Kolumbiens Frieden und Venezuelas Krise
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SWP-Aktuell Einleitung Stiftung Wissenschaft und Politik Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit Kolumbiens Frieden und Venezuelas Krise Wie sich in Südamerika eine regionale Krisenlandschaft aufbaut Günther Maihold Trotz aller politischen Versuche, den kolumbianischen Friedensprozess und die inneren Verwerfungen in Venezuela voneinander zu isolieren, deuten viele Anzeichen darauf hin, dass sich beide Entwicklungen zunehmend verknüpfen. Krisenkonstellatio- nen eines prekären Friedens in Kolumbien und einer autoritären Erstarrung in Vene- zuela drohen ineinander überzugehen. Es gibt die begründete Sorge, dass dadurch neue Gewaltdynamiken entstehen. Die beiden Nachbarländer in den Anden sind durch ideo- logische Konfrontation, Grenzkonflikte, illegale Gewaltakteure, Migrationsströme, Dro- genökonomie und wirtschaftlichen Austausch so eng miteinander verbunden, dass sich die einzelnen Probleme sowohl innerhalb der beiden Länder als auch grenzüberschrei- tend kaum mehr voneinander trennen lassen. Dabei werden die Friedensbemühungen in Kolumbien durch die politische und wirtschaftliche Krise in Venezuela erheblich be- einträchtigt. Um nachhaltigen Schaden zu vermeiden, sind integrale Lösungen gefragt. Gestützt werden müssten sie nicht nur von den beiden Staaten selbst, sondern auch von der internationalen Gemeinschaft. Kolumbien und Venezuela sind durch den tät der verfassungsgebenden Versammlung laufenden kolumbianischen Friedenspro- und der von ihr anberaumten Präsident- zess eng miteinander verbunden. Die Regie- schaftswahlen gestritten (vgl. S. 5). rung in Caracas fungierte als Garant der Gegenseitige Vorwürfe und Drohungen Verhandlungen im kubanischen Havanna, belasten das bilaterale Verhältnis; die Kon- die nach mehr als fünf Jahren im November takte zwischen den Regierungen sind ein- 2016 zum Friedensschluss zwischen der gefroren. Es gibt Anlass zur Sorge, dass die kolumbianischen Regierung unter Präsi- Krise in Venezuela nach Kolumbien über- dent Juan Manuel Santos und der Spitze der schwappen und den noch jungen Friedens- FARC-Guerilla führten. Doch trotz dieser prozess dort zusätzlich erschweren oder gar Unterstützung prägen zahlreiche Konflikte gefährden könnte. Zum einen ist die Lage die Beziehungen zwischen beiden Ländern. an der gemeinsamen Grenze angespannt; Nun droht dabei eine neue Eskalationsstufe zum anderen steigen die Lasten für Unter- – und zwar im Kontext der politischen Krise halt und Versorgung venezolanischer Mig- in Venezuela; dabei wird über die Legitimi- ranten in Kolumbien. Dort werfen die im Prof. Dr. Günther Maihold ist Stellvertretender Direktor der SWP SWP-Aktuell 13 Februar 2018 1
März 2018 anstehenden Parlamentswahlen rungsmission eingesetzt worden; diese hat und die im Mai nachfolgenden Präsident- die Phase, in der Waffen eingezogen und schaftswahlen ihre Schatten voraus. Die abtransportiert wurden, zeitverzögert am nationale Versöhnung ist belastet, denn 25. September 2017 abgeschlossen. durch den Wahlkampf wächst abermals die Doch die wirtschaftliche, soziale und Polarisierung zwischen Anhängern und politische Reintegration der demobilisier- Gegnern des Friedensschlusses. ten Kämpfer kommt nur schleppend voran, Außerdem steht die kolumbianische ebenso die Überwachung der vereinbarten Regierung unter Druck der USA, die Koka- Sicherheitsgarantien. Auch Attentate belas- Produktion im Land – die wieder gestiegen ten den Prozess; im Jahr 2017 wurden über ist – zu bekämpfen. Der Kokain-Export in 75 ethnische und soziale Führungspersön- die Vereinigten Staaten und auf den euro- lichkeiten sowie Vertreter von Menschen- päischen Markt verläuft über Transitwege, rechtsgruppen ermordet. Übergriffe auf die durch Venezuela führen; die Macht- ehemalige FARC-Kämpfer gefährden das strukturen dort werden so noch weiter kor- notwendige Vertrauen, dass sie sich erfolg- rumpiert. Teile des Militärapparats und der reich in die Gesellschaft eingliedern lassen. politischen Elite Venezuelas sind nachweis- Zudem haben sich nach Schätzungen von lich in den Drogenhandel involviert und Beobachtern zwischen 150 und 800 ehe- werden von US-Behörden strafrechtlich ver- malige Kämpfer von der Organisation los- folgt. Kriminelle Post-Konflikt-Strukturen in gesagt, um auf eigene Rechnung kriminelle Kolumbien wiederum (bestehend aus ehe- Geschäfte zu betreiben. Ein entsprechen- maligen FARC-Kämpfern und wiederbewaff- des Betätigungsfeld ist der Drogenhandel neten Paramilitärs) bieten Anreize, sich wei- und -anbau. Die dafür genutzte Fläche in ter am Drogengeschäft zu beteiligen. In der Kolumbien wuchs zwischen 2015 und 2016 Grenzregion und darüber hinaus beschä- um 52 Prozent. Nach Berechnungen des digt dies nachhaltig den kolumbianischen UN-Büros für Drogen- und Verbrechens- Friedensprozess, weil bestehende Gewalt- bekämpfung (UNODC) dürfte sich damit die verhältnisse sich nicht überwinden lassen. Kokain-Produktion im Land um 34 Prozent erhöht haben. Dagegen kommt das von der Regierung aufgesetzte Programm zur Sub- Kolumbiens fragiler Frieden stitution von Drogenanbau (PNIS) nicht Seit das Friedensabkommen für Kolumbien voran. Angestrebt wird, 100 000 Hektar in Kraft getreten ist, sind die Kämpfer der vormals für die Koka-Produktion genutzter FARC-Guerilla erfolgreich demobilisiert Flächen umzuwidmen; bislang ist dies nur und entwaffnet worden. Damit hat der Frie- für 5 Prozent davon gelungen. Gerade in densprozess eine neue Phase erreicht. Jetzt der Grenzregion zu Venezuela (Catatumbo/ geht es um die (Re-) Integration der knapp Cúcuta) kommt es zu Unruhen und Stra- 7000 Kämpfer in das soziale Leben des Lan- ßenblockaden, für die Koka-Bauern und des. Der »territoriale Frieden« wird so zur venezolanische Migranten verantwortlich zentralen Dimension des staatlichen Han- gemacht werden. delns. Weitreichende Prozesse lokaler Ver- Die kolumbianische Regierung steht söhnungs- und Entwicklungsforen müssen nicht nur deshalb unter Druck, den Frie- angestoßen werden, um ein friedliches Zu- densprozess dynamischer umzusetzen, weil sammenleben auf der Grundlage von Über- zu hohe Erwartungen enttäuscht worden gangsjustiz, Schuldanerkennung, Amnestie- wären. Tatsächlich haben sich die materiel- prozessen und politischer Partizipation zu len Lebensbedingungen verschlechtert. Viel- ermöglichen. Die UN unterstützen die neue fach sind grundlegende Zusicherungen aus Etappe durch eine zweite vom Sicherheits- dem Friedensabkommen unerfüllt geblie- rat mandatierte Mission. Mit dem Friedens- ben. Eines der zentralen Probleme ist der schluss war zunächst eine UN-Verifizie- Zeitverzug im Handeln von Regierung und SWP-Aktuell 13 Februar 2018 2
Parlament. Verzögerungen gab es nicht nur rung von Kolumbiens politischen Kräften dabei, die notwendigen Gesetze zur Transi- schwierig werden dürften. tionsjustiz (Justicia Especial para la Paz) in Der Wahlkampf trägt ein Übriges dazu Kraft zu setzen und die entsprechenden bei, den Konsens für den Friedensschluss zu Richter zu bestellen. Ebenso mangelt es an beeinträchtigen. So erhitzt eine ideologi- administrativen Kapazitäten, mit denen sche Auseinandersetzung um den soge- sich eine staatliche Präsenz in den vormals nannten »castro-chavismo« die Gemüter. von der Guerilla kontrollierten Gebieten Es geht dabei um das Szenario, dass in entwickeln ließe. Eingeschränkt sind auch Kolumbien »venezolanische Verhältnisse« die finanziellen Möglichkeiten, um Vertrie- entstehen könnten, weil die FARC als poli- bene und Ex-Kämpfer zu integrieren. Nötig tische Partei die Wahlkampfarena betritt. dafür wären Wirtschaftsförderung, Infra- Ein solches Zerrbild zeichnen Teile der struktur-Investitionen und Produktivprojek- konservativen Opposition. Demnach steht te zum Anbau von Agrarerzeugnissen und zu befürchten, dass Mangelversorgung zur Gründung von Kleinunternehmen. Dass eintritt, Privateigentum abgeschafft wird, solche Angebote fehlen, stellt die Nachhal- politische Gegner strafrechtlich verfolgt tigkeit der Demobilisierung in Frage. Damit werden und das Militär unterwandert steigt wiederum die Gefahr, dass Ex-Kämp- wird – Phänomene also, die mit dem sozio- fer in die Kriminalität abwandern. Nicht ökonomischen Niedergang und den poli- zuletzt wird so auch die ohnedies prekäre tischen Verwerfungen im Nachbarland Unterstützung der Bevölkerung für den assoziiert werden. Friedensprozess weiter geschwächt. Die Krise Venezuelas ist insofern unmit- Im November 2017 endete der »fast track« telbar Teil der inneren Konflikte in Kolum- zur erleichterten Verabschiedung zahlrei- bien; sie verstärkt dort die Polarisierung im cher Gesetze, die Teil des Friedensabkom- Streit um Inhalt und Gültigkeit des Frie- mens sind. Nun folgt das legislative Verfah- densabkommens. Zu erwarten ist, dass sich ren endgültig der Logik des beginnenden damit die politische wie rechtliche Inter- Wahlkampfs in Kolumbien. Von den 24 Ge- pretation des Abkommens nach innenpoli- setzesinitiativen, die unter der Sonderrege- tischen Prioritäten richten wird und der lung realisiert werden sollten, gelang dies Friedensprozess austrocknet. Bereits jetzt nur bei zehn zentralen Regelungsvorschlä- beklagt die FARC (nicht zu Unrecht), dass gen der Regierung. Vollständig gescheitert die Regierung bei der Umsetzung einzelner ist die politische Reform zur Neuordnung Elemente in Verzug sei und sich daher die der Wahlbezirke in den ehemaligen FARC- innere Logik des Abkommens erheblich Gebieten. Eine Vielzahl an liegengebliebe- verschiebe. Dies gilt nicht zuletzt für die nen Gesetzesvorhaben, die sich aus dem Eingliederung der demobilisierten Kämp- Friedensabkommen ergeben, dürfte auf die fer. Sie haben nach UN-Angaben bereits zu lange Bank geschoben werden. Denn im 55 Prozent die vorgesehenen »Räume der Kontext des beginnenden Wahlkampfs hat Wiedereingliederung« verlassen; weil staat- sich die Regierungsfraktion von Präsident liche Angebote für Reintegration und Aus- Santos aufgelöst; die Folge sind wechselnde bildung fehlen, suchen sie ihr Auskommen Mehrheiten im Parlament. Überdies werden auf eigene Faust. verabschiedete Gesetzte noch vom Obersten Gerichtshof geprüft, was ihr Inkrafttreten weiter verzögert. Damit gewinnen institu- Friedensverhandlungen mit ELN stocken tionelle und politische Kalküle die Oberhand Am 9. Januar 2018 lief der Waffenstillstand gegenüber dem Friedensziel der Regierung aus, den die kolumbianische Regierung mit Santos. Dieser bleiben noch sieben Monate der weiterhin bewaffnet agierenden ELN- im Amt, die angesichts der Neuorientie- Guerilla geschlossen hatte. In der ecuado- rianischen Hauptstadt Quito wurde darüber SWP-Aktuell 13 Februar 2018 3
verhandelt, die Vereinbarung zu erneuern. eingewandert; hinzu kommen kolumbiani- Doch diese Gespräche sind mittlerweile aus- sche Remigranten. Für den Fall, dass sich gesetzt, weil ELN-Kämpfer demobilisierte die wirtschaftliche Krise im Nachbarland FARC-Angehörige sowie Polizeistationen zuspitzt, wird mit einem dramatischen An- und Angehörige der Sicherheitsorgane an- stieg der Migrantenzahl gerechnet. Insge- gegriffen hatten. samt sollen bereits 1,2 Millionen Venezola- Derzeit ist schwer vorstellbar, dass ein ner aus wirtschaftlichen oder politischen erfolgreicher Friedensprozess mit der ELN Gründen nach Kolumbien gekommen sein. bis zum Ende der Amtszeit von Präsident Die Versorgung dieser neuen Bevölkerungs- Santos möglich wird. Die ELN ist ein sehr gruppe bereitet zunehmend logistische und viel schwierigerer Verhandlungspartner als soziale Probleme; anti-venezolanische Reak- die FARC, und ihre dezentrale Organisa- tionen sind bereits erkennbar. tionsstruktur erfordert langwierige interne Die Migration geht einher mit Turbulen- Abstimmungsprozesse. Zugleich hat das zen an der rund 2200 Kilometer langen kolumbianische Militär seine Aktionen Grenze zwischen beiden Ländern. Hier zei- gegen die ELN verschärft; das Misstrauen gen sich erste Gewaltkonflikte. Wirtschaft- zwischen den Verhandlungspartnern dürfte liche Krisen haben immer wieder – zuletzt dadurch weiter wachsen. Auch will sich die im August 2016 – zur Schließung der sechs Regierungsseite im Wahlkampf nicht dem offiziellen Grenzübergänge geführt. Dane- Vorwurf aussetzen, eine zu nachgiebige ben bestehen aber noch 288 informelle Haltung einzunehmen. Die ELN operiert Übergänge; die Grenze muss als porös gel- unter anderem in Grenzgebieten zu Vene- ten. Legale und illegale Geschäfte prägen zuela. Dort entsteht so weiterer Zündstoff die Grenzregion ebenso wie die staaten- in einer ohnehin komplexen Situation. übergreifende Lebensweise indigener Grup- Denn an Kolumbiens Grenzen überlagern pen und gemeinsame ökologische Heraus- sich kriminelle Aktivitäten, Guerilla-Vor- forderungen. Von zentraler Bedeutung ist stöße und massive Bevölkerungsbewegun- das Thema Grenzsicherheit. Die Sicherheits- gen durch Migration. lage ist komplex, weil in diesem Gebiet ver- schiedene Problemfaktoren zusammen- treffen: massive Migrationsströme, Transit- Migrationsdruck und Grenzsicherheit routen des Drogenhandels, Rückzugsgebie- Die problematische Lage an der kolumbia- te der ELN-Guerilla und ein wachsender nisch-venezolanischen Grenze ist ein zen- Schwarzhandel zwischen den Ländern. trales Element der neuen Krisenlandschaft Gerade in Wahlzeiten lässt sich die Frage im nördlichen Andenraum. Angesichts der des Grenzmanagements innenpolitisch humanitären Notsituation in Venezuela instrumentalisieren, wie die Vergangenheit suchen große Bevölkerungsteile einen Aus- gezeigt hat. Die Interessen von Guerilla- weg aus ihrer prekären Lage, indem sie Gruppen, wiedererstarkten Paramilitärs nach Kolumbien und Brasilien auswandern. und kriminellen Organisationen sind in Vor allem Richtung Kolumbien sind massi- vielfältiger Weise mit formellen und infor- ve Migrationsbewegungen in Gang gekom- mellen Instanzen an der Grenze bzw. in der men, die das friedliche Zusammenleben be- Grenzregion verwoben – darunter Kontroll- einträchtigen. Damit haben sich die Vorzei- einrichtungen auf beiden Seiten, Militär chen vergangener Zeiten umgekehrt – in und venezolanische Stoßtrupps. Der Migra- den Jahren des Ölbooms ab 1970 waren vie- tionsdruck eröffnet hier noch zusätzliche le Kolumbianer nach Venezuela emigriert, Konflikt-Konstellationen, ebenso weitere um dort bessere Lebenschancen zu finden. Möglichkeiten auf dem Feld illegaler Wirt- Nach Angaben der kolumbianischen Re- schaft. Da keine gemeinsame Grenzpolitik gierung sind in den vergangenen 18 Mona- der beiden Regierungen in Sicht ist, droht ten über 600 000 Personen aus Venezuela das Problem außer Kontrolle zu geraten. SWP-Aktuell 13 Februar 2018 4
Durch gezielte Übergriffe oder fahrlässige nierte Benzin in Venezuela, das kolumbia- Aktionen von Grenzpolizei und Militär nische Käufer anlockt. Umgekehrt bestehen kann die Lage leicht eskalieren. Es bedarf in Venezuela bei Lebensmitteln und Medi- dringend beiderseitiger Mechanismen zur kamenten dramatische Versorgungsengpäs- Krisenintervention, damit sich die Konflikte se, die täglich den kleinen Grenzverkehr in an der Grenze nicht verselbständigen und Richtung Kolumbien anschwellen lassen. mögliche Kettenreaktionen vermieden Dadurch wiederum werden auf kolumbia- werden. nischer Seite etwa die Gesundheitsinfra- struktur und die Güterversorgung in grenz- nahen Orten erheblich belastet. Folgen für die Wirtschaftsentwicklung Zunehmend wird der Handel mit Kraft- Das Verhältnis zwischen Kolumbien und stoff, Vieh, Lebensmitteln, Gold und Men- Venezuela ist aufgrund vielfacher Sensibi- schen über Schmuggel und Schleichhandel litäten und Interdependenzen politisch organisiert. Pro Tag sollen Waren im Wert schwer zu managen. In den bilateralen Be- von einer Million US-Dollar über die grüne ziehungen kommt es leicht zur Konfronta- Grenze gelangen. Neue Paramilitärs, Kämp- tion, wenn interne Schwierigkeiten auf das fer der ELN sowie chavistische Kollektive jeweilige Nachbarland projiziert werden. konkurrieren um die Kontrolle der Grenze, Bevor in Caracas unter Präsident Hugo über die auch eine der wichtigsten Transit- Chávez 2009 die Ära einer restriktiven Wirt- routen für den internationalen Kokain- schaftspolitik begann, war Venezuela der Handel verläuft. Übergriffe der venezolani- zweitwichtigste Handelspartner Kolumbi- schen Streitkräfte auf das Gebiet des Nach- ens (nach den USA). An die venezolanische barlandes sind an der Tagesordnung. Solche Seite wurden Industrieprodukte und in Aktionen sollen dem Eindruck entgegen- wachsendem Umfang auch Grundnah- wirken, dass Venezuela immer weiter aus- rungsmittel geliefert. 2007 setzte Kolum- blutet. bien 17 Prozent seines Außenhandels mit Venezuela um; 2016 betrug dieser Wert gerade noch 0,5 Prozent. Erschwert wird Venezuelas anhaltende Krise der Handel durch den Umstand, dass die Wohl in keinem anderen Staat Lateiname- venezolanische Regierung drei offizielle rikas gibt es derzeit eine so große Zahl an Dollarkurse unterhält, zu denen noch der sich überlagernden Krisen wie in Venezue- Schwarzmarktkurs kommt. Viele kolum- la. Das Land steht am Rand der Zahlungs- bianische Firmen – zuletzt die Fluglinie unfähigkeit, die Bevölkerung ist einem Avianca – haben ihre wirtschaftliche Tätig- humanitären Notstand ausgesetzt, und die keit im Nachbarland eingestellt, weil sie politische Situation ist geprägt durch eine beim Umtausch der venezolanischen Wäh- Gleichschaltung der Machtzentren, die rung in US-Dollar massive Verluste erlitten. offen autoritären Mustern folgt. Soeben Wachsende Asymmetrien zwischen bei- erklärte Präsident Nicolás Maduro, dass den Ländern beeinträchtigen die wirtschaft- jene Oppositionsparteien, die die Kommu- liche Entwicklung. In Venezuela gibt es nalwahl am 10. Dezember 2017 boykottiert eine staatlich gelenkte Planwirtschaft; hatten, nicht zu den Präsidentschaftswah- Kolumbien betreibt eine an offenen Märk- len am 20. Mai 2018 zugelassen würden. ten orientierte Wettbewerbspolitik. Ange- Venezuela ist in hohem Maße von seinen sichts dieser unterschiedlichen Wirtschafts- Ölvorkommen abhängig; 96 Prozent der systeme sind Ungleichgewichte nicht zu Deviseneinnahmen gehen auf Ölexporte vermeiden. Massive Preisdifferenzen bei zurück. Daher haben die niedrigen Ölpreise strategischen Gütern erzeugen eine unmit- eine massive Krise der Staatsfinanzen be- telbare Nachfrage über die Grenze hinweg. wirkt. Das Land will nun offenbar auch Dies gilt etwa für das staatlich subventio- nicht mehr seine Kredite bedienen; es ver- SWP-Aktuell 13 Februar 2018 5
liert so Bonität auf den internationalen der rohstoffgebundenen Kryptowährung Kreditmärkten und kommt einem Staats- »Petro«; sie wäre die erste staatliche Digital- bankrott immer näher. Die Inflation in währung. Der Krypto-Petro soll stark an den Venezuela beziffert der IWF für das Jahr Ölpreis gebunden sein, garantiert durch 2017 auf 2400 Prozent, bei einer Schrump- Venezuelas riesige Öl- und Gasvorkommen fung der Wirtschaft um 12 Prozent. Die sowie die Gold- und Diamantenreserven des Verschuldung beläuft sich auf 120 Milliar- Landes. Wie es im White Paper zu seiner den US-Dollar – mit hohen Rückzahlungs- Einführung heißt, soll sich der Petro für quoten in den kommenden zehn Jahren. Investitionen, Spareinlagen und zum zwi- Dabei schlagen insbesondere die Kredite des schenstaatlichen Finanztransfer nutzen nationalen Ölkonzerns PDVSA zu Buche, lassen. Gleichzeitig soll die Währung allen denn dieser muss über die umfangreichen Bürgern dazu dienen, Steuern und natio- Ölvorkommen als Garant für das fehlende nale Dienstleistungen zu bezahlen. Durch Staatsbudget eintreten. Derweil verfällt der ihre Bindung an den jeweils aktuellen Öl- Produktionsapparat rasant, weil Investitio- preis soll der Inflationsdruck reduziert und nen ausbleiben. Wurden Ende der 1990er eine größere Unabhängigkeit vom US-Dollar Jahre in Venezuela pro Tag noch 3,2 Millio- erreicht werden. nen Fass Rohöl gefördert, so lag die Produk- Am 20. Februar 2018 beginnt der ein- tion im Oktober 2017 bei nur noch 1,9 Mil- monatige Vorverkauf für den Petro. Die lionen Fass täglich. Auch wenn Venezuela venezolanische Regierung erhofft sich da- mit 7 Prozent Marktanteil noch immer von den Zufluss frischen Kapitals, das zur drittgrößter Ölversorger der USA ist, so Stabilisierung der nationalen Wirtschaft decken die entsprechenden Dollar-Einnah- dienen soll. Geplant ist die Ausgabe von men nicht den Importbedarf des Landes. 100 Millionen Petro; damit würde das Land Unlängst wurde General Manuel Que- 100 Millionen Barrel an Erdölreserven ver- vedo zum Präsidenten der PDVSA ernannt. pfänden, um 5,9 Milliarden Dollar einneh- Die Berufung zeigt deutlich, wie stark der men zu können. Der Petro könnte dem venezolanische Herrschaftsapparat von An- Land so wieder Zugang zu den internatio- gehörigen des Militärs durchdrungen ist. nalen Finanzmärkten verschaffen. Aller- Den Streitkräften unterstehen auch die dings sind Zweifel angebracht, ob eine Ab- Verteilungssysteme für Lebensmittel und koppelung vom internationalen Ölmarkt Medikamente. Die wachsende »Militarisie- wirklich gelingen kann, der weiterhin an rung« des postchavistischen Systems lässt den US-Dollar gebunden bleibt. Interne erkennen, dass Präsident Maduro seine Verwerfungen im Land könnten den Petro Macht über die Sicherheitsorgane zu be- schnell in eine Abwärtsspirale führen, soll- wahren sucht. Diese werden gleichzeitig te der Zugriff auf Öl in Frage gestellt sein. zu den zentralen Pfeilern der staatsbezo- Das von Maduro kaltgestellte Parlament hat genen Wirtschafts- und Sozialprogramme. den Petro bereits als »verfassungswidrige Mit dem Niedergang des nationalen Pro- Schuldenaufnahme« bezeichnet, weil ihm duktionsapparates begibt sich das Land eine parlamentarische Zustimmung fehle. immer mehr in Abhängigkeit von externen Die politische Krise strahlt also auch auf Kreditgebern bzw. Staaten wie China, Russ- dieses neue Finanzierungsinstrument aus. land und Indien. Diese kaufen die wertlosen Schuldenpapiere auf und sichern sich so Einfluss auf Venezuelas Ressourcensektor Die Schwäche der Opposition sowie Anteile an den Ölreserven des Landes. Am 30. Juli 2017 wurde in Venezuela eine Mit immer neuen Tricks versucht Madu- verfassungsgebende Versammlung gewählt. ro, die Wirtschaft zu stabilisieren und die Damit hat sich Präsident Maduro ein Instru- Versorgungslage zu verbessern. Dazu ge- ment zur Durchsetzung seiner Interessen hört auch die angekündigte Einführung geschaffen. Die von der Opposition domi- SWP-Aktuell 13 Februar 2018 6
nierte Nationalversammlung wurde suspen- ter befördert werden. In nationalistischen diert; alle staatlichen Institutionen sind Aufrufen denunziert Maduro die Opposi- nun dem neuen Organ untergeordnet. tion, indem er ihr unterstellt, aus Washing- Durch eine taktische Kombination aus Re- ton und Bogotá ferngesteuert zu werden. pression und Verhandlung ist es Maduro Die Sanktionen der Trump-Administration gelungen, die Opposition aufzureiben und und die ablehnenden Positionen in Kolum- ihren Druck auf das Regime zu neutralisie- bien gegenüber seiner Regierung lässt ren. Das oppositionelle Bündnis Mesa de Maduro so als Bedrohung der nationalen Unidad Democrática (MUD) ist geschwächt; Souveränität erscheinen. ihre Anführer hat Maduro erfolgreich gegeneinander ausgespielt. Konnte die Opposition noch Mitte 2017 massive Handlungsoptionen in der Proteste organisieren, so ist sie heute kaum regionalen Krisenlandschaft mehr handlungsfähig. Die Problemagenda zwischen Kolumbien Grund dafür ist nicht zuletzt, dass die und Venezuela ist extrem komplex, viele Zivilgesellschaft sich aus dem politischen Konflikt-Konstellationen bedingen bzw. Leben zurückgezogen hat. Die Bevölkerung überlagern einander. Um durch diese Kri- glaubt nicht mehr daran, ihre Lage verbes- senlandschaft zu navigieren, bedarf es An- sern zu können, indem sie auf die Straße strengungen auf nationaler und regionaler geht. Damit haben die Oppositionsparteien Ebene. Positive Impulse aus Lateinamerika sowohl ihre institutionelle Basis als auch sind nicht zu erwarten, denn bestehende ihre gesellschaftliche Verankerung verlo- Mechanismen regionaler Krisenbewälti- ren. Umso stärker setzen sie nun auf Hilfe gung – wie etwa die Union Südamerikani- der internationalen Gemeinschaft, um ihre scher Nationen (UNASUR) – sind großteils Forderungen in Verhandlungen mit der verfallen; die Lima-Gruppe beschränkt sich Regierung (zuletzt in der Dominikanischen auf gemeinsame Erklärungen. Damit ist Republik) zu forcieren. Im Zentrum stehen die internationale Gemeinschaft gefordert. vier Punkte: Anerkennung der humanitä- Sie ist in der Region schon aktiv, durch ihr ren Krise durch die Regierung; Wiederein- Engagement in Kolumbiens Friedenspro- setzung der Nationalversammlung; Verein- zess ebenso wie durch (erfolglose) Vermitt- barung eines verlässlichen Wahlkalenders; lungsbemühungen in Venezuela. Gefragt Freilassung der 300 politischen Gefangenen. sind integrale Lösungen, welche die natio- Doch wurde auf diese Forderungen bisher nalen, binationalen und regionalen Dimen- nicht eingegangen. Die Opposition sieht sionen der Konfliktlage erfassen. sich einem unwilligen Regime gegenüber, Zunächst gilt es die ideologische Ver- das mehr auf Zeit spielt, als in ernsthafte krampfung in der kolumbianischen Innen- Verhandlungen einzusteigen. Kaum gehol- politik zu lösen. Derzeit findet jede politi- fen hat ihr auch die Lima-Gruppe – ein in- sche Wendung in Venezuela einen unmit- formeller Zusammenschluss von 14 ameri- telbaren Resonanzraum in der aufgeheizten kanischen Staaten, die auf ihrem jüngsten Wahlkampf-Atmosphäre Kolumbiens; dar- Treffen in Santiago de Chile die vorgezoge- unter leidet das bilaterale Verhältnis. Wird ne Präsidentschaftswahl in Venezuela ein- die Fixierung auf das negativ besetzte Bild hellig als »illegitim und wenig glaubwür- des Nachbarlandes nicht überwunden, dürf- dig« ablehnten. Ein Teil der venezolani- te es kaum gelingen, die Auswirkungen des schen Oppositionsparteien möchte mit der erstarrten Autoritarismus in Venezuela auf Regierung über die Wahlmodalitäten ver- den kolumbianischen Friedensprozess zu handeln, der Rest ist dagegen. Damit sind kontrollieren. Zahlreiche bilaterale Prob- die Chancen für ein geeintes Auftreten ge- leme liegen auf dem Tisch, die einer Bear- ring, und die zentrifugalen Kräfte dürften beitung bedürfen. Vor allem muss die durch das Taktieren der Regierung nur wei- Grenzregion befriedet werden. Weil sich SWP-Aktuell 13 Februar 2018 7
hier alte und neue Konflikt-Konstellationen ohnehin prekäre Friedensprozess könnte überlagern, ist die Gefahr besonders groß, damit noch stärker ins Stocken geraten, zu- dass Gewalt – unterschiedlicher Form – mal seitens der Zivilgesellschaft kein nach- aufflammt. Durch Investitionen in die haltiger Druck zugunsten einer Implemen- Infrastruktur müssten wirtschaftliche Im- tierung des Abkommens zu erwarten ist. pulse zur Wiedereingliederung ehemaliger Der internationalen Gemeinschaft ob- FARC-Kämpfer geschaffen werden. Sonst liegt es, zu verhindern, dass sich im kolum- droht die Gefahr, dass sie zu ELN-Kräften bianisch-venezolanischen Spannungsfeld oder zu kriminellen bzw. paramilitärischen die verschiedenen Krisenfaktoren gegen- Gruppen überwechseln, die im Grenzgebiet seitig aufschaukeln. Nötig ist vor allem der operieren. Regionale Versöhnungsforen Aufbau eines humanitären Korridors, der und Entwicklungsausschüsse müssen ihre in Venezuela der Versorgungsknappheit Arbeit schnell aufnehmen bzw. abschließen, bei Lebensmitteln und Medikamenten ent- um Bedingungen zu gewährleisten, unter gegenwirkt. Die Regierung Maduro ver- © Stiftung Wissenschaft und denen wirtschaftliche Dynamik in den bis- schließt sich bislang jedoch einer solchen Politik, 2018 lang marginalisierten Regionen entstehen Maßnahme. Deshalb wäre daran zu denken, Alle Rechte vorbehalten kann. Zudem gilt es, den Drogentransit entsprechende Hilfsgelder für venezolani- Das Aktuell gibt die Auf- nach Venezuela zu unterbinden; er eröffnet sche Bürger einzusetzen, die nach Kolum- fassung des Autors wieder. Zugang zu massiven Ressourcen und befeu- bien geflüchtet sind – auch wenn dadurch In der Online-Version dieser ert die politischen Auseinandersetzungen. kurzfristig ein zusätzlicher Impuls für ver- Publikation sind Verweise auf Gefordert sind hier vor allem die Sicher- stärkte Migration entstehen würde. andere SWP-Schriften und wichtige Quellen anklickbar. heitsorgane Kolumbiens; von venezolani- Die USA und die EU haben Sanktionen scher Seite ist derzeit keine Unterstützung gegen Venezuela verhängt. Diese Maß- SWP-Aktuells werden intern einem Begutachtungsverfah- zu erwarten, da sich Teile des dortigen Mili- nahmen sind dazu angetan, die Kosten zu ren, einem Faktencheck und tärs selbst am Drogengeschäft beteiligen. erhöhen, welche die Regierung Maduro für einem Lektorat unterzogen. Weitere Informationen Die Wahlen, die 2018 in beiden Ländern ihren Kurs zu tragen hat. Dies gilt für den zur Qualitätssicherung der anstehen, versprechen gegenwärtig keine Zugang des Landes zu Krediten auf dem SWP finden Sie auf der SWP‐ nachhaltigen Impulse für einen Wandel der internationalen Finanzmarkt, aber ebenso Website unter https://www. swp-berlin.org/ueber-uns/ konfrontativen Beziehungen. Venezuelas für persönliche Ressourcen, die Vertreter qualitaetssicherung/ schwache Opposition wird den gleichge- des Regimes meist im Ausland geparkt Stiftung Wissenschaft und schalteten Institutionen des Landes wenig haben. Doch diese Sanktionswirkung ist Politik entgegensetzen können, sollte es erneut zu nur eine Seite der Medaille. Nötig wäre Deutsches Institut für Internationale Politik und Wahlbetrug kommen. Auch wenn die inter- auch der Anreiz, dass die Kosten sinken Sicherheit nationale Gemeinschaft den Wahlgang werden, sollte das Land zu demokratischen Ludwigkirchplatz 34 nicht als legitim anerkennt, dürfte das Re- Verhältnissen zurückkehren. Auf dem Weg 10719 Berlin gime in Caracas in der Lage sein, seine Herr- dorthin müsste unter Beteiligung der Oppo- Telefon +49 30 880 07-0 schaft aufrechtzuerhalten – ungeachtet der sition ein Transitionsplan formuliert wer- Fax +49 30 880 07-100 www.swp-berlin.org prekären Lebensbedingungen eines Groß- den, der sowohl Elemente einer wirtschaft- swp@swp-berlin.org teils der Bevölkerung. Dass Andersdenken- lichen Anpassungspolitik enthält als auch ISSN 1611-6364 de weiter mit Verfolgung rechnen müssen, vorsieht, die verschiedenen Gewalten des zeigt eine neue Verordnung, durch die poli- Landes wieder in geregelter Weise funktio- tische Kritik zum »Hassverbrechen« erklärt nieren zu lassen. Dabei wären auch Fragen und so zu einem Delikt gemacht wurde. Zu- nationaler und internationaler Strafverfol- gleich setzt die Regierung darauf, dass die gung zu klären, die für Gefolgsleute des Ölpreise anziehen und ihr so wieder grö- Maduro-Regimes von zentraler Bedeutung ßere finanzielle Spielräume zur Verfügung sind. Hier dürfte ein Ansatzpunkt liegen, stehen. In Kolumbien deutet sich ein um die verschiedenen Handlungsebenen Wahlsieg jener Kräfte an, die das Friedens- sinnvoll miteinander zu verknüpfen, so abkommen kritisch sehen und sich im dass sich die venezolanisch-kolumbianische Wahlkampf von Venezuela abgrenzen. Der Krisenlandschaft integriert bearbeiten lässt. SWP-Aktuell 13 Februar 2018 8
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