ERLESENES ALTER(N) LITERATUR UND WORTKUNST FÜR ALLE - DAS KUBIA-MAGAZIN / 18

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ERLESENES ALTER(N) LITERATUR UND WORTKUNST FÜR ALLE - DAS KUBIA-MAGAZIN / 18
DAS KUBIA-MAGAZIN / 18

ERLESENES ALTER(N)
LITERATUR UND WORTKUNST FÜR ALLE
ERLESENES ALTER(N) LITERATUR UND WORTKUNST FÜR ALLE - DAS KUBIA-MAGAZIN / 18
DAS KUBIA-MAGAZIN / 18
INHALT

                                                     26
                                                     Mit vergnüglichem Knall
                                                     Bayreuth feiert ein Lesefest für alle
                                                     Annette Ziegert

                                                     29
                                                     Literatur für die Ohren
                                                     Die Bucheckern aus Gelsenkirchen
                                                     Susanne Lenz
03                                                   32
ENTRÉE                                               Ist einfach!
                                                     Die inklusive Öffnung eines
05                                                   kreativen Schreibworkshops
FOYER                                                Lothar Kittstein
Don’t look back in Edinburgh
Das Fachtreffen »Connect+« feiert die Kreativität    35
im Alter                                             Kein Buch mit sieben Siegeln
Monika Berntgen, Henni Pitak-Raftery, Jessica Höhn   Das Literaturprojekt »LiES!« in Einfacher Sprache
und Janine Hüsch                                     Traudl Bünger

07                                                   39
Erhellend: Kreativ Altern in Schottland              ATELIER
Ein Reiseblog                                        Praxistipps // Lesetipps zum Titelthema //
Miriam Haller, Sybille Kastner und Imke Nagel        Veranstaltungen // Neuerscheinungen //
                                                     Wettbewerbe und Förderprogramme
11
Neues von kubia                                      43
Veranstaltungen // Rückblicke //                     Lieblingsstück: Zoomer gegen Boomer
Förderfonds Kultur & Alter // Weiterbildung //
Veröffentlichung // Kulturkompetenz+                 44
                                                     GALERIE
15                                                   Lesefutter per Medienboten
SALON                                                Ein Porträt der Hamburger Kulturgeragogin
Erlesenes Alter(n)                                   Christine R ißmann
Literatur und Wortkunst in Geschichte und            Kathrin Volkmer
Gegenwart des geragogischen Diskurses
Miriam Haller                                        47
                                                     Späte Blüte
17                                                   Ein Gespräch mit der Theaterautorin Sylvia Dow
Lebensbilder
Zu den Fotografien der Selfiegrafen                  50
Iris Wolf und Jörg Meier in diesem Heft              LOUNGE
                                                     Lesetipp: Die Tochter des Vercingetorix
21                                                   Webtipp: Geschichten-App »A Story Before Bed«
Die Grenzen der Entwicklung?
Wie der Bildungsroman vom Altern erzählt             52
Heike Hartung                                        IMPRESSUM

kubia – Kompetenzzentrum für Kulturelle Bildung im A lter und Inklusion: w w w.ibk-kubia.de
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E N T R É E // 03

ENTRÉE

Liebe Leserinnen und Leser,

das Leben will gelebt werden, aber eben auch gelesen und geschrieben. »Bücher sind – neben
Pasta, Tomaten und Olivenöl – meine wichtigsten Lebensmittel«, bekannte der Verleger und
Schriftsteller Michael Krüger. Dass dies sogar im buchstäblichen Sinne gilt, bestätigte 2016 eine
medizinische Studie der Yale University: Die Lebenserwartung der Personen, die wöchentlich bis
zu dreieinhalb Stunden lesen, liegt 17 Prozent höher als die Lebenserwartung jener, die weniger
lesen. Gegenwärtig lehren uns die Erfahrungen mit der Pandemie, wie wertvoll das Lesen in sol­
chen Krisenzeiten ist. Also, nichts wie ran an die Lektüre unseres Hefts zum »erlesenen« Alter(n)!

Die Kultur- und Bildungswissenschaftlerin Miriam Haller geht in ihrem Beitrag der Frage nach
dem Erkenntnisgewinn literarischer Texte über das Alter(n) für die Kulturgeragogik nach. Sie
erinnert an den Begründer der Geragogik in Deutschland, Otto Friedrich Bollnow, der in den
1960er Jahren seine Theorie Kultureller Bildung im Alter aus Literatur und Wortkunst ableitete.
Wie heute im Bildungsroman das Altern erzählt wird, untersucht die Literaturwissenschaftlerin
Heike Hartung: Sie entdeckt neben Erzählungen von Reifung und Entwicklung im Alter auch
Gegenerzählungen, die den humanistischen Bildungsbegriff herausfordern.

Um das Lesen zu feiern, wurde 2018 »Bayreuth blättert. Das Lesefest für alle!« erfunden: Erfah­
ren Sie im Gespräch mit dem Leitungsteam, Katharina Fink und Klaus Wührl-Struller, was den
besonderen Charme dieses inklusiven Festivals ausmacht. In Gelsenkirchen bietet das Vorlese-
Ensemble Die Bucheckern des Consol Theaters schon seit 13 Jahren Erlesenes für Klein und
Groß. »Ist einfach«, meint Lothar Kittstein über seine Erfahrung als Leiter von inklusiven
Schreibwerkstätten. Ihn begeistern die literarisch anspruchsvollen Texte, die dort entstehen.
Wie Einfache Sprache auch professionelle Schriftstellerinnen und Schriftsteller zum literarisch­
ästhetischen Experiment anregt, zeigt eindrücklich der Sammelband »LiES!«.

Im Foyer berichten wir von zwei Austauschprogrammen mit Schottland: kubia-Mitarbeite­
rinnen und weitere Kulturgeragoginnen aus Nordrhein-Westfalen erhielten wahrlich erhellende
Einblicke ins Kreative Alter(n) auf den britischen Inseln.

Auch in der Galerie treffen Sie auf eine Schottin: Erst mit 70 Jahren begann Sylvia Dow zu
schreiben und wurde zu einer bekannten Theaterautorin, deren Stücke inzwischen international
gespielt werden. Wie die Hamburger Bücherhallen gemeinsam mit Freiwilligen ältere Menschen
zu Hause analog und digital mit Lesefutter versorgen, zeigt das Porträt der Kulturgeragogin
Christine Rißmann und ihrer Medienboten.

Für unsere Fotostrecke danken wir den Selfiegrafen Iris Wolf und Jörg Meier: Mit alltäglichen
Dingen rufen sie große Erinnerungen wach und bannen Lebensgeschichten ins Bild.

Große Leselust wünscht Ihnen
das kubia-Team
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F O Y E R // 05

FOYER

DON’T LOOK BACK IN EDINBURGH
DA S FACHTREFFEN »CONNECT+« FEIERT DIE KRE ATIVITÄT IM ALTER
Von Monika Berntgen, Henni Pitak-Raftery, Jessica Höhn und Janine Hüsch

Unter dem Motto »Don’t look back« veranstaltete Amateo, das Europäische Netzwerk für Kulturteilhabe,
gemeinsam mit Voluntary Arts und Luminate vom 1. bis 3. Oktober 2019 das Fachtreffen »Connect+«
im schottischen Edinburgh. Das vielseitige Programm gab den Expertinnen und Experten aus zahlreichen
europäischen Ländern die Möglichkeit, sich intensiv zum Thema Kreativität im Alter auszutauschen. Zu
einem Praxisworkshop waren auch die kubia-Mitarbeiterin Janine Hüsch – als Referentin – und zwei
Seniorinnen des Leverkusener Theaterensembles Silberdisteln mit Leiterin Jessica Höhn eingeladen.

»So eine Gelegenheit bekommen wir in unserem          interessiert sind, etwas entgegenzusetzen: Ältere
Leben nie wieder!« Mit großer Begeisterung hat­       Menschen haben auch eine Zukunft!
ten die Spielerinnen Monika Berntgen und Henni           Nicht zurückzuschauen, sondern den Blick in
Pitak-Raftery des Seniorentheaterensembles Sil­       die Zukunft zu richten und zu demonstrieren,
berdisteln die Einladung nach Edinburgh mit           dass das Interesse an Neuem, Aktuellem und an
ihrer Regisseurin Jessica Höhn angenommen.            zeitgenössischen künstlerischen Formaten im fort­
Anfängliche Bedenken, ob die eigene Konstitu­         geschrittenen Alter nicht schwindet – darum ging
tion oder die Englischkenntnisse reichen würden,      es im Workshop, im Seminar, in den Diskussionen
erwiesen sich schnell als unbegründet. Die Work­      und bei den Aufführungen.
shopleitungen Janice Parker und Luke Pell waren
auf die Bedürfnisse Älterer aus verschiedenen Län­                   BEST-PRACTICE
dern sehr gut vorbereitet. »Sie waren so aufmerk­
sam und einfühlsam mit uns«, berichtet Henni          Das Seminar bot Fachleuten und Kulturschaffen­
Pitak-Raftery. »Sie haben uns innerhalb kürzester     den Einblicke in Best-Practice-Beispiele kreati­
Zeit zu einer Gruppe werden lassen, obwohl wir        ver partizipativer Arbeit mit älteren Menschen.
alle ganz unterschiedliche Menschen waren«, er­       Janine Hüsch stellte in diesem Kontext die Arbeit
gänzt Monika Berntgen.                                von kubia vor und diskutierte mit den interna­
                                                      tionalen Teilnehmerinnen und Teilnehmern die
             ALTER MIT ZUKUNFT                        Herausforderungen und Gelingensbedingungen
                                                      eines inklusiven kulturgeragogischen Ansatzes.
Gemeinsam mit Teilnehmenden aus Belgien,              Die Weiterbildung Kulturgeragogik sowie allge­
Österreich, Slowenien, Tschechien und Deutsch­        mein der Wirkungsgrad von kubia als Kompe­
land setzten sie sich in tänzerischer und performa­   tenzzentrum für Kulturelle Bildung im Alter und
tiver Weise mit Zukunftsperspektiven auseinander,     Inklusion stießen bei den Zuhörerinnen und Zu­
um der verbreiteten Vorstellung, dass Menschen        hörern auf großes Interesse.
mit zunehmendem Alter nur an der Vergangenheit
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06 // F O Y E R

                                                                    unterwegs, aber uns verband die Begeisterung für
                                                                    die künstlerische Arbeit mit Älteren.« Sie konnte
                                                                    Kontakte für Kooperationen knüpfen, sodass schon
                                                                    Pläne für gemeinsame Projekte entstanden sind.
                                                                    Ein erstes Treffen dazu hat bereits in Prag stattge­
                                                                    funden.

                                                                                       EPIC AWARDS

                                                                    Einen krönenden Abschluss des Aufenthalts
                                                                    in Edinburgh bot die Preisverleihung der Epic
                                                                    Awards, die jährlich an herausragende kreative,
                                                                    partizipative Projekte aus Großbritannien und der
                                                                    Republik Irland vergeben werden. In diesem Rah­
                                                                    men wurde auch der beeindruckende Film über
                                                                    den Workshop, an dem die Silberdistel-Spiele­
                                                                    rinnen teilgenommen hatten, gezeigt. »Dort sieht
                                                                    man sehr schön, wie respektvoll und wertschät­
                                                                    zend unser Miteinander war«, unterstreicht Henni
                                                                    Pitak-Raftery.
           Der »Forget Me Notes«-Chor bei der Eröffnung von
           Connect+ in Edinburgh
                                                                                DIE SPRACHE DER KUNST

              Weiteren interessanten Input und wertvolle Im
                                                                    Zurück in Deutschland wurden die Heimkehre-
           pulse lieferten die Niederländerin Ingrid Smit mit
                                                                    rinnen schon von den anderen Spielerinnen der
           ihrem Vortrag über das Projekt »Long Live Arts«
                                                                    Silberdisteln erwartet. »Ich habe die Angst ver
           sowie Anne Gallacher, die die spannende Arbeit
                                                                    loren, dass man mich nicht versteht. Manchmal
           von Luminate, der schottischen Organisation für
                                                                    braucht es einfach keine Worte, um zu wissen, was
           Kreativität im Alter, erläuterte.
                                                                    der andere sagen will. Vor allem nicht, wenn man
              Moderiert wurde das Seminar von Sylvia Dow,
                                                                    zusammen Theater spielt«, beschreiben beide die
           die im Alter von 70 Jahren ihre Karriere als Thea
                                                                    einmalige Erfahrung. »Egal wie alt man ist, man
           terautorin begann (s. Interview S. 47ff.). Sie stellte
                                                                    kann immer noch neue Kontakte schließen«, so
           heraus, dass die Art und Weise, wie Ältere wahrge
                                                                    Monika Berntgen. »Und auf künstlerischer Ebene
           nommen werden, oft von Klischees bestimmt wird
                                                                    ist es sowieso leichter, Gemeinsamkeiten zu fin
           und hielt fest: »We are only young people who got
                                                                    den«, ergänzt ihre Mitspielerin. Monika Berntgen
           older!«
                                                                    und Henni Pitak-Raftery sind sich einig: »Das
                                                                    würden wir noch mal machen!« jh
                         NEUE SEILSCHAFTEN
                                                                    Der Film zum Workshop ist hier zu sehen:
           Regisseurin Jessica Höhn nahm als Besucherin am          www.ibk-kubia.de/connect
           Seminar teil und schwärmt von dem Austausch mit
                                                                    WEITERE INFORM ATIONEN:
           den internationalen Kolleginnen und Kollegen:            www.amateo.org
           »Alle waren in sehr unterschiedlichen Kontexten
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F O Y E R // 07

ERHELLEND: KREATIV ALTERN
IN SCHOTTL AND
EIN REISEBLOG
Von Miriam Haller, Sybille Kastner und Imke Nagel

Im Rahmen eines Austauschprogramms des British Council und Creative Scotland sind die kubia-
Mitarbeiterinnen Imke Nagel und Miriam Haller gemeinsam mit Sybille Kastner vom Lehmbruck
Museum Duisburg nach Schottland geflogen, um dort Beispiele guter Praxis kennenzulernen und in
den fachlichen Austausch zu kommen. In ihrem Reiseblog schreiben sie über die Eindrücke ihrer Reise.

»I hope it’s not bumpy!«, schrieb uns zwei Tage vor   lerischen und kreativen Aktivitäten teilnehmen
unserem Abflug nach Edinburgh Anne Gallacher.         können, unabhängig von ihrem Hintergrund, ih­
Da kündigte sich Sturmtief Sabine bereits an. Aber    rem Wohnort und ihren Lebensumständen. Ziel
jetzt sitzen wir im Flugzeug. Der Flieger hebt mit    ist vor allem, erklärt Anne Gallacher, die Leiterin
etwas Verspätung ab: Wir sind »über den Wol­          von Luminate, strahlend, Luminate mit der Reali­
ken …« Als wir in Edinburgh landen, strahlt die       sierung des Leitbilds überflüssig zu machen: Dann,
Sonne. Eine halbe Stunde später schneit es.           wenn alle älteren Menschen, die das möchten, in
   Warum um Himmels Willen trotzen wir den            Schottland Zugang zu Kunst und Kultur haben.
Naturgewalten, um nach Edinburgh zu fliegen?
Luminate ist die A ntwort. Luminate bedeutet
»Erhellen, Ausleuchten, Erk lären« und ist der
Name von Schottlands Organisation für krea­
                                                                                                                 >
tives A ltern, die 2012 ins Leben gerufen wurde.
                                                                   >

Seitdem wirft Luminate den Scheinwerfer auf
Projekte der Kulturellen Bildung im A lter in ganz
Schottland, organisierte sieben Mal das gleichna­
mige Festival, bildet Netzwerke, berät, unterstützt
und organisiert Austausch und Weiterbildungen.                  Zu Besuch in NRW im November 2019:
                                                                Die schottische Delegation im Kölner Mediapark
Die Arbeit von Luminate hat viele Parallelen zur
Arbeit von kubia. Es bestehen schon lange Zeit            Anne holt uns im Hotel ab: Ihr »warm welcome«
Verbindungen zwischen beiden Organisationen.          lässt uns den Schneesturm vergessen. Unser erster
Durch den Austausch, der nicht zuletzt den zu         Besuch gilt Creative Scotland, der NGO, deren
befürchtenden Brexit-Konsequenzen vorbeugen           Zuständigkeit die Verteilung von Fördermitteln
soll, konnten diese Kontakte nun vertieft werden.     für die Künste in Schottland ist. Dort werden wir
                                                      von Milica Milosevic und Helen Trew empfan­
        LEITSTERN: ZUGÄNGLICHKEIT                     gen, die uns die Rahmenbedingungen, kulturpo­
                                                      litischen Grundhaltungen und Zielsetzungen für
Das Leitbild von Luminate ist, dass alle älteren      die kulturelle Altersbildung und die Vielfalt der
Menschen in Schottland an hochwertigen künst­         Kulturangebote für Ältere in Schottland erläutern.
ERLESENES ALTER(N) LITERATUR UND WORTKUNST FÜR ALLE - DAS KUBIA-MAGAZIN / 18
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           Mit von der Partie ist auch Simon Ritchie vom       weben gemeinsam mit Luminate an einem weite­
           Wohlfahrtsverband Age Scotland.                     ren Netz: Inspiriert vom australischen Pionierpro­
              Als wichtige Themen benennen er und seine        jekt von LGBTI+ »The Coming Back Out Ball«
           Kolleginnen von Creative Scotland Einsamkeit        organisieren sie Socia l-Dance-Clubs für ältere
           und Armut im Alter. Alter verstehen sie als eines   Lesben, Schwule, Bisexuelle, Nicht-Binäre, Trans­
           von acht Inklusions- und Diversitätsmerkmalen,      und Intersexuelle. Ziel ist es, geschützte Räume
           wobei Intersektionalität immer mitbedacht wird.     zu eröffnen, in denen die Ä lteren in der LGBTI-
           Sie wollen keineswegs mehr von einer einzigen       Community miteinander tanzen, sich aber auch
           großen Zielgruppe »der Alten« ausgehen – bei dem    vernetzen und austauschen können.
           Gedanken schüttelt es die drei geradezu. In ihren      Eine andere Form der Vernetzung entfacht das
           Ausführungen wird klar: Die Idee der bestmögli­     Projekt »The Flames« für Menschen ab 50 Jahren,
           chen Zugänglichkeit kultureller Angebote für Äl­    die für Performancekunst brennen. Sie werden
           tere ist der Leitstern, der den Weg weist.          vom Künstler-Team Tricky Hats geschult und zu
                                                               »Flammen« ausgebildet, die in ihren Performances
                              NETZE WEBEN                      die Abenteuer des Alterns erkunden.
                                                                  In der National Portrait Gallery treffen wir auf
           Abends treffen wir Stephen Deazley, den Chorlei­    Janet Smyth und Meg Faragher von der Abteilung
           ter des Love Music Chors und Kirsty Walker vom      Learning & Engagement der National Galleries of
           demenzfreundlichen Chornetzwerk Schottland.         Scotland. Auch sie berichten von ihrer Netzwerk­
                                                               arbeit. Durch die Kooperation mit Pflegeheimen,
                                                               Selbsthilfegruppen und dem Pflege- und Gesund­
                                                               heitssektor können sie »museale« Hemmschwellen
                                                               für ältere Menschen mit Behinderung, Menschen
   >                                            >              mit Demenz und ihre Angehörigen abbauen. Dabei
                                                               helfen ihnen auch – hört, hört! – die Arztpraxen.

                                                                             KUNST AUF REZEPT

Miriam Haller, Sybille Kastner und Anne Gallacher mit          »Kunst auf Rezept« ist in Schottland kein Werbe­
Love Music Chorleiter Stephen Deazley
                                                               slogan. In Großbritannien gibt es seit 2019 soge­
                                                               nannte Social Prescriptions gegen Einsamkeit. Ein
           Das landesweite Netzwerk will sicherstellen, dass
                                                               solches »soziales Rezept« aus der Arztpraxis kann
           Menschen mit Demenz und ihre Begleiterinnen
                                                               Gymnastikstunden im Gemeindezentrum, aber
           und Begleiter die Möglichkeit haben, in einem
                                                               eben auch künstlerische Aktivitäten und Muse-
           Chor in ihrer Nähe zu singen. Stephen und Kirsty
                                                               umsbesuche »verordnen«.
           berichten uns über ihre Schulungsarbeit, die zur
           Selbstevaluation der Chöre anregen soll. In ihren
           Workshops steht neben der Methodenreflexion die
           Diskussion über Ethos, Philosophie und Haltung
           einer inklusiven Chorarbeit im Zentrum.                           >                                              >

              Das schottische Nationaltheater, die australi­
           sche Theatergruppe A ll The Queens Men, das Eden
           Court Theater und der Glasgow City Council

                                                                          Kaffeepause in den National Galleries of Scotland mit
                                                                          Meg Faragher und Janet Smyth
ERLESENES ALTER(N) LITERATUR UND WORTKUNST FÜR ALLE - DAS KUBIA-MAGAZIN / 18
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   Freudig ergreifen wir nachmittags die Gelegen­     Pflegeheim. Gill White und James Winnett wur­
heit, in der Dancebase an der Probe der Tanzgrup­     den im Rahmen einer Luminate-Ausschreibung
pe für Ältere PR IME mit Jack Webb teilzunehmen.      für das dreijährige Programm ausgewählt. Die bei­
In den Übungen geht es darum, sich auf andere zu      den haben einen maßgeschneiderten Ansatz ent­
stützen. Wie verlässlich hält mich der oder die an­   wickelt, um Bewohnerinnen und Bewohnern des
dere? Und wie können wir uns wieder voneinander       Pflegeheims Kunst als Möglichkeit zur Erkundung
lösen? Berühren und Berührt-Werden. Im Grup­          ihrer Lebenswelt und zum spielerischen Experi­
pengespräch danach scheint Einsamkeit tatsächlich     mentieren nahezubringen.
kein Tabuthema zu sein. Ob das bereits ein Ergeb­
nis der engagierten Politik gegen Einsamkeit ist?

          BARRIEREFREI ZUR KUNST
                                                                    >                                              >

Weiter geht es zum Festival Theatre, wo uns
Dawn Ir vine, die Partizipations-Koordinatorin
der Capital Theatres, er wartet. Sie zeigt uns, wie
Barrierefreiheit und Demenzfreundlichkeit auch
in altehr würdigen Theaterhallen realisiert werden               kubia-Bildungsreferentin Imke Nagel lauscht der
                                                                 Baumharfe, gespielt von James Winett.
kann. Mit Fokusgruppen ermittelt Dawn den Ver­
änderungsbedarf. Den Expertinnen und Experten
in eigener Sache verdanken wir es auch, dass wir      Zwei Tage in der Woche arbeiten Gill und James
für das Mittagessen im Theater keine ellenlange       mit den Bewohnerinnen und Bewohnern künstle­
Speisekarte lesen müssen, sondern einfach auf ein     risch zusammen und lassen sich dabei vor allem von
Gericht in der Glasvitrine an der Theke zeigen        der Natur inspirieren. Im Sommer 2020 wird der
können.                                               entstandene »Art Adventures Arts Trail« eröffnet,
   Auch Audrey Blake und Katie Poulter, beide         eine permanente Ausstellung mit Skulpturen, Ge­
vom Scottish Opera Education Department für           dichten und Kunstobjekten im anliegenden Wald,
Menschen mit Demenz, schildern lebhaft, wie sie       die für und von den Erskine-Bewohnerinnen und
den Opernbesuch in Glasgow, Edinburgh und             -Bewohnern geschaffen wurden. Wir dürfen den
Aberdeen für Menschen mit Demenz so leicht wie        Trail schon mal begehen und bestaunen.
möglich gestalten. Sie rahmen die Opernauffüh­
rungen mit Projekten wie »Memory Spinners«, die           VIELFÄLTIGE GESCHMACKSNUANCEN
Menschen mit Demenz sowie ihre Angehörigen
und Freunde in wöchentlichen Workshops ermu­          Beim Abendessen spinnen wir unsere Ideen mit
tigen, gemeinsam Lieder zu kreieren und bei rau­      Stephen Deazley vom Love Music Chor und
schenden Tee-Partys vorzutragen.                      Anne sowie ihrer Kollegin Kirsty Walker weiter.
                                                      Stephen plant einen Tanzchor, inspiriert durch
            ARTISTS IN RESIDENCE                      den Tanzchor Wuppertal, den er beim Besuch der
                                                      schottischen Delegation in Nordrhein-Westfalen
Können die Älteren nicht zur Kunst kommen, dann       im November kennengelernt hatte. Sybille Kastner
kommt die Kunst zu ihnen. Durch die verschnei­        vom Lehmbruck Museum in Duisburg überlegt,
te Landschaft fahren wir mit dem Zug Richtung         ob ihre Einrichtung mit der National Gallery ein
Glasgow zu den Artists in Residence im Erskine-       Projekt auf die Beine stellen kann.
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                                                                       Der Whisky, den wir uns zum Abschluss gön­
                                                                    nen, hat ebenso viele Geschmacksnuancen wie un­
                                                                    sere Reise: Das Erlebnis beginnt mit einer leichten
    >                                             >                 Note von Wald und Holz – wir sind auf dem Art
                                                                    Adventures Arts Trail. Dann öffnen sich Marzi­
                                                                    pan- und Vanille-Aromen – Memory Spinners und
                                                                    ein Regenbogen-Fest für Gaumen und Nase. Im
                                                                    Abgang wird es rauchig: Die Flames waren hier.
Die Reise hat Freundschaften mit Schottland gefestigt,              Wir sind erschöpft und gleichzeitig erfüllt von Ein­
so wie mit Luminate-Leiterin Anne Gallacher, und neu                drücken und erhellenden Begegnungen, lassen die
gestiftet.
                                                                    Tage auf der Zunge zergehen.
              Die Gedanken fliegen hoch, aber mit dem köst­
                                                                       Wir haben Freundschaften geschlossen, die
           lichen schottischen Haggis, dem gefüllten Schafs­
                                                                    dem Brexit trotzen werden. »Mission possible.« mh
           magen als Vorspeise, bleiben wir dennoch gut
           geerdet. Der Geschmack erinnert uns an Kölsche           Der ausführliche Reiseblog findet sich unter
           Flönz. Die Whisky-Soße dazu ist himmlisch – das          w w w.ibk-kubia.de/luminate
           probieren wir, zu Hause nachzukochen – und wie
                                                                    WEITERE INFORMATIONEN:
           wär’s wohl, den Haggis mal wie Himmel und Ääd            w w w.luminatescotland.org
           mit Apfelmus zu kosten?

                                                               1
                                                      The Mower
                                            When I was young and miserable /
                                                 a misfit and a rebel, /
                                             almost never out of trouble, /
                                              desperate to escape school, /
                                                    time dawdled. /
                                                  But now I'm older /
                                        and happier and want it to go slower, /
                                           time's an out-of-control mower /
                                            careering through the borders /
                                             decapitating all the flowers. //
                                                         VICKI FEAVER (2015)

                                                               1
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NEUES VON KUBIA

VER ANSTALTUNGEN
ALL IN – KOPRODUKTION UND KOOPERATION IN DEN                TEILHABE STATT AUSGRENZUNG: DIVERSITÄT UND
INKLUSIVEN DARSTELLENDEN KÜNSTEN                            INKLUSION IN DER KULTURELLEN ALTERSBILDUNG
Internationales Symposium                                   5. Fachtag Kunst- und Kulturgeragogik
20. bis 22. Oktober 2020 // Alte Feuerwache // Köln         26. November 2020 // 9.30 bis 17.00 Uhr //
Von Methoden der Koproduktion im inklusiven Tanz-           A kademie Franz-Hitze-Haus Münster
und Theatertraining über die Zusammenarbeit multi­          Wie fördert die Kunst- und Kulturgeragogik kulturelle
professioneller Teams an barrierefreien Aufführungen        Teilhabe für ältere Menschen, die aufgrund ihrer Her­
(aesthetics of access) bis hin zur Bedeutung von lokalen    kunft, geringer Bildung oder Behinderung Diskriminie­
und internationalen Kooperationen: ALL IN widmet            rung erleben? Wie bringt sie Menschen mit gegenseiti­
sich gelungener internationaler Praxis der inklusiven       gen Vorbehalten miteinander ins Gespräch und wirkt so
Darstellenden Künste.                                       spaltenden Tendenzen in unserer Gesellschaft entgegen?
    Das Symposium, das bereits zum dritten Mal von          Und wie kann kulturelle Altersbildung Zugänge für die
kubia und Un-Label – Performing Arts Company,               wachsende Gruppe von alten Menschen schaffen, die
Köln, in Kooperation mit Sommerblut Kulturfestival          von ökonomischer Armut betroffen sind? Mit welchen
e. V. veranstaltet wird, wurde im Rahmen der Schutz­        partizipativen Methoden arbeitet eine diversitätssensible
maßnahmen gegen das Coronavirus in den Oktober              Kunst- und Kulturgeragogik?
verschoben. Es widmet sich in diesem Jahr den Aspek­            Der Fachtag gibt Impulse aus der Wissenschaft, stellt
ten Koproduktion und Kooperation. In Aufführungen,          Ansätze aus der Praxis vor und bietet Raum, diese zu
Workshops, Vorträgen, Gesprächsrunden und Slow              diskutieren.
Datings geben rund 20 Kulturschaffende der performa­            Neben Impulsen zu Eigensinn und Partizipation im
tiven Künste aus ganz Deutschland und Europa Ein­           Alter (Prof. Dr. Mirko Sporket, FH Münster) und den
blick in ihre Arbeit. Dabei sind u. a. Nickie Wildin, die   Herausforderungen von Altersarmut für die Kulturge­
künstlerische Leiterin der Londoner Theaterkompanie         ragogik (Dr. Esther Gajek, Uni Regensburg) wird der
Graeae, die Regisseurin Amy Leach (Playhouse Theatre,       Tag zahlreiche Einblicke in die Praxis einer partizipati­
Leeds) des britischen Theaterverbunds Ramps on the          ven, inklusiven und diversitätssensiblen kulturellen Al­
Moon sowie die Mitarbeiterinnen des Berliner Koope­         tersbildung geben: Die Teilnehmenden können erleben,
rationsprojekts »Making a Difference« zur Förderung         wie Ältere selbst das Heft in die Hand nehmen und ge­
von Inklusion im Tanz, Anne Rieger und Noa Winter.          meinsam Kunst erkunden, mit kreativen Beiträgen eine
Gerahmt wird das Symposium von Aufführungen der             Offene Bühne erobern oder in der Natur aus vielen klei­
Un-Label – Performing Arts Company.                         nen gehäkelten und gestrickten Einzelteilen ein Gesamt­
ANMELDUNG UND WEITERE INFORMATIONEN:                        kunstwerk schaffen. Sie begeben sich auf Expedition zur
www.all-in-2020.de                                          Inklusion mit älteren Schauspielerinnen und Schauspie­
                                                            lern mit Behinderung und Profis des Schauspiels Köln,
                                                            lauschen Wald- und Wiesenkonzerten und stöbern in
                                                            den Migrationsgeschichten der Frankfurter Bibliothek
                                                            der Generationen.
                                                                Eingeladen sind Kunst- und Kulturschaffende, In­
                                                            teressenten und Absolventinnen der Zertifikatskurse
                                                            Kunst- und Kulturgeragogik und Musikgeragogik sowie
                                                            Fachkräfte der Sozialen Arbeit, Altenhilfe und Pflege.
                                                            WEITERE INFORMATIONEN:
                                                            www.ibk-kubia.de/fachtagung
12 // F O Y E R

           RÜCKBLICKE                                                  FÖRDERFONDS KULTUR & ALTER
           TREFFEN: THEATER UND INKLUSION                              14 PROJEKTFÖRDERUNGEN IN 2020
           Barrierefreiheit in der Darstellenden Kunst                 Mit dem Förderfonds Kultur & Alter unterstützt das
           Im Juni 2019 hat Michèle Taylor, Director for Change        Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes
           des britischen Theaterverbunds Ramps on the Moon, am        Nordrhein-Westfalen auch 2020 Projekte, die zeitgemä­
           Theater Oberhausen vorgestellt, wie sich sechs britische    ße und innovative Formen der Kulturarbeit von und mit
           Theater gemeinsam auf den Weg zu Inklusion vor, auf         älteren Menschen sowie im Generationendialog entwi­
           und hinter der Bühne gemacht haben. In einem Work­          ckeln. Der Förderschwerpunkt 2020 lautet »Kulturteil­
           shop mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern nordrhein­       habe statt Ausgrenzung«. Von den 94 für das Jahr 2020
           westfälischer Stadttheater hat Taylor konkrete Impulse      eingereichten Projekten haben 14 Vorhaben eine Förde­
           für deren Arbeitszusammenhänge gegeben. Motiviert           rung erhalten:
           durch diesen Workshop entstand bei den teilnehmen­          SHE DANCE S (SIE TANZ T)
           den Theaterschaffenden der Wunsch eines Folgetreffens,      Tanzperformance im öffentlichen Raum für Frauen
           das im November 2019 in einer Kooperation von kubia         ab 60 mit der Choreografin Anna Anderegg //
           und dem Düsseldorfer Schauspielhaus stattfand und am        KulturTeam, Detmold
           9. März 2020 mit einem Treffen am FFT Düsseldorf
                                                                       K L A NGK UN STL ABOR
           fortgesetzt wurde. Ein weiteres Treffen mit Mitarbeiten­
                                                                       Inklusive Vernissagen sowie Schulungstage im Rahmen
           den von Bespieltheatern und Gastspielhäusern in Koope­
                                                                       des Klangkunstlabors für Menschen mit Demenz //
           ration mit dem Kultursekretariat NRW Gütersloh findet
                                                                       EarPort mit dem Regionalbüro Alter, Pflege und
           am 5. Oktober 2020 am Theater Gütersloh statt. Ziel
                                                                       Demenz Westliches Ruhrgebiet, Duisburg
           des Austauschs ist, gemeinsam Verbundmaßnahmen für
           Inklusion an Theatern in Nordrhein-Westfalen zu pla­        TRILOGIE DER SCHÖNEN FERIENZEIT NA H CA RLO GOLDONI

           nen. Interessegeleitet arbeiten die Teilnehmenden an den    Partizipatives Theaterprojekt zu Massentourismus und
           Aspekten Barrierefreiheit von Bühnenproduktionen, in­       Reisen // Seniorentheater SeTA e. V., Düsseldorf
           klusiver Ensemblearbeit und Theaterpädagogik sowie an       RITÜEL – RITUAL – RITZHUAL
           technischer, sprachlicher und baulicher Barrierefreiheit.   Künstlerisches Begegnungsprojekt zur Vielfalt des
                                                                       Miteinanders // forum kunstverein e. V. und Consol
           MODELLPROJEK T KULTUR AMT KÖLN                              Theater, Gelsenkirchen
           Neuakzentuierung und Erweiterung                            UN TER W EG S – L EBEN, REISEN UND DEMENZ
           von Förderinstrumenten                                      Theaterprojekt zu Herausforderungen für Reisende mit
           Seit 2019 berät kubia den Stelleninhaber des neu ge­        Demenz // Freudige Füße – Ensemble für Kunst und
           schaffenen Referats »Kultur als Akteur der Stadtge­         Demenschen, Havixbeck
           sellschaft – Kulturelle Teilhabe« im Kulturamt Köln,        KIMA – KULTURPROGR A MM FÜR MENSCHEN IM ALTER
           Benjamin Thele, Förderinstrumente aus der Perspektive       Zeitgemäße Formen der Altenkulturarbeit in der Region //
           von Inklusion bzw. Menschen mit Behinderung und             Stadt Hemer
           (altersbedingter) Beeinträchtigung neu auszurichten.        WENN AUS BILDERN EINE GE SCHICHTE WIRD –
           Im September 2019 hat das Kulturamt hierzu ein mehr­        TRICK FILMPROJEK T
           stufiges Bürgerbeteiligungsverfahren gestartet, zu dem      Intergenerationelles Trickfilmprojekt mit Erzählerin
           ein Workshop zur Perspektive »persönliche Beeinträch­       Sabine Meyer und Trickfilmerin Bettina Selle //
           tigung/Behinderung« mit Kölner Kulturschaffenden            Familienbildungsstätte Ibbenbüren
           sowie Vertreterinnen und Vertretern von Interessensver­
                                                                       DA S A LTER(N) IN (MIT) ( VON?) DER KUNST
           bänden gehörte, der von kubia-Mitarbeiterin A nnette
                                                                       Symposium über das Alter(n) von Kreativschaffenden
           Ziegert geleitet wurde. Die Ergebnisse des Workshops
                                                                       und dessen Auswirkungen //
           sind in die Neukonzeption der Fördermaßnahmen des
                                                                       Angie Hiesl Produktion, Köln
           Kulturamts eingeflossen, die in einem zweiten Schritt
                                                                       E X PEDITION INK LUSION
           der Kölner Öffentlichkeit vorgestellt werden.
                                                                       Workshop und Performance zur Förderung inklusiver
                                                                       künstlerischer Koproduktionen // Katharina Weishaupt
                                                                       mit dem Schauspiel Köln
                                                                       DAMENGEDECK 2.0 – EIN RUNDGA NG IN DIE ZUKUNF T
                                                                       Intergenerationelles und performatives Forschungslabor
                                                                       zur gesellschaftlichen Teilhabe Älterer //
                                                                       Sommerblut Kulturfestival e. V., Köln
F O Y E R // 13

ALLEINSAM
                                                            WEITERBILDUNG
Interdisziplinäres Kunstprojekt zu Einsamkeit und
Alleinsein // Werkhaus e. V., Krefeld                       ZERTIFIK ATSKURS KULTURGERAGOGIK
FRÜHER – DORFPL ATZKULTUR AUF DEM L ANDE                    Start des 9. Kurses verschoben
Erzählcafés zur Förderung dörflicher Erinnerungs­           September 2021 // FH Münster
kultur // Akademie Erzählkultur in der Lippe                Der Start des Zertifikatskurses »Kulturgeragogik« an
Bildung eG, Lemgo                                           der FH Münster musste in Folge der Corona-Pandemie
WALD UND WIESEN KL ÄNGE                                     verschoben werden. Kurs 9 beginnt nun im September
Mobile Mitsingkonzerte für Ältere im ländlichen Raum //     2021. Im Zentrum der einjährigen berufsbegleitenden
Wald und Wiesen Konzerte, Münster                           Weiterbildung stehen die Besonderheiten des kulturellen
LESEDR AMA HEIMATEN –                                       Lernens im Alter. Grundlagen für die Kulturgeragogik
INTERKULTURELLE LESECAFÉS IM MÜNSTERL AND                   bilden Nachbardisziplinen wie Gerontologie, Gerago­
Lesedrama als theatrale Form für gemeinsames                gik, Soziale Arbeit, Kulturpädagogik und -management.
Lesevergnügen im Alter // Künstlerinitiative                Fachkräfte der Sozialen Arbeit und Pflege, Kulturpäda­
Heimaten X, Telgte                                          goginnen und -pädagogen sowie Künstlerinnen und
                                                            Künstler können sich für das gemeinsame Angebot von
NEUE KONZEPTLABORE ZUM                                      kubia und der FH Münster ab sofort bewerben.
FÖRDERFONDS KULTUR & ALTER                                  KONTAKT UND WEITERE INFORMATIONEN:

In den Konzeptlaboren werden ausführliche Informa­          FH Münster, Fachbereich Sozialwesen
tionen zur Antragstellung beim Förderfonds Kultur &         Referat Weiterbildung
Alter für das Jahr 2021 gegeben und antragstaugliche        Ramona Geßler
Konzeptideen entwickelt. Antragsfrist für Projekte, die     Telefon: 0251 836 57 71
2021 durchgeführt werden, ist der 21. September 2020.       ramona.gessler@f h-muenster.de
(S. auch Webinar, S. 14).                                   www.kulturgeragogik.de

Participation now! Mitwirkung und Teilhabe
                                                            VERÖFFENTLICHUNG
in der A ltenkulturarbeit
18. Juni 2020 // 10.00 bis 13.00 Uhr                        AGEING TROUBLE AUF KUBI-ONLINE
Bezirksregierung Münster                                    Subversion von Stereotypen des A lter(n)s und ihre
Zunehmend möchten ältere Menschen in der Kulturar­          performative Neueinschreibung
beit nicht nur als Rezipierende gesehen werden, sondern     kubia-Mitarbeiterin Miriam Haller überträgt in ihrem
ebenso ihre Erfahrungen und ihr Know-how einbrin­           Artikel Judith Butlers Geschlechter-Theorie auf die kul­
gen. Im Fokus dieses Konzeptlabors stehen Kulturange­       turelle Konstruktion des Alter(n)s und überprüft die
bote, welche die Mitbestimmung von Älteren in hohem         Tragweite eines Konzepts von »Ageing trouble« anhand
Maße berücksichtigen.                                       der Analyse von Altersstereotypen. Historisch betrach­
                                                            tet vermag die Literatur, Altersstereotype infrage zu
Sind alle da? Entwicklung inklusiver Angebote
                                                            stellen, ironisch zu zitieren und somit neue Altersbilder
in Kunst und Kultur
                                                            in den Diskurs einzuschreiben. In Kürze wird die Wis­
20. August 2020 // 10.00 bis 13.00 Uhr                      sensplattform Kulturelle Bildung Online (kubi-online)
Bleiberger Fabrik // Aachen                                 vier weitere grundlagentheoretische Aufsätze der Kul­
Welche Bedingungen müssen erfüllt sein, damit Ältere        tur- und Bildungswissenschaftlerin veröffentlichen.
und hochaltrige Menschen mit Handicap künftig kul­          WEITERE INFORMATIONEN:
turell teilhaben und ihre Fähigkeiten als Gewinn für        www.kubi-online.de
die kulturgeragogische Arbeit wahrgenommen werden?
Das Konzeptlabor liefert Ideen zur Gestaltung inklusi­
ver Projekte.

Die Konzeptlabore richten sich an freie Kulturschaffen­
de, an Mitarbeitende von Kulturinstitutionen sowie aus
der Sozial-, Alten-, Bildungs-, Kinder- und Jugendarbeit.
WEITERE INFORMATIONEN:
Kathrin Volkmer
Telefon: 0221 22 28 66 12
volkmer@ibk-kubia.de
www.ibk-kubia.de/foerderfonds
14 // F O Y E R

           KULTURKOMPETENZ+                                          MITMACHEN! GENERATIONEN-WERKSTÄTTEN IN
           PR A XISWISSEN FÜR KULTURELLE BILDUNG                     SCHULE UND QUARTIER
           IM ALTER UND INKLUSION                                    30. Oktober 2020 // 10.00 bis 17.00 Uhr
           HALBJAHR 02 / 2020                                        Matthias-Claudius-Schule // Düsseldorf
                                                                     Leitung: Jörg-Thomas Alvermann
                                                                     In zwei Generationen-Werkstätten in Düsseldorfer Ganz­
           WEBINARE                                                  tagsgrundschulen unterstützen Freiwillige jeden Alters
                                                                     Kinder bei der Umsetzung eigener Ideen und Projekte.
           FÖRDERFONDS KULTUR & ALTER:                               Der Workshop stellt Strategien zur Implementierung von
           TIPPS FÜR DIE ANTRAGSTELLUNG                              Generationen-Werkstätten in Schule, Nachbarschaft und
           24. August 2020 // 14.00 bis 15.00 Uhr                    Quartier vor. Theoretische und praktische Grundlagen
           Online // Leitung: Kathrin Volkmer                        zur Förderung von Partizipation und Selbstorganisation
           Das Webinar macht es möglich, sich umfassend und un­      sowie Methoden zum Auf bau eines Unterstützernetz­
           kompliziert über die Voraussetzungen zur Antragstellung   werks werden vermittelt.
           beim Förderfonds Kultur & Alter zu informieren und
                                                                     CHOR DEMENTI: CHORARBEIT FÜR UND MIT
           beantwortet Ihre persönlichen Fragen.
                                                                     MENSCHEN MIT DEMENZ
           KULTURNETZWERK SILBERFILM: FILMKULTUR FÜR                 17. November 2020 // 13.00 bis 20.00 Uhr
           MENSCHEN MIT DEMENZ                                       Vokalmusikzentrum NRW und Wilhelm-Hansmann-
           7. Oktober 2020 // 14.00 bis 15.00 Uhr                    Haus // Dortmund
           Online // Leitung: Sabine L. Distle                       Leitung: Jürgen Kleinschmidt, Tobias Schneider
           Das Kulturnetzwerk Silberfilm unterstützt die Medien­     Im Dortmunder Chor Dementi singen mehr als 50
           arbeit für Menschen mit Demenz an verschiedenen Or­       Personen mit Demenz gemeinsam mit ihren Angehö­
           ten. Im Webinar geht es um die Frage, wie ein alters-     rigen und Freundinnen und Freunden. Wie Chorarbeit
           und demenzsensibles Filmangebot gestaltet werden          gestaltet sein muss, damit Menschen mit Demenz Teil
           kann. Basierend auf seinen Erfahrungen stellt das Kul­    des Chors sein können, ist Thema dieses Workshops.
           turnetzwerk Strategien und Umsetzungsmöglichkeiten        Nach einem Theorieteil folgt der Besuch einer Probe des
           für regionale filmkulturelle Teilhabe im A lter vor.      Dementi-Chors. Abschließend bleibt Zeit, um gemein­
                                                                     sam die Chorprobe zu reflektieren.

                                                                     MEDIENBOTEN: BÜRGERSCHAFTLICHES ENGAGEMENT
           WORKSHOPS
                                                                     IN BIBLIOTHEKEN

           KREATIVE ANGEBOTE FÜR MENSCHEN MIT DEMENZ
                                                                     1. Dezember 2020 // 10.00 bis 17.00 Uhr
           MIT EINWANDERUNGSGESCHICHTE
                                                                     Stadt- und Landesbibliothek Dortmund
           18. September 2020 // 10.00 bis 17.00 Uhr                 Leitung: Christine Rißmann
           Multikulturelles Forum e. V. // Düsseldorf                Wie kann bürgerschaftliches Engagement helfen, Biblio­
           Leitung: Fia Biba                                         theken zu einem dritten Ort zu entwickeln, der alte
           Viele Menschen, die als Gastarbeiter und -arbeiterinnen   Menschen anspricht und der Einsamkeit im Alter ent­
           eingewandert sind, werden nun in Deutschland alt. Der     gegenwirkt? Nach einem kurzen Blick auf das klassische
           Workshop zeigt, wie in kreativen Angeboten für Men­       Ehrenamt geht es im Workshop vor allem um das Erpro­
           schen mit Demenz kulturelle Hintergründe Beachtung        ben neuer Methoden, die Freiwillige von Anfang an in
           finden können. Dabei geht der Workshop auch auf           die Gestaltung und Konzeption von neuen Angeboten
           grundsätzliche Gelingensbedingungen in der kreativen      einbinden.
           Arbeit mit Menschen mit Demenz ein.                       ANMELDUNG UND WEITERE INFORMATIONEN:
                                                                     w w w.ibk-kubia.de/qualifizierung
S A L O N // 15

SALON

ERLESENES ALTER(N)
LITERATUR UND WORTKUNST IN GESCHICHTE UND GEGENWART
DES GERAGOGISCHEN DISKURSES
Von Miriam Haller

Literarische Texte bergen ein Wissen ganz eigener Art über Bildungsprozesse im Alter. Otto Friedrich
Bollnow, der Begründer der Geragogik in Deutschland, leitete die epistemologischen Grundlagen für seine
Theorie Kultureller Bildung im Alter aus Literatur und Wortkunst ab. Welchen Erkenntnisgewinn haben
literarische Texte über das Alter (n) heute für die aktuelle kulturgeragogische Theorie und Praxis ?

Literatur und Geragogik? Da mag man vielleicht       entwickelt. Da sich seit den 1950er Jahren in der
zunächst an literarische Bildung im Alter den­       Literatur auch Erzählungen über Bildungsprozes­
ken, an den großen Buchmarkt und seine altern­       se im höheren Lebensalter häufen, wird in den
de Leserschaft, an Lesezirkel und Literatursalons,   Literaturwissenschaften inzwischen von einer
an Schreibwerkstätten für ältere Menschen und        neuen Gattung gesprochen: dem Reifungsroman.
Lesepatenschaften von Älteren für die Jüngsten,
an ein weites Feld literarischer und wortkünstle­
rischer Praxis mit ihren jeweiligen kulturgerago­
                                                                               1
gischen Bildungsangeboten.
                                                     Hauptwörter zuletzt /
   Dabei droht in Vergessenheit zu geraten, wel­
che besondere Bedeutung literarische Texte für die   allen voran: die Geduld /
Entstehung der Geragogik als wissenschaftliche       Der Verlust. Der Abschied. Die Trauer. /
Disziplin hatten: Der Begründer des geragogischen    Demut. /
Diskurses in Deutschland, Otto Friedrich Bollnow
                                                     Altern lernen /
(1903–1991), leitete – jüngere Geragoginnen und
Geragogen mögen lesen und staunen – seine Al­        wie Muttersprache /
tersbildungstheorie nicht aus sozialwissenschaft­    das ABC des Verlernens //
lich erhobenen Daten, sondern aus Literatur und
                                                     ULLA HAHN (2004)
Wortkunst ab!
   Wie nah sich der literarische und erziehungs­
wissenschaftliche Diskurs sind, liegt eigentlich
                                                                               1
auf der Hand: In beiden stehen das Subjekt und
seine Lern-, Bildungs- und Entwick lungsprozesse           DISKURSSTIFTER DER GERAGOGIK
im Zentrum. Insbesondere die literarischen Gat­
tungen des Bildungsromans und der Autobio­           Der Philosoph und Pädagoge Otto Friedrich Boll­
grafie haben seit dem 18. Jahrhundert einen von      now führte 1962 den Begriff der Gerontagogik in
der Pädagogik eigenständigen Bildungsdiskurs         die Erziehungswissenschaft ein. Er konzipierte sie
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           analog zur Pädagogik und zur Andragogik (Er­             diese in Vergessenheit geratenen Grundlagen der
           wachsenenbildung) als erziehungswissenschaft­            Geragogik kann eine aktuelle kulturwissenschaft­
           liche Subdisziplin. Sein Artikel über »Das hohe          liche Altersbildungstheorie anknüpfen.
           Alter« (1962) gilt als Gründungstext der Gerago­
           gik im deutschsprachigen Raum. Bollnow wird                      TOR ZUR LEBENSERFAHRUNG
           bis heute als »Pionier der Bildungsforschung im
           Bereich der älteren Erwachsenen« wertgeschätzt,          Bollnow sah es als Aufgabe der Erziehungswis­
           der »theoretisch die epistemologischen Grund­            senschaft an, ein Altersbild zu formulieren, auf
           lagen für die Bildung Älterer in der Erziehungs­         das hin das Bildungsverständnis einer professio­
           wissenschaft« geschaffen habe (Kern 2018, S. 18).        nalisierten geragogischen Praxis orientiert werden
           Seine erziehungs- und bildungsphilosophischen            sollte. Anders als die heutige geragogische For­
           Schriften werden in der allgemeinen Erziehungs­          schung, die sich zumeist auf Interviews, Beobach­
           wissenschaft immer noch gelesen. Trotz dieser            tungsprotokolle und Daten aus standardisierten
           anhaltenden Rezeption liegt bisher keine umfas­          Erhebungsverfahren stützt, suchte Bollnow dieses
           sende kritische Einordnung seiner Rolle im Natio­        Altersbild in der Literatur. In ihr sah er einen be­
           nalsozialismus und seiner pädagogischen Schriften        sonders geeigneten Zugang zur »allgemeinen Le­
           in diesem Kontext vor. Auch im geragogischen             benserfahrung«: In der Literatur verdichte sich die
           Diskurs steht eine Einordnung seines Werks und           schöpferische Qualität von Sprache und mensch­
           Wirkens aus, die über die Rezeption seines Aufsat­       lichen Lebensäußerungen (Bollnow 1962, S. 391).
           zes »Das hohe Alter« hinausgehen und sein Projekt           Heute gilt es, den Wert von Literatur und
           einer geisteswissenschaftlichen anthropologischen        Wortkunst als Gegenstand geragogischer For­
           Gerontagogik innerhalb seines Gesamtwerks und            schung und Theoriebildung wieder (neu) zu ent­
           seiner Zeit analysieren müsste. Das ist im Rahmen        decken. Dazu lässt sich an den Ansatz des Päda­
           eines Aufsatzes nicht zu leisten. Was ich in der gebo­   gogen Hans-Christoph Koller »Bildung anders
           tenen Kürze aber in Erinnerung rufen möchte, ist         denken« mit seiner »Einführung in die Theorie
           Bollnows geisteswissenschaftlicher Ansatz, der die       transformatorischer Bildungsprozesse« (2013) an­
           epistemologischen Grundlagen für eine Theorie            knüpfen: Koller verweist darauf, dass in literari­
           Kultureller Bildung im Alter aus der Auseinander­        schen Texten besonders »dichte Beschreibungen«
           setzung mit literarischen Texten entwickelt. An          pädagogisch relevanter Sachverhalte vorliegen. Er
                                                                    konstatiert, dass auch der Wahrheitsgehalt auto­
                              1                                     biografischer Erzählungen in Interviews nur be­
                                                                    dingt überprüft werden kann und zumindest die
Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen, /                         sogenannte realistische Literatur zwar eine fikti­
                                                                    ve, aber doch potenziell mögliche Wirklichkeit
die sich über die Dinge ziehn. /
                                                                    darstelle (ebd. 2012, S. 172). Ihm geht es aber
Ich werde den letzten vielleicht nicht                              nicht darum, affirmativ ein Altersleitbild als Bil­
vollbringen, /                                                      dungsziel aus der Literatur abzuleiten, sondern
aber versuchen will ich ihn. //                                     das skeptische und problematisierende Potenzial
                                                                    der Literatur als Widerstand zu nutzen. Mit Lite­
R AINER MARIA RILKE (1899)                                          ratur als kritischem Kontrast sollen wissenschaft­

                              1                                     liche Bildungstheorien einer »grundlegenden Re­
                                                                    vision unterzogen werden« (ebd.).
LEBENSBILDER
ZU DEN FOTOGRAFIEN DER SELFIEGRAFEN IRIS WOLF UND JÖRG MEIER
IN DIESEM HEFT

Eine Kaffeetasse, ein Geburtstagskuchen, Knöpfe – gerade die kleinen, alltäglichen Dinge vermögen es, große
Erinnerungen wachzurufen. Es sind Erinnerungen an die besonderen Momente eines langen Lebens: die kurze
Kaffeepause während der Hausarbeit, das Gefühl, am Geburtstag Prinzessin zu sein oder die Glücksgefühle beim
Nähen des neues Kleids.
    Mit Gegenständen als Fragmente der Erinnerungen arbeiten die Dortmunder Selfiegrafen in ihren Fotografien.
Iris Wolf und Jörg Meier lassen ältere Besucherinnen der Tagespflege AWO Unna und des AWO-Seniorinnentreffs
in Unna mit persönlichen Erinnerungstücken eigene »Lebensbilder« neu erzählen. Das Projekt wurde durch den
Förderfonds Kultur & Alter unterstützt und in Kooperation mit der AWO Ruhr-Lippe-Ems durchgeführt. hb

WEITERE INFORMATIONEN: www.selfiegrafen.de
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                  ALTERSKRISEN ALS BILDUNGSANLASS
                                                                                          1
           Bollnow hob als geragogisch vorbildhafte literari­
           sche Gestalt die Figur des Gotthelf Fibel aus Jean
                                                                 Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise, /
           Pauls (1763 –1825) Roman »Leben Fibels« (1812)        Mag lähmender Gewöhnung sich entraffen. /
           hervor. Er las Fibel als Zeugnis dafür, wie erst
           im »Durchgang« durch die »hässlichen Auswir­
                                                                 Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde/
           kungen der Alterskrisen« das Alter als Bildungs­      Uns neuen Räumen jung entgegensenden, /
           aufgabe bewältigt werden könne (Bollnow 1962,         Des Lebens Ruf an uns wird niemals
           S. 396). Unter Alterskrisen verstand Bollnow den
                                                                 enden … /
           oftmals schwierigen Umgang mit körperlichen
           Abbauprozessen, Krankheiten, das Nachlassen           Wohlan denn, Herz, nimm Abschied
           des Gedächtnisses sowie Prozesse der Erstarrung       und gesunde! //
           und Verfestigung von Gewohnheiten. In solchen
                                                                 HERMANN HESSE (1941)
           Alterskrisen erkannte er jedoch auch ein besonde­
           res Potenzial: Er sah sie als geradezu notwendigen
           Auslöser von Bildungsprozessen an, die im Falle
                                                                                          1
           ihrer Bewältigung zum Bildungsziel der »geisti­       Diese Einsicht in die Bedeutung von Alterskri­
           gen Verjüngung« führen können: »Wenn wir die­         sen als geragogischer Bildungsanlass droht heute
           sen Vorgang, in dem dem Menschen das Leben            immer wieder durch die gerontologische Kritik
           also erstarrt und fest wird, als Altern und im ex­    an den sogenannten negativen Altersbildern ver­
           tremen Fall als Vergreisung bezeichnen, dann er­      schattet zu werden. Dabei ist es für die Gerago­
           gibt sich hier die Aufgabe für den Menschen, sich     gik in Theorie und Praxis von großer Relevanz,
           diesem Prozeß (sic!) der Verfestigung entgegen­       die Relation von Altersbildung und Alterskrisen
           zustemmen und die ursprüngliche Lebendigkeit          unter Berücksichtigung von Diversität und auch
           des Lebens in ausdrücklicher Anstrengung wie­         historisch unterschiedlichen Lebenslagen im Al­
           derzugewinnen. Diese Aufgabe bezeichnen wir           ter immer wieder neu zu denken. Hierfür lässt
           sinngemäß als Verjüngung.« (Ebd. 1965, S. 548).       sich Bollnows Ansatz mit Bezug auf neuere bil­
           Seine Theorie von Bildung als geistige Verjün­        dungstheoretische Ansätze – wie die Theorie
           gung leitet er aus Hermann Hesses (1877–1962)         transformatorischer Bildung (vgl. Koller 2012)
           Erzählung »Die Morgenlandfahrt« (1932 / 1982)         oder phänomenologischen Theorien, die auch die
           und Hesses berühmten Gedicht »Stufen« (1941)          Negativität von Bildung im Alter berücksichti­
           ab. Dabei betont er, dass die innere Verjüngung       gen (vgl. Brinkmann 2006) – nach- und über­
           nichts mit einer Flucht vor dem Alter zu tun habe,    denken.
           sondern vielmehr als eine bewusste Bejahung des
           Alters zu begreifen sei. Eben ganz so, wie es Hesse     TRANSFORMATORISCHE ALTERSBILDUNG
           (1941 / 1961, S. 199) in seinem Gedicht »Stufen«
           zum Ausdruck gebracht habe:                           Wenn Bollnow von Bildung und Erziehung äl­
                                                                 terer Menschen spricht, dann ist bei ihm im­
                                                                 mer auch ästhetische Erziehung gemeint. Lite­
                                                                 ratur und Dichtung zeichnen sich aus Bollnows
                                                                 Sicht durch ihre Fähigkeit zur »Verjüngung der
                                                                 Sprache« aus und seien deshalb gleichzeitig das
S A L O N // 19

          geeignete »Mittel zur Verjüngung des Menschen«:     vernachlässigt die Einsicht, dass literarische Texte
          Die Künste seien »imstande, den Menschen aus        geragogische Ambitionen auch kräftig irritieren
          seinem erstarrten und gedankenlos gewordenen        und problematisieren können. Ein solch skepti­
          Leben herauszureißen, ihn die Wirklichkeit neu      sches Potenzial bietet im Hinblick auf Bollnows
          sehen zu lassen und zu neuer Auseinandersetzung     Theorie der ästhetischen Erziehung als lebens­
          zu zwingen« (Bollnow 1965, S. 555). Ebenso wie      verändernde Begegnung mit dem Kunstwerk
          der Durchgang durch die Negativität der Al­         beispielsweise Philip Roths (1933 –2018) Roman
          terskrisen, ermöglicht nach Bollnow die Begeg­      »Der Ghost Writer« (1979 / 2004), der ebenjenes
          nung mit Kunst einschneidende Bildungsprozes­       Postulat des »Du musst Dein Leben ändern!« iro­
          se, wie sie in Rainer Maria Rilkes (1875–1926)      nisch zitiert: »Meiner Meinung nach würde selbst
          Gedicht über den »Archaïschen Torso Apollos«        der ungeschlachteste Hunne den größten Teil des
          (1908 / 1955) zum Ausdruck kommen. Die exis­        Winters brauchen, die vereisten Wasserfälle und
          tenzielle Begegnung mit einem Kunstwerk er­         windgepeitschten Wälder dieser Berg wildnis zu
          zwinge manchmal geradezu eine Einsicht, die         durchqueren, ehe er es schaffte, den offenen Rain
          den Schlusspunkt von Rilkes Gedicht bildet:         von Lonoffs Heuwiesen zu erreichen, gegen die
          »Du musst dein Leben ändern«! (Ebd., S. 557)        nach hinten hinausgehende Sturmtür des Hau­
          Dieses Gedicht trete – so Bollnow – dem Men­        ses zu hämmern und hindurchzustürmen ins
          schen mit einem solchen »Absolutheitsanspruch       Arbeitszimmer, die spitzenbewehrte Keule hoch
          entgegen, durch den er im innersten Kern seines     über der kleinen Olivetti herumwirbeln zu las­
          Wesens erschüttert wird« (Bollnow 1983, S. 61).     sen und dem Schriftsteller, der dabei war, seine
             Auch wenn heute Bollnows anthropologische        siebenundzwanzigste Fassung hinzutippen, mit
          Altersbildungstheorie allzu normativ, ahistorisch   auf brüllender Stimme sein ›Du musst Dein Le­
          und eurozentristisch erscheint, so erinnert sie     ben ändern!‹ zuzuschreien. Doch selbst er könnte
          doch daran, dass Literatur und Wortkunst – wie      den Mut verlieren (…).« (Ebd., S. 39)
          die Künste überhaupt – einen besonderen Er­
          kenntnisgewinn für das gerontologische und ge­                     AGEING TROUBLE
          ragogische Wissen beinhalten. Bollnows Ansatz,
          aus Literatur und Wortkunst Altersleitbilder für    Auch die Schattenseiten und Zumutungen eines
          die geragogische Theorie und Praxis abzuleiten,     geragogischen Leitbilds, das radikale Transforma­
                                                              tionen von Selbst- und Weltverhältnissen zur nor­
                              1                               mativen Richtschnur für Bildungsprozesse macht,
                                                              lassen sich durch die Rezeption literarischer Dar­
Ein alter Mann ist stets ein König Lear! – /                  stellungen des Alters beleuchten. Literatur und
Was Hand in Hand mitwirkte, stritt, /                         Wortkunst stellen geragogische Leitbilder, Alters­
                                                              bilder und Handlungsprinzipien immer wieder
Ist längst vorbeigegangen; /
                                                              skeptisch, problematisierend wie selbstkritisch und
Was mit und an dir liebte, litt, /                            gleichzeitig anschaulich infrage. Dass der literari­
Hat sich woanders angehangen. /                               sche Diskurs – wie die Künste überhaupt – weit
Die Jugend ist um ihretwillen hier, /                         über die bloße Einbettung gerontologischen und
                                                              geragogischen Wissens hinausgeht, sich vielmehr
Es wäre törig, zu verlangen: /                                widerständige, kreative und zukunftsweisende per­
Komm, ältele du mit mir. //                                   formative Neueinschreibungen von Altersbildern
                                                              im literarischen Diskurs besonders eindrücklich
JOHA NN WOLFGA NG VON GOE THE (1827 )

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20 // S A L O N

           vollziehen, zeigen Text- und Diskursanalysen,        DIE AUTORIN:

           die auch die diskursiven Strategien solcher Neu­     Dr.in Miriam Haller ist kulturwissenschaftliche Alterns­
                                                                und Bildungswissenschaftlerin, Lehrbeauftragte des
           einschreibungen berücksichtigen: Der neuere
                                                                Arbeitsbereichs Interdisziplinäre Alternswissenschaft am
           literarische Diskurs ist voll mit Erzählungen von    Fachbereich Erziehungswissenschaften der Goethe-
           »Ageing trouble« (Haller 2005), in denen A lters­    Universität Frankfurt am Main und arbeitet derzeit bei
           bildungsprozesse immer wieder aufs Neue anders       kubia als wissenschaftliche Mitarbeiterin.
           erzählt werden, A ltersbilder und Bildungsnarra­     LITER ATUR:
           tive zitiert und gleichzeitig performativ neu ein­   Malte Brinkmann (2006): Leiblichkeit und Passivität –
           geschrieben werden. Es ist also im besten Sinne        Überlegungen zur Negativität von Bildung im Alter.
                                                                  In: Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Pädagogik
           unzeitgemäß – das heißt mit anderen Worten:
                                                                  82 (3), S. 288–304.
           an der Zeit! – den literarischen Diskurs über Bil­   Otto Friedrich Bollnow (1962): Das hohe Alter.
           dung im A lter wieder in seinem geragogischen          In: Neue Sammlung 2 (5), S. 385–396.
           Wissen ernst zu nehmen und Bildung im A lter         Otto Friedrich Bollnow (1965): Der neue Anfang und
                                                                  das Problem der Verjüngung. In: Neue Sammlung.
           neu zu (er-)lesen.
                                                                  Göttinger Blätter für Kultus und Erziehung 5,
                                                                  S. 542–555.

                            1                                   Otto Friedrich Bollnow (1983): Anthropologische
                                                                  Pädagogik. Bern und Stuttgart: Haupt.
                                                                Miriam Haller (2005): »Unwürdige Greisinnen«.
Die Greisin vom Luxembourg                                        »Ageing trouble« im literarischen Text. In: Heike
                                                                  Hartung (Hrsg.): Alter und Geschlecht. Repräsen­
Sie schreitet wie ein ferner Vorfahr, /                           tationen, Geschichten und Theorien des Alter(n)s.
                                                                  Bielefeld: transcript, S. 45– 63.
der in ihr spukt und schauen will, /                            Dominique Kern (2018): Theoretische Modelle für die
durch Gärten, weil sich dort nichts ändert. /                     Bildung älterer Erwachsener: Eine kritische Analyse
                                                                  aus erziehungswissenschaftlicher Perspektive. In:
                                                                  Renate Schramek, Cornelia Kricheldorff, Bernhard
Was ist, nimmt sie als Schatten wahr, /                           Schmidt-Hertha und Julia Steinfort-Diedenhofen
                                                                  (Hrsg.): Alter(n) – Lernen – Bildung. Ein Handbuch.
was war, als Glanz, und lächelt still, /                          Stuttgart: Kohlhammer, S. 13–29.
berührt arkane Türen, schlendert /                              Hans-Christoph Koller (2012): Bildung anders denken.
                                                                  Einführung in die Theorie transformatorischer
mädchenhaft von hier nach dort, /                                 Bildungsprozesse. Stuttgart: Kohlhammer.

tänzelt, dreht sich, immerfort, /                               LITER ARISCHE TEXTE:
                                                                Hermann Hesse (1941 / 1961): Stufen. In: Ders.: Stufen.
bevor sie fällt. Und liegen bleibt. /                              Alte und neue Gedichte in Auswahl. Frankfurt a. M.:
In sich gekrümmt, wie nie geboren. /                               Suhrkamp, S. 199.
                                                                Hermann Hesse (1932 / 1982): Die Morgenlandfahrt.
Ihr Blick jedoch fliegt auf /                                      Eine Erzählung. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
                                                                Jean Paul (1812 / 2000): Leben Fibels, des Verfassers der
zu jeder Wolke, die vorübertreibt, /                               Bienrodischen Fibel. In: Norbert Miller (Hrsg.):
                                                                   Jean Paul: Sämtliche Werke I (6). Darmstadt:
und zieht etwas herab, das weder /                                 Wissenschaftliche Buchgesellschaft, S. 365 –562.
                                                                Rainer Maria Rilke (1908 / 1955): Archaïscher Torso
vorhanden ist, noch ganz verloren. //                              Apollos. In: Ders.: Sämtliche Werke. 1. Band,
                                                                   Frankfurt a. M.: Insel, S. 557.
HELMUT KRAUSSER (2009)
                                                                Philip Roth (1979 / 2004): Der Ghost Writer. Roman.
                                                                   Übers. Werner Peterich. Hamburg: Rowohlt.

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