Rassissmus Debatte, Freie Meinung, Bücher, Kultur, Nachrichten, Blick zurück, Kochen - Bitte kaufen Sie nur bei Verkäufern mit offiziellem ...
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Bitte kaufen Sie nur bei Verkäufern mit offiziellem Verkäuferausweis! Nr. 257 September 2020 2,50 Euro – davon 1,20 Euro für unsere Verkäufer Rassissmus Debatte, Freie Meinung, Bücher, Kultur, Nachrichten, Blick zurück, Kochen
Strudlprojekte Bücher sind zu schade für die Papiertonne: Wir bringen Ihre gut erhaltenen gebrauchten Bücher wieder unter die Leute und schaffen Arbeitsplätze! Wir sind wieder da! Der Bücherstand vom DONAUSTRUDL ist wieder da, und zwar am Vier-Eimer-Platz. Wie bisher - bei trockenem Wetter - Mittwoch, Freitag und Samstag von 10 bis 18 Uhr. An alter neuer Wirkungsstätte gefällt es Bücherstand auf dem Vier-Eimer-Platz unseren Verkäufern richtig gut und sie freuen sich auf Sie. Auch hier gelten die entsprechenden ausgewiesenen Hygiene- und Abstandsregeln. Vielen Dank! DONAUSTRUDL-Büro Dr.-Theobald-Schrems-Straße 4 Di.-Fr. 10.00 - 16.00 Uhr, Sa. 10.00 - 14.00 Uhr Montags geschlossen Telefon 0941 / 56 37 85, Fax 567 67 45 info@donaustrudl.de www.donaustrudl.de Trödelkiste Trödelkiste auf dem Alten Kornmarkt Auf dem Alten Kornmarkt Mo.-Fr. 11.00-15.00 Uhr, Sa. 9.00-14.00 Uhr Antiquariat & Internetverkauf Bücher, Schallplatten, DVDs, CDs und Geschenkgutscheine Dr.-Theobald-Schrems-Straße 4 Di.-Fr. 10.00-16.00 Uhr, Sa. 10.00-14.00 Uhr Tel. 0941/567 67 46 donaustrudl.buecher@gmx.de Antiquariat & Internetverkauf
SOZIALE STRASSENZEITUNG Liebe Leserinnen und Leser, Regensburger Monatsmagazin wie in jedem Monat, seit uns das Thema Corona begleitet, möchten wir uns bei Jahrgang 23, Nr. 256 Juli, August 2020 allen Spender*innen bedanken! Jede Summe, ob klein oder groß, hilft uns. Da wir Der Herausgeberverein von keiner staatlichen Stelle die „Corona-Hilfe“ bekommen, ist Ihre Unterstützung Sozialer Arbeitskreis (SAK) umso wichtiger. ist als gemeinnützig anerkannt. Nachdem wir durch die Krise recht durcheinandergeschüttelt wurden, sind wir mit Dr.-Theobald-Schrems-Straße 4, 93055 Regensburg, Fon 56 37 85 der vorliegenden Ausgabe endlich wieder pünktlich auf der Straße. In diesem Heft steht das Thema Rassismus im Fokus. Unsere Autor*innen berich- DONAUSTRUDL-Büro: Dr.-Theobald-Schrems-Str. 4 ten von den Protesten in Portland, der Angst vor dem Fremden, aber auch von 93055 Regensburg, Fon: 56 37 85 ganz persönlichen Erlebnissen. Es sind viele verschiedene Artikel dabei, vielleicht Dienstag-Freitag 10.00-16.00 Uhr, finden Sie sich auch irgendwo wieder? Samstag 10.00-14.00 Uhr Danke, dass Sie uns inzwischen seit über 22 Jahren Monat für Monat lesen! info@donaustrudl.de Mitarbeiter*innen dieser Ausgabe: Auf Wiederlesen wünscht Herbert Baumgärtner Claudia Bernhard Ihre DONAUSTRUDL- Redaktion Theresa Braun Adi Dobler Herbert Ehrl Rainer Fürst Wussten Sie schon, dass der DONAUSTRUDL-Herausge- Inhalt Maximilian Freundl berverein Sozialer Arbeitskreis Wir über uns ............................................................. 4 Ulrich Fritsch SAK eine kleine gemeinnützi- Reinhard Kellner ge Organisation ist und dass Soziales Projekt. ..................................................... 5 Lena Kerschensteiner diese Soziale Straßenzeitung Stolpersteine, Second Life Rebekka Krauß auch nennenswert durch die Lorenz Nix Stadt Regensburg gefördert Bücherseite................................................................ 6 Arno Nühm wird? Jonas Schriefer Debatte Lisbeth Wagner Der STRUDL finanziert sich Grieser Spitz / Jahninsel Pro und Contra........................... 8 Udo K. Zoll nun durch den Straßenver- Layout: Rainer Fürst kauf, Anzeigen, Spenden Freie Meinung und einen jährlichen finanzi- Bella Italia......................................................................... 10 Titelbild: Herbert Baumgärtner ellen Zuschuss der Stadt. So Psychisch Kranke nach dem Lockdown........................... 11 Anzeigen: SAK Regensburg e.V., Vorstand kommen wir unserem Ziel, die anzeigen@donaustrudl.de Sozialarbeit auszubauen, ein Thema: Rassismus. ............................................ 12 Es gilt die Preisliste vom 01.01.2020 gutes Stück näher. Der Donauraaum u. die bayerischen Kolonialphantasien.14 Anzeigenschluss: Denn unser Sozialarbeiter Wie Rassismus den Sport unterwandert.......................... 15 jeweils der 15. des Monats. Portland – Die Instrumentelisierung einer Bewegung...... 16 ist gut beschäftigt mit der Ver- Druck: S-Druck käuferbetreuung und Beglei- Kultur der Angst................................................................ 18 auf 100%-Recycling-Faser-Papier tung der inzwischen sieben Massengrab Mittelmeer.................................................... 20 (Spenden-)Konto: IBAN: Beschäftigungsprojekte. Über DE43 7505 0000 0000 2125 30 20 Ehrenamtliche / Engagier- Ein Blick zurück.................................................... 22 Manuskripte und Beiträge te treffen sich jede Woche, sind jederzeit willkommen. um monatlich einen neuen Kulturtippps............................................................. 24 Nächstes: Thema: DonauStrudl herauszu- Krimineller Kapitalismus bringen: Chancengleichheit Nachrichten von unten Redaktionsschluss: 17. September und Gerechtigkeit sind dabei von Reinhard Kellner........................................................ 26 die Ziele, um auf Armut und Sozialsponsoring................................................. 28 V.i.S.d.P.: Vorstand soziale Missstände aufmerk- des SAK Regensburg e.V., Dr.-Theobald-Schrems-Str. 4, sam zu machen. Jeder kann KISS.............................................................................. 29 93055 Regensburg sich bei den öffentlichen Re- redaktion@donaustrudl.de daktionstreffen immer don- Kochen........................................................................ 30 nerstags ab 17.30 Uhr einbrin- gen und Artikel abgeben. Zitate. ........................................................................... 32 Die Verkäufer erwerben ein Heft für 1,30 Euro und bieten es dann für 2,50 Euro auf der Straße und in Gaststätten an: Redaktionssitzungen So entstehen Selbstbewusst- sein und neue Kontakte. finden immer donnerstags um 17.30 Uhr statt. Das DONAUSTRUDL-Projekt „Bücher aus zweiter Hand“ gibt die Möglichkeit, in ein sinn- erfülltes Berufsleben einzustei- „Soweit in diesem Magazin aus gen, eine eigene Wohnung zu Gründen der besseren Lesbarkeit das finden und von der staatlichen generische Maskulinum verwendet Unterstützung unabhängig zu wird, sind hiermit stets alle Geschlechter gemeint“ werden. 9-17 Uhr - Keplerstraße 18 - Tel. 6 98 01 54 3
Wir über uns Bücherstand an alter Wirkungsstätte Seit Juni dürfen wir wieder mit unserem Bücherstand an un- serer Lieblingsstelle, dem Vier-Eimer-Platz, stehen. Bei troc- kenem Wetter bieten unsere Mitarbeiter Ihre Bücherspenden zu Minipreisen an. Vom Schundroman bis zur anspruchsvollen Lektüre ist alles dabei. Wie wär‘s? Haben wir Ihre Neugier ge- weckt? Mittwoch, Freitag und Samstag von 10 – 18 Uhr haben Sie die Möglichkeit, uns mit Ihren Einkäufen zu unterstützen. Rund ein Jahr unterstützt uns Jonas Schriefer bereits mit Ar- tikeln. Seit kurzer Zeit (sechs Wochen) übernimmt er Verant- wortung, moderiert die Redaktionssitzungen, liest Korrektur und hilft bei der Redaktions-Koordination. Durch seine Unter- stützung kommen jetzt auch viele junge Menschen zu uns und schreiben Artikel. Unser Team hat natürlich ein gemeinsames Ziel: Zusammen mit Erfahrung und neuen Ideen ein spannen- des Heft für Sie zu erstellen! Flohmarkt Im September finndet wieder der S-Druck Hausflohmarkt statt. Auch wir werden mit dabei sein und laden Sie herzlich ein, in unserem Bücherstand zu stöbern. Trödelkiste Wann: Freitag, 11. September 13.00-18.00 Uhr Samstag 12. September 10.00-18.00 Uhr Wo: Sternbergstraße 18, Regensburg Es gibt sie noch und ist auch wieder geöffnet: Unsere Trödel- kiste! Ein vierköpfiges Team (siehe Foto) kümmert sich liebe- voll um Ihren Kleintrödel. Schauen Sie mal am Alten Kornmarkt vorbei. Vor oder nach dem Stöbern laden nette Cafés zum Ver- weilen ein. Parkplätze sind vorhanden. Unser Team freut sich Wir suchen Neue Räume für Verwaltung, Redaktion und Sozialarbeit. auf Ihren Besuch. Wo? In der Stadt (Innenstadt oder erweiterter Stadtkern). Größe? Zwischen 80 und 100 qm. Räume? Zwei Büros, kleine (Tee-)Küche, Konferenz- und Sozialraum, Toiletten (2x), Abstellraum. Wann? So schnell, wie möglich. Miete, Mietkauf oder Kauf (Höhe der jeweiligen Optionen entweder per Mail an: sak-vorstand@donaustrudl.de, oder beim persönlichen Gespräch. Ansprechpartnerin: Claudia Bernhard, Mitglied im Vorstand, Telefon 0176 21910037).Bitte alles anbieten, danke! In absehbarer Zeit (April 2021) benötigen wir ein neues Lieferauto (Leasing?). Damit Der DONAUSTRUDL-Bücherstand kam im August - betreut wir das stemmen können, brauchen wir Ihre von Werner Hagen - beim ersten Riedenburger Flohmarkt nach Corona wieder sehr gut an: Die Wirtin spendierte dem fleißigen Hilfe. Über ein Sponsoring von Ihnen, lie- Verkäufer nach getaner Arbeit sogar ein Rindsgulasch und hofft be Leser*innen, würden wir uns sehr freuen. mit ihm auf gutes Wetter bei den Trödlmärkten am dritten Sonn- Vielen herzlichen Dank! Telefon 563785 oder tag im September und Oktober: same place, same station! info@donaustrudl.de. 4
Soziale Projekte Hanni und Michael Stolpersteine in Regensburg Buschheuer Foto: In Regensburg liegen z.Zt. knapp 250 Stolpersteine über die ganze Thomas Ratjen Stadt verteilt, mit Schwerpunkt in der Innenstadt. Sie erinnern vor den Häusern an Bewohner, die hier einst lebten, von den National- sozialisten verschleppt und dann ermordet wurden – jeder Stein für jeweils eine Person. Auf der Messingoberfläche der Steine sind die Namen eingestanzt sowie einzelne Daten aus ih-rem Leben, von ihrem Tod. Zweite Heimat Regensburg Am 28. September verlegt der Arbeitskreis Stolpersteine Regens- „Wir sind eine fünfköpfige Familie und wir haben immer noch burg im Evangelischen Bildungswerk neun neue Steine in der Platz bei uns, immer noch genug zu essen auf dem Tisch. Wenn Stadt, alle für Opfer der Krankenmorde: Menschen mit Behinderun- jemand zu uns kommt, können wir ihm einen Schlafplatz bieten, gen wurden aus dem Krankenhaus, oder wie es damals hieß „Heil- eine Arbeit und Integration, wir sind bereit. Wir freuen uns, wenn und Pflegeanstalt Karthaus-Prüll“, angeblich in andere Pflegean- wir unseren Kindern ein gutes Vorbild sein können, zeigen dass stalten verlegt, so erklärte man es ihren Angehörigen. Tatsächlich Gemeinschaft was Schönes ist und einem anderen Menschen aber wurden sie in Bussen nach Schloss Hartheim bei Linz (heute die Chance bieten, dass er gestärkt in die Gesellschaft geht. Da Österreich) gebracht und dort umgehend durch Gas ermordet. Den fehlt noch was!“. So lautet die Videobotschaft von Hanni und Mi- Angehörigen gaukelte man später vor, ihr Familienmitglied sei an chael Buschheuer, die die Initiative Second Life ins Leben geru- einem ganz anderen Ort an einer Krankheit gestorben. Für neun fen haben. von ihnen werden im September ihre Namen wieder zurückgeholt, Ziel der Initiative von Space Eye ist es, 50 Geflüchtete nach Re- erinnern nun die Steine vor ihren früheren Wohnungen an sie. gensburg zu holen, die in Flüchtlingscamps auf den griechischen Anschließend verlegt die medbo gemeinsam mit dem Arbeitskreis Inseln Kos, Samos und Lesbos in unmenschlichen Zuständen im Bereich des Bezirkskrankenhauses eine „Stolperschwelle“, festsitzen. Viele Forderungen, diese Menschen, die bereits in ähnlich wie ein Stolperstein, aber 80 cm lang. Sie erinnert an alle Europa angelangt sind, aber trotzdem noch in einer untragbaren Opfer, die von dort deportiert und ermordet wurden (654), an jene, Situation ausharren müssen, aus Ihrer Lage zu befreien, sind be- die zwangsweise sterili-siert wurden (etwa 620) sowie an jene viele reits gescheitert. Second Life will deshalb anstatt Forderungen hundert, die aufgrund der Unterversorgung hier starben. zu stellen ein Angebot machen. Indem schon vorab Leistungen Wer an diesem Tag die Verlegung der Stolpersteine begleiten von Hilfsorganisationen, Unternehmen und Privatpersonen ge- möchte, ist herzlich dazu eingeladen; es müssen allerdings die bündelt werden, soll die politische Entscheidung zur Übernahme geltenden Hygieneregeln eingehalten werden: die Mund-Nasen- der Geflüchteten erleichtert werden. Je mehr Unterstützer*innen Maske sowie der Abstand von 1,5 Metern. Personen mit Erkäl- es gib, desto reibungsloser kann die Aufnahme gelingen. Im Ide- tungssymptomen werden gebeten, nicht daran teilzunehmen. alfall gibt es dann für jeden Geflüchteten mehrere Pat*innen und Die Verlegung am 28. September nimmt folgenden Weg (die Zeit- Ansprechpartner*innen, die in verschiedenen Lebenslagen un- angaben sind Richtwerte, es kann zu Verschiebungen kommen, terstützend wirken können. dabei auch jeweils früher beginnen): Neben Hanni und Michael Buschheuer werden sich noch weitere Stadtamhof 4 (9.00 Uhr), Weißenburgstraße 6 (9.30 Uhr), 49 Regensburger*innen in Videostatements zur Initiative Second Adolf-Schmetzer-St. 38 (9.45 Uhr), Plato-Wild-Str. 29 (10.10 Uhr), Life äußern. Cornelius Färber, Geschäftsführer des Orphée, bie- Zandtengasse 2 (10.45 Uhr), Lederergasse 16 (11.00 Uhr), tet einen Arbeitsplatz. Er ist sich sicher, dass niemand freiwillig Weitoldstraße 3 (11.15 Uhr), Wollwirkergasse 11 (11.30 Uhr), flieht. Domkapitular Thomas Pinzer, Ruth Aigner und Michael Schottenstraße 3 (11.45 Uhr). Eibl von der Diözese Regensburg bekräftigen, dass die katholi- (Die Verlegung auf dem Gelände des Bezirkskrankenhauses findet sche Kirche auch für weitere Menschen in Not Unterstützung an- aufgrund der besonderen Bedingungen nur in einem kleinen Kreis bieten möchte. Und auch Hannes Ringlstetter, Schauspieler und statt, Einladungen ergehen von der medbo.) Komödiant, ist überzeugt davon, dass Regensburg noch Platz Ulrich Fritsch für 50 Menschen hat. Es muss aber nicht immer ein großes Angebot wie eine Unter- kunft oder die Aussicht auf einen Arbeitsplatz sein. Ganz einfa- Sylvia Seifert: che Beteiligungen, wie eine Führung zu den besten Spielplätzen Stolpersteine in Regensburgs oder Verabredungen zum gemeinsamen Kochen Regensburg. und Backen können schon dazu beitragen, dass sich neue edition buntehunde, 2016. Regensburger*innen gut aufgenommen fühlen und dann auch ISBN: 978-3-934941-95-3 selbst Energie finden, die Gesellschaft aktiv zu bereichern. Die 125 Seiten, 45 sw Bilder. Initiative Second Life steht ganz unter dem Motto „Jeder kann helfen. Jeder, jedem.“, zu dem Michael Buschheuer, der Gründer Wer ausführlicheres über von Sea-Eye und Space-Eye, von der Wiener Asylaktivistin Ute die Schicksale der Opfer Bock inspiriert wurde. des Nationalsozialismus in Jeden 1. und 3. Donnerstag im Monat um 19 Uhr findet im Kol- Regenburg erfahren möch- pinghaus ein offenes Plenum zum Projekt Second Life statt, bei te, kann die Geschichte dem sich Interessierte und Unterstützer*innen informieren und hinter den Namen in Sylvia austauschen können. Seiferts Buch „Stolpersteine Weitere Informationen zur Initiative sowie Videostatements von in Regensburg“ nachlesen. engagierten Regensburger*innen finden sich auf der Facebook Seifert ist Mitglied des „Arbeitskreis Stolpersteine“ und Seite von Space- Eye. Auf der Homepage space-eye.org können gibt historische Stadtführungen über jüdisches Leben in sich Pat*innen mit vielfältigen Angeboten eintragen. Wer auf- Regensburg. In ihrem Buch fasst sie Rechercheergebnis- merksam durch Regensburg spaziert, findet sicher auch noch se zusammen, liefert historische Hintergründe und gibt in weitere Hinweise auf die Initiative Second Life. kurzen Biographien Einblicke in die Schicksale der Opfer. Rebekka Krauß, Space-Eye e.V. 5
Bücher Georg E. Vogel: Margaret Mead / James Baldwin: Praxishandbuch Influenza: Rassenkampf – verstehen, vorbeugen, erkennen und behandeln Klassenkampf. Thieme Verlag, 2011, 121 S., mit Abb. Ein Streitgespräch Rowoht Verlag, 1973, 188 Seiten Influenza - wer kennt sie nicht? Eigentlich ist längst be- kannt, dass sie die gefährlichste Atemwegserkrankung Der schwarze Schriftsteller James Bal- und komplikationsträchtigste Virusinfektion ist. Im Winter dwin und die weiße Forscherin Marga- ist Grippesaison. Genauer gesagt zwischen der 40. Ka- ret Mead (1901-1978) diskutierten ge- lenderwoche Anfang Oktober und der 20. Kalenderwoche meinsam das Problem des Rassismus. Mitte Mai. Dann herrschen in unseren Gefilden perfekte Die Anthropologin Margaret Mead hat Bedingungen für Influenza-Viren - den Krankheitserregern, sich in zahlreichen Veröffentlichungen die eine Grippe auslösen. In den vergangenen Jahren in- mit den verschiedenen Kulturen der fizierten sich die meisten Menschen von Januar bis Ende Menschen und der Unterdrückung der März mit den Grippe-Viren, es kam zu regelrechten Grip- Minderheiten beschäftigt; James Bald- pewellen. Doch wie gut wird die Influenza tatsächlich ver- win hat Rassismus und Unterdrückung standen? Im ärztlichen Alltag müssen viele Fragen schnell der schwarzen Minderheit am eigenen beantwortet werden, zum Beispiel: Wird die Grippe immer Leibe erfahren. richtig erkannt? Welche Konsequenzen ergeben sich be- James Baldwin (1924-1987), in New York geboren, war und ist vieles: viel- reits aus der Immunologie und Virologie, welche aus der fach ausgezeichneter Schriftsteller und eine Ikone der Gleichberechtigung Pathophysiologie und Klinik dieser Erkrankung? Wie sind aller Menschen, ungeachtet ihrer Hautfarbe, ihrer sexuellen Orientierung die aktuellen Instru- oder ihres Herkunftsmilieus. Er war der erste schwarze Künstler auf einem mente für Prävention, Cover des ›Time Magazine‹. Baldwin starb 1987 in Südfrankreich. Diagnose und Thera- Am Abend des 25. August 1970 saßen Margaret Mead und James Bald- pie zu bewerten und win auf einer Bühne in New York City zu einem bemerkenswerten öffentli- welche Vorteile ent- chen Gespräch zusammen über dauerhafte Anliegen wie Identität, Macht stehen für Arzt und und Privilegien, Rasse, Geschlecht und Gerechtigkeit. Die hier aufge- Patient? Falsch ist die zeichnete Diskussion, die ebenso Fragen der Politik und Religion wie die Vorstellung, nur bei Probleme von Armut, Black Power, Women´s Liberation, Erziehung und Menschen mit Risi- Afro-Amerikanismus einschließt, wird vor allem vielen weißen Lesern hel- kofaktoren, Alten und fen, den Rassenkonflikt unter neuen Aspekten zu sehen und zu verste- chronisch Kranken hen. Baldwin argumentiert emotional, Mead reagiert überwiegend rational könne es zu einem – die Toleranz dem anderen gegenüber führt sie zusammen. schweren Krankheits- Als sie ihren gemeinsamen Herzschmerz über die Bombenanschläge in verlauf kommen. Vo- Birmingham zur Sprache bringen, bei denen vier schwarze Mädchen ei- gels „Praxishandbuch nen Monat nach Martin Luther Kings berühmtem Brief über Gerechtigkeit Influenza“ richtet sich und gewaltfreien Widerstand in der Sonntagsschule getötet wurden, kom- vor allem an Allge- men Mead und Baldwin zu einem der tiefgreifendsten Themen dieses meinmediziner, denen langen Gesprächs - die Frage nach Schuld, Verantwortung und dem ent- nicht selten grund- scheidenden Unterschied zwischen beiden, um einen konstruktiven und legendes Wissen zu keinen destruktiven Weg nach vorne zu gewährleisten: fehlen scheint. Es ist MEAD: Es gibt verschiedene Sichtweisen auf Schuld. Im ostorthodoxen aber auch für Laien Glauben teilt jeder die Schuld der Geschöpflichkeit und die Schuld für al- nicht nur verständlich les, was er jemals gedacht hat. Nun, die Position Westeuropas und die geschrieben, sondern Position Nordamerikas im Großen und Ganzen sind, dass Sie für Dinge bietet auch Tipps, mit schuldig sind, die Sie selbst getan haben, und nicht für Dinge, die andere denen der Patient sei- Menschen getan haben. nen Hausarzt „unterstützen“ kann. Die zentrale Botschaft: BALDWIN: Die Polizei in diesem Land unterscheidet nicht zwischen ei- Es gibt einen – viel zu wenig bekannten und angewand- nem Black Panther oder einem schwarzen Anwalt oder meinem Bruder ten – Schnelltest und antivirale Medikamente, mit denen oder mir. Die Bullen werden mich nicht nach meinem Namen fragen, be- lebensbedrohliche Krankheitsverläufe ebenso vermieden vor sie den Abzug betätigen. Ich bin Teil dieser Gesellschaft und ich bin werden können wie Spätschäden. in genau der gleichen Situation wie jeder andere - jede andere schwarze Der erfahrene Arzt weist darauf hin, dass die „Blickdiagno- Person - darin. Wenn ich das nicht weiß, bin ich ziemlich selbsttäuschend se“ in Vergessenheit geraten ist. Das Buch zeigt Zeichnun- ... Was ich versuche zu erreichen, ist die Frage der Verantwortung. Ich gen und Fotos vom „Grippegesicht“, das erste, deutliche habe die Bombe nicht fallen lassen [die vier schwarze Schulmädchen in Hinweise biete, dass es sich eben nicht um eine banale Birmingham getötet hat]. Und ich habe nie jemanden gelyncht. Ich bin je- Erkältung handelt. Deshalb verbiete sich für den Arzt eine doch nicht verantwortlich für das, was passiert ist, sondern für das, was telefonische Diagnose. Weitere Unterschiede: Bei Grip- passieren kann. pe treten Unwohlsein und Abgeschlagenheit „wie aus dem Baldwin engagierte sich in der Bürgerrechtsbewegung und vor allem ge- Nichts“ auf. Die Krankheit ist meist mit hohem Fieber, Frö- gen den Rassismus. Seine Reden und Essays hatten großen Einfluss, al- steln oder Schweißausbrüchen, Muskel- und starken Kopf- len voran seine Schrift The Fire Next Time, in der er, von persönlichen Er- schmerzen verbunden. Die Patienten sind häufig licht- und fahrungen ausgehend, die rassistische Struktur und die sexuelle Doppel- geräuschempfindlich. Dagegen tritt Schnupfen – anders als moral der US-amerikanischen Gesellschaft analysierte. Im Unterschied bei der Erkältung – nur selten und milde auf. zu anderen afroamerikanischen Schriftstellern der 1950er- und 1960er- Jahre bewahrte Baldwin zumeist seinen Optimismus, dass sich die eth- Udo K. Zoll nischen Konflikte in den USA, wenn auch mit großer Kraftanstrengung, langfristig überwinden ließen. Udo K. Zoll 6
Corona Fehlalarm? Zahlen, Daten und Hintergründe Goldegg Verlag 2020 /Tb 159 S./15€ Seit Monaten wird das Thema „Corona“ in den Vordergrund gehievt, als ob wir keine anderen Probleme mehr hätten. Umgekehrt proportional dazu der Wissensstand in weiten Teilen der Be- völkerung. Wie gefährlich ist das Virus? Schutz- masken: Sinn oder Un- sinn? Mortalität und Le- talität? Wo liegt der Un- terschied? Coronatest und Antikörper-Test: was wird gemessen? Spezifität und Sensitivität? Wie sind die statistischen Kennzahlen zu bewerten? Wie entsteht Immu- nität? Was genau ist Kreuzimmunität? Dann die Gretchchen- frage: wie hältst du´s mit der Impfung? Und manchmal über- lebenswichtig: wie schütze ich mich am besten? Keine Frage: ein „Krieg“ ist ausgebrochen, ein Krieg gegen einen elektronen-mikroskopisch kleinen Feind. Was als Er- stes auf der Strecke bleibt, ist die Wahrheit. Mit „Corona-Fehlalarm?“ ist jetzt ein Fachbuch erschienen, das fundiert und sachlich wichtige Fragen beantwortet. Prof. Dr. Sucharit Bhakdi ist Facharzt für Mikrobiologie und Infektionsepidemologie, hat in Mainz jahrzehntelang Ärzte in Virologie ausgebildet. Co-Autorin Prof. Dr. rer. nat. Kari- na Reiss forscht und lehrt in Kiel (Biochemie, Infektionen, Zellbiologie u. Medizin). Was dieses Buch auszeichnet ist die leicht verständliche Sprache, in der wichtige Fragen zum Thema Corona be- antwortet werden, sachlich, präzise und überzeugend. 208 Internet-Links bieten die Möglichkeit, die angegebenen In- formationen zu überprüfen und sein Wissen zum Thema Corona bzw. Corona-Politik zu vertiefen. Ich habe sehr viel aus diesem Buch gelernt und selten hat es mir so viel Freu- de bereitet. Sehr empfehlenswert! adidobler Aktuelle Infos zur Corona-Pandemie in Deutschland finden Sie unter https://www.bundesregierung.de/ breg-de/themen/coronavirus“ 7
Debatte Das temporäre Betretungsverbot des Grieser Spitz und der Jahninsel - Konflikt, der die Geister spaltet Es ist ein jahrzehntealter Konflikt: Die beiden öffentlichen Regensburger Grünflächen, der Grieser Spitz und die Jahninsel, sind beliebte Aufenthaltsbereiche ohne Kon- sumzwang für jung und alt. Gleichzeitig fühlen sich beson- ders die Anwohner, aufgrund des nächtlichen Lärms und des Mülls belästigt. Nun ist es beschlossene Sache: Bis zum 31. Oktober 2021 ist das Betreten des Grieser Spitz und der Jahninsel von 23 bis 6 Uhr verboten. Zusätz- lich darf zu keiner Zeit elektronisch verstärkte Musik gespielt werden. Da in den letzten Monaten deutlich wurde, schen in dieser Stadt durchaus verstehen, dass es nicht darum wie emotional aufgeladen die Situation ist, wurde mit geht, wo ich mich rücksichtslos verhalte, sondern ob. Und ich Vertreter*innen der Pro- und Contra-Seite dasselbe Inter- denke, dass die Menschen in dieser Stadt in großer Mehrzahl view geführt, um die Argumente beider Seiten zu hören. in ihrem eigenen Umfeld den Müll nicht einfach liegen lassen und Rücksicht auf ihre Nachbarn nehmen. Und warum sollte ich Die Pro-Seite zu dem temporären mich in meiner Stadt anders verhalten als bei mir daheim? Betretungsverbot vertritt Thomas Burger, Fraktionsvorsitzender der 5. Menschenmassen sollten ja zu Zeiten einer Pandemie SPD im Regensburger Stadtrat und entzerrt werden. Führt die Schließung öffentlicher Plätze damit Teil der Regensburger Regie- nicht dazu, dass sich mehr Menschen auf den übrigblei- rungskoalition. benden öffentlichen „Treffpunkten“ wie dem Bismarckplatz sammeln werden? 1. In Regensburg gibt es, zumindest Die eigentliche Frage ist doch, warum man sich nach Ansicht zentral, nicht viele Kulturräume ohne so vieler nur noch auf großen Flächen treffen könne. Muss wirk- Konsumzwang. Wie wichtig sind lich alles ein Event sein? In extremen Ausnahmefällen wie der diese Orte für die Gesellschaft? Corona-Krise verlieren einige ihren Job, haben kein Einkom- Kulturräume ohne Konsumzwang sind wichtig für ein gutes men mehr oder müssen mit deutlichen Einschränkungen klar- Leben und Zusammenleben in einer Stadt. Das fängt schon bei kommen. Wie mag auf solche Menschen wirken, dass andere einfachen Dingen wie Sitzgelegenheiten an. als größte Sorge zu haben scheinen, einen großen Platz für Feier-Events zu haben? Aus meiner Sicht eine problematische 2. Gibt es Ihrer Meinung nach auch andere Möglichkeiten, Schieflage, die aber auch verdeutlicht, wie extrem unterschied- als eine nächtliche Schließung, um den Konflikt zwischen lich die Betroffenheit durch die Corona-Krise ist: Von existenziell den Anwohnern und den Menschen, die sich auch nachts bis unkomfortabel. auf beiden Grünflächen aufhalten wollen, zu lösen? Unsere Naherholungsflächen sind keine Restmülldeponie und 6. Laut der Grünanlagensatzung der Stadt Regensburg ist keine Partymeile. Und gerade die „Fridays for Future“-Bewegung unter anderem auf dem Grieser Spitz und der Jahninsel sollte doch erst wieder verdeutlicht haben, wie wichtig der res- bereits der Gebrauch von Rundfunk- oder anderen Tonwie- pektvolle Umgang mit Natur und Umwelt ist. Es gab in den letz- dergabegeräten und Musikinstrumenten von 22.00 Uhr bis ten Jahren viele Anstrengungen wie „Fair feiern“, durch Bewusst- 07.00 Uhr verboten. Man könnte sich doch also darauf kon- seinsbildung und Dialog zu positiven Veränderungen zu gelan- zentrieren, diese bestehenden Regeln durch örtliche Polizei gen. Leider verschärfte sich die Situation weiter, in der jüngeren durchzusetzen. Wieso könnte dieser Ansatz das Problem Vergangenheit wurden bereits mehrere Räumungen notwen- (nicht ) lösen? dig. Ich selbst bin wirklich kein Freund von Verboten. Nun aber Ordnungskräfte haben berichtet, dass der Vollzug aufgrund braucht es ein klares Zeichen, zumindest vorübergehend. verschiedener Randbedingungen schwierig und aufwändig ist. Zudem ist nicht immer einfach zu klären, wer gerade zu laut 3. Sollte das Verständnis gegenüber den geschädigten Ein- war, zu betrunken ist oder diesen oder jenen Müll gerade fallen wohnern im Fokus stehen oder ist man auch selbst schuld, hat lassen. Eine ständige massive Polizeipräsenz kann aus wenn man in den attraktivsten Lagen Regensburg wohnt? meiner Sicht auch nicht das Ziel sein. Ich denke, man schießt nicht übers Ziel hinaus, wenn man in seinem Garten keine Auswahl verschiedener Ausscheidungen 7. Welche positiven/ negativen Folgen sehen Sie bei der haben oder in der Nacht schlafen möchte. Natürlich kann ich in Schließung der beiden Grünanlagen? der Stadt nicht dasselbe Maß an Ruhe erwarten wie auf dem Auf der Tagesordnung steht derzeit nur ein zeitlich begrenztes Land. Aber die Balance sollte stimmen. Und eine Stadt lebt Betretungsverbot – und dies auch nur für einen begrenzten von einer guten Mischung an Menschen, die in ihr leben und Zeitraum. Als deutliches Signal. Ich erhoffe mir als positiven wohnen. Miteinander. Effekt ein gestärktes Bewusstsein, dass unsere lebens- und lie- benswerte Stadt vor allem durch das Miteinander der Menschen 4. Die Hauptprobleme sind ja der Müll und die Lautstärke. getragen wird. Zudem erhoffe ich mir eine zunehmende Sensi- Aber können diese Probleme wirklich gelöst werden, indem bilisierung für den Schutz und Erhalt unserer Umwelt. Und ich man den Grieser Spitz und die Donauinsel schließt, oder wünsche mir, dass in der verbalen Auseinandersetzung wieder würden sich diese Probleme nur verschieben? abgerüstet wird: Es geht hier weder um die bevorstehende Zum einen geht es um ein klares Signal und um leicht zu voll- Abschaffung des Rechtsstaats noch um die Errichtung eines ziehende Rechtsgrundlagen. Zum anderen ganz praktisch um militärischen Sperrgebiets. Es geht lediglich um eine Änderung den Schutz der Naherholungsflächen. Ich denke, dass die Men- der Grünanlagensatzung. 8
Die Contra- Seite zu dem temporä- Ich wohne in der Nähe einer stark befahrenen Straße und fordere ren Betretungsverbot vertritt Anna auch nicht, dass in der Nacht dort keine Autos mehr lang fahren Hopfe, Stadträtin und stellvertre- dürfen. Jede Wohnlage hat ihre Eigenheiten. Natürlich sollten tende Fraktionsvorsitzende von auch die Anwohner*innen an den Donauufern schlafen können Bündnis 90/Die Grünen im Regens- und ich habe absolutes Verständnis für ihre Beschwerden, wenn burger Stadtrat. nachts die Donauinsel durch riesige Musikboxen beschallt wird. Aber das ist doch seit Wochen nicht mehr die Realität. 1. In Regensburg gibt es, zumindest zentral, nicht viele Kulturräume ohne 4. Die Hauptprobleme sind ja der Müll und die Lautstärke. Konsumzwang. Wie wichtig sind Aber können diese Probleme wirklich gelöst werden, indem diese Orte für die Gesellschaft? man den Grieser Spitz und die Donauinsel schließt, oder Orte, an denen sich die Menschen niederlassen können, ohne würden sich diese Probleme nur verschieben? dafür Geld bezahlen zu müssen, sind essenziell, besonders für Diejenigen, die sich an Sommerabenden draußen treffen oder Regensburger*innen, die in kleinen Wohnungen, WG-Zimmern feiern wollen, werden das auch nach der Sperrung der Jahnin- oder Studentenwohnheimen leben. Es liegt auf der Hand, dass sel und des Grieser Spitz tun, das ist doch klar. Die Verschie- es sich in einem 10m2-Zimmer im Corona-Sommer schwer bung des Problems findet ja bereits statt, zum Beispiel Rich- aushalten lässt. Die Menschen brauchen die städtischen Grün- tung Neupfarrplatz. Hier zeigt sich, wie fatal es ist, dass die anlagen und andere Orte ohne Konsumzwang. Viele meiner Stadtspitze die Entscheidung über das Betretungsverbot im Freund*innen, die in einer kleinen Wohnung leben, bezeichnen Ferienausschuss forciert, ohne eine Lösung für die Menschen die Jahninsel und das Donauufer als ihr Wohnzimmer. vorzulegen, die durch das Betretungsverbot verdrängt werden. Von den wenigen Vorschlägen für alternative Flächen hat mich 2. Gibt es Ihrer Meinung nach auch andere Möglichkeiten bisher noch keiner überzeugt. als eine nächtliche Schließung, um den Konflikt zwischen den Anwohnern und den Menschen, die sich auch nachts 5. Menschenmassen sollten ja zu Zeiten einer Pandemie auf beiden Grünflächen aufhalten wollen, zu lösen? entzerrt werden. Führt die Schließung öffentlicher Plätze Es ist ein Eingeständnis der eigenen Unfähigkeit, Lösungen nicht dazu, dass sich mehr Menschen auf den übrigblei- zu finden, dass die Koalition im Stadtrat die Jahninsel und den benden öffentlichen „Treffpunkten“ wie dem Bismarckplatz Grieser Spitz künftig jede Nacht sperren lassen will. Die Flä- sammeln werden? chen sollen jeden Abend um 23 Uhr komplett geräumt werden In der aktuellen Corona-Zeit sind wir alle angehalten, unser und bis 6 Uhr darf sich dort niemand mehr aufhalten. Außer- Sozialleben so weit wie möglich im Freien stattfinden zu lassen, dem hat die Stadtspitze angekündigt, dass das Abspielen elek- da hier die Infektionsgefahr niedriger ist. Sollte das Betretungs- trisch verstärkter Musik künftig auf allen städtischen Grünflä- verbot durchgesetzt werden, stellt sich die berechtigte Frage: chen rund um die Uhr verboten werden soll! Wo sollen die Menschen hin, die kein eigenes Grundstück mit Bevor solche extreme Maßnahmen überhaupt zur Debatte Garten besitzen? Der Vorschlag von Koalitionär Janele, die stehen, erwarte ich mir eine ernsthafte Suche nach ande- Jugendlichen sollten die Gärten ihrer Eltern zur Abendgestal- ren Lösungen. Ich kann nicht sagen, dass dies in den letzten tung nutzen, ist absolut realitätsfern und versucht, das Problem Monaten stattgefunden hat und bin der Meinung, dass die ins Private zu verschieben. Von Regensburgs Umweltbürger- Möglichkeiten zur Entspannung der Situation nicht ausge- meister Ludwig Artinger kommt der Vorschlag, andere städti- schöpft wurden. Auch die öffentliche Debatte drehte sich vor sche Grünanalagen für die Abendgestaltung zu nutzen. Auch allem um Verbote und das Schreckgespenst der rücksichtslo- dieser Vorschlag kann kein ernstgemeintes Alternativkonzept sen Regensburger Jugend, aber eine ernsthafte Suche nach darstellen: Bei anderen städtischen Grünanlagen mangelt es kreativen Lösungen oder Alternativen für die Abendgestaltung häufig an guten Verkehrsanbindungen, einem Sicherheitsgefühl der Menschen blieb aus. und einem Versorgungsangebot. 3. Sollte das Verständnis gegenüber den geschädigten Ein- 6. Laut der Grünanlagensatzung der Stadt Regensburg ist wohnern im Fokus stehen oder ist man auch selbst schuld, unter anderem auf dem Grieser Spitz und der Jahninsel wenn man in den attraktivsten Lagen Regensburg wohnt? bereits der Gebrauch von Rundfunk- oder anderen Tonwie- Ich bin der Meinung, dass die Anwohner*innen in dieser Wohn- dergabegeräten und Musikinstrumenten von 22.00 Uhr bis lage keine komplette Stille rund um die Uhr einfordern können. 07.00 Uhr verboten. Man könnte sich doch also darauf kon- zentrieren, diese bestehenden Regeln durch örtliche Polizei durchzusetzen. Wieso könnte dieser Ansatz das Problem (nicht ) lösen? Es ist eine Tatsache, dass die aktuell geltenden Regelungen viel zu wenig bekannt sind. Selbst in meinem Freundeskreis, den ich als kommunalpolitisch durchaus interessiert und infor- miert bezeichnen würde, kennen die wenigsten die genauen Inhalte der städtischen Grünanlagensatzung. Es wäre ein erster Schritt gewesen, durch Schilder oder Banner auf der Jahninsel und am Grieser Spitz auf das geltende Musikverbot ab 22 Uhr aufmerksam zu machen. 7. Welche positiven/ negativen Folgen sehen Sie bei der Schließung der beiden Grünanlagen? Ich sehe keine positiven Konsequenzen der Betretungsver- bote. Selbst aus Sicht der Anwohner*innen kehrt eventuell in bestimmten wenigen Lagen mehr Ruhe ein, während andere Teile der Stadt, besonders die historische Altstadt, am Abend verstärkt frequentiert sein werden. Insgesamt ist das Betre- tungsverbot ein Tiefschlag gegen die Jugend unserer Stadt und eine Absage an den Dialog. Die Interviews führte Lena Kerschensteiner 9
Freie Meinung Bella Italia in Ratisbona … Es gibt nicht viele Städte, welche solch eine wunderschöne Altstadt haben: Schmale, verwinkelte romantische Gassen, Patriziertürme, beeindruckende Piazze, ausladende und zum längeren Verweilen einladende Grünflächen und Parkanlagen, bemerkenswerte Aufent- haltsorte und Aussichten an den Donauufern. Eine große Dichte von Gaststätten, Cafés, Restaurants und Bars, die die Straßen säumen. Zudem ein pulsierendes Nachtleben. Regensburg wird nicht ohne Grund das Attribut „nördlichste Stadt Italiens“ zugeschrieben. Das einzigartige mittelalterliche Ensemble ruft urbane Gefühle wie im mediterranen Süden hervor. Ein ganz besonderes Flair bietet Re- gensburg in den Sommermonaten. Vor den Lokalen Sitzgelegen- Doch es gibt auch kritische Stimmen bis hin zur kompletten Ableh- heiten in alle denkbaren Varianten. Kreative Farbtupfer und -flächen nung der neuen „Normalität“. Während bei zahlreichen Regensbur- inmitten der Häuserlandschaften. In der warmen Jahreszeit zieht es gern die Begeisterung nicht zu bremsen ist und sie sich wünschen, die Menschen zahlreich nach draußen, - während des Lockdowns dass die neuen Verhältnisse andauern mögen, sehen andere mit noch viel mehr. Diese erweiterte Freisitzregelung ist ausschließlich Distanz auf das Treiben, vor allem die, welche persönlich betroffen dem Corona-Ausnahmezustand geschuldet. Ein Schelm, wer dazu oder dadurch eingeschränkt werden. Mit der Freisitzerweiterung anmerkt, dass man auf diese Ideen auch schon vor Corona hätte ist es zum Wegfall von 63 Anwohnerparkplätzen in der Altstadt ge- kommen können. kommen. Die Anwohner kurven heuer noch länger als vor Corona Durch die Ausfälle während der Monate März bis Juni 2020 muss- mit ihren Pkw suchend herum. Überdies gab es leider auch schon ten die Gastronomen enorme Einbußen verzeichnen. Zudem kommt zuvor deutlich zu wenig ausgewiesene Parkplätze und das Ver- jetzt noch die Abstandsverordnung hinzu. Durch die großzügig er- hältnis von ausgegeben Anwohnerparkausweisen zu nutzbaren weiterte Freisitzregelung hat die Stadt gegenüber der Gastronomie Stellflächen liegt bei etwa 3:1. großes Entgegenkommen gezeigt. Inzwischen haben auch Cafés, Schnellimbisse und Restaurants Freisitze, die ihnen aus Platz- und Durch die merkliche Erweiterung der Freisitzzonen stöhnen auch Verkehrsregelungsgründen zuvor nicht zugebilligt wurden. Italieni- jene, deren Fenster auf die betroffenen Plätze und Gassen hin- sches Lebensgefühl pur stellt sich ein, wenn man durch die Stadt ausgehen. Es bleibt nicht aus, dass gerade in den engen Gassen schlendert. Komplette Sitz-Ensembles entlang der Fassade der zusätzliche Lärmkulissen entstehen. An den warmen Sommer- Dreieinigkeitskirche erstaunen die Alt-Regensburger und erfreuen abenden ist hier vor 23 Uhr und darüber hinaus an Nachtruhe nicht die Touristen. Die Keplerstraße hat durch die zusätzliche Bestuh- zu denken. Schwierigkeiten gibt es immer wieder bei den Anliefe- lung gewonnen, dafür sind an anderen Plätzen zum Teil deutliche rungen. Sowohl die Wirte als auch die zahlreichen Gäste würde Engpässe für Auto- und Fahrradfahrer sowie Fußgänger entstanden. sich diese erweiterten Freisitze als Dauerlösung wünschen. Sie sind auch ein Zeichen für eine junge, weltoffene, tolerante, inter- Die Obere und Untere Bachgasse sind beidseits flankiert mit Tisch- nationale Stadt und bieten Raum für diverse Begegnungen. Sie und Stuhlreihen und wirken wie Inseln der Erholung inmitten des symbolisieren ein vitales hektischen Einkaufstrubels. Aufgewertet wurde die Obermünster- straße, die seit langem im „Dornröschenschlaf“ dahindämmert, mit Lebensgefühl und werten die Innenstadt auf. Für die expandieren- drei Holzterrassen, gefällig mit Pflanzen und Sonnenschirmen aus- den Freisitzgelegenheiten ist angedacht, dass diese künftig auch gestattet. Besonders gelungen sind die zusätzlichen Freisitze vorm in den Wintermonaten durch das genehmigte Aufstellen von Heiz- ‚Leeren Beutel‘, wo sich gleich mediterrane Atmosphäre und Gelas- pilzen genutzt werden können. senheit einstellt, wenn man sich unter den aufgestellten Palmen und Sonnenschirmen niederlässt. Wer hier Platz nimmt, scheint beinahe Liane Kemper-Gomotso zu vergessen, dass er nicht in Süditalien unterwegs ist. 10
Wie geht es psychisch Kranken seit dem Lockdown? Peter S. ist chronisch krank. Er leidet seit Jahren an starken Menschen wie Peter. Er bekommt am 17. März einen Anruf, Depressionen – ausgelöst durch traumatische Erfahrungen dass Arbeits-, Gruppen- und Sporttherapien bis auf weiteres in der Kindheit – und wurde nach mehreren zermürbenden nicht mehr stattfinden. Seine Psychotherapeutin kann er wei- depressiven Phasen arbeitsunfähig. Fünf stationäre Aufent- terhin wöchentlich sprechen, allerdings per Telefon oder Vi- halte waren bislang nötig, weil sich die Symptome der De- deotelefonie. Peter ist zu diesem Zeitpunkt, wie die meisten pression stark verschlechterten. Anfang des Jahres 2020 hat anderen auch, voller Angst vor dem unbekannten Virus. Diese Peter eine bessere Phase. Mit Familie und Freund*innen im Angst verstärkt seine depressiven Symptome, die ambulanten Hintergrund kann er seinen Haushalt eigenständig führen, Therapieangebote und eine feste Struktur bräuchte er in die- einkaufen, kochen, putzen, sich um Papierkram kümmern. sem Moment mehr als zuvor. Doch bis auf das wöchentliche Und hat trotz der depressiven Symptome auch gute, zuver- Gespräch mit seiner Therapeutin hat Peter nun keine thera- sichtliche Stunden, die sein Leben lebenswert machen. Sei- peutische Unterstützung mehr. Er lebt allein, hält sich an die ne psychische Stabilität verdankt er auch mehreren ambulan- Vorschriften und hat keinen persönlichen Kontakt zu Familie ten Therapiemaßnahmen am Bezirksklinikum. Sie geben ihm und Freund*innen mehr. Kontakte über Telefon zu halten fällt Struktur, zwingen ihn aufzustehen und Kontakt zu Mitmen- ihm schwer, bald bestimmt der Rückzug seine Tage. Die Zu- schen zu haben, auch wenn ihn die Hoffnungslosigkeit im kunft scheint ihm grau und düster zu sein, er hat starke Ängs- Bett halten will. Er lernt dort, wie er mit den Symptomen der te. Peter kann das Bett nur schwer verlassen, traut sich kaum Krankheit umgehen und sie abschwächen kann, tauscht sich in den Supermarkt. Ihm bleibt wenig Kraft, sein Essen zuzu- mit anderen Betroffenen aus. Insgesamt fünfmal die Woche bereiten oder die Wohnung sauber zu halten. Die düsteren fährt er mit dem Bus Richtung Uni, geht noch ein paar Schrit- Gedanken werden mehr, die negativen Gefühle stärker, die te bis zum Klinikgelände. Einmal wöchentlich hat er dort Psy- Abwärtsspirale dreht sich. In der wöchentlichen Therapie wird chotherapie, zweimal Ergotherapie, einmal Gesprächsthera- das besprochen. Peter versucht daraufhin, seinen Alltag zu pie in der Gruppe und danach im Rahmen der Sporttherapie strukturieren, doch es gelingt ihm nur selten. Auch das schöne Fußball. Bis zum 16. März 2020 war das sein Alltag. Bis zu Wetter bringt ihn nicht dazu, sich an der frischen Luft zu bewe- dem Tag, an dem in Bayern der Katastrophenfall ausgerufen gen. Zu sinnlos scheint ihm mittlerweile jede Aktivität zu sein. wurde. So wie Peter ging es in Regensburg vermutlich sehr vielen Jetzt ist Juli 2020. Dramatische Szenen wie in Italien, Spa- psychisch Erkrankten. Auch wenn sich das Bezirksklinikum nien oder New York sind uns im Rahmen der Verbreitung Regensburg, sozialpsychiatrische Dienste, Vereine und Sucht- von Covid-19 bislang glücklicherweise erspart geblieben. In beratungsstellen bemühen (siehe Artikel „Unterstützung und Deutschland standen jederzeit genügend Intensivbetten zur Nähe – bei notwendiger Distanz“, Donaustrudl 254, Mai 2020): Verfügung, keine Ärztin und kein Arzt musste eine sogenann- Die Versorgung vieler ambulanter Patient*innen war und ist te Triage-Entscheidung, also eine Entscheidung über Leben nicht ausreichend, das Leid vieler Erkrankter unermesslich. und Tod, treffen. Zu verdanken ist dies u.a. den Lockdown- Am Bezirksklinikum finden auch jetzt (Stand: Anfang Juli) nur Maßnahmen oder vielmehr allen, die sich diszipliniert verhiel- wenige Gruppentherapien (unter strengen Auflagen) statt, ten und noch verhalten. Sport- und Gesprächstherapien in der Gruppe entfallen wei- terhin. Während in Fitness-Studios und Sportvereinen längst Vier Monate später ist es nun allerdings immens wichtig, wieder trainiert werden darf, steht die Turnhalle auf dem weit- möglichst umfassend auf die Kollateralschäden des Lock- läufigen Gelände des Bezirksklinikums auch fast vier Monate downs zu blicken. Nicht um die Maßnahmen generell in Fra- nach dem Lockdown nicht für ambulante sporttherapeutische ge zu stellen oder pauschal zu verurteilen, sondern um im Angebote zur Verfügung. Falle eines erneuten Anstiegs der Infektionen differenzierte Maßnahmen für die unterschiedlichen gesellschaftlichen Peter kann zumindest wieder in die Ergotherapie, das hilft ihm. Bereiche festsetzen zu können. Und auch um das Leid der Unter den Verschlechterungen seines psychischen Zustan- Menschen sichtbar zu machen und anzuerkennen, die von des, bedingt durch den Lockdown und die Einschränkung des diesen Kollateralschäden stark betroffen waren und zum Teil Therapieangebots, wird er wohl noch einige Zeit leiden. immer noch sind. Arno Nühm 11
Rassismus Fotos: Herbert Baumgärtner 12
Rassismus Woher kommt „Rassismus“? Welche Logik verbirgt sich dahinter? Hat der auch was mit mir zu tun? Rassismus scheint mir ein immerwährend, zumindest latent vor- handenes Gefühl in einer Gesellschaft, das durch eine Kette von Ereignissen akut losgetreten, neu entdeckt oder auch verschärft werden kann und in gewissen Phasen von Einzelnen sowie Grup- pen für ihre Zwecke besetzt bzw. benutzt wird. Eine grundsätzliche Logik des jeweils aktuell aufkeimenden Phä- nomens erschließt sich nicht nur nicht dem jeweiligen Gemeinwe- sen, sondern auch durchaus sog. Experten. Das heißt, wenn es dumm läuft, ist es gefühlt schon zu spät … Wenn ich also unterstelle, dass das Wesen des „Rassismus“ zum Menschen gehört, als eine seit Generationen und in Sippen ange- eignete und in Wellen-Form eingeübte Verhaltensweise, so lässt sich schon ahnen, wie schwierig es ist, dieser beizukommen, ge- schweige denn, sie vorher zu begreifen, um gegensteuern zu kön- nen. vIch selbst begreife das annähernd im Vergleich zu Glutnestern, bei denen du dennoch überrascht wirst, dass urplötzlich da und dort wieder eines aufflammt. Jetzt müssten wir uns umso mehr bei solch tumben (längst überholten und durch nichts, wirklich nichts haltbaren) Gedankenwelten bewusst werden, ob es überhaupt ei- nen Sinn macht, die menschliche Spezies in Rassen einzuteilen. Dieser Sinn scheint mir seit Jahrhunderten völlig ad absurdum da- hingehend widerlegt, dass die ersten Vorfahren unserer Region als dunkelhäutig bezeichnet werden können und mit höchster Wahr- scheinlichkeit auch müssen. So kommt längst die Mehrheit der An- damit automatisch verdächtig ist, uns zu schaden. Der Ursprung thropologen zu dem Ergebnis, dass die Einteilung der Menschheit „des Rassismus heutigen Kalibers“ lässt sich jedoch eindeutig in Rassen abzulehnen sei. Der Mensch ist also biologisch per se auf die Kolonisierung Afrikas und Südamerikas zurückführen. Die eine Rasse. Versklavung von Millionen Afrikanern zur Rohstoff-Ausbeutung der eroberten Gebiete führte bei den europäischen Mächten zu Warum hat das Phänomen des Rassismus dennoch in gewissen dem Gefühl einer moralischen und zivilisatorischen Überlegen- Regelmäßigkeiten Dauerkonjunktur? Für mich die einzige Erklä- heit der „weißen Rasse“. Die Nationalsozialisten machten sich rung: Sie bietet so schön die Möglichkeit, in Gut/Schlecht oder die „Idee der erblich bedingten Überlegenheit“ für ihre grausame Schwarz/Weiß bis Freund/Feind einzuteilen. Aber woher kommt und menschenunwürdige Vernichtungspolitik zunutze. Ach ja: Wir dieses impulshafte Verlangen nach dieser Ab- und Ausgrenzung Deutschen mussten über viele Jahre hinweg „Arier-Nachweise“ und wem nützt sie? beurkunden lassen, ohne zu checken, dass wir wirklich nichts, aber auch rein gar nichts mit den sog. Ariern zu tun haben. Weiß Vorneweg: Sie nützt auf jedem Fall nicht dem Einzelnen! Ich denke Gott, was da noch für seltsame Spielchen im Hintergrund stattge- da eher an das Bild der „Rattenfänger“. Irritierend dabei: Die Rat- funden haben und in Folge dem „braven Deutschen vorgegaukelt“ tenfänger – wenn ich mir die Zeit vor beinahe 100 Jahren ansehe wurden. Leider haben sich ganze Institutionen, wie z. B. unsere – gehören durchaus der eher sog. gebildeten Schicht an. In mei- christlichen Kirchen, auch nicht wirklich mit Ruhm bekleckert. Und nem Bild benutzen sie also quasi die offensichtlich leicht lenkbaren mit dem entflammten Begriff des „Fliegenschiss in der Mensch- und aufstachelbaren einfachen Gemüter der „geschundenen und heitsgeschichte“ wird nichts anderes gezeigt, als dass auch bei missbrauchten Bürger“. Das reicht dann von „Ausländerzustrom“ uns die Gedankenwelt des Rassismus immer wieder aufzukeimen über „Hartz IV“ bis „ungerechte Rentenzustände“ – aktuell sogar scheint. Und dabei reden wir noch gar nicht von anderen Ländern „Einschränkungen demokratischer Grundrechte wegen Covid 19“. oder Kontinenten, auf die man so gerne – nicht unberechtigt – mit Wichtig sind dabei keine Fakten, sondern schwammige Phrasen, dem Finger zeigen möchte, um von eigenem Verhalten oder Ver- die dynamisch und lauffeuerartig die Runde bei den Mitmenschen säumnissen abzulenken. Das soll aber auch für jeden Einzelnen machen, die aktuell – egal aus welchen individuellen Gründen – von uns gelten, denn wie schnell sind wir tagtäglich in der Gefahr, dafür offen sind. über Andere, über anderes Verhalten „den Stab zu brechen“, nur weil es nicht in unsere kleine Welt zu passen scheint… Ich weiß, Zurück zur Grundfrage: Woher kommt denn dann der „Rassis- als Gemeinschaft, als Teil unseres Gemeinwesens – nicht zuletzt mus“, wenn es menschliche Rassen offensichtlich gar nicht gibt? als Nation – ist es eine große Herausforderung, jetzt und immer Wissenschaftlich ist – wie bereits beschrieben – längst bewiesen, wieder Wege aus der rassistischen Gedankenwelt zu finden. Aber dass alle Menschen denselben Ursprung haben. Woher rührt der letztendlich fängt alles bei uns selber an. Ich muss ja nicht bei- immerwährende Drang, „anders aussehende Menschen anderen pflichtend lachen und akzeptieren, wenn jemand beim Fußball- Rassen“ zuzuschreiben, die auch noch von „unterschiedlichem spiel einen Gorilla nachäfft, nur um einen Spieler mit einer anderen Wert“ sein sollen? Hautfarbe zu verhöhnen. Manchmal denke ich mir: Was werden wohl so manche Tiere über uns Menschen denken? Es mag zwar immer schon in uns Menschen vorherrschen, dass „das Andere, Unbekanntere, weiter Entfernte“ eher exotisch und Herbert Ehrl 13
Der Donauraum und die bayerischen Kolonialphantasien Kolonialismus in Regensburg klingt zunächst nach einer sehr ab- ten weitere Mitglieder der DKG und auch einige bayerische Land- wegigen Idee. Bayern liegt schließlich weder am Meer, noch gibt tagsabgeordnete eine Erschließung des donauabwärts gelege- oder gab es bekannte Handelsunternehmen und –flotten wie bei- nen Raumes bis zum Schwarzen Meer, womit vermutlich auch spielsweise die East India Company in Großbritannien. Dennoch die Hoffnung auf ein Wiedererstarken des damals einbrechen- war um die Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jahrhundert in den Donauhandels verbunden war. Auch der aus Regensburg Regensburg ein Verein namens „Deutsche Kolonialgesellschaft“ stammende spätere bayerische Ministerpräsident Heinrich Held (DKG), welcher in ganz Deutschland anzutreffen war, aktiv. Dieser (1924-1933) propagierte die Donau als „Weltwirtschaftsbrücke plante sogar ein Kolonialmuseum in Regensburg. Auch versuch- des ersten Ranges bis zum persischen Golf“. In der von ihm he- ten einige Akteure den südosteuropäischen Raum entlang der rausgegebenen Zeitschrift „Freie Donau“ sah man die Donau als Donau stärker wirtschaftlich zu nutzen und fühlten sich den dort Wegweiserin des deutschen Machtgedankens nach Osten. Held ansässigen Völkern überlegen. In der DKG gab es also durchaus betrachtete es als gottgewollt, dass Bayern als vermeintlichem Stimmen, die Regensburg als den Ausgangspunkt für eine südost- Herrscher über die Donaugebiete historisch eine besondere Auf- europäische Expansionspolitik nutzen wollten. Diese wirtschaftli- gabe zukomme. Das Ziel war also, Regensburg als Ausgangs- che Erschließung des heutigen Ungarns, Bulgariens, Rumäniens punkt eines neuen Wirtschaftsraumes zu etablieren, der das vom und anderer Anrainerstaaten der Donau war also mit einem Über- Meer abgekapselte Bayern mit dem Schwarzen Meer verbinden legenheitsgedanken der Mitglieder des DKG verknüpft, den man sollte und zusätzlich den Handel mit den donauabwärts gelege- durchaus rassistisch nennen darf. An dieser Stelle macht es Sinn, nen Staaten fördern sollte. Dabei schwangen bei einigen nicht Kolonialismus genauer zu definieren: Kolonialismus beschreibt nur die als weniger problematisch anzusehenden wirtschaftlichen die wirtschaftliche Ausbeutung anderer Regionen außerhalb des Aspekte mit, sondern auch ein durchaus rassistisches Überle- eigenen Staates und ist mit einem Überlegenheitsgedanken ver- genheitsgefühl gegenüber südosteuropäischen Völkern war bei bunden, der die Unterdrückung anderer Völker rechtfertigt. Bereits vielen Akteuren gegeben. Dieses Denken hatte seinen Ursprung zu Anfang sei auf dieser Basis also festgestellt: Die Überlegungen in der Angliederung Bayerns an das Deutsche Reich. Dabei fühl- der Regensburger Abteilung der DKG kann man als eine Form des ten sich viele Bayern, im Vergleich zu Preußen, von der restlichen Kolonialismus bezeichnen. Welt abgetrennt. Durch die Erschließung des Donauraums sollte Die DKG wurde bereits 1887 in Frankfurt gegründet und hatte so ein Zugang zu den Weltmeeren gegeben sein. Auch die ambi- deutschlandweit Ableger, so auch in Regensburg ab 1898. 120 bis tionierten Kanalbaupläne in ganz Bayern sind auf diese Überle- 130 Mitglieder klingen zwar zuerst nach nur wenigen Personen, gungen zurückzuführen. Ein großer Unterstützer der Stärkung der stellt jedoch im Vergleich zu anderen Städten eine beträchtliche bayerischen Wasserstraßen war Prinzregent Ludwig von Bayern, Anzahl dar. der den im Zuge dieser Pläne gebauten und 1909 fertiggestellten Ein Hauptanliegen des Vereins war es, mithilfe von Kulturgütern Luitpoldhafen in Regensburg einweihte. Mit der Machtergreifung und anderer Gegenstände aus Überseekolonien ein Kolonialmu- der Nationalsozialisten verliefen sämtliche bayerischen kolonia- seum in Regensburg zu errichten und zu betreiben. Die treiben- listischen Bestrebungen im Sande und Regensburg wurde zum de Kraft war Heinrich Zimmerer, Vorsitzender der DKG-Abteilung Schutzwall gegenüber der slawischen Bevölkerung erklärt. Regensburg und Gymnasiallehrer. Dieser plante eine Ausstellung, Es lässt sich also erkennen, dass in Regensburg durchaus kolo- die den einstigen Reichtum, der mit dem im Mittelalter florierenden nialistische Gedanken vertreten waren. Der Zusammenschluss Donauhandel einherging, beleuchten sollte. Mangels finanzieller von Handelsinteressen, Kolonialismus und Orientgedanken stellt Unterstützung wurde dieses Museum jedoch nie realisiert. Zim- eine Regensburger Besonderheit da, da durch den Verlauf der merer sprach außerdem von einer „Zivilisation des Orients“ und Donau die Expansionspläne der Bevölkerung und den Entschei- einer stärkeren wirtschaftlichen Nutzung dieses Raumes, der dungsträgern auch räumlich greifbar gemacht wurden. In weni- gleichzeitig als Puffer zwischen dem christlichem Bayern und dem gen anderen deutschen Städten war ein Orientgedanke so stark islamischen Osmanischen Reich dienen sollte. In einem Artikel in ausgeprägt wie in Regensburg, was man als eine besondere „Die Oberpfalz“, einer historischen und volkskundlichen Zeitschrift, Form des Kolonialismus bezeichnen kann. Rassistische Formu- wurde der Wunschgedanke von Regensburg als dem westlichsten lierungen waren dabei leider keine Seltenheit. Hafen des Schwarzen Meeres formuliert. Neben Zimmerer forder- Maximilian Freundl, Lorenz Nix 14
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