JAHRE DEUTSCHE EINHEIT - zeitbild 20 Mit Kopiervorlagen für den handlungsorientierten Unterricht
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zeitbild Jahrgang 52 September 2010 W I S S E N 20 JAHRE DEUTSCHE EINHEIT Mit Kopiervorlagen für den handlungsorientierten Unterricht
Inhalt DAS JAHR 1989 DIE MAUER FÄLLT... „Wenn wir zu spät kommen, bestraft uns das Leben sofort“ – dieser Ausspruch des sow- jetischen Parteichefs Michail Gorbatschow ist im Oktober 1989 in aller Munde. Binnen Teil 1 kurzer Zeit bewahrheitet er sich – erst an der Herrschaft der SED, schließlich an der Die Mauer fällt ................................................4 DDR selbst und 1991 an der Sowjetunion. ... und ein System bricht zusammen ....5 Während Zehntausende aus dem Osten Wegbereiter der Einheit ...........................7 Vollendung der Einheit Deutschlands ...............................9 in den Westen flüchten, gehen daheim in der Der Neuanfang ............................................ 12 DDR Hunderttausende auf die Straße. Die wirtschaftliche Entwicklung E rmutigt fühlt sich die Bürgerbewegung durch die Entwick- im Überblick ..................................................16 lung in den anderen Staaten des Warschauer Pakts: durch Die innere Einheit ......................................20 den Sieg der freien Gewerkschaft Solidarno in Polen, die Öffnung der Deutschland in Europa ............................22 ungarisch-österreichischen Grenze und durch die Reformpolitik Gorbatschows in der Sowjetunion. ... und in der Welt ......................................23 Anfangs, im September 1989, versuchen Polizei und Staatssicher- heit noch, die Proteste gewaltsam zu unterbinden. Immer wieder gibt es Festnahmen. Doch als am 9. Oktober in Leipzig vor den Teil 2 Augen der Weltöffentlichkeit 70.000 Menschen demonstrieren, ist der Bann gebrochen. Von nun an ist klar, dass die Herrschaft Kopiervorlagen für den der SED ihrem Ende entgegengeht. Eine wichtige Rolle spielen die Kirchen. Schon in den 70er- und frühen 80er-Jahren boten sie Frie- handlungsorientiertendens- Unterricht .....24 und Umweltgruppen Unterschlupf und Raum für Diskus- Ein kleiner „Mauerspecht“ bei der Arbeit. Wie das junge Mädchen sionen. 1989 sind die Friedensgebete in den Kirchen regelmäßig begannen kurz nach dem Mauerfall zahlreiche Menschen, die Ausgangspunkt der Demonstrationen, die von Mal zu Mal größere Mauer zu zerkleinern und sich als Souvenir ein Stück Geschichte zu sichern. Dimensionen annehmen. Am 18. Oktober tritt SED-Generalsekretär Erich Honecker zurück, e n oldat rren in doch die Proteste gegen das Regime gehen weiter. Die Menschen n z s i Gre sta protestieren gegen staatliche Bevormundung und Bespitzelung, w e u n d . Z f P o sten r e p ublik gegen Umweltzerstörung und sozialistische Misswirtschaft. Am 4. s en au ng Bunde jetzt?“, en. November demonstrieren s t e h tu du hweig Rich denkst Hunderttausende auf dem S c o r an i n e das n k st.“ Berliner Alexanderplatz, “ W der e du d t e drei Tage später treten die i c h t u c h br na etz unter ran, wora ich dich j Regierung der DDR und “Da nn muss en!“ das SED-Politbüro zurück. “Da verhaft Am 9. November 1989 ist es soweit: Mit der Mauer in Berlin fällt das verhasste Friedensgottesdienst Symbol der Teilung zwischen in der Nikolaikirche in Ost- und Westdeutschland – Leipzig. Die regelmäßi- gen Friedensgebete und Millionen Ostdeutsche waren ab Herbst 1989 nutzen in den kommen- der Ausgangspunkt für den Tagen und Wochen ihre die Montagsdemon- neue Freiheit nach 40 Jahren strationen gegen das SED-Regime. Abschottung. 2 Zeitbild Wissen
Die Deutsche Einheit ist in unserer Geschichte etwas Einzigartiges. Zum ersten Mal leben die Menschen in Deutschland dauerhaft in Einheit, Freiheit und freundschaftlichen Beziehungen zu allen unseren Nachbarn in Europa und vielen Partnern auf der ganzen Welt zusammen. Damit haben wir etwas Großes geschafft und geschaffen. Die Einheit ist erreicht: In der Nacht zum 3. Oktober 1990 versammeln sich Hunderttausende vor dem Reichstag in Berlin, der im Einigungsvertrag festgelegten neuen alten deutschen Hauptstadt, als kurz vor Mitternacht die schwarz-rot-goldene Fahne zum Zeichen der Einheit aufgezogen wird. Die Freiheitsglocke läutet. Um null Uhr ist die Deutsche Einheit erreicht, die Spaltung überwunden. In ganz Deutschland wird dieses Ereignis mit Straßenfesten und Feuerwerk gefeiert. D ie Bilanz der Deutschen Einheit ist Folgen zählt allerdings auch ein überdurchschnitt- insgesamt positiv, auch wenn sich licher Anstieg der Staatsverschuldung. Die Moder- nicht alle Träume erfüllt haben und nisierung der Wirtschaft nach 40 Jahren zentraler noch vieles zu tun bleibt. Der völlige Planwirtschaft und Abschottung vom Weltmarkt gesellschaftliche und wirtschaftliche erweist sich als schwieriger und langwieriger Pro- Umbruch hat von den Menschen im Osten eine zess. Doch die Menschen in den Neuen und den enorme Bereitschaft zur Um- und Neuorientie- alten Ländern haben gemeinsam eine gewaltige rung in allen Lebensbereichen verlangt. Die Men- Aufbauleistung vollbracht. Ohne den Mut derer, schen im Westen haben beeindruckende Solidar- die sich 1989 gegen die SED-Diktatur aufgelehnt leistungen für den Aufbau Ost aufgebracht. Zu den hatten, wäre das alles nicht möglich gewesen. Zeitbild Wissen 3
DIE MAUER FALLT DAS JAHR 1989 „Wenn wir zu spät kommen, bestraft uns das Leben sofort.“ Dieser Ausspruch des sowjetischen Staats- und Parteichefs Michail Gorbatschow war im Oktober 1989 in aller Munde. Binnen kurzer Zeit bewahrheitete er sich – erst an der Herrschaft der SED, schließlich an der DDR selbst und 1991 an der Sowjetunion. Während Hunderttausende aus dem Osten Deutschlands in den Westen flüchteten, gingen daheim in der DDR Hun- derttausende auf die Straße. E rmutigt fühlte sich die Bürgerbewegung durch die Ent- wicklung in den anderen Staaten des Warschauer Pakts: durch die erste halbfreie Wahl in Polen, die Öffnung der ungarisch-österreichischen Grenze und durch die Reformpolitik Gorbatschows in der Sowjetunion. Anfangs, im September 1989, versuchten Polizei und Staats- sicherheit noch, die Proteste gewaltsam zu unterbinden. Immer wieder gab es Festnahmen. Doch als am 9. Oktober 70.000 Menschen – weit mehr als die Sicherheitskräfte erwar tet hat- ten – demonstrierten, war der Bann gebrochen. Von nun an ging die Herrschaft der SED ihrem Ende entgegen. Eine wichtige Rolle spielten die Kirchen. Schon in den 70er- und frühen 80er-Jahren hatten sie Friedens- und Umweltgruppen Unter- Ein kleiner „Mauerspecht“ bei der Arbeit. Wie das junge Mädchen schlupf und Raum für Diskussionen geboten. 1989 waren die beginnen kurz nach dem Mauerfall zahlreiche Menschen, die Friedensgebete in den Kirchen regelmäßig Ausgangspunkt der Mauer zu zerkleinern und sich als Souvenir ein Stück Geschichte zu sichern. Demonstrationen, die von Mal zu Mal größere Dimensionen annahmen. en n z s oldat rren in Am 18. Oktober trat SED-Generalsekretär Erich Honecker i Gre d sta zurück, doch die Proteste gegen das Regime gingen weiter. Zwe osten un publik. Die Menschen protestierten gegen staatliche Bevormundung und h e n auf P Bundesre zt?“, Bespitzelung, gegen Umwelt- ste t . tung du je chweigen Rich denkst zerstörung und sozialisti- S an das enkst.“ sche Misswirtschaft. Am 4. “Wor der eine ud uch d jetzt November demonstrierten r b r icht a n a unte ran, wor ich Hunderttausende auf dem a u s s ich d Berliner Alexanderplatz, drei “ D nm n!“ “Dan verhafte Tage später traten die Regierung der DDR und das Friedensgottes- SED-Politbüro zurück. Am dienst in der Nikolai- kirche in Leipzig. 9. November 1989 war es Die regelmäßigen so weit: Mit der Mauer in Ber- Friedensgebete sind lin fiel das verhasste Symbol ab Herbst 1989 der der Teilung – und Millionen Ausgangspunkt für die Montagsdemons- Ostdeutsche nutzten in trationen gegen das den kommenden Tagen und SED-Regime. Wochen ihre neue Freiheit. 4 Zeitbild Wissen
Zahlen zur deutschen Teilung • Gesamtlänge der Berliner Mauer: 155 Kilometer • Länge der innerdeutschen Grenze: 1.378 Kilometer • Todesopfer an der Berliner Mauer und an der innerdeutschen Grenze: mehr als 1.000* 000* • Stasi-Unterlagen: 160 Kilometer Akten • Flucht- und Ausreisebewegung aus der SBZ/DDR in die Westzonen/Bundesrepublik k Deutschland (1945–1990): 4.617.331, davon (illegale) Flüchtlinge: 3.148.547 • Zahl der MfS-Mitarbeiter 1989: 91.000 hauptamtliche Mitarbeiter, 189.000 Inoffizielle izielle Mitarbeiter (inkl. Auslandsgeheimdienst Hauptverwaltung Aufklärung) * Vorstudie von Prof. Dr. Detlef Schmiechen-Ackermann, Leibniz-Universität Hannover, Juli 2006. Über die genaue Anzahl der Todesopfer an der innerdeutschen Grenze zu den alten Bundesländern gibt es noch keine gesicherten Erkenntnisse. UND EIN SYSTEM D BRICHT ie wachsende politische und wirtschaftliche Unzufriedenheit führte zu einer Massenflucht der Menschen aus der DDR. Hunderttausende drängten unter Zurücklassung ihrer gesamten Habe über die Grenzen oder flüchteten sich in die ZUSAMMEN Botschaften der Bundesrepublik in Prag und Warschau, weil sie die frustrierenden und hoffnungslosen Zustände, die leeren Versprechen und die Reformunwilligkeit in der Heimat satt hatten. Sie verließen die DDR wegen der fehlenden Meinungs- und Reisefreiheit, wegen der Bespitzelung durch die Staatssicherheit, wegen Zensur und sys- 1989 stand die DDR am Rande des politischen tematischer politischer Verfolgung und Unterdrückung. Und nicht zuletzt wandten sich die Menschen von der DDR ab, weil den und wirtschaftlichen Bankrotts. Fehlende Machtinhabern jede demokratische Legitimation durch freie Wahlen Freiheiten und Menschenrechtsverletzungen fehlte. Die Menschen liefen aber auch vor einem wirtschaftlichen System davon, das die Lebenschancen einschränkte und die sozia- standen neben Versorgungsengpässen bei listischen Staaten des „Ostblocks“ an den Rand des Abgrundes gewirtschaftet hatte. Gütern des täglichen Bedarfs auf der Tages- Ostblock ordnung. Dazu marode Städte, zerfallende Als „Ostblock“ bezeichnete man nach dem Zweiten Weltkrieg die kommunistischen Staaten, die im Militärverbund des War- Infrastruktur und eine teilweise schauer Pakts und im Rat für Gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) zerstörte Umwelt. zusammengeschlossen waren. Dies waren in Europa neben der n? “, sweise Sowjetunion, die das Bündnis beherrschte, die DDR, Polen, die ic h a u Sie s Tschechoslo-wakei, Ungarn und Bulgarien sowie mit Einschrän- önnen t. kungen auch Rumänien und Albanien. ü r g e r , k V o lk spolizis t “B der jetz Ab Mitte der 80er-Jahre lockerte der neue Generalsekretär der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU), Michail Gorbatschow, im Zeichen von „Glasnost“ und „Perestroika“ (Transparenz und Umbau der Gesellschaft) die Zügel im Ostblock und gestattete den Verbündeten mehr Freiheiten, aber damit auch mehr Eigenverantwortlichkeit. Während Polen und Ungarn vorangingen, versuchte die Führung der DDR, jedwede freiheit- ‘‘ fragt , ka n n m “Wieso n selber tun scho a Bundeskanzlerin Angela Merkel: n das ?“ liche Reformen zu verhindern. Nach dem Mauerfall beschleunig- Die DDR war auf Unrecht gegründet. te sich die friedliche Revolution in Mittel- und Osteuropa und führte dazu, dass sich nach Polen und Ungarn und der damaligen Es gab keine legale Opposition. Tschechoslowakei schließlich auch Bulgarien und Rumänien von Es gab keine unabhängige Justiz. Es gab ihren kommunistischen Diktaturen befreien konnten. keine kritischen Medien. Der Vielvölkerstaat der Sowjetunion (Union der Sozialistischen Bevormundung, Unterdrückung von Sowjet-Republiken – UdSSR) hörte Ende 1991 auf zu existieren. Widerspruch, Überwachung und Bespitzelung Zuvor hatten sich bereits Litauen, Georgien, Estland und Lettland sowie Weißrussland, die Ukraine, Moldau, Kirgisien, Usbekistan, waren ständig anwesende Begleiter Tadschikistan, Armenien, Aserbaidschan, Turkmenistan, Kasach- des täglichen Lebens. Hinter dem stan und endlich auch die eigentliche Führungsmacht der Sowjet- Schießbefehl stand nichts anderes als union, nämlich Russland, für unabhängig erklärt. pure Menschenverachtung. Zeitbild Wissen 5
S DER chon in einem frühe- heit eingeholt. Als am 1. No- ren Gutachten hatte vember 1989 der kurzzeitige Gerhard Schürer, der OFFEN- Honecker-Nachfolger Egon Vorsitzende der staatlichen Plankommission der DDR, BARUNGSEID Krenz zu seinem Antritts- besuch nach Moskau reiste, darauf hingewiesen, dass die WAR hatte er niederschmetternde UNVERMEIDLICH DDR auf dem Weg in eine Erkenntnisse im Gepäck. Im kritische wir tschaftliche Si- Gespräch mit Gorbatschow tuation sei. Einschneidende legte er dar, wie es wirk- Maßnahmen seien erforder- lich um die DDR stand: Das lich, vor allem radikale Schnitte bei den bisherigen staatlichen Wachstum sei rückläufig, der Fünf-Jahres-Plan unerfüllbar. Preisstützungen für Sozialleistungen. In erster Linie davon be- Würde die Wahrheit ans Licht kommen, würde dies einen troffen waren die Miet- und Energiepreise sowie Ausgaben Schock auslösen; denn ohne neue Großkredite aus dem Wes- für Bildung, Gesundheit, Kultur, Spor t und Erholung. Honecker ten sei eine Senkung des Lebensniveaus in der DDR um 25 bis reagier te so, wie er bis zum Ende der DDR ander thalb Jahre 30 Prozent zu erwar ten. Da die kompletten Expor terlöse der später stets reagieren sollte: Er weiger te sich, die Tatsachen DDR nicht einmal mehr für den Schuldendienst im zur Kenntnis zu nehmen. Doch wenige Tage nach Honeckers Westen reichten, war der staatliche Offenbar ungseid Rücktritt von allen Ämtern wurden seine Erben von der Wahr- unvermeidlich. Die sieben Wunder der DDR Wunder 1: IN DER DDR GIBT ES KEINE ARBEITSLOSIGKEIT. Wunder 2: OBWOHL KEINER ARBEITSLOS IST, ARBEITET NUR DIE HÄLFTE. Wunder 3: OBWOHL NUR DIE HÄLFTE ARBEITET, WIRD DAS PLAN-SOLL IMMER ERFÜLLT. Wunder 4: OBWOHL DAS PLAN-SOLL IMMER ERFÜLLT WIRD, GIBT ES NICHTS ZU KAUFEN. Wunder 5: OBWOHL ES NICHTS ZU KAUFEN GIBT, SIND ALLE GLÜCKLICH UND ZUFRIEDEN. Wunder 6: OBWOHL ALLE ZUFRIEDEN SIND, GIBT ES REGELMÄSSIG DEMONSTRATIONEN. Wunder 7: OBWOHL REGELMÄSSIG DEMONSTRIERT WIRD, WÄHLEN 99,9 PROZENT UNSERE KANDIDATEN DER NATIONALEN FRONT. 6 Zeitbild Wissen
WEGBEREITER DER EINHEIT Bundeskanzler Helmut Kohl präsentierte bereits zweieinhalb Wochen nach dem Fall der Mauer sein „Zehn-Punkte-Pro- gramm“ zur Überwindung der Teilung Deutschlands und Europas, das frühzeitig einen Weg zur Wieder- herstellung der Deutschen Einheit skizzierte. Durch eine kluge Politik, mit der er sich die Unterstützung Mehr als 100.000 Menschen jubeln Bundeskanzler Helmut Kohl (Mitte) im Februar 1990 bei der westlichen Verbün- einer Wahlkampfveranstaltung der „Allianz für Deutschland“ in Erfurt zu. deten sicherte und die Punkte- 10 Kooperation der Sowjet- union erreichte, wurde Kohl zum „Kanzler der Einheit“. Programm Die Menschen wollen die rasche Einheit Das Zehn-Punkte-Programm sah einen S schrittweisen Prozess der Deutschen Einheit chon im November 1989 war aus der Parole „Wir sind vor. Er sollte mit humanitären Sofortmaß- das Volk“ der Ruf „Wir sind ein Volk“ geworden. Nicht im nahmen beginnen und über die Zwischen- Westen, sondern im Osten wurde zuerst deutlich und un- überhörbar der Ruf nach der Wiedervereinigung laut. stufen einer „Vertragsgemeinschaft“ Am 18. März 1990 fanden die ersten freien Wahlen in der und „konföderativer Strukturen“ zur Geschichte der DDR seit ihrer Gründung im Jahr 1949 statt. Bei Wiedervereinigung Deutschlands führen. einer Wahlbeteiligung von mehr als 93 Prozent brachten sie jenen Der Prozess sollte in die gesamteuropäische Parteien eine klare Mehrheit, die für eine rasche Wiedervereini- Entwicklung eingebettet sein. Der Zeitplan gung mit dem Westen Deutschlands eingetreten waren. Bereits wurde bewusst offengelassen, um die not- am 1. März hatte die aus dem Demokratischen Aufbruch (DA), wendige Flexibilität zu behalten. Bundes- der Deutschen Sozialen Union (DSU) und der CDU gebildete kanzler Kohl rechnete aber mit einer Dauer Allianz erklärt, sie wolle die Einheit durch Beitritt zur Bundesrepu- des Prozesses von vier bis fünf Jahren. blik Deutschland. Die „Allianz für Deutschland“ gewann die Wahl Die Bedeutung von Kohls Zehn-Punkte- überraschend klar. Die CDU, mit 40 Prozent der Wählerstimmen Programm lag darin, dass es der politischen stärkste Partei, stellte mit Lothar de Maizière den Ministerpräsi- Diskussion in Deutschland, in Europa und denten einer Koalition aus Allianz für Deutschland, SPD und Libera- zwischen den beiden damaligen Weltmächten len. Auch aus den Kommunalwahlen (6. Mai 1990) ging die CDU USA und Sowjetunion schon zu einem frühen als stärkste Partei hervor. Das Plebiszit für die Deutsche Einheit Zeitpunkt eine Richtung und ein klares ebnete den Weg zur raschen Wiedervereinigung. Tatsächlich war Ziel vorgab; denn Kohl sprach öffentlich aus, diese erste freie Volkskammerwahl zugleich auch die letzte, denn was in diesem Moment die meisten Men- die DDR würde es schon in naher Zukunft nicht mehr geben. schen im Westen kaum zu denken wagten. Zeitbild Wissen 7
B ereits am 7. Februar 1990 hatte die Bundesregierung der DDR eine Währungs- und Wirtschaftsunion in Aussicht gestellt. Auch wenn sie ökonomische Risiken barg, ließ der fortschreitende DDR- Wirtschafts- Zusammenbruch ein Hinauszögern dieser Entscheidung kaum zu. Währungs-, Sozialunion In den folgenden Wochen fanden Vorgespräche zwischen den innerdeutschen Kommissionen statt. Die eigentlichen Verhandlungen begannen aber erst nach Bildung der demokratisch legitimierten DDR-Regierung. Wichtige Ver- handlungsthemen waren der künftige Umtauschkurs, Eigentumsfragen, das System der sozialen Sicherung und die Privatisierung der ostdeutschen Betriebe. Besonderen Wert legte die ostdeutsche Seite auf die Gleichrangig- keit von Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion, die Anschubfinanzierungen im Sozialbereich in Milliardenhöhe einschloss. Kontrovers war vor allem die Frage nach dem Kurs, zu dem die Mark der DDR in DM umgetauscht werden sollte. Die Bundesbank, die eine allgemeine Erschütterung der finanziellen und wirtschaftlichen Stabilität befürchtete, warnte vor den Folgen einer allzu hohen Bewertung der ostdeutschen und Währung und lehnte zunächst einen Umtauschkurs von 1:1 zugunsten eines Umtausches von 2 :1 ab. Schließlich einigte man sich auf die Umstellung 1:1 für alle laufenden Zahlungen und nach Alter gestaffelten Sparbeträgen bis zu 6.000 Mark. Darüber hinausgehende Beträge wurden 2 :1 umgestellt. Ins- gesamt ergab sich damit ein Kurs von 1,8 :1. Einführung der Sozialen Marktwirtschaft Mit dem Inkrafttreten der Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion am 1. Juli 1990 wurde die DDR-Währung auf DM umgestellt. Die DDR verlor ihre Souveränität in Finanzangelegen- heiten und übertrug die geldpolitische Verant- wortung der Bundesbank in Frankfurt am Main. Weiteres Kernstück des Vertrags war die Einfüh- rung der Sozialen Marktwirtschaft in der DDR. Die DDR verpflichtete sich, die Rahmenbedingungen für freie Preisbildung, die Abschaffung der staat- lichen Monopole, Entfaltung der Marktkräfte und der Privatinitiative und die Einführung der west- lichen Umweltschutz-Anforderungen zu schaffen. Arbeitsrechtsordnung und Sozialversicherungs- systeme der Bundesrepublik Deutschland wurden übernom- men. Laut Vertrag erklärte sich die Bundesrepublik bereit, der DDR zweckgebundene Finanz- zuweisungen zum Haushaltsaus- gleich für das zweite Halbjahr 1990 in Höhe von 22 Milliarden D-Mark und für 1991 in Höhe von 35 Milliarden D-Mark zu gewähren. 8 Zeitbild Wissen
VOLLENDUNG DER EINHEIT Während des Vereinigungsprozesses arbeiteten die Politiker und Parlamente auf beiden Seiten der noch bestehenden innerdeutschen Grenze aufs Engste zusammen. In einem politischen Kraftakt ohnegleichen wurden die Rechtsgrundlagen für die Vereinigung der beiden Staaten geschaffen. Die erste frei gewählte Volkskammer der DDR bewältigte in kurzer Zeit ein riesiges Arbeitspensum: Sie verabschiedete einschneidende Verfassungsänderungen und Von Berlin aus reisen am 1. September 1994 die letzten russischen Soldaten beschloss die Wiedereinführung der 1952 zurück nach Moskau. Dazu hat sich die Sowjetunion im Zwei-plus-Vier- Vertrag verpflichtet. Mit dem Truppenabzug endet nach fast 50 Jahren die von der SED abgeschafften Länder. sowjetische bzw. russische Militärpräsenz in Deutschland. A m 23. August 1990 beschloss die Volkskammer in einer kammer verabschiedete Entschließung zur Anerkennung der nächtlichen Sondersitzung den Beitritt der DDR zur Oder-Neiße-Linie als polnische Westgrenze sowie mehr tägige Bundesrepublik Deutschland nach Ar tikel 23 des Verhandlungen zwischen Bundeskanzler Kohl und dem sowje- Grundgesetzes mit Wirkung zum 3. Oktober 1990. tischen Staatschef Gorbatschow Mitte Juli 1990 brachten den Während die Menschen in Ost und West im Alltag bereits endgültigen Durchbruch. Die Sowjetunion stimmte einer Mit- die Vereinigung praktizier ten, wurden mit dem am 31. August gliedschaft des wiedervereinigten Deutschlands in der NATO unterzeichneten Einigungsver trag zwischen der Bundesrepu- zu und gab grünes Licht für den Abzug ihrer Truppen aus blik Deutschland und der DDR die entscheidenden rechtlichen dem Gebiet der DDR. Am 12. September 1990 wurde in Rahmenbedingungen festgelegt. Am 20. September wurde der Moskau das Abschlussdokument der Zwei-plus-Vier-Gespräche Einigungsvertrag von beiden Parlamenten mit Zweidrittelmehrheit unterzeichnet. verabschiedet. Vier Tage später verließ die DDR den Warschauer Seit dem 3. Oktober 1990 sind Brandenburg, Mecklenburg- ‘‘ Pakt. Am 2. Oktober löste sich die Volkskammer auf. Parallel waren die letzten außenpolitischen Hindernisse aus dem Weg geräumt worden. Eine von Bundestag und Volks- Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen Länder der Bundesrepublik Deutschland. Deutschland ist wieder ein vereintes und souveränes Land. Helmut Kohl über ein Gespräch mit Michail Gorbatschow im Juni 1989: Wir saßen auf der Mauer unten am Rhein. Es war Mitternacht, eine wunderbare Sommernacht. Unten gingen die Bonner Liebespaare vorbei; sie haben ziemlich entgeistert festgestellt, wer da auf der Mauer sitzt und sind dann weitergeschlendert. (...) Ich zeigte auf den Rhein und sagte: ,Der Rhein fließt ins Meer. Sie können ihn stauen, doch dann tritt das Wasser über die Ufer und zerstört sie. Aber es gelangt schließlich doch ins Meer. So sicher, wie der Rhein ins Meer gelangt, so sicher kommt die Deutsche Einheit – und übrigens auch die Europäische. Quelle: „Welt am Sonntag“ vom 27.09.1992 Zeitbild Wissen 9
Zwei-plus-Vier Die Zwei-plus-Vier-Gespräche zwischen der DDR und der Bundesrepublik Deutschland sowie den Vier Mächten – den USA, der Sowjetunion, Großbritannien und Frankreich – begannen im Mai 1990 und endeten mit dem Zwei-plus-Vier-Vertrag über die abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland im September 1990. Er regelte die außenpolitischen Grundsatzfragen der deutschen Vereinigung und entsprach faktisch einer abschließenden friedensvertraglichen Regelung zwischen Deutschland und den früheren Kriegsalliierten. Der Vertrag beendete die Vier-Mächte-Verantwortung in Bezug auf Berlin und Deutschland auf dem Territorium der alten Bundesrepublik, der DDR und Berlins; Deutschland erlangte die volle Souveränität über seine inneren und äußeren Angelegenheiten. Zugleich bestätigte Deutschland seinen Verzicht auf atomare, chemische und biologische Waffen und reduzierte die Bundeswehr von 500.000 auf 370.000 Mann. Vier Mächte U nmittelbar nach dem Fall der Mauer hatten die Vier Mächte ihre gemeinsame Verantwortung gegenüber Deutschland betont. Die Reaktionen auf die sich abzeich- nende Wiedervereinigung 1989/90 fielen in Paris, London, Moskau Die Rolle und Washington allerdings unterschiedlich aus. Wegen Bedenken vor einem politisch und wirtschaftlich zu starken Deutschland im Zentrum Europas akzeptierten Frankreich und vor allem Großbri- tannien nur zögernd die Vereinigung der beiden deutschen Staaten. Die Sowjetunion lehnte ursprünglich eine Vereinigung kategorisch ab, bis im Februar 1990 der sowjetische Staats- und Parteichef Michail Gorbatschow zum ersten Mal sein grundsätz- liches Einverständnis zur Deutschen Einheit signalisierte und wenige Monate später auch endgültig einer gesamtdeutschen der NATO-Mitgliedschaft zustimmte. Die Regierung in Washington sprach sich von Anfang an uneinge- schränkt für die Deutsche Einheit aus. Freiheit und Selbstbestim- mung für alle Deutschen – das war das tragende Motiv von US- Präsident George Bush sen., als er Helmut Kohl bei der deutschen Wiedervereinigung 1989/90 entscheidend den Rücken stärkte. So wie die großzügige Aufbauhilfe in der Nachkriegszeit den wirtschaftlichen, politischen und moralischen Wiederaufstieg im Westen Deutschlands und den Aufbau einer stabilen Demokratie überhaupt erst möglich gemacht hatte, so war auch die Rolle der USA beim Prozess der Wiedervereinigung von unschätzbarem Wert. Auf diese Weise haben die Vereinigten Staaten von Amerika in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg entscheidend zum glücklichen Verlauf der deutschen Geschichte beigetragen. US-Präsident George Bush (links) und der sowjetische Staatschef Michail Gorbatschow bei einem Gipfeltreffen vor der Mittel- meerinsel Malta. Am Ende des Treffens verkündet Gorbatschow das Ende des Kalten Krieges (Dezember 1989). 10 Zeitbild Wissen
Die Erblast der SED Die völlige Umwandlung der zentral gelenkten sozialistischen Kommandowirtschaft der DDR war von Beginn an ein beispielloses Unterfangen. Praktisch eine komplette Volkswirtschaft musste den Sprung vom „VOLKSEIGENTUM” – also Staatseigentum – in die Soziale Marktwirtschaft und in den internationalen Wettbewerb schaffen. Unter der SED war der Staat Arbeitgeber, Versicherer, Steuer- Was würd e behörde und Sozialinstitution – ein allgegenwärtiges Betreuungs- und zugleich Überwachungsinstrument. Die passieren , wenn die W Wirtschaft wurde zentral von oben geplant und gelenkt. Der Absatz der Betriebe war garantiert, ein Qualitäts- -kommunis üste tisch wär wettbewerb fand nicht statt. Menschliche Arbeit war billig, die verdeckte Arbeitslosigkeit hoch.Technisch hoch- Eine Zeit e? lang gar n und dann ichts würde der wertige Maschinen wurden wegen chronischer Devisenknappheit nur im Notfall gekauft. Die Folgen: schlechte Sand kna Produktivität und kaum Wettbewerbsfähigkeit auf den Weltmärkten. pp Die Einführung der D-Mark in der damaligen DDR am 1. Juli 1990 werden. durch die Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion deckte den maroden Zustand der DDR-Wirtschaft auf. Es zeigte sich, dass der Standard und die Leistungsfähigkeit der DDR-INDUSTRIE WEIT ÜBERSCHÄTZT worden waren. Ausgerichtet auf die Erfordernisse und Direktiven des RGW-Binnen- marktes, abgeschottet vom Weltmarkt mit seinem Know-how, seiner Konkurrenz, seinen Anreizen zur Innovation, war die DDR-Wirtschaft, ebenso wie die der anderen sozialistischen Staaten, weit hinter der internationalen Entwicklung zurückgeblieben. 1990/91 fiel der frühere Handel im geschlossenen Schutzraum des RGW und mit der Sowjetunion weg, und mit der Weltmarktkonkurrenz konnten die meisten DDR-Produkte nicht mithalten. Gleichzeitig bedeuteten die nunmehr in DM zu zahlenden Löhne und Gehälter, die überdies schnell stiegen, für die Betriebe eine Kostenbelastung, der meist keine entsprechende Leistungskraft gegenüberstand. Die Folgen waren ein massiver Rückgang der industriellen Produktion und ein schneller ANSTIEG DER ARBEITSLOSIGKEIT. Auf dem Gipfelpunkt 1992 war nahezu ein Drittel der Erwerbsfähigen in den Neuen Ländern entweder arbeitslos (rd. 15 Prozent) oder in einer arbeitsmarktpolitischen Maßnahme. Dies alles waren Folgewirkungen von vierzig Jahren verfehlter Politik, wie sie so oder noch krasser seit 1990 überall in den ehemaligen Staaten des RGW zu ver- zeichnen waren. Die Menschen in der DDR waren nicht weniger tüchtig als ihre Landsleute im Westen. Aber die systembedingten Fehler der ZENTRALVERWALTUNGSWIRTSCHAFT – das Fehlen marktgebildeter Preise als Knappheitsanzeiger, die Fehlsteuerung von Ressourcen, der im Planungsverfahren implizierte Anreiz zur Aufstellung „weicher Pläne“, das Fehlen von Wettbewerbsdruck und Innovationsanreizen u. a. – und dazu noch der Mangel an Investitionen machten viele ihrer Bemühungen zunichte und führten dazu, dass die DDR an ihrem Ende auch wirtschaftlich vor dem Kollaps stand. Im Mittelpunkt des Aufbaus Ost standen daher seit 1990 die Modernisierung und der Neuaufbau einer konkurrenzfähigen Industrie. Hierzu war es nötig, die Rahmenbedingungen zu verbessern – funktionierende Verwaltung, leistungsfähige Infrastruktur – und Investitionen und Neugründungen zu fördern. Zeitbild Wissen 11
1 99 0 h aft - ie- d ern llten lbst- h ritt und nate it c W n o e c s- o Se irt s is ch e e slä a ns s tigs s teS h aft ei M r w g n d n fr i e r sc dr de lo Bu gin tel er irt s d ö ko n B e i t D W r eit n d u e m . s- , e ai sta le u n N e V o n ic h r d e n n g n b M zia fü nf litik . in es we ähru u rde n im o o e n o e, s de n nP ür affe ieW ft w sch et. il ch n h e n f s ch r d s c h a d e att a u i u tsc nge ge ü be irt w ur est b e z u n g tw , sg rau f er d sset ic klu r t rag a rk te llen M au e d u e M d u m V or a e ntw n eV a len en. e r zus e nD nt r s e i h d Ze ll die h aft tret S oz eglic sich illiar ne s c e r g n im s ch irt a ftg d de r an u ne 0 ,7M W r e c hst c he in K k un and o mm t1 6 li is a r in K m g am 90 -M ee er sa mö n 1 9 D c h h r s ge e, dy . Juli d er erei n di it in d 1 B u ag en a m ru ng che d er 9 4m tr h t li n 1 9 de r infü s en n Lä de r E e e n u wa d er n g w N eu b is E z it u d da n.M e i nig ft igen t un nio r ün hte lu n Ve r k ic So zia lich e g de in ger a t n e r sta t a ttu h eit “ e s rd z aus e Ein vo n h F ina u tsc e U m NG die r „Fo n ds D A e 0d 19 R 9 NF E D EUA N 12 Zeitbild Wissen
Die Schlüsselfunktion bei der Umstrukturierung der ostdeutschen Wirtschaft kam zunächst der Die Treuhand Treuhandanstalt zu. Dieser noch zu DDR-Zeiten gegründeten gigantischen Staatsholding „gehörte“ zunächst fast alles – logische Folge der „volkseigenen“ Konstruktion während der vier Jahrzehnte SED-Herrschaft. Der Wert der DDR-Wirtschaft wurde jedoch von Anfang an weit überschätzt. Noch im Mai 1990 erwartete man einen Erlös von mehr als 600 Milliarden DM.Tatsächlich beendete die Treuhand ihre Arbeit mit einem Minus von rund 200 Milliarden DM. Über 6.500 Unternehmen wurden insgesamt bis zur Auflösung der Treuhand (Ende 1994) privatisiert, knapp 1.600 reprivatisiert und über 3.700 mussten geschlossen werden. Für den Erhalt von über 1,5 Millionen Arbeitsplätzen musste die Treuhand im Schnitt jeweils 100.000 DM aufwenden; der Erhalt eines einzigen Arbeitsplatzes auf einer ostdeutschen Werft kostete durchschnittlich sogar ein Vielfaches. Von den über 200 Milliarden DM Gesamt- verbindlichkeiten der Treuhand zum 31. Dezember 1994 entfielen allein etwa 135 Milliarden DM auf die Sanierung, Privatisierung und Stilllegung ostdeutscher Betriebe. Trotz Kritik an ihrer Arbeit ist es der Treuhand insgesamt gelungen, die Grundlagen einer konkurrenz- fähigen und zukunftsorientierten Industriestruktur in den Neuen Ländern zu schaffen. Gemeinschaftswerk bi „Aufschwung Ost“ d e r Trab enn er ht W rreic ndigkeit? A n n e i Wa hw ls wichtige Aufgabe in der Zeit nach 1990 galt es, die ! notwendigen einschneidenden Maßnahmen für die c h s t gesc ppt wird Hö schl e seine abge Menschen in den Neuen Ländern erträglich zu gestalten. Diese Zielsetzung mündete in das umfassende Aufbauprogramm „Gemeinschaftswerk Aufschwung Ost”, dessen tragende Elemente sich in den folgenden Jahren bewährten. Wirtschaftsförderung und Infrastrukturerrichtung waren dabei von zentraler Bedeutung. Mit dem letzten In den Jahren 1991 und 1992 wurden insgesamt 24,4 Milliarden „Trabbi“ DM eingesetzt, die zum einen schnellen Anschub- und Übergangs- in eine neue Zeit finanzierungen dienten – unter anderem Auf ihn mussten viele für verbesserte Absatzbedingungen DDR-Bürger über zehn Jahre für ostdeutsche Produkte und für warten. Geliebt und gehasst zugleich, begleitete der Trabbi den Einsatz eines arbeitsmarkt- das Leben in der DDR seit Ende politischen Instrumentariums der 50er-Jahre wie kaum ein zur sozialen Abfederung des un- anderes Produkt. Ursprünglich vermeidlichen Strukturumbruchs. als ostdeutscher „Volks“- Wagen gefeiert, verwandelte Zum anderen führten sie zu einer sich der Zweitakter aufgrund raschen Verbesserung der konkre- mangelnder Innovationen bald ten Lebensverhältnisse in den in ein Sinnbild für die stagnie- Bereichen Verkehr, Wohnungs- rende DDR-Wirtschaft. Am 30. April 1991 rollte der letzte und Städtebau, Infrastruktur, von insgesamt rund 3,1 Millionen Umweltschutz sowie im Hoch- Trabbis vom Band – das defini- schulbereich. tive Ende einer Epoche. Zeitbild Wissen 13
Mit dem Solidarpakt kam es drei Jahre nach der Wieder- SOLIDARPAKT 1 vereinigung zu einer Neuordnung des bundesstaatlichen Finanzausgleichs, die 1995 in Kraft trat. Danach wurden die ostdeutschen Länder in den Länderfinanzausgleich einbezogen und erhielten Transferleistungen in Höhe von insgesamt 105 Milliarden Euro sowie zusätzliche überproportionale Fördermittel. Zur Teilfinanzierung der hohen Leistungen des Bundes wurde ab 1995 ein Solidaritätszuschlag von 7,5 Prozent auf die Einkommen- und Körperschaftsteuer eingeführt. Der Zuschlagsatz konnte ab 1998 auf nunmehr 5,5 Prozent gesenkt werden. Der Solidarpakt II gilt seit dem 1. Januar 2005. Er löste SOLIDARPAKT II den von 1995 bis 2004 geltenden Solidarpakt I ab. Bis zum Jahr 2019 stehen insgesamt 156 Milliarden Euro im Solidarpakt II bereit. Mit dem Solidarpakt II verbindet sich die Erwartung, dass die ost- deutschen Länder in den nächsten Jahren zunehmend auf eige- nen Füßen stehen können und ab 2020 keinen teilungsbedingten Nachholbedarf mehr geltend machen müssen. Im Zentrum der Anstrengungen stehen • die gezielte Förderung der Wirtschaft (Investitionszulage, Investorenwerbung), • Bildung, Innovation, Forschung und Entwicklung, • Verkehr (Verkehrsprojekte Deutsche Einheit), • Wohnungs- und Städtebau (Städtebauförderung, Soziale Wohnraumförderung) und • die weitere Beseitigung ökologischer Altlasten (Standortsanierung). ah r 1990 hn h o f im J up t b a er Ha eipzig Der L Der Leipziger Hauptbahnhof nach der Sanierung im Jahr 1998 WOHNEN: SANIERUNG DER BAUSUBSTANZ UND DER INNENSTÄDTE Viele historische Stadtkerne im Osten Deutschlands waren 1990 dem Verfall preisgegeben. Der größte Teil der Bauten stammte aus der Zeit vor 1945; Wohnungen mit Ofenheizung waren die Regel. Im Neubaubereich herrschten mangelhafte Billigprodukte vor. Inzwischen sind Millionen Wohnungen saniert und modernisiert worden. Massive steuerliche Anreize auf der einen und besondere Wohngeldregelungen auf der anderen Seite haben es ermöglicht, verfallende Häuser und Wohnungen instand zu setzen und zugleich die Mieten bezahlbar zu halten. Zahlreiche historische Innenstädte wurden restauriert und erstrahlen in neuem Glanz. Das Wohnen hat in Ostdeutschland eine völlig andere Qualität gewonnen. 14 Zeitbild Wissen
Der rekultivierte Silbersee im Jahr 1998 SANIERUNG UND AUSBAU DER INFRASTRUKTUR 1990 waren die Fernstraßen in Ostdeutschland sowie der Gleiskörper der Deutschen Reichsbahn stark sanierungs- bedürftig. Völlig überaltert war auch das Wasserstraßensystem. Zwischen 1991 und 2009 wurden in die Schienen- wege sowie die Bundesfern- und Bundeswasserstraßen der Neuen Bundesländer rund 75 Milliarden Euro investiert. Knapp 200.000 Kilometer Straßen wurden und werden im Rahmen der Verkehrsprojekte Deutsche Einheit fertig gestellt. Alle wichtigen Wirtschaftszentren wurden mit leistungsfähigen Strecken verbunden und die Neuen Bun- desländer konnten in relativ kurzer Zeit in den Eurocity-, Intercity- und Interregioverkehr einbezogen werden. Das war auch deshalb sehr wichtig, weil mit der Erweiterung der EU die bisherigen Nord-Süd-Verkehrsströme durch neue Verkehrsbeziehungen in Ost-West-Richtung überlagert wurden. So sind auch die Neuen Länder zu einer Drehscheibe des internationalen Handels und Verkehrs geworden. Gleichzeitig fand eine Revolution auf dem Feld der Telekommunikation statt. Die Telefonleitungen und -anschlüsse waren 1990 häufig nur wenig über Vorkriegsstandard – in der gesamten DDR gab es nur 1,8 Mil- lionen Telefonanschlüsse und 22.000 Münztelefone. Dank hoher Investitionen ist hier in wenigen Jahren eines der modernsten Telekommunikationsnetze der Welt entstanden. Ostdeutschland ist von der weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise nicht so stark betroffen wie Westdeutschland, da die vielen DIE KONJUNKTURPAKETE I UND II kleinen und mittleren Unternehmen auf veränder te Rahmenbedingungen flexibler reagieren können und ihre Abhängigkeit vom Export geringer ist. Dennoch haben die von der Bundesregierung beschlossenen beiden Konjunkturpakete in Höhe von insgesamt 80 Milliarden Euro auch im Osten Deutschlands mit dazu beigetragen, die Kon- junktur zu stabilisieren und die Auswirkungen g von Einleitun am der weltweiten Krise abzufedern. Ganz beson- Abwä sse rn Silber- ders profitieren die ostdeutschen Bundesländer Ufer des s A n fa ng der von Zukunftsinvestitionen der Kommunen und see ig erjahre Länder in die Bildung und in die Infrastruktur Neunz sowie von der verstärkten Förderung der Investi- tionen und der regionalen Wirtschaftsstruktur. HILFEN AUS BRÜSSEL FÜR DIE NEUEN BUNDESLÄNDER Aus den EU-Strukturfonds erhalten die Neuen Länder von 2007 bis 2013 rund 15,1 Milliarden Euro an Fördergeldern. Dazu kommen weitere Mittel für den Ausbau der Verkehrsinfrastruktur in Höhe von 1,5 Milliarden Euro sowie 1,3 Milliarden Euro für wichtige arbeits- marktpolitische und Ausbildungsmaßnahmen. Darüber hinaus erhalten die Neuen Länder für ihre ländliche Ent- wicklung Mittel in Höhe von 4,7 Milliarden Euro im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU. Zeitbild Wissen 15
DIE WIRTSCHAFTLICHE ENT Mit der Wiedervereinigung begann ein mühsamer wirtschaftlicher Aufholprozess.Trotzdem haben die Deutschen gemeinsam viel geschaffen in den letzten 20 Jahren. Investitionen in Verkehr und Telekommunikation, Infrastruktur und Arbeitsmarkt,Verwaltung und Justiz, Landwirtschaft und Gesundheitswesen, Bildung, Forschung und Technologie,Wohnungsbau und Kultur haben die ostdeutschen Bundesländer von Grund auf verändert und modernisiert. Besonders hervorzuheben sind auch die Leistungen für die ostdeutschen Rentnerinnen und Rentner sowie die umfassenden Anstrengungen zur Aufarbeitung der verheerenden ökologischen Altlasten. Drei Phasen lassen sich im Rückblick unterscheiden: Phase 1 1991 bis 1996 Die ersten Jahre nach der Wiedervereinigung brachten ein starkes Wirtschaftswachstum in den Neuen Ländern. Das Bruttoinlands- produkt (BIP) je Einwohner stieg von 42,8 Prozent im Jahr 1991 Bruttoinlandsprodukt pro Erwerbstätiger West = 100 % (Neue Länder ohne Berlin: 33,5 Prozent) auf 68,3 Prozent des 90 % westdeutschen Niveaus im Jahr 1996. Mit Hilfe großer Finanz- transfers wurden die marode Infrastruktur erneuert und zahlrei- 78,4 78,7 79,0 80 % 74,8 che dringend renovierungsbedürftige Bauten instand gesetzt. Das 73,6 Neue Bundesländer mit Berlin führte zu einem Boom im ostdeutschen Baugewerbe und in den 70 % 67,1 damit verbundenen Industrie- und Dienstleistungsbereichen. 60 % Phase 2 1997 bis 2000 Das Auslaufen des Baubooms brachte den Aufholprozess vo- rübergehend fast zum Erliegen. Die auf die Einwohnerzahl 50 % 40 % 1991 44,5 1992 1993 1994 Quelle: Arbeitskreis VGR der Länder 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 bezogene Wirtschaftsleistung ging im Vergleich zu Westdeutsch- BIP land sogar wieder leicht zurück, auf 67,2 Prozent des westdeut- schen Niveaus im Jahr 2000. S eit 1991 ist das 3 Bruttoinlandsprodukt (BIP) je Erwerbstätiger in Ostdeutschland auf Phase 2001 bis heute 79 Prozent des Wertes in West- Der wirtschaftliche Aufholprozess ist wieder in Gang gekommen, wenn deutschland gestiegen. Während auch mit geringerem Tempo als zu Beginn der 90er-Jahre. Das BIP je das BIP in Westdeutschland Einwohner ist in diesem Zeitraum auf 73 Prozent des westdeutschen zwischen 2006 und 2008 nur Durchschnittsniveaus gestiegen. Gleichzeitig haben sich die Produkti- um 4,3 Prozent zunahm, stieg vität (von 75 Prozent des westdeutschen Niveaus im Jahr 2000 auf es in Ostdeutschland um 81 Prozent im Jahr 2009) und die Selbstständigenquote (von 84 Pro- 7,5 Prozent. zent des westdeutschen Niveaus im Jahr 2000 auf 106 Prozent im Jahr 2009) signifikant erhöht. Besonders das verarbeitende Gewerbe ist in den letzten Jahren dynamisch gewachsen, seit dem Jahr 2000 um fast 55 Prozent. Es kommt jetzt darauf an, die noch bestehende Differenz in der Wirtschaftskraft weiter abzubauen. 16 Zeitbild Wissen
WICKLUNG IM ÜBERBLICK Wanderungen zwischen Ost- und Westdeutschland 943,4 1990–1993 272,9 510,2 1994–1997 390,8 Arbeit 644,9 1998–2001 Arbeitslosen- und Erwerbstätigenquote 366,9 80 % Alte Bundesländer 73,6 70,9 70,4 69,8 70 % 67,3 615,7 2002–2005 70,3 Neue Bundesländer 60 % 60,1 61,1 62,5 63,8 375,8 Erwerbstätige Personen in 1.000 50 % Zuzüge aus den Neuen Ländern 531,1 in die alten Länder 40 % 2006–2009 Fortzüge aus den alten Ländern in die Neuen Länder 338,7 30 % Arbeitslose 18,8 20,1 Neue Bundesländer 20 % 16,7 13,1 Ost und West jeweils ohne Berlin 10,3 Quelle: Statistisches Bundesamt 10,1 9,4 8,7 6,4 10 % 6,3 Alte Bundesländer Abwanderung 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 Quelle: Bundesagentur für Arbeit, Statistisches Bundesamt D Z ie positive Wirt- wischen 1990 und 2009 sind über 3,2 Millionen schaftsentwicklung Menschen aus den Neuen in die alten Länder gezogen, hat sich auch auf während rund 1,7 Millionen die umgekehrte Richtung dem Arbeitsmarkt wählten. Die Neuen Länder verloren in diesem Zeitraum niedergeschlagen. Von 2005 bis per Saldo rund eineinhalb Millionen Einwohner durch Abwanderung. August 2010 hat sich die Zahl Insbesondere junge Menschen verließen bisher ihre Heimat im Osten, der Arbeitslosen in den Neuen darunter waren in den ersten Jahren nach der Wiedervereinigung Ländern um gut 600.000 Perso- überdurchschnittlich häufig junge Frauen. Abgesehen von einem gering- nen, von 19,0 auf 11,5 Prozent, fügigen Anstieg in den Jahren 2007/2008, nahm die Zahl der verringert. Im Sommer 2010 Menschen, die von Ost nach West abwanderten, seit 2001 konti- sank die Arbeitslosigkeit erstmals nuierlich ab. Nach vorläufigen Schätzungen erreichte sie im seit 1990/91 wieder unter die Jahr 2009 mit insgesamt 120.500 Zuzügen aus den Neuen in die Grenze von einer Million. alten Länder den tiefsten Wert seit der Wiedervereinigung. Mit einer Erwerbstätigenquote von über 68 Prozent liegen die Neuen Länder noch nicht auf dem westdeutschen Durch- schnittsstand (71 Prozent), aber schon über dem Durchschnitts- wert der EU. Der weitere Abbau der Arbeitslosigkeit bleibt eine der zentralen Aufgaben. Zeitbild Wissen 17
Emissionen pro Einwohner 20 DIE WIRTSCHAFTLICHE ENTWICKLUNG IM ÜBERBLICK 18,9 CO2 in Tonnen 15 11,2 11 ,2 10 , 9 10 5 Renten West- Ost- West- Ost- deutschland deutschland deutschland deutschland 1990 1995 Z u den eindeutigen Gewinnern der Deutschen Einheit Quelle: Hentrich/Komar/Weisheimer (2000), Umweltschutz in den neuen Bundesländern gehören die Rentnerinnen und Rentner in Ostdeutschland. Die durchschnittlichen Renten* liegen dort sowohl bei den Emissionen pro Einwohner Männern mit ca. 1.069 Euro als auch bei den Frauen mit 702 Euro über denjenigen in den alten Ländern mit ca. 990 Euro für 300 Männer und ca. 487 Euro für Frauen (Stand: 31. Dezember 2009). 250 2 7 2,1 SO2 in Kilogramm Das hängt entscheidend mit den überwiegend geschlossenen Ver- sicherungsbiografien der Rentnerinnen und Rentner in Ost- 200 deutschland zusammen, was vor allem bei den Frauen zu höheren Durchschnittsrenten führt. 1 50 Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass die Renten im Osten 9 9,4 häufig das einzige Einkommen im Alter sind. Ansprüche aus be- 100 trieblicher Altersversorgung, wie sie im Westen sehr verbreitet sind, bestehen bei der heutigen Rentnergeneration im Osten kaum. 50 1 3,9 Dennoch: Wer in der DDR höchstens eine Mini-Rente in Ost-Mark 8,9 zu erwarten gehabt hätte, steht heute ungleich besser da; immer- hin sind die Renten von 1990 bis heute in den Neuen Ländern im West- deutschland Ost- deutschland West- deutschland Ost- deutschland Vergleich zu den alten Ländern um ein Vielfaches gestiegen. 1990 1995 Quelle: Hentrich/Komar/Weisheimer (2000), Umweltschutz in den neuen Bundesländern * Die angeführten Zahlen beziehen sich auf den durchschnittlichen Rentenzahlbetrag, der sich von der Modellrechnung Standardrente unterscheidet. Entwicklung der Altersrente Umwelt O 1 . 000 B b in der Landwirtschaft, in der Industrie oder in den Städten und Gemeinden: Zu den schlimmsten Erb- 826 B lasten der SED gehörte die dramatische 800 B Belastung der Umwelt. 1990 waren nur drei Prozent 697 B der Wasserläufe und ein Prozent der stehenden Gewässer 587 B ökologisch in Ordnung. Sauberes Trinkwasser war keine Selbstver- 600 B ständlichkeit. Milliarden Kubikmeter Industrieabwasser flossen zu 492 B 95 Prozent ungeklärt in die Gewässer. Nur 36 Prozent der Menschen hatten Anschlüsse an Kläranlagen. 400 B Dazu kamen weitere Probleme: die Sanierung der + 18,7 % Braunkohlereviere, die Sanierung umfangreicher, durch den Uran- abbau radioaktiv kontaminierter Flächen sowie der 200 B Rückbau und die Entsorgung der stillgelegten Kernkraftwerke + 67,9 % sowjetischer Bauart. Heute sind auch in Ostdeutschland saubere 0B Luft, saubere Böden, sauberes Trinkwasser und saubere Flüsse West- Ost- West- Ost- selbstverständlich. Hohe Investitionen und gezielter deutschland deutschland deutschland deutschland Technologietransfer haben alle alten „Dreckschleudern“ beseitigt, und die Einführung umweltverträglicher 1992 2008 Produktionsverfahren und der sparsamere Einsatz von Energie Quelle: Deutsche Rentenversicherung haben ihre Wirkung getan. 18 Zeitbild Wissen
Lebenserwartung (in Jahren) 85 80 75 70 Frauen West Frauen Ost Männer West Männer Ost Langlebige Gebrauchsgüter in ostdeutschen Haushalten 65 98,3 % 94,7 % 100 % 2 4 5 6 7 8 3 0 1 4 5 6 7 8 9 3 00 00 00 00 00 00 00 00 00 99 99 99 99 99 99 99 /2 /2 /2 /2 /2 /2 /1 /1 /1 /1 /1 /1 /2 /2 /2 /1 00 02 03 04 05 06 92 93 94 95 96 97 99 01 98 91 80 % 20 20 20 20 20 20 20 19 19 19 19 19 19 19 19 19 71,7 % Quelle: Statistisches Bundesamt 60 % 49,2 % Gesundheit 40 % 35,9 % 20 % 1990 20 % W ie sehr sich die 2008 Quelle: SOEPmonitor gesundheitliche 1984–2008 Situation in den Telefon PKW Waschmaschine/ Waschvollautomat Neuen Ländern seit der Wiedervereinigung ver- bessert hat, wird an der gestie- genen Lebenserwartung sichtbar. Sie ist seit 1990 bei Männern um rund vier, bei Frauen um fast fünf Jahre gestiegen und hat sich damit dem westdeutschen Durchschnitt stark angenähert. d Die ambulante ärztliche Versor- s s t a nd a r gung ist voll gewährleistet; die r e t ig / L e b e n n di e h w e r e ic he ds Hoc sumgüte e r r technische Ausstattung der Arzt- hen hlan e reic Deutsc ürmisch praxen und der Krankenhäuser Kon b e Le m We n s b e s t e n de r s t ss i n n hat sich tiefgreifend verbessert. ehrm i as twa t, da eue at e g e f ü h r d i e N mer er d So h “ Auch die Arzneimittelversorgung In imen Länd i veau. m dazu wohner ische lt entspricht dem Niveau der Neu hnte N ngsboo pro Ein europä iches gi te e w o i e r u k w a n h n l h a l g oris hen n; Ä aus alten Länder. n „P ten, Mot elatio inzwisc arbeite vaten H hlgerä R n i ü . der er sich e hera der pr , Tiefk räten en d t e s Län enwer tattung pielern elleng andsrei dern z s S w Spit ie Aus DVD- Mikro er Ausl en Län d d u f ür CD- un en und tistik d en Ne i t h i n S t a i n d m sc r hen lma n de Spü auc h i Mensc uc he. e Und gen di er zu B a sc hl er stärk imm Zeitbild Wissen 19
DIE INNERE Z Ziel der Politik ist es, bis zum Auslaufen des Solidarpaktes II im Jahr 2019 ein selbsttragendes Wachstum zu erreichen und möglichst EINHEIT gleichwertige Lebensverhältnisse zu schaffen. Ein Hauptproblem bleibt die weiterhin kritische Lage auf dem Ar- beitsmarkt, die dazu führt, dass zu viele Menschen in den Westen abwandern, um dort eine Beschäftigung zu finden. Gleichzeitig ist die Überalterung der Gesellschaft mit all ihren Schwierigkeiten in Mit dem Aufbau demokratischer Strukturen, den Neuen Bundesländern stärker als im Westen Deutschlands. einer unabhängigen Justiz, der Gewährleistung Dazu kommen die Tiefe und die Schnelligkeit des Umbruchs in den der Grundrechte wie etwa Meinungs-, Neuen Ländern: Im Alltagsleben vieler Ostdeutscher bleibt kaum ein Stein auf dem anderen, was auch zu Orientierungsproblemen Rede- und Reisefreiheit in den Neuen Ländern führt. Auch haben viele Menschen den Eindruck, dass ihre Lebens- wurden zentrale Forderungen der friedlichen leistung, die sie unter den schwierigen Bedingungen der DDR erbracht haben, nicht genügend gewürdigt wird. Revolutionäre von 1989 erfüllt. Das führt manchmal zu einer nachträglichen Idealisierung der Doch die Spuren von 40 Jahren SED- DDR, die übersieht, wogegen die Menschen 1989/90 hauptsächlich Herrschaft in allen Bereichen des Lebens sind demonstriert haben: eingeschränkte Freiheiten, Bespitzelung und T politische Unterdrückung. tief; ihre Beseitigung dauert länger Trotz noch zu lösender Probleme können die Menschen in Ost und als ursprünglich erhofft und beschränkt sich West heute stolz auf das gemeinsam Erreichte sein. Großer Respekt gilt dabei vor allem den Menschen in den Neuen Ländern, die mit nicht nur auf Gesetzgebung und viel Tatendrang und Mut die weitaus schwierigeren Herausforde- Verwaltung.Vielmehr bleibt es eine Heraus- rungen einer gewaltigen Veränderung in allen Lebensbereichen gemeistert haben. Gleichzeitig wäre ohne die Solidarität und die forderung für die ganze Gesellschaft, den Weg massiven Hilfen der alten Länder die Modernisierung im Osten zu gleichwertigen Lebensverhältnissen und sicherlich nicht so schnell und erfolgreich gelungen. einem Miteinander, bei dem „Ost“ und „West“ Die gemeinsame Erfahrung der vergangenen 20 Jahre hat die Zusammengehörigkeit zwischen Ost und West verstärkt. Bei keine entscheidende Rolle mehr spielen, Schritt der „Jahrhundertflut“ entlang der Elbe in Sachsen und Sachsen- für Schritt gemeinsam weiterzugehen. Anhalt im Jahr 2002 kommt Unterstützung aus ganz Deutschland: ü r i v f s it ng p o g u d i ni la n ) e r e ch s t r v u t s t ) e ie d e D e ( O s (W 9 % W % 8 5 7 20 Zeitbild Wissen
Menschen aus Bayern helfen genauso mit wie Brandenburger oder Berliner. Mehr als 500 Millionen Euro werden insgesamt gespendet. Wie sehen die Deutschen Auch die Fußball-WM 2006 in Deutschland hat deutlich gezeigt: die friedliche Revolution Die Farben Schwarz-Rot-Gold sind das gemeinsame Symbol aller und die Einheit? E Deutschen. Für die Menschen in Ost und West war die Wiedervereinigung Es ist ein neues Deutschland entstanden, das etwas anderes mit großen Emotionen verbunden. In Umfragen gibt fast jeder ist als nur die Fortsetzung der alten Bundesrepublik in zweite Deutsche an, dass ihm bei allem, was sich damals größeren Grenzen: Schon heute ist die Ostsee das beliebteste zutrug, irgendwann einmal die Tränen gekommen seien. Urlaubsziel der Deutschen. Schon heute kommt weltweit jede Heute wird die Wiedervereinigung von einer großen Mehrheit sechste Solarzelle aus Ostdeutschland. Schon heute spielen bei den der Deutschen als Erfolg gesehen. Auf die Frage „War die Jugendlichen die Begriffe „Ossis“ und „Wessis“ keine Rolle mehr. Wiedervereinigung für Deutschland alles in allem betrachtet Es ist selbstverständlich, dass junge Menschen aus den Neuen eher positiv oder eher negativ?“ gaben in einer Umfrage im Ländern ihre Ausbildung an westdeutschen Einrichtungen absol- Mai 2009 insgesamt 80 Prozent der Befragten (79 Prozent vieren. Aber auch umgekehrt: Immer mehr westdeutsche Jugend- in den alten, 85 Prozent in den Neuen Ländern) die Antwort liche entscheiden sich für ein Studium im Osten. „positiv“. Nur 15 Prozent insgesamt (16 Prozent in den alten, Um die Lebensbedingungen in den Neuen Ländern weiter zu neun Prozent in den Neuen Ländern) antworteten „negativ“. verbessern, müssen vorhandene Unternehmen wachsen und neue Auf die Frage „Haben sich die Hoffnungen/Erwartungen, die Unternehmen in ganz neuen Industrien entstehen. Dies erfordert Sie damals mit der Vereinigung verbunden haben, erfüllt oder Erfindergeist und entsprechende Anstrengungen auf allen Stufen nicht erfüllt?“ gaben 54 Prozent insgesamt (53 Prozent der des Bildungssystems. Investitionen in die Bildung sind daher das Funda- Westdeutschen, 60 Prozent der Ostdeutschen) die Antwort, ment allen technischen, wirtschaftlichen und sozialen Fortschritts. die Erwartungen hätten sich im Großen und Ganzen oder in Sie waren entscheidend dort, wo der Aufbau Ost Erfolg hat, und wichtigen Teilen erfüllt. Und im Jahr 2009 bezeichneten sich sie werden künftig entscheidend sein, wenn es darum geht, die in den Neuen Ländern 65 Prozent als „Gewinner“, 20 Prozent wirtschaftsschwachen Regionen in ganz Deutschland zu stabilisieren als „Verlierer der Einheit“ (Vergleich 2004: 54 zu 30 Prozent). und fortzuentwickeln. Dem entsprechen auch die Zukunftserwartungen. „Sehen Sie Dies hat eine kluge Förderpolitik bei der Vergabe von Finanz- persönlich der Zukunft eher optimistisch oder eher pessi- mitteln zu bedenken, wobei es nicht nur um den Technologiebereich mistisch entgegen?“ beantworteten 64 Prozent insgesamt (65 und die entsprechende Qualifizierung der Menschen gehen kann, Prozent im Westen, 62 Prozent in den östlichen Ländern) mit sondern auch um die weitere Entwicklung kultur- und tourismus- „eher optimistisch“, gegenüber rund einem Drittel, die eher orientierter Regionen. pessimistisch waren. Quelle: 20 Jahre nach dem Mauerfall. Eine Erhebung der TNS Infratest Politikforschung Berlin, Mai 2009. ü r t e n f n f h u s k u s c s m u u t m i Z e t i i e r D O p d e d % 6 4 Zeitbild Wissen 21
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