JOURNAL Arbeitsschutz und Umwelt - REGIERUNGSPRÄSIDIUM DARMSTADT - Hessen.de

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REGIERUNGSPRÄSIDIUM
DARMSTADT

JOURNAL
Arbeitsschutz und Umwelt
DIE RP-ABTEILUNGEN IV UMWELT DARMSTADT, FRANKFURT
UND WIESBADEN UND ABTEILUNG VI ARBEITSSCHUTZ
August 2021
JOURNAL Arbeitsschutz und Umwelt - REGIERUNGSPRÄSIDIUM DARMSTADT - Hessen.de
INHALT
    VORWORT                                                                                               3

    ARBEITSSCHUTZ                 Maske auf beim Spargelstechen?                                          4
                                  Saisonarbeitskräfte in der Landwirtschaft unter Coronabedingungen

    IMMISSIONSSCHUTZ /            Corona-Soforthilfe – Das Behördenleben in Zeiten des nicht vorherseh­   6
    ­PROJEKTGRUPPE IFSG           baren ­Wandels durch die Corona-Pandemie

                                  Entschädigungsleistungen bei Verdienstausfall nach dem Infektions-      8
                                  schutzgesetz (IfSG) – eine Herausforderung für die neue Projektgruppe
                                  des ­Regierungspräsidiums Darmstadt

    ABWASSER                      Behördliche Überwachung in Corona-Zeiten – Pandemiemaßnahmen in         11
                                  Abwasserbetrieben

    ABFALLWIRTSCHAFT /            Was haben verpackte Lebensmittelabfälle mit Gießkannen und              14
    BODENSCHUTZ                   ­Plastiktüten zu tun?

    OBERFLÄCHENGEWÄSSER           Warum dauert das so lange?                                              20

    ABFALLWIRTSCHAFT /            Digitalisierung im abfallrechtlichen Vollzug                            24
    ENTSORGUNGSWEGE

    IMMISSIONSSCHUTZ              Werden bei Windenergieanlagen die Lärmrichtwerte eingehalten?           28

    BODENSCHUTZ                   Thermische Boden- und Grundwassersanierung                              30

    UNSERE JOURNALE               Bisherige Ausgaben – eine Übersicht                                     34

    DIENSTSTELLEN UND                                                                                     35
    ­IMPRESSUM

2   REGIERUNGSPRÄSIDIUM DARMSTADT · JOURNAL ARBEITSSCHUTZ UND UMWELT · August 2021
JOURNAL Arbeitsschutz und Umwelt - REGIERUNGSPRÄSIDIUM DARMSTADT - Hessen.de
VORWORT
SEHR GEEHRTE DAMEN UND HERREN,
die Sommerferien haben Halbzeit und nicht nur ­wegen    Weitere Artikel gehen der Frage nach, was verpackte
des durchwachsenen Wetters stellt sich das typische     Lebensmittel mit Gießkannen und Plastiktüten zu tun
Urlaubsgefühl nicht so richtig ein. In diesem Jahr      haben oder warum Verwaltungsverfahren manchmal
schwingt auch eine gehörige Portion Unsicherheit mit.   etwas länger dauern. Der Beitrag zur Digitalisierung
Denn unser aller (Arbeits-) Leben hat sich durch die    im abfallrechtlichen Vollzug zeigt, dass das RP, seit
Pandemie grundlegend geändert und der Weg zurück        2018 Digitale Modellbehörde, den Anforderungen an
zur Normalität ist nicht immer einfach.                 eine moderne Verwaltung gerecht wird.

So ist auch die neue Ausgabe unseres Journals für       Die „Lärm-Lupe“ wird bei Windenergieanlagen an-
Arbeitsschutz und Umwelt von Themen rund um die         gesetzt, um neue Erkenntnisse aus Wissenschaft und
Corona-Pandemie geprägt. Der erste Beitrag aus der      Technik zu nutzen. Der Artikel über thermische ­Boden-
neuen Abteilung VI Arbeitsschutz des RP Darmstadt       und Grundwassersanierung mit der Vorstellung
beschäftigt sich beispielsweise mit der ­Situation      innovativer Sanierungsalternativen rundet die aktuelle
von Saisonarbeitskräften in der Landwirtschaft          Journal-Ausgabe ab.
unter Corona-­Bedingungen. Eine vom Hessischen
Ministerium für Soziales und Integration koordinierte   Ich wünsche Ihnen sommerliches Lesevergnügen, eine
Aktion zielt auf die Überwachung landwirtschaftlicher   entspannte Urlaubszeit und vor allem viel G
                                                                                                  ­ esundheit
Betriebe zum Schutz der Saison­arbeitskräfte gerade     in diesen herausfordernden Zeiten.
im Hinblick auf SARS-CoV-2 ab.
                                                        Herzliche Grüße
Die folgenden beiden Beiträge zeigen, wie sich
die Pandemie ganz konkret auf die Arbeit des RPs
mit zusätzlichen Aufgaben auswirkte. Rund 300
                                                        Ihre Brigitte Lindscheid
Mitarbeiter*innen haben ihre Kolleg*innen des RP        Regierungspräsidentin
Kassel bei der Berechnung und Auszahlung der
Corona-Soforthilfen unterstützt. Zudem wurde dem
RP die hessenweite Berechnung der Entschädigungs­
leistungen nach dem Infektionsschutzgesetz mit
bislang 104 000 Anträgen zugewiesen.

Gleichzeitig bleiben die originären Aufgaben des RP
Darmstadt bestehen. Corona führte zu besonderen
Herausforderungen, wie der Bericht über die Pande-
miemaßnahmen in Abwasserbetrieben zeigt.

                                                                                                                 3
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SAISONARBEITSKRÄFTE IN DER LANDWIRTSCHAFT
    UNTER CORONABEDINGUNGEN

    MASKE AUF beim
    Spargelstechen?
    In Hessen hat die Erntesaison 2021 mit dem Spargelstechen begonnen. Auch dieses Jahr sorgt die
    ­Corona-Pandemie dafür, dass besondere Maßnahmen zu treffen sind, um die Saisonarbeitskräfte vor
     ­gegenseitiger Ansteckung mit COVID-19 zu schützen.

    Im vergangenen Jahr hatten die Arbeitsschutz­            den ­Arbeitsschutzausschüssen beim BMAS. Dabei
    dezernate des Regierungspräsidiums Darmstadt in          waren nicht nur die Arbeitsplätze und Tätigkeiten der
    einer vom Hessischen Ministerium für Soziales und        Saisonarbeitskräfte zu betrachten, sondern auch die
    Integration (HMSI) koordinierten S ­ chwerpunktaktion    Unterbringung in Gemeinschaftsunter­künften auf
    zusammen mit den beiden anderen hessischen Regie-        den Höfen. Im Dezember 2020 wurde die Arbeits­
    rungspräsidien und der Sozialversicherung für Land-      stättenverordnung so geändert, dass seitdem bestimm-
    wirtschaft, Forsten und Gartenbau (SVLFG) insgesamt      te Regelungen der Verordnung auch für Gemein-
    133 landwirtschaftliche Betriebe und 32 Betriebe der     schaftsunterkünfte außerhalb des Betriebes gelten.
    Weinwirtschaft überprüft, die insgesamt knapp 6 000
    Saisonarbeitskräfte beschäftigen. In Einzelfällen wur-
    den auch die Finanzkontrolle Schwarzarbeit beim Zoll
    (Zuständigkeit für Schwarzarbeit und Mindestlohnge-
    setz) bzw. das zuständige Gesundheitsamt (Zuständig-
    keit für Infektionsschutzgesetz) eingebunden.

    Bei der Aktion ging es sowohl um die Beratung – ­
    hier­zu war eine spezielle Handlungshilfe für die
    Landwirte erarbeitet worden – als auch um die Über-
    wachung der einschlägigen Regelungen. Besonders
    im Fokus ­standen die Einhaltung der Maßnahmen
    des SARS-CoV-2 Arbeitsschutzstandards des BMAS
    ­(Bundesministerium für Arbeit und Soziales) bzw.
     der SARS-CoV-2-­Arbeitsschutzregel, erarbeitet von

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Im Rahmen der Aktion wurden die Be-
triebe zunächst angeschrieben. Mit dem
­Anschreiben erhielten sie eine vom HMSI
 in Zusammenarbeit mit dem schleswig-
 holsteinischen Sozialministerium und
 der ­SVLFG erstellte Handlungshilfe zum
 Schutz von Ernte- und Saisonarbeitskräften
 vor SARS-CoV-2 sowie eine Checkliste, mit der die
 Umsetzung der Anforderungen abgefragt wurde.           Gravierende Verstöße, bei denen Anordnungen mit
 Die ausgefüllte und zurück­gesandte Checkliste mit     Sofortvollzug erforderlich gewesen wären, gab es in
 zusätzlichen Belegen, u. a. Fotos, wurde von den       keinem der untersuchten Betriebe. Dennoch werden
 Arbeitsschutzdezernaten bzw. der SVLFG geprüft.        die Arbeitsschutzdezernate der neu gebildeten
 Bei fehlender Rücksendung, nicht aussagekräftigen      Arbeits­schutzabteilung im Regierungspräsidium
 Unterlagen bzw. nicht plausiblen Angaben oder          Darmstadt auch in diesem Jahr die landwirtschaft-
 anderen Unstimmigkeiten wurden Vor-Ort-Kontrollen      lichen Betriebe mit Saisonarbeitskräften im Blick
 durchgeführt. Das war bei etwa einem Viertel aller     behalten und allen Beschwerden von Beschäftigten
 angeschriebenen Betriebe der Fall.                     oder Dritten nachgehen, um ein ordnungsgemäßes
                                                        Schutzniveau zu gewährleisten.
Erfreulicherweise zeigte sich im Ergebnis der Aktion,
dass mehr als 90 % der Betriebe im Wesentlichen die      Dr. Holger Wode holger.wode@rpda.hessen.de
Schutzvorschriften einhielten. Die vorgefundenen
                                                         DEZERNAT VI 61
Mängel betrafen vor allem zu wenige Sanitäranlagen
auf dem Feld, Probleme beim Tragen von Mund-­
Nasen-Schutz über einen längeren Zeitraum bei
schwerer körperlicher Arbeit, wenn die Schutzab-
stände nicht eingehalten werden konnten sowie zu
wenige Waschmaschinen bzw. Wäschetrockner.

                                                                                                              5
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CORONA-SOFORTHILFE

    DAS BEHÖRDENLEBEN
    IN ZEITEN DES nicht vorher-
    sehbaren Wandels
    Es ist April 2020 und schnell wird auch im Regierungspräsidium Darmstadt klar, dass sich die Tätigkeit v
                                                                                                           ­ ieler
    Mitarbeiter*innen im wahrsten Sinne des Wortes von heute auf morgen verändern wird. Die gewohnten
    Tätigkeiten der Naturwissenschaftler, Ingenieure aus Umwelt-, Bau-, Verfahrenstechnik und Bergbau sowie
    Verwaltungsfachwirte und Juristen müssen ruhen und es heißt „Anpacken“ in einem völlig neuen Themenge-
    biet, nämlich „Prüfung von Finanzen“ im Rahmen der Corona-Soforthilfe.

    Aber alles der Reihe nach: Das Corona-Soforthilfe-       Zu beantragen war die Soforthilfe beim Regierungs-
    programm Hessen 2020 ermöglicht Selbstständigen,         präsidium Kassel. Bei etwa 100 000 Anträgen hessen-
    Gewerbetreibenden, Freiberuflern und auch Unter-         weit war schnell klar, dass diese Aufgabe nicht ohne
    nehmen mit bis zu 50 Mitarbeitenden, die durch die       Unterstützung zu bewältigen sein würde. Daraufhin
    Corona-Pandemie in wirtschaftliche Engpässe geraten      folgte eine Abfrage bei den Schwesterbehörden in
    sind, eine schnelle und unbürokratische Unterstützung    Gießen und in Darmstadt, so dass letztlich insgesamt
    zu beantragen. Hierbei handelt es sich um einen ein-     700 Mitarbeiter*innen freiwillig bereit und froh waren,
    maligen, nicht rückzahlbaren staatlichen Zuschuss. Die   ihren Beitrag in diesen sehr schwierigen Zeiten leisten
    Höhe des Zuschusses ist abhängig von der Höhe des        zu können – sogar an Sonn- und Feiertagen und nicht
    Liquiditätsengpasses, welcher durch die Folgen der       selten über einen „normalen“ Arbeitstag hinaus.
    Corona-Pandemie entstanden ist und der Anzahl der
    Mitarbeiter im Betrieb.                                  In nur wenigen Wochen wurden zahlreichen Mit­
                                                             arbeiter*innen Zugänge in einem extra für die Erfas-
                                                             sung und Bearbeitung von Anträgen geschaffenen
                                                             Online-Fachverfahren eingerichtet sowie Schulungen
                                                             durchgeführt, bis dann das ersehnte Startsignal zur
                                                             Antragsbearbeitung ertönte.

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Getreu den Vorgaben des           Täglich mussten neue Herausforderungen bewältigt
                         Hessischen Ministeriums der     werden, wodurch sich bei der Antragsprüfung schon
                          Finanzen (HMdF) sowie des      bald ein vernünftiges Mittelmaß aus großzügiger
                          Hessischen Ministeriums für    Bewilligung und tiefgreifender Prüfung einstellte.
                         Wirtschaft, Energie, Verkehr    Möglicherweise ist das auch ein Grund dafür, dass die
                      und Wohnen (HMWEVW)                hessischen Staatsanwaltschaften „nur“ in gut 1 000
                      möglichst schnell, wohlwollend     Betrugsfällen ermitteln.
                      und un­bürokratisch die be-
                     antragte Soforthilfe zu prüfen,     Mit dem Ende der Antragsbearbeitung gab es durch-
                   stürzten sich die Mitarbeiter*innen   weg eine positive Rückmeldung aus der Abteilung: Ja,
             gespannt und motiviert in die Antragsbe-    es gab gerade zu Beginn Widrigkeiten und auch waren
         arbeitung. Vielmals funktionierte dies auch     die Antragsteller teilweise uneinsichtig. Vor allem
     reibungslos, so dass zwischen Beantragung,          die Meldungen von mehr als 1 000 potentiellen Be-
Prüfung und Auszahlung keine 24 Stunden vergingen.       trugsfällen hinterlassen einen bitteren Beigeschmack.
                                                         Trotzdem überwiegt das positive Gefühl bei eben jener
Allerdings häuften sich auch die zweifelhaften Fälle     Berufsgruppe, welche die negativen Auswirkungen der
aufgrund von unvollständigen und widersprüchlichen       Pandemie – insbesondere wirtschaftlich betrachtet –
Angaben, wodurch teils mehr Fragen aufgeworfen als       glücklicherweise nicht so deutlich verspürt, vielen
Antworten gefunden wurden. So waren die Vorgaben         Bürgerinnen und Bürgern etwas Gutes getan zu haben.
zu Beginn der Antragsbearbeitung noch recht knapp        Die Bearbeitung hat Spaß gemacht! In kürzester Zeit
gefasst, wurden jedoch dann zusehends umfangrei-         wurde viel Neues erlernt und es wurden Einblicke
cher. Unter den Mitarbeiter*innen bildete sich schon     in eine Welt gewährt, die für eine Umweltabteilung
bald ein dynamisches Soforthilfe-Netzwerk, in dem        üblicherweise verschlossen bleibt. Und dann ist da
man sich austauschte und unterstützte.                   noch dieses schöne Corona-Soforthilfe-Zusammenge-
                                                         hörigkeitsgefühl entstanden, das die Kolleginnen und
Nicht selten bestanden Zweifel an der Richtigkeit der    Kollegen der unterschiedlichen Dezernate über die Flut
Angaben. Solche Anträge erledigten sich oftmals von      von Anträgen hinweg begleitet hat.
selbst, da auf offenbar banale Nachforderungen keine
Rückmeldungen mehr eingingen. Dazu passend ein           Insgesamt wurden durch das Soforthilfe-Programm in
exemplarischer Schriftwechsel in der Abteilung:          Hessen knapp 953 Millionen Euro ausgezahlt.

„…habt Ihr eigentlich mal einen Sterberegister-           Marc Odrosek marc.odrosek@rpda.hessen.de
abgleich gemacht bei Euren Soforthilfe-Anträgen?          DEZERNAT IV/WI 43.2
Manch ein Antragsteller existiert nicht mehr…“

Sehr widersprüchliche Anträge wurden direkt an die
Oberfinanzdirektion Frankfurt am Main abgegeben.

                                                                                                                  7
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ENTSCHÄDIGUNGSLEISTUNGEN BEI VERDIENST­AUSFALL
    NACH DEM INFEKTIONSSCHUTZGESETZ (IFSG)

    Eine Herausforderung
    FÜR DIE NEUE PROJEKT-
    GRUPPE des RP Darmstadt
    Gerade noch aufgewärmt durch die Corona-Sofort­           Zunächst waren die Gesundheitsämter für solche
    hilfe-Sachbearbeitung sorgte das Infektionsschutzge-      An­gelegenheiten zuständig. Um diese jedoch für ihre
    setz (IfSG) gleich für die nächste große Herausfor-       in Pandemiezeiten anderen sehr wichtigen Aufgaben
    derung beim Regierungspräsidium Darmstadt (RP).           zu entlasten, wurde die Zuständigkeit für die Entschä-
    Viele Mitarbeiter*innen waren gern bereit, weiterhin in   digungsleistungen nach dem IfSG dem Regierungs-
    Sachen „Bekämpfung des Corona-Virus bzw. dessen           präsidium Darmstadt mit Wirkung zum 15. Mai 2020
    Auswirkungen“ mitzuhelfen, um so die Folgen der           übertragen. Die eigentliche Antragsbearbeitung
    Pandemie zu minimieren. Zweifelsohne war es den           erfolgte dann rein elektronisch in einem Fachverfah-
    meisten Mitwirkenden bis dahin nicht bekannt, dass        ren. Am 25. Juni 2020 fiel schließlich der Startschuss
    es überhaupt eine Entschädigungsleistung nach dem         für die Antragserfassung. So begannen die damals
    Infektionsschutzgesetz gibt, aber trotzdem stellte man    knapp 100 mitwirkenden Mitarbeiter*innen damit,
    sich auch dieser Aufgabe gerne.                           etwa 10 000 Anträge in Papierform, die bis zu diesem
                                                              Zeitpunkt bereits eingegangenen waren, händisch in
    Im Einzelnen: Gemäß den §§ 56 bis 58 IfSG besteht         das Fachverfahren zu überführen. Das lang ersehnte
    ein Anspruch auf Erstattung von Verdienstausfall,         „Go!“ für die eigentliche Antrags- bzw. Sachbearbei-
    sofern Arbeitnehmer*innen oder Selbstständige             tung erfolgte dann endlich am 28. Juli 2020. Klar ist
    entweder aufgrund einer Quarantäneanordnung oder          es unangenehm, dass für Anträge mit Entschädi-
    durch einen Betreuungsengpass, weil z. B. die Kinder-     gungsanspruch, die schon im März 2020
    tagesstätte wegen Corona geschlossen ist, verhindert      gestellt worden waren, die tatsächliche
    sind, ihrer Tätigkeit nachzukommen. Das bedeutet im       Bearbeitung erst im August begann;
    Klartext, dass das Land auf Antrag vollständig oder       freilich wurden sodann die Anträge nach
    zumindest anteilig den Verdienst bzw. Lohn für diesen     Eingangsdatum abgearbeitet.
    Zeitraum übernimmt.

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Damit startete nun die eigent-                                                 Feststellung, dass scheinbar ein
lich heiße und interessante                                                   zunehmend in den Hintergrund
Phase der Bearbeitung. Erste                                                  geratener zwischenmenschlicher
Schulungen waren durchgeführt,                                               und gesellschaftlicher Zusam-
Handlungsanweisungen zur Bear-                                              menhalt erfreulicherweise wieder
beitung mit zunächst drei Seiten er-                                      aufzuleben scheint. Solche Erfahrun-
stellt, aus denen bis heute bereits mehr                               gen bereichern den Arbeitsalltag und
als zehn Seiten geworden sind. Man setzte                           das Zusammengehörigkeitsgefühl in einer
sich auseinander mit zahlreichen Verordnungen,                herausfordernden Zeit.
Quarantäneanordnungen, wann welches Land zum
­Risikogebiet erklärt wurde, Reise- und Gehaltsnach-     Nachdem sich dann im September und Oktober des
 weisen, Steuererklärungen, Sozialversicherungs-         letzten Jahres die Aufregung in der Sachbearbeitung
 beiträgen, Brutto- und Nettoverdienstausfällen und      legte und schon fast von einer Art Routine zu sprechen
 sonstigen Zuschüssen, um am Ende den korrekten          war, sorgten im November geänderte Verordnungen
 Erstattungsbetrag bescheiden zu können.                 für erneute Änderungen in den Prüfvorgaben. Genau-
                                                         genommen zieht sich ein roter Faden bis heute durch –
Auch nahm man sich gern die Zeit, am Service-­Telefon    Nichts ist so beständig wie der Wandel! Dies liegt hier
rund ums Thema „Corona“ beratend und aufklärend          jedoch in der Natur der Sache, zumal ständig neue
                 tätig zu sein. Bei den Gesprächen       Lösungen für neue Problemstellungen zu erarbeiten
                 stellte sich vielmals schnell eine      waren und sind.
                 Verbundenheit, unabhängig
                 vom Anliegen bzw. der Tätigkeit,        Eine weitere verlässliche Variable war das bereits ange-
                 beispielsweise als Arbeitgeber,         sprochene Fachverfahren, in welchem die eigentliche
                 ­Arbeitnehmer, Selbstständiger,         Sachbearbeitung erfolgte und auch die Antragsteller
                  Steuerberater oder aus Verbänden,      ihre Anträge verfassten (­https://ifsg-online.de); hier saß
                  ein, man tauschte sich aus, erarbei-   man sich sozusagen virtuell gegenüber, An­trag­steller
                  tete gemeinsam Lösungswege in          und Sachbearbeiter. Die Antragsteller waren unzufrie-
                  einer Thematik, die für alle neu war   den, da sie manchmal im letzten Be­arbeitungsschritt
                  und bis heute ist. So einschneidend    mit einer Fehlermeldung vom System getrennt wur-
                  und negativ eine solche Pandemie       den und somit alle Angaben noch einmal eingeben
                  auch ist, so angenehm ist indes die    mussten.

                                                                                                                       9
JOURNAL Arbeitsschutz und Umwelt - REGIERUNGSPRÄSIDIUM DARMSTADT - Hessen.de
WEITERE INFORMATIONEN
       Hier finden Sie Downloads und weitere Informationen zum Thema Verdienstausfallentschädigung nach
       den §§ 56 ff. Infektionsschutzgesetz (IfSG):
       › https://rp-darmstadt.hessen.de/soziales/verdienstausfallentschädigung-nach-den-§§-56-ff-
          infektionsschutzgesetz-ifsg

     Im selben Moment riefen sie auch schon an und die Sachbearbeitenden konnten unmittelbar das Leid teilen,
     da es ihnen in diesem Moment nicht besser erging. Auch sie wurden von Fehler­meldungen und sehr langen
     Ladevorgängen der externen Plattform nicht verschont.

     Aber schnell herrschte wieder Einigkeit: „Gemeinsam    schaffen wir das!“

     Es bleibt zu konstatieren, dass alle Mitarbeiter*innen freiwillig und aus verschiedenen Fachgebieten, wie
     beispiels­weise Naturwissenschaft und Verwaltung, mitwirkten, sich die Kenntnisse zur Sachbearbeitung in Kürze
     aneigneten und die eigentliche Arbeit parallel mit bewältigten oder an hilfsbereite Kolleg*innen übergaben.

     Im Januar wurde die Zahl der Mitwirkenden auf etwa 200 Personen angehoben, um dem immer größer
     werdenden Berg an Anträgen Herr zu werden. Bis Ende Juli 2021 sind ca. 104 000 Anträge hessenweit einge-
     gangen, 58 000 wurden bislang abschließend bearbeitet und es wurden insgesamt mehr als 46,3 Mio. Euro
     ausgezahlt.

     Es ist also noch viel abzuarbeiten, der Projektauftrag wurde bis Ende 2021 verlängert. Es bleibt spannend!

      Marc Odrosek marc.odrosek@rpda.hessen.de
      DEZERNAT IV/WI 43.2

10
BEHÖRDLICHE ÜBERWACHUNG IN
CORONA-ZEITEN

PANDEMIEMASSNAHMEN
in Abwasserbetrieben
Die Corona-Pandemie stellt uns alle vor große Herausforderungen. Die Überwachung von zur kritischen
Infrastruktur gehörenden Abwasseranlagen durch das Dezernat IV/Wi 41.3 Abwasser, anlagenbezogener
Gewässerschutz macht da keine Ausnahme.

Eine wichtige Information aber vorweg: In abwasser­     Im Fokus stehen sogenannte Kategorie-I-Kontakte:
technischen Anlagen gibt es nach momentanem             kumulativ mindestens 15-minütige Begegnungen von
Kenntnisstand kein erhöhtes berufsbedingtes Infek-      Angesicht zu Angesicht mit einem Abstand von we-
tionsrisiko mit SARS-CoV-2. Zwar lassen sich RNA-       niger als 1,5 m oder ein Kontakt, bei dem Personen
Fragmente des Virus im Abwasser nachweisen, diese       mit einer hohen Wahrscheinlichkeit einer relevanten
sind jedoch nicht infektiös. Die Übertragung über den   Konzentration von Aerosolen ausgesetzt werden.
Abwasserpfad ist somit als relativ unwahrscheinlich
anzusehen.

Trotz alledem ist es wichtig, dass abwassertechnische
Betriebe Schutzmaßnahmen gegen die Gefährdung
durch SARS-CoV-2 ergreifen. Laut der Bundesver-
ordnung zur Bestimmung kritischer Infrastrukturen
ist „die Beseitigung von Abwasser eine kritische
Dienstleistung, deren Ausfall oder Beeinträchtigung
zu erheblichen Versorgungsengpässen oder zu
Gefährdungen der öffentlichen Sicherheit führen
würde“. Daher sind Maßnahmen zu treffen, die den
Anlagenbetrieb unter Pandemiebedingungen zuver-
lässig aufrechterhalten und zusätzlich die Gesundheit
der Beschäftigten schützen. Das Ansteckungsrisiko
                                                        Kläranlage Flörsheim (© Mariusz Wojcik, Abwasserverband
der Mitarbeitenden soll durch erhöhte Hygienean-        Flörsheim)
forderungen sowie Vermeidung und Reduzierung
dienstlicher Sozialkontakte minimiert werden.

                                                                                                                  11
Damit auch im Aufsichtsbezirk des Regierungspräsi-       Befragungen zu den bisher getroffenen Maßnah-
     diums (RP) Darmstadt, Abteilung Umwelt Wiesbaden         men von Kläranlagen- und Kanalnetzbetreibern im
     der Betrieb der Abwasseranlagen ohne größere Zwi-        Zuständigkeitsbereich des RP Darmstadt, Abteilung
     schenfälle gewährleistet bleibt, wurden in zahlreichen   Umwelt Wiesbaden haben ergeben, dass die meisten
     Beratungsgesprächen die Betreiber unterstützt. Insbe-    Betriebe ihr Personal in Gruppen aufteilen, die ent-
     sondere wurden folgende Maßnahmen empfohlen:             weder zeitversetzt ihre Arbeit aufnehmen oder sich
                                                              täglich bzw. wöchentlich abwechseln – eine große
     ƒ W
        eitgehende Kontaktreduzierung zwischen den           Herausforderung auf Anlagen mit knapper Personal-
       Mitarbeitenden                                         decke in Urlaubszeiten und bei Krankheitsfällen. Die
       › Homeoffice / Digitalisierung                         Idee mancher Betreiber, im Fall eines Ausbruchs auf
                                                              Personal benachbarter Kläranlagen ­zurückzugreifen,
       › a
          bsolute Trennung des persönlichen Kontaktes
                                                              gestaltet sich aufgrund der großen Bandbreite an
         zwischen einzelnen Arbeitsteams
                                                              Anlagen und Abwasserzusammensetzungen als
       › Versetzter Arbeitsbeginn / Arbeitsende               nicht realisierbar. Zudem wollen Betriebsleitungen
     ƒ Verstärkung der Hygienemaßnahmen                       kein Risiko der Ansteckung des eigenen Personals
       › Erhöhung Reinigungsintervalle                        eingehen. Kanalarbeiten werden häufig an externe
                                                              Dienstleister vergeben, Verwaltungsangestellte ins
       › Bereitstellung von Handdesinfektionsmittel
                                                              Homeoffice geschickt. Aber vor Ort blieben trotz der
       › Hygienepläne                                         geltenden Maskenpflicht auf allen Verkehrsflächen
                                                              und bei gemeinsamen Arbeiten auf engerem Raum
     Zudem wurden die Betreiber darauf hingewiesen,           nicht alle Kläranlagen im Aufsichtsbezirk von Corona-
     dass Personen, die im Bereich der Abwasserentsor-        Infektionen des Personals verschont. Vorsorglich
     gung arbeiten, einen Anspruch auf Notbetreuung in        wurde in diesen Fällen die ganze Schicht unter Qua-
     Kindertagesstätten und Schulen haben.                    rantäne gestellt. Es gibt sogar manchen Betreiber,
                                                              der im Falle eines Ausbruchs innerhalb des Betriebs
                                                              (positiver Test ohne Symptome) sogar die Einrichtung
                                                              einer Quarantänestation auf seiner Kläranlage plante.
                                                              Arbeiten unter Quarantäne ist gemäß den vom
                                                              Robert-Koch-Institut veröffentlichten „Optionen zum
                                                              Management von Kontaktpersonen unter Personal
                                                              der kritischen Infrastruktur bei Personalmangel“ in
                                                              Ausnahmefällen unter strengen Auflagen möglich.

                                                                   Trotz der außergewöhnlichen Pandemiesituation
                                                                    im Jahr 2020 mit all ihren Herausforderungen
                                                                    wurden von den Betreibern Erweiterungen und
                                                                      Änderungen von Abwasseranlagen geplant.
                                                                      Im Vergleich zu den Vorjahren wurden durch

12
das zuständige Dezernat Abwasser, anlagenbezoge-       sonal grundsätzlich nur im Freien, unter Einhaltung der
ner Gewässerschutz auch nicht weniger Zulassungen      Abstandsregelungen und mit FFP2-Maske erfolgte,
erteilt. Die erforderlichen Abstimmungsgespräche       wurden auch im Jahr 2020 alle notwendigen, gesetz-
fanden aber pandemiebedingt hauptsächlich digital,     lich vorgeschriebenen staatlichen Abwasserbeprobun-
in Form von Videokonferenzen, statt.                   gen durchgeführt.

Gleiches gilt für die Überwachung durch die Auf-       Durch die frühzeitige Aufstellung von abgestuften
sichtsbehörde. Die Anzahl der Überwachungsvor-         Maßnahmenplänen sowie deren Umsetzung ist es im
gänge hat sich verglichen mit dem Jahr 2019 nicht      Aufsichtsbezirk der Abteilung IV Umwelt Wiesbaden
wesentlich geändert, anders als die Durchführung.      bisher nicht zu größeren Ausbrüchen auf Kläranlagen
                                                       gekommen. In Zeiten steigender Infektionszahlen
Die Überwachungen fanden ausschließlich im Freien      werden die Pandemiemaßnahmen weiterhin auf die
oder vom Schreibtisch aus statt, um dem erhöhten       Probe gestellt. Gemeinsames oberstes Ziel bleibt es,
Infektionsrisiko in Innenräumen zu entgehen.           zu jedem Zeitpunkt die Lage im Griff zu haben und
                                                       so der wichtigen Aufgabe der Abwasseranlagen als
Die staatliche Einleitekontrolle der Abwasserbehand-   kritische Infrastruktur kontinuierlich nachkommen zu
lungsanlagen vor Ort durfte natürlich auch in Pan-     können.
demiezeiten nicht fehlen. Im besonderen Jahr 2020
konnte allerdings erst im Juli mit den Probenahmen      Marcel Nick marcel.nick@rpda.hessen.de
gestartet werden. Unter der Maßgabe, dass der Kon-      DEZERNAT IV/WI 41.3
takt zwischen Probenehmenden und Kläranlagenper-

Laborbus des RP Darmstadt,
Abteilung Umwelt Wiesbaden (© RP Darmstadt)

                                                                                                                 13
VOM LOGISTIKZENTRUM
     AUF DEN ACKER

     WAS HABEN v­ erpackte
     Lebens­mittelabfälle
     MIT G
         ­ IESSKANNEN UND
     PLASTIK­TÜTEN ZU TUN?
     Eine gemeinsame Entsorgung von verpackten und unverpackten Lebensmittelabfällen entspricht zurzeit
     noch immer dem Stand der Technik. Im folgenden Artikel werden der Umgang mit verpackten Lebensmittel-
     abfällen sowie die Auswirkungen auf unsere Umwelt dargestellt. Weiter wird berichtet, wie im Rahmen eines
     aktuellen Zulassungsverfahrens für ein Logistikzentrum eine Vorgehensweise festgelegt wurde, die mittel-
     fristig dazu beitragen kann, die bestehende Entsorgungssituation zu verbessern.

     Logistikzentren sind beliebt und schießen vielerorts wie Pilze aus dem Boden. Häufig werden dafür keine
               Brachflächen neu bebaut, sondern die Zentren entstehen auf der „grünen Wiese“. Dabei wird zum
                      Teil wertvoller Ackerboden dem landwirtschaftlichen Produktionskreislauf auf unbestimmte
                                      Zeit entzogen.

                                      Aber auch auf andere Weise kommt der Bodenschutz – und in der Folge
                                     Immissionsschutz und Abfall – beim Bau von Logistikzentren ins Spiel. Dies
                                     wurde offensichtlich, als ein großer Lebensmitteldiscounter die Zulassung für
                                        den Neubau eines Logistikzentrums im Rhein-Main-Gebiet beantragte. Von
                                          dem neuen Zentrallager aus – das aktuell auf einer Fläche von 20 ha
                                             auf ehemals landwirtschaftlicher Fläche entsteht – sollen ca. 120 Filialen
                                             in der Umgebung mit Waren versorgt und deren Abfälle entsorgt
                                            werden. Im Rahmen der Entsorgung werden u. a. verpackte und un­
                                      verpackte Lebensmittelabfälle von den einzelnen Filialen in das so­genannte
                                       Wertstofflager des Logistikzentrums gebracht, dort in Absetz- oder Press-
                                       containern zwischengelagert, um dann in Anlagen zur Energie­erzeugung
                                       final verwertet zu werden. Um diese Verwertung von verpackten und unver-
                                       packten Lebensmitteln und ihre Auswirkungen auf unsere Umwelt wird es im
                                     Folgenden gehen (Stand des Artikels: April 2021).

14
Die Entsorgung von Lebensmittelabfällen in Biogas-
anlagen besteht darin, dass zunächst verpackte und                                         Von Kunststoffen in der Umwelt liest man immer
unverpackte Lebensmittelabfälle entweder schon                                             wieder, so kam es bei der energetischen Verwer-
vermischt angeliefert werden oder sie bei getrennter                                       tung von Lebensmittelabfällen im Jahr 2018 an
Anlieferung vor dem Gärprozess gemischt werden. Es                                         der Schlei in Schleswig-Holstein zu einer groß-
folgt eine gemeinsame mechanische Zerkleinerung                                            flächigen Verunreinigung mit Kunststoffpartikeln.
dieser Abfälle. Die Grob- und Feinfraktionen (über-                                        Unzureichend entpackte Lebensmittelabfälle,
wiegend bestehend aus Holz und Kunststoff) werden                                          die geschreddert als zusätzliches Gärsubstrat zur
über Siebeinrichtungen vor dem Gärprozess entfernt.                                        Energieerzeugung in den Faulturm der Kläran-
Aus dem Gärprodukt werden vor dem Ausbringen                                               lage gepumpt wurden, waren die Ursache. Über
auf landwirtschaftliche Flächen in der Regel auch die                                      das Abwasser gelangten die Plastikpartikel über
Feinstfraktionen entfernt (siehe Ablaufschema in einer                                     den Kläranlagenablauf in die Schlei. Die Arbeiten
Biogasanlage).                                                                             zur Beseitigung der Plastikteilchen dauern bis
                                                                                           heute an.

                                                                    Absetzbehälter

                                   Trennmühle                                                                                Hygienisierung

                                                                                                                                                     Substrat
                                                                                                                                                     Biogas
     Annahme
                                                                                                                                                     Störstoffe

                                                                                                     Feinfraktion < 10 mm

                                                                  Feinfraktion < 10 mm
                            Grobfraktion   Kunststoffe

                                                                                                                  Vorlage-
                                                                                                                  behälter
                                                         Nachgärbehälter                 Fermenter

                                                                                                                                                     Strom
               Separation
                                                                                                                                              BHKW

                                                                Gärproduktlager                Abgabe an die Landwirtschaft                            Wärme

                                 Feinstfraktion > 1 mm

Ablaufschema in einer Biogasanlage zur Behandlung verpackter Lebensmittelabfälle

                                                                                                                                                                  15
Eine gemeinsame                     Diese Grenzwerte klingen auf den ersten Blick streng
                                        Behandlung verpackter               – tatsächlich dürfen so aber bei einem Anfall von 4,2
                                        und unverpackter Le-                Millionen Tonnen Kompost und 3,4 Millionen Tonnen
                                    bensmittelabfälle entspricht            flüssigen Gärresten jedes Jahr mehr als 14 000 Tonnen
                                    noch immer dem Stand der                Kunststoffe über die Düngung mit Bioabfällen auf
                                   Technik.                                 landwirtschaftlich und erwerbsgärtnerisch genutzten
                                                                            Flächen in Deutschland ausgebracht werden.
                           Eine Trennung von Biomasse und
                         darin enthaltenen Kunststoffantei-                 Um sich diese Menge besser vorstellen zu können,
                       len, die im Wesentlichen aus den                     hilft es, sich die Masse als Gießkannen oder Plastik-
                    zerkleinerten Lebensmittelverpackun-                    tüten vorzustellen. Dann entspräche die zulässige
                 gen stammen, ist technisch sehr aufwän-                    Menge der Kunststoffabfälle rund 143 Millionen
     dig und wird bisher nur entsprechend der gesetzli-                     Plastiktüten oder 29 Millionen Gießkannen, die in
     chen Vorgaben bis zu einer Partikelgröße von größer                    Deutschland jährlich auf landwirtschaftlich und gärtne-
     1 mm umgesetzt. Eine weitergehende Aufbereitung                        risch genutzten Flächen ausgebracht werden dürfen.
     und Abtrennung kleinerer Partikel wird voraussichtlich
     erst dann großtechnisch realisiert werden, wenn die
     rechtlichen Verpflichtungen dazu bestehen und der
     Stand der Technik angepasst wird.

     Im Jahr 2018 fielen 18,9 Millionen Tonnen Verpa-
     ckungsmaterialien1 in Deutschland an, davon entfielen
     allein 3,2 Millionen Tonnen auf Kunststoffverpackun-
     gen. Bei der Entsorgung von Lebensmittelabfällen
     kommt es über die Düngung mit Gärresten, Klär-
     schlämmen, Bioabfällen und Komposten zu gesetzlich
     erlaubten Einträgen von Kunststoffabfällen in Form
     von Kleinstpartikeln in die Umwelt.

     Nach der aktuell gültigen Düngemittelverordnung                        Hinzu kommt, dass Mikroplastik unter 1mm Sieb-
     (DüMV) sind 0,1 % Trockenmasse (TM) weiche, ver-                       durchgang derzeit legal in unbegrenzten Mengen
     formbare und 0,4 % TM harte Kunststoffpartikel in                      ausgebracht werden kann. Hierzu existieren bisher
     Komposten, Gärresten etc. bis 1 mm Siebdurchgang                       keine Grenzwerte in den Verordnungen.
     zulässig. In der gültigen Bio­abfallverordnung (Bio-
     AbfV) sind die Grenzwerte höher. Sie erlaubt einen                     Solche konkreten Zahlen machen deutlich, dass Ein-
     Eintrag von 0,5 % TM für Kunststoffpartikel bis 2 mm                   träge von Plastikpartikeln in die Umwelt möglichst zu
     Siebdurchgang.                                                         vermeiden und zu reduzieren sind. Das Herangehen

      Quelle: Aufkommen und Verwertung von Verpackungsabfällen in Deutschland im Jahr 2018 – Abschlussbericht, Texte 166/2020 des Umweltbundesamtes
     1

16
an dieses Thema sollte deshalb eine dauerhafte
Aufgabe sein, sowohl für uns selbst als Käufer und                                 ZUR VERDEUTLICHUNG: Bei einer Weichplastik­
Verbraucher, als auch für Hersteller, Vertreiber und                               menge von 2 900 t und einem Durchschnittsge-
Entsorger von Lebensmitteln und damit auch für                                     wicht von 20 g pro Plastiktüte ergibt sich eine
Behörden. Eine Umsetzung scheitert derzeit allerdings                              erlaubte Gesamtmenge an Weichplastik von
an den unzureichenden gesetzlichen Vorgaben.                                       143 000 000 Plastiktüten. Bei einer Hartplastik-
                                                                                   menge von 11 500 t und einem angenommenen
Im Rahmen des immissionsschutzrechtlichen Zu­                                      Gewicht von 400 g einer 10L-Gießkanne ergibt
lassungsverfahrens für das Wertstofflager im ein­                                  sich eine erlaubte Gesamtmenge an Hartplastik
gangs genannten neuen Logistikzentrum wurde                                        von 29 000 000 Gießkannen.
behördlicherseits die Trennung der verpackten und
unverpackten Lebensmittelabfälle bereits an der An-
fallstelle, d. h. in den Supermarkt-Filialen, angestrebt,                       ƒ E
                                                                                   inführung eines Grenzwertes für Fremdstoffe nach
um einen Verdünnungseffekt zu vermeiden, der eine                                 der Entpackung
spätere Abtrennung der Plastikpartikel erschwert.                               ƒ B
                                                                                   eurteilung der Einhaltung des Grenzwertes für
Ein solches Vorgehen wird aktuell auch in der neuen                               Fremdstoffe nach einer gleitenden 4-von-5-­
Handlungsempfehlung der LänderArbeitsGemein-                                      Regelung2
schaft Abfall (LAGA) von Juni 2019 „Konzept für eine
                                                                                ƒ V
                                                                                   erwertung der zuvor aufbereiteten Lebensmittelab-
ordnungsgemäße und schadlose Verwertung von
                                                                                  fälle in dafür geeigneten und zugelassenen Anlagen
verpackten Lebensmittelabfällen“ gefordert. Das Kon-
zept sieht vor, anders als die bisher gängige ­Praxis,                          ƒ Z
                                                                                   usätzliche Fremdstoffabtrennung am Ende der
verpackte und unverpackte Lebensmittelabfälle,                                    biologischen Behandlung
wenn möglich bereits an der Anfallstelle getrennt zu                            ƒ Behördliche Maßnahmen/Übergangsfristen
erfassen und getrennt in der Entsorgungsanlage zu
verarbeiten. Damit können die Anteile an Kunststoff­                            Wegen der Anlagenbezogenheit im immissions-
partikeln in der Umwelt deutlich reduziert werden.                              schutzrechtlichen Zulassungsverfahren konnten keine
                                                                                Festlegungen für die Trennung von verpackten und
WESENTLICHE ECKPUNKTE DES LAGA-­­KONZEPTES                                      unverpackten Lebensmitteln an der Anfallstelle der
SIND:                                                                           Lebensmittelabfälle, also in den einzelnen Super-
                                                                                marktfilialen, getroffen werden. Aus Gründen des Ar-
ƒ G
   etrennterfassung der verpackten und unverpack-                              beitsschutzes und der Hygienevorschriften erscheint
  ten Lebensmittelabfälle an der Anfallstelle und                               es darüber hinaus aktuell unrealistisch, dass Lebens-
  Getrennthaltung in der Logistikkette                                          mittelverpackungen manuell oder maschinell bereits
ƒ O
   rdnungsgemäße Einstufung verpackter Lebens-                                 in den einzelnen Filialen entfernt werden können.
  mittelabfälle (AVV-Nummern)
ƒ S
   eparate Entpackung vor der Vermischung mit
  anderen Materialien

2
     ird der Grenzwert für Fremdstoffe bei einer einzelnen Analyse nicht eingehalten, gilt er dennoch als eingehalten, wenn 4 Ergebnisse der letzten 5
    W
    Überprüfungen den Grenzwert nicht überschreiten und kein Ergebnis den Grenzwert um 100 % übersteigt.
                                                                                                                                                          17
Unverpackte Bioabfälle
                           Verpackte
                       Lebensmittelabfälle
                                                                   (z.B. Küchen- und                   Sammlung/Erfassung
                                                                    Kantinenabfälle)

                                                                                                                             Bodenbezogene Verwertung
                    Entpackung/Fremdstoff-
                                                                   Vermischung
                         abtrennung

                                                                                                            Aufbereitung
                                                                    Zerkleinerung
                                       Fremdstoffgehalt > 2 mm
                                                                          +
                                       maximal 0,5 % TM
                             Organik                                Hygienisierung

               Fremdstoffe                                                                   Fremdstoff-
                                                                                                                  Prüfung
                                                                                             abtrennung
                                                                                                                    nach
                                                   Biologische       Vergärung              (z.B. Siebung
                                                                                                                  BioAbfV/
                                                                                               0,5 mm)
                                                   Behandlung                                                      DüMV

                                                                                             Fremdstoffe

     LAGA Handlungsempfehlung „Konzept für eine ordnungsgemäße und schadlose Verwertung von verpackten Lebensmittelabfällen“,
     Juni 2019

     Umso wichtiger war es deshalb, in der Genehmigung                        Solange in der nachfolgenden Biogasanlage die
     des Wertstofflagers einen Umgang mit den Lebens-                         beiden Stoffströme wieder gemeinsam behandelt
     mittelabfällen festzuschreiben, der einer möglichst                      werden, ist mit einer separaten Erfassung und Anlie-
     hochwertigen Aufbereitung nicht entgegensteht.                           ferung von verpackten und unverpackten Lebens-
     Für den konkreten Anlagenbetrieb bedeutet das                            mittelabfällen noch kein großer Fortschritt erzielt. Es
     zunächst, dass zwei Presscontainer in der Abfallan-                      sind damit jedoch die Voraussetzungen geschaffen
     lage eingesetzt werden müssen, einer für verpackte                       für eine verbesserte Abtrennung der Nicht-Biomasse
     und einer für unverpackte Lebensmittelabfälle. Der                       und Vermeidung eines Verdünnungseffektes, sobald
     Presscontainer mit verpackten Lebensmittelabfällen                       der rechtliche Rahmen (oder eine branchenweite
     soll dann zu einer Biogasanlage transportiert werden,                    verbindliche Selbstverpflichtung) eine gemeinsame
     die über die technische Ausrüstung zur Abtrennung                        Behandlung nicht mehr zulässt.
     der Verpackungen vor den biologischen Prozessen
     verfügt. Die unverpackten Lebensmittelabfälle können                     Ein weiterer Aspekt, der sich zurzeit problematisch
     ohne weitere Vorbehandlung in einer Biogasanlage                         auf die Entsorgung auswirkt, ist die ordnungsgemäße
     verwertet werden.                                                        abfallrechtliche Einstufung von Lebensmittelabfällen:
                                                                              Auf europäischer Ebene gibt es eine einheitliche

18
herkunftsbezogene Bezeichnung von Abfällen in Form
von sechsstelligen Abfallschlüsseln nach der Abfall-           AUSBLICK: In der EUWID Nr. 44/2020 war zu
verzeichnis-Verordnung (AVV). Für Lebensmittelab-              lesen, dass in Baden-Württemberg im Oktober
fälle existiert bisher kein zutreffender ­Abfallschlüssel.     2020 eine Biogasanlage mit einer separaten
Häufig verwendet wird der Abfallschlüssel 20 01 08             Aufbereitungslinie für verpackte Lebensmittel-
(biologisch abbaubare Küchen- und Kantinenab­fälle)            abfälle in Betrieb genommen werden konnte.
oder ein Abfallschlüssel aus dem AVV-Kapitel 02
                                                               Mit einer speziellen Technologie werden die
(Abfälle aus […] der Herstellung und Verarbeitung von
                                                               Lebensmittelabfälle entpackt und die Verpa-
Nahrungsmitteln). Nach dem aktuellen LAGA-Konzept
                                                               ckungsbestandteile gezielt ausgeschleust.
sollen verpackte Lebensmittelabfälle aus dem Handel
und von Großverbrauchern dem Abfallschlüssel                   Dadurch werden die organischen Abfälle für die
20 03 01 (gemischte Siedlungsabfälle) mit dem Text-            anschließende Biogaserzeugung und landwirt-
zusatz „verpackte Lebensmittelabfälle“ zugeordnet              schaftliche Nutzung so aufbereitet, dass diese
werden. Diese Bezeichnung ist unter Berücksichti-              weitestgehend frei von Kunststoffen sind.
gung der Herkunft momentan die zutreffendste.
                                                               Das lässt hoffen, denn schließlich sind
Nach der aktuellen Fassung der BioAbfV, die u. a.              29 Millionen Gießkannen einfach zu viel!
beim Betrieb von Biogasanlagen relevant ist, sind
Lebensmittelabfälle mit dem Abfallschlüssel 20 03 01
allerdings nicht für eine Verwertung nach der BioAbfV        01 08 mit dem Zusatz „verpackte Lebensmittelabfälle“
in einer Biogasanlage zugelassen. Denn die derzeitige        verwendet werden darf, um eine Verwertung in Bio-
Formulierung der AVV lässt unter diesem Abfallschlüs-        gasanlagen zu ermöglichen.
sel nur „getrennt erfasste Bioabfälle privater Haushalte
und des Kleingewerbes (insbesondere der Biotonne)“           Nach dem Umweltskandal in Schleswig-Holstein (s. o.)
zu. Verpackte Lebensmittelabfälle zählen nicht zu den        wächst der Druck auf die Unternehmen und auf den
getrennt erfassten Bioabfällen.                              Gesetzgeber, endlich Regelungen zu schaffen, die den
                                                             Eintrag von Mikroplastik in die Umwelt weitest­gehend
Überwunden wird dieses Dilemma voraussichtlich               verhindern. Das LAGA-Konzept, die Anpassung des
erst, wenn in den zu berücksichtigenden Regelwerken          Stands der Technik, die Novellierung der Rechtsvor-
eine einheitliche Bezeichnung für Lebensmittelabfälle        schriften und die behördliche Überwachung sind
verwendet wird.                                              geeignete Bausteine für eine weitere Reduzierung des
                                                             Plastikeintrags in die Umwelt.
Bis dahin müssen über Einzelfallentscheidungen
mühsam individuelle Lösungen gefunden und Aus-                Marion Peine marion.peine@rpda.hessen.de
nahmen zugelassen werden. Im konkreten Fall war es            DEZERNAT IV/DA 41.5
die Formulierung, dass bis zu einer abfallrechtlichen
Änderung/Klarstellung insbesondere der AVV und                Karin Taube karin.taube@rpda.hessen.de
der BioAbfV übergangsweise der Abfallschlüssel 20             DEZERNAT IV/F 42.1

                                                                                                                     19
WARUM DAUERT DAS SO LANGE?
     EIN BEISPIEL

     WARUM VERWALTUNGS-
     ENTSCHEIDUNGEN
     ­manchmal ­etwas länger dauern
     Mit Inkrafttreten der Wasserrahmenrichtlinie im Jahr          einmal ein Eingriff in ein bestehendes Recht ist, hat ein
     2000 sind alle EU Staaten verpflichtet, ihre Gewässer         (Wasser)rechtsinhaber auch ein Recht auf eine ordent-
     in einen guten Zustand zu bringen. Ein guter Zustand          liche, fachlich fundierte Entscheidung von Seiten der
     bedingt unter anderem, dass Bäche und Flüsse für              Behörde und die braucht manchmal Zeit:
     Fische möglichst durchgängig sein sollen. Querbau-
     werke, wie Wehre von Wasserkraftanlagen (WKA),                Die betreffende Wehranlage einer ehemaligen Leder-
     verhindern diese Durchgängigkeit, sofern die Wehre            fabrik, von der dieses Beispiel berichtet, besteht seit
     nicht fischfreundlich umgebaut werden. Kein Problem,          Anfang des letzten Jahrhunderts. Der Mühlgraben
     könnte man denken, das kennt man doch, schon hun-             ­bedient zwei Wasserrechte. Das Wasserrecht erlaubt es
     dert Mal gelesen, dann baut man das Wehr einfach               den jeweiligen Eigentümern, das Wasser des Schwarz-
     um. Das ist ja kein Hexenwerk!                                 bachs aufzustauen, über einen Mühlgraben weiter zu
                                                                    leiten und wieder in den Schwarzbach einzuleiten.
     Nun, das ist es auch nicht, aber einfach ist es des-
     halb noch lange nicht: Der Umbau eines Wehres
     an einer WKA ist fast immer auch mit einem Eingriff
     in ein bestehendes Wasserrecht verbunden, weil
     Wassermengen neu festgelegt werden müssen. Ein
     fischdurchgängiges Gewässer braucht nämlich nicht
     nur eine geeignete morphologische Ausbildung
     des Gewässerbettes – es braucht auch Wasser! Der
     fischfreundliche Umbau eines Wehres trifft den Be-
     treiber daher doppelt. Er muss meist seine nutzbare
     Wassermenge reduzieren und den Umbau (zumindest
     anteilig) finanzieren. Wer Rechte hat, hat auch Pflich-
     ten. Das ist klar. Aber, weil ein Eingriff in ein Recht nun
                                                                   Wehr (© IUS Weibel & Ness GmbH)

20
Die Betreiber der   zur Wiederansiedlung des europäischen Lachses ist.
                                     beiden Mühlen (ehe-   Die Umgestaltung des Wehrkörpers und der Gewäs-
                                  malige Lederfabrik und   serbettsicherung kann aber erst dann beplant werden,
                              Krebsmühle) wollen ihr       wenn die zur Verfügung stehende Abflussmenge
                           Wasserrecht weiter ausüben.     bekannt ist.
                        Die im aktuell noch gültigen
                Wasserrecht festgesetzte Mindestwas-
          serführung im Mutterbett des Schwarzbachs                                                               Übersichtskarte
(Ausleitungsstrecke) liegt bei traurigen 20 l/s, obwohl                                                           Schwarzbach
                                                                                                                  mit Mühlgraben
das Gewässer normalerweise einen mittleren Abfluss                                                                und NSG
von ca. 900 l/s an der Stelle hätte.

Das Wasserhaushaltsgesetz verpflichtet das Regie-                                  Wehr der Lederfabrik mit
rungspräsidium Darmstadt, Abteilung Umwelt Wies-                                   Wasserentnahme
baden als obere Wasserbehörde (OWB) gemäß § 27
Wasserhaushaltsgesetz (WHG), oberirdische Gewäs-
ser so zu bewirtschaften, dass ein guter ökologischer
Zustand erreicht wird.

Um dieses Ziel zu erreichen, muss unter anderem die
sogenannte lineare Durch­­gängigkeit im Gewässer
hergestellt (§ 34 WHG) und eine ausreichende Min-
destwasserführung (§ 33 WHG) sichergestellt werden.

Das Wehr verhindert, in seiner jetzigen Ausgestaltung,
diese lineare Durchgängigkeit des Schwarzbachs. Da­                          Mühlgraben
rüber hinaus ist die aktuell festgelegte Mindestwasser-
führung von 20 l/s gemäß Mindestabflusserlass vom
15. Januar 2018 für ein ökologisch intaktes Gewässer
unzureichend.
                                                           NSG
Die unzureichende Mindestwassermenge wirkt                 Krebsmühlwiesen
sich hier besonders negativ aus, da der Schwarz-
bach zudem Teil des internationalen IKSR-Projektes                                             Wiedereinleitung
(­Internationale Kommission zum Schutz des Rheins)

                                                                                                                             21
DAS IST SCHON KOMPLIZIERT GENUG, ABER ES              ES IST DAHER ZU KLÄREN:
     WIRD NOCH „BESSER“: Südlich der Krebsmühle hat
                                                           ƒ W
                                                              ie viel Wasser braucht das Naturschutzgebiet, um
     sich entlang des Mühlgrabens zwischen dem anste-
                                                             nicht geschädigt zu werden?
     henden Hang und dem Bahndamm ein Feuchtbiotop
     gebildet, das mutmaßlich vom Wasser des Mühlgra-      ƒ Ist das Naturschutzgebiet überhaupt auf Wasser aus
     bens abhängig ist.                                       dem Mühlgraben angewiesen?
                                                           ƒ W
                                                              ie viel Wasser benötigt der Bach als
     Die Festlegung einer neuen Mindestwasserregelung        ­Lachsgewässer?
     nach dem geltenden Mindestabflusserlass würde         ƒ Wie weit können die Kompromisse gehen?
     eine erhebliche Reduzierung des Wasserdargebots
     im Mühlgraben bedeuten. Das Feuchtbiotop ist per      Um auf diese Fragen eine Antwort zu finden, wurden
     Verordnung unter dem Namen „Krebsmühlwiesen           zunächst Abstimmungsgespräche geführt: mit der
     bei Hofheim“ als Naturschutzgebiet (NSG) geschützt.   Oberen Naturschutzbehörde, der Oberen Fischerei­
     Diese Verordnung verbietet u.a. die Veränderung des   behörde, den jeweils örtlich zuständigen unteren
     Wasserhaushalts in dem Gebiet.                        Behörden, den Wasserkraftbetreibern und den Natur-
                                                           schutzverbänden.
     Die Folgen einer reduzierten Wassermenge im Mühl-
     graben, also einer „Veränderung des Wasserhaus-       Es wurde klar, dass ohne vertiefende vegetations-
     halts“ im NSG waren mit den vorliegenden Informa­     kundliche Untersuchungen des NSG und gewässer­
     tionen zum damaligen Zeitpunkt nicht abschätzbar.     ökologische Bewertung der Ausleitungsstrecke und
     Die Anwendung des Mindestabflusserlasses würde        des Mühlgrabens keine fachlich fundierte Lösung für
     möglicherweise einen Verstoß gegen die NSG-Verord-    diese komplexe Situation gefunden werden konnte,
     nung bedeuten.                                        um die widerstreitenden gesetzlichen Interessen auf-
                                                           zulösen. Eine externe Beratungsleistung zur Erstellung
     ALSO:                                                 eines Gutachtens durch ein geeignetes Büro war nötig.
     ƒ U
        m das Wehr umzubauen, muss die zur Verfügung
                                                           Gegenstand des Gutachtens sollte die Ermittlung
       stehende Wassermenge bekannt sein,
                                                           einer Mindestwasserregelung sein, die für die öko­
     ƒ u
        m die Wassermenge festzulegen, muss der gesetz-   logischen Belange der Ausleitungsstrecke (Mutterbett
       lich geregelte Mindestabfluss ermittelt werden,     des Schwarzbachs) ausreichend ist und gleichzeitig
     ƒ d
        ieser neu ermittelte Mindestabfluss greift          das Schutzziel des NSG Krebsmühlwiesen nicht ge-
       aber in das bestehende Wasserrecht ein                   fährdet. Das Gutachten streckt sich schon allein
     ƒ u
        nd kollidiert möglicherweise mit den                     wegen der Kartierungen vor Ort, die ja auch
       Vorgaben zum Schutz des Naturschutz-                        ­bestimmte Jahreszeiten abgreifen müssen,
       gebietes, durch das der Mühlgraben                           eine Weile hin. Es liegt aber mittlerweile vor
       der Wasserkraftanlage fließt.                                und ist allen Beteiligten zugestellt worden.

22
Im nächsten Schritt wird mit der im Gutachten vorge-   für die erforderliche Umplanung des Wehres, damit
schlagenen Restwassermenge für den Schwarzbach         es wieder fischdurchgängig wird. Danach folgt
das Verwaltungsverfahren zur Festlegung einer neuen    die Genehmigung jener Planung durch die Obere
Mindestabflussmenge durchgeführt und das Wasser-       Wasserbehörde in einem weiteren wasserrechtlichen
recht für die Mühlen neu geregelt werden.              Verfahren. Danach könnte eigentlich mit dem Bau be-
                                                       gonnen werden … falls die Wasserkraftbetreiber die
                                                       Kosten alleine stemmen können. Falls nicht, können
                                                       sie einen Antrag auf Förderung beim Land stellen.
                                                       Hierfür müssen sie aber die Kommune ins Boot holen,
                                                       die den Förderantrag zum Umbau des Wehres für die
                                                       WKA-Betreiber stellen muss. Das kann aufgrund der
                                                       Regularien der Förderrichtlinie der Wasserkraftbetrei-
                                                       ber leider nicht selbst machen. Wenn die Kommune
                                                       diesen Weg mitgeht und das Umweltministerium dem
                                                       Förderantrag zustimmt und die WKA-Betreiber den Ei-
                                                       genanteil stemmen können und das Geld zugewiesen
                                                       wird, dann, ja dann kann endlich umgebaut werden.

                                                       Es ist also nicht so, dass die Leute vom Regierungs­
                                                       präsidium untätig sind oder zu langsam, es wird
                                                       einfach nur ordentlich gearbeitet, um die Belange der
                                                       Natur, die ökologische Bewirtschaftung der Gewässer
                                                       und gesetzliche Vorgaben in fairen Verwaltungsver-
                                                       fahren unter einen Hut zu bringen.

                                                       ALSO, WENN ES MAL WIEDER LÄNGER DAUERT…

                                                        Michaela Tremper michaela.tremper@rpda.hessen.de
                                                        DEZERNAT IV/WI 41.2
Chronik des Verfahrens

Und jetzt kann das Wehr umgebaut ­werden? Nein,
noch nicht ganz.

Nach Abschluss des Wasserrechtsverfahrens kann
dann endlich die Planung für den Umbau des Wehres
durch den Betreiber in den Fokus genommen werden.
Denn die neu geregelte Wassermenge ist Grundlage

                                                                                                                23
ABFALLWIRTSCHAFT
     ENTSORGUNGSWEGE

     DIGITALISIERUNG im
     abfallrechtlichen Vollzug
     Digitaler Arbeitsvorrat, elektronische Signatur, sichere Kommunikationswege – Stichworte, die derzeit im
     ­Rahmen der Projekte im Zuge des Online-Zugangsgesetzes (OZG) die Runde machen. Für die rund 150 Be-
      arbeiterinnen und Bearbeiter in den Stoffstrom-Dezernaten der Umweltabteilungen der Regierungspräsidien
      (RP) gehört die digitale Vorgangsbearbeitung bereits seit mehr als einem Jahrzehnt zum gelebten Büroalltag.

     Seit über 10 Jahren gehört die elektronische Vor-       war ein über dreieinhalb-jähriger Übergangszeit-
     gangsbearbeitung in den Abfalldezernaten zum All-       raum, in dem die bisher auf Formularvordrucken
     tag. Mit Hilfe der Fachanwendung ASYS (Abfallüber-      basierten Vorgänge auf die elektronische Abwicklung
     wachungssystem) werden in den Regierungspräsidien       ­umgestellt wurden.
     Gießen, Kassel und Darmstadt unter anderem mehr
     als 10 000 Entsorgungsnachweise jährlich elektronisch    LÄNDERARBEITSGRUPPE „GEMEINSAME
     bearbeitet und mehr als 200 000 Abfallbegleitscheine    ­ABFALL-DV-SYSTEME“
     elektronisch geprüft.
                                                             Die Umweltministerien der Länder hatten sich schon
     Am ersten April 2010 trat die „Verordnung zur Ver-      Ende der 90er-Jahre zu einem Länderverbund zu­
     einfachung der abfallrechtlichen Überwachung“ in        sammengeschlossen. Die Länderarbeitsgruppe
     Kraft, mit der der Grundstein für die Digitalisierung   „Gemeinsame Abfall-DV-Systeme“ (LAG GADSYS) hat
     der abfallrechtlichen Vollzugspraxis gelegt wurde.      es sich zur Aufgabe gemacht, Datenverarbeitungs­
     Mit dieser Rechtsverordnung des Bundes wurden Ab-
     fallerzeuger, -beförderer und Entsorger verpflichtet,
     die Anträge zur Zulassung der Entsorgungswege für
     gefährliche Abfälle – die sogenannten Entsorgungs-
     nachweise – ausschließlich in elektronischer Form
     zu führen. Auch die Dokumentation der tatsächlich
     durchgeführten Abfalltransporte erfolgt seit diesem
     Zeitpunkt ausschließlich digital. Vorausgegangen

24
systeme (DV) für den Vollzug der abfallrechtlichen          behörden ein elektronisches Postfach unterhalten.
Vorschriften zu entwickeln und zu betreiben. Eines          Die Kommunikation über dieses System erfolgt nach
der wichtigsten DV-Verfahren ist das Behördensystem         dem Prinzip der Ende-zu-Ende-Verschlüsselung; nur
ASYS, das bundesweit in über 450 verschiedenen              der designierte Empfänger der Nachricht kann diese
Abfallbehörden von insgesamt mehr als 2 500 Anwen-          entschlüsseln und lesen.
derinnen und Anwendern eingesetzt wird.

Außer dem Abfallüberwachungssystem ASYS betreibt
die LAG GADSYS unterschiedliche Webportale, mit
denen die betroffenen Unternehmen ihre Anträge
erstellen und rechtssicher an die Behörden über­
tragen können. Neben dem Länder-eANV-Portal zur
Erstellung von Entsorgungsnachweisen und Begleit­
scheinen gibt es das Anzeige- und Erlaubnisportal, mit
dem die Beförderer von Abfällen ihrer gesetzlichen
Anzeige- bzw. Erlaubnispflicht nachkommen können.
Die Technischen Überwachungsorganisationen, die
Unternehmen zum Entsorgungsfachbetrieb zertifizie-
ren, stellen die Zertifikate über das Zertifiziererportal
zur Verfügung. Aus diesen wird das bundesweite
Fachbetrieberegister gespeist, das allen Interessierten
offensteht, um nach geeigneten Entsorgungsmög-              Zugang zu den Fachanwendungen der LAG GADSYS unter
lichkeiten zu recherchieren. Das Fachbetrieberegister       www.gadsys.de
ist wie alle von der LAG GADSYS betriebenen Portale
über die Website www.gadsys.de erreichbar.                  Das ZKS-System wird durch die LAG GADSYS in
                                                            einem zertifizierten Rechenzentrum hochverfügbar
    Als Bindeglied zwischen all diesen Anwen-               ­betrieben.
         dungen betreibt die LAG GADSYS eine
         Kommunikations-­Infrastruktur, die sogenann-       Eine bundeseinheitliche Datenschnittstelle stellt sicher,
            te Zentrale Koordinierungs­­stelle Abfall       dass die nachweispflichtigen Unternehmen auch mit
              (ZKS). Die ZKS besteht im Wesentlichen        kommerziellen Softwareprodukten an dem elektro-
                 aus einer virtuellen Poststelle, in der    nischen Verfahren teilnehmen können. Die Unter­
                        alle beteiligten Unternehmen        nehmen können dabei die Systeme einsetzen, die eine
                          und die Überwachungs-             optimale Unterstützung ihrer Arbeitsprozesse bieten.

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