"In Wien kann ich sein, wer ich bin." - Wien.info
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www.wien.info Die Tiefe Kümmernis, KHM Wien, © Paul Bauer 2019 ich sein, wer ich bin.“ „In Wien kann
2 dort nicht nur aufregende Gerichte, sondern kümmert sich auch persönlich um seine Gäste. Und wir erklimmen am Stadtrand Wiens einen Berg aus Mist, auf dessen Gipfel Pinzgauer Ziegen weiden. Die Wirkungsstätten all dieser Wiener Persönlich- keiten sind ihre ganz persönlichen Bühnen des Lebens. Wir laden Sie ein, nicht nur Zuschauer zu sein, sondern selbst zum Akteur zu werden. Begegnen Sie der Tiefen Kümmernis, Jean-Paul, Yun-Jae, Manuela, Michi und all den anderen Protagonisten in Wien. Und werden Sie selbst zum Hauptdarsteller in Ihrem eigenen Stück. Liebe Leserin, lieber Leser, Denn in Wien ist das möglich. Ihr Drehbuch halten wir begegnen rund 100.000 Menschen im Laufe Sie gerade in Händen. unseres Lebens. Doch wie viele Begegnungen bleiben uns in Erinnerung? – Nur jene, die uns The stage is yours. persönlich beeindrucken. In diesem Wien Journal begegnen wir vielen Viel Spaß bei der Lektüre! Wiener Persönlichkeiten: der Dragqueen Die Tiefe Kümmernis, die im legendären Café Savoy bei Schwarzwälder Kirsch und Gemischtem Satz über Wiens LGBT-Community und die bevor- stehende EuroPride spricht. Monsieur Jean-Paul Vaugoin, der mit dem syrischen Silbermeister Yakup Kurter im Hinterhof eines Vorstadthauses Hendlhaxen-Halter für die Königshäuser dieser Welt in Handarbeit fabriziert. Wir blicken hinter die dicken Mauern des Palais Augarten, wo Laurin, Ihr Theo, Yun-Jae und Julian als Wiener Sängerknaben Norbert Kettner mit dem Einstudieren von Haydn, Mozart und Direktor WienTourismus Beethoven, Basketballspielen, Schwimmen und Physikunterricht ihr tägliches Leben verbringen. Bei der Arbeit „über Kopf“ treffen wir Restauratorin Manuela Fritz, die in der Wiener Staatsoper ihrer Passion der Marmormalerei nachgeht, um das Haus am Ring für seinen 150. Geburtstag 2019 herauszuputzen. Michis Arbeitsplatz liegt rund 30 Meter unter der Oper, im Wiener Kanal. Dort, wo ihm schon mal eine Ratte über den Weg läuft. Und wo vor 70 Jahren der Filmklassiker „Der dritte Mann“ gedreht wurde. Chefkoch Wolfgang Zankl begegnen wir direkt am Tisch in seinem Restaurant „Pramerl & the Wolf“. Der Küchenmeister zaubert Medieninhaber: Wiener Tourismusverband, A-1030 Wien, Invalidenstraße 6, www.wien.info · Chefredakteur: Robert Seydel · Text: Susanna Burger, Karoline Gasienica-Bryjak, Helga Gerbl, Susanne Kapeller, Angelika Lechner, Robert Seydel · Lektorat: Renate Hofbauer · Fotorecherche: Elisabeth Freundlinger · Produktion: Hermann Höger, Irmgard Steiner · Art Direction & Layout: seite zwei · Reinzeichnung: Kreativ · Evelyne Sacher-Toporek · Printed in Austria by Ferdinand Berger & Söhne GmbH Alle Angaben ohne Gewähr. Irrtümer und Änderungen vorbehalten. Redaktionsschluss August 2018. Bildnachweise Cover Die Tiefe Kümmernis, KHM Wien © Paul Bauer Seite 2 Porträt Norbert Kettner: © WienTourismus/Peter Rigaud Seite 3 Inhalt siehe jeweilige Seiten Seite 4 Regenbogenparade: © Paul Bauer Seite 5 Die Tiefe Kümmernis, alle Fotos: © Paul Bauer · Mobile Tourist- Info: © WienTourismus/Paul Bauer Seite 6 Jean-Paul Vaugoin: © Stephan Huger/Jarosinski & Vaugoin Seite 7 Robert Comploj: © Stukhard · Glashütte Comploj: © Stukhard · Markus Scheer: © Peter Rigaud/Shotview · Billy TL Lampe Ilse Crawford Edition: © Andrea Ferrari/J. T. Kalmar GmbH · Ulrich: © Christof Wagner · Thonet Stuhl: © Thonet, www.thonet.de Seite 8 150 Jahre Wiener Staatsoper: © Wiener Staatsoper · Opernball: © WienTourismus/Peter Rigaud/Couture Vivienne Westwood Vienna · Oper live: © Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn · Staatsoper Fassade: © WienTourismus/Christian Stemper Seite 9 Restaurierung: © Wiener Staatsoper GmbH/Ashley Taylor · Manuela Fritz: © Florian Mair · Walter Kobéra: © Walter Kobéra/Foto Armin Bardel · Neue Oper Wien: Die Antilope: © Die Antilope/Neue Oper Wien/Foto Armin Bardel Seite 10 Wiener Sängerknaben: © www.lukasbeck.com Seite 11 Wiener Sängerknaben: © www.lukasbeck.com · Bösendorfer, intonieren: © L. Bösendorfer Klavierfabrik/Staudinger + Franke · András Schiff am Bösendorfer: © www.lukasbeck.com · Klimt-Flügel: © L. Bösendorfer Klavierfabrik Seite 12, 13 3. Mann/Kanal: © Rainer Fehringer Seite 14 Loosbar: © WienTourismus/Peter Rigaud · Zum Schwarzen Kameel: © WienTourismus/Peter Rigaud · Susanne Widl: © Deutsch Gerhard/ KURIER/picturedesk.com Seite 15 Stefanie Herkner: © Johannes Kernmayr · Buschenschank Wieninger: © Herbert Lehmann · Wolfgang Zankl (Pramerl & the Wolf): © Paul Bauer · Johannes Lingenhel & Robert Paget: © Ian Ehm · MuseumsQuartier: © WienTourismus/ Christian Stemper Seite 16 Kasematten, Palais Coburg: © Palais Coburg Hotel Residenz · Sammlung alter Musikinstrumente: © KHM-Museumsverband · Restaurant Amador: © Uli Köb · Restaurant Tian: © Ingo Pertramer Seite 17 Flagshipstore Augarten: © Fotografie Walter Luttenberger · J. & L. Lobmeyr: © WienTourismus/Peter Rigaud · Stadtpalais Liechtenstein: © Palais Liechtenstein GmbH/www.oreste.com · Dorotheum: © R. R. Rumpler Seite 18 Das Loft: © WienTourismus/Christian Stemper · BirdYard: © Atelier Olschinsky · Krypt: © krypt./Studio Mato Seite 19 Voodoo Jürgens: © Inés Bacher · Eröffnung Festwochen: © Inés Bacher · Buntspecht: © Alexander Gotter · Wiener Blond: © Theresa Pewal · Popfest: © Brugner/theyshootmusic.com Seite 20 Krieau: © Lichtfeld e.U. Jürgen Schindler Seite 21 Heustadlwasser: © Copyright: MA 42 – Wiener Stadtgärten · Liliputbahn: © Liliputbahn/Hochmuth · Ziegen am Müllberg: © MA 48/Krischanz Zeiler · Barockesel Enyeto: © Schottenhof · Alpaca: © Daniel Kovacs Seite 22 Tourist-Info: © Paul Bauer · Vienna City Card: Kein Copyright · iPad: Kein Copyright Seite 23 Ostereier: © WienTourismus/Christian Stemper · Weihnachtsmarkt Schloss Schönbrunn: © WienTourismus/Christian Stemper · Opernball: © WienTourismus/Peter Rigaud/Couture Vivienne Westwood Vienna · Wiener Eistraum: © stadtwienmarketing/Jobst · viennacontemporary: Galerie Krinzinger © viennacontemporary: A. Murashkin · Vienna City Marathon: © VCM/Leo Hagen · Vienna Major: © Beach Majors_SHM · Ronacher: Bodyguard: © VBW · Musikfilm-Festival Rathausplatz: © WienTourismus/Christian Stemper · Sommernachtskonzert Schönbrunn: © Julius Silver
3 HANDGEMACHT IN WIEN In Wien wird altes Handwerk in vielen Manufakturen noch immer gelebt. Wir stecken die Nase neugierig in die Werkstatt einer Silberschmiede, verbrennen uns fast die Finger an den heißen Öfen einer Glas- bläserei und blicken Schuhmachern bei ihrer ZUR EUROPRIDE 2019 MIT DER minutiösen Arbeit über die Schulter. HAPPY BIRTHDAY, TIEFEN KÜMMERNIS WIENER STAATSOPER! Von 1. bis 16. Juni 2019 findet die EuroPride Eine der wichtigsten Opernbühnen der in Wien statt. Mehr als eine Million Besucher Welt feiert 2019 ihren 150. Geburtstag. werden erwartet. Wir liefern einen ersten Blick Wir beobachten die Restauratorin Manuela auf die Highlights. Und Dragqueen Die Tiefe Fritz, wie sie die Wiener Staatsoper für die Kümmernis zeigt uns jetzt schon ihre Lieb- große Party herausputzt. Und wir werfen lingsplätze in Wien. einen Blick auf Wiens freie Opernszene. WIEN SCHMECKEN Wo schmeckt Wien authentisch? Wo essen und trinken die Wiener? Wo ist das kulinarische DIE STADT UNTER Leben der Stadt zuhause? Im Schwarzen Kameel, beim Wieninger am Nussberg oder in der legen- DER STADT dären Loosbar trifft man auf das echte Wien und WIENER KLÄNGE FÜR Vor 70 Jahren feierte der Film „Der dritte auf echte Wiener Persönlichkeiten. DIE WELT Mann“ Weltpremiere. Gedreht wurde in Wien unter anderem in der Kanalisation. Wir haben die vier Sängerknaben Laurin, Theo, Wir haben die Kanaldeckel angehoben Yun-Jae und Julian einen Tag lang begleitet und waren exklusiv in dieser faszinierenden und mit ihnen über ihre Begeisterung für die Stadt unter der Stadt unterwegs. Musik gesprochen. Und Sie erfahren, warum der Klavierhersteller Bösendorfer Stars auf der ganzen Welt begeistert. VOM PRATER AUF DEN BERG AUS MIST Während auf der Trabrennbahn Krieau die Traber und im Prater die Liliputbahn ihre Runden drehen, hüten in der Donaustadt Pinzgauer Ziegen eine Mülldeponie. – Eine entspannte Rundreise durch das tierische Wien. WIENER LIEDER & WIENER COCKTAILS Kreative Newcomer mischen das traditio- nelle Wienerlied auf und lassen es in LUXURIÖSES WIEN andere Musikgenres einfließen. Und nach dem Musikgenuss geht’s hoch hinaus Ob außergewöhnlicher Musikgenuss, oder tief hinunter: Wien wartet mit außer- exklusives Shoppingerlebnis, exquisites gewöhnlichen Bars und Cocktailkreatio- Dinner oder intimer Heiratsantrag im nen auf. Museum – in Wien ist vieles möglich. Wir haben die besten Angebote für Luxus- WIEN-INFOS & EVENT-HIGHLIGHTS liebhaber gesammelt. Alle Reiseinformationen auf einen Blick: von der Vienna City Card App bis zu allen Kontaktadressen, die Sie für Ihren perfekten Aufenthalt in Wien benötigen. Plus: alle Event-Highlights 2019.
4 2019 findet die EuroPride in Wien statt. Zwei Wochen lang wird die Stadt an der Donau zum Hotspot für Europas T E X T: R O B E RT S E Y D E L LGBT-Community. Auch Dragqueen Die Tiefe Kümmernis freut sich darauf und zeigt uns ihre Wiener Lieblingsplätze. Eine Razzia in der New Yorker Szenebar „Stonewall Inn“ Zoo, Pride-Führungen durch Museen, Filmabende und ein brachte das Fass zum Überlaufen. Viele Homosexuelle, EuroPride Pooltag im Schönbrunner Bad sind nur einige Dragqueens und Transsexuelle hielten sich zu dem Zeit- der geplanten Events. Das Pride Village am Rathausplatz punkt in der Bar auf. Razzien gegen Schwulenlokale ge- und ein Pride Park voraussichtlich im Sigmund-Freud-Park hörten schon seit längerem zum (schlechten) Stil der New werden die Treffpunkte der EuroPride-Community. Hö- Yorker Polizei. Doch diesmal war alles anders: Die Betrof- hepunkt der Feierlichkeiten wird die Regenbogenparade fenen setzten sich zur Wehr und schlugen letztendlich die über die Ringstraße am 15. Juni 2019. Mehr als eine Milli- angerückte Exekutive in die Flucht. Fünf Tage dauerten die on Besucher werden in Wien zur EuroPride 2019 erwartet. Unruhen in New York, die am 28. Juni 1969 begonnen hat- ten. Seither wird der Juni auf der ganzen Welt offiziell als Mit dabei sein wird natürlich auch Dragqueen Die Tiefe Pride-Monat gefeiert. „Stonewall“ wurde zum Synonym Kümmernis, die der EuroPride schon entgegenfiebert: „Am für den Kampf gegen Homophobie und für Gleichstellung meisten freue ich mich auf die vielen Gäste, die zur Euro- und Akzeptanz. Pride nach Wien kommen. Ich finde es extrem anregend, 50 Jahre später wird dieses Jubiläum in Wien beson- andere Künstler_innen und Performer_innen aus aller Welt ders groß gefeiert: bei der EuroPride, die von 1. bis 16. Juni kennenzulernen. Trotz aller Unterschiede haben wir alle 2019 in der Donaumetropole stattfindet – zum ersten Mal einen gemeinsamen Nenner: unsere Begeisterung für die seit 2001 wieder. Und rechtzeitig zur Einführung der Ehe LGBTIQ+ Community.“ Ihre Drag-Touren durch das Kunst- für alle in Österreich am 1.1.2019. Zwei Wochen lang werden historische Museum Wien sind mittlerweile legendär. Ex- Informations-, Diskussions- und Kulturveranstaltungen so- klusiv für das Wien Journal hat sie uns ihre Lieblingsplätze wie Partys Wien zum Zentrum der europäischen LGBT-Com- in Wien gezeigt, die EuroPride-Besucher 2019 unbedingt munity machen: EuroPride Run, Pride Beach, Pride-Tag im besuchen sollten.
5 CAFÉ SAVOY „Eines der schönsten Cafés Wiens. Die bombastischen Spiegel im Inneren wurden im 19. Jahrhundert in Belgien hergestellt und sind die angeblich größten in Europa außerhalb von Schloss Versailles. Stil- voller können Schwule und Lesben ihren Kaffee oder ihren G’spritzten nicht genießen. Das Savoy ist seit vielen Jahrzehnten ein wichtiger Treffpunkt der Wiener LGBT-Community – direkt am Naschmarkt, un- weit der anderen Szenelokale im 6. Bezirk.“ KAISERBRÜNDL HERRENSAUNA „Diese Schwulensauna ist in jeder Ecke voll mit Ge- schichte. Hier bekam Erzherzog Ludwig Viktor, der jüngere, schwule Bruder Kaiser Franz Josephs, auch ‚Luziwuzi‘ genannt, mutmaßlich eine Ohrfeige für einen Flirt mit einem Mann. Im Labyrinth können sich Besucher auch heute noch stundenlang verlieren und ihren Spaß haben. Besonders schön: die eroti- schen neo-barocken Wandmalereien von Stefan Riedl und der historische Lichthof aus dem 19. Jahrhundert.“ SISI-DENKMAL/VOLKSGARTEN „Dieser versteckte Ort, an dem Sisis Denkmal im Volksgarten errichtet wurde, ist einer der schönsten und romantischsten Plätze der ganzen Stadt. Für manche ist die Kaise- rin vielleicht das Abbild einer schwülstigen, imperialen, romantischen Fantasie. Andere sehen in ihr eine moderne, selbstbestimmte Frau. Vielleicht kann man sie, im Sinne der schwulen Camp-Ästhetik, sogar als Vorläuferin der Diven des 20. Jahrhunderts be- trachten – in einer Reihe mit Marlene Dietrich, Elizabeth Taylor und Lady Di.“ TÜRKIS ROSA LILA VILLA „Seit der Besetzung durch Ak- tivist_innen im Jahr 1982 ist dieses Haus die wichtigste In- stitution in Wien für politisch aktive Queer-Personen. Neben zwei Beratungsstellen gibt es dort im ‚Freiräumchen‘ wech- selnde Veranstaltungen, Kurse und manchmal auch Partys. Außerdem operiert der erfolg- reiche Verein Queer Base, der LGBTIQ+-Flüchtlinge unter- stützt, aus der Villa heraus. Nicht zu vergessen: das Café Willendorf, das sehr leckeres Essen serviert. Inklusive wun- derschönem Innenhof!“ HRDLICKA-DENKMAL „Das Mahnmal gegen Krieg und Faschis- mus von Alfred Hrdlicka erinnert uns daran, dass die Pride nicht nur eine gro- ße Party ist, sondern einen wichtigen Anlass hat: die Auflehnung gegen Unter- drückung und Gewalt. Anders als in Berlin gibt es in Wien kein eigenes Mahnmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen. Vielleicht schaffen wir es noch, in Zukunft eines zu erwirken? Bis dahin tröstet mich der Gedanke, dass in diesem Mahnmal alle Opfergruppen vereint sind. In der Solidarität liegt die Kraft.“ RATHAUSPLATZ „Wir sind hier im Herzen der Stadt, direkt vor dem Wiener Rathaus. Interessanterwei- se hat sich in der südlichen Hälfte des Parkes bis heute eine der wichtigsten ‚Begeg- nungszonen für Männer‘ in dieser Stadt gehalten.“ KUNSTHISTORISCHES MUSEUM WIEN „Im Kunsthistorischen Museum Wien habe ich vor Der WienTourismus ist seit Sommer 2018 mit einer zwei Jahren begonnen, regelmäßig Führungen in mobilen Tourist-Info in Regenbogenfarben in der Drag zu geben. Es ist mir dabei wichtig, aus den Sammlungen Informationen über queere Menschen Stadt unterwegs, um Besucher auf die EuroPride in früheren Zeiten herauszukitzeln, die man auf den 2019 hinzuweisen und Touristen alle nötigen Infos ersten Blick übersehen würde. Hier ist ein Bild, das ich INFO besonders mag, auch wenn es keinen Bezug zu quee- für ihren perfekten Aufenthalt in Wien zu liefern. ren Lebensformen hat: das ‚Venusfest‘ von Rubens aus der Zeit um 1636/37. Der Maler überwältigt un- Infos: seren Sehsinn mit einem Überangebot an bewegten www.europride2019.at Körpern, Früchten, verschiedensten Pflanzen, Skulp- LGBT.vienna.info turen und viel nackter Haut. Barock pur!“ europride2019.vienna.info
6 T E X T: S U SA N N E K A P E L L E R Jean-Paul Vaugoin und Silbermeister Yakup Kurter (li.) lassen in die einzigartige Werkstatt blicken. Wien ist eine Stadt der Wunder- kammern, altes Handwerk wird in Wie durch ein Wurmloch schlüpft man beim Betreten des speckigen Arbeitstischen aus Holz. Sie hämmern, feilen vielen Manufakturen nach wie Geschäfts in der Zieglergasse 24 in eine andere Zeit und und schleifen das Silber und polieren es auf, alles in Hand- vor gelebt. Wir stecken die Nase findet sich in dem antiquierten Schauraum der traditi- onsreichen Silberschmiede Jarosinski & Vaugoin wieder. arbeit. Der Geruch von Metall und Polierpaste liegt in der Luft. Chemische Flüssigkeiten für die Galvanisierung bro- neugierig in die Werkstatt einer Jean-Paul Vaugoin, Erbe in sechster Generation, ist eine deln in großen Wannen. Zahlreiche Arbeitsschritte später Silberschmiede, verbrennen uns distinguierte Erscheinung und empfängt die Kunden mit perfekten Manieren. Stolz holt er ein üppig verziertes Ta- findet so manche Silberware sogar ihren Weg bis in die entferntesten Königshäuser Arabiens und Malaysias. Und fast die Finger an den heißen Öfen felbesteck der Barockzeit aus der Vitrine, macht Scherze auch ganz moderne Designs entstehen hier. einer Glasbläserei und blicken über einen Hendlhaxen-Halter und erzählt die Geschich- te, warum seine Vorfahren Repliken der berühmten Salie- Besonders edle Stücke der 1847 gegründeten Silber- manufaktur stellt Vaugoin im hauseigenen Museum aus. Schuhmachern bei ihrer minutiösen ra von Benvenuto Cellini anfertigen durften (es war für ei- Wie sehr Wien schon immer eine Stadt der Zuwanderung Arbeit über die Schulter. nen Staatsbesuch der jungen Queen Elizabeth II. in Wien). Wohin man auch schaut, alles glänzt. war, zeigt auch das Unternehmen: Die Familie Vaugoin kam mit Napoleon nach Wien und ist geblieben, Yakup Kurter – Jean-Paul Vaugoin lässt auch in die Werkstatt im Hin- der Silbermeister des Betriebs – ist vor 35 Jahren aus Sy- terhof des Biedermeier-Hauses blicken. Hier sieht es aus rien eingewandert. wie vor 100 Jahren. Die Silberschmiede sitzen an ihren
7 Voller Körpereinsatz ist von Robert Comploj bei der Arbeit in seiner Glasbläserei gefragt. Das Geschäft der Glashütte Comploj im 7. Bezirk sieht aus wie eine moderne Galerie. EIN REVOLUTIONÄRER GLASBLÄSER seine Ausbildung als orthopädischer Schuh- Nur ein paar Schritte weiter, ebenfalls im machermeister und Symbol dafür, wie wich- Die jährliche Vienna Design Week im Herbst 7. Bezirk, bietet die Glashütte Comploj ein opti- tig ihm die richtige Passform von Schuhen ist. TIPP bietet ebenfalls einen Einblick in Wiener Manu- sches Kontrastprogramm. Wie in einer moder- Vom ersten Maßnehmen bis zum ferti- fakturen und Traditionsbetriebe. nen Galerie sind in einem stylischen Shop Va- gen Schuh dauert es bei Scheer ein halbes sen, Schalen und Kugeln auf weißen Podesten Jahr. Für ein Paar handgemachter Maßschu- ausgestellt. Die Glasobjekte überraschen mit he sind rund 60 Arbeitsstunden nötig. Die ungewöhnlichen Farben und außergewöhn- Werkstatt befindet sich über dem traditions- lichen Strukturen. Und noch größer ist die reichen Geschäft, hier wurden schon Schuhe Überraschung, wenn Robert Comploj um die für Kaiser Franz Joseph angefertigt. Dessen Ecke biegt. Hipster-Brille, schwarzes T-Shirt Leisten sind ebenso wie zahlreiche histori- und zerzauste Haare, so stellt man sich nor- sche Schuhmodelle im Erdgeschoß ausge- malerweise keinen Glasbläser vor. Der junge, stellt. Ursprünglich ein reiner Schuhmacher sympathische Glasmacher stellt hier, mitten produziert Scheer nun auch Taschen, Gürtel in Wiens Kreativ- und Bobo-Bezirk, die Glas- und Koffer. Das exklusive Geschäft atmet Ge- waren selbst her. Robert Comploj hat bei den schichte, ohne altmodisch zu sein. Und der Glasmeistern in Murano gelernt und kom- feine Duft von Leder liegt überall in der Luft … Die „Billy TL Table Lamp Ilse Crawford biniert die alte venezianische Technik nun Edition“ der Kalmar Werkstätten wur- de mit dem German Design Award 2018 mit seinen eigenen, innovativen Methoden. MODERNES LAMPENDESIGN ausgezeichnet. In der Schauwerkstatt ist es heiß, denn die Designer Garth Roberts stöbert gerne in den Öfen brennen unaufhörlich. Hier ist Comploj Archiven des Wiener Traditionsbetriebes in seinem Element: Feinfühlig formt und bläst J. T. Kalmar, dessen Lampen auf der ganzen er das Glas, obwohl er seinen Zugang zu Welt heiß begehrt sind. Vor allem die Origina- Glas selber als „punkig“ bezeichnet. Er formt le aus der Zeit des österreichischen Werkbun- das Glas auch gerne mit der Hand und ris- des stehen bei Auktionen und in Vintage-Ge- kiert die eine oder andere Verbrennung. Sein schäften hoch im Kurs, denn ihre Formen Wissen gibt er auch in Workshops weiter. entsprechen der Designkultur des 21. Jahr- hunderts. Auch Garth Roberts ist von den EDLE SCHUHE NACH MASS Werkbund-Entwürfen fasziniert. Er erweckt Die Werkstatt des ehemaligen k. u. k. Hofschuh- den österreichischen Modernismus zu neu- machers Scheer ist dagegen von Stille durch- em Leben und bringt als Kreativchef der Mar- zogen. Mit höchster Konzentration sitzen die ke Kalmar Werkstätten eine Neuinterpretation Inmitten alter Familienmöbel arbei- Schuhmacher über ihrer Arbeit, auf Schuster- von Werkbund-Entwürfen heraus. Die Ergeb- tet Markus Scheer konzentriert an den schemeln an niedrigen Arbeitstischen. Unter nisse sprechen eine zeitgemäße Designspra- handgemachten Schuhen. ihnen Markus Scheer, der das über 200 Jahre che: Sie sind minimalistisch, funktionell und alte Unternehmen in siebter Generation führt. aus hochwertigen Materialien. Charakteris- Sein Markenzeichen ist ein Orthopädiekittel, tisch für Kalmar sind die filigranen Stand- den er beim Arbeiten trägt. Ein Hinweis auf füße der Modelle Fliegenbein und Hase. Der Wiener Kaffeehaus-Stuhl fügt sich auch wunderbar in modernes Ambiente – wie im Szenelokal Ulrich. Thonet und das Wiener Kaffeehaus DER WIENER KAFFEEHAUS-STUHL VON THONET IST EINE DESIGNIKONE. DIE EINZIGARTIGE ERFOLGSGESCHICHTE DES WELTBEKANNTEN SESSELS BEGANN VOR 160 JAHREN. Er ist das berühmteste Wiener Designmöbel und untrennbar Und der Sessel ließ sich in sechs Einzelteile zerlegen – und mit dem Kaffeehaus verbunden: Der Sessel-Klassiker somit in alle Welt verschicken. Nr. 14 von Thonet gilt als traditioneller Wiener Kaffeehaus- Stuhl. Die Rückenlehne dieses Sessels besteht nur aus HAPPY BIRTHDAY! zwei Holzbögen und ist damit das Paradebeispiel der auf 2019 feiert der Stuhl Nr. 14, der mittlerweile unter der Ikonische Form, höchste Funktionalität – dadurch Bugholzmöbel spezialisierten Firma Thonet. Mit seiner Nummer 214 geführt wird, seinen 160. Geburtstag und wurde der Stuhl Nr. 14 von Thonet zum Design- Erfindung, massives Holz durch Wasserdampf zu biegen, ist das meistproduzierte Sitzmöbel der Welt. Zahlreiche revolutionierte Michael Thonet einst die Möbelproduktion. weitere Sessel von Thonet wurden zu Ikonen der Der gebürtige Rheinländer kam auf Einladung von Designgeschichte. Adolf Loos und Otto Wagner entwarfen Fürst Metternich nach Wien und ließ sich hier nieder. ebenso Modelle für Thonet wie Josef Frank. 1849 gründete er in Wien eine eigene Werkstatt. Doch Wer Probe sitzen möchte: Der Thonet-Sessel Nr. 14 ist schon bald verlegte Michael Thonet die Produktion nach heute noch in typischen Wiener Kaffeehäusern zu finden: im Mähren, wo es ausreichend Holz und billigere Arbeitskräfte Café Tirolerhof, bei den ehemaligen k. u. k. Hoflieferanten gab. Aus der Werkstatt „Gebrüder Thonet“ wurde ein L. Heiner im 1. Bezirk sowie der Conditorei Sluka beim Industrieunternehmen mit Weltgeltung, dessen Wurzeln in Rathaus und im Café Weimar bei der Volksoper. Und auch Wien liegen. Das neue, arbeitsteilige Herstellungsverfahren in modernes Design findet sich der Sessel perfekt ein, wie ermöglichte erstmals eine industrielle Serienfertigung. der aktuelle Thonet 214 im Café Ulrich zeigt. klassiker.
8 Beim Wiener Opernball verwandelt sich die Wiener Staatsoper zum berühmtesten Ballsaal der Welt. Oper live am Platz: gratis Operngenuss für alle T E X T: S U SA N N A B U R G E R Der helle Farbton der Fassade spiegelt sich nach der Restaurierung innen wider. Vielfältig wie nirgends sonst ist sie, die Wiener Opernlandschaft. Die Nummer eins unter den Opernbühnen der Stadt und eines der ersten Häuser weltweit ist die Wiener Staatoper. 2019 feiert sie ihr 150-jähriges Bestehen: frisch heraus- geputzt nach Restaurierung und mit Jubiläumsprogramm. Alles begann mit Zweifel und Skandal: Die Architekten August Sicard von Sicardsburg und Eduard van der Nüll wurden schon in der Bauphase der Hofoper von der Presse und den ebenso ungnädigen Wienern kritisiert. Durch die nachträgliche Anhebung des Ringstraßen-Niveaus schien die Oper einen Meter zu tief im Boden zu stecken, was ihr die Benennung „versunkene Kiste“ einbrachte. Die beiden Architekten sollten die Eröff- nung „ihres“ Opernhauses am 25. Mai 1869 mit Mozarts „Don Giovanni“ in der Anwesenheit des Kaiserpaares Franz Joseph und Elisabeth nicht mehr erleben: Der sensible van der Nüll beging Selbstmord, Sicardsburg erlag einem Schlaganfall. Der Kaiser soll sich van der Nülls Tod derart zu Herzen genommen haben, dass er fortan stets dasselbe höfliche Ur- teil abgab: „Es war sehr schön, es hat mich sehr gefreut.“ ZU RECHT NUMMER EINS Die heute gezeigten Inszenierungen sind ein Kaleidoskop aus 50 Jah- 150 Jahre Opernhaus am Ring: ren Operngeschichte – von bewährten Klassikern bis zu zeitgenössi- von der k. k. Hofoper zur heuti- scher Regie. Alle großen Sänger treten hier auf, die 1.709 Sitzplätze gen Wiener Staatsoper sind Abend für Abend so gut wie vollständig besetzt. Jährlich stehen in rund 350 Vorstellungen mehr als 60 verschiedene Opern- und Bal- lettwerke auf dem Spielplan. Die Wiener Staatsoper ist das Haus mit dem größten Repertoire. Im Orchestergraben agiert das einzigartige Staatsopernorchester, dessen Musiker in Personalunion den Klangkörper der Wiener Philhar- moniker bilden. Bei „Oper live am Platz“ wird das Geschehen live (und gratis) auf eine Riesenleinwand auf den Platz vor dem Operngebäude übertragen. „Wiener Staatsoper live at home“ bringt Vorstellungen mit digitalen Geräten in die Wohnzimmer der ganzen Welt. Beim jährlichen Opernball wird gelacht, getanzt und gefeiert, und spezielle Kinder- opern führen den Nachwuchs in die Welt der Oper ein. Die Wiener Staatsoper ist nicht nur während der Vorstellungen einen Besuch wert: Führungen oder die Online-Panoramatour vom Schnürboden bis zur Unterbühne rücken das Architekturjuwel im Stil der Neorenaissance ins rechte Licht. … UND MAN FEIERT … Die Staatsoper begeht ihr Jubiläum „150 Jahre Opernhaus am Ring“ viel- fältig: am 25. Mai 2019 mit einem Festakt und der Premiere von Richard Strauss‘ „Die Frau ohne Schatten“ und am 26. Mai mit einem Jubiläums- fest für alle am Platz vor der Oper. Dazu kommen zwei Ausstellungen (in der Oper und im Theatermuseum), ein Symposium, Streamings und einige Überraschungen mehr.
9 „Nur Michelangelo ist gelegen beim Malen.“ ERSTRAHLEN SOLLTE DIE STAATSOPER WIEDER, IM WAHRSTEN SINN DES WORTES HERAUSGEPUTZT FÜR IHR 150-JÄHRIGES JUBILÄUM. DAFÜR SORGTE MASSGEBLICH DIE RESTAURATORIN MANUELA FRITZ, DIE SICH FÜNF MONATE MIT IHREM ZEHNKÖPFIGEN TEAM ZENTIMETERWEISE DURCHS VESTIBÜL GEARBEITET HAT. „Ich bin mit Stein aufgewachsen“, erzählt Manuela Fritz. WIENER GOLD Manuela Fritz, Restauratorin und Ein Stein wurde ihr zwar nicht in die Wiege hineingelegt, Manuela Fritz ist Kundin der Firma Wamprechtsamer: Das freischaffende Bildhauerin das Material umgab sie jedoch von klein auf im elterlichen ist eine Wiener Blattgoldschlägerei, die seit 1906 hauch- Steinmetzbetrieb in der Steiermark. Verschiedene Ausbil- dünne Blätter des edlen Metalls herstellt. Der letzte Schlag- dungswege führten sie von der Kunstakademie bis zum prozess wird noch immer per Hand ausgeführt. Das Wiener Studium der Restaurierung in Italien. Heute ist sie eine der Gold glänzt etwa an der Pallas Athene vor dem Wiener Par- Besten ihres Fachs, und dazu freischaffende Bildhauerin. lament, in Schloss Schönbrunn und am Kaiserkreuz auf dem Großglockner. Herr Wamprechtsamer erinnert sich MEHR ALS EIN JOB an seine Kindheit, als sein Vater mit dem Pferdefuhrwerk In der Staatsoper deckte sie mit ihrer Crew den Bereich das Gold für die Staatsoper ausgeliefert hat. Heute holt es Stuck, Stuckmarmor (unechter Marmor), Stucco lustro Manuela Fritz ab. Der Materialwert ist beachtlich, denn in (Marmormalereien) und Vergoldung ab. Ziel der Restaurie- der Oper ist meist echt Gold, was glänzt. Aufgetragen wird rung war die Wiederherstellung des ursprünglichen Zu- das hauchdünne Blattgold auf einen mit einem Ölfilm be- stands. Das Farbkonzept der Oper setzte sich einst flie- strichenen Untergrund, der die genau passende klebrige ßend von außen nach innen fort: von hellem Naturstein Konsistenz haben muss – eine Frage des richtigen Timings, zu hellem Ocker mit Goldauflagen. Die Ära der „dunklen sonst „ersäuft“ das Gold. Höhle“ ist nun vorbei. „Bei einem Projekt wie diesem entsteht eine Bezie- Allein das Anmischen der richtigen Farben dauerte hung zu den Dingen, die man formt“, meint Manuela Fritz. eineinhalb Wochen – jede Probe musste erst antrocknen, „Ich gehe sie dann immer besuchen, ‚meine‘ Objekte. Auch und das künstliche Licht oben am Gerüst machte den in der Oper mache ich ab und zu eine Runde. Und muss Vor-Ort-Farbvergleich zum Original nicht leichter. Solche lachen, wenn ich – erfolglos – zwei Stellen ganz oben auf Arbeiten sind anstrengend, sowohl was die Konzentration der Decke suche, die ich nach dem Gerüstabbau mit ei- als auch die Position betrifft. „Nur Michelangelo ist gelegen nem acht Meter langem Pinselstab von unten korrigiert beim Malen. Wir stehen“, erklärt die Restauratorin lachend. habe. Ich hab’s geschafft!“ Oft muss über Kopf gearbeitet werden. Im Team sind die Aufgaben fix verteilt, jeder bleibt bei „seiner“ Sache: Kitten, Schleifen, Anfertigen der Nachgüsse, Reinigen mit Pinsel und Wattestäbchen, Festigen, Übermalen … Die Marmormalereien zum Beispiel stammen aus- nahmslos von Manuela Fritz: eine ihrer Lieblingsbeschäf- tigungen, zudem sehr individuell. Man würde sehen, hät- te eine andere Hand mitgemalt. Die meisten Schäden im Vestibül waren dem Kondens- wasser geschuldet. An manchen Stellen sieht man leider genau, dass sich fragwürdige Opernbesucher fragwürdi- Neuer Glanz in der Staatsoper zum 150. Geburtstag ge Erinnerungsstücke abgebrochen haben. Diese Schäden hören oberhalb der Griffweite plötzlich auf. Die andere Opernwelt MODERN, MUTIG, KOMPROMISSLOS KREATIV: SO PRÄSENTIERT SICH DAS SCHAFFEN DER FREIEN WIENER OPERNSZENE. ZEIT- GENÖSSISCHES MUSIKTHEATER ERSCHLIESST NEUE KLANG- WELTEN UND RÄUME, VERLANGT DEM PUBLIKUM ETWAS AB, GIBT ABER AUCH VIEL. WALTER KOBÉRA, SCHÜSSELFIGUR UND LEITER DER NEUEN OPER WIEN, IM INTERVIEW ÜBER RÄUME UND WOHLKLANG. WAS IST DAS „FREIE“ AN DER NEUEN OPER WIEN? WK: Wir haben keine fixe Spielstätte. Das ist aber kein Manko, sondern versetzt die Neue Oper Wien in die Lage, auf die spe- „Die Antilope“: Oper des österreichischen ziellen Eigenheiten eines Musiktheaters eingehen zu können. Komponisten Johannes M. Staud (Produktion der Neuen Oper Wien 2017/18) Sowohl dramaturgische als auch akustische Aspekte können in die Auswahl des Aufführungsortes einfließen. VOM ORT ZUR PRODUKTION: WELCHEN WERKEN WIDMEN SIE SICH? WK: Das Programm der Neuen Oper Wien steht auf drei Säu- len: Wiederentdeckungen des 20. Jahrhunderts – Österreichi- sche Erstaufführungen – Uraufführungen. So werden wir 2019 Bernhard Langs „Reigen“ als österreichische Erstaufführung und Peter Eötvös‘ Oper „Angels in America“ zeigen. INWIEFERN SPRENGEN DIE ARBEITEN DER NEUEN OPER WIEN DIE KONVENTIONELLE OPERNFORM? WK: Der Neuen Oper Wien geht es um Auseinandersetzung in musikalischer und inhaltlicher Hinsicht, ganz wichtig: mit so- zialkritischer Relevanz. Die Oper, wie wir sie verstehen, ist ein Experimentierfeld, das wir für ein waches Publikum kreativ bearbeiten. Ziel ist sicher nicht, unterhaltsam-beschaulichen Wohlklang zu schaffen. Walter Kobéra ist Intendant der Neuen Oper Wien und einer der füh- renden Dirigenten zeitgenössischen Musiktheaters.
10 Die Wiener Sängerknaben sind mit 515 Jahren die traditionsreichste Boygroup der Welt. Mit 300 Auftritten T E X T: S U SA N N A B U R G E R jährlich auch die fleißigste. Einen Tag lang dürfen wir an ihrem Leben teilnehmen. Und erfahren, was vier Buben aus dem Schubert-Chor so alles draufhaben. Laurin, Theo, Yun-Jae und Julian sind für jeden Spaß zu haben. Der Sportplatz im großzügigen Augarten-Areal Es ist ein ebenso heißer wie ereig- singen! „-uja“ ist richtig!“ Was er mit Der am weitesten Angereiste ist Julian nisreicher Junitag bei und mit den dem österreichischen Dialekt meint, aus Hongkong. Er hat in seiner Heimat Wiener Sängerknaben: Wie durch eine ist allen klar, sind sie auch eine noch einmal die Sängerknaben live gehört Schleuse gelangt man in eine ande- so international durchmischte Trup- und wollte unbedingt dabei sein. Nach re Welt, denn das automatische Ein- pe. Zwischendurch werden einzelne Workshops und einer Probewoche zu- gangstor braucht gefühlte drei Minu- zur Stimmbildung mit Sängerknaben- hause erfüllte sich sein Traum. Auf die ten zum Öffnen. Der erste Eindruck Leiter Gerald Wirth geholt. Beim indi- Frage, was einen Sängerknaben aus- ist grün, denn die jungen Gesangs- viduellen Training geht es konzentriert macht: „Wir alle mögen Musik. Wir talente sind im Augarten daheim, zu. Erstaunlich, wie die professionellen lieben es zu singen.“ – Keine Über- dem früheren Jagdgebiet des Kaisers. Erklärungen in der Sekunde Verbesse- raschung, aber hier vor Ort spürba- Mächtige Platanen aus der Zeit Maria rungen bringen. Währenddessen ar- re Realität. Theresias spenden Schatten. Gegen- beitet der Chor in der zweistündigen Ähnlich Yun-Jaes Vorgeschich- über von Sportplatz und Park ist im Probe weiter an Haydns Paukenmes- te: Auch der Süd-Koreaner fing nach über 300 Jahre alten Palais Augarten se, für die Sonntagsmesse in der Hof- einem Tournee-Konzert Feuer. Mit der Musiktrakt mit Proberäumen und burgkapelle. zehn Jahren kam er her, konnte we- das Gymnasium untergebracht. Hier der Deutsch noch die europäische übt gerade der Schubert-Chor. Das WIR LIEBEN ES ZU SINGEN Schrift. „Aber er lernt wirklich sehr ist einer der vier Chöre der Wiener In einer Probenpause erzählen vier schnell!“, tönt es von Theo an seiner Sängerknaben. Die 25 Buben proben Mitglieder des Schubert-Chors aus Seite. Er ist stolz auf seinen Freund. Theo, Yun-Jae und Julian Mahlers 3. Symphonie, die demnächst ihrem Leben: Da ist Laurin, der Äl- Der herzliche Theo ist Wiener. Seine stürmen zum Essen. im Wiener Konzerthaus aufgeführt teste und nur mehr bis Sommer da- Musikalität wurde schon im Kindergar- wird. bei. Er wuchs 70 Kilometer von Wien ten bestaunt. Auf Reisen liebt er die entfernt auf, mit einer gewissen Sän- Freizeitgestaltung: „Man bekommt viel VOM RICHTIGEN BIMM gerknaben-Affinität, denn schon drei zu sehen vom Land. Wir machen auch Der Chorleiter sorgt für den Fein- seiner Brüder waren hier. Laurin ist Sightseeing. Und waren in Disneyland schliff. Er erklärt etwa, wie man es Tournee-Fan und erzählt von Deutsch- Shanghai und in einem Vergnügungs- schafft, das „mm“ von „bimm bamm“ land, China, Australien und Taiwan. park in Taiwan.“ im fünften Satz in der richtigen Tonhö- Ein Auftritts-Lieblingsort ist das nahe he zu singen. – Ein Rätsel für Laien … MuTh – der moderne, akustisch per- ALLES BUNT DURCHMISCHT Bei einem anderen Stück prusten die fekte Konzertsaal am Augartenspitz, Ehrlich gibt er Auskunft über seine Yun-Jae und Laurin in der Schneiderei. Bei 100 im Wachstum befindlichen Knaben, die 80 Mal jährlich Knaben herzlich los, als er knackig kor- wo die Friday-Afternoon-Konzerte und Lieblingsmusik: „Manche Stücke sind auftreten, gibt es viel zu tun mit Nadel und Faden. rigiert: „Nicht steirisch „Allllellluiiia“ Kinderopern stattfinden. anstrengend und eher langweilig.
11 Aber das ist nicht sehr häufig. Wir singen meist spannen- Im Park posieren die Jungs ganz dynamisch beim Shoo- de und lustige Lieder wie Polka und Walzer. Von Johann ting. Das macht richtig Spaß, mit Springen, Laufen, Ab- Strauss. Weiters moderne Lieder, aber auch Barock und stoppen. – Der Fotograf wird nur beinahe umgerannt ... Renaissance. Alt bis neu. Alles bunt durchmischt.“ Am Sportplatz kommt der Basketball zum Einsatz, in Ein verglaster Gang führt vom Palais Augarten in den der Schwimmhalle steht Wasserball auf dem Programm. modernen Internat-Zubau, wo die Kinder schlafen, essen, Mit höchstem Körpereinsatz bearbeiten die Buben in der werken und im großzügigen eigenen Schwimmbad spor- Werkstunde große hölzerne Schachfiguren mit Stemm- teln. Fixeinrichtung in jedem Stockwerk: Wasserspender eisen, Säge und Feile. Beruhigend und nicht ganz ernst und ein Tisch mit Essbarem für den akuten Hunger zwi- gemeint wird erklärt: „Fürs Singen braucht man die Hände schendurch. Beim Mittagessen im Internat ertönt ein spon- nicht.“ tanes Geburtstagsständchen. – Ja, auch die Sängerkna- In Physik geht es um die Lehre vom Schall. Debattiert ben singen „Happy Birthday“. Natürlich mehrstimmig und wird, warum der Wind etwas „vertragen“, also leiser ma- astrein. chen, kann. Zwischendurch beweist ein Schüler, dass er In der Schneiderei ziehen Laurin, Theo, Yun-Jae und 30 Stellen der Zahl Pi auswendig weiß – hier gibt es Talen- Julian extra für uns die Uniformen an: die blaue Galauni- te auf vielen Gebieten. form beziehungsweise die leichtere weiße. Bei der Türe Musikerziehung, heute zu Rhythmik, ist die letzte Un- steht eine mit „Reserve“ beschriftete Box, mit Uniformen terrichtsstunde, dann verabschieden sich die sympathi- für die Tournee. Darunter eine Notfall-Variante mit Reißver- schen Vier herzlich – Zeit fürs Abendessen. schluss am Ärmel, um eine Gipshand durchzubekommen. Im Rhythmusunterricht wird vom Blatt geklatscht, geklopft und ge- sprochen. T E X T: S U SA N N A B U R G E R Konzerttechniker Charly Brandl haucht einem Konzertflügel die Seele ein: Das Intonieren ist ein besonderer Moment. Wien spielt mit in der Elite des Instrumentenbaus. Nummer eins ist die Klaviermanufaktur Bösendorfer, die seit 1828 für die Materialisierung des Wiener Klangs sorgt. Musik und Klang in Perfektion: Dafür steht Wien. Hier waren und sind nicht nur weltberühmte Musiker zuhause, hier produzieren auch Ins- trumentenbauer das Werkzeug, mit dem die besten Klangerlebnisse überhaupt erst ermöglicht werden. Den größten Namen hat wohl Bösendorfer, die mit fast 200 Jah- ren älteste Klaviermanufaktur im Premiumsegment. In über einem Jahr Arbeitszeit entsteht in Handarbeit ein Instrument mit dem einzigartig Sir András Schiff spielte am 3. Juni 2018 erstmals auf lebendigen und brillanten Bösendorfer-Klang. Konzerthaus. Sein Bösendorfer begleitet ihn seitdem dem für ihn gefertigten Konzertflügel im Wiener DAS GEHEIMNIS DES KLANGS Produziert werden pro Jahr nur 300 Klaviere in Wiener Neustadt, rund 48 Kilometer außerhalb Wiens – doch „produziert“ ist das falsche Wort: 120 klavierbesessene Handwerker formen jedes einzelne Instrument persönlich, mit Liebe zum Detail. Schon die Lehrlinge erhalten hier zu allen Europa-Konzerten. Klavierunterricht. Jeder Mitarbeiter ist Teil dieser musikalischen Welt – und das hört man den Instrumenten an. Neben viel Liebe und Leidenschaft spielt ein Baum eine tragen- de Rolle: die heimische Fichte. Die Jahreszeiten, Sonne, Wind und Käl- te lassen ihr Holz sanft reifen. Es trocknet dann bis zu fünf Jahre im Freien, bevor es nach dem einzigartigen, von Bösendorfer entwickel- ten Resonanzkastenprinzip verarbeitet wird: Ausgangspunkt und Zen- trum des Bauplans ist der immaterielle Klang. Bösendorfer konstruiert das Instrument „um den Klang herum“ – für einen unverwechselba- ren, magischen Auftritt. Jedes Instrument ist so individuell wie sein künftiger Besitzer – der seinen Wünschen punkto Farbe, Furnier, Initialen oder persönli- cher Widmung freien Lauf lassen kann. Er bekommt ein vollendetes Unikat der Klavierbaukunst. WIENER STADTSALON Die Besten spielen und spielten Bösendorfer, von Duke Ellington bis Oscar Peterson, von den Beatles bis Bernstein, von Liszt bis Gulda, von Michael Jackson bis Tori Amos. Startenor Plácido Domingo nimmt sich diesen Klavierklang als Vorbild: „Einige Pianisten versuchen wie ein Sän- ger zu klingen. Ich hingegen versuche wie ein Bösendorfer zu klingen.“ Das Verkaufslokal – der Bösendorfer Salon und Flagship-Store – befindet sich seit 1914 im Gebäude des Musikvereins, wo Wiens musi- Ein Sondermodell, das bildende kalisches Herz schlägt. Einen Bösendorfer hier anzuspielen, heißt den Kunst und Musik vereint: Gustav Klang zu berühren. Den man nie wieder vergisst. Klimts „Goldene Adele“ ziert nur 25 Bösendorfer Klaviere.
12 Wiens Kanalisation ist vieles: Arbeitsplatz für hunderte Menschen, Drehort für Filme wie „Der dritte Mann“, Lebensader für die Infrastruktur der Stadt, Lebensraum wilder Tiere. Und ein Mythos. „Länger als zwei Monate bleibe ich hier nicht“, war sich Michi sicher, als er seinen Dienst als Kanalarbeiter in Wien antrat. Der Satz fiel vor 30 Jahren. So lange arbeitet er nun schon im Wiener Untergrund. Heute führt er von Mai bis Oktober hauptsächlich Besucher auf den Spuren des Filmklassikers „Der dritte Mann“ durch Wiens Kanalisation. Die berühmtesten Szenen des Films – die Flucht des Penicillin-Schmugglers Harry Lime (Orson Welles) vor seinen Verfolgern – wurden hier gedreht. Vor 70 Jahren – am 31. August 1949 – feierte der Film in London seine Weltpremiere. Er machte Wien unsterblich. Obwohl das düstere, korrupte Nachkriegs-Wien mit seinen Abgründen und nicht der sonst gern inszenierte imperiale Glanz im Vordergrund des Schwarz-Weiß- Filmes steht, trat er seinen Siegeszug um die Welt an. „Der dritte Mann“ vermittelt ein authentisches Bild einer kaputten Stadt nach dem Zweiten Weltkrieg. Er zeigt den Prater abseits von Vergnügen und Spaß, die Wiener Kanalisation als Stadt unter der Stadt, in der sich kriminelles Pack und Verlierer des Wiederaufbaus herumtreiben. Er zeigt das damals echte Wien. Für Regisseure wie Martin Scorsese und Steven Soderbergh ist „Der dritte Mann“ bis heute Inspirationsquelle. 1951 gewann er einen Oscar. Und das British Film Institute wählte den Film 1999 auf Platz 1 der größten britischen Filme aller Zeiten. Das Burgkino an der Wiener Ringstraße zeigt den Film nach wie vor mehrmals wöchentlich in der englischen Originalfassung. Auch Michi kennt ihn natürlich, verrät aber: „Die Leute, die zu unseren Führungen kommen, interessieren sich mehr für die Arbeit der Kanalarbeiter.“ Dass die Arbeit im Wiener Untergrund hart ist, erleben wir bereits beim Abstieg. Schon auf der ersten Treppe ist klar: Dort unten stinkt es. „An den Geruch gewöhnt man sich schnell. Solange alles im Fluss ist, ist der Gestank auszuhalten“, erzählt Michi beim Abstieg. Das Schlimmste hier unten sind die kleinen Viecher: „Wenn du 30 cm tief in Sch**** und Schotter steckst und dann kommt dir noch eine Ratte entgegen, ist das nicht sehr witzig.“ Wir sind mittlerweile im ersten Raum angekommen. Das Wasser rauscht lautstark an uns vorbei. Hier wurde das Musikvideo zu Falcos Megahit „Jeanny“ gedreht. Michi erklärt, wie die Kanalarbeit funktioniert. Dass die 50.000 Kanaldeckel in Wien nur 60 mal 60 cm groß sind, zum Beispiel. „Die beste Motivation, um schlank zu bleiben“, scherzt er. An den Wänden sind Kabel zu erkennen: Glasfaserkabel österreichischer Telefonanbieter. Modernste Technologie, die in den alten Mauern hier unten dafür sorgen, dass oben alles reibungslos funktioniert. Kabel im Untergrund sorgen für eine funktionierende Stadt. Rettungs- ringe und Erste-Hilfe-Kästen sind für Notfälle vorgesehen. Schlüsselszenen des Films „Der dritte Mann“ mit Orson Welles wurden in der Wiener Kanalisation gedreht. Auf zwei Kilometern Länge erstreckt sich der Wienfluss unter der Stadt. Gerhard Strassgschwandtner und Karin Höfler betrei- ben das Dritte Mann Museum beim Naschmarkt.
13 Michi (Mitte) arbeitet seit über 30 Jahren in der „Stadt unter der Stadt“. Hier fließt der Ottakringer Bach durch. „Manchmal riecht es nach Bier“, erklärt Michi. ZU VIEL GESTANK FÜR ORSON WELLES 2.500 Kilometer ist das Wiener Kanalnetz heute lang. Jeden Tag wird eine halbe Milliarde Liter Abwasser durch das unterirdische Labyrinth in die Hauptkläranlage nach Simmering, an den tiefstgelegenen Punkt Wiens, weitergeleitet. „Bis zu 25 Meter unter der Oberfläche liegt der Arbeitsplatz der Kanalarbeiter“, erklärt Michi, während wir im wichtigsten Raum der 3. Mann Tour angekommen sind. Hier wurden alle Szenen für „Der dritte Mann“ gedreht. „Wirklich alle?“, fragen wir uns. Und Michi. Denn viel Platz ist hier nicht. – „Mithilfe geschickter Kameraeinstellungen und Schnitttechnik wurde die Verfolgungsjagd so inszeniert, als wäre Harry Lime durch die halbe Kanalisation gehirscht“, klärt Michi auf. Apropos Harry Lime: Schauspieler Orson Welles hat hier unten nur kurz vorbeigeschaut. Für ein paar Einstellungen. Es stank ihm zu viel. Alle weiteren Kanalszenen, in denen er erkennbar ist, wurden in einem Londoner Studio gedreht. Den Rest übernahm ein Double, das an seiner Stelle im stinkenden Untergrund ausharren musste. An die Wand werden jetzt Ausschnitte des Films projiziert. Während sich unten das Abwasser seinen Weg bahnt, wähnt man sich ein bisschen wie im Kino. Ein dumpfes Knallen reißt uns immer wieder aus der Konzentration. Es sind Autos, die über die Kanaldeckel donnern. Eine Erinnerung daran, dass das Leben oben weiter tobt. Nach dem nächsten Raum, in dem es immer wieder mal nach Bier riecht, wenn in der Ottakringer Brauerei die Fässer gewaschen werden, landen wir beim Wienfluss. Ein riesiges Gewölbe versteckt den Stadtfluss auf einer Länge von zwei Kilometern. Hier stinkt es nicht mehr. Michi erklärt: „Ein gewaltiger Tiefspeicherkanal unter dem Fluss nimmt bei Regenwetter alles auf, was nicht in die normale Kanalisation passt. Das sieht man auch am klaren Wasser.“ Hier endet normalerweise die 3. Mann Tour, denn, so Michi: „Wenn es im Wienerwald regnet, ist es hier brandgefährlich. Der Wasserstand im Wienfluss steigt dann so schnell, dass man sofort raus muss.“ DRITTE MANN MUSEUM Wir haben Glück: Über Wien ist strahlender Sonnenschein. Deshalb können wir in Begleitung der Kanalarbeiter ausnahmsweise ein Stück flussaufwärts wandern. An den Wänden finden sich Graffitis. Ein paar Hundert Meter weiter heißt es schließlich auch für uns: zurück nach oben. Als Michi die Tür am Ende der Treppen öffnet, staunen wir (und auch andere) nicht schlecht. Denn wir stehen mitten im Gastgarten eines Naschmarkt-Lokals. Dass wir uns so weit vom Startpunkt am Karlsplatz entfernt haben, wird uns erst jetzt bewusst. Im Untergrund verlieren sich Zeit und Raum. „Und unglaublich viele Smartphones, die ins Klo fallen und dann bei uns im Kanal landen“, wie uns Michi noch verrät. Dass wir am Naschmarkt wieder ins Tageslicht eintauchen, hat einen simplen Grund: Unweit von hier entfernt befindet sich das Dritte Mann Museum. Die Betreiber Gerhard Strassgschwandtner und Karin Höfler wollen uns das Museum zeigen, in dem die Geschichte des Films und das Wien der Nachkriegszeit anschaulich dargestellt werden. Mit viel Liebe zum Detail und ausgeprägter Sammelleidenschaft ist hier ein Museum entstanden, das Besucher aus aller Welt anzieht. „Es ist das weltweit einzige Museum, das sich exklusiv einem Film widmet“, weiß Strassgschwandtner. Höfler ergänzt: „Highlights der über 3.000 Exponate starken Sammlung sind Kameras, SIGHTSEEING NEWS Drehbücher, Kinoplakate und natürlich die Filmzither, auf der die +++ Der neue Donauturm +++ legendäre Musik von Anton Karas In neuem Glanz erstrahlt der Donauturm, der mit sei- eingespielt wurde.“ 2019 wird nen 252 Metern das höchste Gebäude Österreichs die Sonderausstellung „70 Jahre ist. Dementsprechend gut ist die Aussicht von Turm- Filmpremiere ‚Der dritte Mann‘“ café, Turmrestaurant und Aussichtsplattform. Inter- gezeigt (ab 27. April). Man merkt: aktive Panorama-Bildschirme liefern Wissenswertes Die beiden sind mit Herz und Seele über Wien. dabei. Das ist mittlerweile auch Michi. +++ Haus der Geschichte Österreich +++ T E X T: R O B E R T S E Y D E L Die anfängliche Abneigung gegen 100 Jahre nach Ausrufung der Ersten Republik eröff- seinen Job ist längst verflogen. Unter net das Haus der Geschichte Österreich in der Neu- anderem, „weil die Kameradschaft en Burg am Heldenplatz am 10. November 2018. Die unter den Kollegen hier unten erste Sonderausstellung im neuen Museum widmet einzigartig ist“, wie er versichert. sich der wechselhaften Geschichte Österreichs der Und das schon seit 30 Jahren. vergangenen 100 Jahre.
14 Wo schmeckt Wien authentisch? Wo essen und trinken die Wiener? Wo ist das kulinarische Leben der Stadt zuhause? In diesen Kaffeehäusern und Restaurants, Heurigen und Bars trifft man auf das echte Wien und auf echte Wiener Persönlichkeiten. T E X T: S U SA N N E K A P E L L E R ZUM SCHWARZEN KAMEEL: EINE WIENER INSTITUTION Rund um die Bar ist die Hölle los. Die Kellner schlängeln sich durch das Gedränge. Ober- kellner Johann Georg Gensbichler mit seinem markanten Backenbart dirigiert die Gäste an ihre Plätze, auch wenn er bereits in Altersteil- zeit ist. Neben ein paar Geschäftsmännern ge- nehmigt sich ein Arbeiter ein Bier, eine kleine Runde Innenstadt-Damen kehrt zu ihrem wö- DIE HIPSTER NEBEN DER KÖNIGIN DER chentlichen Treffen auf ein oder zwei Achterl NACHT und die legendären Brötchen ein, Touristen be- Es gibt beinahe kein Durchkommen – schon am staunen das schöne Jugendstil-Ambiente mit CAFÉ KORB: EINE BÜHNE FÜR ALLE frühen Abend ist es in der legendären Loos- der historischen Holzvertäfelung und den Re- Die Patina der 1960er-Jahre hat das Café Korb bar dicht gedrängt. Und jeder staunt, wie viele lief-Fliesen, dazwischen trifft Politprominenz fest im Griff. Modern ist etwas anderes. Viel- Menschen auf 27 Quadratmetern Platz finden. auf Kunst-Schickeria. Das Schwarze Kameel leicht ist das genau der Grund, warum sich die Und das inklusive Glas. Für eine ist immer Platz: ist wienerisch und international zugleich, ein Wiener hier so wohl fühlen. Obwohl es eigent- Marianne Kohn, berühmteste Barfrau Wiens, Szenelokal für alle Altersgruppen, eine Art Frei- lich zu jeder Tageszeit voll ist, findet hier jeder sitzt als Ikone an ihrem Stammplatz in der Fens- lichtmuseum für Wiener, ein authentisches Ab- sein Plätzchen. Der heimische Promi, den man terloge und wacht über das Geschehen. Seit bild der Wiener Gesellschaft mit all seinen Mi- aus dem Fernsehen kennt, ist am Nebentisch über 100 Jahren findet sich hier eine interes- lieus. Gegründet von Johann Baptist Cameel in seine Zeitung vertieft. Eine Runde Kreativer sante Mischung an Gästen ein, vom Hipster bis führt heute die Familie Friese das Kultlokal, das hat sich neben der feinen Dame aus dem 1. Be- zum Anwalt, alle lieben die von Adolf Loos ge- bereits 400 Jahre auf dem Buckel hat. Und ja, zirk niedergelassen. Der Herr aus der Vorstadt staltete American Bar. Berührungsängste darf ein Restaurant gibt es auch noch, für alle, die sitzt über seinem Gulasch. Omnipräsent (ob man hier keine haben, auch der Wunsch nach ein bisschen weniger Trubel bevorzugen. auf Bildern oder persönlich) ist die extravagan- Privatheit ist hier fehl am Platz. Aber deswegen te Besitzerin und Femme fatale Susanne Widl. kommt auch keiner. Sie war international bekannte Schauspielerin, Model und Künstlerin. Aber die wahren Chefs sind hier die Ober. Denn entgegen aller Vor- urteile über die grantigen Ober in den Wiener Kaffeehäusern haben sie im Café Korb immer einen Schmäh parat.
15 FAMILIÄRE BUSCHENSCHANK MIT AUSSICHT Auf den letzten Metern am Weg zum Nuss- berg leuchtet den Spaziergängern schon die Buschenschank der Winzerfamilie Wieninger entgegen: auf einem der schönsten Plätze, umgeben von Weinbergen, mit einem spek- takulären Blick auf die Stadt. Die Wiener lieben diesen Ort, weil einem hier „das Herz aufgeht“, wie man so schön sagt. Hier trifft man sich an schönen Tagen auf ein (oder mehrere) Glaserl Wiener Wein. Die Mutter von Winzer Fritz Wieninger steht hinter dem Tresen, schenkt DIE CHARMANTESTE WIRTIN WIENS den weltberühmten Wein ihres Sohnes aus Stefanie Herkner biegt tipptopp im 50ies-Stil und verliert auch beim größten Andrang nicht hergerichtet um die Ecke. Sofort ist der Raum ihre Herzlichkeit. In jedem Fall sollte man auch mit Herzlichkeit erfüllt. In der Sekunde fühlt den Empfehlungen von Mama Wieninger folgen man sich in ihrem Lokal „Zur Herknerin“ wie und das hervorragende Essen probieren. zuhause. Dafür sorgt nicht nur die charmante Wirtin, sondern auch das gemütliche Ambien- te. Stefanie Herkner hat ein ehemaliges Instal- lateur-Geschäft in ein unkompliziertes Gast- haus verwandelt und kocht dort bodenständige Wiener Küche, wie man sie von daheim kennt. Das Kochen und die Liebe zum Essen wurden ihr in die Wiege gelegt: Sie ist die Tochter einer Wirtshauslegende, ihr Vater hat das bekann- te Gasthaus „Zum Herkner“ geführt. Stefanie Herkner ist bekannt für ihre charmante Art. Die serbischen Krautrouladen und ihre Knödel sind legendär. Wie man letztere perfekt zubereitet, gibt sie in Knödelseminaren weiter. EIN TSCHOCHERL ZUM STAUNEN Beinahe laufen wir an dem Haus in der Pramer- gasse 21 vorbei. Nichts deutet darauf hin, dass sich hinter der unscheinbaren Fassade eines der besten Restaurants Wiens befindet. Man könnte „Pramerl & the Wolf“ für ein einfaches Tschocherl halten. Drinnen erwartet uns ein ge- mütliches Beisl-Ambiente mit alter Holzschank und holzvertäfelten Wänden. Wir nehmen an ei- nem der wenigen Tische Platz. Eine Speisekar- te bekommen wir nicht, stattdessen kommt der sympathische Hausherr und Chefkoch Wolf- gang Zankl zu uns an den Tisch. Der ehema- lige Unternehmensberater fragt uns ganz un- gezwungen: „Habt ihr viel oder wenig Hunger? Mögt oder vertragt ihr etwas nicht?“ Und kocht uns dann mit seiner radikal modernen Wiener Küche in den Himmel. Gedeckt wird nur für den ersten Gang, das restliche Besteck nehmen wir selbst aus der Tischlade. Alles unprätentiös, WIENS ERSTE STADTKÄSEREI alles ohne das große Getue der Haute Cuisi- Mit beiden Armen stecken Johannes Lingenhel ne, auch wenn die Küche bereits einen Guide- und Robert Paget im lauwarmen Käsebruch. Michelin-Stern erhalten hat. Auch so kann man Sie haben den Duft von frischer Molke in der die Wiener Küche entdecken. Nase. Ständig kneten sie die Käsemasse, die später als Wiens frischester Büffelmozzarella serviert wird, und ziehen den Teig in die Län- ge. Nebenbei haben die beiden Herren auch SOMMERLICHE STADTOASE noch ganz viel Spaß. Johannes Lingenhel hat Hitze liegt über der Stadt. Der Verkehrslärm in einem wunderschönen, 200 Jahre alten Ge- ist nur als ein entferntes Rauschen zu hören. bäude eine Genusswelt mit Käserei, Feinkostla- Der Innenhof des MuseumsQuartiers ist mit den und Restaurant entstehen lassen. Während Stimmen erfüllt, Geschirr klappert, Kinder spie- der Kurse in der Schaukäserei mit historischen len Fangen und so mancher Tourist kühlt seine Pferdetränken aus Stein erzählt Lingenhel ge- Beine im Wasserbecken. Ja, natürlich steht das meinsam mit Käsemacher Robert Paget un- MuseumsQuartier, früher die kaiserlichen Hof- terhaltsame Anekdoten. Die Delikatessen aus stallungen, in jedem Reiseführer. Aber auch der Käserei kommen in dem Lokal direkt an die Wiener lieben diesen Ort und treffen sich den Tisch – frischer als in Wiens erster Stadt- hier im Sommer zum Tratschen, Abhängen, käserei geht es kaum. Biertrinken und Boule-Spielen. Das Museums- Quartier mit seinen berühmten MQ-Möbeln, jedes Jahr in einer anderen Farbe, sind so et- was wie das Wohnzimmer der Stadt geworden. Und manchmal gehen die Wiener sogar in ei- nes der Museen …
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