Diesseits Schauplatz Schweiz - Quinten lebt
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Schauplatz Schweiz Jenseits vom Diesseits Das Hauptverkehrsmittel von Quinten: Im 60-plätzigen Motorschiff »Alvier« fände die gesamte Einwohner- schaft von Quinten bequem auf einmal Platz Auf der Nordseite des Walensees liegt ein mediterran anmutender Ort: Quinten. Für Tagestouristen ist das Dorf das Paradies, für Einheimische manchmal eine Herausforderung. Jetzt soll sich in Quinten einiges ändern – und zwar, damit sich nicht alles von selbst ändert Text: Thomas Kaiser, Fotos: Christian Beutler/Keystone GEO 05 2018 1
D Quinten, ein kleines Schiff- fahrtszentrum: Hinter dem Hafen und dem Haus gestreut, wo die steilen Hänge der Churfirsten Zur alten Post, gerade noch etwas Platz bieten für Wiesland oder einem ehemaligen Rebbau, und wo Schutt und Schotter kleine Land- Gasthaus für zungen gebildet haben. Schiffsreisende, Die grösste Häusergruppe ist das sogenannte steht die St.-Bern- Dörfli. Eine Felswand weiter rechts folgen Au, hards-Kapelle. Schilt, Gand, Gändli, einen Rebberg weiter links Der Walensee ist Laui, Laueli, Tscherüti. Nah am Berg steht ganz in dem kleinen Quinten. Ob den Häusern wölben sich Felstürme Sakralbau in Form DAS LEBEN, SO HEISST ES, beginnt mit einem Schrei vor, an die sich erst noch eine üppige Vegetation eines Decken- und endet mit einem Seufzer. In Quinten, so sagt gemäldes präsent klammert, bis das Grün schliesslich nur noch aus man, folgt auf den ersten Schrei und auf den letz- Tannen besteht und aus kargem, von Geröll durch- ten Seufzer jeweils dasselbe: eine Schifffahrt über zogenem Gras. Gut 1500 Höhenmeter über Quin- den Walensee. Denn geboren werden die meisten ten scheint schliesslich ein Felsband die zerschrun- Quintnerinnen und Quintner im Spital Walen- denen Gipfel und Grate der Churfirsten zusam- stadt, ihre letzte Ruhe finden sie auf den Fried- menzuhalten. Doch bei Regen und Frost löst sich höfen der Pfarrei Quarten. immer wieder Steinschlag, und im Winter stiebt der Vom Dorf Quarten aus erscheint Quinten win- Schnee durch die Tobel bis zu den Rebbergen am zig. Kaum mehr als ein paar kalkweisse und holz- See hinab. Manchmal liegt der Lawinenschnee braune Punkte sind über den fjordähnlichen, gut noch dann ob den Häusern, wenn am Ufer bereits 1500 Meter breiten Walensee hinweg erkennbar. Zaun- und Mauereidechsen über die Trockenstein- Bald einzeln, bald in kleinen Gruppen scheinen mauern huschen und sich Schling-, Ringel- oder die wenigen Häuser und Höfe dort ans Ufer hin- Äskulapnattern an die Sonne schlängeln. 2 Schauplatz Schweiz GEO 05 2018
Siedlung am Seeufer und Berghang: Vor Quinten liegt der rund 150 Meter tiefe Walensee. Hinter Quinten ragen gut 1500 Meter die Gipfel der Churfirsten auf »Manchmal scheint es in Quinten einfacher, eine Gämse beim Äsen am Seeufer zu beobachten, als Einheimische aufzuspüren« 4 GEO 05 2018 5
»Auswärts weilen, Z WISCHEN DEM ERSTEN Schrei und das heisst erst einmal: dem letzten Seufzer sollte sich das Le- ben vollziehen. An Quinten, so scheint über den See fahren« es, zieht das Leben jedoch vorbei. Spät- nachts noch sind auf der gegenüberliegenden See- D seite Lichterschlangen zu sehen, die sich in Rich- I E T M A R W U R Z E R K E N N T alle Quint- tung Sargans oder Ziegelbrücke bewegen. Innert nerinnen und Quintner. Von vielen 24 Stunden verkehren am Ufer jenseits von Quin- kennt er auch die Tagesabläufe, von den ten 26 Güter- und 150 Personenzüge, auf der Quintner Schulkindern gar die Stun- Autobahn A3 werden pro Tag mehr als 35 000 denpläne. Und wenn Dietmar Wurzer morgens Fahrten registriert. um Viertel vor sieben Uhr den Landesteg Au an- Strassen gibt es in Quinten keine, und die Kies-, steuert, dann stehen die Schulkinder schon bereit, Wald- und Wanderwege werden höchstens mal um sich im Motorschiff „Alvier“ nach Murg fah- von einem Aebi mit Heuladung, einem kleinen ren zu lassen. Raupenfahrzeug der Marke Honda oder einem Ein Schulhaus gibt es zwar in Quinten, aber in roten Mofa befahren. Letzteres steht allerdings diesem warten Handarbeit- und Geschenkartikel meist idyllisch am Wegrand ausserhalb des Dör- auf Touristen, und längst keine Kinder mehr auf fli. Und manchmal scheint es in Quinten ein- den Unterricht. 1973 wurde die Schule auf Geheiss facher, eine Gämse beim Äsen am Seeufer zu beo- der Behörden geschlossen, der Lehrer entlassen: bachten, als Einheimische aufzuspüren. Denn Fünf Schulkinder waren dem Kanton St. Gallen zu erstens gibt es nicht sehr viele Quintnerinnen wenig. Heute erleben die jungen Quintnerinnen und Quintner: 40 sind es derzeit. Und zweitens und Quintner den ersten Schultag in Murg. Nach weilen viele der wenigen Quintnerinnen und zwei Jahren wechseln sie nach Quarten, dann nach Quintner tagsüber auswärts. Mols, schliesslich nach Unterterzen. Derzeit fah- Auswärts weilen, das heisst erst einmal: über ren vier Kinder in der „Alvier“ zur Schule. den See fahren. Dorthin übersetzen, wo nicht nur Dietmar Wurzer fährt seit drei Jahren über den der Verkehr vorbeizieht, sondern auch das poli- See; zwei Jahre dauerte zuvor seine Ausbildung tische Leben beheimatet ist. Denn mit Murg, Un- vom Leichtmatrosen zum Schiffsführer. Nur sel- terterzen, Oberterzen, Quarten und Mols liegen ten setzt er sich auf den Barhocker hinter dem fünf der sechs Dörfer, die zusammen mit Quinten hölzernen Steuerrad, meist balanciert er den Wel- die politische Gemeinde Quarten bilden, auf der lengang gelassen im Stehen aus. Hinter dem ge- Südseite des Walensees. Und auf ebenjener Seite bürtigen Österreicher, der der Liebe wegen in die gibt es nicht nur amtliche Formulare, sondern Walensee-Region zog, gibt es auf roten Sitzbän- auch das, was sonst im Alltag meist vonnöten ist: ken Platz für 35 Personen und eine schlichte Art Einkaufs- und Arbeitsmöglichkeiten. von Gemütlichkeit: Mit Messing-Ankern verzier- Eine gute Chance, Einheimische anzutreffen, te Lämpchen zieren die Fenster des Innenraums, bietet darum das Kursschiff „Alvier“. Dieses ver- das Brummen des Heckmotors wird von leiser kehrt zwischen Murg, Au und Quinten, und pas- Radiomusik begleitet. Draussen gibt es nochmals siert im Winter die Grenze zwischen Sonnenlicht Platz für 25 Gäste. und Schattenreich. Denn wenn die Sonne kaum Dietmar Wurzer kennt nicht nur den Wellen- mehr über den Flumser- und Kerenzerberg hin- gang und die Windverhältnisse auf dem Walensee, auskommt, bleibt es auf der Südseite des Walen- er kennt auch die Eigenheiten der „Alvier“, die be- sees stellenweise bis zu drei Monaten lang schat- reits vor rund 100 Jahren als „Dornröschen“ den tig. Dann erscheint Murg nahezu leblos, obwohl Zugersee befuhr und seither einige Male umgebaut es hier zwei Schiffs-Landestege gibt, und obwohl wurde. Dietmar Wurzer ist gelernter Flugzeug- zwischen Murg Ost und Murg West auch noch mechaniker; in der Werft des Schiffsbetriebs Murg City liegt. Doch im Winter legt die „Alvier“ Walensee AG kümmert er sich zusammen mit sei- in Murg Ost gar nicht erst an; der nahe Camping- nen Schiffsführerkollegen nicht nur um die platz ist dann verwaist, der nahe Parkplatz leer. „Alvier“, sondern auch um die Motoren, Lackierun- Murg City ist zudem keine Innenstadt, sondern gen und die Überholung der weiteren Flotten- ein Restaurant. Eines, wo noch Aromat und schiffe – und manchmal, wie nach den Winter- Maggi auf den Tischen stehen, und am Nachmit- stürmen Burglind und Evi, auch um grössere tag ältere Damen einen Jass klopfen. Reparaturen. Evi fuhr im Januar mit Böenspitzen 6 GEO 05 2018
Mit Quinten verbunden: von über 130 Kilometern pro Stunde über den See, Susanne Hard- Das Unglück von 1570 soll 46 Menschen das Le- fällte in Quinten zahlreiche Bäume und beschä- egger ist Bäuerin ben gekostet haben. Einige Reisende konnten sich digte im Hafen von Unterterzen die Walensee-Flot- und sorgt sich in offenbar noch „uff dess schiffs boden“ retten und tenschiffe. Und Evi machte auch erahnbar, was Quinten unter schliesslich, „mit grosser angst und not“, Quinten sich im Januar 1570 auf dem Walensee ereignete. anderem um einen erreichen. Die heutigen Schiffsführer kennen den halben Hektar Westwind, den Föhn, die Stürme, doch Unglücks- grossen Rebberg. fälle haben Dietmar Wurzer und seine Kollegen A M 11. JENNERS, Vormittag zwüschet Dietmar Wurzer ist keine erleben müssen. Keine Katastrophe wie acht und nün urr, kam ein unversähen- Schiffsführer und 1850, als vor Weesen die „Delphin“ versank, der sorgt sich unter licher wind, und kart underobsich ein erste Schraubendampfer der Schweiz. In einer anderem um die schiff, welches mit lüthen, wyn und Dezembernacht stampfte die „Delphin“ wohl so Technik der saltz überladen.“ So steht es in der Nachrichten- Walensee-Schiffe stark gegen Wind und Wellen an, dass der Heiz- sammlung des Zürcher Chorherrn Johann Jakob kessel überhitzte und explodierte. 13 Menschen Wick aus dem 16. Jahrhundert. Der „undergang kamen ums Leben. Ein solcher Unglücksfall, sagt eines schiffs uff dem Walenstatter see“ wird in der Dietmar Wurzer, sei dank den heutigen Schiffen Chronik gar mit einer Federzeichnung festgehal- und Frühwarnsystemen nicht mehr möglich. ten: Links zu sehen sind die Felsen vor Quinten, Doch warum liessen sich im Januar 1570 Men- davor recken Menschen die Arme aus dem Was- schen wie Anthoni von Molina aus dem Calanca- ser, klammern sich an Planken, Weinfässer, Salz- tal oder Hans Nouwer aus Splügen dazu bewegen, kisten. Und während manche Reisende verzwei- in Walenstadt auf ein Schiff zu steigen? Und war- felt versuchen, sich und andere Verunglückte auf um fuhr in der „Delphin“ jener Franz Kyd mit, den Schiffsrumpf zu ziehen, während Pferde teils dessen später geborgene Uhr mit Viertel nach kopfüber in den Wellen entschwinden, bläst von eins noch den Zeitpunkt des Unglücks anzeigte? Walenstadt her eine pausbäckige, allegorische Der Verkehr und Warentransport in Richtung Windgestalt unablässig den Föhn über den See. Bündner Alpenpässe und nach Zürich war auf 8 Schauplatz Schweiz GEO 05 2018
dem Seeweg schlicht einfacher zu bewerk- »Und ein Rathaus stelligen als am Südufer des Walensees, wo es bis soll Quinten auch endlich 1856 kaum mehr als Karrenwege gab, und wo zu- dem Hindernisse wie der steile Kerenzerberg erhalten« warteten. Der kürzeste Weg über den 15 Kilometer lan- gen, leicht nach Süden ausgebauchten See führt über Quinten. Hier legten nach einer einstündi- tisch angehauchten Walensee erscheint. Wegen gen Fahrt von Walenstadt her auch die Nachtpost- der weihnachtlichen Mitternachtsmesse, wäh- schiffe an; Ruderboote, die von Schiffsknechten rend der die Kapelle bis auf den letzten Platz geführt wurden, und in denen nebst Waren bis zu gefüllt ist. Wegen dem Adventskalender-Weg 15 Reisende Platz fanden. Im damaligen Wirts- zwischen Dörfli und Au, auf dem mitunter leben- haus Sonne, dem heutigen Haus Zur alten Post, de Tiere zu bestaunen sind. Wegen der Fronleich- wurde gerastet, bevor es eine Stunde lang weiter namsprozession, die auf den See hinausführt. über den See nach Weesen ging, wo um zehn Uhr Wegen dem einzigen Quintner Verein, dem Mili- abends die Postkutsche die Reisenden und Waren tärschützenverein, und wegen der historischen aufnahm. Geissenställe, die gleich unter dem 300-Meter- Quinten war aber nicht nur Rastort, sondern Schiesstand am Hang stehen. Oder wegen Johann zeitweilig auch ein kleines Schiffsbauzentrum. Im Melchior Kubli, dem einstigen Senatspräsidenten Schilt wurden die sogenannten Quintner Weid- der Helvetischen Republik, der inQuinten Rebbau linge gezimmert, mit Stehrudern ausgerüstete betrieb, Feigen pflanzte, Schafe hielt. Flachboote. Gebaut wurden hier auch Motorboo- Bevor es Johann Melchior Kubli noch einmal in Gastwirtin und te; das Schild der „Libertas“, die ab 1936 den See die Politik zog, bevor er 1815 Regierungsrat des Hobbyhistorikerin befuhr, hängt heute noch an einer Hauswand. Kantons St. Gallen wurde, dachte er in Quinten aus Leidenschaft: wohl noch manches Mal an Anna Göldi, an die sogenannt letzte Hexe Europas: Als Gerichts- D Cecile Lieberherr hat die Lebens- AS LEBEN IN Quinten beginnt an Ostern. schreiber hatte Johann Melchior Kubli 1782 dafür geschichte von Dann füllen sich allmählich die Plätze gesorgt, dass der Fall Anna Göldi über die Landes- Johann Melchior auf der „Alvier“ und in den beiden Res- grenzen hinaus publik wurde. Die Verurteilung Kubli recherchiert. taurants im Dörfli. Dann steuern auch und Enthauptung von Anna Göldi als Giftmische- Mit ihrem Mann die grossen Walenseeschiffe wieder regelmässig rin und Kindsmörderin sorgte für Empörung – und Toni Lieberherr die „Riviera der Ostschweiz“ an, wie Quinten auf- war der letzte Malefizprozess in Westeuropa. wohnt und wirtet grund seines mediterranen Klimas genannt wird. W sie im Haus des einstigen Senats- Im Hafen werden ab da der Grossteil der rund E N N C E C I L E L I E B E R H E R R von präsidenten der 200 000 jährlichen Ein- und Ausstiege verbucht; Johann Melchior Kubli spricht, dann Helvetischen die eine Hälfte entfällt auf die grossen Ausflugs- erscheint der Glarner Staatsmann Republik schiffe, die andere Hälfte auf die Querverbindung nahezu vom Format eines Jean-Jac- mit Murg. Nach Ostern werden in Quinten Fei- ques Rousseau, jenem Philosoph der Aufklärung, genbäume und Palmen bestaunt, knirschen Wan- der seine glücklichsten Tage auf der Petersinsel derschuhe über die Kieswege, spähen Touristen im Bielersee verbrachte. Und vielleicht erlebte neugierig in die Wohnung von Marc Antoni Nay. Johann Melchior Kubli seine besten Tage in Quin- Vorhänge hat der aus Graubünden stammende ten am Walensee. Kunsthistoriker keine, dafür ein Klavier und eini- Sicher setzte er sich hier für das Gemeinwohl ges Wissen über Quinten; jenen Ort, den er vor ein, und er sorgte auch für die Revolution des einigen Jahren gefunden hat, als er eigentlich auf Rechnungswesen: Die Steuern wurden unter sei- der Suche nach einer Bleibe am Meer war. ner Anleitung nicht mehr wie zuvor bloss mit Für den Kunsthistoriker ist Quinten Insel und Kreide auf dem Boden eines Holzgefässes Oase zugleich; Insel wegen dem Schiffsweg, Oase geschrieben, sondern ordentlich mit Tinte in wegen dem Klima, den Feigen hinter dem Haus, Büchern festgehalten. Gut möglich, dass Johann dem Rebberg unter dem Balkon. Und für ihn Melchior Kubli auch den Blauen Thuner nach bildet Quinten ein ganzjähriges Faszinosum. Quinten gebracht hatte, eine Rebsorte, die früher Wegen der St. Bernhards-Kapelle, auf deren in Bern beheimatet war. Bei der Alten Post gedeiht Deckengemälde der heilige Bernhard von Clair- ein solcher Rebstock noch immer; über 100 Jahre vaux in Rokoko-Manier über einem impressionis- ist er alt. GEO 05 2018
Der ehemalige Architekt kam 1984 nach Quinten. Nachkommen hat er keine, sein Heim und Erbe soll Quinten zugunsten kommen. Hanspeter Stüssys Vision und Wille ist, dass dereinst vor sei- nem Haus, dem künftigen Rathaus, ein Uferweg vorbeiführt, auf dem Menschen spazieren, rasten, den See und die Aussicht geniessen können. Vom Rathaus aus führt dieser Weg über eine Brücke zum „letzten Hafen“, einem Urnen-Friedhof, der sich zum See hin öffnet, und in dessen Trocken- mauern Eidechsen leben, Blumen gedeihen. Hanspeter Stüssy will über seine Vision und sei- nen letzten Willen nicht mehr allzu viel sagen, sich selbst auch nicht öffentlich zeigen. Es ginge schliesslich um Quinten, um dessen Zukunft, und Der Weiler Schilt: nicht um ihn, den Siebzigjährigen. Cecile Lieberherr wohnt mit ihrem Mann Toni Aus dem Wohn- Und wie sehen die letzten Bauern die Zukunft dort, wo der 85-jährige Kubli im Jahr 1835 gestor- haus von Hans- von Quinten? Susanne und Urs Hardegger leben peter Stüssy, einer ben ist; in jenem kalkweiss getünchten Glarner in der Au, zusammen mit den Töchtern Jessica, historischen Herrenhaus, das von der Laui aus weit über den See Janine und Anja; drei der vier Schulkinder, die Schiffswerft, soll strahlt. Vor 34 Jahren kam Cecile Lieberherr nach dereinst das derzeit über den See zur Schule fahren. Quinten. Sie hat die Lebensgeschichte von Johann Rathaus von Zu Haus und Hof gehören ein Beizli, vier Mut- Melchior Kubli recherchiert, ihre Tochter Nicole Quinten werden. terkühe, zwei Rinder, zehn Schafe, zwanzig Zie- Lieberherr hat das erste und bislang einzige Buch Projektiert ist auf gen, zwei Esel, einige Katzen, ein halber Hektar über den Staatsmann publiziert. Jetzt will Cecile dem Grundstück Rebberg und viel Arbeit. Das Land ist trocken und Lieberherr noch einen Sommer lang Gäste im auch der Urnen- steinig, die Wiesen sind abschüssig, teils abgele- Kubli-Haus empfangen und in der Ferienwohnung friedhof »der gen. Und manchmal stören sich Touristen, wenn beherbergen. Dann sollen Jüngere übernehmen; letzter Hafen« die Hardeggers mit dem Transporter das Heu ein- im neuen Bed and Breakfast im Dörfli. bringen und den Uferweg befahren, den italie- nische Arbeiter um 1904 aus dem Fels gesprengt Q haben. U I N T E N I S T T O T “ , sagte vor einigen Quinten, sagt Susanne Hardegger, sei ein Para- Jahren ein Politiker. Vielleicht darum, dies. Eines mit Schattenseiten freilich, die Land- weil es in Quinten 1835 noch 171 Einwoh- wirtschaft sei kostenintensiv, weil die Tiere und ner gab, und weil es gut 100 Jahre später das Futter mit dem Schiff über den See gebracht rund 100 weniger waren. „Quinten lebt“, entgeg- werden müssen. Aber es sei halt wie überall im nete allerdings Hanspeter Stüssy. Und das war Leben: Man müsse das Negative und das Positive nicht nur eine Trotzreaktion, daraus ergaben sich abwägen. Für die Bäuerin überwiegt das Positive. eine Stiftung, eine Interessengemeinschaft sowie Wegen der Stille im Winter etwa. Dann silbert die diverse Visionen und Projekte für die Schaffung Sonne flach über den See, dann wird die Sonnen- von Wohnraum und Arbeitsplätzen. Das Bed and brille fast noch mehr gebraucht als im Sommer. Breakfast ist bereits im Entstehen, und die eins- Nicht für alle liegt Quinten also jenseits vom tige, in Quinten bis Ende des 19. Jahrhundert Diesseits, jenseits des Alltags. Und freiwillig will betriebene Seidenraupenzucht ist wieder aufge- Quinten niemand verlassen, scheint es. Und wenn nommen worden. Nun sollen die Internet-Verbin- es die Behörden bewilligen, soll künftig der letz- dungen verschnellert, der Schiffsverkehr abends te Weg der Quintnerinnen und Quintner nicht verlängert werden. Und ein Rathaus soll Quinten mehr zwingend über den See führen, sondern in auch endlich erhalten – im Schilt, wo früher Schif- den „letzten Hafen“ in Quinten münden können. fe gebaut wurden, wo heute Hanspeter Stüssy lebt. Drei Urnen stehen schon bereit. IMPRESSUM SCHAUPLATZ SCHWEIZ • REDAKTION: multimedia@awp.ch, Thomas Peterhans • VERLAG UND ANZEIGEN: Marco Valà (guj.schweiz@guj.de), Telefon +41 44 269 70 70 • ABOBESTELLUNG: GEO Schweiz, Kundenservice DPV, D-20355 Hamburg, Telefon +49 40 55 55 78 09, abo-service@dpv.de, Abonnement Schweiz Fr. 150.–/Jahr • LAYOUT: VISUELLE EDITORIALDESIGN GMBH, Küsnacht • DRUCK: Kuncke Druck GmbH, Kornkamp 24, D-22926 Ahrensburg 12 Schauplatz Schweiz GEO 05 2018
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