Künstliche Intelligenz - Vom Hype zur Realität - kategorietitel - KPS

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k ategorietitel

Ausgabe 5/2020

                                              Schwerpunkt
                                               Künstliche
                                               Intelligenz

Künstliche Intelligenz
Vom Hype zur Realität
                   lünendonk magazin 5/2020                  3
k ategorietitel

4   lünendonk magazin 5/2020
editorial

                                                                       Mario Zillmann

                                                                           Partner
                                                                        Lünendonk &
                                                                         Hossenfelder

Vorab:
  Ein Wort an die Leser
  unseres neuen
  Themenmagazins
  Sehr geehrte Damen und Herren,
  liebe Leser,

  KÜ N S T L I C H E I N T E L L I G E N Z ( K I ) I S T   und Konzerne mit dem Thema KI auseinandersetzen
  E I N E S D E R T H E M E N , Ü B E R DA S D E R -       und in einzelnen Bereichen entsprechende Anwen-
  ZEIT BEI UNS AM INTENSIVSTEN UND                         dungen implementiert haben. Vor allem mit Machine
  E M OT I O NA L S T E N D I S KU T I E RT W I R D,       Learning arbeiten bereits sehr viele Unternehmen,
  wenn es um die Digitalisierung und die mit ihr ver-      um große Datenmassen verarbeiten und Muster in
  bundenen Auswirkungen auf die Gesellschaft sowie         ihnen erkennen zu können.
  auf die Arbeit geht. Zweifelsohne: KI polarisiert.          Das neue Magazin aus dem Hause Lünendonk
     Unbestritten haben Unternehmen und Organisa-          betrachtet das Thema „Künstliche Intelligenz“ in
  tionen die Möglichkeit, mithilfe von KI-Technolo-        seiner ganzen Breite. Den Autoren war es wichtig,
  gien neue Geschäftsfelder zu erschließen, Kunden         zunächst ein klares Bild über den Themenkomplex
  besser und zielgerichteter anzusprechen sowie ihre       der Künstlichen Intelligenz zu zeichnen und dazu
  Prozesse besser zu steuern. Und auch im privaten Um-     beizutragen, ihn umfassend zu verstehen – denn die
  feld nutzen wir bereits in vielen Bereichen unseres      eine KI gibt es nicht, stattdessen gibt es eine Vielzahl
  täglichen Lebens Künstliche Intelligenz – oft sogar,     an unterschiedlichen Technologien und Ansätzen.
  ohne ein KI-basiertes Feature als solches wahrzuneh-     Daneben beschäftigen sich die Artikel und Interviews
  men. So nutzen mittlerweile sehr viele Menschen          mit der Bedeutung der Datenqualität als „Futter“ für
  ganz selbstverständlich digitale Sprachassistenten,      KI-Systeme, mit organisatorischen Aspekten einer
  Staubsaugerroboter, Fitnessapps, Streamingdienste        Data-driven-Company und geben Empfehlungen für
  mit individuellen Vorschlägen für Serien und Filme,      den praxistauglichen Einsatz in Unternehmen und
  E-Commerce-Plattformen mit individualisierten            Organisationen.
  Produktvorschlägen und so weiter.
     Dass KI in Deutschland und der Europäischen
  Union noch nicht so intensiv angewendet wird wie
  in anderen Volkwirtschaften, hängt zum einen mit
  der zu Recht geführten Diskussion um Datenhoheit,
  Datenschutz und Ethik zusammen. Zum anderen sind
  die Investitionen von Unternehmen in KI hierzulande
  deutlich geringer als im internationalen Vergleich.      Mario Zillmann,
  Aber es tut sich etwas. Als Marktanalysten beobach-      Partner
  ten wir, dass sich nahezu alle großen Unternehmen        Lünendonk & Hossenfelder GmbH

                                     lünendonk magazin 5/2020                                                         3
Inhalt

schwerpunkt                               Welchen Wert haben Daten?              vorgehensmodelle & methoden
                                          Data Ownership
Das neue Technologiezeitalter         6   in Business Ecosystems                 Künstliche Intelligenz:
                                          Interview mit Dr. Volker Rieger        Ohne Angst und ohne Hype
status quo & ziele                        und Steffen Kuhn,                      Interview mit
                                          Detecon International             32   Prof. Dr. Peter Buxmann,
Mehrwert ohne Panik:                                                             TU-Darmstadt                         50
KI richtig anpacken                       daten & technologie
Interview mit Stefan Voss                                                        Intelligente ERP-Systeme
und Alexander Broj,                       Wie datengesteuerte                    – oder: Wie mathematische Modelle
Cognizant Technology Solutions       12   Unternehmen Wettbewerbs-               bei Entscheidungen helfen
                                          vorsprünge erzielen                    Von Dr. Daniel Gburek,
Kundendaten intelligent                   Von Pramod Muralidharan,               COSMO CONSULT Gruppe            56
zusammenführen                            Cognizant Technology Solutions    36
Von Andreas Frary, KPS AG            14                                          Personalisierung und Automatisierung
                                          Data Thinking:                         von Marketinginhalten
Künstliche Intelligenz                    Daten schnell produktiv                mit Künstlicher Intelligenz
ist das neue Strategieelement        18   nutzen können                          Interview mit Dr. Lucas Calmbach,
                                          Von Dr. Igor Schnakenburg              KPS AG                            60
o rg a n i s at i o n & k u lt u r        und Steffen Kuhn,
                                          Detecon International             42   resümee
KI braucht Organisation:
Wie Künstliche Intelligenz                Daten, Hardware, Public Cloud:         Künstliche Intelligenz
mit den richtigen Maßnahmen               Technische Voraussetzungen             erobert Alltag und Unternehmen       64
zum Erfolg wird                           für die Anwendung
Interview mit Niels Pothmann              von Künstlicher Intelligenz            s tan dar d s
und Martin Weitzel,                       Von Niels Pothmann
Arvato Systems                       24   und Andreas Tamm,                      Editorial                             3
                                          Arvato Systems                    46   Autorenprofile, Interviewerprofile
Wir müssen ein Vorbild                                                           und Unternehmensprofile              68
für unsere Kunden sein                                                           Impressum                            79
Interview mit Uwe Bergmann,
COSMO CONSULT Gruppe                 28

4                                               lünendonk magazin 5/2020
Schwerpunkt
                                                                          KI

       14                             24                             36
Kundendaten intelligent       KI braucht Organisation:          Wie datengesteuerte
  zusammenführen             Wie Künstliche Intelligenz      Unternehmen Wettbewerbs-
                            mit den richtigen Maßnahmen         vorsprünge erzielen
                                   zum Erfolg wird

       42                             56
    Data Thinking:            Intelligente ERP-Systeme –
Daten schnell produktiv    oder: Wie mathematische Modelle
    nutzen können             bei Entscheidungen helfen

                          lünendonk magazin 5/2020                                      5
schwerpunkt

         A B B. 1.1: D I F F E R E N Z I E R U N G Z W I S C H E N K Ü N S T L I C H E R I N T E L L I G E N Z, M AC H I N E L E A R N I N G
         UND DEEP LEARNING IM ZEITSTRAHL

                 1950er                                                  1980er                                                  2010er

         Künstliche                                               Machine                                                   Deep
         Intelligenz                                              Learning                                                Learning
    Oberbegriff für alle Forschungs-                      Algorithmen mit der Fähigkeit,                          Eine besonders effiziente
         felder, die sich mit der                          (durch Erfahrung) zu lernen                         Methode des Machine Learnings,
       Erbringung menschlicher                               beziehungsweise sich zu                            bei dem sich mehrschichtige
      Intelligenzleistungen durch                            verbessern, ohne explizit                         neuronale Netze neuen Inhalten
        Maschinen/Programme                                 programmiert zu werden,                              anpassen und aus riesigen
              beschäftigen.                                   indem sie mit der Zeit                                Datenmengen lernen.
                                                           mehr Daten ausgesetzt sind.

6                                                           lünendonk magazin 5/2020
schwerpunkt

                      Das neue
                 Technologiezeitalter
   Um kaum ein anderes Technologiethema gab es in den letzten Jahren
einen so großen Hype, aber auch gleichzeitig so intensive und kontroverse
  Diskussionen wie um Künstliche Intelligenz. Dabei sorgt der Begriff der
 Künstlichen Intelligenz (KI) oft für Verwirrung und falsche Erwartungen.
 Das liegt zu einem großen Teil auch an einer unrealistischen oder, besser
 gesagt, an einer überzogenen Erwartungshaltung an KI – wozu Spielfilme
  wie Odyssee mit dem fiktiven Computer HAL 9000, Matrix, Terminator
oder natürlich Blade Runner maßgeblich beigetragen haben. Die dort dar-
gestellten Mensch-Maschine-Interaktionen und KI-Roboterwesen wecken
 bei vielen Menschen – durchaus zu Recht – oft Ängste. Das ist aber noch
                        für lange Zeit eine Fiktion.

KI – eine Begriffserklärung                                 Forschungsfelder ist, welche sich damit beschäftigen,
                                                            wie Maschinen menschliche Intelligenzleistungen
Wenn wir heute von KI sprechen, dann geht es gar            ersetzen können. Unter Machine Learning werden
nicht um menschenähnliche Roboter, die den von              Algorithmen verstanden, die die Fähigkeit haben,
Hollywood inszenierten Angriff auf die Menschheit           (durch Erfahrung) zu lernen beziehungsweise sich zu
planen, oder um Software, die das Verhalten von             verbessern, ohne explizit programmiert zu werden.
Menschen imitiert und sie ersetzen kann. Es geht            Dies geschieht, indem sie mit der Zeit mit immer mehr
vielmehr um intelligente Softwarelösungen, die Un-          Daten gefüttert werden, die für eine immer größere
ternehmen und Menschen sinnvoll bei der Erledigung          Treffgenauigkeit sorgen. Bei Deep Learning, einer
von Aufgaben unterstützen und zunehmend kogni-              Unterkategorie und besonders effizienten Methode
tive Fähigkeiten haben. Im Gegensatz zu bisherigen          des Machine Learnings, passen sich mehrschichtige
Automatisierungstools setzen sie Intelligenz ein, die       neuronale Netze neuen Inhalten an und lernen aus
sie aus der Analyse von Daten gewinnen (Machine             riesigen Datenmengen.
Learning, Deep Learning). Machine Learning und                 Um zu verstehen, warum sich KI derzeit so erfolg-
Deep Learning sind Teilgebiete der Künstlichen In-          reich durchsetzt, lohnt ein Blick in die jüngere Tech-
telligenz, die ihrerseits wieder ein Oberbegriff für alle   nologiehistorie.

                                     lünendonk magazin 5/2020                                                        7
schwerpunkt

    Entwicklung der Rechenleistung von 1997 bis 2019

                                1997                                                                 2005
                                   ASCI Red                                                       PlayStation 3 (Sony)
                               mit 1,8 Teraflops                                                    mit 1,8 Teraflops

    A B B. 1.2: R E C H E N L E I S T U N G V O N 1997 B I S 2019 I N D E V I C E S

    Ohne KI ist die Datenexplosion nicht zu                          Teraflop. Der ASCI Red bestand aus etwa 100 Schrän-
    bewältigen                                                       ken, die eine Fläche von 150 Quadratmetern bean-
                                                                     spruchten. 2005 brachte Sony die PlayStation 3 auf
    Aufgrund der exponentiellen Technologieentwick-                  den Markt – mit einer Rechenleistung von mehr als
    lung, wie sie Moore´s Law beschreibt, verdoppelt sich            1,8 Teraflop, während Apple mit dem deutlich klei-
    die Rechenleistung etwa alle 18 Monate. In der Folge             neren iPhone XS im Jahr 2018 bereits auf 5 Teraflops
    wird Rechenleistung stetig günstiger und häufiger                kam. Generell hat sich im Zuge der Digitalisierung
    zur Analyse immer größerer Datenmengen einge-                    die Zahl der digital vorhandenen Informationen
    setzt. Durch günstige Hardware und die sich stetig               massiv erhöht, beispielsweise weil Papierdokumente
    steigernde Rechenleistung war es in den letzten Jah-             digitalisiert oder Kaufentscheidungsprozesse und
    ren Entwicklern möglich, völlig neue Mini-Devices                große Teile der Kommunikation von analog auf das
    zu entwickeln, die das Internet in unseren Alltag in-            Internet verlagert wurden. Bis zum Jahr 2025 soll
    tegrieren und mit einer Fülle an Sensoren, Top-Ka-               die weltweit produzierte Datenmenge 175 Zettabyte
    meras, Sprachassistenten und zahlreichen Apps                    betragen. Aktuell befinden wir uns bei knapp 40
    ausgestattet sind. Während ihrer Nutzung sammeln                 Zettabyte, was einer Verdopplung gegenüber dem
    sie permanent Daten über das Onlineverhalten ihrer               Jahr 2017 entspricht. Somit wird Moore´s Law des
    Nutzer, analysieren diese Informationen in so ho-                exponentiellen Wachstums der Rechenperformance
    her Geschwindigkeit, dass nahezu in Echtzeit Muster              auf die weltweit produzierte Datenmenge übertra-
    erkannt und Folgeaktionen wie das Einspielen von                 gen. Der entscheidende Grund für das exponentielle
    zielgerichteter Werbung möglich sind.                            Datenwachstum sind mobile Endgeräte und die mit
       Zum Vergleich: Der schnellste Computer im Jahr                ihnen verbundene Verlagerung von Kommunikation
    1997 war der ASCI Red mit einer Leistung von 1,8                 und Geschäftsmodellen ins Internet.

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schwerpunkt

  2018                                                              2019
   iPhone XS                                                        IBM Summit
 mit 5 Teraflops                                                 mit 148,6 Petaflops

Mehr als drei Milliarden Menschen nutzen weltweit        kennung notwendig. In der digitalen Welt entwickelt
Smartphones und sorgen durch den Gebrauch zahl-          sich die Wirtschaft zur Plattformökonomie, bei der
reicher Apps für eine explodierende Datenmenge.          alles miteinander vernetzt ist (Fahrzeuge, Maschi-
Allein bei Google laufen pro Tag über drei Milliarden    nen, Apps, Haushaltsgeräte, E-Commerce-Systeme
Suchanfragen auf – ein riesiger Datenschatz, den das     etc.) und stetig Daten produziert werden. Daten sind
Unternehmen monetarisiert, indem es das Verhalten        das Öl für digitale Geschäftsmodelle und die globale
seiner Nutzer im Internet so genau analysiert, dass      Vermarktung von Produkten und Services. In einer
es mittlerweile in der Lage ist, Profile der Nutzer zu   digitalen Welt und der Plattformökonomie bietet
erstellen und so zielgerichtet Werbung zu verkaufen.     KI den Unternehmen die nie dagewesene Möglich-
Ein ähnliches Geschäftsmodell verfolgt Facebook, das     keit, nahezu unbegrenzt zu skalieren, weil regionale
mit der Facebook-Plattform sowie WhatsApp und Ins-       Einschränkungen durch das Internet wegfallen und
tagram gläserne Kunden erzeugt und vor allem mit         Kunden sehr individuell mit auf ihre eigenen Bedürf-
Onlinewerbung Geld verdient. Dasselbe gilt für di-       nisse zugeschnittenen Marketing- und Kommunika-
verse chinesische Plattformen wie Alibaba oder Ten-      tionsmaßnahmen angesprochen werden können. Je
cent. Im modernen Marketing und Vertrieb gelten          mehr Unternehmen über das Verhalten ihrer Kunden
mittlerweile neue Gesetze: Je besser die Algorithmen     und die Performance ihrer eigenen Prozesse wissen,
durch immer schnellere Rechenoperationen werden,         umso besser können sie ihre Strategie entwickeln und
umso geringer die Streuverluste und umso höher der       zielgenau umsetzen. Ohne die Möglichkeiten von KI
Werbeerfolg. Werbeplätze werden in der digitalen         beziehungsweise von Machine Learning (ML), riesige
Welt in Echtzeit versteigert, beispielsweise in dem      Datenmengen wie Social-Media-Daten, Sensordaten
Moment, in dem der Kunde eine bestimmte Webseite         oder Textdaten in sehr kurzer Zeit zu analysieren, um
besucht. Damit Algorithmen ihre Berechnungen in          Muster in ihnen zu erkennen, lässt sich das exponen-
Echtzeit leisten können, sind vor allem Rechenpower      tielle Wachstum der Daten nicht bewältigen.
und Machine Learning zur automatischen Musterer-

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schwerpunkt

     Die KI wird immer intelligenter                        programmiert werden müssen, besitzen bereits
                                                            enormes Potenzial, um Prozesse zu automatisieren
     Im Jahr 2017 gab es infolge der exponentiellen Tech-   – selbst, wenn diese komplex und mehrstufig sind
     nologiesprünge einen wichtigen technologischen         und damit individuelle Entscheidungsanforderungen
     Meilenstein in der KI-Forschung: Die KI AlphaGo der    bedingen. Der Turbo für diesen Quantensprung war
     Google-Tochter DeepMind hat zum zweiten Mal einen      vor allem die Beschleunigung in der Rechenleistung
     Champion im japanischen Brettspiel Go geschlagen.      durch den von Google eigens als Neuronale-Netze-
     Das Team von AlphaGo hatte 2015 die KI basierend       Beschleuniger entwickelten Spezialchip TPU (Tensor
     auf über 30 Millionen Spielzügen entwickelt, die zum   Processing Unit). Die nächste Evolutionsstufe in der
     einen aus den Spielregeln abgeleitet wurden und zum    KI-Forschung wird das Thema Quantum Computing
     anderen aus früheren Partien von Go-Meistern stam-     sein. Auch hier ist Google aktuell tonangebend. Den
     men. Die KI nutzt also menschliche Erfahrungsdaten,    Durchbruch schaffte Google nach eigenen Angaben
     um sich durch unzählige Wiederholungen ständig         laut einem Artikel im Fachmagazin Nature im Jahr
     selbst zu optimieren.                                  2019.
        Der eigentliche Durchbruch erfolgte aber ein           Der Google-Quantencomputer soll laut dem
     Jahr später: Während die neuronalen Netze der er-      Fachartikel in der Lage sein, in nur drei Minuten rund
     sten drei Versionen von AlphaGo von Entwicklern        eine Million Random Number Strings zu generieren,
     mit Millionen von Spielzügen aus Partien zwischen      wofür bisherige Supercomputer Monate oder Jahre
     Go-Meistern trainiert wurden, hat die 2017er-Version   benötigen. Der echte Praxistest steht zwar noch aus,
     AlphaGo Zero das Spiel von Grund auf selbst gelernt,   allerdings zeigen die technischen Daten das Poten-
     nur durch die Eingabe der Spielregeln. Innerhalb von   zial, sehr komplexe Berechnungen von unvorstellbar
     nur drei Tagen erreichte die Version AlphaGoZero       großen Datenmengen in Millisekunden durchzu-
     Profistärke und besiegte seine Vorgänger AlphaGo       führen, selbstständig zu lernen und damit vollkom-
     mit 100:0. Dies zeigt: Selbstlernende Systeme, die     men selbstständig Entscheidungen zu treffen.
     nicht in jedem Detail vom Menschen trainiert und

     Technologiesprünge treiben KI-Entwicklung              onen und die daraus gewonnene Erkenntnisverarbei-
                                                            tung in noch kürzerer Zeit aufgrund höherer Rechen-
     Es waren also vor allem die Technologiesprünge bei     power möglich werden. Je schneller die Rechner,
     Servern und Speicherchips, die in der letzten Dekade   Moore’s Laws folgend, werden, umso mehr parallele
     dazu geführt haben, dass Rechenleistung immer          Rechenoperationen können durchgeführt werden.
     besser und auch günstiger wurde. Durch die heute       Die Verarbeitung von Daten in neuronalen Netzen,
     vorhandenen Möglichkeiten der Datenverarbeitung        die die Grundlage von Deep Learning bilden, wird
     erhöht sich die Rechenleistung exponentiell und        so weiter massiv beschleunigt. Deep Learning ist die
     Berechnungen und Simulationen können entspre-          nächste Evolutionsstufe von Machine Learning und
     chend schneller durchgeführt werden. Diese Ent-        ermöglicht das Erkennen von Zusammenhängen in
     wicklung ermöglicht neue Lernverfahren, wie das        deutlich kürzerer Zeit, als es die bisherigen eindimen-
     unüberwachte Lernen, bei denen das System selbst-      sionalen Möglichkeiten des maschinellen Lernens
     ständig Daten nach Mustern und Anomalien ana-          erlauben.
     lysiert, ohne dass ein Mensch eine Vorgabe für den
     gewünschten Output macht. Auch die nächste Stufe,
     das Belohnungslernen, wird möglich, weil Simulati-

10                                          lünendonk magazin 5/2020
schwerpunkt

                                             Quantencomputer
                                             wichtige potenzielle Anwendungen
                                           und deren erforderliche Rechenleistung

                                                   5
             UNBEKANNTE
               PROBLEME
          100.000+ Qubits                                                                                 CHEMIE
                                                                                                          100–200 Qubits

WERKSTOFFKUNDE
                                           4                                          1
100s–1.000s Qubits

                                                   3                       2
                                                                                                 O P T IM IE R U N G
                                                                                                 100s–1.000s Qubits
                  M A S C H IN E L L E S
                            LERNEN
              100–1.000s Qubits

A B B. 1.3: D E R Q UA N T E N CO M P U T E R A L S D I E N Ä C H S T E E V O LU T I O N S S T U F E I N D E R K I-F O R S C H U N G
Quelle: Gartner, 2019

Ein weiterer enorm wichtiger Beschleuniger der                      entwickeln können. Die Cloud-Provider stellen darü-
KI-Entwicklung ist die Cloud, vor allem die Public                  ber hinaus auch agile Tools wie DevOps und Low-Co-
Cloud. Sie ermöglicht es, IT-Ressourcen wie Server                  ding-Plattformen zur Verfügung, mit denen sich
und Storage schneller, flexibler und günstiger be-                  die Time-to-Market-Zyklen bei der Entwicklung von
reitzustellen. In den letzten Jahren haben die mei-                 Softwareprodukten massiv verkürzen lassen, unter
sten großen Unternehmen und Konzerne aus diesem                     anderem, weil sie einen hohen Automatisierungs-
Grund immer mehr Teile ihrer Softwareanwendungen                    grad haben und deutlich weniger Programmiercode
und IT-Infrastrukturen in die Cloud verschoben. Vor                 notwendig ist.
allem Fachbereiche profitieren davon, dass sie fle-                    Die Entwicklungen der letzten Jahre haben somit
xibel IT-Ressourcen beschaffen können, um Proto-                    KI aus den Maschinenräumen der IT und Datenana-
typen und erste Minimal Viable Products für digitale                lysten auch für Fachbereiche nutzbar gemacht, was
Produkte zu entwickeln. Cloud-Infrastrukturplatt-                   sich in einer stetig wachsenden Zahl an KI-basierten
formen wie Azure von Microsoft, Amazon Web Ser-                     Funktionalitäten in digitalen Geschäftsmodellen und
vices oder Google Cloud haben Entwickler-Toolkits                   bei der Automatisierung von Geschäfts- und IT-Pro-
integriert, mit denen Fachanwender auch ohne tiefe                  zessen widerspiegelt.
Programmierkenntnisse KI-basierte digitale Produkte

                                            lünendonk magazin 5/2020                                                                   11
status quo & ziele

                      Mehrwert ohne Panik:
                       KI richtig anpacken
                                Interview mit Stefan Voss, Digital Sales & Solution Lead, Cognizant
                               und Alexander Broj, Head of Cognizant Consulting Germany, Cognizant

          Der Mehrwert, den Künstliche Intelligenz (KI) Unternehmen bieten kann,
          ist heute bereits unbestritten. Als kompliziert erweist sich allerdings die
                       richtige Annäherung an das komplexe Thema.

Künstliche Intelligenz wird häufig als Heilsbringer für eine        „die“ KI, so wie es auch nicht nur ein Werkzeug gibt. Da lohnt
moderne Zukunft gesehen. Können Sie das aus Ihrer Erfahrung         sich schon ein genauerer Blick auf das Ziel, das man erreichen
bestätigen?                                                         will, die Methode und das Ergebnis.

Stefan Voss: KI ist zweifelsohne eines der am häufigsten ver-       Was empfehlen Sie denn Unternehmen? Wie starte ich denn ein
wendeten Buzzwords der digitalen und gesellschaftlichen De-         KI-Projekt?
batte; und damit fast unvermeidlich oft auch falsch verstanden,
überhöht oder dogmatisch missbraucht – neben all den berech-        Alexander Broj: Letztlich gibt es zwei grundlegende Möglich-
tigten Hoffnungen, Sorgen und Ambitionen, die im Kontext            keiten, sich dem Thema zu nähern. Einerseits kann ich mich
geäußert werden.                                                    experimentell mit der Technologie vertraut machen und über
                                                                    Prototypen lernen und Erfahrung sammeln. Andererseits nä-
Alexander Broj: Künstliche Intelligenz ist ja weder künstlich       hern sich viele Unternehmen von der Seite der Digitalisierung.
noch intelligent. Natürlich handelt es sich um von Menschen-        Was wird die Digitalisierung mit unserem Geschäftsmodell
hand erstellte Algorithmen. Aber Software gibt es ja schon          machen? Welche Fähigkeiten müssen erworben werden, um
lange. Intelligenz ist sicherlich auch eine irreführende Be-        fit für die Zukunft zu sein?
schreibung für eine auf Regeln basierende, lernende Lösung.             KI ist aber immer nur dann sinnvoll, wenn ich eine passende
KI ist also nicht magisch.                                          Problemstellung habe. Was nützt mir die aus Douglas Adams
   Dennoch ist unzweifelhaft, dass es zunehmend mehr Lö-            Roman stammende „42“, wenn man die Frage nicht kennt? Im
sungen gibt, die aufgrund ihrer Konzeption schneller als ein        Roman und Science-Fiction-Klassiker „Per Anhalter durch die
Mensch komplexe Zusammenhänge erkennen können und                   Galaxis“ ist „42“ die von einem Supercomputer nach einigen
Lösungsvorschläge daraus ableiten. Wir sollten dabei nicht          Millionen Jahren Rechenzeit gegebene Antwort auf die Frage
außer Acht lassen, dass der Lehrer für eine solche Maschine         „nach dem Leben, dem Universum und dem ganzen Rest“, mit
immer noch der Mensch ist.                                          der die Protagonisten letztlich nichts anfangen können, weil
                                                                    die Frage zu vage gestellt war.
Was bedeutet das für das Hier und Jetzt? Gibt es denn schon
interessante Einsatzgebiete für KI?                                 Also ist das ein „Henne-Ei-Problem“?

Stefan Voss: In vielen Produkten und Services spielt KI heute       Stefan Voss: Eine typische Anforderung an selbstlernende
bereits eine wichtige Rolle bei Entwicklung oder Experience,        Systeme ist ja die Lösung von Optimierungsproblemen. Hier
ohne dass dies immer offensichtlich ist – sei es die Bildoptimie-   besteht die Herausforderung weniger in der Zielsetzung als
rung in modernen Smartphones oder Kameras oder die Suche            in der Berücksichtigung der Nebenbedingungen. Bei einer
nach neuen Wirkstoffen in Life Science. Allerdings gibt es nicht    Über-Simplizifierung ohne ausreichende Berücksichtigung

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status quo & ziele

von Komplexität und Interdependenzen kommt es zu uner-            Wie sehen Sie die weitere Entwicklung?
wünschten oder sogar potenziell gefährlichen Ergebnissen. Ein
gutes Beispiel dafür ist der selbstlernende Social-Media-Bot,     Alexander Broj: Unzweifelhaft wird es mehr KI-Anwendungen
der seinen „Erfolg“ im Sinne von Views, Likes und Shares uner-    geben. Wir sehen heute viele Verbindungen von datengetrie-
freulicherweise durch zunehmend radikale Inhalte „optimiert“      benen Lösungen und regelbasierten Systemen, die miteinander
hat und schließlich abgeschaltet werden musste. Das Ziel hat      verknüpft eine Prozessverbesserung oder Entlastung für den
die KI hervorragend erreicht, allerdings unter Verletzung einer   Menschen bieten.
in diesem Fall ethischen Nebenbedingung.                             Nehmen sie das Beispiel von Grundfos. Der Pumpenherstel-
                                                                  ler stattet seine Pumpen nun mit Sensorik aus und sammelt
Alexander Broj: Soll ein Staubsaugerroboter einen kleinen         Daten. Diese Daten können für unterschiedliche Anwendungs-
Käfer umfahren? Soll ein autonomes Fahrzeug im Notfall ein        fälle verwendet werden. Zum Beispiel, um eine nachhaltige
älteres Ehepaar überfahren anstelle einer Kindergartengruppe?     Smart City zu steuern und dabei die Wassernutzung zu opti-
Das setzt auch Grenzen. Daher spielen in KI-Lösungen Zufalls-     mieren. Das heißt, wenn erstmal Daten vorliegen, kann man
entscheidungen eine Rolle.                                        in komplexen Gebilden wie einer Stadt anfangen, Lösungen
                                                                  zu finden. Hier sind KI-Anwendungen natürlich von großem
Menschen machen Fehler und lernen daraus. Wie zeigt sich das      Nutzen.
bei der KI?
                                                                  Stefan Voss: Ein weiteres wichtiges Anwendungsfeld sehe ich
Stefan Voss: In der Tat sind Fehler eine herausragende Quelle     in der zunehmend personalisierten Marketingkommunikation.
für Erkenntnisgewinn und damit für lernende Systeme sowie         Menschen sind sehr komplexe Wesen, insbesondere in ihrem
deren Optimierungen. Eine regelbasierte Automatisierung           Kaufverhalten. Die unüberschaubare Vielfalt von Touchpoints
macht keine Fehler, lernt aber auch nicht. Bei der Entwicklung    kombiniert mit höchst individuellen Bedürfnissen und Cha-
solcher Systeme muss also ein gezielter Regelbruch berück-        rakteren verlangt geradezu nach einer maschinengestützten
sichtigt werden. Entscheidend ist die Frage, wieviel Regelbruch   Optimierung der Markenkommunikation über Inhalte, Kanäle
sein muss und an welcher Stelle er stattfinden soll, um ein       und Anlässe hinweg, die die menschlichen Fähigkeiten weit
System erfolgreicher zu machen, als dies eine sture Regelbe-      überschreitet und damit die nach wie vor sehr holzschnittar-
folgung täte.                                                     tigen Muster von Zielgruppensegmenten, Mediakanälen und
                                                                  A/B-Tests überwindet.

                                                                  Alexander Broj: In jedem Fall sollte man als Unternehmens-
                                                                  lenker nicht nervös werden, nur weil das eigene Unterneh-
                                                                  men noch keine KI-Lösungen im großen Umfang einsetzt.
                                                                  Die High-Level-Botschaften helfen hier nicht weiter. Vielmehr
                                                                  sollten KI-Kompetenzen aufgebaut werden. Diese werden si-
                                                                  cherlich früher oder später in jedem Unternehmen gebraucht
                                                                  werden. KI hilft keinem Unternehmen, das seine Daten und
                                                                  Prozesse nicht im Griff hat.
                                                                     Damit KI funktioniert, braucht es daher nicht nur Techno-
                                                                  logiewissen, sondern auch moderne Prozess- und Datenstruk-
                                                                  turen. Unserer Erfahrung nach sind daher KI-Projekte nur mit
                                                                  interdisziplinären Teams zu bewältigen.

                                             lünendonk magazin 5/2020                                                       13
s t ak taut es gqouroi e &
                                                                                     t i tzei le l e

     A B B . 3 . 1 : F Ü R E I N E E I N H E I T L I C H E U N D U M FA S S E N D E
     C U S TO M E R E X P E R I E N C E M Ü S S E N D AT E N I M U N T E R N E H M E N
     INTELLIGENT VERKNÜPFT WERDEN.

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s t ak taut es gqouroi e &
                                                                    t i tzei le l e

                       Kundendaten
                        intelligent
                     zusammenführen
                                     Von Andreas Frary, Partner, KPS AG

    Um Kunden effektiv anzusprechen und langfristig zu binden, bedarf
  es einer durchgängigen Customer Experience. Eine solche ist jedoch in
   den wenigsten Fällen tatsächlich gegeben. Zu unterschiedlich sind die
 jeweiligen Prozesse, Systeme, Schnittstellen und menschlichen Gewohn-
     heiten. Wertvolle Unterstützung kann hier eine Digital Experience
  Platform, die mit Künstlicher Intelligenz angereichert ist, bieten. Darauf
    lassen sich Kundendaten aus unterschiedlichsten Quellen, Kanälen
  und Touchpoints intelligent zusammenführen, auswerten und für eine
     hervorragende Customer Experience nutzbar machen. Die Kunden
   profitieren von professionellen, punktgenau personalisierten Services.

Eine durchgängige Customer Experience scheiterte                 unternehmen nutzt für seine Kundenansprache
bisher an verschiedenen Faktoren: Zum einen sind                 einen Newsletter. Die Werbeabteilung ist für den
die technischen Systeme und Prozesse entlang der                 Versand und die Inhalte zuständig. Obwohl Kun-
Customer Journey zu heterogen, um ein einheitliches              den im Rahmen eines Loyalty-Programms mittels
Kundenerlebnis zu ermöglichen. So fehlen wichtige                einer Treuekarte im stationären Geschäft einkaufen,
Schnittstellen und standardisierte Normen für in-                fließen die Informationen über das Einkaufsverhal-
tegrierte End-to-End-Prozessketten. Zum anderen                  ten nicht in den Newsletter und in dessen Personali-
liefert häufig der Kunde selbst mit seinen Gewohn-               sierung ein. Dies scheitert zum einen bereits an der
heiten und Vorlieben die Gründe für fehlende Durch-              Technologie, mit der sich die Daten nicht system-
gängigkeit. Kunden handeln gern nach gewohnten                   übergreifend über Schnittstellen austauschen und
Mustern und interagieren über verschiedenste Ka-                 anreichern lassen. Zum anderen liegt die Ursache
näle und Touchpoints mit dem Unternehmen. Dazu                   in der Organisationsstruktur: Für die Kundenkarte
zählen beispielsweise Telefon, E-Mail, Point-of-Sale,            ist die Loyalty-Abteilung zuständig. Diese ist aber
Webshop, Onlinemarktplatz, Newsletter, Chatbots,                 nicht in die Erstellung der Newsletterkampagnen
Alexa oder Social-Media-Plattformen. So entstehen                eingebunden und hat auch keinen Zugriff auf ent-
Informationen an vielen verschiedenen Stellen im                 sprechende Systeme und Daten. Umgekehrt finden
Unternehmen. Die Daten werden häufig in isolierten               die Erkenntnisse aus dem E-Mail-Marketing keinen
Silos verwaltet und lassen sich nur schwer auf eine              Weg in das Loyalty-Programm und können nicht
einheitliche Basis stellen. Zudem sind Prozesse oft              zur Optimierung des Kundenbindungsprogramms
nicht abteilungsübergreifend organisiert.                        verwendet werden. Somit bleiben wertvolle Kunden-
   Wie die bestehenden Strukturen eine durchgän-                 informationen ungenutzt und der Kunde erhält im
gige Customer Experience behindern können, zeigt                 Newsletter weiterhin allgemeine, nicht personali-
folgendes Beispiel-Szenario: Ein Einzelhandels-                  sierte Inhalte.

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status quo & ziele

     Daten zusammenführen und wechselseitig                  DXP bricht Silostrukturen auf
     austauschen
                                                             Eine Lösung kann hier eine Digital Experience Plat-
     Die technologische Herausforderung besteht nun da-      form (DXP) bieten. Sie stellt die notwendige Verbin-
     rin, diese Hürden zu überwinden, Daten konsequent       dung zwischen den Silos her und verknüpft sämtliche
     zusammenzuführen und wechselseitig auszutau-            Daten zugunsten einer durchgängigen Customer Ex-
     schen. Dies setzt die Fähigkeit voraus, mit großen      perience. Die Plattform wird dabei zum Kristallisati-
     Datenmengen umgehen und daraus einen konkreten          onspunkt, wenn es um den Umgang mit Kundendaten
     Mehrwert für den Kunden ableiten zu können. Hier-       und Interaktionen geht. Sie bildet ein ganzheitliches
     für bedarf es einer konsistenten Strategie und kla-     Ökosystem, das Content, Commerce und Community
     rer Leitlinien für die Prozessorganisation und das      mit Werkzeugen zur Automatisierung und Persona-
     Datenmanagement. Dabei ist nicht nur das Wissen         lisierung vereint. Darüber hinaus verfügt eine DXP
     über die Kunden entscheidend, sondern auch über         über einen Feedback-Loop: Basierend auf den Inter-
     die eigenen Prozesse und Systeme im Unterneh-           aktionen mit den Usern kann die Plattform sofort
     men. Außerdem müssen Compliance-Vorschriften            reagieren und personalisierte Inhalte in Echtzeit zur
     wie die Europäische Datenschutz-Grundverordnung         Verfügung stellen. Dabei ist die DXP keine isolierte
     (DSGVO) verlässlich eingehalten werden. Daher ist       Einzellösung, sondern bildet die Basis für ein kom-
     eine klare Data Governance erforderlich. Aus dieser     plexes, kundenzentriertes Gesamtsystem. Unterneh-
     muss stets ersichtlich sein, welche Informationen       men können damit ihre Klientel besser kennenlernen,
     über den Kunden konkret genutzt werden dürfen           zielgenau auf dessen Bedürfnisse eingehen und maß-
     und wie mit diesen Daten im Einzelfall rechtssicher     geschneiderte Angebote erstellen.
     umzugehen ist.                                              Um eine durchgängige Customer Experience zu
        Dazu kommt: Eine saubere und konsistente Daten-      gewährleisten, müssen auch alteingesessene und be-
     grundlage ist unabdingbar, um daraus wichtige Er-       währte Organisationsstrukturen grundlegend über-
     kenntnisse über kundenspezifische Verhaltensweisen      dacht werden. Ein Erfolgsfaktor bei der Einführung
     zu ziehen. Denn nur so lässt sich die Transparenz er-   einer DXP-Lösung ist die Optimierung der eigenen
     höhen und eine 360-Grad-Sicht auf die Gewohnheiten      Prozesse. Denn eine durchgängige End-to-End-
     und Vorlieben der Kunden erreichen. In vielen Unter-    Experience reicht vom Kunden bis in die firmenin-
     nehmen stehen jedoch Datensilos, veraltete Systeme      ternen Abläufe und Systeme. Dabei unterstützt eine
     und verteilte Verantwortlichkeiten einer ganzheit-      DXP, die Daten- und Organisationssilos in Unterneh-
     lichen Datenstrategie und damit einer durchgängigen     men erfolgreich aufzulösen und eine ganzheitliche
     Customer Experience im Wege.                            Datenstrategie zu implementieren.

     Traditionelle
     Customer Journey

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s t ak taut es gqouroi e &
                                                                                            t i tzei le l e

Künstliche Intelligenz
führt durch eine
reibungslose
Customer Journey

A B B . 3 . 2 : K Ü N S T L I C H E I N T E L L I G E N Z K A N N E I N E R E I B U N G S L O S E C U S TO M E R J O U R N E Y
B E S C H L E U N I G E N U N D U N T E R S T Ü T Z E N , M U S S A B E R T R A N S PA R E N T E I N G E S E T Z T W E R D E N .

           Künstliche Intelligenz transparent einsetzen                                  Wie die Ergebnisse der Studie zeigen, führt der Ein-
                                                                                         satz von KI bei vielen Kunden zu Verunsicherung.
           Ein weiterer Beschleuniger für die Umsetzung einer                            Daher hat es oberste Priorität, ihr Vertrauen zu ge-
           durchgängigen Customer Experience ist Künstliche                              winnen und langfristig zu sichern. Eine stimmige
           Intelligenz (KI). Ihr Einsatz wird jedoch von vielen                          Datenstrategie kann hier den Rahmen vorgeben, wie
           Kunden kritisch gesehen. Um gesetzliche Daten-                                ein Unternehmen mit den Daten in einem DXP-Öko-
           schutzvorgaben einzuhalten, ist die Einwilligung                              system vertrauenswürdig umgeht. Zudem braucht
           der Kunden für personalisierte Angebote zwingend                              das Marketing klare Vorgaben, nach welchen Regeln
           notwendig. Denn Menschen haben gerne die volle                                sich Kampagnen personalisieren und mithilfe einer
           Kontrolle über ihre Daten und erwarten gerade beim                            DXP umsetzen lassen. Dazu gehört auch der profes-
           Einsatz von KI-Technologien eine hohe Transparenz.                            sionelle Umgang mit den Kundendaten entlang aller
           Laut einer repräsentativen Studie von Statista aus                            relevanten Touchpoints.
           dem Jahr 2019 fordern 77 Prozent der Deutschen,
           dass KI-Anwendungen als solche identifizierbar                                Fazit
           sind. Auch die automatische Erstellung von Texten
           führt zur Verunsicherung bei den Bundesbürgern:                               Eine durchgängige Customer Experience ist essenziell
           Während 43 Prozent KI-Nachrichten für glaubwürdig                             für die langfristige Bindung zufriedener Kunden. Die
           halten, hegen 57 Prozent Zweifel. 54 Prozent befürch-                         richtige Datenstrategie und der Einsatz einer Digital
           ten sogar, dass Entwickler die KI für eigene Zwecke                           Experience Platform helfen dabei, diesem Ziel einen
           missbrauchen könnten.                                                         entscheidenden Schritt näherzukommen. Zudem
                                                                                         bildet die DXP die ideale Basis für die Integration
                                                                                         vielfältiger KI-Lösungen, was die Interaktion mit den
                                                                                         Kunden noch effizienter macht.

                                                        lünendonk magazin 5/2020                                                                 17
status quo & ziele

                  Künstliche Intelligenz
                       ist das neue
                    Strategieelement
     Bei vielen neuen Technologietrends ist oft die Rede von „Das ist doch nur
      alter Wein in neuen Schläuchen …“ oder „Das gab es früher auch schon,
     hieß nur anders …“. Auch beim Thema Künstliche Intelligenz sind solche
      und ähnliche Aussagen oft zu hören. Manchmal sind sie auch gar nicht
         so falsch, denn was häufig als KI bezeichnet wird, ist bei genauem
     Hinsehen eher Data Analytics auf Basis von guten Prognosemodellen und
      Algorithmen oder die einfache, nicht-intelligente Automatisierung von
                Routineaufgaben (Robotic Process Automation, RPA).

     Automatisierung ist Top-Thema                           denservice (beispielsweise Chatbots, Beantwortung
     von Unternehmen                                         einfacher Kundenanfragen) gibt es hohes Potenzial.
                                                             Ein Anwendungsbeispiel aus der IT ist der Einsatz von
     Egal, in welchen Bereich eines Unternehmens hi-         Bots zur Lösung von häufig auftretenden Incidents
     neingeleuchtet wird: Es sind sehr häufig Automati-      im First-Level-Support. Auch im Asset- und Configu-
     sierungsthemen, die derzeit geplant und umgesetzt       ration-Management können durch Automatisierung
     werden – sei es zur Automatisierung von manuel-         hohe Effizienzvorteile erzielt werden.
     len und zeitraubenden Verwaltungstätigkeiten oder       Wenn komplexere Prozesse, die kognitive Anforde-
     um Prozessketten wie Supply Chain und Produktion        rungen stellen, automatisiert werden sollen, stoßen
     durch schnellere Durchlaufzeiten schlanker zu ge-       einfache und nicht-intelligente Tools wie Robotic
     stalten. Laut der Lünendonk®-Studie 2019 „Der Markt     Process Automation (RPA) schnell an ihre Grenzen.
     für IT-Dienstleistungen in Deutschland“ ist die Auto-   Erst durch die Kombination von RPA mit Machine
     matisierung von Geschäfts- und IT-Prozessen eines       Learning und KI wird die Automatisierung von kom-
     der Top-Investitionsthemen der befragten CIOs, CDOs     plexen Prozessen ermöglicht. Typische Beispiele sind
     und CFOs für die kommenden Jahre. So gaben mehr         die Verarbeitung von unstrukturierten Daten (etwa
     als jeder zweite Studienteilnehmer an, 2020 einen       Social-Media-Daten, Bild- und Videodateien) oder die
     Investitionsfokus auf Automatisierungsvorhaben zu       automatisierte Beantwortung von Kundenanfragen in
     legen, um die fachlichen Kernprozesse zu optimie-       Customer Service Centern.
     ren. Aber nicht nur bei den Fachprozessen besteht       Laut einer aktuellen Lünendonk®-Studie „Robot
     Optimierungspotenzial, sondern auch bei den IT-Pro-     Process Automation“ aus dem Jahr 2019 setzen zwar
     zessen.                                                 58 Prozent der befragten großen Unternehmen und
        Use Cases für Automatisierungspotenziale finden      Konzerne RPA ein oder planten zum Zeitpunkt der
     sich in nahezu allen Funktionsbereichen, vor allem      Erhebung den entsprechenden Tool-Einsatz. Aller-
     im Bereich von Verwaltungstätigkeiten wie dem           dings haben die für diese Studie befragten CIOs, CDOs
     Rechnungswesen, der Auftragsbearbeitung, dem            und CFOs die Grenzen von RPA bereits durchaus
     Bestellwesen, Bewerbermanagement oder im Risk-          erkannt und sind der Auffassung, dass nur durch die
     und Compliance-Bereich bei der Identifikation von       Kombination von RPA mit KI-Technologien ein weit-
     Abweichungen oder Anomalien. Aber auch im Mar-          aus größerer Teil der Prozesse automatisiert werden
     keting (etwa Kampagnenmanagement) oder im Kun-          kann als ohne den Einsatz von Künstlicher Intelligenz.

18                                           lünendonk magazin 5/2020
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                                        1
                                                                                                             2
                                                                                                                                                   3

                        64 %
                Rollout von neuen
              Businessanwendungen
                                                                                         59 %
                                                                              Automatisierung
                                                                        der fachlichen Kernprozesse
                                                                                                                                        50 %
                                                                                                                                    Automatisierung
                                                                                                                                    der IT-Prozesse

                                                                   Top-Drei-
                                                          Investitionsschwerpunkte
                                                              der Unternehmen

A B B . 4.1: I N V E S T I T I O N S T H E M E N D E R A N W E N D E R U N T E R N E H M E N
Quelle: Lünendonk®-Studie 2019 „Der Markt für IT-Dienstleistungen in Deutschland“

             Demnach sind die befragten Manager der Auffassung,                                  Das größte Potenzial für künftige Einsatzbereiche
             dass sich durch die intelligente Automatisierung                                    sehen die befragten Führungskräfte im Kundenser-
             knapp 30 Prozent (28 %) der Prozesse automatisieren                                 vice und in den After-Sales-Services. Drei von vier
             lassen. Ohne KI reicht das Potenzial von RPA „nur“ zur                              Befragten (76 %) sehen hier sehr viel Potenzial, um
             Automatisierung von 15 Prozent aller Prozesse.                                      Verbesserungen mittels KI-Anwendungen zu erzie-
                                                                                                 len. Danach folgen mit 65 Prozent die Produktion, die
             Status von KI in deutschen Unternehmen                                              Logistik/Supply Chain (63 %) sowie Forschung und
                                                                                                 Entwicklung (63 %), der Vertrieb (61 %) und Marke-
             Aufgrund der technologischen Voraussetzungen ha-                                    ting (54 %). Die größten Zuwächse zwischen heutigen
             ben sich immer mehr Unternehmen mit den Möglich-                                    Anwendungsfällen und zukünftigen Potenzialen zei-
             keiten des Einsatzes von KI-Tools beschäftigt. Die Lü-                              gen sich in den Bereichen Human Resources und
             nendonk®-Studie 2019 „Künstliche Intelligenz – Eine                                 Einkauf, wobei das Potenzial immer noch deutlich
             Studie zum Status quo in deutschen Unternehmen                                      hinter dem anderer Bereiche liegt. Denn auch in den
             und zu zukünftigen Anwendungsfällen“ zeigt zwar,                                    anderen Unternehmenseinheiten gehen die Studien-
             dass KI derzeit noch ein Feld für Experimente ist. Dies                             teilnehmer von deutlichen Zuwächsen aus.
             wird an der Zahl der produktiven KI-Projekte deutlich.
             Weniger als die Hälfte der KI-Projekte (41 %), die in der                           Algorithmen werden intelligent
             Vergangenheit angestoßen wurden, sind heute im
             Produktivbetrieb. Oftmals handelt es sich um isolierte                              Im Grunde ist KI die konsequente Weiterentwick-
             Projektinitiativen in einzelnen Fachbereichen. Vor                                  lung von Predictive Analytics, weil nicht nur Algo-
             allem in den Bereichen Kundenservice (etwa Chat-                                    rithmen zur Datenanalyse und Prognose genutzt
             bots) und After Sales (beispielsweise schnellere Ser-                               werden können, sondern die intelligente Software
             viceprozesse 24/7), aber auch im Vertrieb (individua-                               durch Machine Learning in der Lage ist, selbstständig
             lisierte Angebote), der Logistik und Supply Chain, im                               Muster in großen Datenmengen zu erkennen und
             Marketing (etwa Customer Profiling, Churn Analytics)                                somit komplette Prozesse beziehungsweise Routi-
             und in der Produktion (beispielsweise Qualitätsma-                                  neaufgaben selbstständig durchzuführen. In Kom-
             nagement, Predictive Maintenance, Betrugserken-                                     bination mit Robotics-Technologien entstehen somit
             nung) gibt es unzählige Anwendungsfälle.                                            intelligente Systeme, die bestimmte Aufgaben für den

                                                               lünendonk magazin 5/2020                                                                  19
s t ak taut es gqouroi e &
                                                                                                       t i tzei le l e

                       Von der einfachen Massen-
                       bearbeitung zum selbstlernenden,
                       intelligenten System

                                                                                                                                                 4
                                                                                                                         3
                                                                      2
                                 1

                                                                                                                                                                Einsatz Künstlicher Intelligenz
                                                                                                                                            AUTONOMOUS
Prozesskomplexität

                                                                                                                                              AGENTS

                                                                                                                    D IG I T A L         Komplexe Software-
                                                                                                                 A S S IS T A N T S
                                                                                                                                          systeme, die unter
                                                                 C O G N I T IV E                                                          Einsatz von Deep
                                                                                                           Softwaroboter mit           Learning selbstständig
                                                               A U T O M A T IO N
                                                                                                               sprach- und                 Entscheidungen
                      R O B O T IC P R O C E S S                                                              textbasierten             treffen und Prozesse
                                                             Automation kom-                               Nutzer-Interfaces
                     A U T O M A T IO N ( R P A )                                                                                        initiieren und damit
                                                             plexerer Prozesse                              (Chatbots) unter
                                                             unter Verwendung                                                           Schlüsselfunktionen
                       Softwareroboter                                                                    Einsatz von Natural               automatisieren
                                                              unstrukturierter                           Language Processing
                        zur Automation                        Daten und unter                                                                    können
                        repetitiver und                     Einsatz von Machine
                         regelbasierter                           Learning
                        Prozesse unter
                          Verwendung
                     strukturierter Daten

                                                                                     Automationsgrad

                        A B B . 4.2: D A S V I E R - S T U F E N - M O D E L L Z U R I N T E L L I G E N T E N P R O Z E S S A U TO M AT I O N
                        Quelle: Horváth & Partners

       20                                                                  lünendonk magazin 5/2020
status quo & ziele

KI-Anwendungen und Potenziale

                                            Heutige Anwendungsfälle                      Zukünftige Potenziale                                  Zunahme
                       Marketing            23 %         23 %              46 %          54 %                     32 %                 86 %     +40
                           Vertrieb         27 %             18 %          45 %          61 %                        36 %                97 %   +52
Kundenservice/After Sales                   25 %          42 %                    67 %   76 %                                   17 %    93 %    +26
Forschung & Entwicklung                     17 %      28 %                 45 %          63 %                        21 %              84 %     +39
                      Produktion            22 %        33 %                 55 %        65 %                            17 %      82 %         +27
      Logistik, Supply Chain                38 %                    13 %    51 %         63 %                        26 %              89 %     +38
                            Einkauf            10 %     15 %                             19 %       38 %            57 %                        +42
      Finance & Controlling                 9 % 14 %      23 %                           15 %    31 %         46 %                              +23
              Geschäftsleitung              10 %   10 %                                  18 %       9%     27 %                                 +17
            Human Resources                        5%                                    8 % 24 %          32 %                                 +27

                sehr viele Anwendungsfälle/sehr viel Potenzial                                  viele Anwendungsfälle/viel Potenzial

A B B . 4 . 3 : H E U T I G E A N W E N D U N G S FÄ L L E
U N D Z U K Ü N F T I G E P OT E N Z I A L E
Quelle: Lünendonk®-Studie 2019 „Künstliche Intelligenz“ in Zusammenarbeit
mit Ginkgo Management Consulting und Ginkgo Analytics

Menschen übernehmen können. Aus diesem Grund spricht                                  bare Aufgaben übernehmen. Ein Beispiel ist Text Mining, also
man auch oft von intelligenter Automatisierung, wenn vom                              das Durchsuchen von Dokumenten nach Schlagworten. Durch
Einsatz von KI zusammen mit RPA oder Robotern zur Opti-                               Text Mining können beispielsweise Compliance-Verstöße oder
mierung von Geschäfts- und IT-Prozessen in Unternehmen die                            Betrugsfälle besser und schneller aufgedeckt werden. Ebenso
Rede ist. So setzen in letzter Zeit immer mehr Unternehmen zur                        lassen sich Eingangsdokumente automatisch den richtigen
Identifizierung weiterer Prozessoptimierungspotenziale auf                            Sachbearbeitern zuordnen. In einigen Bereichen beantwor-
Technologien wie Process Mining, um damit Ineffizienzen wie                           ten KI-basierte Dokumentenmanagementsysteme auch autark
Doppelarbeiten oder lange Durchlaufzeiten in ihren Prozessen                          einfache Kundenanfragen und geben beispielsweise Eingangs-
zu identifizieren. Nach einer solchen Analyse setzen Unter-                           bestätigungen, übernehmen Änderungen in den Stammdaten-
nehmen immer häufiger intelligente Bots ein, die zunächst                             sätzen (Adress- und Namensänderungen, Kontodaten etc.) oder
vergleichsweise einfache Routinearbeiten für standardisier-                           legen Bestellungen automatisch in den IT-Systemen an.

                                                                 lünendonk magazin 5/2020                                                             21
k ategorietitel

   KI als disruptive Kraft
   – Auswirkungen von KI auf
   unterschiedliche Funktionen

                     Kunden                           94 %
        Backoffice-Prozesse                       72 %
                  Produktion                    63 %
                                                                             A B B . 4 . 4 : D A S D I S R U P T I V E P OT E N Z I A L V O N
                                                                             KÜNSTLICHER INTELLIGENZ UND DIE AUS-
(Kundenzentrische) Prozesse                    53 %                          WIRKUNGEN VON KI AUF UNTERSCHIEDLICHE
                                                                             FUNKTIONEN
        Produkte & Services                   47 %                           Quelle: Lünendonk®-Studie 2019 „Künstliche Intelligenz“ in Zusammenarbeit
                                                                             mit Ginkgo Management Consulting und Ginkgo Analytics
                  Mitarbeiter              34 %

  KI hat disruptives Potenzial                                      Der Mensch wird weiter im Mittelpunkt
                                                                    stehen
  Die Beispiele in diesem Artikel zeigen: KI wird in fast allen
  Branchen zu disruptiven Veränderungen führen und die di-          Laut der eben zitierten Lünendonk®-Studie 2019 wird es aus
  gitale Transformation ermöglichen. Mehrwerte durch den            Sicht der Studienteilnehmer zukünftig so gut wie keine voll-
  Einsatz von KI erwarten die in der Lünendonk®-Studie 2019         autonomen KI-Systeme geben, sondern KI wird auch weiter-
  „Künstliche Intelligenz – Eine Studie zum Status quo in deut-     hin unter Aufsicht von Mitarbeitern eingesetzt werden. Zwei
  schen Unternehmen und zu zukünftigen Anwendungsfällen“            Drittel der derzeit eingesetzten KI-Lösungen in den befragten
  befragten Unternehmen im Wesentlichen auf den Gebieten            Unternehmen im deutschsprachigen Raum arbeiten weitestge-
  Analyse des Kundenverhaltens, intelligente Touchpoints,           hend teilautonom und sollen das größtenteils auch zukünftig
  Dokumentenabgleich, Risiko- und Kreditbewertung, Prozess-         tun. Allenfalls bei stark standardisierbaren Prozessen wie dem
  automatisierung, Schaffung neuer Services, Kostenoptimie-         automatischen Ausspielen von Werbung auf Webseiten, bei
  rung und Qualitätssteigerung. Daher geben zwei von drei der       automatischen Produktvorschlägen oder ähnlich unkritischen
  befragten Manager an, dass KI in den kommenden fünf Jahren        Aufgaben halten die befragten Führungskräfte vollautonome
  sehr große oder große Auswirkungen auf die Prozesse und das       Lösungen derzeit für sinnvoll und richtig.
  Geschäftsmodell ihres Unternehmens haben wird.                       Unter der Prämisse „Human in the loop“ setzen die meisten
     Problematisch ist jedoch, dass oft kein unternehmensweites     Unternehmen KI-Werkzeuge zur Unterstützung der Mitarbeiter
  Verständnis darüber besteht, was unter Künstlicher Intelligenz    und Kunden im Alltag ein. So unterstützt KI beispielsweise die
  zu verstehen ist. In den meisten von Lünendonk befragten          Entwicklungsabteilung bei der Verifizierung und beim Test
  Unternehmen (76 %) gibt es noch keine einheitliche und            von Konstruktionen oder die Qualitätsabteilung mittels Bil-
  bereichsübergreifende Definition und Konkretisierung dieses       derkennung beim Aufdecken von Produktfehlern. Aber auch
  Begriffs. Und selbst dort, wo sie vorhanden ist, existiert kein   im Backoffice soll KI mehr und mehr zum Einsatz kommen.
  einheitliches Verständnis von KI und ihrem Benefit für das        Die automatische Verbuchung kleiner Rechnungsbeträge oder
  Unternehmen. Darüber hinaus ist ein großer Behinderungsfak-       die Vervollständigung von Buchungstexten sollen Sachbear-
  tor die schlechte Datenqualität. Folglich werden KI-Methoden      beiter entlasten, sodass Zeit für großvolumige und kritische
  derzeit hauptsächlich bei Einzelprojekten in Randbereichen        Rechnungen mit großem Impact bleibt. Auch an dieser Stelle
  oder vereinzelten Wertschöpfungsschritten angewendet und          der Gespräche wurde stets deutlich, dass KI nicht dazu führen
  noch nicht in der Breite.                                         soll, Beschäftigte freizusetzen und Personalkosten zu sparen.
                                                                    Allerdings entwickeln sich die einzelnen regionalen Märkte in
                                                                    Bezug auf Ethik und Forschungsgeschwindigkeit sehr unter-
                                                                    schiedlich. So wird der Einsatz von KI in den USA und China
                                                                    zur Analyse von menschlichem Verhalten komplett anders
                                                                    bewertet als in Europa.

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status quo & ziele

        Experten glauben,
        dass KI in den
        kommenden 5
        Jahren große oder
        sehr große Auswir-
        kungen auf die
        Prozesse und das
        Geschäftsmodell
        ihres Unternehmens
        haben wird.

                                                                           DIGITAL
Trotz der disruptiven                                                      DISRUPTION
Kraft der KI steht
der Mensch weiter im

                                                                          81
Mittelpunkt

                                                                                                      %
                                                                            glauben, dass KI in ihrer
                                                                            Branche disruptive
                                                                            Veränderungen anstoßen kann.

Hauptbereiche disruptiver Veränderungen

                                                    Intelligente
                                                     Planungs-                                Predictive
                                                      systeme                                  Pricing
    Autonomes
      Fahren
                             Intelligente                           Unterstützung
                               Kunden-                             bei Entwicklung
                              ansprache

                                 lünendonk magazin 5/2020                                                  23
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24   lünendonk magazin 5/2020
o r g aknaitseagtoi or n
                                                                  i e t&i tkeul l t u r

   KI braucht Organisation:
  Wie Künstliche Intelligenz
mit den richtigen Maßnahmen
       zum Erfolg wird
                            Interview mit Niels Pothmann, Head of AI, Arvato Systems
                              und Martin Weitzel, Innovation Lead, Arvato Systems

Die richtige Organisation von KI-Projekten gilt als Grundvoraussetzung
     für den erfolgreichen KI-Einsatz in Unternehmen. Welche KI-
Kompetenzen aufgebaut und welche Voraussetzungen im Unternehmen
 geschaffen werden sollten, erklären die Experten von Arvato Systems,
  Niels Pothmann, Head of AI, und Martin Weitzel, Innovation Lead.

KI-Projekte umzusetzen und KI zu nutzen berührt viele              Welche Voraussetzungen müssen Unternehmen schaf-
Unternehmensbereiche. Welche KI-Kompetenzen und                    fen, um KI erfolgreich einzusetzen?
-Rollen sind nötig?
                                                                   Martin Weitzel: Die zentrale Voraussetzung für er-
Niels Pothmann: Im Wesentlichen kann zwischen                      folgreiche KI-Projekte ist die bereichsübergreifende
technischen und fachlichen Spezialisierungen unter-                Kollaboration. Mitarbeiter müssen zusammenar-
schieden werden. Auf technischer Seite braucht es ei-              beiten können, wollen und dürfen. Unternehmen
nen Data Engineer bzw. Data Architect, der die Daten               müssen – auch heutzutage noch – oftmals erst die
erfasst und konsolidiert. Damit schafft er die Basis für           technischen, prozessualen und kulturellen Voraus-
den Machine Learning Engineer oder Data Scientist,                 setzungen schaffen, bevor die für die KI-Adoption
der technische Kompetenz und fachliche Ausrichtung                 notwendigen Mitarbeiter gezielt zueinander finden
verbindet. Er überführt die Aufgabenstellung mit Ma-               können. Um all das umzusetzen, braucht es eine klare
chine Learning und KI in automatisierte Verfahren.                 und greifbare Vision, an der alle gemeinsam arbeiten.
Auf fachlicher Ebene zeigt ein KI-Botschafter die Vor-             Und ja, das kostet Zeit und Geld.
teile einer KI-Lösung auf und ein Product Owner treibt
das Thema voran. Zusammen mit Experten aus der
Fachabteilung wird die funktionale Ausrichtung der
Lösung vorgegeben.

                                     lünendonk magazin 5/2020                                                              25
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                       Wie lässt sich ein optimales Zusammenspiel organisa-
                       torisch sicherstellen?

                       Martin Weitzel: Das hängt vom Status quo ab. Wer
                       in Sachen KI am Anfang steht und noch die rich-
                       tigen Ideen sucht, kann beispielsweise zunächst mit
                       einer strukturierten Innovationskampagne starten.
                       Denn wenn die Inhalte unklar sind, hilft es, den Pro-
                       zess umso klarer zu gestalten. Wer bereits Ideen hat,
                       der setzt eher ein Programm auf, in dem Strategie,
                       Steuerung und Coaching der KI-Umsetzungen gere-
                       gelt sind. Das Wie hängt dabei stark von der Inno-
                       vations-DNA eines Unternehmens ab. Für die einen
                       liegt die Antwort zum Beispiel in einem dezentralen
                       KI-Transformationsprogramm, für andere wiederum
                       möglicherweise in einem zentralen Innovation Lab.
                       Bei Arvato Systems haben wir ein interdisziplinäres
                       Artificial Intelligence Competence Cluster, das heißt
                       ein standortübergreifendes Netzwerk mit rund 120
                       Experten, das dezentral in verschiedenen Geschäfts-
                       bereichen verankert ist. Einige Punkte sind aber
                       grundsätzlich immer zu beachten:

                       1. Klare Verantwortlichkeiten:
                          Gerade in einem integrativen Ansatz
                          muss geregelt sein, wer was verantwortet.

                       2. Ambitionen festlegen:
                          Es braucht Businesspläne mit Hypothesen,
                          die im Verlauf der Zeit validiert werden können.

                       3. Agilität, Flexibilität und DevOps:
                          Kurze Entscheidungswege, Kollaboration
                          und Experimentierfreude erlauben, produktive
                          KI-Services schnell zu entwickeln.

                       4. Rahmenbedingungen:
                          Klare Leitplanken, etwa bezüglich Budget
                          und Datenschutz, sind Pflicht.

                       5. Spielregeln:
                          Ein Top-Management-Pate gibt Regeln vor,
                          die gegebenenfalls von den sonst üblichen
                          Regeln abweichen können: Vielleicht sind zum
                          Start beispielsweise gute Storys wichtiger als
                          Umsatz oder Kostenersparnisse.

                       6. Übersetzer:
                          Es braucht Rollen, die technische Aspekte
                          fachlich verständlich – und umgekehrt
                          – vermitteln können.

26   lünendonk magazin 5/2020
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Wie bleiben die Beteiligten im dynamischen KI-Umfeld      Nicht jedes Unternehmen kann die notwendigen Kom-
fachlich up to date?                                      petenzen aufbauen. Was zeichnet einen guten Dienst-
                                                          leister aus?
Niels Pothmann: KI ist nicht neu, doch viele Lö-
sungen sind erst heute praktisch umsetzbar. Es fehl-      Niels Pothmann: Hier gibt es keine pauschale Ant-
ten Daten und Rechenkapazitäten. Die Herausforde-         wort. Einige Unternehmen müssen beispielsweise
rung besteht nicht nur darin, KI umzusetzen, sondern      noch den passenden Use Case finden. Da können wir
insbesondere mit der Entwicklung Schritt zu halten.       etwa mithilfe unserer Methode der AI Journey unter-
Darum müssen Firmen ihr KI-Team weiterbilden.             stützen: Wir identifizieren sinnvolle Use Cases, pilo-
Zum einen lohnt der Blick auf Hyperscaler, die ihre       tieren sie, implementieren einen produktionsreifen
Cloud-Portfolios sukzessive ausbauen, indem sie Be-       Prototyp und überführen die KI-Lösung in den Re-
triebs- und Anwendungsumgebungen für KI integrie-         gelbetrieb. Dieses Vorgehensmodell haben wir auch
ren. Zum anderen ist es ratsam, sich die Erkenntnisse     ausführlich im Arvato-Systems-E-Book „Wie Unter-
von Universitäten und Forschungseinrichtungen zu-         nehmen von Künstlicher Intelligenz profitieren. Vo-
nutze zu machen. Viele geben Open-Source-Projekte         raussetzungen, Einsatzszenarien und Realisierungs-
an ihre Community weiter. Damit werden neue KI-           wege für KI-Projekte“ beschrieben.
und Machine-Learning-Methoden rasch einsetzbar.
Arvato Systems und der Bertelsmann Konzern setzen         Martin Weitzel: Individuelle Beratung und Umset-
auf kontinuierliches Lernen: Mitarbeiter sollen sich      zungskompetenz sind also wichtig. Um Kernprozesse
mit sinnvollen Technologien vertraut machen. Und          zu optimieren, setzen viele bereits Pilotprojekte um
nichts geht über Learning by Doing. Das theoretische      und integrieren produktive KI-Services. Dabei stellt
Wissen anzuwenden, ist unverzichtbar.                     sich oft die Frage: Standard- oder Individuallösung?
                                                          Ein Medienunternehmen, das junge Künstler unter
                                                          Vertrag nehmen will, oder ein Finanzdienstleister,
                                                          der in lukrative Start-ups investieren möchte, braucht
                                                          keine Standardlösung. Um besser als der Marktdurch-
                                                          schnitt zu sein, benötigen solche Firmen ein einzigar-
                                                          tiges Tool. Es muss dennoch keine Individuallösung
                                                          sein. Sie zu entwickeln, ist nämlich zeit- und kos-
                                                          tenintensiv. Es hat sich bewährt, Standardlösungen
                                                          individuell anzupassen, um Performancevorteile zu
                                                          erzielen und sich vom Wettbewerb abzuheben.

                                                          Niels Pothmann: Ein guter Dienstleister geht des-
                                                          halb auf die individuellen Anforderungen des Un-
                                                          ternehmens ein. Er passt die Datenlandschaft sowie
                                                          Geschäftsabläufe an und ergänzt sie um weitere
                                                          Prozesse, Plattformen, Daten und Technologien. Zu-
                                                          dem stellt er KI-Microservices für die Fachbereiche
                                                          bereit. Bei der praktischen Umsetzung vernetzt er
                                                          die Datenquellen zwischen den Fachbereichen und
                                                          bringt sein Know-how für Machine Learning und Data
                                                          Science ein. Wer einen Anbieter wählt, der in diesen
                                                          Punkten überzeugt, macht nichts falsch. Und da sich
                                                          KI-Lösungen permanent weiterentwickeln, ist eine
                                                          längerfristige Zusammenarbeit ratsam.

                                                                                                                   27
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