Klarheit, Zukunft, Team - Die SPÖ-Wahlkampagne 2021 in Oberösterreich. Analyse und Perspektiven. Autor:innen Jana Faus, Horand Knaup, Michael ...
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GEMEINSAM VORAN Klarheit, Zukunft, Team Die SPÖ-Wahlkampagne 2021 in Oberösterreich. Analyse und Perspektiven. Autor:innen Jana Faus, Horand Knaup, Michael Rüter
GEMEINSAM VORAN Die SPÖ ist für alle da: Kinderbildung, Situation der Frauen, Pflege & Betreuung, Zukunft der Arbeit. Es braucht eine starke Sozialdemokratie, um Oberösterreich noch besser und lebenswerter zu machen. Für alle, nicht nur für die Reichen. Die ÖVP hat mit knapp 40 Prozent die Hand über 90 Prozent des Budgets. Große Macht bedeutet große Verantwortung. Wir verstehen uns zu 100 Prozent als Oppositionspartei und kontrollieren die ÖVP-All- macht. Wir kontrollieren nicht nur, wir liefern auch. Landtag für Landtag bringen wir Vorschläge ein, um das Leben der Menschen besser zu machen. ÖVP und FPÖ hingegen haben ein ambitionsloses Budget vor- gelegt, mit denen wir die Herausforderungen der Zukunft nicht meistern können. Deshalb haben wir das Budget abgelehnt – zum ersten Mal in dieser klaren und deutlichen Form. SPÖ ist eine Partei, die die Zukunft gestalten will. Wir übernehmen Verantwortung für Land und Leute. Nicht aus Selbstzweck, sondern um das Leben zu verbessern, unsere Gesellschaft gerechter zu machen. Wir wollen die Menschen und unser Land wieder handlungsfähig machen - gegenüber Banken, Konzernen, Lobbys und Superreichen. Wir wollen die Globalisierung bändigen und allen Menschen ein zufriedenes Le- ben ermöglichen, auf das sie zurecht stolz sein können. Gute Politik unabhängig von Herkunft, Geschlecht oder Religion. Mit dem Ergebnis der Wahlen sind wir nicht zufrieden. Als SPÖ sind wir verantwortlich für das Ergebnis – und verantwortlich, das Vertrauen der OberösterreicherInnen zu gewinnen. Darum haben wir uns ent- schieden, transparent und mit einem Blick von außen unsere Fehler zu analysieren, an uns zu arbeiten, um besser zu werden. Wir sind bereit zur Veränderung. Wir wollen gemeinsam voran! Seite 2
GEMEINSAM VORAN INHALT Inhalt Vorwort........................................................................................................... 4 Zur Methodik................................................................................................. 4 Die Soziographie Oberösterreichs............................................................. 5 Die Landtagswahl 2021 ................................................................................ 6 Die Wahl aus demoskopischer Sicht ......................................................... 7 Demoskopische Auffälligkeiten .................................................................12 Die (potenziellen) Wähler:innen der SPÖ ................................................ 13 Die Spitzenkandidatin ................................................................................. 19 Die Kampagne . ............................................................................................. 21 Aufstellung und Verlauf .............................................................................. 21 Thema Arbeit ................................................................................................ 22 Thema Bildung .............................................................................................. 24 Thema Pflege ................................................................................................ 25 Thema Klima ................................................................................................. 25 Social Media-Aktivitäten............................................................................. 25 Zielgruppen im Wahlkampf ........................................................................ 26 Zwischenfazit ................................................................................................ 31 Die SPÖ in Österreich .................................................................................32 Die SPÖ in Oberösterreich .........................................................................33 Mitglieder- und Parteistruktur . ................................................................. 35 Die Rolle der Bezirke ................................................................................... 37 Andere Kraftzentren .................................................................................... 37 Die Medien .................................................................................................... 41 Kernthesen .................................................................................................... 43 Es gibt nur eine Sozialdemokratie ............................................................. 43 Politik ist Organisation ............................................................................... 43 Von Erfolgen lernen ..................................................................................... 44 Synergien nutzen ......................................................................................... 44 Was Partei und Gewerkschaft unterscheidet .......................................... 45 Neue Köpfe für Land und Partei ................................................................ 45 Verankerung des:der Spitzenkandidat:in ................................................. 45 Mit Haltung in die Zukunft ......................................................................... 45 Abgrenzung zur Regierungspartei . ........................................................... 46 Auf die Klarheit kommt es an . ................................................................... 46 Impressum . ................................................................................................... 47 Seite 3
GEMEINSAM VORAN Vorwort Es versteht sich, dass sowohl die Analyse der Kam- pagne als auch die Empfehlungen für die Zukunft nur Anstoß sein können. Zumal wenn diese Emp- Mit 18,7 Prozent hat die SPÖ Oberösterreich bei fehlungen von Expert:innen aus dem Ausland kom- der Landtagswahl 2021 das prozentual zweit- men. Das ist den Autor:innen durchaus bewusst. schlechteste Ergebnis seit 1945 verbucht, in ab- Wie offen Partei und ihre Führung den Bericht dis- soluten Stimmen war es sogar das schlechteste. kutieren und welche Konsequenzen sie in welcher Es gab Erschwernisse: Wahlkampf in der üblichen Form aus den Empfehlungen ziehen, bleibt natür- Form war unter Pandemiebedingungen nur schwer lich ihnen überlassen. In jedem Fall gibt es für die möglich, die Einrichtung der Vielparteienregierung SPÖ Oberösterreich eine Menge zu tun, um sich erschwerte Profilierung und eine eigene Positio- für die Zukunft wetterfester aufzustellen, wieder nierung, und natürlich war auch der nun über vier kampagnenfähiger zu werden, und dadurch auch Jahrzehnte anhaltende Abwärtstrend im Bund zwi- wieder in den Bereich früherer Wahlergebnisse zu schen 51 und 27 Prozent nicht hilfreich. gelangen. Trotz dieser schwierigen Rahmenbedingungen hat sich die Führung der Landespartei entschlossen, die tieferen Ursachen des Niedergangs nicht nur in Zur Methodik externen Faktoren zu suchen, sondern auch mögli- che eigene Schwächen aufzuarbeiten. Das Ziel: De- Um einen Überblick über Konzeption, Verlauf, fizite analysieren, um in künftigen Kampagnen effi- Stärken und Schwächen des Wahlkampfs, vor allem zienter auftreten zu können. Vor allem aber, um die aber auch über mögliche Zukunftsperspektiven SPÖ Oberösterreich in ihrer Aufstellung zu einer zu bekommen, wurden mit rund 40 Akteur:innen modernen und schlagkräftigen Partei und Organi- Interviews geführt: mit Gewählten und Ungewähl- sation zu entwickeln. ten, mit Bürgermeister:innen, Mitarbeiter:innen, mit externen Expert:innen und Journalist:innen. Dieser Schritt der Begutachtung von außen ver- Angereichert wurden diese Einschätzungen durch dient Anerkennung. Denn sich mit den eigenen unmittelbare persönliche Wahrnehmungen und Defiziten zu befassen und sich von externem Sach- Erfahrungen der Arbeitsgruppenmitglieder. Hinzu verstand durchleuchten zu lassen, ist für politische kamen Daten und Materialien der quantitativen Organisationen nicht nur ungewöhnlich, sondern und qualitativen Wahlforschung. Grundlage der immer auch heikel. Der Befund, wie immer er aus- Befragungen war ein Leitfaden, der dem:der jewei- fällt, birgt stets auch Risiken für die Auftragge- ligen Gesprächspartner:in angepasst wurde. ber:innen; zumal in einer fragilen Phase wie jener, in der sich die SPÖ Oberösterreich derzeit befin- Die Arbeitsgruppe wollte sich so einen Einblick in det. die Einzelheiten der Kampagne, die Sollbruchstel- len der Partei und mögliche Wege aus den demo- Inhaltlich hatte die Arbeitsgruppe freie Hand, bis skopischen Niederungen verschaffen sowie mehr auf die Aufgabendefinition gab es keine Vorgaben über Fehler, Versäumnisse, Allianzen und Eindrü- der Parteiführung. Die Liste der Gesprächspart- cke, subjektiv und objektiv, erfahren. Zudem wollte ner:innen und die Gesprächsprotokolle blieben sie Antworten auf zumindest einen Teil der vielen und bleiben im Besitz der Arbeitsgruppe. offenen Fragen erhalten: Wie verlief die Aufstel- Seite 4
GEMEINSAM VORAN lung der Spitzenkandidatin? Wieso holt die SPÖ 29 Stadtgemeinden, 151 Marktgemeinden und 225 Oberösterreich bei den Wahlen von Bürgermeis- (Orts-) Gemeinden). Die Landeshauptstadt Linz ist ter:innen und Gemeinderäten über 50 Prozent die größte Stadt Oberösterreichs und wird seit 2013 mehr Stimmen als bei der Landtagswahl? Wie ist von Bürgermeister Klaus Luger (SPÖ) regiert. Auch der tiefe Graben zwischen dem Zentrum und den Steyr wird mit Bürgermeister Markus Vogl von der übrigen, überwiegend ländlichen Regionen zu er- SPÖ regiert. In Wels dagegen regiert seit 2015 erst- klären? Und warum ist die Partei in Oberösterreich mals die FPÖ unter Bürgermeister Andreas Rabl. so weit entfernt vom Image einer modernen, zu- kunftsorientierten, attraktiven Partei? Und daraus Anfang 2021 lebten in Oberösterreich knapp 1,5 folgernd die Fragen aller Fragen: Wo liegen die Millionen Menschen (etwa 16,7 Prozent der öster- Potenziale, um die SPÖ bei den nächsten Wahlen reichischen Gesamtbevölkerung), davon circa 1,1 wieder glänzen zu lassen? Millionen Wahlberechtigte (in Österreich ab 16 Jahren). Die Gruppe der Wahlberechtigten besteht Die Zitate, die in die Texte eingearbeitet wurden, aus 51 Prozent Frauen und 49 Prozent Männer. Ein sind alle den Interviews entnommen. Es sind durch- Drittel der Wahlberechtigten in Oberösterreich weg Zitate, die nicht solitär gefallen und deshalb ist älter als 60 Jahre. Die Bevölkerung setzt sich als Ausnahme einzuordnen sind, sondern so oder zusammen aus circa 20,3 Prozent Kindern und Ju- ähnlich mehrfach geäußert wurden. Im Bericht gendlichen (0 bis 19 Jahre), 61,1 Prozent in der mitt- wurde darauf verzichtet, Namen, Funktionen oder leren Altersgruppe/Haupterwerbsalter (20- bis Ämter der Befragten aufzuführen. Auch persönli- 64-jährige) und 18,6 Prozent Senior:innen (ab 65 che Schwächen und menschliche Defizite blieben Jahre). Das Durchschnittsalter liegt bei 42,1 Jahren. soweit wie irgend möglich außen vor. Sie würden Die städtischen Regionen weichen im Altersdurch- den Blick aufs Wesentliche verstellen - es sei denn, schnitt kaum ab von den ländlichen Regionen. Es sie gehen mit Strukturdefiziten einher. Im Fol- wird erwartet, dass die Bevölkerung insbesondere genden sollen vor allem grundlegende Dinge und im Zentralraum Oberösterreich bis 2050 weiter- strukturelle Mängel aufgezeigt werden, aus denen wachsen wird. sich für die Entscheidungsträger:innen der Partei zukunftsfähige, nutzbare und praktikable Schlüsse Die Arbeitslosenquote in Oberösterreich ist die ziehen lassen. niedrigste in ganz Österreich und liegt mit etwa 3,9 Prozent (Stichmonat Oktober 2021) deutlich unter dem nationalen Durchschnitt von 6,5 Prozent. Die Soziographie Das Bruttojahreseinkommen der ganzjährig nicht selbstständig Erwerbstätigen (Arbeiternehmer:in- Oberösterreichs nen) lag 2019 im Schnitt (Median) bei €32.072 pro Jahr und damit höher als das österreichische Oberösterreich ist nach Wien und Niederöster- Durchschnittseinkommen von €30.299 pro Jahr. reich bevölkerungsmäßig das drittgrößte Bundes- land Österreichs. Es ist aufgeteilt in 18 politische Oberösterreich ist eine der führenden Industrie- Bezirke (darunter 3 Statutarstädte) und gliedert regionen Österreichs. Mit dem Standort Linz als sich weiter aus in 438 politische Gemeinden (dar- ökonomischem Kraftzentrum, das zahlreiche Ein- unter die drei Statutarstädte Linz, Steyr und Wels, pendler:innen anzieht, auch aus Deutschland, ist Seite 5
GEMEINSAM VORAN die Stadt nach Wien zweitwichtigster Wirtschafts- standort Österreichs. Insgesamt bietet die Groß- Die Landtagswahl 2021 region mehr Arbeitsplätze als sie selbst Einwoh- Die Landtagswahl 2021 verlief für die SPÖ Oberös- ner:innen hat. Wichtigste Wirtschaftszweige sind terreich nicht besonders erfolgreich. Zwar legte sie insbesondere die Stahl- und Metallindustrie, die mit einem Ergebnis von18,58 Prozent im Vergleich Fahrzeugindustrie, die Chemie- und Papierindust- zu 2015 um 0,21 Prozentpunkte zu, doch die 150.094 rie sowie der Maschinen- und Anlagenbau. für die SPÖ abgegebenen Stimmen waren in abso- luten Zahlen das schlechteste Ergebnis seit 1945. Zugleich ist Oberösterreich eines der heterogens- Zudem wurden die angestrebten 20 Prozent nicht ten Bundesländer Österreichs. Der Stadt-Land-Ge- übersprungen, und die SPÖ vermochte schließlich gensatz ist einer der markantesten im ganzen Land. auch nicht wie erhofft die FPÖ (19,77 Prozent) von Neben den ökonomischen Wachstumspolen gibt es Platz zwei zu verdrängen. Am Ende fehlten aber auch strukturschwache Regionen wie Rohrbach, nur 10.000 Stimmen auf die Freiheitlichen, die mit Freistadt und Schärding, das Innere Salzkammer- einem Minus von 10,59 Prozentpunkten als eindeu- gut oder Pyhrn-Eisenwurzen, die von erodierender tiger Wahlverlierer vom Platz gingen. Infrastruktur, sterbenden Arbeitsplätzen und Ab- wanderung bedroht sind. Eine solche Diversität 2021 2015 Differenz erschwert politischen Parteien zentral gesteuerte ÖVP 37,61% 36,37% +1,24% Kampagnen immer und überall. FPÖ 19,77% 30,36% -10,59% SPÖ 18,58% 18,37% +0,21% Gewerkschaften, insbesondere die Industriege- werkschaften, sind eine nicht wegzudenkende Grö- Grüne 12,32% 10,32% +2,00% ße im gesellschaftlichen Kräftespiel in Oberöster- NEOS 4,23% 3,47% +0,76% reich. Sie spielen in den Betrieben selbst, aber auch MFG 6,23% 0% +6,23% (Gegründet 2021) für die ökonomische Entwicklung eine zentrale Rolle. Gewerkschaften sind einer der zentralen Akteure der Gesellschaftspolitik - und nehmen dementsprechend traditionell auch entscheidende Nach wie vor leiden die Sozialdemokrat:innen un- Rollen in der SPÖ ein. Allerdings: Auch in Oberös- ter dem herben Einbruch von 13,4 Prozentpunkten, terreich sind zwei Drittel der Arbeitnehmer:innen den sie 2009 kassierten, als sie seinerzeit von 38,3 im Dienstleistungsbereich beschäftigt; also nicht auf 24,9 Prozent abstürzten. in jenen traditionellen Sektoren, die zu Selbstver- ständnis, Identität und Stärke der Industriegewerk- Unangefochten auf Platz eins landete auch 2021 schaften beigetragen haben. Hinzu kommt der die ÖVP (37,61 Prozent), die ihr mäßiges Resultat Umstand, dass ein Drittel der Beschäftigten nur von 2015 wieder um 1,24 Prozent steigern konnte in Teilzeit arbeitet und sich darüber natürlich auch und mit Spitzenkandidat Thomas Stelzer weiterhin das Verhältnis zu Arbeit und Beruf anders definiert den Landeshauptmann stellt. Stelzer stellte sich als in den klassischen Vollzeit-Beschäftigungsver- zum ersten Mal einer Landtagswahl, eine Heraus- hältnissen. forderung, die er souverän bestand. Seite 6
GEMEINSAM VORAN Die Wahlbeteiligung lag bei 76,37 Prozent, die zu verdanken. Noch ein paar ausgewählte Beob- schlechteste der letzten 25 Jahre. achtungen: Die SPÖ hat ihren Nimbus als Arbei- ter:innenpartei verloren. Sie holte dort nur noch Erstaunlich erfolgreich schnitt die 2021 gegründete 21 Prozent, die rechtsnationale FPÖ dagegen 52 MFG Österreich (Menschen, Freiheit, Grundrech- Prozent. Auch unter den Akademiker:innen schnitt te) ab, eine impfkritische Kleinpartei, die haupt- die SPÖ mit 15 Prozent unterdurchschnittlich ab, sächlich in Oberösterreich aktiv ist. Sie kam auf während insbesondere die Grünen dort punkteten 6,23 Prozent und zog mit drei Mandaten neu in den (26 Prozent) und auch die ÖVP mit 35 Prozent vor- Landtag in Linz ein. Ebenfalls neu im Landtag ver- zeigbar abschnitt. FPÖ und MFG währenddessen treten sind die NEOS mit einem Ergebnis von 4,23 haben mit jeweils drei Prozent unter den gut Ge- Prozent (plus 0,76 Prozent), was erstmals für zwei bildeten keine Chance. Mandate reichte. Die Grünen, die sich auf Grund ihres Kernthemas Klima größere Zuwächse erhofft Die meisten Wähler:innen, nämlich rund 27.000, hatten, legten genau zwei Prozentpunkte zu und verlor die SPÖ an die Nichtwähler:innen, aller- kamen damit auf 12,32 Prozent. dings wanderten auch einige tausend an die Impf- gener:innen der MFG ab. ÖVP 22 Mandate (+1) FPÖ 11 Mandate (-7) Die Wahl aus SPÖ 11 Mandate (±0) Grüne 7 Mandate (+1) demoskopischer Sicht MFG 3 Mandate (+3) Dass die Wahl für die SPÖ nicht erfreulicher aus- NEOS 2 Mandate (+2) fiel, hat eine Reihe von Gründen und nicht alle sind selbst verursacht. Mit einer Arbeitslosenquote von 3,5 Prozent gehört Oberösterreich zu den wirt- So besteht die neunköpfige Regierung aktuell schaftlich stärksten und erfolgreichsten im Land. aus Thomas Stelzer (ÖVP, Landeshauptmann seit Die Herausforderung besteht derzeit eher darin, 2019), Christine Haberlander (ÖVP, stellv. Lan- offene Stellen zu besetzen, als neue zu schaffen. deshauptmann), Dr. Wolfgang Hattmannsdorfer (ÖVP), Markus Achleitner (ÖVP), Michaela Langer- Auch der Landeshauptmann bot nur wenige An- Weniger (ÖVP), Birgit Gerstorfer (SPÖ), Stefan griffspunkte. ÖVP-Mann Thomas Stelzer wies her- Kaineder (Grüne), Dr. Manfred Haimbuchner (FPÖ) vorragende Zufriedenheitswerte von über 60 Pro- und Günther Steinkeller (FPÖ). zent auf. Alle anderen Kandidierenden erreichten Werte um die 39 Prozent, mit Ausnahme von Felix Ihre stärksten Kohorten hatte die ÖVP bei den über Eypeltauer (NEOS), der mit rund 16 Prozent deut- 60-Jährigen, dort holte sie die absolute Mehrheit. lich darunter lag. Die Grünen waren bei den unter 29-Jährigen stark (doppelt so stark wie die SPÖ), die SPÖ wiederum hatte ihr Ergebnis vor allem den Pensionist:innen Seite 7
GEMEINSAM VORAN Grafik 1: Positive Beurteilungen von Politiker:innen - Zeitvergleich. Quelle: IFES – Institut für empirische Sozialforschung, Oktober 2021. Auch das Team der ÖVP wurde von vielen Befrag- fiel die Zukunftsaussicht optimistisch aus, ganz be- ten als gut beschrieben (34 Prozent), nur jede:r sonders unter denjenigen, für die die SPÖ die zwei- zehnte Wahlberechtigte glaubte jedoch, die SPÖ te Wahl darstellte. habe ein gutes Team. Dieser Optimismus machte es für die SPÖ schwie- In Oberösterreich herrschte also eine weithin zu- rig, den Wählenden zu vermitteln, warum ein friedene Grundstimmung vor. Eine breite Mehrheit Wechsel sinnvoll sein könnte. Zumal das in Ober- der Bevölkerung ging im Frühjahr 2019 davon aus, österreich geltende Proporzsystem Angriffe auf dass sich Oberösterreich in die richtige Richtung die Partei des Landeshauptmanns von vornherein entwickelt. Diese positive Einschätzung verbesser- erschwert: Da der Landeshauptmann den Regie- te sich noch zum Sommer 2021 hin. Eine Wechsel- rungsvorsitz quasi als primus inter pares führt, wird stimmung war also mitnichten vorhanden - keine ein Wahlkampf nicht aus der Opposition herausge- gute Ausgangslage für jede:n Herausforder:in. führt, sondern als Teil der Regierung. Das ist eine schwierige Rolle und immer eine Gratwanderung. Diese positive Einschätzung wurde zwar mehrheit- lich von ÖVP-Anhänger:innen getragen, aber auch Hinzu kommt: Die eigenen Anhänger:innen hatten unter SPÖ-Anhänger:innen sowie unter Sympathi- nicht unbedingt Vertrauen in die Regierungsfähig- sant:innen der Freiheitlichen und der Grünen über- keit der SPÖ, sondern assoziierten die Partei mit wog ein eher optimistischer Blick in die Zukunft. dem eher klassischen Oppositionsitem „zeigt Miss- Lediglich MFG-Symphatisant:innen blickten nach stände im Land auf“ (43 Prozent). Ein Wert, der al- den Analysen der Demoskop:innen mit Sorge in die lerdings von der FPÖ unter ihren Wähler:innen (65 Zukunft. Und auch im potenziellen SPÖ-Spektrum Prozent) weit übertroffen wurde. Seite 8
GEMEINSAM VORAN Grafik 2: Eigenschaften der Parteien in Oberösterreich. Quelle: IFES – Institut für empirische Sozialforschung, Oktober 2021, Juni 2021, n=827. Grafik 3: Entwicklung Österreichs. Quelle: IFES Blitzumfrage LTW 2021, September 2021, n= 838. Seite 9
GEMEINSAM VORAN Grafik 4: Quelle: IFES Landespolitische Themenlage, 2021, Juni 2021, n=827. Genau das aber - Regierungsfähigkeit - wurde der schaftlichen Fortschritt in ihrem Selbstverständnis ÖVP zugetraut. Mehr als ein Drittel der Wahlbe- verankert hat, ist ein solcher Wert dramatisch. rechtigten glaubte, die ÖVP könne Oberösterreich in die richtige Richtung führen, nur 14 Prozent trauten das der SPÖ zu. Zitat: „Wir erklären den Leuten immer, dass alles furchtbar und traurig und schlecht ist, aber Der konservativen ÖVP wurde auch am ehesten ein positives Bild, eine positive Utopie davon, wie Zukunftsorientierung zugeschrieben (26 Prozent), es sein könnte und was unser Anteil daran ist, gefolgt von den Grünen mit 17 Prozent. Die SPÖ vermitteln wir nicht.“ landete mit 11 Prozent auf Platz drei, mit ähnlichen Werten wie die FPÖ und NEOS (jeweils 10 Prozent). Der ÖVP hingegen wurde zugeschrieben, über Für eine sozialdemokratische Partei, die den gesell- gute Ideen und Konzepte zu verfügen (26 Prozent). Seite 10
GEMEINSAM VORAN Auch hier landete die SPÖ weit abgeschlagen mit Hier wird ein heikler Stadt-Land-Konflikt offenbar: 13 Prozent auf Platz zwei, die FPÖ und die Grünen Die ÖVP setzt sich aus Wähler:innensicht für die kamen jeweils auf 11 Prozent. Menschen auf dem Land ein (37 Prozent; SPÖ: 15 Prozent), die SPÖ für die Menschen in der Stadt. Wenn Wähler:innen mit der aktuellen Situation zu- Diese Einschätzung der Wähler:innen spiegelte frieden sind, optimistisch in die Zukunft schauen, sich auch in ihrem Wahlverhalten wider. der Partei des Landeshauptmanns zutrauen, das Land (weiterhin) in die richtige Richtung zu führen, Einziger wirklicher Schwachpunkt der ÖVP, der sich ihr Zukunftsorientierung und gute Ideen attestie- auch unmittelbar zeigte, war die Machtgier, die ihr ren, gibt es auf den ersten Blick nur wenige Grün- viele unterstellten (33 Prozent). Das galt auch für de, dieser Partei ihre Stimme zu verweigern. Zumal die Freiheitlichen (28 Prozent), mit denen die SPÖ die SPÖ nur in wenigen Punkten vor der ÖVP lag: um Platz zwei kämpfte. Dagegen unterstellten nur Immerhin 44 Prozent gaben an, dass sich die SPÖ acht Prozent der Befragten der SPÖ Machtgier. für soziale Gerechtigkeit engagiert (ÖVP: 13 Pro- Nachdem die ÖVP den Wahlkampf bereits krisen- zent) und 29 Prozent glaubten, dass sie sich für geschüttelt eröffnet hatte, verstärkte sich dieser Menschen in der Stadt einsetzt (ÖVP: 18 Prozent). Eindruck während des Wahlkampfs noch einmal. Grafik 5: Eigenschaften der Parteien in Oberösterreich. Quelle: IFES Landespolitische Themenlage, 2021, Juni 2021, n=827. Seite 11
GEMEINSAM VORAN Doch wirklich Schaden nahm sie deshalb nicht. Vielmehr erwies sich das umfassende Vertrauens- Demoskopische defizit als schwere Hypothek für die SPÖ, die das Auffälligkeiten Ruder in wenigen Monaten nicht herumreißen konnte. Zumal gemäß der Umfragen auch die SPÖ- In Oberösterreich finden Gemeinderatswahlen Spitzenkandidatin hier keine Zugkraft erzeugen jeweils im gleichen Jahr wie die Landtagswahlen konnte. Sie war für die Befragten nur das drittwich- statt. Außerdem gibt es seit 1997 eigene Bürger- tigste Motiv, sozialdemokratisch zu wählen. Wich- meister:innenwahlen. Umso mehr fällt auf, dass tiger waren den Befragten die inhaltlichen Positio- die SPÖ 2021 bei den gleichzeitig abgehaltenen nen der SPÖ und Gewohnheit „Ich wähle immer Gemeinderats- und Bürgermeister:innenwahlen diese Partei“. weitaus besser abgeschnitten hat als bei den Land- tagswahlen. Ähnlich wie das Bundesland Steiermark ist auch Oberösterreich ein besonderer Fall von ,,Swings- Bei den Bürgermeister:innen-Prozenten lag sie tate‘‘, was sich an unberechenbaren, knappen oder mit landesweit knapp 29 Prozent mehr als zehn überraschenden Wahlergebnissen festmachen lässt. Zwar wechseln nicht laufend die Mehrheits- Prozentpunkte über dem Ergebnis der Landtags- verhältnisse, aber oberösterreichische Wahlergeb- wahl. Auch bei den Gemeinderatswahlen eroberte nisse zeigen oftmals spätere nationale Trends an sie Platz zwei (mit 27,1 Prozent) - mit großem Vor- oder fungieren als ,,Stimmungstest’‘. sprung vor der FPÖ. Und das nicht zum ersten Mal: Auch bei früheren Wahlen schnitt die Landespartei wiederholt deutlich schlechter ab als der Schnitt Zusätzlicher Ballast, der schwer auf der Landes- der kommunalen Kandidat:innen. Die SPÖ ist also SPÖ lastet, ist die Schwäche der Bundespartei. Seit dem Abgang von Spitzenmann Christian Kern nach wie vor in der Lage, Wähler:innen an sich zu 2018 hat die Bundes-SPÖ nicht mehr richtig Wind binden. unter die Flügel bekommen, und konnte sich we- der das Corona-Debakel der Bundesregierung noch Und doch stellt sich die Frage: Woran liegt es, dass den Abgang von Kanzler Sebastian Kurz zunutze die Partei auf der kommunalen Ebene so viel besser machen. Es liegt auf der Hand, dass unter diesen abschneidet als bei der Landtagswahl? Warum sind Umständen auch die SPÖ in Oberösterreich nur die kommunalen Kandidat:innen in ihren lokalen schwer an Attraktivität zulegen kann. Kampagnen so viel überzeugender im Vergleich zur Landespartei? Wie kommt es, dass die Partei vor Auch Politikwissenschaftler:innen gehen davon Ort und im Nahkontakt erheblich viel mehr Ver- aus, dass die SPÖ in Oberösterreich „strukturell trauen und Unterstützung erfährt als auf der über- diejenigen Wähler:innen kriegt, die sie ungefähr regionalen Ebene? Und warum lässt sich dieser auch im Bund kriegt. Auch die Stärke ist durch den Zuspruch vor Ort nicht auf die größere (Landes-) Bundestrend determiniert“. Die Analyse eines Poli- Bühne übertragen? tikwissenschaftlers: „Es ist ein gänzlich unspekta- kuläres Ergebnis.“ Es ist jedenfalls offensichtlich, dass es der SPÖ nicht gelingt, sich den gemeinsamen Wahltermin von Landtags-, Bürgermeister:innen- und Gemein- Seite 12
GEMEINSAM VORAN deratswahlen nutzbar zu machen. Zum einen sind und Wels), die SPÖ in neun Gemeinden (darunter die besseren Kommunalwahlergebnisse im Ver- Steyr) und die FPÖ in drei Gemeinden. gleich zu den Landesergebnissen signifikant, zum anderen hat der gemeinsame Wahltermin 2021 Auffällig ist auch die unterschiedliche Wahlbetei- schon zum dritten Mal in Folge keinen Mehrwert ligung. Große Städte wie Linz, Wels und Steyr wie- für die Landespartei erbracht. sen eine signifikant geringere Wahlbeteiligung auf als kleinere Gemeinden. Das zeigt zweierlei: Die im Auf Gemeindeebene blieb die ÖVP vor allem in den urbanen Raum stärkeren Parteien wie die SPÖ ha- ländlichen Regionen stimmenstärkste Partei und ben es nicht geschafft, Wähler:innen ausreichend ist in insgesamt 367 von 438 Gemeinden am stärks- zu mobilisieren. Zum anderen ergibt sich für die ten vertreten. Die SPÖ wurde in 58 Gemeinden ÖVP ein struktureller Vorteil, der erstmal aufge- stärkste Partei, darunter Linz, Steyr und umliegen- holt werden will. Bei solch gravierenden Unter- de Gemeinden, aber auch in einigen Kommunen schieden in der Wahlbeteiligung hilft es auch nicht, im dünnbevölkerten ländlichen Süden Oberöster- dass mehr als die Hälfte der Oberösterreicher:in- reichs. In Wels und in acht weiteren Gemeinden nen im urbanen Raum beheimatet ist. wurde die FPÖ stimmenstärkste Partei. Lokalpar- teien setzten sich in vier Gemeinden durch. Städtischer Ländlicher Bereich Bereich Das Ergebnis der Gemeinderatswahlen in Ober- Linz 63,69% österreich (bei einer leicht niedrigeren Wahl- Wels 63,95% beteiligung von 72,04 Prozent im Vergleich zur Steyr 65,89% Gemeinderatswahl 2015 mit 78,72 Prozent) fiel fol- Mayrhof 89,47% gendermaßen aus: St. Veit im 88,68% Innkreis 2021 2015 Differenz Rutzenham 92,73% ÖVP 40,17% 39,60% +0,57% FPÖ 16,96% 22,26% -5,30% SPÖ 27,12% 27,63% -0,51% Grüne 8,75% 6,75% +2,00% Die (potenziellen) NEOS 1,22% 1,04% +0,18% MFG 1,27% 0% +1,27% Wähler:innen der SPÖ (Gegründet 2021) Eine hohe Zufriedenheit mit dem Landeshaupt- Auf Landesebene sind die regionalen Unterschiede mann, eine geringe Arbeitslosenquote und ge- weniger deutlich ausgeprägt, dafür fällt die Diffe- nerell eine fehlende Wechselstimmung - die SPÖ renz zwischen ÖVP und SPÖ umso größer aus: Bei hatte bei der Landtagswahl 2021 keinen leichten der Landtagswahl war die ÖVP in 426 von 438 Ge- Stand. Das Thema Arbeit entwickelte nicht die er- meinden die stimmenstärkste Partei (darunter Linz hoffte Zugkraft und die Wähler:innen fanden nur Seite 13
GEMEINSAM VORAN Grafik 6: Wahrnehmung der Parteien in Oberösterreich. Quelle: INTEGRAL Markt- und Meinungsforschung, Oktober 2020, n=800. zu einem kleinen Teil, dass die SPÖ „die passenden für die SPÖ hätten abgeben sollen. Zukunftspers- Konzepte für die Zukunft“ in der Schublade hat. pektiven wurden jeweils nur für die eigenen - ent- Am gravierendsten war aber der Befund, dass nur weder lokalen oder gewerkschaftlichen Ziele - for- elf Prozent der Wähler:innen der SPÖ attestierten, muliert. Offensichtlich fehlt also ein gemeinsames dass sie „weiß, was sie will“. themenspezifisches Fundament, eine überzeugen- de Vision für die Zukunft Oberösterreichs. Dieses In die gleiche Problemkategorie gehört auch die Fundament zu errichten, ist auch im Wahlkampf Antwort auf die Frage nach den wichtigsten Nicht- 2021 nicht gelungen. wahlgründen des SPÖ-Potenzials, nämlich dass die Partei „zu wenig klar in ihren Forderungen ist“. Dennoch, so ermittelten die Wahlforscher:innen, gibt es nach Ansicht der Oberösterreicher:innen Es gab für viele Wählende 2021 also keinen Grund, einige Themen, mit denen sich die Landespolitik ihre Stimme der SPÖ zu geben. Und so wählte in den nächsten Jahren beschäftigten sollte: allen nur ein Drittel des eigentlichen SPÖ-Potenzials voran Wirtschaft und zukunftsfeste Arbeitsplätze, auch tatsächlich die Sozialdemokratie, 21 Prozent gefolgt von Gesundheit und Pflege sowie Klima- stimmten für die ÖVP, 13 Prozent für die Grünen. und Umweltschutz. Auch nach den zahlreichen Gesprächen, die die Arbeitsgruppe geführt hat, ließ sich kein einziger von allen geteilter Grund herausdestillieren, war- um die Menschen in Oberösterreich ihre Stimme Seite 14
GEMEINSAM VORAN Grafik 7: Zentraler Grund, nicht die SPÖ zu wählen (SPÖ Potenzial). Quelle: SORA Oberösterreich Nachwahlanalyse, November 2021. Grafik 8: Wie hat das SPÖ Potenzial bei der LTW gewählt? Quelle: SORA Oberösterreich Nachwahlanalyse, November 2021, n=1.463. Seite 15
GEMEINSAM VORAN Grafik 9: Die wichtigsten Themen September 2021 – Vergleich zu Mai/Juni 2021. Quelle. IFES Blitzumfrage LTW 2021, September 2021, n=838. Trotz der geringen Arbeitslosigkeit in Oberöster- Besonders Grüne-Wählende schreiben der SPÖ reich haben rund 30 Prozent der Wählenden im Kompetenzen im Bereich der Arbeit zu. Deshalb SPÖ-Potenzial Angst vor einem möglichen Verlust könnte es hier künftig sinnvoll sein, insbesondere ihrer Arbeit. Der SPÖ ist es durchaus gelungen, Grünen-Sympathisant:innen sozialdemokratische ihre Kompetenz rund um das Thema Arbeit heraus- Konzepte gegen den Fachkräftemangel und für zuarbeiten, nicht zuletzt beim engagierten Kampf eine moderne Arbeitswelt anzubieten. für den Erhalt der MAN-Arbeitsplätze in Steyr. Das gilt aber darüber hinaus für das gesamte SPÖ- Gleichzeitig offenbart sich bei diesem Thema aber Potenzial: Selbst die Sympathisant:innen sind ein Dilemma: Während sich im ersten Lockdown mehrheitlich der Ansicht, die SPÖ reagiere zu spät in Oberösterreich, bei dem viele Arbeitnehmer:in- auf die Veränderungen in der Arbeitswelt und habe nen von Kurzarbeit betroffen waren, der drohende den Kontakt zur arbeitenden Bevölkerung verloren. Stellenabbau noch als Mobilisierungsthema für die SPÖ erwiesen hatte, entspannte sich die Situation Ganz offensichtlich ist es im Wahlkampf also nicht nach dem Ende des Lockdowns rasch wieder. gelungen, Themen der modernen Arbeitswelt und einer modernen Industriepolitik ausreichend und Das Thema verlor an Zugkraft, das anhaltende Rin- in der gebotenen Klarheit zu präsentieren. Beste- gen um die vermeintlich gefährdeten Arbeitsplät- hende Wähler:innenschichten konnten mit diesem ze erschien wenig glaubhaft. Wie bereits erwähnt Thema zwar angesprochen, aber keine neuen Wäh- geht es in Oberösterreich eher darum, offene Stel- ler:innen hinzugewonnen werden. Für die Zukunft len zu besetzen als neue Arbeitsplätze zu schaffen. muss also gelten, diese Themen nicht nur wieder Seite 16
GEMEINSAM VORAN Grafik 10: Meinungen zur SPÖ ÖÖ ,,Arbeit und Werte‘‘ (SPÖ Potenzial). Quelle: SORA Nachwahlanalyse, November 2021, n=838. stärker in den Fokus zu rücken, sondern auch eine ve Prägung der oberösterreichischen Seele, die klare sozialdemokratische Handschrift erkennbar nach wie vor die Frau eher am Herd und in der werden zu lassen. Dabei sollte es nicht nur um Ar- Kindererziehung verortet als an einem Schalt- beitsplatzsicherheit gehen, die überwiegend nicht pult oder gar im Management eines Unterneh- das Kernproblem ist, sondern das Thema Arbeit mens. Auch wenn sich das Rollenbild in den sollte als Ganzes in den Blick genommen werden. jüngeren Generationen nach und nach wandelt, ist auch ein gegenläufiger Trend zu beobachten Dazu gehören: - eine Retraditionalisierung. Dieser Konflikt wird - Die ökologische Transformation, die ob der ho- in den nächsten Jahren ebenfalls an Relevanz ge- hen Bedeutung der Stahl- und Metallindustrie, winnen und die SPÖ mit ihrem Selbstverständ- der Fahrzeugindustrie sowie der Chemie- und nis als progressive Partei ist gut beraten, schon Papierindustrie in Oberösterreich in den nächs- heute ihr Wertekorsett zu diesem Thema klar zu ten Jahren mit Sicherheit noch bedeutsamer definieren. werden wird. - Das vergleichsweise hohe Durchschnittsalter - Die Rolle der Frau in der modernen Arbeitswelt, in Oberösterreich, wodurch es zukünftig auch was nicht nur als Thema der Gendergerechtig- darum gehen wird, neue Arbeitskräfte für die keit verstanden werden sollte, sondern auch als expandierenden Unternehmen zu gewinnen. ein volkswirtschaftliches. Bieten Frauen doch ei- Neben einer höheren Frauenerwerbsquote muss nen großen Pool an Fachkräften, der bisher nicht das Bundesland auch für Zuzüge aus Europa (und ausreichend genutzt wurde. Ein durchaus maß- darüber hinaus) offen sein. Der Wettbewerb um geblicher Grund hierfür ist die eher konservati- die besten Köpfe wird in den wachstumsstarken Seite 17
GEMEINSAM VORAN Regionen Europas längst entschlossen geführt. das Thema Gesundheit und Pflege für die Schluss- Für diese Themen sollte die SPÖ einerseits eine mobilisierung von besonderer Relevanz hätte sein klare Haltung und Position entwickeln, ander- müssen. seits passgenaue Integrationskonzepte gerade in den Kommunen erarbeiten. Das Thema wurde vor allem von der Corona-Pan- - Die Frage der Mobilität, die in Zukunft noch rele- demie angetrieben, wobei sich deutliche Versäum- vanter werden wird. Insbesondere für die Anbin- nisse im Wahlkampf zeigten: dung und Mobilität in den ländlichen Regionen - Im Sommer 2021 sanken die Infektionszahlen sind sozialverträgliche und nachhaltige Konzep- und es machte sich Hoffnung breit, Corona in te gefragt. den Griff zu bekommen. Das machte es zu Be- - Und letztlich auch die Frage steigender Lebens- ginn des Wahlkampfs nahezu unmöglich, das haltungskosten, die für normale Arbeitneh- Thema zuzuspitzen, ohne als „Spaßbremse“ oder mer:innen zu bewältigen sein müssen. „Spielverderber:innen“ zu gelten. - Mit Ausnahme der MFG waren die unterschied- All diese Themen sind hochemotionale Themen, lichen Positionen der Parteien zu den Corona- die neben handfesten politischen Maßnahmen Maßnahmen aber nicht weit genug voneinander auch Fragen der Identität betreffen. Sie sind nicht entfernt, als dass es ein Reibungsthema hätte rein rational abzuarbeiten, sondern erfordern in werden können. der Konzeption und Umsetzung eine gewisse Em- pathie - Anforderungen, die in der Kampagne nur - Innerhalb der SPÖ gab es keine Einigkeit dar- über, wie eine angemessene Strategie zur Be- unzureichend gelungen sind. kämpfung der Pandemie aussehen könnte: Während sich die Bundesvorsitzende später im Bei genauerer Betrachtung der SPÖ-Potenzial- Jahr für eine allgemeine Impfpflicht aussprach, gruppen wird schließlich auch klar, dass vor allem Grafik 11: Wichtigste Themen nach SPÖ-Potenzialen. Quelle. IFES Blitzumfrage LTW 2021, September 2021, n=838. Seite 18
GEMEINSAM VORAN lehnte die Spitzenkandidatin im Land eine Impf- lute Quereinsteigerin in das eher unübersichtliche pflicht für bestimmte Berufsgruppen ab. System der SPÖ Oberösterreich hineinwagt und - Die Bevölkerung befürwortete mehrheitlich die als Parteivorsitzende zum ersten Mal den heiligen Maßnahmen der Landesregierung und beschei- Gral des Landesparteivorstands betritt. nigte ihr insgesamt eine gute Performance wäh- rend der Pandemie: Während etwas mehr als ein Zitat: „Die Birgit ist durchaus angenehm vom Drittel der Wählenden mit dem Vorgehen der Persönlichkeitsbild her. Aber sie polarisiert Landesregierung während der Krise nicht ein- kaum. Sie ist einfach zu wenig politisiert im Ver- verstanden war, attestierte beinahe jede:r zehn- gleich zur ÖVP, die ihrerseits hochprofessionell te Wahlberechtigte der Landesregierung ein sind.“ „sehr richtiges“ und über 50 Prozent immerhin ein „eher richtiges“ Vorgehen. Die Zufriedenheit Entschlossenheit, Mut und ausreichend Überzeu- war besonders unter ÖVP-Wähler:innen hoch, gung, die Partei nach einer schweren Krise wieder aber auch unter Wähler:innen der anderen Par- in die Spur des Erfolges zu führen, waren also vor- teien vorhanden (zum Beispiel SPÖ: 54 Prozent handen. Allerdings: Wer sich nach einer erfolgrei- „sehr“ oder „eher gutes“ Vorgehen). Ausnahmen chen Managementkarriere entscheidet, das Risiko stellten hier die FPÖ-Wähler:innen (60 Prozent einzugehen und in die Politik zu wechseln, ohne „sehr“ oder „eher falsches“ Vorgehen) und die die wirklichen Taschenspielertricks schon in den MFG-Wähler:innen (77 Prozent „sehr“ oder „eher Jugendverbänden oder anderen Funktionen der falsches“ Vorgehen) dar. Organisation erlebt zu haben, braucht ein starkes Netzwerk und tatkräftige Unterstützung, in jedem Fall aber ein gutes, erfahrenes und möglichst auch diverses Team. Dazu gehören von Beginn an, in der Die Spitzenkandidatin heißen Wahlkampfphase aber ist es unerlässlich, Kommunikations- und Strategieexpert:innen, im In jedem Wahlkampf spielen Spitzenkandidat oder besten Fall auch gut vernetzte Spin-Doktor:innen, Spitzenkandidatin eine zentrale Rolle. Sie können die die Botschaften des:der Kandidat:in auf allen mit ihrem Charisma und ihrer Rhetorik, mit ihrem Kanälen ausspielen können. Erfolgsnachweis oder auch purer Überzeugungs- kraft organisatorische Schwächen der Kampagne Daran jedoch fehlte es in der Kampagne 2021. oder ein wolkiges inhaltliches Programm jederzeit Soweit nachvollziehbar hat es Birgit Gerstorfer wettmachen. Deshalb kommt dem Sichtungspro- auch versäumt, sich unmittelbar nach der Wahl zess, der Kandidat:innensuche und schließlich dem zur Parteivorsitzenden mit der Partei, ihren nur Nominierungsverfahren vor jeder Wahl eine ganz nach innen spürbaren Strömungen, Animositäten, besondere Bedeutung zu. Netzwerken und Narben aus früheren Konflikten vertraut zu machen. Sie versäumte es, intensiv auf Wer wie Birgit Gerstorfer, am 6. Juni 2016 das Risi- die Bezirke, deren Geschäftsführer:innen, die SPÖ- ko eingeht, völlig kurzfristig SPÖ-Parteivorsitzen- Bürgermeister:innen und Vorfeldorganisationen de und damit auch Mitglied der Landesregierung in zuzugehen. Jedenfalls wurde es dort nicht so wahr- Oberösterreich zu werden, muss aus besonderem genommen, in zahlreichen Interviews kam dieses Holz sein. Das gilt umso mehr, wenn sich eine abso- Defizit zutage, so dass auch in der Kampagne die Seite 19
GEMEINSAM VORAN Anbindung an die Bezirke und damit an die Partei- Auffällig war aber auch, wie sich das Parteiestab- basis fehlte. lishment während der Kampagnenaufstellung und -umsetzung und schließlich im Umfeld der Wahl Zitat: „Die Birgit muss in allen Bezirken präsent selbst überwiegend in sicherer Entfernung auf- sein und nicht nur in ihren ‚Lieblingsbezirken’.“ hielt, um nur möglichst nicht mit der absehbaren Niederlage in Verbindung gebracht zu werden. Zudem gibt es in Österreich die Tradition, nach ge- scheiterten Regierungen vermeintlichen Expert:in- Ein besonderes, systemisches Handicap kam hin- nen die Regierungsgeschäfte anzuvertrauen. Das zu: Die Verfassung in Oberösterreich sieht vor, Bild, das damit von den Regierenden gezeichnet dass alle Parteien, die im Landtag vertreten sind, wird, blendet aus, dass das Regierungsgeschäft in auch an der Landesregierung zu beteiligen sind. Rathäusern, in Landes- und Bundesregierungen Das sorgt für Einbindung und schafft, aus Sicht der sehr umfassende Anforderungen an die Amtsinha- dominierenden Regierungspartei, auch friedliche ber:innen stellt, darunter Management-Skills, die Ruhe. Zumal der Landeshauptmann auch die jewei- schnelle Durchdringung von komplexen Themen, lige Funktion der Landesrät:innen festlegt. rhetorische und kommunikative Kompetenzen, Netzwerkbildung, mediale Kenntnisse und andere Für die politische Kommunikation, für das Heraus- Fähigkeiten mehr. arbeiten sozialdemokratischer Konturen und für das persönliche Profil wäre es aber allemal vorteil- Manche dieser Anforderungen sind auch in Unter- hafter, diese Herausforderer:innen-Rolle als Partei- nehmen gefragt, allerdings unter anderen Vorzei- vorsitzende/r, Klubobmann oder auch als Bürger- chen. Auch deshalb, nicht zuletzt um die eigenen meister:in einzunehmen. Nur mit einer gehörigen Defizite zu kompensieren, ist gerade für Seite- Portion Beinfreiheit hat der:die Kandidat:in über- neinsteiger:innen in der Politik ein gut geknüpftes, haupt die Chance, unverfälscht und auch mal kom- verlässliches Netzwerk von elementarer Bedeu- promisslos Stellung zu beziehen und den politi- tung. schen Gegner zu attackieren. In kleinen, überschaubaren Formaten erwies sich Aus diesem Dilemma, Mitglied der Landesregie- Birgit Gerstorfer als überzeugende Spitzenkan- rung zu sein und im Wahlkampf, um erkennbar zu didatin - gewinnend, fachkundig, präsent, die mit werden, gleichzeitig den eigenen Chef attackieren ihrer Fachkenntnis und Argumenten durchaus den zu müssen, kam die Spitzenkandidatin nicht her- Eindruck vermitteln konnte, Oberösterreich in eine aus. bessere Zukunft führen zu können. Nicht mehr ganz so kraftvoll wirkte sie vor größe- rem Publikum, wo schnell klar wurde: Sie ist keine Menschenfängerin, keine Volkstribunin, sie ver- sucht vor allem, mit ihrer persönlichen Biographie, mit ihrer Berufs- und Lebenserfahrung zu über- zeugen. Das wiederum erwies sich, wie das Wahl- ergebnis offenbarte, nur in Teilen als erfolgreich. Seite 20
GEMEINSAM VORAN Die Kampagne sind einige zentrale und klärende Grundsatzdis- kussionen nur oberflächlich geführt worden. Wie abgestimmt und zielführend die Zusammenarbeit Aufstellung und Verlauf zwischen Kommission und externen Dienstleis- Die SPÖ Oberösterreich hat mit der Verpflichtung ter:innen (Agenturen) verlief, ließ sich im Nachhi- des erfahrenen Wahlkampfstrategen Georg Brock- nein nur schwer verifizieren. Klar ist jedoch, dass meyer sicher einen überzeugenden Griff getan. dieser Prozess nicht konfliktfrei abgelaufen ist, und Der Landesgeschäftsführer hat schon bei manchen auch das Wahlergebnis lässt Schlüsse zu. Wahlkämpfen bewiesen, dass er auch in kompli- zierten Lagen erfrischende Kampagnen auf- und umsetzen kann. Zitat: „Die Frage der Wahleinschätzung, warum wir auf einmal auf Platz zwei und einen zweiten Landesrat als Ziel ausgegeben haben, haben Dennoch lief bei der Kampagne 2021 für die SPÖ wenige verstanden.“ Oberösterreich nicht alles rund. Dafür spricht schon das Wahlergebnis. Das Wahlziel vor der FPÖ auf Platz zwei zu landen wurde zwar nur knapp ver- In keinem Fall ging die Hoffnung in Erfüllung, den fehlt, aber auch die Zahl der absoluten Stimmen Landeshauptmann durch Attacken und eine an- ging noch einmal zurück. Ganz offensichtlich trifft schließende kritische Berichterstattung zu Fehlern die Landes-SPÖ nicht mehr das Lebensgefühl einer zu bewegen. Auch die Schlussmobilisierung, um breiten Mehrheit in Oberösterreich, und dieses wenigstens die Stammwähler:innen an die Urnen Defizit war auch im Verlauf der Kampagne 2021 zu bringen, hat nicht gegriffen. Die Gründe hier- nicht zu beheben. für sind nicht sofort offensichtlich. Aus der De- moskopie ergibt sich der Eindruck, dass Themen Die Wahlkampfkommission war personell so auf- und Motivation der Funktionär:innen für einen gestellt, dass an der Entwicklung und Steuerung Schlusssprint nicht mehr ausgereicht haben. der Kampagne die wesentlichen Machtblöcke der Partei beteiligt waren, wobei das starke Überge- wicht männlicher Strategen auffällt. Das engere Zitat: „Wir haben viele gehabt, die in der Gale- Wahlkampfteam bestand aus der Spitzenkandida- rie gesessen sind und uns nur zugeschaut haben, tin, dem Landesgeschäftsführer, Andreas Stangl, was wir machen.“ Renate Heitz, Charly Schaller, Peter Binder, Micha- el Lindner und den Dienstleister:innen. Dennoch Natürlich hatten die Einschränkungen durch Coro- war der Ansatz naheliegend, und möglicherweise na Einfluss auf die Planung und Umsetzung ganz gehen von dieser Runde doch Impulse für die zu- klassischer Kundgebungen. In einer Reihe von In- künftige Aufstellung der Partei aus. terviews kam dieses Fehlen des ältesten aller Wahl- kampfinstrumente zur Sprache. Allerdings waren Auf Grund der Pandemie fanden die Arbeitsmee- dieser Einschränkung auch die anderen Parteien tings der Wahlkampfkommission überwiegend on- unterworfen. line statt. Dieses Handicap hat zweifellos den Pro- zess des teambuildings erschwert, und vermutlich Umso auffallender war die Konzentration auf einen Seite 21
GEMEINSAM VORAN modernen Wahlkampf mit Hilfe der sozialen Netz- wahlentscheidend“ und wegen hoher Kosten aus- werke. Auch die Großflächenwerbung wurde eini- sortiert worden. So dümpelten die Landes- und die germaßen präzise auf Basis der Zielgruppenanaly- Kommunalkampagnen in vielen Gemeinden nur se ausgesteuert. mangelhaft koordiniert nebeneinanderher. Völlig unbeobachtet war die Kampagne mit ei- Vor allem aber gab es, zumindest von außen be- nem kleinen Buch über Birgit Gerstorfer eröffnet trachtet, keine erkennbare Strategie. Viele fragten worden. Ziel war es, den Wählenden nicht nur die sich, wofür die SPÖ - jenseits einzelner, nicht in- Politikerin, sondern vor allem den Menschen Bir- einandergreifender Themen - eigentlich kämpfte. git Gerstorfer näher zu bringen. Der Autor hatte Eine durchgängige Erzählung, eine Gesellschafts- einen ganzen Tag mit ihr verbracht, sie beobach- idee von Oberösterreich im Jahr 2030, eine Idee tet und daraus eine subjektive Beschreibung der zum Beispiel, die die Stadt-Land-Gegensätze über- Person Gerstorfer formuliert. Abgefasst war das brückt, die Arbeitswelt von morgen skizziert und Werk, und das ist eher ungewöhnlich, in der Ich- dabei die ökologischen Herausforderungen integ- Erzählung. Herausgekommen ist ein kurzes, sehr riert, war nicht erkennbar. Erkennbar waren ledig- persönliches Bändchen, das sich in wenigen Minu- lich drei Themenschwerpunkte. ten lesen lässt, quasi eine Art Nachtlektüre. Ziel im Wahlkampf war es, es Interessierten als Give-Away Thema Arbeit in die Hand zu drücken. „Wir kämpfen um Arbeitsplätze“ - so lautete einer der Slogans der Kampagne. Das mag in der An- Das Buch verfehlte sein Ziel, zum einen, weil die fangsphase des Wahlkampfs, als viele Oberöster- Corona-Pandemie die Verteilung erschwerte; und reicher:innen durch den Lockdown um ihren Job zum anderen, weil das darin beschriebene Rollen- bangten, sinnvoll gewesen sein - in einem Land mit bild, vor allem aber Gerstorfers Blick auf die Ar- quasi Vollbeschäftigung entwickelt das langfris- beitswelt bei den Funktionär:innen von Partei und tig aber nur wenig Zugkraft. Natürlich war Steyr Gewerkschaften Diskussionen auslöste. Trotz der mit dem drohenden Stellenabbau bei MAN eine mangelnden Bekanntheit des Buches war der Start Ausnahme. Hier hat das Thema vorübergehend der Kampagne damit eher verunglückt, da Geld und durchaus mobilisiert, was nicht zuletzt daran zu er- Energie in ein Projekt geflossen waren, das für die kennen war, dass es gelang, tausende von Arbeit- Wähler:innenansprache eher ungeeignet war. Vor nehmer:innen auf die Straße zu bringen und vor allem aber, und das ist viel entscheidender, hatte dem Werksgelände zu demonstrieren (mehr war sich Birgit Gerstorfer damit frühzeitig in Teilen der für die SPÖ an Handlungsspielraum auch kaum ge- eigenen Partei als die Wahlkampflokomotive, die geben). sich manche:r erträumt hatte, aus dem Rennen ge- nommen. Weitere SPÖ-Forderungen lauteten: 40.000 öf- fentlich finanzierte neue Arbeitsplätze, gleichzeitig Hinzu kamen organisatorische Mängel. Materialien Arbeitszeitverkürzung, die Erhöhung des Arbeits- kamen zu spät und Giveaways, die manche Orts- losengelds und ein 1.000- Euro-Konsumgutschein, verbände als Türöffner im Straßenwahlkampf ger- 1.700 Euro Mindestlohn und eine sechste Urlaubs- ne gehabt hätten, waren in der Zentrale als „nicht woche für alle. Aber es stellt sich doch die Frage: Seite 22
GEMEINSAM VORAN Worum geht es hier genau? Um die Schaffung von Arbeitsplätzen? Die Absicherung von Arbeitslo- sen? Die Verbesserung der Arbeitsbedingungen? Nicht nur die Finanzierung des Mammutpakets blieb unklar. Das Thema fügte sich ins Bild, das die SPÖ ingesamt während der Kampagne vermittelte: Eine Partei mit erheblichem Nachholbedarf, wenn es um die Klarheit der Position geht. Und noch we- niger klar wird es, wenn man sich die direkte Ge- genüberstellung der SPÖ-Forderungen und dem Angriff auf schwarz-blau anschaut: Insgesamt scheint das Thema Arbeit im Verlauf der Kampagne nur im Ansatz funktioniert zu haben, womöglich auch, weil der Kandidatin nicht ausrei- chend Profil attestiert wurde. Selbst in den eigenen Reihen waren die Genoss:innen von der Kompetenz der Spitzenkandidatin nicht durchweg überzeugt. Zitat: „Birgit kommt aus dem Bereich, wo man keine Arbeit mehr hat. Industriepolitik ist aber was anderes. […] In dem Bereich sind wir schwach.“ Allerdings zeigten sich viele Interviewpartner:in- nen auch durchaus selbstkritisch. Sie wissen um die Bedeutung des Themas für die Sozialdemokra- tie, beobachten aber zugleich den Mangel an inter- ner Kompetenz in diesem für die Partei so wichti- gen Feld. Zitat: „Wie sieht die Arbeitswelt der Zukunft in Oberösterreich aus? Was braucht es da? Wir sind nicht mehr in der Lage, das klar zu artikulieren.“ Ebenfalls wenig stringent erscheint die Argumen- tation beim „Kämpfen für Klima & Arbeit!“. Sie Zum Beispiel die Arbeitszeitverkürzung war eine lässt Wählende ebenfalls mit einem Potpourri aus auch intern umstrittene Forderung. Wie soll ein Forderungen zurück: Thema dann nach außen Durchschlagskraft ent- Seite 23
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