernst zeit, als Strafe Gottes für unsere Sünden wie bei- freudiger Hoffnung auf ewige Erlösung warten und an der Missionsaka- genommen werden. Trotzdem gibt es einige Dinge, spielsweise ein ausschweifendes Sexualleben. nicht voller Angst vor einer Strafe und Verurteilung. demie der Universi- die sich in Zukunft noch verbessern ließen. So sollten Schon in der Vergangenheit haben sich solche Er- tät Hamburg. Vorher die Kirchen auf nationaler Ebene noch gendergerechter klärungen als falsch erwiesen. These 4: Gott verspricht uns, auch bei Leid und war sie in Accra am vertreten sein. Hier sind Frauen immer noch unterre- Vor allem in stürmischen Tod mit uns zu sein Department for the präsentiert. Außerdem sollten auch die Stimmen der Zeiten braucht man einen These 2: Wir müssen jeden Propheten prüfen „Dies habe ich mit euch geredet, damit ihr in mir Study of Religions Ausgegrenzten noch stärker Gehör finden. Denn zur gemeinsamen Kompass, an „Auch von den Propheten lasst zwei oder drei re- Frieden habt. In der Welt habt ihr Angst; aber seid an der University of Hauptaufgabe der Kirchen gehört es dafür zu sorgen, dem man sich ausrichten und den, und die andern lasst darüber urteilen“ (1. Ko- getrost, ich habe die Welt überwunden“ (Johannes Fortsetzung auf Ghana tätig. dass alle Menschen ein Leben in Fülle haben. orientieren kann. rinther 14, 29). 16, 33). Seite 20 18 weltbewegt weltbewegt 19
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