Patriotismus heute - Eine ernsthafte Debatte über Gemeinsinn in Deutschland tut Not

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Patriotismus heute – Eine
  ernsthafte Debatte über Gemein-
    sinn in Deutschland tut Not*

                                 Volker Kronenberg

1. Einführung                                       Debatte auf andere Themen umschal-
                                                    ten zu können. Stichwort: Türkei-Bei-
Das Thema ist sperrig, ohne Zweifel.                trittsverhandlungen. Hier glaubt Rot-
Kaum verwunderlich also, dass die                   Grün, vor allem der grüne Juniorpart-
Oberen aller Bundestagsparteien Ende                ner, mit einem unbeirrbaren Pro-Bei-
2004, nach wenigen Wochen, in denen                 tritts-Kurs bei der eigenen Klientel eher
sie sich geradezu eruptiv in Patriotis-             Beifall erhalten zu können als mit
mus-Bekundungen gegenseitig zu über-                einem Bekenntnis zu Nation oder gar
treffen suchten, das Interesse an dem               Vaterland. Überhaupt hat Gerhard
Thema wieder verloren haben. Die                    Schröder in der Vergangenheit von Na-
Gründe dafür bringt ein Beobachter des              tion, gar von der „deutschen Nation“
Berliner Politik-Betriebs pointiert auf             als Koordinate der Politik, nicht viel ge-
den Punkt, wenn er feststellt: „Patrio-             halten3 und auch heute noch zeichnet
tismus paradiert nicht auf der Zunge.               sich nicht jeder amtierende grüne Bun-
Er macht keine Worte. Patriotismus                  desminister durch ein störungsfreies
lockt auch nicht aus dem Büfett von                 Verhältnis zu „Deutschland“ als Natio-
Begriffskonditoren. Er lässt sich nicht             nalstaat aus.4 Die Vorsitzende der Grü-
ausstellen. Wer stolziert und renom-                nen, Claudia Roth, wiederum weist
miert, ist der Pappkamerad des Patrio-              jeden Patriotismus ohne Präfix der
ten.“1 Ein weiteres hätte man wissen                „Verfassung“ kategorisch zurück.
können: Der Patriotismus-Begriff ent-
zieht sich einer politischen Lagerzu-               Doch so kurzatmig und letztlich ober-
ordnung und transzendiert wahltak-                  flächlich sich die jüngste Patriotismus-
tisches Parteiengezänk. Er eignet sich              Debatte ausgenommen hat, so wenig
nicht zum taktischen „Nasenring“.2                  werden die Parteien einer inhaltlichen
                                                    Bestimmung von „Patriotismus“, von
Kanzler und Grüne sind froh, von ei-                „nationalem Interesse“ und Deutsch-
ner ihnen ungelegenen Patriotismus-                 lands Rolle in einem Europa der Vater-

Politische Studien, Heft 400, 56. Jahrgang, März/April 2005
Patriotismus heute                                                               83

länder entgehen können. Allein der         tion auf der Suche nach sich selbst.
CSU, die in dieser Hinsicht seit langem    Eine Nation, die politisch nicht weiß,
gegen den Mainstream der Meinungen         was sie will. Sei es die Diskussion um
schwimmt, nimmt man es derzeit denn        eine „Verfassung“ für Europa, sei es
auch ab, an einer inhaltlichen Bestim-     die Frage nach einem Beitritt der Tür-
mung dieser Schlüsselbegriffe des Poli-    kei zur EU, sei es die Frage nach den
tischen ernsthaft und über parteitakti-    nationalen Interessen jener außenpoli-
sche Spielchen hinaus interessiert zu      tisch nun plötzlich auf „deutschen We-
sein. Der Applaus, den Edmund Stoiber      gen“5 agierenden Zentralmacht Euro-
für seine Rede auf dem CDU-Parteitag       pas6, oder sei es die Idee des deutschen
in Düsseldorf erhielt, spricht für sich.   Finanzministers, den 3. Oktober als
Wer das „S“ ebenso wie das „C“ im Par-     „Tag der Deutschen Einheit“ aus dem
teinamen als programmatische Selbst-       Kalender der Feiertage zu streichen: Die
verpflichtung ernst nimmt und sich         Deutschen sind sich ihrer selbst, ihrer
nicht nur bei situativem Bedarf damit      Identität nicht gewiss. Dieser Umstand
schmückt, eine christliche Partei zu       wiegt schwer. Vor allem angesichts der
sein, kann gelassener einer ernsthaften    Ungleichzeitigkeiten und Widersprü-
Patriotismus- und, damit zusammen-         che, welche die politisch-kulturelle Si-
hängend, einer Leitkultur-Debatte ent-     tuation der Gesellschafts- und Staaten-
gegen sehen, die unser Land dringend       welt zu Beginn des dritten Jahrtausends
braucht. Denn die zentrale Frage, was      kennzeichnen. Während einerseits ei-
die Deutschen jenseits von Wirt-           ne zunehmende Globalisierung po-
schaftswachstum und Wohlfahrtsstaat        litisch-ökonomischer Problemlagen,
zusammenhält, harrt der Beantwor-          wachsende internationale Verflechtun-
tung. In Zeiten, da die Wirtschaftskraft   gen, Ausbau und Vertiefung interna-
ungebrochen und der Wohlfahrtsstaat        tionaler Kooperation bzw. supranatio-
auf halbwegs hohem Niveau funktio-         naler politischer Kompetenzen und
niert, braucht sie auch nicht beant-       damit Funktionsverluste des klassischen
wortet werden. Was aber, wenn sich die     Nationalstaates zu beobachten sind,
Zeiten wandeln? Was, wenn sich der         lässt sich auf der anderen Seite eine Re-
ökonomisch-soziale Abwärtstrend, der       naissance des Nationalen, nicht zuletzt
nun durch die „Agenda 2010“ und an-        infolge der Auflösung der Sowjetunion
dere Reformansätze umgekehrt werden        und ihres hegemonialen Paktsystems
soll, fortsetzen sollte? Die „Montags-     in Mittelost- und Osteuropa feststellen.
demonstrationen“ gegen „Hartz IV“ im
Sommer 2004 lassen erahnen, wie groß       Macht diese divergierende Entwicklung,
das Potenzial einer Fundamentalver-        einhergehend mit Wahlerfolgen regio-
weigerung, wie groß die Verlockungen       nalistischer, separatistischer und auch
populistischer Einfalt und wie gering      populistischer Parteien im Osten wie
das Vertrauen in die etablierten demo-     Westen Europas, die Klärung des Ver-
kratischen Parteien der Bundesrepublik     hältnisses von Partikularismus und
im Zweifelsfall sind. Berlin ist nicht     Universalismus, von Nation, National-
Weimar, gewiss, ebenso wenig wie           staat und Patriotismus letztlich in je-
Bonn es war. Und doch, bei allen Un-       dem Land erforderlich, so vor allem im
terschieden, zeigen sich die Deutschen     Deutschland der doppelten Diktatur-
im Jahre 2005 als eine unsichere Na-       erfahrung.
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2. „Ach, Deutschland!“                        der seelischen Identifikation sein kön-
                                              nen, es langt nicht, dass der Bürger-
Als einer der wenigen hat Hans Magnus         status sich ,rechnet‘“.10
Enzensberger dies früh erkannt. Vor
nunmehr fünf Jahren publizierte En-           Damit sind wir beim eigentlichen
zensberger eine „patriotische Kleinig-        Thema. Das, was vor kurzem noch
keit“ unter dem Titel „Ach, Deutsch-          lächelnd als Hysterie eines emeritierten
land!“7, in der er jene in Deutschland        Politikwissenschaftlers abgetan wurde,
von Politik, Medien und Kultur verur-         gilt heute als realistische Beobachtung
sachte Überproduktionskrise deutscher         einer bedenklichen Erosion der bür-
Selbstkritik ironisierte. Eine Suchma-        gerschaftlichen Fundamente des deut-
schine, so Enzensberger, in deren Mas-        schen Gemeinwesens. Denn um diese
ke man das Stichwort „Deutschland“            Fundamente bürgerschaftlichen Enga-
eingebe, müsste „vermutlich Hundert-          gements geht es, wenn von „Patriotis-
tausende, wenn nicht Millionen von            mus“ die Rede ist. Patriotismus meint
Titeln auswerfen. Eine Schrift über die       ein sozialpolitisches Verhalten der Bür-
Vorzüge Deutschlands wäre nicht da-           ger, in dem nicht die eigenen, die in-
bei“. Dies vor allem deshalb, weil das        dividuellen Interessen – oder die eini-
Bekenntnis zu deutschen Vorzügen              ger weniger Mitglieder einer politischen
stets den Pauschalverdacht des Rechts-        Gemeinschaft – handlungsleitend sind,
radikalismus evoziere. Doch auf Dauer         sondern das Gemeinwohl (lat. bonum
wirke dieser ritualisierte Verdacht ein-      commune). Patriotismus, dem stets
tönig und selbstgefällig. Das einhei-         eine rationale wie emotionale Kompo-
mische Publikum langweile sich, und           nente zu Eigen ist, richtet sich auf die
jenseits der Landesgrenzen weiche             Gesamtheit des politischen Gemein-
die Verwunderung dem Misstrauen:              wesens, eben den modernen National-
„Selbstlob stinkt, aber ein gewisses          staat, und entstand historisch als Ein-
Maß an Selbstbewusstsein ist nicht nur        satz für die Kommune, für die Heimat,
für einen selber, sondern auch für die        das Vaterland (lat. patria). So verbindet
anderen leichter zu ertragen als das pe-      sich mit einem Nachdenken über Pa-
netrante Nölen derer, die an ihrer deut-      triotismus die Bestimmung des Ver-
schen Herkunft tragen, als handele es         hältnisses von Patriotismus und Nati-
sich um ihren Hauptberuf.“8 Wilhelm           on einerseits, von Nation und Europa
Hennis zielte unlängst in die gleiche         andererseits.
Richtung wie Enzensberger, als er un-
ter dem prägnanten Titel „Haben wir
Günter Grass jemals lächeln sehen?“9          3. Patriotismus nach Hitler
eine Grundsatzkritik am Zustand der
politischen Kultur in Deutschland for-        Während sich heute annähernd 90 %
mulierte und auf jene bedenkliche Ten-        der Deutschen ihrer Nation sehr oder
denz hinwies, „dass die Nachwachsen-          ziemlich verbunden fühlen und sich
den sich diesem Staat und seiner Politik      nur 6 % der Deutschen in erster Linie
mehr und mehr entziehen, weil er sie          als Europäer verstehen11, betrachten
als Objekt des Erlebnisses kalt lässt. Will   doch 36 % der Deutschen „Patriotis-
die Bundesrepublik bestehen, so muss          mus“ als ein „heikles Thema“, bei dem
sie ein Gegenstand der Parteinahme,           man sich „leicht den Mund verbren-
Patriotismus heute                                                               85

nen“ könne.12 Ohne Frage resultiert die    nung der Rolle des passiv loyalen Un-
Unsicherheit der Deutschen im Um-          tertanen, so musste der Patriotismus
gang mit Patriotismus aus der Erfah-       im Dritten Reich fast zwangsläufig in
rung der deutschen Geschichte, speziell    Opposition zu Hitler und seinem men-
aus der Erfahrung des Nationalsozialis-    schenverachtenden Herrschaftssystem
mus und seiner Verbrechen. Sie resul-      geraten. Patrioten im eigentlichen Sin-
tiert wesentlich jedoch auch aus einer     ne waren die Verschwörer des 20. Juli,
Verwirrung über das Verhältnis von         war der kirchliche, der liberale, der so-
„Patriotismus“ und „Nationalismus“.        zialdemokratische Widerstand. Richtig
Ist es nicht letztlich einerlei, ob man    verstandener Patriotismus hat wesens-
von Patriotismus oder Nationalismus        mäßig nichts mit der Abwertung von
spricht? Meint nicht beides das gleiche?   anderen Völkern, nichts mit histori-
Keineswegs. Während der Nationalis-        scher Aufrechnung von Schuld zu tun.
mus als eines der mächtigsten sozialen     Hitler, der den Begriff auffällig selten
Glaubenssysteme des 19. und 20. Jahr-      im Munde führte, war kein deutscher
hunderts wesensmäßig antifreiheitlich      Patriot und konnte es mit seinem
und latent gewaltsam nach innen wie        wahnsinnigen Versuch eines „ontolo-
außen ist, innergesellschaftliche Ho-      gischen Massakers“ (George Steiner) gar
mogenität, blinden Gehorsam und die        nicht sein.
idealisierte Überbewertung der eigenen
Nation fordert13, sind bei patriotischen
Haltungen und Verhaltensweisen             4. Der 9. November als Symbol
innergesellschaftliche Heterogenität          deutscher Geschichte
und kritische Distanz gegenüber Staat
und Regime von Bedeutung. Es ist ein       Und doch schien die deutsche Nation
emanzipatorischer, antihierarchischer      am Ende der Hitlerzeit moralisch und
Impuls, der sich in historischer Pers-     politisch fragwürdig; faktisch wurde sie
pektive mit Patriotismus verbindet. Pa-    im Zeichen des Kalten Kriegs geteilt.
triotismus kommt politisch betrachtet      Noch mehr als vier Jahrzehnte nach
von „links“, steht für Aufklärung, Soli-   dem Zweiten Weltkrieg, im Zeichen der
darität und Freiheit.14                    Ereignisse des 9. November 1989, pos-
                                           tulierten manche bundesrepublikani-
So musste sich das, was Werner Som-        sche Intellektuelle die immer währen-
bart in seinen „patriotischen Besin-       de Teilung Deutschlands als notwen-
nungen“ des Jahres 1915 unter dem          digen Preis für Auschwitz. Doch gera-
Titel „Händler und Helden“15 als deut-     de der 9. November spiegelt seit den Er-
sche „Entschlossenheit zu sich selbst“16   eignissen des Jahres 1989 nicht mehr
anmahnte, notwendig als leerer Hero-       nur die Tiefpunkte der deutschen Ge-
ismus, als nationalistische Propaganda     schichte, die sich mit den Ereignissen
im Zeichen des Ersten Weltkriegs ent-      des 9. November 1923, dem Luden-
puppen, die mit patriotisch-vernünfti-     dorff-Hitlerputsch und vor allem dem
gem Gemeinwohlhandeln nichts zu            9. November 1938, der „Reichskristall-
tun hatte. Zeigt sich im Patriotismus      nacht“, verbinden. Der 9. November,
der Anspruch des Staatsbürgers auf         an dem im Jahre 1848 die Erschießung
selbstverantwortliches Handeln und         des sozialdemokratischen Paulskirchen-
– wie im 18. Jahrhundert – die Ableh-      Abgeordneten Robert Blum geschah
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und an dem im Jahre 1918 in Deutsch-         ment die in Frage stehende inhaltliche
land die Republik ausgerufen wurde,          Bestimmung des nationalen Gemein-
symbolisiert mit dem 9. November             wohls nicht zu substituieren und eine
1989, jenem seltenen Tag in der deut-        Verfassung nicht als „Vaterland“17 zu
schen Geschichte, an dem die Nation,         fungieren vermag. An diesem Unver-
friedlich, freudig, gar tränentrunken        mögen bestand für Dolf Sternberger,
zu sich selbst fand – wenn auch emo-         dem großen liberalen Heidelberger
tional für einen kurzen Augenblick –         Staatsdenker, jedoch überhaupt kein
nunmehr die Tiefen und Höhen der             Zweifel, als dieser vor einem Viertel-
deutschen Geschichte. Die friedliche         jahrhundert, am 23. Mai 1979, den
Freiheitsrevolution von 1989 war eine        Begriff des „Verfassungspatriotismus“
Revolution der Bürger gegen die Dik-         kreiert hatte. Sternberger war sich, im
tatur, gegen Gewalt und Repression,          Unterschied zu Jürgen Habermas, dem
für Menschen- und Grundrechte, für           heutigen Vorreiter eines europäischen
Deutschland – sie war damit weitaus          bzw. gar universalistischen Verfas-
mehr und etwas ganz anderes, als man-        sungspatriotismus18, bei seinem Nach-
cher westdeutsche Zeitgenosse im Ban-        denken über „Nation“ und „nationale
ne des unbegreiflichen Augenblicks als       Identität“ in Zeiten der staatlichen Tei-
Wunsch nach der „Banane“ bzw. der            lung sehr bewusst, dass es offensicht-
„DM“ verächtlich zu machen suchte.           lich weder sinnvoll noch überhaupt
Nicht der 3. Oktober, der 9. November        möglich ist, eine zeitgemäße politische
in all seiner Ambivalenz – er ist der Tag    Identität ohne jegliche patriotische Ge-
der Deutschen, mit dem sich ein              halte auszubilden. So warnte Sternber-
weltoffener Patriotismus rational wie        ger davor, den von ihm postulierten
emotional verknüpfen lässt. Doch Freu-       „Verfassungspatriotismus“ als Substitut
de empfanden 1989 im Westen, im frei-        eines nationalen Patriotismus misszu-
en Teil Deutschlands, bei weitem nicht       verstehen, denn: „Wir werden gewiss
alle Bürger über die Wiederentdeckung        auch ein Element natürlicher Heimat-
des Nationalen. Manch einem schien           lichkeit wieder einführen, das dort in
der Prozess der Wiedervereinigung eher       dieser radikal rationalen Bestimmung
peinlich oder zumindest unheimlich           gänzlich vermisst wird“.19
zu sein. Deutschland war zunehmend
auf eine rhetorische Hülse, auf das          Heute, 60 Jahre nach dem Ende des
Schwarz-Rot-Gold der Nationaltrikots         Zweiten Weltkriegs, kann und soll es
reduziert worden. Martin Walser er-          vor dem Hintergrund der historischen
schien mit seinem Nachdenken über            Erfahrung des Nationalsozialismus kei-
ein vereintes Deutschland ein Jahr vor       neswegs darum gehen, „Heimat“ als
dem Mauerfall als Fremdling oder Kauz.       handlungsdominierende Kategorie des
Politisch war an die Leerstelle dessen,      Politischen zu reaktivieren bzw. zu ak-
worauf ein aufgeklärter, historisch be-      zentuieren. Doch der Verweis auf die
wusster und damit freiheitlich konno-        Heimat als einem Urphänomen des
tierter, weltoffener Patriotismus zu rich-   menschlichen Lebens vermag im Zei-
ten gewesen wäre – eben die Nation –         chen von Globalisierungs- und Uni-
seit Jahren verschämt die „Verfassung“,      versalisierungstendenzen immerhin ei-
das Grundgesetz platziert worden.            ner Rückbesinnung auf den Umstand
Wohl wissend, dass ein Rechtsdoku-           dienen, dass der Mensch nur ausge-
Patriotismus heute                                                                 87

hend von überschaubaren, erlebbaren          Ralf Dahrendorf immer wieder darauf,
Räumen, sei es der Familie, der Heimat       dass nationaler Patriotismus die Vor-
bzw. der Region, auch die größeren Ge-       aussetzung des Weltbürgertums sei,
bilde des sozialen Zusammenlebens            während sein Frankfurter Soziologen-
letztlich begreifen und sich mit ihnen       Kollege Karl Otto Hondrich sekundiert,
zu identifizieren vermag.                    die Zukunft des Kosmpolitismus sei un-
                                             weigerlich die Zukunft von Nationa-
                                             lität.22 Dass man Weltbürger anstatt
5. Solidarität und Gemeinwohl                Staatsbürger sein könne und müsse
                                             – dieser Illusion sind die Exponenten
Stichwort Solidarität: Diese ist not-        des deutschen Idealismus und der Ro-
wendig selektiv – ein Umstand, der sich      mantik ebenso wie die der Französi-
aus der Knappheit der Ressourcen, die        schen Revolution nie erlegen. „Immer“,
für den solidarischen Einsatz verfügbar      so Hondrich, „haben sie die nationale
sind, ergibt.20 Solidarität als eine we-     zwar in Spannung zur globalen Iden-
sentliche Dimension des Gemeinsinns          tität gesehen, aber auch als deren Vor-
erwächst zunächst aus persönlicher           aussetzung und Grundlage. Heute, im
Sympathie, aus gemeinsamen Interes-          Zeichen weltweiter ökonomischer und
sen, aus räumlicher Nähe und verfestigt      kultureller Vernetzung, erscheint die
sich in Institutionen wie Familie, Ge-       Option zum Weltbürger nicht nur als
meinde und Staat. Der Staat, der sei-        eine Entfaltungschance, sondern fast
nerseits auf der Nation als Solidarge-       als eine Notwendigkeit. In der Tat. Das
meinschaft gründet, ist heute nach wie       Individuum muss in vielen Fällen aus
vor der stetigste Garant und Mittler von     seinen engeren Herkunftsbindungen
Solidarität und als solcher durch keine      heraustreten, um in Zukunft bestehen
transnationalen, gar universalen Ins-        zu können. Illusionär ist allerdings die
tanzen zu substituieren, die ihrerseits      Annahme, dass Herkunftsbindungen
nur auf die abstrakteste, weiteste, da-      dadurch aufgehoben oder auch nur
mit aber schwächste Form der Solida-         schwächer würden. Das Gegenteil ist
rität zurückgreifen können. Weltbür-         der Fall“.23
gerliche Solidarität vermag nur dann
Geltungskraft zu erlangen, wenn sie
durch staatsbürgerliche, nationale So-       6. Die Bürgergesellschaft der
lidarität vermittelt wird, die ihrerseits       Zukunft
durch vielfältige, gesellschaftliche, kom-
munitäre Solidarbeziehungen mediati-         Besteht insofern zwischen Universalis-
siert ist. Diesen Kausalzusammenhang         mus und Partikularismus kein Span-
hatte Hannah Arendt im Sinn, als sie         nungs-, sondern vielmehr ein notwen-
in ihrem berühmten Buch über „Ele-           diges Komplementärverhältnis, erweist
mente und Ursprünge totaler Herr-            sich ein nationalstaatlich orientierter,
schaft“ notierte: „Vor der abstrakten        mithin deutscher Patriotismus heute als
Nacktheit des Menschseins hat die Welt       überaus zeitgemäß, so gilt es konkret
keinerlei Ehrfurcht empfunden; die           nach den Bedingungen und Perspekti-
Menschenwürde war offenbar durch             ven eines gemeinwohlorientierten bür-
das bloße Auch-ein-Mensch-sein nicht         gerschaftlichen Engagements in unse-
zu realisieren.“21 Entsprechend insistiert   rer ,res publica‘ zu fragen. Wie steht es
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um das Staat-Bürger-Verhältnis, wie         bedürftiger Studenten, heute nicht
um die Stimulierung der bürgerlichen        mehr automatisch, dass die Hochschu-
Selbsthilfebereitschaft und ihrer -fähig-   len als staatliche Veranstaltungen be-
keiten im Dienste einer „Verantwor-         trieben werden und dass Bildung und
tungsgesellschaft“? Eine solche bürger-     Studium für alle Studierende – unab-
liche Verantwortungsgesellschaft sucht      hängig der jeweiligen finanziellen
ihrerseits keineswegs den Staat und je-     Möglichkeiten – „freie Güter“ sein müs-
ne ihm obliegenden klassischen Funk-        sen. Oder Stichwort „Familienpolitik“:
tionen zu ersetzen; sie sucht ihn viel-     Nimmt man den Gedanken der Bür-
mehr auf diese klassischen Funktionen       gergesellschaft und das ihm korres-
zu reduzieren und damit zur Bekämp-         pondierende Subsidiaritätsprinzip ernst,
fung einer „ordnungspolitischen Ver-        so stellt sich seit langem die drän-
wahrlosung“24 beizutragen. Es geht al-      gende Frage nach einer Stärkung der
so nicht um die Abkehr vom Sozialstaat      Familie als derjenigen „Institution“, in
und um die Errichtung eines „Nacht-         der die Primärsozialisation des Men-
wächterstaates“, vielmehr sucht eine        schen erfolgt. Es muss heute darum ge-
bürgerliche Verantwortungsgesellschaft      hen, die familienpolitischen Leistun-
Konsequenzen daraus zu ziehen, dass         gen des Staates – gerade auch finan-
sozialstaatliche Umverteilung die Ge-       ziell – deutlich zu erhöhen und damit
sellschaft auf Dauer nicht von innen        die Familie als das Herzstück von Bür-
heraus zusammenzuhalten vermag. So-         gergesellschaft zu stärken und zu för-
zialstaatliche Umverteilung weckt bei       dern. Dass die Familie der Nukleus ei-
den Transferbegünstigten Anspruchs-         ner jeden menschlichen Gemeinschaft
egozentrik und bei den Transferbelas-       und damit auch der politischen ist, die-
teten Vermeidungsbedürfnisse. Aber sie      ser aristotelische Gedanke des ,zoon po-
erzeugt eben nicht jene übergreifende       litikon‘ muss erneut in das öffentliche
Solidarität, deren die Umverteilung         Bewusstsein gelangen. Schließlich ist es
als ethische Grundlage bedarf. Diese        gerade die Familie, die es erlaubt, die
Grundlage, die der Sozialstaat nicht        öffentlich gewährte Freiheit moralisch
schafft, sondern voraussetzt – und          zu regulieren, indem das Individuum
die das Bundesverfassungsgericht aus        durch seine Sozialisation und seine Le-
gegebenem Anlass heute verstärkt in         benspraxis in der Familie Eigenschaf-
Erinnerung ruft25 –, liegt in der Soli-     ten, Verhaltensweisen und Normen
dareinheit des staatlichen Gemeinwe-        einübt, die zugleich auch wesentliche
sens, das sich nicht in der Funktiona-      Grundlagen des öffentlichen Lebens
lität eines Leistungs-Abgabe-Systems        darstellen, ohne jedoch hier heran-
erschöpft.26 Auch wenn nur der Staat        gebildet oder gepflegt werden zu
die zur Bekämpfung der Armut not-           können.27 Mit anderen Worten: Jenes
wendigen finanziellen Transfers orga-       „Böckenförde-Paradoxon“ – dass der
nisieren kann, bleibt eine intelligente     freiheitliche Staat von Voraussetzungen
Umverteilungspolitik, die dazu bei-         lebt, die er selbst nicht garantieren
trägt, dass alle Bürger von den Verän-      kann28 – führt hin zur Familie als der-
derungen profitieren, zentrale Aufgabe      jenigen Instanz, welche die Disparat-
des Staates vor allem im Zeichen der        heit zwischen privater und öffentlicher
Globalisierungsfolgen. So bedeutet so-      Sphäre entscheidend zu verhindern
zialer Ausgleich, etwa bei der Förderung    vermag.
Patriotismus heute                                                                 89

So trivial es ist, dass Familien-, Sozial-,   tivem Denken nicht gelingen. Die freie
Bildungs- oder Wirtschaftspolitik in          und offene Gesellschaft, die Bürger-
vielfältiger Weise voneinander abhän-         gesellschaft, kann nur Bestand haben,
gen und ihre jeweiligen Problemlagen          wenn ihre Offenheit auf Überzeugun-
den dringenden Reformbedarf in Staat          gen gründet, die ihrerseits nicht zur
und Gesellschaft demonstrieren – in-          Disposition stehen. Daran erinnert
stitutionell wie habituell –, so nahe lie-    schon Tocqueville und dessen ist sich
gend und sinnvoll ist eine Besinnung          auch der Vater des „kritischen Ratio-
auf die Kräfte der Bürgergesellschaft,        nalismus“, Karl Popper, durchaus be-
die, durchaus auch als schöpferisches         wusst.31 So muss der Staat ein positi-
Chaos, als eine Vielfalt von sich über-       ves Interesse an nichthypothetischen
lappenden Assoziationen, schließlich          Überzeugungen haben, die die Grund-
jene Befürchtungen zerstreuen können,         lage der Freiheit selbst betreffen. Eben
die von unterschiedlicher Seite vorran-       darauf zielt heute die Diskussion um
gig aus dem Bereich der politischen All-      eine „deutsche“ Leitkultur (und diese
tagspraxis an das Konzept der Bürger-         kann heute, im Bewusstsein unserer na-
gesellschaft herangetragen werden.29          tionalen Geschichte, nichts anderes als
Ob Betreuung von Asylanten, von aus-          eine freiheitlich-demokratische sein)32,
ländischen Studierenden oder älteren          die im Zusammenhang mit der Patrio-
Leuten, ob Selbsthilfegruppen, frei-          tismus-Debatte gesehen und in Zeiten
willige Feuerwehr, karitative Verbände        des ökonomisch-kulturellen und de-
oder sozial engagierte Bürgerklubs – es       mografischen Wandels notwendig ge-
geht bei der Idee der Bürgergesellschaft      führt werden muss.
weder um ein am Rätegedanken orien-
tiertes Ideal, noch um die unhistorische
Übertragung einer aus der griechischen        7. Deutsche Staatsräson für
Antike abgeleiteten Idylle, bzw. um die          Europa
Rekonstruktion einer ,societas perfecta‘.
Es geht um die Schaffung einer wert-          Die Bürgergesellschaft bildet, gemein-
gebundenen Kultur der Kritik und der          sam mit der Demokratie und der
Toleranz im Rahmen einer offenen Ge-          Marktwirtschaft, die Säulen der Frei-
sellschaft.30 Eine solche Kultur – daran      heit.33 Der Patriotismus ist der Zement,
erinnert uns Alexis de Tocqueville mit        der die Säulen sowie das gemeinsame
seinem Verweis auf die Religion als Be-       Haus, die Nation, zusammenhält, um
dingung von Freiheit – lässt sich nicht       der Freiheit der Menschen, der Bürger
kontextfrei tradieren. Kritik und Tole-       willen und im Bewusstsein deutscher
ranz sind voraussetzungsvolle Haltun-         Geschichte in Europa. Unsere franzö-
gen insofern, als sie eine Kultur der         sischen, britischen oder polnischen
Selbstbeherrschung, des Nachdenkens,          Nachbarn lassen keinen Zweifel daran,
des uneigennützigen Interesses an der         dass nationaler Patriotismus einem eu-
Wahrheit sowie eine Kultur der unbe-          ropäischem Engagement keineswegs
dingten Achtung der Würde des Men-            opponiert – im Gegenteil – und dass
schen voraussetzen. Das wiederum be-          Europa nur in und auf Grund der Viel-
deutet: Wo alle Maßstäbe der Kritik           heit seiner Völker lebt. Es gibt keinen
dauernd selbst zu Hypothesen gerin-           Zugang zu Europa ohne die Vermitt-
nen, kann eine Erziehung zu konstruk-         lung der Nation. Der unlängst unter-
90                                                                    Volker Kronenberg

zeichnete „Verfassungs“-Entwurf für           der Strategiewechsel deutscher Europa-
Europa macht dies überdeutlich, nicht         politik in Berlin jenseits rhetorischer
zuletzt, weil er auf die Finalitätspers-      Kontinuitätsbekundungen von Ade-
pektive eines europäischen Bundes-            nauer über Kohl bis Schröder leug-
staates bewusst verzichtet. Die „Ver-         nen.35
einigten Staaten von Europa“, die
Winston Churchill einst wohlweislich          Wer andererseits nach wie vor von der
ohne Großbritanniens Zugehörigkeit            Richtigkeit einer europäischen Union
anregte und die Joschka Fischer un-           überzeugt ist, die mehr Potenzial ent-
längst noch einmal als kühnen Entwurf         hält als eine Wirtschafts- und Wäh-
skizzierte34, wird es auf lange Sicht         rungsunion, und wer entsprechend
nicht geben. Erst Recht wird es sie nicht     einem „Europäismus“36 zur Förderung
geben, sollte die Türkei tatsächlich in       der europäischen Integration das Wort
einigen Jahren einer um Rumänien er-          redet, muss bedenken, dass ein solcher
weiterten EU beitreten. Die EU dege-          sich nach wie vor aus dem Patriotismus
nerierte im Falle einer Türkei-Mitglied-      der jeweiligen Nationalstaaten speist.
schaft zu einer großen Freihandelszone,
das Projekt einer politischen Union           Erweist sich also selbst aus europäischer
– Europa sozusagen als „global player“        Perspektive ein deutscher Patriotismus
(Joschka Fischer) der Weltpolitik – wä-       als notwendig, so vermitteln die ange-
re tot, noch ehe es mit Leben erfüllt         deuteten Dimensionen einer ernsthaf-
worden wäre. Was nun will Berlin:             ten, inhaltsorientierten Patriotismus-
Eine Vertiefung der EU, oder doch eher        debatte die politische Herausforde-
eine geografische Erweiterung der Uni-        rung, welche sich mit dem Begriff des
on über Europa hinaus, sozusagen eine         „Patriotismus“ in Deutschland heute
eurasische Sicherheits-Allianz neuen          verbindet. Diese Herausforderung ver-
Typs, die von Paris über Berlin und An-       bietet jedwedes parteitaktisches Spiel-
kara nach Moskau reicht? So unrealis-         chen mit dem Begriff und mahnt zu
tisch sich eine solche, zweite Perspek-       einem Nachdenken über deutsche
tive auch aus heutiger Sicht darstellt,       Staatsräson zu Beginn des 21. Jahr-
so wenig lässt sich ein stillschweigen-       hunderts.

Anmerkungen
* Vgl. ausführlich zum Gesamtthema Kro-       4
                                                  Wehner, Markus: Windradland: Deutsch-
  nenberg, Volker: Patriotismus in Deutsch-       land ist, was gerade ansteht, in: Frank-
  land. Perspektiven für eine weltoffene          furter Allgemeine Sonntagszeitung v.
  Nation. Mit Stellungnahmen von Helmut           5. Dezember 2004.
  Kohl, Ralf Dahrendorf, Ernst-Wolfgang       5
                                                  Vgl. Bahr, Egon: Der deutsche Weg.
  Böckenförde u.a., Wiesbaden 2005.               Selbstverständlich und normal, München
1
  Joerges, Hans-Ulrich: Die Patriotismus-         2003; vgl. Schöllgen, Gregor: Der Auftritt.
  Falle, in: Stern 52/2004, S.56.                 Deutschlands Rückkehr auf die Welt-
2 Mangold, Ijoma: Nicht an diesem Nasen-
                                                  bühne, München 2003.
  ring. Deutsche Gespensterkämpfe um          6   Schwarz, Hans-Peter: Die Zentralmacht
  „Patriotismus“ und „Leitkultur“, in: Süd-       Europas. Deutschlands Rückkehr auf die
  deutsche Zeitung v. 2. Dezember 2004.           Weltbühne, Berlin 1994.
3 Vgl. dazu Seebacher-Brandt, Brigitte:       7   Vgl. Enzensberger, Hans Magnus: Ach,
  Nation im vereinigten Deutschland, in:          Deutschland! Eine patriotische Kleinig-
  Aus Politik und Zeitgeschichte 42 (1994),       keit, in: Kursbuch 9/2000, S.1-4.
  S.3-9.                                      8   Ebd., S.1f.
Patriotismus heute                                                                                91

9    Hennis, Wilhelm: Die Überforderung                  Gemeinschaft, in: Frankfurter Allgemeine
     der Menschenordnung. Haben wir Gün-                 Zeitung v. 22. Oktober 2003.
                                                    26   Vgl. Isensee, J.: Solidarität, S.139f.
     ter Grass jemals lächeln sehen? Die
                                                    27
     Bundesrepublik beschreitet mit ihrem                Vgl. in diesem Sinne Klinger, Cornelia:
     Verständnis von Religion, Staat und                 Private Freiheiten und öffentliche Ord-
     Kultur historisch riskante Wege, in:                nung. Triumph und Dilemma einer
     Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 4. Ok-            modernen Denkfigur, in: Werner Wei-
     tober 2003.                                         denfeld (Hrsg.), Demokratie am Wende-
10   Ebd.                                                punkt. Die demokratische Frage als Pro-
11   Vgl. EUROBAROMETER 57: Auf dem                      jekt des 21. Jahrhunderts, Berlin 1996,
     Weg zur Erweiterung. Image, Aufgaben                S.413-434, S.428ff.
                                                    28   Böckenförde, Ernst-Wolfgang: Die Ent-
     und Zukunft der Europäischen Union
     (hrsg. von der Vertretung der Europäi-              stehung des Staates als Vorgang der
     schen Kommission in der Bundesrepublik              Säkularisation, in: Ders., Recht, Staat,
     Deutschland am 16. September 2002),                 Freiheit. Studien zur Rechtsphilosophie,
     S.26.                                               Staatstheorie und Verfassungsgeschichte,
12   Vgl. Noelle-Neumann, Elisabeth/Köcher,              Frankfurt a.M. 19922, S.112.
                                                    29   Einen Beitrag, jenen Befürchtungen wir-
     Renate (Hrsg.): Allensbacher Jahrbuch für
     Demoskopie 2002, München 2002, S.707.               kungsvoll entgegenzutreten, vermochte
13   Vgl. Dann, Otto: Nation und Nationalis-             die Arbeit der Enquête-Kommission des
     mus in Deutschland 1770-1990, Mün-                  Deutschen Bundestages zur „Zukunft
     chen 19963.                                         des bürgerschaftlichen Engagements“ zu
14                                                       leisten. Vgl. dazu Deutscher Bundestag
     Vgl. Gollwitzer, Heinz: Weltbürgertum
     und Patriotismus, in: Aus Politik und               (Hrsg.): Bürgerschaftliches Engagement
     Zeitgeschichte 37-38/1962, S.457-462.               und Zivilgesellschaft, Opladen 2002; vgl.
15   Vgl. Sombart, Werner: Händler und Hel-              ebd. exemplarisch die Analyse von Münk-
     den. Patriotische Besinnungen, München              ler, Herfried: Bürgerschaftliches Enga-
     1915.                                               gement in der Zivilgesellschaft, S.29-36;
16   Vgl. Lübbe, Hermann: Politische Philoso-            vgl. im Übrigen Ders.: Die Bürgergesell-
     phie in Deutschland. Studien zu ihrer               schaft – Kampfbegriff oder Friedens-
     Geschichte, Basel 1963, S.213.                      formel? Potenzial und Reichweite einer
17   Vgl. Isensee, Josef: Die Verfassung als             Modeterminologie, in: Vorgänge (2) 2002,
     Vaterland. Zur Staatsverdrängung der                S.115-125.
                                                    30   Vgl. dazu die Reflexionen über das „Pro-
     Deutschen, in: Armin Mohler (Hrsg.),
     Wirklichkeit als Tabu. Anmerkungen zur              blem der Toleranz“ in der liberalen De-
     Lage, München 1986, S.11-35.                        mokratie bei Spaemann, Robert: Bemer-
18   Vgl. Habermas, Jürgen: Staatsbürger-                kungen zu dem Begriff des Fundamen-
     schaft und nationale Identität, in: Ders.,          talismus, in: Krzysztof Michalski (Hrsg.),
     Faktizität und Geltung. Beiträge zur Dis-           Die liberale Gesellschaft, S.177-203,
     kurstheorie des Rechts und des demo-                S.193f.; vgl. dazu auch die überzeugenden
     kratischen Rechtsstaates, Frankfurt a.M.            Ausführungen der CDU-Vorsitzenden
     19942, S.632-660.                                   Angela Merkel am 13. Jahrestag der Deut-
19   Sternberger, Dolf: Verfassungspatrio-               schen Einheit: „Quo vadis Deutschland?“,
     tismus, in: Ders., Schriften X (hrsg. v.            in: www.cdu.de. Merkel akzentuiert in
     Peter Haungs u.a.), Frankfurt a.M. 1990,            ihrer Grundsatzrede zum einen die Not-
     S.13-16.                                            wendigkeit der Schaffung „von mehr
20                                                       Freiraum und mehr Eigenverantwortung
     Isensee, Josef: Solidarität – sozialethische
     Substanz eines Blankettbegriffs, in: Ders.          der Menschen“ im Sinne einer aktiven
     (Hrsg.), Solidarität in Knappheit, Berlin           Bürgergesellschaft, zum anderen die
     1998, S.97ff.                                       Notwendigkeit des „gelassenen Selbstbe-
21   Arendt, Hannah: Elemente und Ur-                    wusstseins einer Gemeinschaft, die weiß,
     sprünge totaler Herrschaft, München                 welche Institutionen sie zusammenhält“,
     19954.                                              (...) „die die Werte, die hinter den
22   Hondrich, Karl-Otto: Der Neue Mensch,               Institutionen stehen, erkennt und achtet,
     Frankfurt a.M. 2001, S.126.                         die dafür eintritt, sie schützt und notfalls
23                                                       verteidigt. Und die das macht, weil sie es
     Ebd., S.197f.
24   Vgl. Hennecke, Hans-Jörg: Die dritte                als Teil ihrer Identität versteht.“
                                                    31
     Republik. Aufbruch und Ernüchterung,                Vgl. Popper, Karl: Die Verteidigung
     München 2003, S.341.                                des Rationalismus, in: Ders., Lesebuch:
25   Vgl. die entsprechenden Ausführungen                ausgewählte Texte zu Erkenntnistheorie,
     von Di Fabio, Udo: Die Grundlagen der               Philosophie der Naturwissenschaften,
92                                                                       Volker Kronenberg

     Metaphysik, Sozialphilosophie (hrsg. von         legt, gegen Merz Front machte, war
     V. David Miller), Tübingen 1995, wo              zu erwarten; dass Merz innerparteilich
     Popper unter Bezugnahme auf den                  ebenfalls überaus scharf kritisiert wurde,
     „kritischen Rationalismus“ feststellt,           ist angesichts der programmatischen
     dieser sei im Grundsatz weit und „mit            Grundsätze der CDU, die das „C“ im
     Notwendigkeit weit davon entfernt,               Namen führt, wenig verständlich. Noch
     umfassend oder selbstgenügsam zu sein“.          weniger verständlich erscheint der Vor-
     Ebd. S.14. Die Stärke des Christentums           gang aus heutiger Sicht, da sich in Zeiten
     erkennt Popper darin, „dass es sich im           eines virulenten politischen Islamismus
     Grunde nicht an die abstrakte Speku-             die Parteispitze nunmehr ebenfalls dieses
     lation, sondern an die Vorstellungs-             Begriffs bedient.
                                                 33
     kraft wendet, wenn es die Leiden der             Vgl. Dahrendorf, Ralf: Der moderne
     Menschen in sehr konkreter Weise                 soziale Konflikt. Essays zur Politik der
     beschreibt“. Ebd., S.17 (FN 7). Zu den           Freiheit, München 1994, S.71.
                                                 34
     Grenzen des Rationalismus und seiner             Fischer, Joschka: Vom Staatenbund zur
     Verwiesenheit auf die Tradition vgl. auch        Föderation: Gedanken über die Finalität
     Ders.: Woran glaubt der Westen?, in:             der europäischen Integration, in: Frank
     Ders., Auf der Suche nach einer besseren         Ronge(Hrsg.), In welcher Verfassung ist
     Welt. Vorträge und Aufsätze aus dreißig          Europa – welche Verfassung für Europa?,
     Jahren, München 1984, S.236ff.                   Baden-Baden 2001, S.299-310.
32   Dessen war sich Friedrich Merz im Jahre     35   Vgl. Böckenförde, Ernst-Wolfgang: Nein
     2000, als er diesen von Bassam Tibi ge-          zum Beitritt der Türkei zur EU, in: Frank-
     prägten Begriff der Leitkultur aufgriff,         furter Allgemeine Zeitung v. 10. Dezem-
     völlig im Klaren. Dass Rot-Grün, seiner-         ber 2004.
                                                 36
     zeit noch von dem Konzept des Multi-             Vgl. Macków, Jerzy: Europäismus, in:
     kulturalismus überzeugt, welches man             Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 17. De-
     nunmehr stillschweigend zu den Akten             zember 2003.
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