Kompetenz mit Verspieltheit verbinden - Buch Bloggerinnen und Blogger sind Geburtshelfer für Neuerscheinungen. Sie machen die Bücher im Internet ...

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Kompetenz mit Verspieltheit verbinden - Buch Bloggerinnen und Blogger sind Geburtshelfer für Neuerscheinungen. Sie machen die Bücher im Internet ...
SCHWERPUNKT

     Kompetenz mit
 Verspieltheit verbinden
             Buch-Bloggerinnen und -Blogger sind Geburtshelfer für Neuerscheinungen.
       Sie machen die Bücher im Internet mit ihren Besprechungen sichtbar – kostenlos und
          in ihrer Freizeit. Warum tun sie das? Und welche Bedeutung hat das Bloggen für
                      die Literatur heute, in Zeiten von Podcasts und Instagram?

           «Blog» – das ist ein Zusammenzug der Begrif­             beziehbare Audio- und Videobeiträge, zunehmend
           fe «Web» und «Logbuch» und bezeichnet eine Art           die Literaturblogs ablösen. Die Grenzen zwischen
           Internet-Tagebuch, das beinahe so alt ist wie das        den Gefässen der Literaturvermittlung verschwim­
           Internet selbst. Den ersten Blog schrieb der Physi­      men allerdings zunehmend. Eva Wischnitzky, Buch­
           ker Tim Berners-Lee, der 1989 am CERN in Genf            händlerin bei El Liesyum in Thalwil: «Ich orientie­
           das World Wide Web begründete und sich ab 1990           re mich querbeet überall, fliege wie ein Staubsauger
           mit anderen Wissenschaftlern über neue Erkennt­          überall durch und schnappe auf, was gelesen wird
           nisse austauschte. Seither gehören Blogs zur DNA         und werden muss. Und meine Fühler sind an sehr
           des Internets – auch deshalb, weil es dank kostenlo­     vielen Orten. Aber ich bleibe nur hängen, wenn es
           sen Anbietern wie WordPress äusserst einfach ist,        mich wirklich interessiert.»
           einen eigenen Blog zu gestalten und neue Beiträ­
           ge hochzuladen. Wie viele Blogs es weltweit gibt,        «Die Literaturkritikerin»
           weiss niemand. Allein auf WordPress, Tumblr              Ein klassischer Buch-Blog ist wie ein Cocktail an
           und Google’s Blogger werden rund 600 Millionen           der Lieblingsbar: Hochprozentiges in smoother
           Blogs betrieben. Thematisch geht es dabei um alles,      Ausführung. Einer klassischen Feuilleton-Kritik
           ­worum es gehen kann – von der Gartenarbeit bis zu       in Print oder Radio muss ein Blog nicht nachste­
            Autos. Und um Bücher. Der Buch-Blog «Lesestun­          hen. SRF-Literaturkritikerin Annette König stellte
            den» führt eine Topliste der deutschen Buch-Blogs       ihren Buchpräsentationen im Radio seit fünf Jah­
            und kommt auf sage und schreibe 952 Einträge. Die       ren einen Buch-Blog zur Seite, wo sie in süffigen
            Namen der Buch-Blogs sind Mini-Gedichte: Sie heis­      ­Häppchen und mit witzig inszenierten Selbstpor­
            sen «Weltenwanderer» (aktuell Platz 1), «Der Duft        träts die gelesenen Bücher nochmals etwas anders
            von Kaffee und Büchern» (Platz 2), «trallafittibooks»    aufbereitete. Letztes Jahr kippte SRF den Blog im
            (Platz 7) oder «Tintenhain» (Platz 9). Der Rangie­       Rahmen der Transformation aus dem Angebot. Nun
            rung liegt ein Tool zugrunde, das den Vernetzungs­       betreibt ihn Annette König auf privater Basis unter
            grad dieser Literaturblogs misst.                        neuem Namen weiter: «Die Literaturkritikerin». Der
                                                                     Name unterstreicht den Wert dieser kostenlos zur
           Blogs als Arbeitsinstrument                               Verfügung gestellten Feuilleton-Arbeit im Netz. Ihre
           Buch-Blogs sind in Deutschland viel verbreiteter als      Arbeit als Redaktorin bei SRF geht zunehmend in
           in der Schweiz, wo die Blogger-Szene doch recht           Richtung Literaturpodcasts. Warum hält A    ­ nnette
           überschaubar ist. In der Schweiz gibt es auch weni­       König auf Eigeninitiative am Bloggen fest – was fin­
           ger die Tradition, dass sich Buchhändlerinnen und         det sie so wichtig daran? «Ein Blog erlaubt noch­
           Buchhändler digital über neuste Trends austau­            mals einen anderen Umgang mit Büchern», sagt sie.
           schen. Fragt man bei Schweizer Buchhändlerinnen           «Man kann persönlicher und assoziativer über Lite­
           und Buchhändlern nach, bestätigt sich diese Ver­          ratur sprechen. Auch Wenigleser lassen sich leich­
           mutung: Unter sieben Angefragten nutzt niemand            ter begeistern für ein Buch. Zudem ist Bloggen auch
           Blogs regelmässig. Oft aus Zeitgründen, wie etwa im       ein wenig wie Geschichtenerzählen, sehr kreativ und
           Fall von Corina Friderich von der Leserei Zofingen:       persönlich.» Die Fotos auf ihrem Blog sind genau
           «Ich lese sehr selten Blogs, auch wenn ich sie mehr       das. Sie vermitteln immer einen Leseeindruck oder
           nutzen möchte, aber im Moment fehlt mir die Zeit          einen thematischen Zugang zum Buch: Man sieht
           dazu.» Carol Forster vom Bücherladen Appenzell            Annette König auf der Luftmatratze und im Schnee­
           liest hin und wieder «Perlentaucher», Vanja Hut­          sturm mit Buch. «Kompetenz mit Verspieltheit zu
           ter hört lieber Literaturpodcasts. Marianne Sax in        verbinden, ist die hohe Kunst des Bücher-Bloggens»,
           Frauenfeld glaubt, dass Podcasts, also über Internet      findet sie. Annette Königs neuster Coup: «Die Litera­

6 | Schweizer Buchhandel | Nr. 2 2022
Kompetenz mit Verspieltheit verbinden - Buch Bloggerinnen und Blogger sind Geburtshelfer für Neuerscheinungen. Sie machen die Bücher im Internet ...
SCHWERPUNKT

                                                                                                                                                                   FOTO: OSCAR ALESSIO / SRF
                                   Erfrischend
                              ­auf bereitete Buch­
                           rezensionen vom Radio-
                             Profi: Annette Königs
                             Buch-Blog läuft seit
                         ­diesem Jahr unter neuem
                              Namen und neuem
                                    Patronat.

                                     turkritikerin» wird neu von Pro Helvetia unterstützt.   ich das als Buchhändlerin machte, direkt und per­
                                     Ein starkes Signal, dass diese besondere Form der       sönlich.» Zweimal pro Woche verschickt sie ihren
                                     Literaturkritik nicht in jedem Fall in der Unbezahlt-   Newsletter an über 1000 Abonnentinnen und Abon­
                                     Ecke hängenbleiben muss.                                nenten, die Klickrate auf Neubesprechungen ist mit
                                                                                             45 bis 50 Prozent exzellent. Jede Woche kommen
                                     «Lesefieber»                                            etwa zwei neue Abo-Anfragen dazu. Sie liest mor­
                                     Manuela Hofstätters Blog «Lesefieber» gehört mit        gens von 8 bis 11.30 Uhr und nutzt diese Arbeit auch
                                     18 Jahren zu den ältesten der Schweiz und bietet        für ihre Engagements bei «Thun liest ein Buch»,
                                     ein Archiv mit über 1600 Buchbesprechungen. Als         als Mitglied der Literaturkommission des Kantons
                                     sie den Blog startete, arbeitete sie als Buchhändle­    Bern und in der Jury für den grossen Berner Litera­
                                     rin im Bücherperron Spiez, und sie führte Kartei­       turpreis. Dass sie unbezahlt bloggt, hätte sie in den
                                     kästen, wo sie ihre Buchempfehlungen und Lektüre­       18 Jahren immer wieder mal gewurmt, gibt sie zu.
                                     erlebnisse sammelte. «Ich fragte mich anfänglich,       Die Branche lebe nun einmal von engagierten Leu­
                                     warum ich als Buchhändlerin mit meinen Emp­             ten, die vieles aus Herzblut und kostenlos machen.
                                     fehlungen öffentlich gehen soll», erzählt sie. «Heu­    Ein kleines Sponsoring hat sie allerdings. Klopfen­
                                     te ist der Blog mit meinem Leben verschmolzen           den Herzens sei sie 2017 an die Verwaltungsrats­
                                     und nicht mehr daraus wegzudenken.» Die Berner          sitzung des Schweizer Bücherbons gereist, und sie
                                     Oberländerin arbeitet inzwischen nicht mehr in der      wurde zur offiziellen Botschafterin des Schweizer
                                     Buchhandlung, sondern präsentiert Neuerscheinun­        Bücherbons ernannt. Manuela Hofstätter bedeu­
                                     gen mit «Lesefieber on Tour» als Veranstaltung in       tet diese Anerkennung bis heute sehr viel. Als Bot­
                                     Bibliotheken in der ganzen Schweiz und an ande­         schafterin des Schweizer Bücherbons verschenkt sie
                                     ren Anlässen, und sie verleiht jedes Jahr die «Lese­    als Überraschung Bücherbons im Zug oder anders­
                                     fieber-Feder», einen eigenen Buchpreis. Dieses Jahr     wo, und auch ihre vielbeachtete Fotoserie von Lesen­
                                     gedenkt sie, ihn erstmals zu dotieren. Den Blog emp­    den im öffentlichen Verkehr, die sie seither auf Face­
                                     findet sie bis heute als ihr Standbein im Buchhandel:   book, Instagram und Twitter postet, hat sie nicht
                                     «Hier empfehle ich Bücher auf die gleiche Art, wie      zuletzt aus diesem Engagement heraus entwickelt.

                                                                                                                                      Manuela Hofstätter
                                                                                                                                     ist eine Pionierin der
                                                                                                                                  helvetischen Online-Kritik.
                                                                                                                                  Die gelernte Buchhändlerin
                                                                                                                                 gründete den Blog 2005 und
                                                                                                                                  ­bespricht durchschnittlich
FOTO: LUKAS HOFSTÄTTER

                                                                                                                                       7 bis 8 Bücher pro
                                                                                                                                             ­Monat.

                                                                                                                           Nr. 2 2022 | Schweizer Buchhandel | 7
Kompetenz mit Verspieltheit verbinden - Buch Bloggerinnen und Blogger sind Geburtshelfer für Neuerscheinungen. Sie machen die Bücher im Internet ...
SCHWERPUNKT
                  FOTO: PHILIPP FREI

                                                                                                                 Das Literaturblatt
                                                                                                              analog (links), mit Zeich-
                                                                                                             nungen und Rezensionen
                                                                                                          von Gallus Frei-Tomic: Seit ein
                                                                                                           paar Jahren verschickt Gallus
                                                                                                       ­Frei-Tomic seine «Literaturblätter»
                                                                                                         mit Rezensionen und Zeichnun-
                                                                                                          gen per Post an über 200 Lese­
                                                                                                           interessierte in Deutschland,
                                                                                                            ­Österreich, Frankreich und
                                                                                                                   in der Schweiz.

           «Literaturblatt»                                         denschaft, seit er am Lehrerseminar mit Literatur
           Das männliche Pendant zu Manuela Hofstätter in           in Berührung kam. «Bis ich 18 Jahre alt war, las ich
           der Schweiz ist Gallus Frei-Tomic, der sich eben­        keine Bücher», sagt er. «Ein Charakterkopf von Leh­
           falls seit Jahren verdient macht um die Präsenz von      rer holte mich einmal in sein Büro, zeichnete eine
           Büchern im Netz. «Literaturblatt» war ursprüng­          Schweizer Karte auf ein A4-Blatt und schrieb über­
           lich «analoges Bloggen», wie er es nennt. Das Lite­      all Namen grosser Schweizer Autorinnen und Auto­
           raturblatt analog, mit Zeichnungen und Rezensi­          ren hin. Dann sagte er: ‹Gallus, ein Lehrer liest.
           onen von Gallus Frei-Tomic, erscheint fünf Mal           Fang einmal hiermit an.› So wurde ich im Lehrer­
           pro Jahr in einer Auflage von 250 Exemplaren und         seminar zu einem exzessiven Leser und Sammler,
           kann abonniert werden. Er zeichnet und schreibt          der seine Samstage damit verbrachte, die Bücher­
           sie mit schwarzem Kugelschreiber. Rezensiert             antiquariate nach Schweizer Literatur des 20. Jahr­
           werden vier Bücher. «Auf meinen Blog schaffen            hunderts zu durchforsten.» Dieser Vorliebe für die
           es Bücher, die mir in irgendeiner Weise gefallen,        Schweizer Literatur sei er bis heute treu geblieben.
           die ich nicht einfach weglege», sagt er. «Bücher         Seine Initiationsgeschichte sei auch der Motor für
           auf meine Literaturblätter schaffen es nur, wenn         seinen aufwendigen Blog: «Wie bei einer Schatzsu­
           sie mir ganz besonders ans Herz wachsen.» Das            che legt man Fährten für eine unbekannte Leser­
           digitale Pendant, der «Literaturblatt»-Blog, ist eine    schaft aus, und mit einem Beitrag kann man ganz
           Schatztruhe mit Informationen zum Schweizer              wichtig werden für ein Buch, für eine Leserin, für
           Literaturbetrieb oder Porträts sowie Interviews mit      einen Leser, ohne es zu merken.»
           Autorinnen und Autoren aus dem In- und Aus­
           land. Gallus Frei-Tomic ist hauptberuflich Lehrer        «Kaffeehaussitzer»
           in Amriswil. Die Arbeit für «Literaturblatt» ist seine   Einer der besten Kenner der deutschsprachigen
           Freizeitbeschäftigung, die aber weit über ein Hobby      Buchblog-Szene ist Uwe Kalkowski in Köln. Seit
           hinausgeht: Er moderiert Literaturanlässe und ist        2013 bloggt der gelernte Buchhändler, leidenschaft­
           seit 2020 auch Programmleiter des Literaturhauses        liche Leser, Kaffeetrinker und heutige Eichborn-
           ­T hurgau. Literaturvermittlung ist seine grosse Lei­    Produktmanager über Bücher, die ihn begeistern.                           FOTO: ERA PRINZ

          Gestaltet wie
         ein edles Buch:
   ­«Kaffeehaussitzer» mit
    ­einladenden Rubriken
       zu Büchern, Cafés,
       Buchhandlungen.

8 | Schweizer Buchhandel | Nr. 2 2022
Kompetenz mit Verspieltheit verbinden - Buch Bloggerinnen und Blogger sind Geburtshelfer für Neuerscheinungen. Sie machen die Bücher im Internet ...
SCHWERPUNKT

           Sein Blog «Kaffeehaussitzer» arbeitet optisch mit       Uwe Kalkowski. «Jede Buchhandlung ist ein Schau­
           atmosphärischen Lese-Situationen aus Cafés und          fenster, in dem Bücher in der Öffentlichkeit präsen­
           veröffentlicht pro Monat circa vier Besprechun­         tiert werden. Wir leben im Paradies, in jeder Stadt
           gen oder Beiträge zum Thema Literatur. Auf dem          gibt es Buchhandlungen. Als Leser könnte ich mir
           «Lesestunden»-Ranking ist er auf Platz 4 unter 952      niemals vorstellen, meine Bücher woanders zu kau­
           deutschen Buchblogs gelistet. «Bloggen hat immer        fen als in einem der Buchläden meines Vertrau­
           etwas Subjektives und Spontanes», sagt er, «den­        ens – und schon gar nicht bei einem seelenlosen
           noch ist ein guter Buch-Blog eine vollständige Form     Online-Versandhändler aus Seattle.» Jede Buchbe­
           von Bücherkritik.» Er schätzt, dass sich 150 bis 200    sprechung in seinem Blog endet mit dem Hash­
           Blogs explizit und ernsthaft mit literarischer Bel­     tag #SupportYourLocalBookstore. Und der Beitrag
           letristik beschäftigen – seine persönlichen Tipps       «Wo ich Bücher kaufe. Und wo nicht.» gehört zu
           finden sich als Liste auf seinem Blog. Erstaunlich      den meistgelesenen und meistdiskutierten Tex­
           findet er, dass nicht mehr Buchhandlungen einen         ten auf «Kaffeehaussitzer». Dass heute viele Buch­
           eigenen Blog betreiben, wie zum Beispiel Hauke          händlerinnen und Buchhändler eher Instagram auf
           Hader, der den Blog «Leseschatz» als Teil des Auf­      dem Schirm haben als Buchblogs, findet er schade.
           tritts seiner Buchhandlung Almut Schmidt in Kiel        «Jeden Monat gibt es grandiose Buchbesprechun­
           führt. Uwe Kalkowski: «Eigentlich könnten Buch­         gen auf Blogs zu entdecken, und im Unterschied zu
           händlerinnen und Buchhändler ja nur ihre aktuel­        Instagram tauchen sie tiefer in das Inhaltliche ein.»
           len Empfehlungen aus dem Laden aufschreiben,                                                 PASCALE BLATTER
           und schon haben sie die Grundlage für einen Blog.»
           Oder eine Buchhandlung könne einen Partner-Blog
           suchen, damit Analoges und Digitales zusammen­
           kommt. «Buchhandlungen vor Ort sind eine Not­
           wendigkeit für literaturbegeisterte Menschen», sagt

Der doppelte Boden im Netz
                  Vor knapp drei Jahren gründete der Althistoriker Pascal Mathéus
         «Aufklappen – ­Literaturkritik». Auf dem Blog bespricht er mit zahlreichen anderen
             ­Akademikerinnen und Akademikern aktuelle deutschsprachige Literatur.
          Was treibt die jungen Gelehrten an, diesen Dienst am Buch kostenlos zu leisten?

Besucht man den Blog «Auf klappen»,           die aktuelle deutschsprachige Litera­
taucht man in eine Schatztruhe eines          tur gesamthaft in den Blick nimmt.
­digitalen Feuilletons ein, wo über Neu­      Weil ich das nicht allein angehen
 erscheinungen debattiert und Literatur­      konnte, suchte ich nach Mitstrei­
 kritik thematisiert wird. Sie sind           tenden. Heute sind wir 15 Leute,
 ­wissenschaftlicher Mitarbeiter an der       die Neuerscheinungen rezen­
  Universität Zürich. Wie kamen Sie zu        sieren, Interviews führen und
                                                                                                                                               FOTO: PRIVAT

  ­Ihrem aufwendigen Hobby?                   über das literarische Leben
   PASCAL MATHÉUS: Als ich den Blog           berichten.                                                            Pascal Mathéus
   vor drei Jahren gründete, veröffentlich­                                                                         ist Assistent am
                                                                                                               ­historischen Institut der
   te ich zunächst einzig meine eigenen       Marcel Reich-Ranicki war als                                  ­Universität Zürich. Er schreibt
   Literatur-Rezensionen. Es ging um den      ­Literaturkritiker ein Fernsehstar.                       ­seine Dissertation zu «Ironie bei
   Traum, Literaturkritiker zu werden. Ein     Wandert die Literaturkritik heute                      ­Herodot». Daneben betreibt er seit
                                                                                                      drei Jahren den Blog «Auf klappen –
   Idol von mir ist Marcel Reich-­Ranicki,     ­zunehmend ins Netz?                                      ­Literaturkritik». Seit Anfang Jahr
   von dem ich praktisch alles gelesen          Es gibt immer noch hochkarätige Lite­                     ­arbeitet der Althistoriker zudem
   habe und der durch Youtube nochmals          ratursendungen in den öffentlich-                             in der Buchhandlung zum
                                                                                                               Wetzstein in Freiburg im
   stark popularisiert wurde. Der Blog          rechtlichen Medien – zum Glück! Der                                     Breisgau.
   entstand aber auch aus einem Man­            Literaturclub in der Schweiz mit Nico­
   gel heraus. Mir fehlte ein Medium, das       la Steiner ist toll, Denis Scheck leis­

                                                                                                Nr. 2 2022 | Schweizer Buchhandel | 9
Kompetenz mit Verspieltheit verbinden - Buch Bloggerinnen und Blogger sind Geburtshelfer für Neuerscheinungen. Sie machen die Bücher im Internet ...
SCHWERPUNKT

tet kontinuierlich gute Fernseharbeit        Der Blog «Auf klappen» hat seit Kurzem       erhalten – kostenlosen, sehr guten Con­
fürs Buch, und das Literarische Quar­        eine Partnerbuchhandlung: die bekannte       tent. Denn sie finden dort von Enthu­
tett im deutschen Fernsehen wird bis         Buchhandlung zum Wetzstein in Freiburg       siasten mit Herzblut verfasste Buchbe­
heute von Leuten bestritten, die sich        im Breisgau. Sie arbeiten dort neuerdings    sprechungen. Und welchen Zugang ich
literarisch auskennen und rhetorisch         als Buchhändler. Wie kam es zum Sprung       empfehle? Man muss nur seinen Brow­
stark sind. Auch die Qualität im Radio       vom Netz in den Laden?                       ser öffnen. Die Türen stehen weit offen.
ist hoch, Carsten Ottes Sendungen            Als ich von Hamburg nach Freiburg zog,
etwa auf SWR2. Die SWR-Bestenlis­            kam mir zu Ohren, dass die Buchhänd­         Aber wie findet man denn als Buch­
te ist mein Lieblings-Literaturformat.       lerin Susanne Bader jemanden such­           händlerinnen und Buchhändler die Blogs,
Hier kommt mit 50 Kritikerinnen und          te, der sie in Social Media unterstützt.     die einen beruflich weiterbringen?
Kritikern aus Deutschland, Österreich        Ich meldete mich bei ihr, und es stellte     Man muss rausbekommen, wer die
und der Schweiz die wohl grösstmög­          sich heraus, dass unser Zugang zur Lite­     guten Leute sind. So wie Uwe Kalkow­
liche Expertise für deutschsprachi­          ratur sehr ähnlich ist. Die Zusammen­        ski, der das schon ewig macht und
ge Literatur zusammen. Die Litera­           arbeit hat sich dann intensiviert, und       jede und jeden kennt. Katharina Herr­
tur ist heute allerdings so vielfältig,      ich begann, auch im Sortiment mitzu­         mann und Marius Müller machen tol­
dass es nicht mehr ausreicht, nur das        reden. Nun zeichnet sich ab, dass mein       le Blogs, auch der Papierstau-Podcast
Feuilleton zum Massstab zu nehmen.           beruflicher Weg in Richtung Buchhänd­        leistet gute Arbeit. Oder Miriam Zeh,
Neuerscheinungen brauchen Stim­              ler geht. Im Augenblick sind wir in einer    die jetzt Redaktorin bei Deutschland­
men und Gegenstimmen sowie eine              ganz besonders tollen, aber auch heraus­     funk Kultur ist und selbst schon lang
Debatte, die Raum einnimmt. Dieser           fordernden Situation. Wir werden die         auf Social Media eigene Sachen macht
Raum fehlt heute zunehmend, weil es          Buchhandlung nämlich wieder räum­            und dort auch ganz junge Leute anspre­
immer mehr Neuerscheinungen gibt             lich vergrössern und das Sortiment aus­      chen will. Hat man mal seine eigenen
und immer weniger mediale Öffent­            weiten. Wir denken gemeinsam d    ­ arüber   Knotenpunkte gefunden, die einem ent­
lichkeit dafür. Und hier kommen Blogs        nach, wie wir die Tradition stärken und      sprechen, kann man von dort aus aus­
ins Spiel. Aber wiederum möchte ich          wo wir neue Wege beschreiten. Ausser­        schwärmen.
nicht verallgemeinern. Viele Zeitungen       dem sollen Blog und Buchhandlung                                     PASCALE BLATTER
leisten viel für die Literatur, auch klei­   bestmöglich miteinander verbunden
ne Regionalzeitungen. Leider hat man         werden.
aber auch oft den Eindruck, dass Inhal­
te mitunter nur noch pro forma abge­         In der Schweiz wurde in letzter Zeit der
arbeitet werden und es an Leidenschaft       Raum für Buchkritik am Radio verklei-
fehlt.                                       nert, Zeitungen werden zusammen­
                                             gelegt. Blogs – aber auch Podcasts –
Was macht Literaturkritik aus?               schaffen einen gewissen Ersatz …
Ein Kritiker, eine Kritikerin gibt ein       Ein Problem mit dieser Verschiebung
begründetes Urteil über ein Buch ab.         ist, dass es von bezahlter Arbeit zu unbe­
Lernen kann man den Beruf nicht. Aber        zahlter geht. Für die Verlage ist es toll,
wer nur ein Buch hinhält und sagt, wie       viele kooperieren auch gern mit uns und
toll es sei, macht keine Literaturkritik.    versorgen uns zum Beispiel mit Rezen­
Die Literaturkritikerin Sigrid Löffler       sionsexemplaren. Wir Blogger arbei­
nannte das mal «Stammtischgeschnat­          ten freiwillig und gern, aber eben auch
ter». Blogs stehen bei diesem Thema          kostenlos. Natürlich kann es indirek­
allerdings nicht schlechter da als das       ten Nutzen generieren: Mit einem Blog
Feuilleton. Man sieht, dass es überall       kann man sich profilieren, sein Portfolio
Qualitätsunterschiede gibt – im Print        erweitern oder für seine berufliche Qua­
genauso wie im Netz.                         lifikation beweisen, dass man auf Social
                                             Media fit ist. Doch ganz ehrlich: Ich wür­
 Literaturblogs definieren sich doch         de meine Arbeit lieber in einer Zeitung
 zum Teil darüber, dass sie persönlich       sehen, die alle Leute lesen oder durch­
 ­argumentieren. Das scheint mir ein         blättern. Die Frage ist, ob es so was noch
­fundamentaler Unterschied?                  gibt. Zumindest idealerweise funktio­
  In Blogs wird klassischerweise tage­       niert eine Zeitung noch mehr als öffent­
  buchartiger rezensiert. Die eigene         liche Arena als das Internet, wo viele in
  Leseerfahrung dient als Ausgangspunkt      ihren Bubbles verbleiben.
  für die Buchbesprechungen. Das sagt
  allerdings noch nichts über die Quali­      Wie können Buchhändlerinnen und
  tät der Kritik aus. Zudem gibt es auch      Buchhändler von Blogs profitieren?
  im Netz die klassisch argumentierende       Wie würden Sie ihnen den Zugang
  Literaturkritik wie im Print-Feuilleton.   ­empfehlen?
  So betreiben wir sie ja auch bei «Auf­      Buchhändlerinnen und Buchhändler
  klappen».                                   können auf Blogs zusätzlichen Content

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Kompetenz mit Verspieltheit verbinden - Buch Bloggerinnen und Blogger sind Geburtshelfer für Neuerscheinungen. Sie machen die Bücher im Internet ... Kompetenz mit Verspieltheit verbinden - Buch Bloggerinnen und Blogger sind Geburtshelfer für Neuerscheinungen. Sie machen die Bücher im Internet ... Kompetenz mit Verspieltheit verbinden - Buch Bloggerinnen und Blogger sind Geburtshelfer für Neuerscheinungen. Sie machen die Bücher im Internet ... Kompetenz mit Verspieltheit verbinden - Buch Bloggerinnen und Blogger sind Geburtshelfer für Neuerscheinungen. Sie machen die Bücher im Internet ... Kompetenz mit Verspieltheit verbinden - Buch Bloggerinnen und Blogger sind Geburtshelfer für Neuerscheinungen. Sie machen die Bücher im Internet ...
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