ALMA MAHLER-WERFEL 1879 -1964
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185 ALMA MAHLER -WERFEL 1879 –1964 »Tagelang konnte ich mich in dieses ölig ruhige Weibe verlangen kann, im reichen Maße«, kann- und doch so bewegte Meer versenken.« Wie ver- te den zweiundzwanzig Jahre älteren Reining- bittert Alma Mahler-Werfel tatsächlich war, ist in haus spätestens seit 1898. Damals war der Grazer diesen Worten nicht zu hören. Als ihre Auto- Industriellensohn und Kunstenthusiast nach biografie 1960 erschien, hatte der österreichische Wien gezogen, um »der Moderne nahe zu sein«. Staat ihr die Rückgabe der Sommernacht am Ein besessener Sammler und Jäger, der in die Strand oder Mitternachtssonne bereits mehrfach Kunstgeschichte einging, weil er – unter Almas verweigert und sie selbst sich von ihrer Heimat Einfluss? – Klimts mehr als dreißig Meter langen losgesagt. Ein Verehrer hatte ihr das Bild 1916 und zwei Meter hohen Beethovenfries aus der geschenkt. Walter Gropius habe »den heftigsten Wiener Secession erwarb und damit vor der Wunsch geäußert, mir nach der Geburt des Zerstörung rettete. Ein manischer Sammler – »ob Kindes [der gemeinsamen Tochter Manon] ein ein Cézanne, ein Florentiner Brunnen, Neger- großes Geschenk zu machen. So schrieb er an plastiken, frühe Italiener, japanische Stiche, ein Carl Reininghaus, der hie und da aus seiner gro- Hodler oder eine persische Stickerei; von religiö- ßen Bildersammlung eines von seinen Gemälden ser bis fast pornographischer Kunst«, berichtete verkaufte, und bat ihn, ihm die Mitternachts- eine Enkeltochter. Ein unverzichtbarer Mäzen sonne von Edvard Munch käuflich zu über- zeitgenössischer Künstler wie etwa Egon Schie- lassen. Am selben Tag kamen zwei Diener mit les oder Ferdinand Hodlers. »Ein Sonderling«, dem Bild und einem rührenden Brief von wie es in einem Nachruf hieß, »mit dem wärms- Carl Reininghaus. Er schrieb darin, dass das ten überströmendsten Herzen«, aber »misstrau- Bild seit Jahren mir gehört habe, da ich es so enskrank und kampftoll«, der es genoss, sich bei liebe. Er habe nur bis jetzt keinen rechten Anlass Ausstellungsbesuchen in Szene zu setzen. An- gefunden, es mir zu schicken. Ich hätte es mir erlächelt!« Alma Maria, geborene Schindler, verwitwete Mahler und seit dem 18. August 1915 mit dem Architekten Gropius verheiratet, für die Scharen ihrer Bewunderer »das schönste Mädchen Wiens«, das, so einer von ihnen, Gustav Klimt, »alles hat- te, was ein anspruchsvoller Mann von einem linke Seite: »Eine tolle Madame«, nannte Gerhart Hauptmann sie. »Um ihre welkenden Reize aufzufrischen«, ätzte hingegen die »Kein Bild ist mir je Schriftstellerin Claire Goll, »trug sie gigantische Hüte …«: Alma Mahler, um 1909. so nahe gegangen wie dieses.« rechts: »Die merkwürdigste Ehe«: Walter, Alma und die Tochter Manon Gropius, um 1917. ALMA MAHLER-WERFEL, Mein Leben, 1960
186 ALMA MAHLER-WERFEL ALMA MAHLER-WERFEL 187 inzwischen für einen »alten wackeligen Greis« hielt, wie sie am 17. November vermerkte, ließ sie ihn wohl nicht spüren. Eine ihrer Stärken war es, Männern »eine Art geistiger Spiegel« zu sein, ihnen das Gefühl zu geben, »sie seien genau das, was sie sein wollen«. Reininghaus, selbst in vielerlei Frauenge- schichten verstrickt, hielt sich mit einem kostba- ren Geschenk wie der Sommernacht am Strand in Almas Erinnerung. Es ist ein Hauptwerk des Norwegers Edvard Munch, und es war das zen- trale Gemälde in Almas vorrangig »erlächelter« Sammlung von Ölgemälden und Zeichnungen ihres Vaters Emil Jakob Schindler, Ölbildern des Stiefvaters Carl Moll, Werken von Oskar Ko- koschka, Gustav Klimt oder Alfred Kubin. »Mein Mann muss erstrangig sein« Ihrer Ehe mit Walter Gropius gab Alma keine Chance. Während er an der Westfront stand und nur wenige Heimaturlaube bei seiner Frau in Wien oder auf ihrem Landsitz in Breitenstein am Semmering verbringen konnte, haderte sie mit ihrem Schicksal. In ihrer Verletzbarkeit war sie unberechenbar. So selbstsicher und siegesge- wiss sie auch auftrat, so abhängig machte sie ihr Wohlbefinden von »erstrangigen Männern«, ne- Als unermüdliche Kupplerin zwischen Aus- ben denen sie sich als Muse gefallen konnte. So- nahmetalenten, als verständige Förderin etwa sehr sie an Gustav Mahlers Seite gelitten hatte – Arnold Schönbergs oder dessen Schülers Alban fang Februar 1899 besichtigte er in Begleitung Reininghaus »forscht mit der Lupe der Malweise er hatte der begabten Pianistin das Komponieren Berg zu einem Zeitpunkt, als dieser noch weit- der jugendlichen Alma die dritte Secessions- nach«. Sie selbst hingegen, das warf ihr Oskar untersagt und sie auch sonst zu Selbstlosigkeit gehend unbekannt war und in Wien bestenfalls ausstellung. Kokoschka vor, hing bei allem Kunstsinn dem und Angepasstheit angehalten –, so sehr ließ sie als »Skandalkomponist« galt, machte sie sich je- Alma war in der Wiener Secession gleichsam oberflächlichen Genuss nach. »Mir fehlte die sich zeitlebens als Witwe des genialen Kompo- denfalls verdient. Musik war für sie stets die ers- daheim. Sie war dreizehn, als ihr Vater, der Land- Begabung nicht, mir – fehlt nur der Ernst …«, nisten und Dirigenten feiern. te unter den Künsten. schaftsmaler Emil Jakob Schindler, starb, und sagte sie in jungen Jahren von sich. Alma Mahler-Werfel polarisiert bis heute wie Die künstlerische Erstrangigkeit ihres Archi- sechzehn, als ihre Mutter Anna in zweiter Ehe Die Wege von Alma und Carl Reininghaus wenige Frauen der Zeitgeschichte. Während tektenmannes erschloss sich ihr offenbar nicht, ihren langjährigen Geliebten, Schindlers Schüler dürften sich in der Wiener Kunstszene auch wei- Freunde sie schwärmerisch die »Inkarnation des sie schämte sich seiner und sorgte sich um ihren Carl Moll, heiratete. Moll zählt zu den Gründern terhin gekreuzt haben. Im Herbst 1914, nach österreichischen Genies« oder »die Leben Aus- sozialen Abstieg. »… die Türen der ganzen Welt, der Secession. Reininghaus hatte Moll von »sehr dem Ende der ebenso stürmischen wie zermür- strahlende« nannten (Berta Zuckerkandl), zeig- die dem Namen Mahler offen stehen«, flögen zu bedrückenden Schulden« befreit, im Gegenzug benden Beziehung Almas zu Kokoschka, flüch- ten andere sich abgestoßen von den »Minder- vor dem »gänzlich unbekannten Namen Gro- hatte Moll den Gönner »natürlich in seine Fami- tete die Witwe (Gustav Mahler war im Mai 1911 wertigkeitskomplexen eines liederlichen Weibes« pius«, hielt sie dem Ehemann vor. Walter Gropius lie eingeführt«. im Alter von fünfzig Jahren verstorben) in aller- (Richard Strauss). »Sie war eine große Dame und stand am Anfang seiner Karriere, das Bauhaus Der Ausstellungsbesuch an Reininghaus’ lei Flirts, auch mit Carl Reininghaus. Dass sie ihn gleichzeitig eine Kloake«, befand Friedrich begründete er 1919. Aber schon im Herbst 1917 Arm brachte Alma in Zwiespalt. »Es war unge- Torbergs Ehefrau Marietta. sagte die inzwischen Achtunddreißigjährige mein interessant, mit ihm die Werke zu studie- sich innerlich von ihm los – »Der ›Mann‹ hat kei- ren. Er betrachtet sie mir nur zu genau. Dadurch Exil trotz Heimweh: Wegen Munchs Sommer- ne Bedeutung mehr für mich« – und stürzte sich bekommt er gar keine Ruhe zum Genießen«, nacht am Strand brach Alma mit dem offiziellen Kunstbesessen und exzentrisch: Der Sammler in ein mondänes Leben, »schön und reich«, in schrieb sie nach dem Erlebnis in ihr Tagebuch. Österreich. und Mäzen Carl Reininghaus, um 1895. Wien.
188 ALMA MAHLER-WERFEL ALMA MAHLER-WERFEL 189 aufwendige Lebensstil kostete Geld. »Und wie- seine »fassungslose Verliebtheit« (Alma) in Anna der bin ich ihm Ansporn zu seiner Arbeit – durch kam der Mutter recht. Und auch der einstmals mein freches, gesundes Ariertum«, schrieb sie linksliberale Franz Werfel, dem man politische im Juli 1932. »Eine dunkle Jüdin hätte schon Naivität unterstellen möchte, ließ immer wieder längst ein Abstractum aus ihm gemacht. Er hat Hymnen auf das austrofaschistische Regime hö- diese Gefahr in sich.« ren. Neben seiner Frau setzten ihn sicherlich Am 31. Juli des Jahres gewann die NSDAP auch seine finanziellen Verpflichtungen unter mit 37,8 Prozent der Stimmen die deutschen Druck. Obwohl er – und dafür gibt es bis heute Reichstagswahlen. Alma kommentierte die poli- keine befriedigende Erklärung – den neuen tischen Veränderungen in ihrem Tagebuch: »An Machthabern in Deutschland am 19. März 1933 den Spitzen fast aller Länder saßen bestialische schriftlich seine Loyalität erklärt hatte, wurde er Juden. ... Es ist nur selbstverständlich, dass die als Jude nur wenige Wochen später, am 5. Mai, verschiedenen Nationen und Länder sich das aus der Sektion für Dichtkunst der Preußischen nicht gefallen lassen können. ... Und darum bin Akademie der Künste ausgeschlossen. Fünf Tage ich für Hitler. Sei die Medicin auch noch so übel. später warfen begeisterte Nationalsozialisten in Das Übel, das sie vertreiben soll, ist weit übler.« zahlreichen deutschen Universitätsstädten die »Sie war wirklich unausstehlich, politisch«, Bücher unerwünschter Autoren in die Flammen sagte Anna Mahler. Der links gesinnten Bild- – »wider den undeutschen Geist«. Neben Tho- hauerin behagte auch die Nähe ihrer Mutter zum mas Manns, Stefan Zweigs, Joseph Roths, Erich politischen Establishment im Österreich der drei- Maria Remarques oder Sigmund Freuds ver- ßiger Jahre nicht. Nach der Niederlage des so- brannten auch Werfels Werke. Zur Demütigung Im November 1917 lernte sie den elf Jahre der Bedingung, dass Werfel aus der jüdischen zialdemokratisch geprägten »Republikanischen kamen die finanziellen Einbußen für das Ehe- jüngeren Franz Werfel kennen, einen, so Alma, Religionsgemeinschaft austrete. Dem kam er nach, Schutzbundes« gegen die reaktionäre, paramili- paar Werfel. Die Mehrzahl von Werfels Büchern »O-beinigen, fetten Juden mit wülstigen Lippen ohne ihr jemals zu sagen, dass er den Schritt etwa tärische »Heimwehr« im bürgerkriegsähnlichen war in Deutschland fortan verboten, ebenso und schwimmenden Schlitzaugen! Aber er ge- vier Monate später widerrufen hatte. Aufstand vom Februar 1934 war in Österreich Gustav Mahlers Œuvre. winnt, je mehr er sich gibt«, sodass sie – immer eine autoritäre ständestaatliche Verfassung in Als Kurt von Schuschnigg am 9. März 1938, noch Frau Gropius und ihren Wankelmut zele- Lichtgestalt mit Schattenseiten Kraft getreten. Alma Mahler-Werfel unterstützte nach gescheiterten Verhandlungen mit Adolf brierend – bald überschwänglich liebestaumelnd rege Politiker wie Kanzler Engelbert Dollfuß und Hitler, ein Volksbegehren über die Autono- von einer »tiefen seelischen Verwandtschaft« Die Werfels führten ein luxuriöses, aber unste- seinen Nachfolger Kurt von Schuschnigg. In ih- mie Österreichs ankündigte, standen Alma und mit dem Schriftsteller, gar einem »Gotterlebnis« tes, Kräfte zehrendes Leben. 1931 erwarben rem Salon vermittelte sie durchaus virtuos zwi- Franz Werfel ihm noch bei. Doch die Solida- schwärmte. Das hinderte sie jedoch nicht, ihn im- sie die »Villa Ast« in der Wiener Künstlerko- schen Politik, Wirtschaft und Kunst, von der ritätsbekundungen halfen nicht mehr. Berlin mer wieder fortzustoßen und ihn schon früh und lonie Hohe Warte, ein feudales, von Josef Hoff- »Egeria des austro-klerikal-faschistischen Regi- stellte – einmal mehr – ein Proforma-Ultimatum, in späteren Jahren noch mehr mit ihrem abstru- mann erbautes Anwesen mit mehr als zwanzig mes« sprach Max Reinhardts Sohn Gottfried. Schuschnigg verkündete am Abend des 11. März sen Antisemitismus zu erniedrigen. Abstrus, weil Zimmern. Alma gab ein Fest nach dem anderen, Schuschnigg wurde zu Almas engem Freund, seinen Rücktritt, und zwei Tage später besiegel- sie zeitlebens die Nähe von Juden suchte, zu- Franz Werfel musste Bestseller schreiben. Der ten Schuschniggs Nachfolger, der National- gleich aber über das »eckelhafte [sic] Juden- sozialist Arthur Seyß-Inquart, und Adolf Hitler pack« schimpfte. Oft und gern dachte sie über den »Anschluss« Österreichs an das Deutsche den »UNGEHEUREN Unterschied der Rassen Sie »heiß«, er »lau«: So beschrieb Alma Mahler Reich. Noch am selben Tag verließ Alma Mahler- und Gesinnung« und die ihr fernen »artfremden (links) sich und ihren zweiten Ehemann Walter Werfel fluchtartig das Land. Sie galt als »jüdisch Menschen« nach, und selbst gegenüber Anna, Gropius (rechts). Am Temperamentunterschied versippt« und war deshalb gefährdet. Franz ihrer Tochter aus der Ehe mit Gustav Mahler, hob scheiterte die Beziehung – und an Almas Res- Werfel hielt sich zu dieser Zeit in Italien auf. sie ihre »arische Überlegenheit« hervor. pektlosigkeit gegenüber dem aufstrebenden Bereits fünf Tage später wandte Carl Moll sich Architekten. Ihre Zuneigung zu Franz Werfel stieg und fiel an die Österreichische Galerie im Belvedere. weniger mit seiner literarischen Anerkennung rechte Seite: Vom Secessionisten zum National- Stieftochter Alma hatte dem Museum am als mit seinen kommerziellen Erfolgen, an ihrer sozialisten: Almas Stiefvater, der Maler Carl 2. August 1937 für die Dauer von zwei Jahren Moll, war Mitbegründer der Secession. Auf Seite wurde er zu einem der meistgelesenen fünf Bilder ihrer Sammlung als Leihgabe über- sein Betreiben wurde 1903 die Moderne Galerie deutschsprachigen Autoren. Der Heirat mit ihm (Österreichische Galerie Belvedere) gegründet. lassen: Emil Jakob Schindlers Waldstraße bei stimmte sie trotz seines Drängens erst zwölf Jahre In den dreißiger Jahren wandte er sich der Sankt Gilgen, seine Felsenküste bei Ragusa und nach ihrer ersten Begegnung zu – und nur unter NSDAP zu. In seinem Atelier, um 1935. den Waldweg in Goisern, Kokoschkas Bildnis der
190 ALMA MAHLER-WERFEL ALMA MAHLER-WERFEL 191 Frankreich besetzte, retteten die Werfels sich un- ter Lebensgefahr nach Spanien. Zeitgleich mit Heinrich, Nelly und Golo Mann und mithilfe von Varian Frys »Emergency Rescue Committee« flohen sie zu Fuß – und Franz Werfel war noch viel schlechter zu Fuß als seine Frau – über die Pyrenäen nach Barcelona, gelangten weiter über Madrid nach Lissabon und gingen am 4. Oktober 1940 an Bord der überfüllten »Nea Hellas« mit Kurs auf New York. Im Januar 1941 ließen sie sich in Los Angeles nieder, und Franz Werfel löste umgehend ein Gelübde ein: Auf der Flucht aus Europa hatten die Werfels mehrere Wochen in Lourdes verbracht. Sollten sie Ame- rika lebend erreichen, schwor sich der Schrift- steller, würde er vor jeder anderen Arbeit die Geschichte der Bernadette Soubirous und ihren Marienerscheinungen erzählen. Das Lied von Bernadette erschien im Mai 1942 und wurde sein erfolgreichster Roman. Ums Geld mussten die Werfels sich nun nicht mehr sorgen, umso mehr um die Gesundheit. Franz Werfels Herz war schwach, kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, am 26. August 1945, gab es auf. »Ich verlange gesetzliche Hilfe« Frau Alma Mahler-Werfel – und Edvard Munchs Partei ist als loyal zu bezeichnen ... In politischer Im August 1946 wandte die Witwe Werfel sich zufolge von Herrn Grimschitz [dem damaligen Sommernacht am Strand. Moll rief, als promi- Beziehung ist nichts Nachteiliges bekannt ge- an die Österreichische Galerie Belvedere und er- Direktor des Museums] angekauft worden ist«. nente Persönlichkeit der damaligen Wiener worden«, teilte das Personalamt der NSDAP suchte um Erstattung ihrer Leihgaben, unter an- Tatsächlich hatte das Museum die Sommernacht Kunstszene und Ehrenbürger der Stadt Wien, die dem Reichspropagandaamt Wien Anfang De- derem des Munch-Gemäldes, das »Gerüchten am Strand am 16. oder 17. April 1940 für einen Bilder nun vorzeitig zurück. Einen schriftlichen zember 1938 mit. Da hielt Alma sich, nach Preis von 7000 Reichsmark erworben, obwohl Auftrag Almas legte er nicht vor. Das Museum Stationen in Mailand, Amsterdam, London und Munchs Name seit 1937 auf der NS-Liste der fragte auch nicht danach. Carl Moll war beken- Paris, in Sanary-sur-Mer an der Côte d’Azur auf. »entarteten Künstler« stand – und angeblich nender Nationalsozialist. Und als die deutsche Wehrmacht im Juni 1940 ohne Almas Wissen. Darauf bestand diese für den Rest ihres Lebens. »Ich sehne mich so oft nach Hause! Die Verkaufsverhandlungen hatte Carl Moll Nach Wien« geführt. Als Verkäuferin war seine Tochter Maria Stationen der Flucht: In Lissabon warteten Alma aufgetreten, verheiratet mit dem Juristen und und Franz Werfel auf die Ausreise in die USA – Warum die inzwischen neunundfünfzigjährige die Meldezettel der beiden für das »Grande NS-Parteimitglied Richard Eberstaller, der inzwi- Alma Mahler-Werfel mit ihrem Mann ins Exil Hotel d’Italia Estoril« vom 18. September 1940. schen zum Vizepräsidenten des Landesgerichts ging, gab Anlass zu mancherlei Vermutung und für Strafsachen aufgestiegen war. Alle drei hat- rechte Seite oben: Interview bei der Ankunft: Die Theorie. Immer wieder hatte sie über Scheidung New York Times berichtete am 14. Oktober 1940 ten sich in der Nacht vom 12. zum 13. April 1945 nachgedacht und sich letztlich doch für den über die geglückte Flucht von Autoren wie Franz das Leben genommen, denn »Mein Schwieger- Ehemann entschieden. Dabei hätte man es in Werfel, Alfred Polgar, Heinrich und Golo Mann. sohn wird aber, wenn die Bolschewiken von der »Ostmark« durchaus gern gesehen, wenn rechte Seite unten: Alma beim Verlassen der Wien Besitz ergriffen haben, als Direktor, Präsi- Alma – Scheidung vorausgesetzt – geblieben »Nea Hellas« am 13. Oktober 1940. Von ihr ver- dent des Strafgerichtes, sofort verhaftet und hat wäre. »Ihr Verhalten zum heutigen Staat und der deckt ist Nelly, die Ehefrau Heinrich Manns. das Schlimmste zu erwarten«, wie Moll zwei
192 ALMA MAHLER-WERFEL ALMA MAHLER-WERFEL 193 Bilder als deutsches Eigentum ansehen müsse. Professor Moll oder der Marie Eberstaller anver- Alma Mahler-Werfel protestierte – und die traut angesehen werden kann. In diesem Fall be- Rückstellungsoberkommission (ROK) meldete steht keine Rückstellungsverpflichtung.« Außer- sich zu Wort. Auf die gebotene Unparteilichkeit dem wäre das erlöste Geld in die Reparatur des verzichtete man: »Es geht nicht an, ... hochacht- Breitensteiner Daches geflossen und somit der baren Persönlichkeiten wie den als Maler und Klägerin zugutegekommen. Tatsächlich hatte hervorragenden Kunstkenner in der Geschichte man von den 7000 Reichsmark lediglich etwa der österreichischen Kunst allgemein hochge- 1900 Reichsmark für Dach- und Spenglerarbei- schätzten und bis in das hohe Alter unbeschol- ten ausgegeben. ten gebliebenen Professor Carl Moll« und den Alma Mahler zeigte sich inzwischen kompro- »lediglich wegen des Zusammenbruchs seiner missbereit und bot an, die Schindler-Bilder dem politischen Ideale freiwillig aus dem Leben ge- Museum zu überlassen. Auf dem Munch bestand schiedenen« Dr. Eberstaller und seine Gattin sie weiterhin. »Die Bilder sind mir wegen ihrer »kurzweg der Ausplünderung der Antragstel- besonderen Schönheit aufgefallen«, hatte Bruno lerin zu zeihen«. Auf Anraten ihres Anwalts Otto Grimschitz zu Protokoll gegeben, »und ein Ga- Hein betonte Alma nun die angeblich seit jeher leriedirektor hat immer ›lange Zähne‹ nach schö- miserable Beziehung zu ihrer Wiener Verwandt- nen Bildern in Privatbesitz.« Auf dem Munch schaft. »Moll und Eberstaller besaßen nicht mein bestand auch die Österreichische Galerie. Statt- Vertrauen. Stop. Weder Vollmacht noch mündli- dessen erhielt Alma 1954 zwei der Gemälde ih- che noch schriftliche Abmachung authorisierten res Vaters zurück, auf die sie eigentlich hatte ver- sie, mein Eigentum zu verkaufen oder gar zu tes- zichten wollen. Die Sommernacht am Strand gab tieren«, kabelte sie nach Wien, und wo sie konn- sie trotzdem nicht auf. Ende März 1961 erklärte te, intervenierte sie, selbst beim ersten Nach- die nun zweiundachtzigjährige, nach wie vor kriegskanzler Karl Renner. Dessen Antwort vom kampflustige Alma, »die geltend gemachten An- 16. Januar 1950 kränkte Almas Stolz: »In solchen sprüche aufrecht zu erhalten, da ein Vergleich Fällen ist mir nach dem Wortlaut der Verfassung trotz gewisser Fühlungsnahmen der letzten Zeit jede Ingerenz verwehrt und schon eine bloße noch nicht zustande gekommen ist.« Nun wink- Anfrage bei den Gerichten würde als unzulässi- ge Beeinflussung aufgefasst werden, die nicht nur in der Öffentlichkeit das peinlichste Auf- Tage vorher an den Sekretär der Gesellschaft der ablehnte, brachte Alma einen entsprechenden sehen erregen, sondern auch der Sache selbst Museumsfreunde geschrieben hatte. »Ich schla- Antrag bei der Rückstellungskommission im nur schaden könnte.« fe reuelos ein, ich habe alles Schöne gehabt, was Landesgericht für Zivilrechtssachen ein, den Mit einer neuerlichen Beschwerde erwirkte ein Leben zu bieten hat.« Streitwert bezifferte sie mit 15 000 Schilling. Alma aber schließlich die Wiederaufnahme des Der zwanzig Jahre jüngeren Halbschwester Die Rückstellungskommission (RK) zog sich Verfahrens, und im April 1953 gab die Rück- hatte Alma mehr als ein Jahr nach ihrer Flucht darauf zurück, dass die beklagte Republik Öster- stellungskommission ihrem Antrag tatsäch- aus Wien ihr Anwesen in Breitenstein am Sem- reich gar nicht zuständig sei, sondern man die lich statt. Die Republik Österreich wurde ver- mering »geschenkt«, um es vor der Beschlag- pflichtet, ihr unter anderem das Munch-Bild nahmung durch die Gestapo zu schützen. (Die zurückzugeben, denn erstens habe Alma Mah- Villa auf der Hohen Warte war im November ler-Werfel als Ehefrau eines Juden »selbst- 1940 vom Reichskommissar für die Behandlung »Wir reden nach 20-jähriger Ehe zwei Spra- verständlich« als Verfolgte des nationalsoziali- feindlichen Vermögens als »im feindlichen Ei- chen«: Hassliebe verband Alma Mahler-Werfel stischen Regimes zu gelten und zweitens könne und ihren dritten Ehemann Franz Werfel – und gentum stehendes Grundstück« unter Verwal- eine ausdrückliche oder stillschweigende Bevoll- große gegenseitige Abhängigkeit, um 1938. tung gestellt und gerade Richard Eberstaller zum mächtigung an Eberstaller oder eine andere Verwalter bestellt worden.) rechte Seite: Verbündete oder Feinde? Richard Person nicht erwiesen werden. und Maria Eberstaller, Almas Schwager und ihre Dass Alma Mahler-Werfel ihr Sommerhaus Nun ging die Republik Österreich in Beru- Halbschwester, vor Almas Anwesen in Breiten- Maria Eberstaller zu treuen Händen übertragen stein am Semmering. Nach dem Krieg distan- fung und fragte abermals nach der Beziehung zu hatte, wendete sich bald gegen sie. Als die Öster- zierte sich Alma von den beiden. Aufnahme um Moll und Eberstaller. Es sei »als erwiesen anzu- reichische Galerie die Rückgabe der Leihgaben 1920. nehmen, dass dieses Bild [von Munch] als dem
194 ALMA MAHLER-WERFEL ALMA MAHLER-WERFEL 195 kauf des Munch-Gemäldes habe nie vorgelegen, ja nicht einmal die Einwilligung zur vorzeitigen Unterbrechung der Leihe. Als Almas Enkeltochter Marina Fistoulari- Mahler dieses Gutachten im März 1999 erhielt, beantragte sie postwendend die Rückgabe des Munch. Auch sie blitzte ab. Die Rückstellung sei zwar »moralisch verständlich«, aber das Rück- stellungsbegehren Alma Mahler-Werfels sei nun einmal »rechtskräftig abgewiesen worden und folglich jedes Gericht an die Erkenntnis der ROK gebunden.« Eine Begründung, die die Washing- toner Erklärung und das österreichische Kunst- rückgabegesetz von 1998 ad absurdum führte. Diese sollten ja gerade Rückstellungen ermögli- chen, die aufgrund der bisherigen Rechts- und Sachlage in einer »aus jedenfalls heutiger Sicht unerträglichen Weise bis dato noch nicht erfolgt sind.« Marina Fistoulari blieb hartnäckig. 2001 gab eine Gesetzesänderung Anlass zur Hoffnung. Nach dem in jenem Jahr erlassenen »Entschä- digungsfondgesetz« (»General Settlement Fund Law«) sind frühere Entscheidungen und Rück- Am 8. November 2006, sechzig Jahre nach- gabevergleiche hinfällig, sofern sie als »extrem dem Alma Mahler die Sommernacht am Strand ungerecht« anzusehen sind. Jahrelang bereitete erstmals zurückgefordert hatte und just an dem te sie auch mit dem Angebot, der Republik Öster- erworbenen Kunstgegenstände systematisch zu Marina Fistoulari sich auf einen neuerlichen Tag, als in New York sowohl die berühmten reich bedeutende Manuskripte von Gustav Mah- katalogisieren, um alle Fragen über die Besitz- Rückstellungsantrag vor. Klimt-Gemälde aus der ehemaligen Sammlung ler zu überlassen. Doch der Staat hatte keine verhältnisse während der Zeit der NS-Herrschaft Als die Republik Österreich im Juni 2004 in Bloch-Bauer als auch Kirchners Straßenszene Eile. Erst dreieinhalb Jahre später sollte Alma und der unmittelbaren Nachkriegszeit aufzuklä- der Auseinandersetzung mit der Erbin von Adele aus der Sammlung Hess versteigert wurden, abermals einvernommen werden, im September ren.« Auch Munchs Sommernacht am Strand und Ferdinand Bloch-Bauer (siehe S. 154 ff.) rang der Beirat des Bundesministeriums für 1964 erging dafür ein Rechtshilfeersuchen an das wurde in einem eigenen, siebenunddreißigseiti- vor dem US Supreme Court unterlag, kündigte Bildung, Wissenschaft und Kultur sich zu dem Österreichische Generalkonsulat in New York. gen Dossier behandelt. Der angebliche »bona Marina Fistoulari an, ihre Ansprüche notfalls Beschluss durch, das Bild »an die Erben nach Noch vor dem festgesetzten Termin verstarb fide« erfolgte Ankauf des Bildes sei zu relati- auch gerichtlich geltend zu machen. Es spräche Alma Mahler-Werfel auszufolgen«, obwohl »der Alma Mahler-Werfel am 11. Dezember 1964. vieren, hieß es nun, weil »der Österreichischen übrigens nichts dagegen, diese in den USA an- Sachverhalt ... einer restlosen Klärung nicht zu- Österreich hatte sie – aus Wut über die österrei- Galerie das Eigentumsrecht der Alma Mahler- zumelden. gänglich ist«. Am selben Tag übernahm Marina chischen Behörden und die »schäbige Behand- Werfel bekannt war.« Eine Vollmacht zum Ver- Fistoulari gab drei Rechtsgutachten bei den Fistoulari das Gemälde. lung« – zuletzt 1947 besucht, das erste und ein- Universitäten Wien und Zürich in Auftrag, diese Wo es inzwischen hängt, wird bedachtsam zige Mal seit ihrer Emigration. Auch in ihrer bestätigten einstimmig eine im juristischen Sinn geheim gehalten. Die Erbin entschied sich ge- wachsenden Einsamkeit blieb sie stur. »extreme Ungerechtigkeit« und warfen den Be- gen eine öffentlichkeitswirksame Versteigerung Resolute Handschrift: In ihrem Schreiben an den hörden »einen gravierenden Fehler« vor. »Dass durch Sotheby’s oder Christie’s und übergab das Späte Entschädigung Wiener Senatspräsidenten Kurt Frieberger be- eine Rückstellung nach ›altem‹ Rückstellungs- Bild der New Yorker Galerie Wildenstein für ei- stand Alma darauf, ihr Stiefvater Carl Moll und recht nicht möglich war (und ein einschlägiger nen private sale. Ein Käufer, der bereit war, den ihr Schwager Richard Eberstaller hätten die Dreieinhalb Jahrzehnte ruhte die Angelegen- Gemälde ohne ihr Wissen veräußert. Telegramm Antrag daher womöglich ab- oder zurückgewie- bisherigen Rekord für einen Munch von etwas heit. 1998 wurde im Bundesministerium für Un- von 1949. sen wurde) kann ... für die Restitution nach die- mehr als zehn Millionen Euro »deutlich zu über- terricht und kulturelle Angelegenheiten die sem Gesetzt naturgemäß keine Rolle spielen«, bieten«, war nach zwei Tagen gefunden. rechte Seite: »Wenn Mahler bei der Tür herein- »Kommission zur Erforschung der Provenienzen käme, würde ich mit ihm gehen«: Am Ende ihres stellte Professor Paul Oberhammer von der Uni- Melissa Müller in den Österreichischen Bundesmuseen« mit Lebens vereinsamte die einstige Verführerin und versität Zürich fest und empfahl eine Wieder- dem Auftrag eingesetzt, »die in fraglicher Zeit fühlte sich wieder ganz als Frau Mahler. aufnahme des Verfahrens.
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