Januar februar märz april mai juni juli august september oktober november 21 dezember - Arsenal Berlin
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januar februar märz april mai juni juli august september oktober november 21 dezember arsenal institut für film und videokunst e.V.
2 november 21 inhalt Künstlerinnenprogramm > 17 Farewell Until the Next War > 28 AFRIKAMERA 2021: Urban Africa, Urban Movies – Youth & Youth Culture > 18 Film Restored Das Filmerbe-Festival >4 Großes Kino, kleines Kino: #47 und #48 > 29 Learning from Cinema 16 Werkschau & SchulKinoWochen > 29 Helma Sanders-Brahms > 22 „The gatekeepers exist to be overthrown.“ Amos Vogel – Reprisen und Repliken (II) > 8 arsenal 3 Werkschau Leos Carax > 25 Werke von diesjährigen Stipendiatinnen aus dem Arsenal-Verleih > 30 Buchpräsentation: Moments of Rupture: Space, Militancy & Film > 28
editorial november 21 3 Wie in jedem Monat findet sich in unserem November-Pro- gramm Zeitgenössisches sowie Historisches, steht Main- stream neben Experimentellem. Besonders aufschluss- reich ist es, wenn sich Verbindungslinien ziehen lassen, Einflüsse erkennbar werden, Filme miteinander zu kom- munizieren beginnen. Die Beziehungen zwischen der US- amerikanischen und europäischen Kinokultur und der fil- mischen Avantgarde der 60er Jahre etwa lassen sich im Amos Vogel (1921–2012) gewidmeten Programm studieren. Reprisen von Programmen mit amerikanischen Experi- mentalfilmen, die der New Yorker Filmkurator Vogel 1965 in der Berliner Kongresshalle (heute das Haus der Kulturen der Welt) vorstellte, lassen den Stellenwert erahnen, den diese New Yorker Programme für das damalige Berliner Publikum hatten. Neu Bei der Präsentation von Filmprojekten im Rahmen des von bei arsenal distribution > 31 der Senatsverwaltung für Kultur und Europa geförderten Künstlerinnenprogramms zeigen Stipendiatinnen ihre Kalendarium > 32 Filmprojekte, die sich zumeist noch im Entstehungsstadi- um befinden. In Werkstattgesprächen werden die Arbeiten diskutiert und künstlerische Ansätze reflektiert. Neben Impressum > 39 diesen ganz neuen Projekten können beim jährlich statt- findenden und von der Deutschen Kinemathek organisier- ten Festival Film Restored restaurierte Filme gesehen werden, die damit ein „neues“ Leben erhalten. Der The- menschwerpunkt widmet sich dieses Jahr der filmischen Repräsentation von Exil, Emigration und Flucht. Like in every month, the program this November includes contemporary and historical, mainstream and experimen- tal works. It is particularly appealing when connections can be made and influences detected, and when films start to communicate with each other. As part of the artists’ program funded by the Senate De- partment for Culture and Europe scholarship holders pres- ent film projects that are mostly still in the development phase. The projects and artistic approaches are then dis- cussed in workshops. Ihr Arsenal-Team
4 november 21 film restored – das filmerbe-festival PALERMO ODER WOLFSBURG (Werner Schroeter, BRD/CH 1980) IL VALORE DELLA DONNA È IL SUO SILENZIO (Gertrud Pinkus, CH/BRD 1980) Film Restored Das Filmerbe-Festival Flucht- und Migrationserfahrungen prägen in doppeltem Sinne deutlich: Die aus Süditalien nicht nur die Realität, sondern auch 125 Jahre weiter wirkende Schweigepflicht (Omertà) ver- Filmgeschichte. Sie spiegeln sich in Biografien, bot es den Protagonistinnen, vor die Kamera zu Produktionsbedingungen und den Geschichten, treten. Ihre Erzählungen über den Alltag in der die das Kino erzählt. Unter dem Titel „Cinematic Fremde sind aus dem Off zu hören und geben Migrations“ widmet sich die sechste Ausgabe der Migrationserfahrung eine weibliche Stimme. des Festivals Film Restored in 18 Filmprogram- LO STAGIONALE (Alvaro Bizzarri, CH 1971 | 6.11.) men den vielfältigen internationalen Verflech- Der aus der und für die Gemeinschaft der Sai- tungen von Flucht, Auswanderung und Filmge- sonarbeiter in der Schweiz gedrehte Mobili schichte. sierungsfilm schildert die unmenschlichen PALERMO ODER WOLFSBURG (BRD/CH 1980 | Beschränkungen des Familiennachzugs am 3.11.) Werner Schroeters Epos, das in seiner re- Beispiel eines verwitweten Arbeiters und seines staurierten Fassung seine Premiere bei der Er- Sohns mit Anklängen an den italienischen Neo- öffnung des Festivals erlebt, ist eine Erzählung realismus. über Arbeitsmigrant*innen. Das mit dem Golde- In DÉJÀ S’ENVOLE LA FLEUR MAIGRE (Paul Mey- nen Bären der Berlinale prämierte Werk verbin- er, B 1960 | 5.11.) stehen Einwanderer vor der det Dokumentarisches mit opernhaften Insze- Kamera, um auf die verheerenden Arbeits- und nierungen und satirischen Schlaglichtern auf Lebensbedingungen der Bergleute in der Bori- die Bundesrepublik und ihren Arbeitsethos. Die nage-Gegend in Belgien aufmerksam zu ma- Armutsflucht aus Süditalien ist ein wiederkeh- chen. Im Zentrum der Erzählung steht ein Junge rendes Thema in der Filmgeschichte. mit seinen Erfahrungen als Kind von Einge IL VALORE DELLA DONNA È IL SUO SILENZIO wanderten. Die Lebenswelt der Kinder wird in (Gertrud Pinkus, CH/BRD 1980 | 7.11.) macht die diesem Film berührend und authentisch darge- Unsichtbarkeit der Ehefrauen der Gastarbeiter stellt. Hier wie dort veranschaulichen die kind-
film restored – das filmerbe-festival november 21 5 lichen Protagonisten als nur sekundär von der alle aus Nazi-Deutschland geflohenen Film- Migration der Erwachsenen Betroffene eine schaffenden konnten in Hollywood Fuß fassen existenzielle Verletzlichkeit in der oftmals feind- und dort ihre Karriere aufbauen wie beispiels- lichen Umgebung. Zugleich künden sie von der weise Robert Siodmak. Mit THE KILLERS schuf Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Die schwie- er einen prototypischen Film Noir-Klassiker, der rigen Arbeits- und Lebensbedingungen der in den Einfluss der Herkunft des Regisseurs und den Norden Emigrierten stehen im Zentrum der des expressionistischen deutschen Kinos der beiden dokumentarischen Filme LO STAGIONA- 20er Jahre nicht verleugnet. LE und DÉJÀ S’ENVOLE LA FLEUR MAIGRE. DOÑA FRANCISQUITA (Spanien 1934 | 4.11.) Hans In 300 MIL DO NIEBA (Maciej Dejczer, PL/DK/F Behrendt verschlug es in das vor-franquistische 1989 | 7.11.) werden die Kinder selbst zu Akteuren Spanien, wo er zusammen mit anderen Exilanten und begeben sich auf eine abenteuerliche Reise, DOÑA FRANCISQUITA drehte – eine Tonfilmope- um der Perspektivlosigkeit zuhause zu entkom- rette mit Weimar Touch in spanischem Ambiente. men, wo ihr Vater als Solidarność-Aktivist von HORTOBAGY (Georg Höllering, HU 1937 | 6.11.) den Behörden schikaniert wird. Auch der Österreicher Georg Höllering durchlief ISABEL AUF DER TREPPE (Hannelore Unterberg, verschiedene Stationen in seinem Exil. Bevor er DDR 1984 | 7.11.) Einen politischen Hintergrund endgültig nach Großbritannien übersiedelte, hat auch die Emigration des zwölfjährigen Mäd- drehte er in Ungarn den erzählerischen Doku- chens, das nach dem Putsch in Chile mit ihrer mentarfilm über die Puszta und ihre Bewohne Mutter in die DDR flieht, wo die beiden jahrelang r*innen, der stark gekürzt ins Kino kam und nun auf eine Nachricht von Mann und Vater warten. die Premiere der restaurierten Fassung erlebt. THE KILLERS (Robert Siodmak, USA 1946 | 4.11.) INSEL DER DÄMONEN (Friedrich Dalsheim, D 1933 Das politisch bedingte Exil war und ist für die | 4.11.) ist ein Dokumentarfilm mit Spielhandlung, internationale Filmgeschichte prägend. Nicht der nun digital restauriert auf der Leinwand zu
6 november 21 film restored – das filmerbe-festival sehen ist. Friedrich Dalsheims ethnografisch ge- 1958 | 6.11.) Ins selbstgewählte Exil ging in den nauer „Kulturfilm“ über ein balinesisches Dorf 30er Jahren Lotte Reiniger: In Großbritannien und den dort herrschenden Geisterglauben wur- drehte sie einige ihrer besten Scherenschnitt- de zwar sehr positiv in Nazi-Deutschland aufge- Animationen. Sie greifen Opernthemen auf und nommen, dennoch musste der jüdische Filme- setzen sie in farbenprächtige Trickfilme um. macher kurz darauf emigrieren. UN CHAPEAU DE PAILLE D’ITALIE (René Clair, Ein Programm mit fünf Animationsfilmen (DDR F 1928 | 6.11.) Wenig bekannt ist, dass die russi- 1977–1988 | 7.11.) von Kurt Weiler illustriert die sche Revolution von 1917 ebenfalls einen Mas- künstlerische Bandbreite des wichtigsten Avant- senexodus nicht zuletzt unter Filmschaffenden gardefilmers der DDR. Nach 1945 kehrten einige hervorrief. In Paris gründeten diese „Weißrus- Filmschaffende aus dem Exil nach Deutschland sen“ ein eigenes Filmstudio – das Albatros- zurück, so z.B. Kurt Weiler, der in die DDR ging Studio -, in dem René Clair seine wunderbare und bei der DEFA Karriere machte. Andere Re- Komödie drehte. Das Boulevardstück um den migranten versuchten in der BRD Fuß zu fassen von einem Pferd entwendeten Strohhut einer – oft wenig erfolgreich. Ein eindrückliches Bei- verheiraten Dame, die sich mit einem Liebhaber spiel hierfür ist Peter Lorres DER VERLORENE vergnügt, verbindet gekonnt die Tradition fran- (BRD 1951 | 7.11.). Der Regisseur spielt in seinem zösischer Stummfilmkomödien à la Max Linder Film einen von Zwangsvorstellungen getriebe- mit amerikanischem Slapstick. nen Wissenschaftler, den seine Nazi-Vergan- EL DÍA QUE ME QUIERAS (John Reinhardt, USA genheit einholt. Das nachkriegsdeutsche Publi- 1935 | 4.11.) Das Festival würdigt darüber hinaus kum wollte mit Thema und Machart des Films auch Produktionen, die gezielt für eine migranti- nichts anfangen. sche Community produziert wurden. Stellvertre- HELEN LA BELLE (Lotte Reiniger, GB 1957 | 6.11.) tend wird ein Schlaglicht auf die spanischspra- und A NIGHT IN THE HAREM (Lotte Reiniger, GB chige Filmkultur in den USA geworfen, für die
film restored – das filmerbe-festival november 21 7 INSEL DER DÄMONEN (Friedrich Dalsheim, D 1933) DER VERLORENE (Peter Lorre, BRD 1951) ULKOMAALAINEN (Muammer Özer, Schweden/Finnland 1983) Kinohits mit dem Tango-Star Carlos Gardel ge- gen, wie Fremdheitserfahrungen mit eigenwilli- dreht wurden. gen, teils experimentellen Stilmitteln veran- ULKOMAALAINEN (Muammer Özer, Schweden/ schaulicht und in eine nicht-lineare Narration Finnland 1983 | 5.11.) setzt die sich ins Wahnhafte übersetzt werden. steigernde Entfremdung eines türkischen Land- Das vielfältige Filmprogramm wird ergänzt arbeiters in einer Montage von dokumentari- durch Vorträge und Podiumsrunden, die die Hin- schen und surreal anmutenden Bildern filmisch tergründe dieser Filmproduktionen beleuchten um. TRAVERSÉES (Mahmoud Ben Mahmoud, B/ sowie die Herausforderungen transnationaler Tunesien 1982 | 5.11.) schildert die kafkaeske Si- Archivarbeit diskutieren. Ehrengast Jan-Chris- tuation zweier Zufluchtsuchender, die von den topher Horak schildert in seinem Eröffnungsvor- Grenzbehörden abgewiesen werden und auf ei- trag, wie Los Angeles über Jahrzehnte hinweg ner Fähre zwischen den Ländern hin und her zum Schmelztiegel verschiedenster Migrations- pendeln. biografien und -erfahrungen in der Filmbranche FRANTZ FANON: BLACK SKIN, WHITE MASK wurde. Mahmoud Ben Mahmoud stellt die Res- (Isaac Julien, GB 1996 | 5.11.) erzählt unter Ver- taurierung seines Films TRAVERSÉES vor und wendung von Rekonstruktionen, Archivmaterial Werkstattberichte und Filmeinführungen geben und Interviews mit bedeutenden Theore Auskunft über aktuelle Restaurierungsarbeiten. tiker*innen vom Leben und Werk des einfluss- Eine Auswahl der Festivalfilme, Gespräche, Ein- reichen antikolonialistischen Aktivisten und führungen und zusätzliche Bonusfeatures wer- Schriftstellers Frantz Fanon und reflektiert da- den online auf www.film-restored.de zur Verfü- bei Fremdheitserfahrung und „Othering“ in gung stehen. (ah) (post-)kolonialem Zusammenhang. 18 programs of the Film Restored festival focus Filme wie ULKOMAALAINEN, TRAVERSÉES und on the many international connections between FRANTZ FANON: BLACK SKIN, WHITE MASK zei- escape, emigration and film history.
8 november 21 „the gatekeepers exist to be overthrown.“ PULL MY DAISY (Alfred Leslie, Robert Frank, Jack Kerouac, USA 1959) MOST (The Bridge, Vladimir Petek, Jugoslawien 1963) „The gatekeepers exist to be overthrown.“ Amos Vogel – Reprisen und Repliken (II) Die Hommage an den New Yorker Filmkurator tionale Rezeption und Wertschätzung experi- Amos Vogel (1921–2012) würdigt eine Persönlich- menteller Filmformen, so hat ihre Dominanz keit, für die Filmkultur ein kollektives emanzi auch zu Engführungen und Auslassungen in patorisches Abenteuer war und die damit der Ki- der Filmgeschichte geführt. Das Novemberpro- noarbeit einen Weg wies, den auch das Arsenal gramm folgt dagegen einer schon damals von gegangen ist und der heute noch relevant ist. Amos Vogel formulierten Forderung nach einem Das in drei Teilen konzipierte Programm begann geografisch breiteren und formal anspruchsvol- im September mit einem Fokus auf die legendä- leren Verständnis von Avantgarde. Unter dem re „Film Society for the adult moviegoer“ Cinema Arbeitstitel „A Changing Canon“ haben verschie- 16, die Vogel 1947 mit seiner Frau Marcia gegrün- dene Kurator*innen Programme zusammenge- det hatte und die zur Wiege der New Yorker Ex- stellt, die die Heterogenität der Experimental- perimentalfilmbewegung wurde. Von 8. bis 15.11. filmszenen in den USA aufzeigen, aber auch auf stehen nun die 60er Jahre im Mittelpunkt: die zeitgleiche Aufbrüche in Europa aufmerksam sukzessive Etablierung des „New American Cin- machen und daran erinnern, wie auch der „Un- ema“, aber auch andere Aufbrüche und Schlüs- derground“ schon bald unterminiert wurde. Ein- selmomente einer Dekade, in der sich die siebte mal mehr: Die Wächter*innen der Freiheit, so Kunst noch einmal neu erfand. Vogel im Schlusssatz seines Buchs „Film as a Schon in der zeitgenössischen Wahrnehmung Subversive Art“ (1974), „sind zu allen Zeiten und des Experimentalfilms spielten die New Yorker unter allen Bedingungen die Rebellen.“ Film-Makers’ Coop und der dort vertretene Ka- REPRISE: THE CINEMA OF IMPROVISATION (8.11.) non des New American Cinema eine dominie- Der Auftakt erinnert noch einmal an die Schlüs- rende Rolle und tun es auch heute noch. War die selrolle, die Cinema 16 für das New American Produktivität der New Yorker Szene zweifellos Cinema hatte. Im November 1959 lief dort unter entscheidend für eine breite, bald auch interna- dem Titel „The Cinema of Improvisation“ ein auf-
„the gatekeepers exist to be overthrown.“ november 21 9 sehenerregendes double bill: John Cassavetes’ den sich die Geister. Vogel sah ihn erstmals auf Debüt SHADOWS (USA 1959), in dem Ben Car- dem Experimentalfilmfestival 1958 in Brüssel ruthers, Lelia Goldini und Hugh Hurd drei Ge- und notierte: „silent – silent“, „movement never schwister spielen, die ein Zusammenleben jen- stops“, „terrible for eyes“, „show only as wild ex- seits der herrschenden Konventionen erproben, periment“ – und: „bad audience“, „lots people sowie einer der ersten programmatischen Filme leave“. Was in Brüssel tumultartige Proteste der Beat-Bewegung, PULL MY DAISY (USA 1959) auslöste, gilt heute als Meilenstein im Werk von Robert Frank und Alfred Leslie. Wenn ein Brakhages: eine Reflexion über Licht, Sehen und Bekenntnis zur Gegenwart, zum Jazz und zur Spiritualität, die radikal mit traditionellen Mon- Nonkonformität beide Filme verband, so ist ihre tageverfahren brach. Dass Vogel den Film nicht improvisierte Entstehung ein Mythos. SHADOWS, bei Cinema 16 zeigen wollte, führte zu einem zeit- wie allen späteren Filmen Cassavetes’, gingen weisen Bruch mit Stan Brakhage, der bis dahin monatelange Proben voraus, und auch die ver- zu seinen engsten Kontakten in der experimen- meintliche Spontaneität, mit der die Beatpoeten tellen Filmszene gehört hatte. Auch der Filmkri- Allen Ginsberg, Peter Orlovsky und Gregory Cor- tiker Parker Tyler, Brakhages Mentor und Vogels so in PULL MY DAISY eine Dinnerparty sprengen, Freund und Weggefährte, lehnte den Film ab. Der folgte einem genauen Script, nämlich einer lite- Filmwissenschaftler Henning Engelke wird die rarischen Vorlage von Jack Kerouac. In dersel- Zäsur ANTICIPATION OF THE NIGHT mit einer ben Kombination liefen beide Filme 1961 auch Montage aus Briefwechseln und Streitgesprä- auf dem Festival in Spoleto, Italien, in einer der chen zwischen Vogel, Brakhage und Tyler einfüh- ersten Werkschauen des „Nuovo Cinema Ame- ren, die ein Licht auf die sich verändernde Expe- ricano“. rimentalfilmkultur der späten 50er Jahre wirft. ANTICIPATION OF THE NIGHT (USA 1958 | 9.11.) An VERÄNDERUNGEN IM FILM: VERSUCHE AUS NEW Stan Brakhages bis dahin längstem Film schie- YORK (10.11.). Am 8. Dezember 1965 präsentierte
10 november 21 „the gatekeepers exist to be overthrown.“ Amos Vogel in der Berliner Kongresshalle ein unternommenen Ausflug nach Ost-Berlin. Stan Filmprogramm unter dem Titel „Versuche aus Vanderbeek beendete den Abend mit einem Ma- New York“. Als Vertreter*innen des jungen ame- nifest für eine neue, technologisch versierte rikanischen Films saßen mit ihm auf der Bühne: Filmavantgarde und einer Expanded Cinema Stan Brakhage, Shirley Clarke, Bruce Conner, Vorführung. Die (fast vollständige) Reprise der Carmen d’Avino, Ed Emshwiller und Stan Van- Filmfolge ist am 11.11. zu sehen. derbeek, zudem Walter Höllerer, der Leiter des PERMISSION TO CROSS THE WHITE LINE, SIR! Literarischen Colloquiums Berlin, dessen neu DAS LIVING THEATRE UND THE BRIG. Am 15.11. gegründete Filmsektion die Veranstaltung orga- thematisiert eine Veranstaltung im Literari- nisiert hatte. Die Auswahl an Filmen und Gästen, schen Colloquium Berlin ein paralleles Projekt die Amos Vogel für diesen Anlass traf, lässt sich zu Amos Vogels Programm „Versuche aus New als Matrix seiner Positionierung innerhalb des York“ aus der gleichen Zeit: Das erste Stück der New American Cinema lesen, wobei er auf den vom LCB initiierten Reihe „Modernes Theater Begriff hier verzichtete, da dieser bereits zu eng auf kleinen Bühnen“ war Ende 1964 „The Brig“ in mit der Film-Makers’ Coop um Jonas Mekas einer Inszenierung des New Yorker Living Thea- identifiziert wurde. Der Sender Freies Berlin tre, das damals im Berliner Exil arbeitete. Von zeichnete die fast dreistündige Veranstaltung auf der Aufführung in der Akademie der Künste gibt und sendete im Januar 1966 einen 75-minütigen es eine Fernsehschnittfassung mit einem einlei- Zusammenschnitt. Darin sind die Hälfte der ge- tenden Gespräch zwischen Walter Höllerer und zeigten Filme enthalten – nebst hörbarer Publi- den Leitern des Ensembles, Judith Malina und kumsreaktionen –, Vogels Kurzvorstellungen Julian Beck. Der gleichnamige Film THE BRIG der Beteiligten und ihre persönlichen State- (USA 1964) von Jonas und Adolphas Mekas ent- ments, die mal von der Aufbruchstimmung im stand bei der letzten Aufführung des Stücks in Experimentalfilm handelten, mal vom tags zuvor New York. Eine Sichtung der beiden Dokumente
„the gatekeepers exist to be overthrown.“ november 21 11 THE CONNECTION (Shirley Clarke, USA 1961) A MOVIE (Bruce Conner, USA 1958, Courtesy of the Conner Family Trust and Kohn Gallery) DOG STAR MAN PART II (Stan Brakhage, USA 1963, Courtesy of the Estate of Stan Brakhage and www.fredcamper.com) bietet die Grundlage eines Gesprächs zwischen Welt) zu sehen war. Den Auftakt machten zwei der Kuratorin Nora Molitor und dem Dramatur- Collagefilme von Bruce Conner, A MOVIE (1958) gen Henning Fülle über das Spannungsverhält- und COSMIC RAY (1962), satirische Pamphlete ge- nis von Film und Theater. gen die Kriegstrunkenheit der amerikanischen In diesem Spannungsverhältnis entstand auch Kulturindustrie. Carmen D’Avinos Animationen Shirley Clarkes THE CONNECTION (USA 1961 | A TRIP (1960) und PIANISSIMO (1963) sind farben- 10.11.), basierend auf einem Theaterstück von frohe Wunderwerke, in denen die schiere Faszi- Jack Gelber, das zwei Jahre zuvor vom Living nation an bewegten Bilder fortlebt. Stan Bra- Theatre in New York uraufgeführt wurde. Die khage zeigte drei Arbeiten, die seine Technik der Stück-im-Stück-Struktur der Vorlage übersetzt kreativen Manipulation des Filmmaterials ver- Shirley Clarke in eine Film-im-Film-Erzählung anschaulichten: TWO: CREELEY/MCCLURE (1965), über einen Regisseur, der einen Film mit Jun- zwei zu einem Filmstreifen überlagerte „Port- kies drehen will und mit ihnen auf das Eintreffen räts“ von Robert Creeley und Michael McClure, ihres Dealers wartet. Clarkes brillant inszenier- DOG STAR MAN PART II (1963), in dem ein zum tes Kammerspiel (der ganze Film spielt im sel- Leben (d.h. Sehen) erwachendes Baby einem ben Apartment) warf unbequeme Fragen nach ununterbrochenen Schauer physischer Bildein- dem Authentizitätskult im engagierten Doku- griffe ausgesetzt ist, und MOTHLIGHT (1963), für mentarfilm auf. den Brakhage Partikel toter Motten direkt auf REPRISE: VERSUCHE AUS NEW YORK (KON- den Filmstreifen belichtete. Ed Emshwiller war GRESSHALLE BERLIN, 1965) (11.11.) Eine weit ein Pionier der Experimentalfilmbewegung, des- gehende Rekonstruktion des von Amos Vogel sen Arbeit Vogel seit den Anfängen mit großer zusammengestellten Programms, das im De- Sympathie verfolgt hatte. In THANATOPSIS (1962) zember 1965 in der voll besetzten Berliner Kon- setzt er zu einem pulsierenden Soundtrack die gresshalle (das heutige Haus der Kulturen der „inneren Qualen“ eines Mannes in Szene. Shirley
12 november 21 „the gatekeepers exist to be overthrown.“ Clarkes SCARY TIME (1960) zeigt Kinder in ver- 1964 erstmals durch Europa tourte. Weniger be- schiedenen Ländern, ihre Spiele, ihre Masken, achtet, aber filmisch und historisch nicht weni- ihre Armut. Ursprünglich eine Auftragsarbeit für ger interessant war ein 26 Filme umfassendes UNICEF, wurde der Film jedoch nie in Umlauf Programm mit dem Titel „The Western American gebracht, vermutlich weil Clarke sich in ihrer Experimental“, das bereits ein halbes Jahr vor- Darstellung keine Euphemismen gestattete. Im her in Stockholm, Kopenhagen, Amsterdam und Anschluss ist ihr berühmtes Brückenballett zu Teilen auch bei den Freunden der Deutschen BRIDGES-GO-ROUND (1958) zu sehen, das sie in Kinemathek in Berlin zu sehen war. Zusammen- gestellt hatten es Bruce Baillie und Chick Strand, Berlin als „my last dance film“ vorstellte. Der Ab- schluss des Berliner Abends bestand aus einem die 1961 in Berkeley das Canyon Cinema Collec- Versuch Stan Vanderbeeks, seine für mehrere tive gegründet hatten. Ihre Auswahl stellte vor- Projektoren konzipierte Arbeit Feedback #1 in diewiegend Filmemacher (sic) vor, die noch kaum Architektur der Kongresshalle zu transponieren. bekannt waren und von denen viele auch später Diese auf ständige Aktualisierung angelegte nicht zum Mainstream das New American Cine- Found-Footage-Live-Montage lässt sich nicht ma zählten. John Sundholm und Miguel Fernan- rekonstruieren, stattdessen ist Vanderbeeks déz Labayen untersuchen derzeit in einer kolla- BREATHDEATH (1963) zu sehen, eine irre Geister- borativen Recherche die schrittweise Ankunft bahnfahrt durch seinen Bilderfundus zu einem des New American Cinema in Europa und haben kongenialen Soundtrack von Jay Watt. aus dem „West Coast“-Programm neben Stan A CHANGING CANON: THE WESTERN AMERICAN Brakhages REFLECTIONS ON BLACK (1955) – EXPERIMENTAL (12.11.) Ein wichtiges Ereignis in „four possible sexual dramas, visualized by a der Geschichtsschreibung der Dekade ist die von blind man“ (Amos Vogel) – vor allem Filme aus- Jonas Mekas und der Film-Makers’ Coop organi- gewählt, die es (wieder) zu entdecken gilt: Film sierte „New American Cinema Exhibition“, die als Lichtspiel begreifende Naturbeobachtungen
„the gatekeepers exist to be overthrown.“ november 21 13 SCARY TIME (Shirley Clarke, USA 1960) BREATHDEATH (Stan Vanderbeek, USA 1963) BEAT (Christopher Maclaine, USA 1958, NACG – The Film-Makers’ Cooperative) wie Lawrence Jordans THE SEASON’S CHANGE spontane Abstecher. Einer davon führte Sitney (1960) und Will Hindles Debütfilm PASTORALE im Dezember 1967 auf das Genre Experimental D’ÉTÉ (1958), Christopher Maclaines BEAT (1958), Festival (GEFF) in Zagreb, seit 1963 der vitale ein Stimmungsbild der Beat-Szene von San Treffpunkt der jugoslawischen Experimental- Francisco, oder HAVE YOU SOLD YOUR DOZEN filmszene, die ihre Basis in den landesweiten ROSES? (1959), in dem Lawrence Ferlinghetti ein Amateur-Filmclubs hatte. In der „Atmosphäre zynisch-heiteres Gedicht über kontrapunktisch des fruchtbaren Chaos“, die laut Dušan Maka- gesetzte Aufnahmen einer Mülldeponie spricht. vejev das GEFF auszeichnete, mag Sitneys Wan- Am Anfang und Ende des Programms stehen Fil- derzirkus neben neuen Inspirationen womöglich me, die erst etwas später entstanden: Ben Van ebenso viele alte Hüte geboten haben. Ein loka- Meters POON TANG TRILOGY (1965), eine Art Cine- ler Rezensent bescheinigte dem New American tract gegen die damals notorische Filmzensur in Cinema jedenfalls, den dadaistischen Ansprü- Kalifornien, und Chick Strands zweiter Film, AN- chen des Zagreber Festivals nicht genügt zu SELMO (1967), in dem sie die Odyssee beschreibt, haben. GEFF wurde vom Kinoclub Zagreb orga- die es bedeutete, einem mexikanischen Freund nisiert, der für einen „Antifilm“ eintrat, den etwa ein Geschenk zu machen. Mihovil Pansini in K3 ILI ČISTO NEBO BEZ OBLA- I’M MAD – OUTTAKES FROM THE HISTORY OF YU- KA (K3 or Clear Sky Without Clouds, 1963) zu GOSLAV UNCONVENTIONAL CINEMA (12.11.) Als einer Konsequenz führte, die erst zum Trend und Jonas Mekas und P. Adams Sitney im Sommer dann zum Witz wurde. Auch der jugoslawische 1967 die Koffer für die zweite New American Ci- Experimentalfilm lancierte Attacken aufs Mate- nema Exhibition packten, konnten sie nicht vor- rial, lochte, kratzte, nähte, verklebte die Film- aussehen, wohin die Reise schließlich gehen streifen wie Vladimir Petek in MOST (Bridge, würde. Zwischen einigen vorab gebuchten Sta- 1963) und SRETANJE (Encounter, 1963), zerriss tionen machte die Tour immer wieder auch die Bilder mit wilder Handkamera wie FLUORE-
14 november 21 „the gatekeepers exist to be overthrown.“ SCENCIJE (Fluorescences, 1966) von Ante Ver SCHMEERGUNTZ (USA 1966), eine visuelle Kis- zotti und ließ durch rigorose Anwendung der senschlacht gegen den Sexismus der Konsum- Schnittprinzipien mystisch kinematische Super- gesellschaft – und vieler „Undergroundfilme“. novas entstehen, so Ivan Martinac in I’M MAD Die wildesten Scherze des Antifilms wurden oft (1967) oder SVE ILI NIŠTA (Everything or Nothing, seine berühmtesten Museumsstücke – KARIO- 1968). Die Zagreber Filmwissenschaftlerin Petra KINEZA (Karyokinesis, 1965) von Zlatko Hajdler Belc stellt eine Auswahl von zwölf Filmen vor, – und während dort aus der Zerstörung des Film- die einen Einblick geben in die zu dieser Zeit wo- materials Kunst wurde, belichtete Tatjana möglich agilste und gleichzeitig idiosynkra- Ivančić den wertvollen Rohstoff nicht weniger tischste Experimentalfilmszene Europas. demonstrativ mit Nahaufnahmen ihrer Milch 13 CONFUSIONS: SUBVERTING THE SUBVERSION schleckenden Katze (DO POSLJEDNJE KAPI, Un- (13.11.) Ein weiteres von Petra Belc zusammen- til the Last Drop, 1972). Durch das Programm gestelltes Programm zeigt neun Filme, die die zieht sich ein stichelndes „Ja, und?“: Yes, but is Floskeln und Tropen einer kanonisch werden- it art? Der Titel „13 Confusions“ zitiert einen be- den Avantgarde dekonstruieren, um mit einer rühmt gewordenen Artikel, den Amos Vogel im solchen Kritik von innen dem Subversiven erneut Sommer 1967 in der Evergreen Review veröffent- Gestalt zu geben. Es spürt einem dadaistischen lichte. Der „Underground“ war auf dem Gipfel Grundimpuls nach – verkörpert im letzten seiner internationalen Popularität, als Vogel Sprechvers Hugo Balls, „Gadji Beri Bimba“, der dazu aufrief, ihn gegen „die blinde Ablehnung zum Auftakt gespielt wird – und zeigt Filme, die der kommerziell orientierten Filmkritik ebenso jenseits des Kanons ein anarchisches Begehren wie gegen die blinde Verehrung durch seine wachhielten: zum Beispiel Jane Conger Belsons Apostel“ zu verteidigen. „Mockexperimental“ ODDS & ENDS (USA 1959) THE EUROPEAN KNOKKE ’67 AND SOME DEVIA- oder Gunvor Nelsons und Dorothy Wileys TIONS (13.11.) Die Reibungsprozesse dieser De-
„the gatekeepers exist to be overthrown.“ november 21 15 HAVE YOU SOLD YOUR DOZEN ROSES? (Philip Green, David Myers, Irving Saraf, Allen Willis, USA 1959) SVE ILI NIŠTA (Everything or Nothing, Ivan Martinac, Jugoslawien 1968) SOLILOQUY (Stephen Dwoskin, GB 1967) kade verdichteten sich auf dem vierten EX- des amerikanischen Experimentalfilms, Taylor PRMNTL Festival, das über den Jahreswechsel Mead, in der Turiner Galleria Arte Moderna, wo 1967/68 im belgischen Seebad Knokke-le-Zoute Sitney und Mekas im Juli zum Auftakt ihrer eu- stattfand. Die dominante Präsenz des New Ame- ropäischen Tournee gastiert hatten. Das grüne rican Cinema auch dort gab dessen internatio- Monster des Titels ist eine Metapher für den naler Wahrnehmung zwar einen erneuten Boost, Geist des kreativen Teilens zwischen Dich sorgte aber auch für lautstarke Kritik und anar- ter*innen, Filmemacher*innen und Perfor chische Happenings und motivierte die europä- mer*innen, der hier in Ton und Bild in Szene ischen Filmszenen, eigene Wege zu gehen. gesetzt wird. Miguel Fernández Labayen und John Sundholm MODELLE: FILMGALERIE HANNOVER / KNOKKE haben aus den knapp 100 in Knokke gezeigten 1967 (14.11.) „Wozu hat der Mensch einen Kopf, Filmen eine Auswahl getroffen, die auf verschie- wozu hat er Augen und Ohren, wozu hat er im dene europäische Experimentalfilm-Kontexte Schädel ein Gehirn?“ Klaus Partzschs am Trick- verweist, darunter den Eiertanz MARKENEIER tisch entstandenes parodistisches Manifesto für (BRD 1967) von Lutz Mommartz, der in Knokke einen neuen Film trug den programmatischen für Selbstschüsse einen der Hauptpreise bekam, Titel ANFANG (BRD 1965) und bezog sich direkt und Stephen Dwoskins SOLILOQUY (GB 1967), der auf die Gründung der Filmgalerie Hannover, in- das Selbstgespräch der Molly Bloom aus Joyces itiiert von ihm selbst und Peter Grobe. Die Film- „Ulysses“ mit Nahaufnahmen eines weiblichen galerie suchte ein neues Publikum mit wache- Gesichts verbindet. IL MOSTRO VERDE (Italien ren Rezeptoren und verband das gemeinsame 1967) von Tonino De Bernardi und Paolo Menzio Filmesehen mit der Hoffnung auf die Entste- war in gewisser Weise Frucht und Fazit des zu- hung neuer Filme. Von den zahlreichen Experi- rückliegenden Sommers der Begegnungen. Der menten, die Partzsch und Grobe in dieser Zeit Film entstand aus einem Treffen mit einer Ikone selber unternahmen, lief eines auch 1967 in
16 november 21 „the gatekeepers exist to be overthrown.“ SCHNITTE (Peter Grobe, BRD 1965) Knokke: der Kurzfilm SCHNITTE (BRD 1965), in schiedenste Formen der experimentellen Bild- dem der praktizierende Architekt Peter Grobe gestaltung vorstellt (siehe S. 29). (th) ein für Innenräume entwickeltes horizontales Die von Tobias Hering kuratierte Reihe wird im Design auf den Filmstreifen überträgt. Mit Clau- Januar fortgesetzt. Besonderer Dank an die Ko- dia von Alemanns EXPRMNTL 4 KNOKKE (BRD Kurator*innen, an Steven und Loring Vogel, Scott MacDonald, Erika und Ulrich Gregor, Lite- 1968) schlägt das von Peter Hoffmann kuratierte Programm noch einmal einen Bogen zu diesem rarisches Colloquium Berlin. Das Programm Schlüsselmoment der Dekade. Mit sichtbarer wurde ermöglicht durch eine Förderung des Hauptstadtkulturfonds. Begeisterung bewegt sich Claudia von Alemann mit ihrer Kamera zwischen den verschiedenenA critical homage to the New York film curator Amos Vogel (1921–2012) pays tribute to a person- Fronten, die sich im Festivalverlauf bildeten und ality for whom film culture was a collective, wieder auflösten wie Flashmobs: um Yoko Ono, emancipatory adventure and who paved a path Harun Farocki und den belgischen Kulturminis- ter. for cinema work that Arsenal took and continues to tread. The three-part program kicked off in Wie schon im ersten Teil dieser kritischen Hom- September with a focus on the legendary Cine- mage an Amos Vogel, sind am 14.11. um 18 Uhr ma 16, “a film society for the adult moviegoer” alle Interessierten eingeladen zu einem Aus- founded by Vogel and his wife Marcia in 1947 that tausch über die Filme der vorangehenden Tage. was the cradle of the New York experimental film Die etwa einstündige REPLIK wird diesmal ein- geleitet von dem Filmkurator Gary Vanisian.movement. From November 8 to 15, attention LEARNING FROM CINEMA 16: EXPERIMENTAL- will shift to the Sixties: the establishment of FILME FÜR DIE OBERSTUFE (11.11.) Stefanie “New American Cinema,” as well as other up- Schlüter hat aus Filmen dieser Hommage ein heavals and key moments of a decade in which Schulprogramm zusammengestellt, das ver- the seventh art reinvented itself again.
künstlerinnenprogramm november 21 17 AL LARGO (Anna Marziano, Italien 2020) Künstlerinnenprogramm Zum 11. Mal präsentiert das Arsenal vom 11. bis gischen und tröstlichen Raum. In einer Kreisbe- 14. November Filmprojekte von Stipendiatinnen, wegung begeben wir uns vom Privaten ins Poli- die in den letzten zwei Jahren vom Künstlerin- tische, von der Mythologie des Meeres zu den nenprogramm der Senatsverwaltung für Kultur Reflexionen über menschliches Leiden in den und Europa gefördert wurden. In Werkstattge- philosophischen Schriften Claire Marins, den sprächen werden die meist noch im Prozess des Collagen Dijana Zoradanas und Bildern Werdens begriffenen Arbeiten diskutiert und Francesco Nashs, zum gesellschaftlichen Um- künstlerische Ansätze reflektiert. gang mit Menschen in Krisensituationen. Bilder Die Hinterfragung des gegenwärtigen politi- und Töne treten in Resonanz, die Zeit scheint schen Selbstverständnisses, von Solidarität und sich in alle Richtungen ins Unendliche auszuwei- Diversität, die Annäherung an die persönliche ten. Die Künstlerin nimmt uns mit auf einen Weg, Familiengeschichte und das in ihr verortete Un- auf dem wir in der Geste der Fürsorge eine mög- ausgesprochene, die Auseinandersetzung mit liche Auflösung der Polarität zwischen Egoismus Rollenzuweisungen und die sich daraus entfal- und Altruismus zu imaginieren vermögen. (ara) tenden innerpsychischen Verletzungen, sowie Weitere Projektpräsentationen von: Neda Ahma- die Überschreitung tradierter Erzählformen sind di, Gamma Bak, Judith Beuth, Francesca Cogni, nur einige der sich abzeichnenden Themen. Wir Britt Dunse, Anna Faroqhi, Juliane Henrich, eröffnen das Künstlerinnenprogramm am 11.11. Franzis Kabisch, Laura Laabs, Malve Lippmann, mit Anna Marzianos Film AL LARGO (I 2020). Das Julia Monika Müller, Nnenna Onuoha, Anne- Meer wird zum Ausgangspunkt einer Reflexion Christin Plate, Stefanie Saghri, Dagmar Schei- über die Erfahrung des Leidens. Im leisen Fluss bert, Sabine Schöbel, Talin Seigmann, Nathalie der Bilder erscheint die Welt wie ein Traum, er- Steinbart und Justin Time. füllt von Worten, Kunstwerken, fossilen Objekten, Ein Programmheft gibt Einblick in diese und an- Liedern, Menschen, und entfaltet einen fast ma- dere geförderte Arbeiten.
18 november 21 afrikamera 2021: urban africa, urban movies – youth & youth culture GRAVEDIGGER’S WIFE (Khadar Ayderus Ahmed, Dschibuti/Finnland/D/F 2021) ZINDER (Aicha Macky, Niger/D/F2021) AFRIKAMERA 2021: Urban Africa, Urban Movies – Youth & Youth Culture Der Themenschwerpunkt Urban Africa, Urban WIDO veröffentlicht wird. In WALABOK (Senegal Movies stellt das urbane Afrika und seine filmi- 2021 | 16.11.) geht es um die talentierte Mossane, sche Reflexion im aktuellen afrikanischen Kino die trotz vieler Hindernisse eine Karriere als ins Zentrum eines auf vier Jahre angelegten Rapperin anstrebt. Nach der Vorführung von drei Programms. In diesem Jahr stehen Produktio- ausgewählten Episoden findet ein Gespräch mit nen im Fokus, die sich mit aktuellen jugend- und der Regisseurin Fatou Kandé Senghor statt. popkulturellen Phänomenen in den Metropolen DOWNSTREAM TO KINSHASA (DR Kongo/Bel Afrikas auseinandersetzen. gien/F 2020 | 18.11.) von Dieudo Hamadi schildert GRAVEDIGGER’S WIFE (Dschibuti/Finnland/D/F den Kampf um Gerechtigkeit der Opfer des 2021 | 15. & 17.11.) Das diesjährige Festival eröff- Sechs-Tage-Krieges zwischen der ugandischen net mit dem Film des finnisch-somalischen Re- und ruandischen Armee in der kongolesischen gisseurs Khadar Ayderus Ahmed. Guled und Stadt Kisangani. 20 Jahre später begibt sich eine Nasra leben gemeinsam mit ihrem Teenager- Gruppe von neun Frauen und Männern auf eine sohn Mahad in einem Außenbezirk von Dschibu- mehrwöchige Reise in die Hauptstadt Kinshasa, ti-Stadt. Als Nasra auf Grund einer chronischen um endlich Wiedergutmachung zu erfahren. Im Nierenerkrankung eine teure Operation benö- Anschluss wird es ein Filmgespräch mit dem tigt, steht die Familie vor der Herausforderung, Regisseur Dieudo Hamadi geben. das notwendige Geld aufzutreiben, ohne den JUJU STORIES (Nigeria 2021 | 18.11.) Das nigeria- Zusammenhalt zu verlieren. In Kooperation mit nische Filmkollektiv Surreal 16 setzt sich in ei- der Heinrich-Böll-Stiftung präsentiert AFRIKA- nem dreiteiligen Anthologie-Film auf ironische MERA ein Sonderprogramm zur Hip-Hop-Kultur Art und Weise mit den übernatürlichen Kräften im Senegal. Die Autorin und Regisseurin Fatou von Juju auseinander – jenseits gängiger Hexen- Kandé Senghor hat eine 30-teilige Serie kreiert, doktorenklischees. Der Film läuft als Deutsch- die aktuell auf der senegalesischen Plattform landpremiere.
afrikamera 2021: urban africa, urban movies – youth & youth culture november 21 19 ZINDER (Niger/D/F 2021 | 18.11.) ist die zweitgröß- und der Gesellschaft konservativ mit Schleier te Stadt des Niger und zugleich Schauplatz die- auftritt, entwirft sie auf Facebook und Instagram ser eindrücklichen Dokumentation über die ein völlig anderes Bild ihrer selbst. Allmählich gewalttätige Gang- und Jugendkultur. Regis- dringt die Realität in ihre Wunschwelt ein – bis seurin Aicha Macky, selbst in Zinder geboren, eine Serie kleiner Zwischenfälle zu einem tragi- begleitet in ihrem zweiten Langfilm Siniya, Bawo schen Ereignis führt. Das Drama der ägypti- und Ramsess, Mitglieder der lokalen Gang „Hit- schen Regisseurin Ayten Amin steht stellvertre- ler“, in ihrem Alltag im Stadtviertel „Kara Kara“. tend für die Identitätssuche von Millionen von Im Programm AFRICAN SHORTS – AFRICAN POP Jugendlichen im postrevolutionären Ägypten CULTURES (19.11.) stehen Formate im Fokus, die zwischen Aufbruch und islamischem Konserva- sich mit aktuellen Trends afrikanischer Pop- tismus. Kulturen auseinandersetzen, darunter ADIKORO JUWAA (DR Kongo/Belgien 2021 | 19.11.) Amani – WOMEN IN MUSIC: GHANA (Ghana/Deutschland war zehn Jahre alt, als seine Mutter Riziki ihn in 2021) der deutsch-ghanaischen Regisseurin einer traumatischen Nacht in Kinshasa bei sei- Pamela-Owusu Brenyah, die sich mit weibli- ner Großmutter zurückließ. Wiederum zehn chem Empowerment in der Popmusikszene von Jahre später zieht er nach Belgien, um Kunst zu Ghana beschäftigt. Im Anschluss findet ein Po- studieren und seine Mutter wiederzutreffen. diumsgespräch mit ihr und der Filmemacherin Während seine Mutter über das Geschehene Fatou Kandé Senghor statt. Eine Veranstaltung nicht sprechen möchte, verstrickt sich Amani in Kooperation mit dem Pop-Kultur Festival Ber- immer tiefer in seine Vergangenheit. Mit JUWAA lin. hat der kongolesische Schauspieler und Regis- SOUAD (Ägypten/Tunesien/D 2021 | 19.11.) Die seur Nganji Mutiri ein bewegendes psychologi- 19-jährige Medizinstudentin Souad führt ein sches Drama geschaffen. Der Film wird als Doppelleben. Während sie im Kreis ihrer Familie Deutschlandpremiere gezeigt.
20 november 21 afrikamera 2021: urban africa, urban movies – youth & youth culture BUDDHA IN AFRICA (Südafrika/Schweden 2019 | in THE LETTER mit dem Phänomen Hexerei im 20.11.) Ennock ist eines von 300 Waisenkindern heutigen Kenia auseinander. Der Film wird für aus dem ländlichen Malawi, die in einem chine- Jugendliche ab 14 Jahren empfohlen. sischen Waisenhaus untergekommen sind. Die LA NUIT DES ROIS (Night of the Kings, Elfen Kinder und Jugendlichen hier müssen Mandarin beinküste/Senegal/F/Kanada 2020 | 20.11.) La sprechen, buddhistische Traditionen pflegen und Maca, das Gefängnis von Abidjan, am Rande der werden auf die Beherrschung der schwierigen Stadt mitten im Wald gelegen, ist eines der über- Kunst des Shaolin Kung Fu getrimmt. Der Doku- fülltesten in Westafrika. Einer der Insassen, der mentarfilm der südafrikanischen Regisseurin alternde und kranke Blackbeard, ist ein zuneh- Nicole Schafer stellt im Zeichen des wachsen- mend umstrittener „Dangoro“. Um seine Macht den Einflusses Chinas auf dem Kontinent hoch- zu erhalten, nimmt er die Tradition des „Romans“ aktuelle Fragen nach der Verhältnismäßigkeit wieder auf, eines Rituals, das darin besteht, ei- zwischen der Wahrnehmung von Bildungschan- nen Gefangenen zu zwingen, die ganze Nacht cen und der Preisgabe der eigenen Identität. über Geschichten zu erzählen. Das bildgewalti- THE LETTER (Kenia 2019 | 20.11.) Die fast 100 Jah- ge Epos von Philippe Lacôte changiert auf faszi- re alte Margaret Kamango ist eine sanfte, ironi- nierende Art und Weise zwischen Griotgeschich- sche Frau – und wird mit dem Tod bedroht. Als te und Fantasymärchen. ihrem Enkel Karisa, der in Mombasa lebt, eine CAIRO JAZZMAN (Ägypten/D 2017 | 20.11.) Im Zen- Facebook-Nachricht zugespielt wird, in der sei- trum von Atef Ben Bouzids Dokumentarfilm ne Großmutter der Hexerei beschuldigt wird, steht der charismatische ägyptische Pianist Amr beschließt er, in sein Heimatdorf zurückzukeh- Salah. Mit wenigen Mitteln, aber umso mehr ren, um der Sache auf den Grund zu gehen. Hingabe organisiert er seit dem Jahr 2009 das Ohne Vorverurteilung setzen sich die beiden Cairo Jazz Festival. Der mit flirrenden Jazz- Regisseure Maia Lekow und Christopher King sounds unterlegte Film gewährt seltene Ein-
afrikamera 2021: urban africa, urban movies – youth & youth culture november 21 21 SOUAD (Ayten Amin, Ägypten/Tunesien/D 2021) BUDDHA IN AFRICA (Nicole Schafer, Südafrika/Schweden 2019) THE LETTER (Maia Lekow, Christopher King, Kenia 2019) sichten hinter die Kulissen des Festivals und FREDA (Benin/Haiti/F 2021 | 21.11.) Das Festival ermöglicht zugleich einen ungewohnten Blick schließt mit einer Produktion aus der afrikani- auf die ägyptische Megacity Kairo und eine junge schen Diaspora von Gessica Généus. Freda lebt Generation, die sich nach einem kulturellen und mit ihrer Familie in einer populären Gegend im politischen Aufbruch sehnt. zunehmend unruhigen Port-au-Prince. Sie sorgt THE DISQUALIFIED (Tunesien/Katar/F 2020 | sich um ihre Ausbildung und die Zukunft ihres 21.11.) In seiner über einen Zeitraum von zwölf zerfallenden Heimatlandes. Ihre Geschwister Jahren entstandenen Langzeitdokumentation und Freunde spielen mit dem Gedanken, Haiti zu begleitet der tunesische Regisseur Hamza Ouni verlassen. Doch Freda will bleiben und kämpft den Exzentriker Mehrez in seiner Heimatstadt El in der Schule gegen die fortschreitende Auslö- Mohammedia. Mehrez beschließt im Alter von schung der haitianischen Kultur durch weiße 25 Jahren, eine Gemeinschaft arbeitsloser, frus- Einflüsse. Das beeindruckende Familiendrama trierter Jugendlicher mit den Mitteln des Thea- feierte seine Premiere beim diesjährigen Film- ters aufzuklären und herauszufordern. festival in Cannes in der Reihe „Un certain re- OLIVER BLACK (Marokko 2020 | 21.11.) Das Spiel- gard“. Die Regisseurin Gessica Généus ist an- filmdebüt des marokkanischen Regisseurs lässlich der Deutschlandpremiere ihres Films zu Tawfik Baba erzählt die Geschichte des jungen Gast. (fw) Vendredi, der alleine die Wüste durchquert. In URBAN AFRICA, URBAN MOVIES puts urban Afri- Marokko will er seinen Traum verwirklichen und ca and its cinematic reflection in contemporary in einem Zirkus arbeiten. Unterwegs trifft er auf African cinema at the center of a four-year pro- einen alten Mann namens „White Man“. Die bei- gram. The 2021 edition will focus on productions den entwickeln eine besondere Beziehung zuei- that explore modern youth and pop culture in nander. Vendredi ahnt nicht, dass er an einen Africa’s cities. Menschenhändler geraten ist.
22 november 21 werkschau helma sanders-brahms SHIRINS HOCHZEIT (BRD 1976) HEINRICH (BRD 1977) DEUTSCHLAND, BLEICHE MUTTER (BRD 1980) Werkschau Helma Sanders-Brahms Helma Sanders-Brahms war eine der bedeu- stieg von harter Fabrikarbeit über Arbeitslosig- tendsten deutschen Filmemacherinnen der keit bis hin zur Prostitution, der mit ihrem Tod Nachkriegszeit. Eine Werkschau mit sieben aus- endet. Mit SHIRINS HOCHZEIT setzte sich Helma gewählten Filmen aus dem umfangreichen Schaf- Sanders-Brahms als eine der ersten Frauen fil- fen der Regisseurin würdigt überblickshaft ihr misch mit den Lebensbedingungen von Migran- Werk. Sie war sowohl im Spiel- wie im Dokumen- tinnen auseinander. Die ausweglose Tragik, das tarfilmgenre zuhause, drehte Historisches eben- neorealistische Schwarzweiß sowie der diesen so wie Gegenwartsthemen, unter die Haut gehen- Passionsweg begleitende Kommentar der Auto- de Dramen sowie politische Satiren. Eigenwillige rin, der einen höchst subjektiven Gegenpol zu Biografien über Künstlerpersönlichkeiten ziehen den dokumentarisch anmutenden Bildern setzt, sich ebenso durch das Werk wie fiktive Frauenpor- provozieren in ihrer Radikalität bis heute. träts, die wie im Brennglas gesellschaftliche und HEINRICH (BRD 1977 | 23.11.) Das Porträt des von politische Missstände sichtbar machen. So per- der Regisseurin verehrten Dichters Heinrich von sönlich motiviert viele ihrer Filme sind, so subjek- Kleist zeigt eine zerrissene Persönlichkeit, ei- tiv und emotionalisierend der Zugriff, so sind sie nen einsam Verzweifelten, der zwischen roman- doch allesamt genuin politisch. Nicht selten tra- tischem Liebes- und Dichterideal, preußischer fen sie geradezu schmerzhaft den Nerv der Zeit, Lebensrealität sowie den kriegerischen und was immer auch Ablehnung hervorrief. revolutionären Zeitläufen zerrieben wird. Nicht SHIRINS HOCHZEIT (BRD 1976 | 22.11.) Shirin, eine um eine historisch authentische Darstellung junge Türkin aus Anatolien, flieht vor der arran- geht es ihr, als vielmehr um ein Puzzle, das sich gierten Hochzeit mit einem reichen Mann nach aus unglücklichen Beziehungen, dichterischer Köln, um dort Mahmud zu suchen, den sie liebt Arbeit, Kriegserfahrung und Todessehnsucht und den sie als ihren Verlobten betrachtet. Doch zusammensetzt, und das Wesen eines Dichters in Deutschland erwartet sie ein auswegloser Ab- spiegelt, der sich selbst ein Rätsel geworden ist.
werkschau helma sanders-brahms november 21 23 DEUTSCHLAND, BLEICHE MUTTER (BRD 1980 | kann Margoszata ihm nur eineinhalb Stunden 24.11.) erinnert an die vernachlässigte Geschich- widmen. Die Situation zwischen Erwartung und te der Frauen, die sich während des Zweiten Enttäuschung erzeugt eine immer leidenschaft- Weltkriegs an der „Heimatfront“ tatkräftig lichere und immer aggressivere Atmosphäre. durchschlugen und ihre Familien durchbrach- Erzählzeit und erzählte Zeit sind hier identisch: ten: Hans und Lene heiraten im Sommer 1939. Die Handlung umfasst die eineinhalb Stunden, Als die gemeinsame Tochter Anna zur Welt die Margoszata in Berlin ist. Das Geschehen kommt, ist Hans bereits Soldat im besetzten spielt sich überwiegend in einer Wohnung ab und Frankreich und Deutschland das Ziel der alliier- besteht fast ausschließlich aus den Gesprächen ten Bombenangriffe. Lene bringt das Kind allei- der beiden, den harten Auseinandersetzungen ne durch den Krieg. Im Frieden aber, nach der und den Versuchen, Nähe wiederherzustellen. Rückkehr ihres Mannes, lähmt das Familienle- MANÖVER (BRD 1988 | 26.11.) ist eine satirische ben sie nicht allein im übertragenen Sinn. Nach Komödie über das geteilte Deutschland der 50er seiner Erstaufführung 1980 wurde der Film in Jahre im Klima der Wiederbewaffnung und des Reaktion auf teilweise sehr negative Bespre- Kalten Krieges: In der DDR wird Max Klett, Leut- chungen deutscher Kritiker für die Kinoauswer- nant der NVA, im Tango-Tanzen ausgebildet, um tung gekürzt. Die restaurierte Fassung enthält als Romeo die Sekretärin des westdeutschen die rund 30 fehlenden Minuten. Verteidigungsministeriums, Elly Wackernagel, LAPUTA (BRD 1986 | 25.11.) Paul, ein französi- zu verführen und so an eine Geheimwaffe des scher Architekt, trifft sich in Berlin zwischen Klassenfeindes zu gelangen. Obwohl oder gera- zwei Flügen für eine Nacht oder einen Tag mit de weil Elly ein Verhältnis mit ihrem verheirate- seiner Geliebten, Margoszata, einer polnischen ten Chef, dem Ministerialdirigenten Dinklage, Fotografin. Für ihn ist Berlin ‚Laputa‘, die flie- hat, ist sie bereit, dem attraktiven Ost-Spion bei gende Insel aus Gullivers Reisen. Dieses Mal einem Manöver behilflich zu sein. 50er-Jahre-
24 november 21 werkschau helma sanders-brahms LAPUTA (BRD 1986) Flair, Wochenschau-Ausschnitte und die Schau- MEIN HERZ – NIEMANDEM! (D 1997 | 27.11.) ist spielerriege um Alfred Edel und Adriana Altaras eine weitere Künstlerbiografie bzw. -doppelbio- transformieren die Spionagestory in eine skur- grafie. Die jüdische Lyrikerin Else Laske-Schüler rile Kalte-Kriegs-Komödie. und der Schriftsteller Gottfried Benn, der den HERMANN MEIN VATER (F/BRD 1987 | 26.11.) ist Nazis anhing, waren sich in leidenschaftlicher ein sehr persönlicher Dokumentarfilm: Helma Liebe zugetan. Zahlreiche, als Dialog zu verste- Sanders-Brahms unternimmt mit ihrem Vater hende Gedichte legen davon ein beredtes Zeug- eine Reise nach Frankreich, sucht mit ihm die nis ab. Diese Liebeslyrik steht im Zentrum des Stätten auf, wo er 1940 als deutscher Besatzer collagehaften Films, der Spielszenen, Doku- war, verfolgt die neuerliche Begegnung mit Men- mente und Musiksequenzen miteinander ver- schen, die er damals kennengelernt hatte. Den webt. (ah) Aufnahmen wird Dokumentarmaterial gegen- Eine Veranstaltung der Deutschen Kinemathek übergestellt, das die Grausamkeit und Wucht des – Museum für Film und Fernsehen. Weitere Filme deutschen Überfalls auf Frankreich nachempfin- von Helma Sanders-Brahms sind zwischen dem den lässt. Die Regisseurin möchte ihren Vater mit 21.11. und 13.12. im Bundesplatzkino zu sehen. der historischen Wahrheit konfrontieren und ein Helma Sanders-Brahms was one of the most Schuldbekenntnis hören, dieser aber folgt eher important German filmmakers of the post-war seinen persönlichen Erinnerungen und entzieht era. A selection of seven films from the director’s sich der Konfrontation. Einerseits ist diese Vater- extensive oeuvre provides an overview. She was Tochter-Reise als Gegenstück zu DEUTSCHLAND, comfortable both in fiction and documentary cin- BLEICHE MUTTER gedacht, der Geschichte über ema, making films about historical themes as die Mutter der Regisseurin, andererseits ergänzt well as about contemporary issues, and poign- dieser Dokumentarfilm zusammen mit MANÖ- ant dramas as well as political satires. VER die Nachkriegs-Trilogie.
werkschau leos carax november 21 25 BOY MEETS GIRL (F 1983) Werkschau Leos Carax Leos Carax (1960 als Alexandre Oscar Dupont glückliche Liebe, sein bevorzugter Schauplatz geboren) kann mit Fug und Recht als Ausnah- die Stadt Paris. Denis Lavant fungiert als sein me-Filmemacher bezeichnet werden. Vom eins- Alter Ego, die von ihm verkörperten Figuren tra- tigen Regiewunderkind der frühen 80er Jahre gen die Vornamen des Filmemachers: Alex und hat er sich zu einem kontrovers diskutierten Oscar. Protagonisten des internationalen Autorenfilms Anlässlich der Berlinpremiere von Annette, dem entwickelt und bis heute eine Sonderstellung im aktuellen Film von Leos Carax, zeigt das Arsenal französischen Kino inne. Euphorisch gefeiert im Rahmen der Französischen Filmwoche eine oder entschieden abgelehnt umgeben den gro- Werkschau seiner zwischen 1983 und 2012 ent- ßen Einzelgänger viele Legenden, nicht zuletzt standenen fünf Langfilme. seit der aufsehenerregenden Produktionsge- BOY MEETS GIRL (Leos Carax, F 1983 | 27.11.) Alex schichte von LES AMANTS DU PONT-NEUF, wo er (Denis Lavant) und Mireille (Mireille Perrier), Budget und Zeitplan bei weitem überschritt. Nur beide Anfang 20, treffen als Verlassene aufein- sechs Langfilme hat Carax in knapp 40 Jahren ander. Er hat seine Freundin an seinen besten gedreht. Sein schmales Werk ist jedoch überaus Freund verloren – und diesen deshalb fast er- reich an Attraktionen und Obsessionen. Exzessiv würgt –, sie wurde gerade von ihrem Liebhaber in den Mitteln, radikal stilisiert und von großer sitzen gelassen. Während Mireille lesend einen Wucht lassen sich seine Filme auf kein Genre Steptanz vollführt, streunt Alex im karierten Ja- festlegen. Sie bersten vor visuellen und akusti- ckett durch die Pariser Nacht und David Bowie schen Einfällen und zeugen von einem außeror- singt dazu „When I Live My Dream“. Bei einer dentlichen Ideenreichtum, der die Überdosis Party, deren Gäste einem Kuriositätenkabinett nicht scheut und mit zahlreichen cinephilen entstammen, kommen sie schließlich ins Ge- Verweisen und filmgeschichtlichen Bezugnah- spräch, der Welt entrückt. Aus der jungen Frau men aufwartet. Carax’ großes Thema ist die un- mit Kurzhaarfrisur und schwarzer Sonnenbrille
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