Kein Programm links von der Mitte - Öffentlich-rechtlicher Rundfunk in Frankreich - Bibliothek der Friedrich ...
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Kein Programm links von der Mitte Öffentlich-rechtlicher Rundfunk in Frankreich Sébastien Poulain ab. Seit 1981, dem Beginn der Präsidentschaft von François AUF EINEN BLICK Mitterrand, reguliert eine als unabhängig bezeichnete Me- Der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Frankreich dienaufsichtsbehörde (Conseil supérieur de l’audiovisuel, unterliegt in hohem Maße der Einflussnahme CSA; seit Januar 2022 Autorité de régulation de la commu- durch Politik und Behörden. Dabei ist er zur de- nication audiovisuelle et numérique, Arcom) unter anderem mokratischen Grundversorgung der Bürger_in- die Frequenzen, schlägt aber auch die Intendant_innen der nen geschaffen und unabdingbar. Er befördert öffentlich-rechtlichen Sender vor, die vom Präsidenten er- eine kulturelle Debatte, die sich um Inklusion, nannt werden. Die Kräfteverhältnisse haben sich durch das Vielfalt und gesellschaftlichen Zusammenhalt Aufkommen der unabhängigen, kommerziellen Radio- und bemüht – trotz äußerer Angriffe, Sparmaßnah- Fernsehsender sowie der zahlreichen internetbasierten men und der bevorstehenden Wahlen. Konkurrenzangebote weiter verschoben. Mit ihnen gehen erneut mögliche Einflussnahmen aus dem Ausland und Gefahren für die öffentliche Ordnung einher. Zu nennen wären hier Cyberattacken, Lauschangriffe, Terrorismus, Während der französische Staat bei den Printmedien zu- Mobbing und Stalking, Piraterie, Falschinformation und rückhaltend agiert, kommt ihm im Bereich des Rundfunks das Schüren eines öffentlichen Misstrauens. historisch eine bedeutende Rolle zu. Denn die Rundfunk- Der öffentlich-rechtliche Rundfunk sieht sich insgesamt und Fernsehtechnologie wurde – aus Sorge vor einer Ein- einem gesellschaftlichen Trend gegenüber, den man „Ube- flussnahme durch ausländische Medien – von Beginn an risierung“ nennen könnte. Dazu gehören Privatisierung, als Gefahr für die französische Souveränität und die Ho- abnehmende Finanzmittel, Prekarisierung, Konformismus heit über die Frequenzen – aus Sorge vor einer Bedrohung und Abwertung. Er befindet sich also in der Defensive und durch anarchistische Kräfte im eigenen Land – als zentral erhofft sich vom Staat finanzielle Unterstützung und Vor- angesehen. Nach der militärischen und zivilen Erprobung gaben. Ersteres erhält er nicht, an Zweitem arbeitet die EU von Radio und Fernsehen wurden im Jahr 1941 Rundfunk- in Form von E-Privacy-Verordnung, Datenschutz-Grund- sender und ein öffentlich-rechtlicher Informationsdienst verordnung (DSGVO), Digital Markets Act (DMA)/Digital eingerichtet sowie 1941 das staatliche Rundfunkmonopol Services Act (DSA) und der Richtlinie über audiovisuelle geschaffen. Der Einfluss des französischen Staates blieb Mediendienste. auch nach der Gründung der staatlichen Rundfunk- und Für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Frankreich Fernsehanstalt (Office de radiodiffusion-télévision française, geht es darum, ein hochwertiges und pluralistisches Ange- ORTF) im Jahr 1964 durch General Charles de Gaulle noch bot zu sichern. Dieses muss gleichermaßen europäisch wie lange unverkennbar. regional ausgerichtet, digital und innovativ, solidarisch Seit 1953 propagiert der öffentlich-rechtliche Rundfunk und inklusiv, kreativ und demokratisch sein. in Frankreich den Dreiklang aus Information, Kultur und Unterhaltung (informer, cultiver, distraire). Damit verbun- den sind auch der demokratische Austausch, kulturelle DAS DIGITALE ZEITALTER Vielfalt mit den wichtigen Aspekten der Staatsbürger- schaft, Integration und Inklusion sowie letztlich der gesell- Unübersehbar verlagert sich der Medienkonsum ins Digi- schaftliche Zusammenhalt. Mit der Liberalisierung der tale. Radio und Fernsehen werden zunehmend über DSL/ Medienbranche nimmt die Rolle des französischen Staates Glasfaser oder 4G- bzw. 5G-Netze empfangen, Videoinhal- FES impuls — Öffentlich-rechtlicher Rundfunk in Frankreich 1
te auf dem Smartphone. Seit dem Jahr 2019 verbringen die fenheit, Bürgersinn und Solidarität trägt der öffentlich- Menschen weltweit und täglich mehr Zeit im Internet als rechtliche Rundfunk zur Emanzipation und Entfaltung der vor dem Fernseher.1 Zwischen den Gewohnheiten der Jün- einzelnen Menschen bei. geren, die zwar eher individualistisch, aber gut vernetzt Der französische öffentlich-rechtliche Rundfunk ist we- sind, und denen der älteren Generation, die gemeinschaft- niger reißerisch, vermeidet die Jagd nach „Buzz“ und den liche Angebote bevorzugt, tariert sich der Medienkonsum Kampf um Einschaltquoten um jeden Preis. Er ist wirt- neu aus. Diese „Aufmerksamkeitsökonomie“2 gehorcht schaftlich weniger liberal und aus gesellschaftlicher Sicht zunehmend dem Pull- (Nachfrage), weniger dem Push- weniger konservativ. Er stellt Recherche und Verifizierung Prinzip (Angebot) und erfordert neue Sende- (vonseiten über Desinformation und Gerüchte, Reflexion und Diskus- der Rundfunk- und Internetanbieter) und Sichtbarkeits- sion über Streit und Meinungsmache, Toleranz und Offen- strategien (in den App Stores, auf Fernbedienungen und heit über Hass und Diskriminierung. Dies gilt auch für die Benutzeroberflächen). Unterhaltungsprogramme, die eher kulturell und intellek- Der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Frankreich hat tuell, kollaborativ und partnerschaftlich, weniger gewalt- daher neue Wege eingeschlagen. Er wandelt sich, indem er orientiert und stigmatisierend, wettbewerbsorientiert und die ATAWAD-Philosophie (any time, anywhere, any device) individualistisch sind. der globalen Medien übernimmt und mithilfe der neuen Der öffentlich-rechtliche Rundfunk will eine demokrati- Informations- und Kommunikationstechnologien das sche „Öffentlichkeit“ (Jürgen Habermas) schaffen, indem 360-Grad-Spektrum der globalen Medien bedient. Aktuell er unterschiedlichen religiösen, politischen, gewerkschaft- ist francetvinfo.fr, mit 140 Millionen Besucher_innen im lichen, kulturellen, gesellschaftlichen und künstlerischen August 2021 gegenüber 100 Millionen im Frühjahr 2017, Gruppen eine Stimme gibt, ohne sie zu vergemeinschaften. die am stärksten frequentierte französische Nachrichten- Sein inklusiver Ansatz steht der „Rechtsextremisierung“ seite im Internet. Die vom öffentlich-rechtlichen Sender des 24-h-Nachrichtensenders CNews (nach dem Muster Radio France produzierten Podcasts werden pro Monat von Fox News) und des Unterhaltungsfernsehsenders C84 etwa 80 Millionen Mal heruntergeladen. Grundlage dieses der mächtigen Bolloré-Gruppe (Transport und Logistik, Erfolgs ist unter anderem, dass die Sender alle Urheber- Medien, Entertainment) gegenüber. Diese verfolgen eine rechte besitzen. France Télévisions hält hingegen nur bei fremdenfeindliche Agenda, die Minderheiten, Arme, Mig- 20 Prozent der Produktionen die Rechte. Dort griffen im rant_innen, Muslim_innen, Jugendliche aus den Vorstäd- August 2021 nur 21,5 Millionen Unique User auf Beiträge ten, Linke und Umweltschützer_innen stigmatisiert, und in der Mediathek zu. überschreiten damit die Grenzen dessen, was ihr journalis- tischer Auftrag ist. Außerdem unterstützen sie – über ihre Moderator_innen, Leitartikler_innen und Gäste – den Prä- DIE BESONDERHEITEN DER ÖFFENTLICH- sidentschaftskandidaten Éric Zemmour (ehemals politi- RECHTLICHEN scher Kolumnist diverser Zeitungen und Moderator von CNews), insbesondere indem sie seine militante staats Trotz der Plattformen, auf denen nicht lineare Social-Me- medienfeindliche Haltung rechtfertigen. dia-Inhalte im industriellen Stil produziert werden, dürf- Dabei ist der öffentlich-rechtliche Rundfunkt preiswert ten weder lineare Programme mit ihren kostenlosen Ange- und finanziert Kultur und Produktionen in großem Stil. boten und ihrer Möglichkeit zum gemeinschaftlichen Kon- Pro Jahr sind dies rund 600 Filme auf seinen Sendern (dar- sum noch TV- bzw. Radiogeräte in Zukunft verschwin- unter 430 der rund 2.300 auf den kostenfreien digitalen den – Letztere, weil sie sich anonym nutzen lassen und zu- Kanälen bei Arte) und deutlich mehr Erstausstrahlungen dem praktisch sind. Doch inwieweit der öffentlich-rechtli- als bei den kostenfreien Privaten (28 Prozent auf France che Rundfunk diese positive Prognose erfüllen wird, liegt TV und Arte gegenüber 13 Prozent bei den Privaten).5 Der maßgeblich an der Qualität und Vielfalt seiner Angebote. öffentlich-rechtliche Rundfunk trägt damit zum Pluralis- So lässt sich die Besonderheit3 der Öffentlich-Rechtli- mus und zum sozialen Zusammenhalt bei. Er bremst die chen in Abgrenzung zu den Privaten langfristig an zweier- Auswirkungen marketingorientierter Formate, der Stan- lei festmachen, nämlich daran, was er macht (Dokumenta- dardisierung und der konvergenz- und konzentrationsstra- tionen, investigative Berichterstattung, Politik, Bildung, tegisch bedingten „Zirkulation“ von Inhalten (Pierre Bour- Wissenschaft, Kultur und Unterhaltung) und wie er es dieu) und festigt die Demokratie. macht (vielfältiger, mit mehr Tiefgang, in größere Kontexte eingebettet, ausgewogener und sachlicher). Hinzu kommen lokale, bisher unveröffentlichte Produktionen oder solche, die sich mit dem kulturellen Erbe befassen. Durch Förde- rung eines kritischen und kreativen Bewusstseins, von Of- 1 Zenith, Rapport, 2020. 2 Yves Citton, L’économie de l’attention, La Découverte, 2014. 3 Im Original „distinctiveness“, F. Marty, G. Tremblay, A.-J. Bizimana, & O. Kane, Le service public médiatique à l’ère numérique, RFSIC, 2021. 4 C. Sécail, L’élection présidentielle 2022 vue par Cyril Hanouna, lesfocusdulcp, 2022. 5 CNC, La diffusion des films à la télévision en 2019, 2020. 2 Kein Programm links von der Mitte — FES impuls
WIDERSPRÜCHLICHE VORGABEN Öffentlich-rechtlicher Rundfunk in Frankreich Der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Frankreich muss sich mit widersprüchlichen und immer anspruchsvolleren Radio Tour Eiffel geht Vorgaben staatlicher Behörden auseinandersetzen: Da wird 1921 auf Sendung Kreativität gefordert, aber zugleich Wirtschaftlichkeit; R isikobereitschaft, aber zugleich höhere Einschaltquoten; „offizielle“ Kulturangebote ebenso wie Unterhaltung; Bud- gets werden gekürzt, aber die Aufgaben nehmen zu; jour- Beginn der TV- 1935 nalistische Freiheit muss sich gegen staatliche Kontrolle Ausstrahlungen behaupten und der Pluralismus von Presse/Internet gegen Fusionen bzw. die Abschaffung von Sendern. Zentrale Her- 1945 Staatliches Frequenzmonopol ausforderungen sind Diversität, Einsparungen und Verjün- gung des Publikums. In der Belegschaft, im Management und vor Mikrofon Gründung von und Kamera ist die elitäre Gruppe „weißer Männer über 1949 Radiodiffusion-Télévision 50“ aus Kontinentalfrankreich, den Zentren der großen Städte, ohne Behinderung, mit Hochschulabschluss und ei- nem gehobenen Lebensstil überrepräsentiert. So bleibt der Aufspaltung des ORTF in Anteil der als „nicht Weiße“ wahrgenommenen Personen 7 Einrichtungen (TV, Radio, auf dem Bildschirm bei France 2 (12 Prozent), France 3 1974 Produktion, Archiv, Bild- und (8,7 Prozent) und France 5 (9,6 Prozent) unter dem Durch- Tonübertragung) schnitt der gemessenen Kanäle (15 Prozent).6 Dennoch wurde im August 2020 der Kanal France Ô (etwa 0,6 Pro- zent Zuschaueranteil) eingestellt, obwohl dort die Men- Ende des staatlichen 1981 schen aus den Überseegebieten im Mittelpunkt standen. Frequenzmonopols Immerhin leben in Kontinentalfrankreich, dem ehemali- gen Sendegebiet von France Ô, rund eine Million Personen 1984 Erster privater TV-Sender Canal+ aus den außereuropäischen Teilen des Landes und France Ô hätte sich zu einem Kanal der weltweiten Migrations- und Stadtkulturen für das heterogene und multikulturelle französische Publikum entwickeln können. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk Frankreichs mit sei- 1987 Privatisierung von TF1 nen 17.000 Beschäftigten verfügt über ein Budget von rund 4,4 Milliarden Euro dank Werbung (0,4 Milliarden für Gründung von Arte, Nachfolge France TV), Subventionen, aber vor allem der 3,7 Milliar- 1992 den Euro aus Rundfunkbeiträgen (contribution à l’audio von La Sept, gegr. 1986 visuel public, CAP).7 Das ist mehr, als sein unmittelbarer TV-Wettbewerber vorweisen kann (2,3 Milliarden Euro Umsatz für die Gruppe TF1 mit 3.686 Beschäftigten), aber Start des digitalen terrestrischen 2005 weniger als das Budget von 6 Milliarden Euro für die BBC Fernsehens (TNT) mit 22.000 Beschäftigten 8 und sehr viel weniger als das von Netflix (30 Milliarden Euro Einnahmen bei 11.300 Be- 2006 Start von France 24 schäftigten9). Dennoch fordern die Behörden von den öffentlich-rechtli- Verbot von Werbung bei chen Anstalten seit 20 Jahren Einsparungen, zuletzt 190 Mil 2009 France TV nach 20 Uhr lionen Euro im Zeitraum 2018 bis 2022; im Rahmen des Kon- junkturprogramms vom Juli 2020 haben zusätzliche Geldmit- tel in Höhe von 70 Millionen Euro lediglich die pandemiebe- Start des digitalen dingten Verluste desselben Jahres ausgeglichen. Gleichzeitig 2014 terrestrischen Radios (RNT) verbieten sie France TV im Jahr 2009, abends Werbung auszu- strahlen, und befördern neue Kanäle sowie Website-Angebote und Apps. Die Folgen sind sozialer Art. France TV durchlaufe Gründung des TV- 2016 „seit fast zehn Jahren einen Sozialplan“, hinter dem „ein bei- Senders France Info 6 CSA, Baromètre de la diversité de la société française, 2020. Einrichtung der Spartenkanäle 2018–2020 7 J.-R. Hugonet, Avis, Sénat, 2020. Lumni, Slash, Okoo, Salto 8 BBC, Group Annual Report and Accounts, 2020/21. 9 Netflix, zonebourse.com, 2021. FES impuls — Öffentlich-rechtlicher Rundfunk in Frankreich 3
spielloser Prozess der Produktivitätssteigerung“ stehe, so seine von France TV, Bastien Millot und Patrick de Carolis, wur- Präsidentin Delphine Ernotte.10 Damit einher gehe ein Perso- den wegen Günstlingswirtschaft zu fünf Monaten Haft ver- nalabbau von „15 Prozent netto“, das heißt eine Reduzierung urteilt. In der Folge wurde eine große Reform des öffent- der Beschäftigtenzahl um 1.500 seit 2012 „bei gleichbleiben- lich-rechtlichen Rundfunks angekündigt, um eine „franzö- dem Arbeitsumfang“, was die erhöhte Belastung am Arbeits- sische BBC“ zu schaffen: In der neu zu gründenden Hol- platz und deren gesundheitliche Folgen erahnen lässt. ding „France Médias“ sollten die Verwaltungseinheiten des Auch wünscht sich die Politik eine Verjüngung des Pub- zersplitterten öffentlich-rechtlichen Apparats zusammen- likums der öffentlich-rechtlichen Sender. Das ist wahrlich geführt und Kosten umverteilt werden, die Digitalisierung eine Herausforderung, denn inzwischen erhalten Kinder vorangetrieben und auch die Art und Weise der Werbung durchschnittlich mit knapp zehn Jahren ihr erstes Handy. sowie die Struktur der Rundfunkbeiträge reformiert wer- Die Fernsehzeit der 4- bis 14-Jährigen sinkt rapide, wäh- den, um die sinkenden Einnahmen auszugleichen (Letzte- rend die der über 50-Jährigen steigt.11 Dennoch hat France res wurde allerdings auf 2023 verschoben). TV seine Anteile am öffentlich-rechtlichen Kindersender Angesichts der Erinnerung an das ORTF aus der Ära de Gulli (für Sechs- bis Zwölfjährige) schrittweise verkauft, Gaulle, der zahlreichen Demonstrationen, die die Amtszeit obwohl er profitabel war und immer noch ist (1,4 Prozent Macrons überschatten, und der herannahenden Präsident- Zuschaueranteil im August 2021), eine erste Tranche an schaftswahl 2022 verhält sich die Exekutive nun zurückhal- Lagardère Active 2014, eine zweite im Jahr 2019 an die tender und konzentriert sich eher auf kleine, unauffälligere Groupe M6. Ebenso hat der französische Wirtschaftsmi- Reformen. Die Regierung folgt damit dem „Mittelweg“, wie nister im August 2021 die Abschaltung des Fernsehsenders ihn die linksliberale Denkfabrik Terra Nova vorgeschlagen France 4 verfügt, obwohl der Zuschaueranteil der über hat und der eine Konzentration der Mittel zugunsten „kon- 50-Jährigen 35 Prozent betrug, im Vergleich zu 63 Prozent kreter, pragmatischer und realistischer“ Projekte vorsieht, bei France TV im Jahr 2019.12 Seine Rolle als „Ersatzschu- mit Unterstützung durch einen gleichermaßen als Aufse- le“ während des Lockdowns hatte seine Schließung hinaus- her, Finanzier und Strategen agierenden Staat.15 gezögert. France 4 hatte das Potenzial, zu einem Kanal für So war die wichtigste Reform die der Regulierungsbe- Bildung im Tagesprogramm und für „junge Kultur“ am hörde. Seit 2022 heißt sie Arcom (Autorité de régulation de Abend zu werden. France TV musste sein Angebot seg- la communication audiovisuelle et numérique), da der CSA mentieren und bündelt es nun auf den Plattformen Okoo und die Haute Autorité pour la diffusion des œuvres et la mit Internetseiten für Kinder, dem Lumni-Portal für Bil- protection des droits sur internet (Hadopi; zu Deutsch: dung, Slash mit Filmen und Dokumentationen für Jugend- Hohe Behörde für die Verbreitung von Werken und den liche, Salto als Netflix-Konkurrent und Entr mit Nachrich- Schutz von Internetrechten) zusammengelegt wurden. Sie ten für junge Europäer_innen. France 4 wiederum darf von umfasst neun Berater_innen, von denen sieben von einer France TV als Doppelkanal weiterbetrieben werden: Okoo politischen Institution, dem CSA (darunter dessen Vorsit- tagsüber und Culturebox (ein Kulturkanal, der Anfang zender, der erneut den Vorsitz führt), und zwei von der Ju- 2021 für den Lockdown auf dem Kanal von France Ô ge- dikative (Hadopi; vom Conseil d’État [Staatsrat] und vom schaffen wurde) am Abend. Nun ist eine Verjüngung mög- Kassationsgerichtshof entsandt) für eine Amtszeit von lich, da der Sender Arte, dessen Filme 2021 1,8 Milliarden sechs Jahren ernannt werden (siehe Abbildung), sowie Mal angesehen wurden und der den Kanal 77 für vernetz- 355 Mitarbeiter_innen mit einem Budget von 46,6 Millio- tes und terrestrisches Fernsehen gestartet hat, seine Zu- nen Euro im Jahr 2022, gegenüber 37,4 Millionen Euro für schauer_innenzahlen bei den 15- bis 34-Jährigen verdop- den CSA und 8,2 Millionen Euro für Hadopi im Jahr 2021. pelt hat.13 Sie ist für die Regulierung (Vereinbarungen mit Radio- und Fernsehsendern sowie Plattformen), die Bewertung (Repräsentativität der Akteure und der Beiträge aus Politik DIE PRÄSIDENTSCHAFTSWAHL und vonseiten der Bürger_innen) und die Sanktionen (ge- gen Desinformation, Hassrede im Internet, Piraterie, Por- Emmanuel Macron bezeichnete zu Beginn seiner Amtszeit nografie und Sperrungen) zuständig. Seine Aufgaben glie- die öffentlich-rechtlichen Medien als „Schande für die Re- dern sich in sechs Bereiche: Förderung und Schutz kreati- publik“ und warf ihnen „Missmanagement, Verschwen- ven Schaffens; technische und wirtschaftliche Regulierung; dung, mittelmäßige Programme und Inhalte sowie unge- Unterstützung des Publikums; Beobachtung und Auswer- sunde Beziehungen zu ihren externen Partnern (Modera- tung; Pluralismus und sozialer Zusammenhalt; Regulie- tor_innen, Produzent_innen usw.)“14 vor; die Intendanten rung von Online-Plattformen und sozialen Netzwerken. 10 Assemblée nationale, Audition de Delphine Ernotte, 2021. 11 Die Fernsehzeit der 4- bis 14-Jährigen betrug im September 2021 nur noch 59 Minuten am Tag (2 Stunden 8 Minuten im September 2010), diejenige der über 50-Jährigen hingegen 5 Stunden 13 Minuten (4 Stunden 14 Minuten im Jahr 2010); der Durchschnitt aller Altersgruppen betrug 3 Stunden 21 Minuten (4 Stunden 14 Minuten im Jahr 2010), vgl. Médiamat annuel, Médiamétrie, 2010, und Médiamat mensuel, Médiamétrie, September 2021. 12 CSA, Rapport sur l’exécution du cahier des charges de France Télévisions, 2021. 13 T.-D. Nguyen, Le lifting payant d’Arte pour séduire le jeune public, Challenges.fr, 3.2.2022. 14 L’Express, 5.12.2017. 15 L.-C. Trebuchet, Audiovisuel public: tous ensemble vers le numérique (acte 2), Terra Nova, 2020. 4 Kein Programm links von der Mitte — FES impuls
Öffentlich-rechtlicher Rundfunk in Frankreich Ernennung von Führungskräften und Finanzflüsse PARLAMENT Anhörungen und Berichte des Kassations ZWEIFACHE STAATLICHE AUFSICHT Kulturausschusses gerichtshof Ministerium für Kultur und Kommunikation Staatsrat 1 Berater_in Nationalver- Ministerium für Wirtschaft, Finanzen sammlung Senat 1 Berater_in und Industrie Élysée-Palast 3 Berater_innen der Präsident Verteilung von 3,7 Milliarden Euro aus 3 Berater_innen Rundfunkbeiträgen Medienaufsicht Arcom vormals: CSA 2,05 % 9 Berater_innen sind LCP verantwortlich für Regulierung, Bewertung, Sanktionen und TV5Monde Public Sénat N ominierungen (außer bei Zusammenschluss Parlamentari- Arte, Public Sénat und LCP) ö ffentlicher frankophoner sches TV Medien aus Frankreich (France Télévisions, France 2,33 % Médias Monde, Arte), 65,50 % Belgien (RTBF), Schweiz 17,82 % (RTS) und Canada (Télé INA Québec, CBC/SRC) Nationales 6,88 % France Télévisions Rundfunk- 7,42 % France 2, France 3, archiv France 5, France Info, Radio France France Médias France Culture, Okoo, Culturebox Arte Monde France Inter, France Bleue, Französisch-deutscher Zusam- France 24, Radio France Musique, Fip, Mouv, menschluss (France Télévisions, France International France Info Staat, Radio France, INA sowie (RFI), MCD Legende: ARD, ZDF) Ernennung von Führungskräften Finanzfluss 2020 Die Positionen der politischen Parteien zum öffentlich- (durchschnittlich 723 Euro pro Jahr pro Haushalt). Die rechtlichen Rundfunk sind rasch zusammengefasst. Die po- Möglichkeit eines „fünfjährigen Finanzrahmens“ wurde er- litische Rechte verlangt nicht nur in Frankreich von den öf- wähnt,16 ein solcher Rahmen würde aber nicht verhindern, fentlich-rechtlichen Anstalten, dass sie sparen und sich zu- dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk stärker von der Ex- gleich modernisieren bzw. digitalisieren, um mit den inter- ekutive abhinge, die ihn vom Parlament verabschieden las- nationalen digitalen Plattformen konkurrieren zu können. sen müsste. Die pädagogische Dimension eines klar ausge- Sie will den Rundfunkbeitrag (138 Euro pro Jahr pro Haus- wiesenen, dauerhaften und relativ autonomen Budgets für halt im europäischen Teil Frankreichs und 88 Euro in Über- Medien, die theoretisch unabhängig von staatlichen Stellen see) abschaffen, den die Parteifreund_innen von Emmanuel und Werbekunden sind und eine Alternative zu kommerzi- Macron als „archaisch“ und „ungerecht“ bezeichnen, da ihn ellen Medien darstellen, würde zusätzlich beeinträchtigt nur bestimmte Besitzer_innen von Fernsehern und ähnli- werden. Valérie Pécresse, die Präsidentschaftskandidatin der chen Geräten zahlen. Es gehe dem Präsidentschaftskandida- liberal-konservativen Partei Les Républicains, äußerte ihrer- ten darum, die Kaufkraft zu erhöhen, und zwar im Zuge der seits, dass die Privatisierung „kein Tabu“ sei, obwohl sie auf- Abschaffung der gleichzeitig erhobenen Wohnsteuer grund des Wettlaufs um Werbekunden die kommerziellen 16 Suppression de la redevance : Attal écarte une mise en danger de l’audiovisuel public, Le Figaro, 8.3.2022. FES impuls — Öffentlich-rechtlicher Rundfunk in Frankreich 5
Medien insgesamt schwächen würde: TF1 und M6, die fusi- präzisierte – Ziel der französischen Grünen (Europe Éco- onieren wollen, positionieren sich dagegen.17 logie/Les Verts) lautet, einen „starken“ und „unabhängi- Marine Le Pen, Vorsitzende der rechtspopulistischen gen“ öffentlich-rechtlichen Sendedienst aufrechtzuerhal- Partei Rassemblement National (bis 2018 Front National), ten. Letztere – auf dem Vormarsch bei den vergangenen die 2017 für die Präsidentschaft kandidierte und in die (Europa- und Kommunal-)Wahlen – wollen mehr Geld für Stichwahl gelangte, will eine Privatisierung des öffentlich- die lokalen Medien, mehr Frauen auf Sendung und weni- rechtlichen Rundfunks 18 mit Ausnahme der „Sender in den ger Werbung, insbesondere für klimaschädliche Produkte. Überseegebieten zum Beispiel, als Stimme Frankreichs in Die Sozialistische Partei (Parti socialiste) – bei den landes- der Welt. Arte und das INA [Institut national de l’audiovi- weiten Wahlen unter Druck – schlägt für den öffentlich- suel; das nationale Rundfunkarchiv] werden nicht betrof- rechtlichen Rundfunk darüber hinaus eine zentrale Rolle fen sein.“ Sie bedient sich dabei zweier Argumente. Das im Bereich Bildung und die Entwicklung einer Wissen- erste ist die Kaufkraft – „das sind 2,8 Milliarden Euro [an schaftskultur vor. Rundfunkbeiträgen], die sofort an die Franzosen zurück- fließen“. Das zweite leitet sie aus der demokratischen Reife der audiovisuellen Medien ab – private Medien seien aus- EMPFEHLUNGEN ZUR reichend demokratisch. DEMOKRATISIERUNG Der bereits erwähnte Éric Zemmour, rechts vom Rassem- blement National, verschärft die aktuelle Polarisierung noch Frankreich findet sich 2020 auf der Rangliste der Presse- und erhebt zusätzlich den populistischen Vorwurf mangelnder freiheit von Reporter ohne Grenzen auf Platz 34 und auf Neutralität der öffentlich-rechtlichen Sender, von denen er dem Korruptionswahrnehmungsindex von Transparency sich zensiert und bekämpft fühlt – er würde nur eine begrenz- International auf Platz 23 wieder. Die Autonomie des öf- te Anzahl an Sendern (France 5, France Info, RFI, TV5 Mon- fentlich-rechtlichen Rundfunks wurde immer gefordert de, France Culture, Arte) und das INA in öffentlicher Hand und angekündigt, aber tatsächlich nie verwirklicht. Er wird behalten wollen. Wie in einigen konservativ regierten Ländern nach wie vor politisch vom Staatspräsidenten, Rechnungs- (Polen, Ungarn, Österreich) wird der öffentlich-rechtliche hof, Parlament, Kultur- und Wirtschaftsministerium und Rundfunk in Frankreich bezichtigt, linke Propaganda zu be- der Rundfunkaufsichtsbehörde beeinflusst und instrumen- treiben.19 Ursprünglich ist seine Argumentation von der libe- talisiert. Deren Eingriffe betreffen maßgeblich die Organi- ralen Rechten inspiriert; sie lehnt sich an eine Studie von Fon- sation (Gesetze), erfolgen über Regulierung (Arcom), Ziel- dapol20, einer der Partei Les Républicains nahestehenden Stif- setzungen (Pflichtenhefte, Zielvereinbarungen und Finan- tung, an, die vorschlägt, die öffentlich-rechtlichen Sender ge- zierungszusagen mit einer Laufzeit von fünf Jahren ab mäß dem Subsidiaritätsprinzip auf die Bereiche „Informati- 2000 und von zwei Jahren ab 2021), Haushalt und die Be- on“ – mit Blick auf die „privaten Interessen“ – sowie der „offi- setzung von Führungspositionen (mittels Arcom) bis hin ziellen“ Kultur – mit Blick auf die mit der Werbung verbunde- zur Evaluierung (Audits, Stellungnahmen, Berichte). Aus- nen „Formatvorgaben“ und „Trivialisierungen“ – zu beschrän- wirkungen auf die redaktionelle Ausrichtung sind auf dem ken. Spielfeld von Personalrekrutierung, Laufbahnen und Hier- Die politischen Parteien von der linken Mitte bis zu den archien unvermeidlich, selbst wenn die Zensur „unsichtba- Antikapitalisten wiederum – gespalten und schwach – rer“21 ist als in der Ära de Gaulle, als der Informationsmi- stellen sich gegen diese „Uberisierung“ des öffentlich- nister in einem Büro ganz oben im Funkhaus residierte. rechtlichen Rundfunks, ohne jedoch einen echten Alterna- Nebenbei ein absoluter Widerspruch zum Programm des tivvorschlag zu unterbreiten. Sie richten ihr Hauptaugen- Nationalen Widerstandsrats (Conseil national de la Résis- merk auf den privaten Sektor, insbesondere die Auswir- tance) von 1944, der die „Unabhängigkeit vom Staat, der kungen der Medienkonzentration auf den Pluralismus – Macht des Geldes und von ausländischen Einflüssen“ ge- ähnlich wie bei der möglichen Fusion von TF1 und M6, fordert hatte. Die hartnäckige Weigerung, den öffentlich- die von der Regierung unterstützt wird, um den omnipo- rechtlichen Rundfunk von den institutionellen Einflüssen tenten Plattformgiganten (Google, Apple, Facebook, Ama- zu lösen, veranlasst wiederum die Bürger_innen, sich vom zon, Microsoft; Netflix, Airbnb, Tesla, Uber; Baidu, Aliba- öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu lösen. ba, Tencent, Xiaomi) die Stirn zu bieten. In diese Richtung Dabei kann der öffentlich-rechtliche Rundfunk in zielt denn auch der Wunsch der Partei von Jean-Luc Mé- Frankreich mit seinen Programmen – über den persönli- lenchon – auf Platz 3 bei der Präsidentschaftswahl 2017 –, chen Zugewinn an Information und Kultur hinaus – gerade die ein Antikonzentrationsgesetz einbringen, die rechtliche bei aktiven Bürger_innen weiteres Empowerment fördern. Stellung der Redaktionen stärken und – zu deren Schutz Das Gleiche gilt für die Politik, wo die Partizipation der vor den Aktionär_innen – berufsständische Regelungen in Bürger_innen – von Bürgerkonventen und -budgets bis hin die Tarifverträge einbinden möchte. Das – nicht weiter zu Vorwahlen – an Bedeutung gewinnt. Die Möglichkeit, 17 Présidentielle 2022 : faut-il supprimer la redevance audiovisuelle ?, Les Echos, 19.1.2022. 18 Interview, Le Figaro, 8.9.2021. 19 Reuters Institute Report, 2019. 20 O. Babeau, Refonder l’Audiovisuel Public, Fondapol, 2016. 21 P. Durand, Médiamorphoses, PUL, 2019. 6 Kein Programm links von der Mitte — FES impuls
mit den öffentlich-rechtlichen Sendern zu interagieren, ist on, Kunst, Reportage) aus Europa (und darüber hinaus). zu einer Voraussetzung für ihren Erfolg geworden und darf Dies erfordert, den Anteil der Eigenproduktionen der öf- sich nicht mehr auf Umfragen, Kommentare und Zappen fentlich-rechtlichen Sender zu erhöhen, um deren Verbrei- beschränken. Dies erfordert eine Horizontalisierung der tung unter urheberrechtlichen Gesichtspunkten zu erleich- öffentlich-rechtlichen Einrichtungen, um sie wirklich „öf- tern. fentlich“ oder „gemeinschaftlich“ (Elinor Ostrom), das heißt bürgerschaftlich, zu machen. Räume zu schaffen, in – Organisation. Änderung des Verfahrens für die Auswahl denen physische und digitale Angebote verschmelzen, er- der Intendant_innen der öffentlich-rechtlichen Sender in scheint hier vielversprechend, beispielsweise wie im Mai- Anlehnung an das Kooperationsmodell der Vereine, indem son de la radio et de la musique mit seinen 100.000 Quad- Vertreter_innen der Mitarbeiter_innen, des Publikums, ratmetern, das gerade renoviert wird. der Oppositionsparteien etc. die Möglichkeit zur Nominie- Der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Frankreich wird rung erhalten. Die Kandidat_innen müssten einen Wahl- zu drei Vierteln durch Rundfunkbeiträge finanziert; er ist kampf führen und gegenüber den Vertreter_innen, von de- zu 100 Prozent Eigentum des französischen Staates und er- nen sie gewählt wurden, regelmäßig Rechenschaft ablegen. füllt den Infrastrukturauftrag einer Daseinsvorsorge. Den Die Amtszeit sollte auf fünf Jahre ohne Wiederwahl be- Bürger_innen gegenüber steht er in der Pflicht, die Demo- schränkt sein, das Budget sollte für die gesamte Zeit fest- kratisierung auf kultureller Ebene (ein großer Wunsch seit stehen und klare Transparenzvorgaben im Hinblick auf der Amtszeit des Schriftstellers André Malraux als Kultus- Gehälter, Budgetposten, Zuschauer_innenzahlen, digitale minister) wie auf der Ebene der Information – von den po- Daten, Algorithmen, strategische, personelle, programma- litischen „Gatekeepern“ gefürchtet – voranzutreiben, an- tische, redaktionelle und Governance-Entscheidungen statt sich auf Fragen von Wirtschaftlichkeit und Digitali- sollten gelten. sierung zu konzentrieren. Die Handlungsfelder: – Inklusion. Sicherstellung von Diversität, indem die Be- – Kreativität. Schaffung eines künstlerischen Inkubators schäftigten – insbesondere diejenigen am Mikrofon bzw. innerhalb des öffentlich-rechtlichen Rundfunks durch die vor der Kamera –, aber auch die Gäste und die Personen, Bereitstellung von Finanzmitteln und Material, internen über die berichtet wird, den Querschnitt der Bevölkerung (Mitarbeiter_innen als Kompetenz-Mäzen_innen) und ex- widerspiegeln, und zwar im Hinblick auf soziale und geo- ternen Ressourcen (Videoproduzent_innen, Influencer_in- grafische Herkunft, Hautfarbe, Geschlecht, Alter, Beruf, nen, Künstler_innen, Informatiker_innen, Unternehmer_ körperliche und geistige Besonderheiten, Sprache, ideolo- innen, Gamer_innen, Macher_innen, Streamer_innen etc., gische, politische und gewerkschaftliche Zugehörigkeit. ausgewählt im Rahmen öffentlicher Wettbewerbe) sowie durch Partnerschaften mit Kultur-, Bildungs- und For- – Finanzierung. Ausstattung der öffentlich-rechtlichen schungseinrichtungen als eine Art Ökosystem, das sich Sender mit ausreichenden Mitteln, ähnlich wie in ver- über experimentelle Workshops, Schreibwerkstätten, Pro- gleichbaren Ländern, insbesondere durch 1. einen Fonds, duktion, Test, Programmierung, Animation und im Ver- gespeist durch eine Steuer auf den Umsatz von Unterneh- trieb einbringt. men der Digitalwirtschaft, die professionelle journalisti- sche Inhalte verbreiten (OTT-Dienste, Plattformen, Such- – Information. Gründung eines Labors in den öffentlich- maschinen und soziale Netzwerke); 2. eine Änderung der rechtlichen Häusern für metamediale und berufsethische Bemessungsgrundlage und der Höhe des Rundfunkbei- Kritik, Forschung, Vermittlung und Medienerziehung, rea- trags (null Euro pro Jahr für von der Zahlung befreite lisiert durch die Finanzierung und Bereitstellung von Ma- Gruppen, 88 Euro für die Nutzer_innen in den Überseege- terial sowie durch Partnerschaften mit der staatlichen bieten sowie für Besitzer_innen von digitalen Empfangsge- Nachrichtenagentur Agence France-Presse (AFP) und den räten und Radios, 138 Euro für TV-Besitzer_innen); sowie Ausbildungs- und Forschungseinrichtungen sowie die Be- 3. Subventionen. teiligung von Vereinen, NGOs, Gewerkschaften, Fakten- checker_innen, Datenwissenschaftler_innen, Infografiker_ innen, Hacker_innen, Aktivist_innen der „freien“ Medien (Open Gov, Data, Access, Source und Science; Wikipedia), Whistleblower_innen, Vermittler_innen, Dokumentarist_ innen, unabhängigen Journalist_innen und den öffentlich- rechtlichen Einrichtungen (deren Statut und Vielfalt der Redaktionen besser geschützt werden müssen). – International. Entwicklung von Arte – ergänzend zu Eu- ronews oder dem neuen digitalen Medium Entr – zu ei- nem globalen linearen und nicht linearen (mit Streaming per VoD, SVoD und/oder AVoD) Referenzmedium, unter Einbeziehung der Gesamtheit seiner Produktionen (Fikti- FES impuls — Öffentlich-rechtlicher Rundfunk in Frankreich 7
AUTOR IMPRESSUM Dr. Sébastien Poulain ist assoziierter März 2022 Wissenschaftler am Forschungszent- rum MICA (Medien, Information, Herausgeberinnen Kommunikation, Arts) der Universi- Friedrich-Ebert-Stiftung tät Bordeaux Montaigne. Seine Abteilung Analyse, Planung und Beratung jüngsten Veröffentlichungen sind Godesberger Allee 149, 53175 Bonn „L’audiovisuel public est-il vraiment www.fes.de/apb public?“ (The Conversation, 2021) und „Les radios locales“ (mit T. Le- Friedrich-Ebert-Stiftung Paris Foto: C.L. febvre, INA/L’Harmattan, 2021). 41 bis, boulevard de la Tour-Maubourg, 75007 Paris https://www.fesparis.org/ Verantwortlich für diese Publikation in der FES sind REIHE: ÖFFENTLICH-RECHTLICHER RUNDFUNK IN EUROPA Katrin D. Dapp, Referat Beratung, Deutschland Benjamin Schreiber, Büro Paris, Frankreich Der öffentlich-rechtliche Rundfunk (ÖRR) gerät in ver- schiedenen europäischen Ländern zunehmend unter poli- Bestellungen: medienpolitik@fes.de tischen Druck und wird finanziell eingeschränkt. Auch in Deutschland werden immer wieder grundsätzliche Recht- Lektorat und redaktionelle Mitwirkung fertigungen vom ÖRR verlangt; gleichzeitig nehmen An- Dr. Christian Jerger, ad litteras sprüche an die Rundfunkanstalten nicht ab. Im Gegenteil werden zum Beispiel eine zügige Umstrukturierung der Bildverzeichnis Medienhäuser, eine Verschiebung der linearen Inhalte auf Titelfoto: picture alliance / REUTERS | Benoit Tessier moderne Digitalangebote sowie weiterhin die Erreichung Europakarte: Designed by Freepik einer breiten, heterogenen Öffentlichkeit erwartet. Zeitstrahl: tigerworx (CC BY 4.0) Um zu verstehen, welchen Stellenwert der ÖRR hat und Abbildung: Poulain/tigerworx (CC BY 4.0) dass dieser zum Wohl der Demokratie geschützt werden muss, lohnt sich ein Blick in andere europäische Länder. Gestaltung Diese Publikation ist die sechste in einer Reihe von „Län- bergsee, blau derberichten“ zum Stand des ÖRR. Eine Vielzahl von tigerworx Handlungsempfehlungen liegen bereits vor, die in Deutsch- land und auf europäischer Ebene weiter diskutiert werden ISBN: 978-3-98628-101-4 sollen. Die in der Publikation zum Ausdruck gebrachten Ansich- ten sind nicht notwendigerweise die der Friedrich-Ebert- Stiftung. Publikationen der Friedrich-Ebert-Stiftung dür- fen nicht für Wahlkampfzwecke verwendet werden. CC BY-NC-ND 4.0 www.fes.de/medienpolitik/ rundfunk-in-europa Bisher in dieser Reihe erschienen Großbritannien Dänemark Tschechische Republik Polen Österreich Frankreich 8 Kein Programm links von der Mitte — FES impuls
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