JFK - A STRATEGY OF PEACE - GEDANKEN ZUR ZEITLOSIGKEIT EINER VISIONÄREN REDE
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fünf 04. 01 Shows und Protagonisten JFK — A Strategy of Peace — Gedanken zur Zeitlosigkeit einer visionären Rede D er Weltbürger John F. Kennedy wurde innenpolitischen Problembereichen wie der am 22. November 1963 in Dallas, Texas, Wirtschaftslage oder der Bürgerrechtsbewegung ermordet. Am 8. November 1960 war er und zugleich in grundlegenden Fragen der mit überraschend knappem Vorsprung vor sei- Außenpolitik. nem republikanischen Kontrahenten Richard Nixon zum 35. Präsidenten der Vereinigten Staa- Es war die Zeit, in der die Welt in zwei Macht- ten von Amerika gewählt worden. Seine Präsi- blöcke geteilt war. Die beiden Supermächte des dentschaft währte nur 1036 Tage. JFK hinterließ Kalten Krieges steigerten sich immer weiter in Maßstäbe politischen Denkens und Handelns in ein nukleares Wettrüsten und schufen damit ein der Welt. Es sind seine Reden sowie seine Rund- unfassbares Vernichtungspotential. Freiheitliche funk- und Fernsehansprachen, die bis heute Demokratie und kommunistischer Totalitaris- Wirkungen bei den Menschen auslösen. Sie zu mus als weltanschauliche Realitäten der zwei- lesen, sie zu hören, sie zu sehen, heißt immer, ten Hälfte des 20. Jahrhunderts standen einan- sich einzulassen auf ein besonderes Erleben von der schon lange unversöhnlich gegenüber, als Vergangenheit, das den Blick schärft für die John F. Kennedy, der Senator von Massachusetts, eigene Gegenwart. am 2. Januar 1960 seine Kandidatur für die Präsi- dentschaft der Vereinigten Staaten von Amerika Politische Impulse und Handlungen sind in Washington D.C. offiziell verkündet hatte. untrennbar verbunden mit den politischen Am 14. Januar nutzte er einen Auftritt vor dem Akteuren einer Zeit. Politische Entscheidungen dortigen National Press Club, um über die Präsi- und ihre Wirkungen werden erst in ihren Inter- dentschaft an sich und ihre zeitgemäße Ausge- dependenzen von situativen Konstellationen staltung zu sprechen. Kennedy fasste sein Ver- und machtbewusster, zielgelenkter Individuali- ständnis des Chief Executive in every sense of the tät verständlich. Dies gilt in der Analyse und word prägnant zusammen: Betrachtung von Gegenwart und Vergangenheit gleichermaßen. Ausdruck finden Individualität »He must reopen channels of communication between the und damit politischer Gestaltungswille zualler- world of thought and the seat of power.« erst in den Äußerungen der Akteure, in ihren Reden, mit denen sie sich an die Menschen wen- JFK stellte sich nach der Wahl seiner eigenen den. Anlass, Inhalt und Ort geben dabei grund- Forderung mit einem Nachdruck, der in histori- legenden Aufschluss über die Intentionen des scher Perspektive gerade auch in seinen Reden Redenden. Doch erst die Persönlichkeit selbst spürbar wird und von der zupackenden Intelli- vermag Überzeugungskraft und Authentizität genz eines außergewöhnlichen Menschen zeugt. zu schaffen — für Zeitgenossen und Nachgebo- rene. Kennedy hatte schon kurz nach seiner Wahl begonnen, intensiv über seine Antrittsrede nachzudenken, und beauftragte seinen jungen A world of peace Sonderberater Theodore C. Sorensen, Vorschlä- and law ge und Anregungen zu sammeln. Vor allem Bereits mit seiner Rede zum Amtsantritt am 20. wünschte er sich eine Sprache, die Hoffnung Januar 1961 setzte der erst 43-jährige John F. auf Frieden wecken sollte in einer neuen Ära, Kennedy Zeichen auf der politischen Bühne unter Führung einer neuen Generation. Kennedy Amerikas und der Welt. Der Idealist ohne Illusio- hatte den Anspruch, die kürzeste Antrittsrede nen — eine von Arthur Schlesinger jr. überliefer- und Regierungserklärung des Jahrhunderts zu te Selbstcharakterisierung JFK’s — bot seinen halten. Nicht nur Länge und Stil, auch der Vor- Zeitgenossen Perspektiven der Veränderung in trag selbst waren ihm außerordentlich wichtig.
fünf 04. 02 Shows und Protagonisten So berichtet der Biograph Robert Dallek: derte die Urteilskraft John F. Kennedys auf besondere Weise. Seine Studienabschlussarbeit »In den vierundzwanzig Stunden vor seinem Auftritt an der Harvard University widmete sich dem hatte er das Manuskript stets griffbereit und las es Thema appeasement in münchen. das zwangs- immer wieder. Noch am Morgen, in der Badewanne läufige ergebnis der britischen demokratie liegend, las er die Rede laut, am Frühstückstisch ging bei der abkehr von einer politik der abrüs- er die Rede mehrfach durch: Jedes Wort, jede Betonung tung. Das daraus entstandene Buch unter dem sollte sitzen.« Titel why england slept wurde mit 40.000 verkauften Exemplaren zu einem Bestseller. Er wusste um die Bedeutung einer medialen Kennedys Ansprache zum Beginn seiner Präsi- Inszenierung von Politik und Person. dentschaft 21 Jahre danach sollte — nach Seine politischen Botschaften sollten die Men- Franklin D. Roosevelts erster Antrittsrede vom schen begeistern und dazu aufrufen, sich selbst 4. März 1933 — zu der am häufigsten zitierten als Teil einer politischen Vision zu begreifen. Rede aller Amtseinführungen amerikanischer Präsidenten im 20. Jahrhundert werden. Jenes, Sein politisches Denken kreiste um die Leitmo- an seine Landsleute gerichtete Wort tive a world of peace und a world of law. John F. Kennedy war auf der Suche nach einer Weltge- »And so, my fellow Americans: ask not what your meinschaft der Staaten im nuklearen Zeitalter, country can do for you — ask what you can do for die auf rechtlichen Vereinbarungen zur gemein- your country« samen Friedenssiche- rung gründen sollte. wird bis heute immer wieder aufgegriffen. Die Errichtung des Es ist bezeichnend, dass JFK diese Aufforderung Völkerbundes 1918 an seine Landsleute um die an seinen Leitmoti- noch ohne den Bei- ven ausgerichtete Dimension der nationenüber- tritt der Vereinigten greifenden Verantwortung erweiterte, wenn- Staaten von Ame- gleich dieser Aspekt in der nachhaltigen rika und die von Prä- Rezeption der Rede deutlich geringeren Wider- sident Roosevelt hall gefunden hat. Mit einem Appell an die welt- dann während des bürgerliche Gemeinschaft verstärkte der Präsi- Zweiten Weltkrieges dent der Vereinigten Staaten von Amerika seine mit der Atlantik- Position: Charta auf den Weg gebrachten Grün- »My fellow citizens of the world: ask not what dung der Vereinten America will do for you, but what together we Nationen 1945 von bereits 51 Mitgliedsstaaten can do for the freedom of man.« waren für ihn nicht nur unmittelbare Antworten auf verheerende Weltkriege, sondern politische Ausprägungen der Ideen der Aufklärung für eine Forum Universität friedliche Gemeinschaft der Völker. Es waren Wenn nachgeborene Generationen verstehen Anknüpfungspunkte für eigene nachhaltige Aus- wollen, was John F. Kennedy charakterisierte, bauschritte zur Stärkung des Völkerrechts. warum sich seine Entschlossenheit zum Frieden Während einerseits das atomare Wettrüsten und zur Überwindung der Rassendiskriminie- längst die Weltgemeinschaft und damit auch die rung auf viele seiner Zeitgenossen einzigartig amerikanische Nation bedrohte, galt es anderer- übertragen konnte und warum letztlich so viele seits einen innenpolitischen Frieden zu schaffen Menschen überall auf der Welt seinen Tod in und Lösungen für die sich verschärfenden Prob- gewisser Weise als Verlust eines elementaren leme zu finden, die ihren Ausdruck in der Bür- Stücks der Zukunft empfunden haben, wie es gerrechtsbewegung fanden. Diese Diskrepanzen Ted Sorensen einmal beschrieben hat, dann gilt und die visionäre Kraft zu ihrer Überwindung es dabei auch, den Ort Universität zu berück- spiegeln sich denn auch in den öffentlichen sichtigen. Reden Kennedys über Jahre hinweg wider. Es sind immer wieder Universitäten, die JFK Das Verstehenwollen komplexer, gerade auch ganz bewusst als Forum für seine Reden und zeitgeschichtlicher Zusammenhänge zur Ana- Diskussionen wählte. Zeit seines politischen lyse und Interpretation von Gegenwart beför- Wirkens suchte Kennedy den Austausch und
fünf 04. 03 Shows und Protagonisten die Ansprache in den Universitäten. Er vertrat dass die American University 1914 von Woodrow konsequent seine Grundüberzeugung, die er Wilson eröffnet worden war, jenem amerikani- geradezu beispielhaft in einer Rede 1958 in der schen Präsidenten, der mit seinem Vierzehn- Universität von Wisconsin formulierte: Punkte-Programm unter entschiedener Abkehr von der tradierten Isolationspolitik zum Impuls- »Wir brauchen keine politischen Gelehrten, deren geber für die Gründung des Völkerbundes Bildung so spezialisiert geworden ist, dass sie sie von geworden war und dessen weltpolitische Wei- der Teilnahme an den Tagesereignissen abhält. Was chenstellungen Kennedy zweifellos einzuordnen wir brauchen sind Leute, die weite Gebiete des Wissens wusste. überschauen und sich der Abhängigkeit der zwei Berei- che — der Politik und des akademischen Wissens — Nicht ohne Grund kennzeichnen daher Wilsons klar bewusst sind.« Friedenspolitik und dessen Verständnis einer Mitwirkungspflicht der Intellektuellen am Er wollte den Hochschulabsolventen als Füh- Gemeinwohl auch den Hintergrund für Kenne- rungsnachwuchs des Landes ihre besondere dys einleitende Gedankenführung zu seiner Verpflichtung zur konstruktiven Teilhabe an strategy of peace unter den gewandelten ökono- politischer Gestaltung aufzeigen. mischen und politischen Bedingungen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Er führte Es sollte ebenso zu dem neuen Politikstil des aus: späteren Präsidenten gehören, sich Ratgeber aus der Wissenschaft zu holen. Und immer wieder »Professor Woodrow Wilson once said that every man warb Kennedy in den Universitäten gegenüber sent out from a university should be a man of his den Future Leaders of this State and Country mit nation as well as a man of his time, and I am confident rationalen Argumenten für seine Friedensvision: that the men and women who carry the honour of gra- duating from this institution will continue to give »In a time of turbulance and change, it is more true from their lives, from their talents, a high measure of than ever that knowledge is power; for only by true public service and public support.« understanding and steadfast judgement are we able to master the challenge of history.« Wie tief verwurzelt diese Überzeugung war, wird noch dadurch bestärkt, dass Kennedy die- Worte von zeitloser Gültigkeit, ausgesprochen sen Gedanken selbst in seiner Rede aus Anlass am 23. März 1962 an der University of California der Verleihung der Ehrendocktorwürde an der at Berkeley. Das Einfordern tätiger Mitverant- Freien Universität Berlin sechzehn Tage später wortung, deren wahrnehmbarer Ausdruck für auch seinen deutschen Zuhörern pointiert nahe John F. Kennedy wohl immer auch ein Zeichen brachte: von Zivilcourage gewesen sein muss, zieht sich wie ein Leitfaden durch alle Jahre seines politi- »The scholar, the teacher, the intellectual, have a schen Wirkens und gewinnt in den Reden des higher duty than any of the others, for society has Sommers 1963 noch einmal einen herausragen- trained you to think as well as do.« den Stellenwert. Ohne diesen Anspruch des strategischen Visio- So beschließt John F. Kennedy, frustriert durch närs an sich selbst und an die anderen fehlte die stagnierenden Verhandlungen über ein nuk- seiner Entschlossenheit, Frieden, Freiheit und leares Teststoppabkommen zwischen den Verei- zudem bürgerrechtliche Gleichheit im eigenen nigten Staaten und der Sowjetunion, eine zur Land entscheidend voranzubringen, die funda- Abschlussfeier der American University in mentale Gestaltungskraft in der politischen Washington geplante Rede am 10. Juni 1963 in Wirklichkeit. eine Friedensrede umzuwidmen »the most impor- tant topic on earth: peace« eine Absicht, von der nur ein kleiner Kreis von Personen, darunter Prägnanz und Prägung Theodore C. Sorensen, wusste. Kennedy wendet Betrachtet man im Abstand von Jahrzehnten sich in dieser Rede an die Amerikaner — auch die Zeitspanne der Präsidentschaft Kennedys an Hardliner in seiner eigenen Administration von 1961 bis 1963 mit ihren außerordentlichen — an die Sowjets, die Chinesen und die Euro Ereignissen, dann gilt einmal mehr, was Ernst päer gleichermaßen. Schon in seinen Eingangs- Cassirer, der Bewunderer Präsident Roosevelts, bemerkungen erinnert er seine Zuhörer daran, als Lehrer an der Yale University in seinem
fünf 04. 04 Shows und Protagonisten amerikanischen Exil 1944 in seinem Spätwerk Deutschland mit dem seit 1945 in vier Sektoren versuch über den menschen prägnant zusam- geteilten Berlin mit seinem so genannten Vier- mengefasst hat. Der Kulturphilosoph schrieb: Mächte-Status. Der Stadt, in der JFK 1963 einer jubelnden Menschenmenge nur sechzehn Tage »In der politischen Geschichte interessieren uns nach seiner, der amerikanischen Außenpolitik keineswegs bloß die Fakten. Wir wollen nicht nur die eine inspirierende Wendung gebenden Friedens- Aktionen verstehen, sondern auch die Akteure. Unser rede in der American University sein berühmtes Urteil über den Verlauf von politischen Ereignissen Freiheitsbekenntnis zurief: ist abhängig von der Vorstellung, die wir uns von den daran beteiligten Personen machen. Sobald wir »As a free man, I take pride in the words ICH BIN EIN diese Personen in einem neuen Licht sehen, müssen BERLINER!«. wir auch unsere Meinungen über die Ereignisse ändern.« Jenen, die den Kommunismus und seine jegli- chen Freiheitsanspruch negierende staatliche Wer also war JFK? In aller Kürze: Ein willens- Realität befürworteten oder auch nur als eine starker und aufgeschlossener Mann des Jahr- politische Alternative akzeptierten, antwortete gangs 1917 mit irischen Wurzeln, aus einer der er mit einem eindringlich wiederholten »Let berühmtesten und reichsten amerikanischen them come to Berlin« Familien der Ostküste mit katholischer Her- kunft und zugleich früh konfrontiert mit den Schrecken des Lebens durch familiäres Unglück Berlin — ein Beispiel wie eigene gesundheitliche Probleme. Ebenso Der Status und die politische Symbolhaltigkeit beeinflusst durch vielfältige Reiseeindrücke aus Berlins beschäftigten John F. Kennedy, so darf dem alten, längst im politisch gefährlichen man vermuten, schon seit den dramatischen Umbruch befindlichen Europa. Nach erfolgrei- Ereignissen um die Berlin-Blockade 1948. Er chem Studium mit dem Hauptfach der Politi- wusste um die Schwierigkeiten von Handlungs- schen Wissenschaften ein Harvard-Absolvent optionen für Amerika als westliche Führungs- des Jahres 1940, ein aktiver Marineoffizier im macht. Mitten in seinem Nominierungswahl- Süd-Pazifik, geprägt durch eigene schwerwie- kampf widmete Senator Kennedy im März 1960 gende Kriegserlebnisse und den Verlust des älte- eine Rede in der University of Wisconsin aus- ren Bruders bei einem Flugzeugeinsatz 1944 in schließlich diesem Thema. Im Nachhinein liest Europa. Zudem ein aufstrebender hochintelli- sich diese Rede JFK’s fast wie eine gedankliche genter Politiker, der sich nach dem Kriegsende Vorbereitung auf die Ereignisse im August 1961. mit 28 Jahren zunächst kurz journalistischen Nach der dramatischer Zuspitzung der Berlin- Aufgaben widmete, darunter auch der Berichter- Krise durch den Beginn des Mauerbaus schrieb stattung über die Gründungsversammlung der der dann amtierende Präsident John F. Kennedy Vereinten Nationen, um dann mit nur 29 Jahren in einem informellen Antwortbrief an den nach einem bedeutenden persönlichen Sieg — Regierenden Bürgermeister Willy Brandt: im für die Partei der Demokraten ansonsten wenig erfolgreichen Wahlkampf — im Novem- »Da dieses brutale Schließen der Grenze ein deutliches ber 1946 als Neuling inmitten von 435 Kongress- Bekenntnis des Versagens und der politischen Schwä- abgeordneten ins Repräsentantenhaus in che darstellt, bedeutet dies offensichtlich eine grundle- Washington einzuziehen. Im November 1952 gende sowjetische Entscheidung, die nur durch Krieg wurde er zum U.S. Senator von Massachusetts rückgängig gemacht werden könnte. Weder Sie noch gewählt. Dann schließlich führte ihn sein Weg wir noch irgendeiner unserer Verbündeten haben der Übernahme öffentlicher Ämter im Januar jemals angenommen, dass wir an diesem Punkt einen 1961 ins Weiße Haus und damit ins Zentrum Krieg beginnen müssten.« höchster weltpolitischer Macht. Und wer waren seine politischen Mit-Akteure während seiner Während des schwierigen und fortschrittslosen Präsidentschaft? Menschen, die allesamt auf die Wiener Gipfeltreffens zu Abrüstungsfragen eine oder andere Weise geprägt waren von den Anfang Juni 1961 hatte der Staats- und Parteichef Erfahrungen des nicht einmal zwanzig Jahre Nikita Chruschtschow mit der Übergabe des so zurückliegenden Zweiten Weltkrieges und sei- genannten Berlin-Memorandums gegenüber nen weltpolitischen Hinterlassenschaften in dem amerikanischen Präsidenten die Forderung Amerika, in der Sowjetunion, in Japan, in Euro- nach einer Entmilitarisierung Berlins erneuert pa und nicht zuletzt in einem zweigeteilten und ein weiteres Ultimatum bis zum Ende des
fünf 04. 05 Shows und Protagonisten Jahres gesetzt. Die fragile Nachkriegsweltord- 1961 begannen die ersten Maßnahmen zur nung entlarvte einmal mehr ihre gefährliche Errichtung eines Stacheldrahtzaunes mitten Instabilität. Und Berlin hatte eine Schlüsselrolle durch Berlin. Die Teilung nahm auch äußere darin. Am 25. Juli 1961 wandte sich Kennedy in Gestalt an. Was in der unmittelbaren Situation einer gut halbstündigen Rundfunk- und Fern- von vielen — darunter Politiker, Journalisten, sehansprache an die Amerikaner und die Welt, Intellektuelle — als Schwäche, Unentschlossen- nachdem er sich trotz Kritik an seinem Schwei- heit und Untätigkeit gerade seitens der Verei- gen drei Wochen öffentlich nicht zur Zuspit- nigten Staaten von Amerika interpretiert wurde, zung der Berlin-Krise geäußert, aber intensive war tatsächlich das besonnene Widerstehen Hintergrundgespräche geführt hatte. Selbst ihres Präsidenten gegenüber den aus Emotion, Jahrzehnte später beeindruckt es, mit welcher Angst und Ohnmachtsgefühl geleiteten Hand- Vermittlungstiefe und Anschaulichkeit der ame- lungserwartungen vor allem in Deutschland. rikanische Präsident seinen Landsleuten die Berlin-Krise in ihren Entwicklungslinien der Wie unbeschreiblich der psychologische Druck Nachkriegsjahre durchaus unter Berücksichti- gewesen sein muss, davon zeugen die persönli- gung der Sicherheitsinteressen Moskaus ver- chen Worte Präsident Kennedys in seiner Juli- deutlicht, aber unmissverständlich die grund- Ansprache an die Nation. Eine auch heute noch sätzliche Bedeutung dieser Stadt für die freie bewegende Beschreibung der Einsamkeit in Welt aufzeigt. einem Staatsamt mit der Entscheidungsgewalt »Wir beabsichtigen nicht, uns unserer Pflicht gegen die über Krieg und Frieden. Es sind Worte, die in Menschheit zu entziehen, eine friedliche Lösung zu das Entstehungsmosaik der strategy of peace die- suchen«, erklärte der Präsident, ließ aber keinen ses Präsidenten gehören: Zweifel an seiner wertgebundenen Handlungs- strategie: »I would like to close with a personal word. When I ran for the Presidency of the United States, I knew »As signers of the UN Charter we shall always be that this country faced serious challenges, but I could prepared to discuss international problems with any not realize — nor could any man realize who does not and all nations that are willing to talk — and listen bear the burdens in this office — how heavy and cons- — with reason [… ] but the freedom of that city is not tant would be those burdens. Three times in my life- negotiable.« time our country and Europe have been involved in major wars. In each case serious misjudgements were Es sind die berühmten three essentials: Anwesen- made on both sides of the intentions of others, which heit der Westmächte, freier Zugang nach Berlin, brought about great devastation. Now, in the thermo- Aufrechterhaltung der Lebensfähigkeit West- nuclear age, any misjudgement on either side about the Berlins, die als nicht verhandelbar galten. intentions of the other could ran more devastation in several hours than has been wrought in all the wars of Tausende von Menschen suchten seit langem human history.« Monat für Monat Zuflucht aus der DDR in West-Berlin. »Weil sie fürchten, in einem giganti- Der Präsident entschied sich für Rationalität in schen Gefängnis eingeschlossen zu werden«, erklärte einer irrationalen Welt — auch um den Preis der Willy Brandt voller Verärgerung über die Untä- Anfeindung. Er nutzte die direkte Form der tigkeit der Bundesregierung am Abend des 12. Kommunikation mit der Öffentlichkeit über August 1961 in Nürnberg und fügte hinzu: Rundfunk und Fernsehen und warb mit der Waffe des Argumentes für einen neuen Kurs »Die Deutschen haben den Anspruch darauf, dass zu einer Entspannungspolitik mit der Sowjetunion ihnen ebenso offen gesprochen wird, wie es Präsident und ihrem Einflussbereich. Besonnenheit und Kennedy seinem Volk und der ganzen Welt gegenüber Rationalität, die JFK schon in seiner Ansprache getan hat.« im Juli zur Berlin-Krise vermittelt hatte, blieben Es war jene, nicht einmal vier Wochen zurück- der Handlungsmaßstab des amerikanischen Prä- liegende Rundfunk- und Fernsehansprache aus sidenten, der dennoch sehr wohl um die Bedeu- dem Weißen Haus, auf die sich Brandt bezog und tung symbolischer Akte als Teil der Realpolitik die als etwas Außerordentliches in der zeitge- wusste. Er schickte seinen Vizepräsidenten und nössischen Welt des Politischen gewertet wer- General Lucius D. Clay, den Militärgouverneur den muss. des amerikanischen Sektors in den Jahren 1947 bis 1949 und Helden der Luftbrücke, nach Berlin, In den frühen Morgenstunden des 13. August wo sie nach einer Zwischenlandung in Bonn am
fünf 04. 06 Shows und Protagonisten Abend des 18. August eintrafen und von Hun- mit dem, was geschehen ist. [… ] Nach sorgfältiger derttausenden jubelnd begrüßt wurden. Die Überlegung habe ich selbst beschlossen, dass die beste geheime Instruktion von Präsident Kennedy an Sofortreaktion eine wesentliche Verstärkung der west- Lyndon B. Johnson lautete: lichen Garnisonen ist. Die Bedeutung dieser Verstär- kung ist symbolischer Natur — aber nicht nur sym »Sehr geehrter Herr Vizepräsident! Ich bin Ihnen bolisch. Wir wissen, dass die Sowjetunion weiter dankbar, dass Sie diesen Auftrag in Deutschland besonderen Nachdruck auf ihre Forderung nach Auf- und Westberlin kurzfristig übernommen haben. Der hebung des alliierten Schutzes für Westberlin legt. Hauptzweck Ihrer Mission ist, die Bevölkerung von Wir glauben, dass selbst eine bescheidene Verstärkung West-Berlin zu beruhigen und zugleich ein offenes unsere Zurückweisung dieses Gedankens unterstrei- Gespräch mit Bürgermeister Willy Brandt zu führen chen wird.« [… ] um zu versuchen, ihm klarzumachen, dass es in den kommenden Monaten sehr wichtig sein wird, vor- Die Welt stand am Rande eines neuen Krieges. schnelle Kritik am jeweils anderen zu vermeiden.« John F. Kennedy, der Commander-in-Chief, ent- schied sich gegen ein militärisches Eingreifen Enttäuscht von der Zurückhaltung der westli- und für ein Krisenmanagement mit Zivilcourage, chen Alliierten hatte sich Willy Brandt außer- deren Dimension in den machtpolitischen Ein- halb jeglichen politischen Protokolls am 16. flusskonstellationen jener Zeit erst sehr viel August 1961 in einem persönlichen und informellen später in das zeitgeschichtliche Bewusstsein Brief direkt an das amerikanische Staatsober- gedrungen ist. John F. Kennedy sollte zwei Jahre haupt gewandt und geschrieben: später an jenem 26. Juni 1963 auf seiner Berlin- Visite nach seinen Entscheidungen des kühlen »Nach der Hinnahme eines sowjetischen Schrittes, der Kopfes 1961 nun auch die Herzen der Berliner illegal ist und als illegal bezeichnet worden ist, und erobern. Sie zeigten es ihm bis zu seinem angesichts der vielen Tragödien, die sich heute in Ost- Abschied am Flughafen Tegel. Während seines berlin und in der Sowjetzone abspielen, wird uns allen Weiterfluges nach Dublin sagte er zu Theodore das Risiko letzter Entschlossenheit nicht erspart blei- Sorensen, der einen wesentlichen Anteil auch an ben.« den Berliner Reden des Präsidenten gehabt hat- te: »We’ll never have another day like this one as long Es blieb nicht bei dem informellen Brief, sondern as we live.« Willy Brandt verstärkte den Erwartungsdruck und die Emotionalität von mehreren hundert- Die Ereignisse um die zweite Berlin-Krise tausend Berlinern noch am selben Tag öffentlich begannen die Bundesrepublik Deutschland mit den Schlüsselsätzen seiner Rede vor dem und ihre politische Wirklichkeit zu verändern. Schöneberger Rathaus: Willy Brandt, von Anhängern mit dem jugend- lich-charismatischen Kennedy verglichen, konn- »Wir fürchten uns nicht. Ich habe heute dem Präsiden- te das Wahlergebnis für die SPD in der Bundes- ten der Vereinigten Staaten, John F. Kennedy, in aller tagswahl am 17. September 1961 deutlich ver- Offenheit unsere Meinung gesagt. Berlin erwartet mehr bessern und die absolute Mehrheit der CDU als Worte. Berlin erwartet politische Aktion.« in der Bundesrepublik Deutschland brechen. Letztlich trug auch Brandts Entspannungs Die schriftliche Antwort des amerikanischen politik der Annäherung durch Wandel, die mit der Präsidenten an den Regierenden Bürgermeister, sozialliberalen Koalition unter seiner Führung vom Vizepräsidenten persönlich übergeben, fiel 1969 beginnen sollte, den Friedensimpetus John unverkennbar kühl aus. Sie ließ keinen Zweifel F. Kennedys und seiner Administration aus den an der Friedensmaxime trotz der »in Amerika frühen sechziger Jahren weiter in sich. auf Abscheu gestoßenen Maßnahmen der sowjetischen Regierung und ihrer Marionetten in Ost-Berlin« aufkommen und fasste die Entscheidungen Visionen mit eindeutig zusammen: Konsequenzen Visionen und Strategien fallen nicht vom Him- »Dennoch ist die sowjetische Aktion zu ernst für mel. Auch die strategy of peace des amerikani- unzulängliche Gegenschritte. Ich selbst lehne die meis- schen Präsidenten war das Ergebnis vielfältiger ten Maßnahmen, die vorgeschlagen worden sind — Erfahrungen und tiefer Einsichten, eines szena- selbst die meisten der Vorschläge in ihrem Brief — rienreichen Diskurses mit anderen, aber sicher- deshalb ab, weil sie nur Kinderspiel sind verglichen
fünf 04. 07 Shows und Protagonisten lich auch und nicht zuletzt Ausdruck individu- eller Kraft an »kühner, vorausschauender Phantasie« Am 10. Oktober 1963 trat der Vertrag in Kraft, von John F. Kennedy selbst. kaum mehr sechs Wochen vor dem Attentat auf den amerikanischen Präsidenten. Der Visionär Kennedy wäre nicht zugleich der Politiker Kennedy gewesen, hätte er nicht immer Nur einen Tag nach seiner Friedensrede datiert aufs Neue die unverzichtbare Handlungskonse- eine in der gleichen freiheitlichen Humanität quenz für jeden einzelnen benannt und eingefor- gründende Rundfunk- und Fernsehansprache, dert. Nur vier Wochen nach seiner triumphalen mit der John F. Kennedy seinen Landsleuten Europa-Reise und seiner Station in West-Berlin am 11. Juni 1963 ankündigte: wandte sich Kennedy am 26. Juli erneut in einer »Next week I shall ask the Congress of the United grundlegenden, von Hoffnung inspirierten States to act, to make a commitment it has not fully Rundfunk- und Fernsehansprache an das ameri- made in this century to the proposition that race has kanische Volk. Der inzwischen vielfach geprüfte no place in American life or law.« Idealist ohne Illusio-nen beschrieb schonungslos die Gefahren eines nuklearen Krieges in ihrer In diesen beiden Reden des demokratischen zerstörerischen Einzigartigkeit, um die Bedeu- Präsidenten der aufeinander folgenden Tage im tung des so genannten Nuclear Test Ban Treaty Juni 1963 finden seine Visionen von der world of zwischen den USA, Großbritannien und der Sowjetunion als »einen Schritt weg vom Krieg« zu kennzeichnen. Es war das erste Waffenkontrollabkommen im Nuklearzeit- alter, dessen Vertragstext am 5. August 1963 nach nur fünfzehn Verhandlungstagen von den Außenministern in Moskau unter- zeichnet werden konnte. Diese erste Weichenstellung in Richtung Abrüstung bleibt mit der Friedensrede Kennedys an der American University untrennbar ver- bunden. Es unterscheiden sich viele der damaligen Gründe für kriegerische Gefahren und Kämpfe von den heutigen. Aber nicht min- der gilt in der Gegenwart, was Kennedy seinen Landsleuten 1963 verdeutlichte: »No one can be certain what the future will bring […]. But history and our own conscience will judge us harsher if we do not now make every effort to test our peace und der world of law in all’ ihren Wechsel- hopes by action«. wirkungen zueinander. Am 19. Juni 1964, fast auf den Tag genau ein Jahr nach den beiden weg- Am 24. September 1963 stimmte der Senat dem weisenden Grundsatzreden JFK’s zur Friedens- Vertrag zum Verbot von Nuklearwaffentests in der verantwortung in der Welt und zur Überwin- Atmosphäre, im Weltraum und unter Wasser, mit dung der Rassentrennung in den USA, wurde überwältigender Mehrheit zu. Am 7. Oktober das Bürgerrechtsgesetz zur Aufhebung der 1963 ratifizierte Präsident John F. Kennedy das Rassentrennung verkündet. Martin Luther King Abkommen und sagte nach der Zeremonie im erhielt im selben Jahr den Friedensnobelpreis, Weißen Haus: und das amerikanische Nachrichtenmagazin Time ernannte ihn zum mann des jahres 1964. »In its first two decades the age of nuclear energy has Am 4. April 1968 wurde auch der Führer der been full of fear, yet never empty of hope. Today the gewaltlosen Bürgerrechtsbewegung ermordet. fear is a little less and the hope a little greater. For the first time we have been able to reach an agreement JFK steht — in den Metaphern seines kenntnis- which can limit the dangers of this age.« reichen Biographen Robert Dallek — für »ein
fünf 04. 08 Shows und Protagonisten unvollendetes Leben« und »eine unvollendete Präsi- einem flachen, Ängste instrumentalisierenden dentschaft«. Wer mag widersprechen? Wer mag Populismus heraus initiiert werden, sondern sich einen Augenblick vorstellen, welchen Weg einzig aus der für andere erfahrbaren Authenti- die Welt genommen hätte in der Stabilisierung zität von Menschen, die sich mit Phantasie und durch friedliche Koexistenz ohne das Attentat? unermüdlichem Veränderungswillen dem Fort- Und doch: Seine vernunftgelenkte Vision von schritt durch Wandel stellen. Wissend, wie es der Möglichkeit des Friedens in der Welt wirkt JFK 1963 zeitlos gültig auf den Begriff gebracht ungebrochen. Für Zeitzeugen wie den Histori- hat: ker Fritz Stern, Jahrgang 1926, ist diese brillante Rede bis heute präsent, wenn auch der wagemu- »Our problems are manmade — therefore, they can be tige Friedensaufruf vom 10. Juni 1963 in Amerika solved by man. [… ] For peace is a process — a way of insgesamt zunächst kaum Wirkung, wo nicht solving problems.« Ablehnung hervorrief, während sie in der Sowjet- union sehr schnell übersetzt und verbreitet Der überzeugende Grund, sich dieser humanen wurde. Selbst Jahrzehnte nach der Rede des Verpflichtung zu stellen, findet sich ebenfalls amerikanischen Präsidenten hat sie nichts von unverwechselbar in den für jede Generation der Kraft an Entschlossenheit zur Friedensver- geltenden Worten der Friedensrede John F. antwortung in der Welt verloren — auch wenn Kennedys: die friedliche Überwindung des Kalten Krieges sowie der Teilung Deutschlands und Berlins, »In the final analysis … we all inhabit this small planet. deren Entstehung und permanente Virulenz We all breathe the same air. We all cherish our child- Kennedys Aufruf für a world of peace and law in ren’s future; and we are all mortal.« seiner Zeit maßgeblich geprägt haben, endlich 1989 erreicht werden konnte. Bleibt zu hoffen, dass Kennedys unermüdliches Was auch unter veränderten politischen Welt- politisches Werben und faktenreiches Wirken konstellationen bleibt, ist die Anstrengung zum für a peaceful competition unter den Völkern Frieden als kontinuierliche Verpflichtung zu durch den Ausgang der Präsidentschaftswahlen jeder Zeit, an jedem Ort, in einer jeden neuen des Jahres 2008 einmal mehr bekräftigt werden. Generation: Der neuen Friedensentschlossenheit jenseits des Atlantiks könnte eine new strategy of peace »Genuine peace must be the product of many nations, folgen und vom künftigen Präsidenten der Ver- the sum of many acts. It must be dynamic, not static, einigten Staaten von Amerika in gemeinsames changing to meet the challenge of each new generation«. politisches Handeln überführt werden, denn: »We need men who can dream of things that never Der Enthusiasmus millionenfach praktizierter were, and ask why not« — so John F. Kennedy in politischer Teilhabe zur demokratischen Über- einer Rede in Dublin vor dem irischen Parlament windung von Stagnation in den Vereinigten am 28. Juni 1963 während seiner letzten Europa- Staaten von Amerika des Jahres 2008 belegt ein- Reise vor 45 Jahren. mal mehr, wie wichtig die authentische Vermitt- lung werteorientierter Leitziele und des über den Tag hinausreichenden Selbstvertrauens in ihre Erreichbarkeit im politischen Leben eines Landes tatsächlich sind. Dies könnte auch Men- schen hierzulande verdeutlichen, dass Verände- rungsprozesse nicht aus Parteiprogrammen mit taktischem Flügelproporz und ebenso wenig aus Angela Bottin
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