Beschäftigungs- und Qualifizierungsstrategie 2020+ für Kärnten
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Impressum Herausgeber: Land Kärnten In Zusammenarbeit mit AMS Kärnten, Wirtschaftskammer Kärnten, Arbeiterkammer Kärnten, Industriellenvereinigung Kärnten, Österreichischer Gewerkschaftsbund Kärnten Koordination und Erstellung: IFA Kärnten, Unternehmensberatung GmbH Textbeiträge von: Gerhard Genser, Gerhard Herbst, Günther Marx, Heinz Pichler, Otto Prantl, Wolfgang Pucher, Markus Steindl, Peter Wedenig Grafik und Layout: wagner graphic design Klagenfurt im Mai 2015
INHALTSVERZEICHNIS 3 Inhaltsverzeichnis 1. Vorwort 6 2. Statements 8 3. Executive Summary 11 4. Prozess der Strategieentwicklung 13 5. Ausgangssituation für die Kärntner Beschäftigungs- und Qualifizierungsstrategie 2020+ 18 6. Handlungsfeld Jugendliche am Übergang Schule - Beruf 25 6.1. Herausforderungen 25 6.2. Strategische Ziele im Handlungsfeld A 27 6.3. Umfassende Berufs- und Bildungsorientierung zur Unterstützung tragfähiger Bildungs- und Berufsentscheidungen 27 6.3.1. Rahmenbedingungen für die Zielerreichung 27 6.3.2. Maßnahmenbeispiele zur Unterstützung des strategischen Zieles 28 6.3.2.1. Berufs- und Bildungsorientierung Kärnten am Übergang Schule - Beruf – Ausbildung 28 6.3.2.2. Berufsorientierungswochen 29 6.4. Prävention von Schul- und Ausbildungsabbrüchen 30 6.4.1. Rahmenbedingungen für die Zielerreichung 30 6.4.2. Maßnahmenbeispiele zur Unterstützung des strategischen Ziels 31 6.4.2.1. Jugendcoaching 31 6.4.2.2 Coaching und Beratung für Lehrlinge und Lehrbetriebe 32 6.5. Wiedereingliederung nach Schul- und Ausbildungsabbrüchen 33 6.5.1 Rahmenbedingungen für die Zielerreichung 33 6.5.2. Maßnahmenbeispiele zur Unterstützung des strategischen Ziels 34 6.5.2.1. Produktionsschulen 34 6.5.2.2. Überbetriebliche Lehrausbildung (ÜBA) 35 6.5.2.3. Nachholen eines Lehrabschlusses 35 6.5.2.4. Betreuung und Stabilisierung von „NEET“ und „Early School Leavers“ im Rahmen sogenannter „Taschengeldprojekte“ 36 7. Handlungsfeld Beschäftigung und Qualifizierung von Arbeitsuchenden 38 7.1. Herausforderungen 38 7.2. Strategische Ziele im Handlungsfeld B 41 7.3. Erhöhung der Arbeitsmarktchancen am „Ersten Arbeitsmarkt“ durch Beratung und Qualifizierung 42 7.3.1. Rahmenbedingungen für die Zielerreichung 42 7.3.2. Maßnahmenbeispiele zur Unterstützung des strategischen Zieles 43 7.3.2.1. Beratungs- und Betreuungsprojekte(BBE) 43 7.3.2.2. Arbeitsstiftungen 43 7.4. Erhöhung der Arbeitsmarktchancen am „Ersten Arbeitsmarkt“ durch Beschäftigung 44
4 INHALTSVERZEICHNIS 7.4.1. Rahmenbedingungen für die Zielerreichung 44 7.4.2. Maßnahmenbeispiele zur Unterstützung des strategischen Zieles 46 7.4.2.1. Gemeinnützige Beschäftigungsprojekte 46 7.4.2.2. Förderung von Beschäftigungsverhältnissen 46 7.4.2.3. Regionale Angebote am „Zweiten Arbeitsmarkt“ 46 7.5. Schaffung von Unterstützungsprogrammen für am Arbeitsmarkt benachteiligte Zielgruppen 47 7.5.1. Rahmenbedingungen für die Zielerreichung 47 7.5.2. Maßnahmenbeispiele zur Unterstützung des strategischen Zieles 47 7.5.2.1. Initiativen für MigrantInnen 47 7.5.2.2. Initiativen für Frauen und WiedereinsteigerInnen 48 7.5.2.3. Initiativen für Menschen mit Behinderungen 49 7.5.2.4. Initiativen für Langzeitarbeitslose 49 7.5.2.5. Initiativen für Ältere 49 7.6. Verringerung beziehungsweise Vermeidung von „Working Poor“ 50 7.6.1. Rahmenbedingungen für die Zielerreichung 50 7.6.2. Maßnahmenbeispiele zur Unterstützung des strategischen Zieles 52 7.6.2.1. Nachholen von Bildungsabschlüssen 52 7.6.2.2. Verringerung der saisonalen Arbeitslosigkeit 52 7.6.2.3. Beschäftigungsprojekte und Maßnahmen für Alleinerzieherinnen 53 8. Handlungsfeld Beschäftigung und Qualifizierung im unternehmerischen Umfeld 54 8.1. Herausforderungen 54 8.2. Strategische Ziele im Handlungsfeld C 56 8.3. Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der Kärntner Unternehmen durch Qualifizierung von Beschäftigen 56 8.3.1. Rahmenbedingungen für die Zielerreichung 56 8.3.2. Maßnahmenbeispiele zur Unterstützung des strategischen Zieles 57 8.3.2.1. Qualifizierungsförderung für Beschäftigte des Arbeitsmarktservice (QBN, vormals QfB) 57 8.3.2.2. Qualifizierung für Betriebe durch das Land Kärnten 57 8.3.2.3. Bildungsförderung für ArbeitnehmerInnen 58 8.3.2.4. Fachkräfte im Tourismus 59 8.3.2.5. Fachkräfte im Gewerbe 59 8.3.2.6. Lehre mit Matura, Heimkostenförderung 59 8.4. Stärkung der wirtschaftlichen Dynamik und Innovationsfähigkeit durch Unterstützung von Kleinstunternehmen und Ein-Personen-Unternehmen (EPU) 60 8.4.1. Rahmenbedingungen für die Zielerreichung 60 8.4.2. Maßnahmenbeispiele zur Unterstützung des strategischen Zieles 64 8.4.2.1. Beratung und Begleitung von EPU 64 8.4.2.2. Maßnahmen für stillgelegte/gescheiterte EPU 65 8.5. Demografischer Wandel: Unterstützung der Betriebe im Umgang mit älteren ArbeitnehmerInnen 65
INHALTSVERZEICHNIS 5 8.5.1. Rahmenbedingungen für die Zielerreichung 67 8.5.2. Maßnahmenbeispiele zur Unterstützung des strategischen Zieles 68 8.5.2.1. Kärntner Netzwerk Arbeit und Alter 68 8.5.2.2 Generationen im Arbeitsleben (GENIAL) 70 8.5.2.3. „fit2work“ 70 9. Handlungsfeld Beschäftigung und Qualifizierung im regionalen Kontext 71 9.1. Herausforderungen 71 9.2. Strategische Ziele im Handlungsfeld D 73 9.3. Gegensteuerung zum Humankapitalverlust durch Abwanderung („Brain Drain“) 74 9.3.1. Rahmenbedingungen für die Zielerreichung 74 9.3.2. Maßnahmenbeispiele zur Unterstützung des strategischen Zieles 76 9.3.2.1. Chancen für junge AkademikerInnen 76 9.3.2.2. „Projekt pro Kärnten“ 76 9.3.2.3. Stärkung der Innovationspotenziale in KMU – ein Beispiel aus Dänemark 77 9.4. Erhaltung der Attraktivität des ländlichen Raumes 79 9.4.1. Rahmenbedingungen für die Zielerreichung 79 9.4.2. Maßnahmenbeispiele zur Unterstützung des strategischen Zieles 80 9.4.2.1. Mobilität 80 9.4.2.2. Regionale Bildungsangebote 80 10. Ausblick: Ein gemeinsamer Kärntner Weg 82 11. Literatur 83 Verzeichnis der Grafiken 87 Verzeichnis der Tabellen 88
6 VORWORT LH Dr. Peter Kaiser, LHStv. in Dr. in Gaby Schaunig 1. Vorwort Die Kärntner Landesregierung hat die Themen- felder Beschäftigung und Bildung im Regie- rungsprogramm als Hauptthemen definiert und sich dazu bekannt, diese wichtigen Schwer- punkte auf breiter Basis mit größtmöglichem Einsatz zu bearbeiten. Aufgrund der herausfor- dernden Situation im Bereich des Arbeitsmark- tes hat das Land Kärnten ein Zeichen gesetzt und alle relevanten Organisationen dazu einge- laden, an der Erstellung einer Arbeitsmarktstra- tegie mitzuarbeiten. Die zentralen wirtschaftlichen, arbeitsmarktpolitischen und gesellschaftlichen Herausforderungen finden sich nach Ausmaß und Ausprägung unterschiedlich in allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union wie- der. Aus der Erkenntnis heraus, dass gravierender Handlungsbedarf gegeben ist, hat die Union für ihre Förderpolitik 2014-2020 fünf strategische Handlungsbereiche definiert, die sich in den Strategien, Zielen und Maßnahmen der Fonds-Förderprogramme der einzelnen EU-Mitgliedstaaten wiederfinden sollen: • Beschäftigung, • Forschung, Entwicklung und Innovation, • Klimawandel und Energie, • Bildung, • Armut und soziale Ausgrenzung. Strategien, Ziele und Maßnahmen, die in diesen Handlungsbereichen gesetzt werden müssen, verflechten die Handlungsbereiche, zumal sie alle eine Auswirkung auf die Wirtschafts-, Arbeitsmarkt- und Gesell- schaftsentwicklung haben. Hieraus leitet sich in der Umsetzung der Beschäftigungs- und Qualifizierungs- strategie Kärnten 2020+ die große Herausforderung ab, zwischen allen Finanzierungs- und Förderungsin- stanzen eine optimale Koordination und Abstimmung zu erzielen, damit größtmögliche Effekte generiert werden können. Eine gute und praxisorientierte Bildung ist die beste Basis für den Berufseinstieg, Weiterbildung ist Grund- lage für eine nachhaltig positive Teilhabe an der Berufswelt, und eine hohe Beschäftigungsquote ist eine wesentliche Maßnahme zum Schutz vor Armut und sozialer Ausgrenzung. Forschung und Entwicklung sind notwendige Grundlagen für die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft und die Voraussetzung für die Hebung von Innovations- und Wachstumspotenzialen, vor allem in regionalen Ökonomien wie Kärnten, in denen neben der Industrie auch Klein- und Mittelbetriebe einen tragenden Faktor der Wirtschaftsstruktur darstellen. Die Berücksichtigung des Klimawandels und der ressourceneffiziente Umgang mit Energie sind relevante Voraussetzungen dafür, dass eine intakte Umwelt auch für zukünftige Generationen gesichert werden kann. Darüber hinaus werden dadurch im Produktions- und Dienstleistungsbereich Wirtschafts- und Beschäftigungswachstumsimpulse generieren. Um gemeinsam die Herausforderungen zu meistern, alle möglichen Ressourcen zu bündeln, haben in Kärnten daher die Vertreterinnen und Vertreter der Sozialpartner, der Regionen, des Arbeitsmarktservice sowie des Landes selbst auf die Kärntner Situation zugeschnittene Strategien, Ziele und Maßnahmen für die vorliegende „Beschäftigungs- und Qualifizierungsstrategie 2020+“ erarbeitet.
VORWORT 7 LH Dr. Peter Kaiser, LHStv. in Dr. in Gaby Schaunig Die Herausforderungen, die wirtschafts-, arbeitsmarkt- und gesellschaftspolitisch bewältigt werden müs- sen, sind vielschichtig und gravierend. Es war und bleibt deswegen besonders wichtig, dass alle involvier- ten Organisationen und Instanzen zur Gestaltung der Wirtschafts-, Arbeitsmarkt- und Gesellschaftspolitik im Lande gemeinsam an der Entwicklung dieser Strategie gearbeitet haben und weiterhin arbeiten werden. Die vorliegende Strategie und die darin enthaltenen Ziele und Maßnahmen dürfen nicht als unveränderli- che Handlungsanweisungen verstanden werden. Vielmehr soll diese jährlich evaluiert und adaptiert werden, da auch die arbeitsmarkt- und wirtschaftsspezifischen Rahmenbedingungen Änderungen unter- liegen. LH Dr. Peter Kaiser LHStv. in Dr. in Gaby Schaunig Landeshauptmann Arbeitsmarktreferentin
8 STATEMENTS AMS Kärnten, WK Kärnten 2. Statements AMS Kärnten: Strategie 2020+ Eine politische Innovation im Land war die Einladung des Landeshauptmannes Herr Dr. Peter Kaiser an die Sozialpartner und das Arbeitsmarktservice (AMS) zur Teilnahme an den erweiterten Regierungssitzungen, die jedes Quartal stattfinden. Das vorliegende Strategiepapier ist das Ergebnis dieser sinnhaf- ten und effektiven Zusammenarbeit aller verantwortlichen Kräfte im Land. Es ist unsere Aufgabe, Innovationen zur Entwicklung der Arbeitsmarktpolitik voranzutreiben. Der Arbeitsmarkt befindet sich in starkem Umbruch. Manche Berufsfelder laufen aus, neue kommen hinzu. Die demographische Entwicklung und die technischen Errungenschaften, die ein neues Informations- und Kom- munikationsverhalten erzeugen, verändern unsere Gesellschaft und prägen einen neuen Zeitgeist. In einigen Jahren wird dieser andere Befindlichkeiten und Herausforderungen mit sich bringen, als dies heute der Fall ist. Das AMS Kärnten wird auch dann für die Wirtschaft die Arbeitskräfte passgenau ausbilden und diese so rasch als möglich vermitteln. Mit zertifizierten Ausbildungen, die mit den Anforderungen der Wirtschaft ak- kordieren, haben beide Seiten – Arbeitsuchende und Unternehmer/innen – bestmögliche Voraussetzungen. Das AMS Kärnten wird weiterhin für diejenigen eintreten, die es ohne Unterstützung schwerer haben, in Beschäftigung zu bleiben oder zu kommen. Denn Chancengleichheit hat für das AMS Kärnten ganz gewiss auch in der Zukunft Priorität! Franz Zewell Landesgeschäftsführer AMS Kärnten WK Kärnten: Mit Strategie für Fachkräfte der Zukunft Einer der wichtigsten Standortfaktoren in einer modernen Industrie- und Dienst- leistungsgesellschaft sind gut ausgebildete Mitarbeiter. Die prognostizierte de- mografische Entwicklung wird in Kärnten eine dauerhafte Veränderung der Al- tersstruktur der Erwerbspersonen und einen drastischen Rückgang der potenziellen Arbeitskräfte bringen. Bis 2030 werden der Kärntner Wirtschaft rund 40.000 Facharbeiter und Akademiker fehlen. Damit wird sich am Kärntner Arbeitsmarkt der Wettbewerb der Unternehmen um gut qualifizierte Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen noch verschärfen. Der Faktor Arbeit wird zu einem limitie- renden Faktor für die wirtschaftliche Entwicklung Kärntens und damit eine der größten Herausforderungen für Politik und Interessensvertretungen. Um den Wirtschaftsstandort Kärnten nachhaltig zu sichern und auszubauen, setzt die Wirtschaftskammer Kärnten auf die aktive Gestaltung der Arbeitsmarkt- und Standortpolitik. Dies gelingt nur durch eine enge Kooperation zwischen dem Land Kärn- ten, dem AMS und den Sozialpartnern. Wir werden in Kärnten nur erfolgreich sein, wenn diese Institutionen eine gemeinsame Strategie entwickeln und die beschlossenen Maßnahmen entschlossen umsetzen. Jürgen Mandl, MBA Präsident der Wirtschaftskammer Kärnten
STATEMENTS 9 AK Kärnten, ÖGB Kärnten AK Kärnten Im Gefolge der weltweiten Finanzkrise und der europäischen Staatsschulden- krise hat sich eine anhaltende Wachstumsschwäche der Wirtschaft etabliert. Die massiven Beschäftigungsprobleme auf dem Arbeitsmarkt bedrohen auch zunehmend die Existenzsicherung der Kärntner ArbeitnehmerInnen. Die Entwicklung Kärntens zu einem wettbewerbsfähigen Wirtschaftsstandort mit zukunftsträchtigen Arbeitsplätzen erfordert das Zusammenspiel fast aller Politikbereiche. Infrastrukturpolitik, Bildungs- und Familienpolitik, Wirt schaftsförderung etc. müssen koordiniert und vernetzt betrieben werden. Für die Sicherung der heutigen und die Schaffung zukünftiger Arbeitsplätze sind Politikbereiche, welche die Standortbedingungen für Unternehmen beeinflussen, bedeutend. Der notwendige Strukturwandel der Kärntner Wirtschaft muss zügig vorangetrieben werden. Die Wettbe- werbsfähigkeit der Kärntner Unternehmen und seiner ArbeitnehmerInnen muss gestärkt werden, um Wachstum und Beschäftigung nachhaltig zu sichern. Günther Goach Präsident der AK Kärnten ÖGB Kärnten Eine partnerschaftliche Zusammenarbeit politischer und gesellschaftlicher In- stitutionen ist gerade in Zeiten steigender Arbeitslosigkeit besonders bedeut- sam und wahrscheinlich auch der einzige Weg, um den komplexen Herausfor- derungen am Arbeitsmarkt mit innovativen Lösungsansätzen begegnen zu können. Als Partner des Territorialen Beschäftigungspaktes ist der ÖGB Kärnten bemüht, eine verstärkte Einbindung von Frauen und insbesondere äl- © Jagoutz, k.k. terer ArbeitnehmerInnen in den Arbeitsmarkt zu erzielen und mit effektiven Maßnahmen vor allem der Langezeitarbeitslosigkeit entgegen zu wirken. Durch die Implementierung von Berufs- und Bildungsorientierungsmaßnah- men sowie verstärkten Bemühungen hinsichtlich der Wiedereingliederung Jugendlicher nach Schul- und Ausbildungsabbrüchen muss ein weiterer Anstieg der Jugendarbeitslosigkeit in Kärnten verhindert wer- den. Aus der Beschäftigungs- und Qualifizierungsstrategie Kärnten 2020+ sollen – wie schon in der Ver- gangenheit - Projekte hervorgehen, die die Rahmenbedingungen am Kärntner Arbeitsmarkt nachhaltig verbessern und sowohl den Bedürfnissen von ArbeitnehmerInnen als auch jenen von Wirtschaft und In- dustrie Rechnung tragen. Durch die Vernetzung und Zusammenarbeit aller Partner können die Probleme am Kärntner Arbeitsmarkt auch als Chance betrachtet und die Zukunft gemeinsam gestaltet werden. Hermann Lipitsch ÖGB Kärnten
10 STATEMENTS IV Kärnten IV Kärnten Kärnten ist ein unterschätztes Industrieland. Die Kärntner Industrie erwirt- schaftet inklusive aller von ihr abhängigen Dienstleistungen rund 60 Prozent der Wertschöpfung im Land und steht für 45 Prozent der Beschäftigten. Sie strahlt also enorm stark in andere Branchen der Wirtschaft aus. Auf einen Arbeitsplatz direkt in der Industrie kommen 2,5 in angrenzenden Dienst leistungsberufen. Von besonderer Bedeutung ist dabei die Innovation. Bei Forschung und Entwicklung ist Kärnten unter den Top 3, beim Anteil der in dustriellen Forschung sogar weit vor allen anderen Bundesländern. Innovation schafft Beschäftigung und innovative Betriebe sind deutlich wettbewerbs fähiger. Der internationale Wettbewerb und der quasi verordnete permanente Strukturwandel stellen enorme Anforderungen an unsere Aus- und Weiterbildungssysteme, weil sie ja auch schon den zukünftigen Bedarf bedenken müssen. Die alljährliche Umfrage der Industriellenvereinigung Kärnten unter ihren Mitgliedern nach den wichtigsten Standortfaktoren reiht schon länger die gut qualifizierten Mitarbeiter an der Spitze. Es ist uns als Interessenvertretung der Industrie daher ein großes Anliegen, die Arbeitsmarktstrategie des Landes Kärnten mit zu gestalten. Wir wollen sicherstellen, dass diese Strategie bestmöglich auf den kommenden Bedarf vorbereitet. Eine immer komplexere und kompetitivere Welt erfordert vielfältige und gleichzeitig spezifische Qualifikationen. Unser schulisches Bildungssystem wie auch die Weiterbildungs- angebote müssen flexibel und nahe an den wirtschaftlichen Erfordernissen Qualifizierung anbieten. Besonders wichtig sind dabei Fähigkeiten in den sogenannten MINT-Fächer (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik), welche noch stärker zu fördern sind. Gerade durch die „vierte industrielle Revolution“ werden diese Qualifikationen noch dringender benötigt. Unser Bundesland steht vor großen Herausforderungen: Die aktuelle Schulden- und Haftungskrise macht umfassende Reformen in den Bereichen Gesundheit, Soziales und öffentliche Verwaltung unumgänglich. Überdies signalisiert die prognostizierte demografische Entwicklung klar, dass sich Kärnten besonders für die Zuwanderung qualifizierter Menschen fit machen muss. Die Rahmenbedingungen dafür und die nötige Willkommenskultur müssen aufgebaut und gestärkt werden. Mit dem Carinthian International Club und der International School Carinthia sind unter Mitwirkung der IV erste wichtige Initiativen dahingehend gesetzt. Mit der vorliegenden Arbeitsmarktstrategie ist ein Schritt in Richtung Schaffung und Sicherung von Arbeitsplätzen getan. Eine rasche und nachhaltige Umsetzung von Maßnahmen und Programmen sowie die laufende Überwachung des Erfolgs dieser sind unbedingt geboten. Christoph Kulterer IV-Kärnten-Präsident
EXECUTIVE SUMMARY 11 3. Executive Summary Mit der Beschäftigungs- und Qualifizierungsstrategie Kärnten 2020+ nimmt Kärnten vorausschauend und aktiv die Herausforderungen in Gegenwart und Zukunft an und verknüpft die daraufhin abgestimmten Ziele und Maßnahmen innerhalb eines längerfristigen Planungshorizontes. Das Programm dient als strategische Leitlinie und Steuerungsinstrument der im Land Kärnten verantwort- lichen Partner. Die operative Umsetzung der geplanten Maßnahmen soll im Rahmen der langfristig gelebten Partnerschaft des Territorialen Beschäftigungspaktes (TEP) für Kärnten erfolgen. Leitziel Nach einer eingehenden Analyse der gegenwärtigen Situation und der daraus resultierenden Herausforde- rungen für das Land Kärnten formulierten die Akteure der Kärntner Qualifizierungs- und Beschäftigungsstra- tegie 2020+ folgendes Leitziel: „Die Beschäftigungs- und Qualifizierungsstrategie 2020+ des Landes Kärnten umfasst unter Berücksichti- gung der strategischen Ausrichtung der EU-Förderperiode 2014 – 2020 die Bündelung aller arbeitsmarkt- politischen Anstrengungen auf • die Verringerung der Arbeitslosigkeit, • die Sicherung der vorhandenen Arbeitsplätze, • die Bekämpfung von Armut und • die Vermeidung von Humankapitalverlust durch Abwanderung.“ Handlungsfelder und strategische Ziele Daraus abgeleitet wurden vier für eine zukunftsweisende Beschäftigungs- und Qualifizierungsstrategie in Kärnten maßgebliche Handlungsfelder identifiziert und die dazugehörigen Strategien formuliert: Handlungsfeld Jugendliche am Übergang Schule - Beruf • Strategische Ziele im Handlungsfeld - Umfassende Berufsorientierung zur Unterstützung tragfähiger Bildungs- und Berufsentscheidungen - Prävention von Schul- und Ausbildungsabbrüchen - Wiedereingliederung nach Schul- und Ausbildungsabbrüchen Handlungsfeld Beschäftigung und Qualifizierung für Arbeitsuchende • Strategische Ziele im Handlungsfeld - Erhöhung der Arbeitsmarktchancen am „Ersten Arbeitsmarkt“ durch Beratung und Qualifizierung - Erhöhung der Arbeitsmarktchancen am „Ersten Arbeitsmarkt“ durch Beschäftigung - Schaffung von Unterstützungsprogrammen für am Arbeitsmarkt benachteiligte Zielgruppen - Verringerung beziehungsweise Vermeidung von „Working Poor“
12 EXECUTIVE SUMMARY Handlungsfeld Beschäftigung und Qualifizierung im unternehmerischen Umfeld • Strategische Ziele im Handlungsfeld - Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der Kärntner Unternehmen durch Qualifizierung von Beschäftigten - Stärkung der wirtschaftlichen Dynamik und Innovationsfähigkeit durch Unterstützung von Kleinstunternehmen und Ein-Personen-Unternehmen (EPU) - Demografischer Wandel: Unterstützung der Betriebe im Umgang mit älteren ArbeitnehmerInnen Handlungsfeld Beschäftigung und Qualifizierung im regionalen Kontext • Strategische Ziele im Handlungsfeld - Gegensteuerung zum Humankapitalverlust durch Abwanderung („Brain Drain“) - Erhaltung der Attraktivität des ländlichen Raums Aus dieser strategischen Positionierung werden die konkreten und an aktuelle Rahmenbedingungen ange- passten Maßnahmen entwickelt.
PROZESS DER STRATEGIEENTWICKLUNG 13 Projektgenese 4. Prozess der Strategieentwicklung Projektgenese Im Jahr 1997 starteten in Kärnten erstmalig die Vorbereitungen zur Entwicklung einer Kooperation zwischen dem Arbeitsmarktservice (AMS) und der Landesregierung im Rahmen des Territorialen Beschäftigungs- paktes (TEP), welche im Jahr 1998 im Rahmen eines Vertrages abgesichert wurden. Neben den „Kernpart- nern“ AMS und Land Kärnten wurden seit Anbeginn des TEP alle Sozialpartnerorganisationen, das Sozial- ministeriumservice (SMS), die für EU-Programme verantwortlichen Kompetenzzentren und Abteilungen des Landes in die Entwicklung und Umsetzung der TEP-Programme eingebunden. Ziel dieser Kooperation war und ist es, jeweils auf Jahresbasis ein auf Problemlagen und Bedürfnisse des Kärntner Arbeitsmarktes zugeschnittenes Interventionsprogramm zu entwickeln, zu implementieren und abzusichern. Diese Kooperation wurde bis 2013 im Rahmen des Kooperationsansatzes „Territorialer Be- schäftigungspakt (TEP)“ durch den Europäischen Sozialfonds (ESF) kofinanziert. Obwohl die Kofinanzierung des Territorialen Beschäftigungspaktes durch den ESF im Rahmen der EU-För- derperiode 2014 - 2020 nicht mehr gegeben ist, setzen die Partnerorganisationen des TEP Kärnten die bewährte Zusammenarbeit in dieser Struktur unter dem gleichen Namen fort. Um sich den aktuellen und zukünftigen Herausforderungen von Arbeitsmarkt und Wirtschaftslage zu stel- len, haben sich die oben genannten AkteuerInnen unter Federführung des Landes Kärnten und des Ar- beitsmarktservice Kärnten entschieden, eine Beschäftigungs- und Qualifizierungsstrategie 2020+ zu ent- wickeln. Dabei wurde wie schon im Rahmen des TEP die Strategieentwicklung als Beteiligungsprozess unter Einbin- dung von und in Abstimmung mit den wirtschafts- und arbeitsmarktrelevanten Organisationen durchge- führt. Mit diesem Konsultations- und Kooperationsansatz wurde Folgendes bezweckt: • Schaffung eines gemeinsam vereinbarten Handlungsrahmens, der von allen AkteurInnen getra- gen wird, die für die Steuerung und die Gestaltung der Arbeitsmarkt- und Wirtschaftsentwick- lung im Lande verantwortlich sind • Bündelung von Ressourcen beziehungsweise maximale Nutzung von Synergie-Potenzialen der einzelnen (EU-) Förderprogramme, mit denen in die Arbeitsmarkt- und Wirtschaftsentwicklung interveniert wird Für die Strategieentwicklung wurde ein eigener Arbeitskreis eingesetzt, dem entscheidungsbefugte VertreterInnen aus folgenden und auch am TEP beteiligten Organisationen angehören: • Land Kärnten • AMS Kärnten • Arbeiterkammer Kärnten • Wirtschaftskammer Kärnten • Österreichischer Gewerkschaftsbund Kärnten • Industriellenvereinigung Kärnten Seitens des Amtes der Kärntner Landesregierung standen folgende Abteilungen als Gesprächspartner zur Verfügung: • Abt. 3, Kompetenzzentrum Landesentwicklung und Gemeinden Bereich: Orts und Regionalentwicklung
14 PROZESS DER STRATEGIEENTWICKLUNG Projektgenese • Abt. 4, Kompetenzzentrum Soziales Bereich: Sozial- und Entwicklungsplanung, Familie und Frauen • Abt. 6, Kompetenzzentrum Bildung, Generationen und Kultur Bereich: Arbeitsmarkt und Lehrlingswesen; Fachhochschulwesen Bereich: Lebenslanges Lernen • Abt. 10, Kompetenzzentrum Land- und Forstwirtschaft Bereich Koordination des ländlichen Entwicklunsgprogrammes Das Sozialministeriumservice Kärnten war ein wichtiger Ansprechpartner insbesondere für die Bereiche, Investitionen in Bildung, Ausbildung und Berufsbildung für Kompetenzen und Lebenslanges Lernen (ESF PA 3) sowie Übergangsmanagement Schule, Beruf, Produktionsschulen.
PROZESS DER STRATEGIEENTWICKLUNG 15 Kurzdokumentation der Abstimmungsgespräche Kurzdokumentation der Abstimmungsgespräche © LPD/fritzpress 13.05.2014: Start der Strategieentwicklung Franz Pacher (WKK), LHStv.in Dr.in Gaby Schaunig, LH Dr. Peter Kaiser, Dr.in Claudia Mischensky (IV Kärnten), Günther Goach (AK Kärnten), Franz Zewell (AMS Kärnten), Hermann Lipitsch (ÖGB Kärnten) 13.05.2014: Präsentation des Vorhabens im Rahmen einer Pressekonferenz An diesem Tag haben sich Land Kärnten, AMS, WKK, AK, IV und ÖGB zu einer gemeinsamen und gezielten Arbeitsmarktstrategie öffentlich bekannt und das Vorhaben im Spiegelsaal des Landes Kärnten präsen- tiert (siehe Gruppenfoto). Vereinbart wurde, dass eine gemeinsame Arbeitsmarktstrategie mit der Berück- sichtigung der aktuellen und zukünftigen Anforderungen erarbeitet wird, welche Förderungen und EU- Programme so verknüpft, dass Forschung und Entwicklung gestärkt, Infrastruktur geschaffen und (Aus-) Bildungsschwerpunkte auf die Anforderungen der Wirtschaft abgestimmt werden können. Die Arbeits- marktstrategie soll darüber hinaus neue Impulse setzen in zentralen Themen wie dem Facharbeiterbedarf, der Förderung des Arbeitsmarktes und der Forschung und Entwicklung sowie im Bereich der Bündelung aller vorhandenen Förderschienen. Es wurde vereinbart, dies im Laufe des Jahres in Arbeitsgruppen zu erarbeiten. 29.07.2014: Erste Arbeitsgruppensitzung Dieser Sitzung vorausgehend wurde von VertreterInnen des Arbeitsmarktservice Kärnten, des Landes Kärnten und der IFA Unternehmensberatung ein Dokument verfasst, das als Vorschlag beziehungsweise als Diskussionsgrundlage für die weitere Entwicklung einer Beschäftigungs- und Qualifizierungsstrategie 2020+ für Kärnten im Rahmen des Territorialen Beschäftigungspaktes dienen sollte. Als Gesamtstrategie wurde das Ziel „Schaffung einer institutionsübergreifenden Strategie unter Berück- sichtigung der strategischen Ausrichtung der neuen EU-Förderperiode 2014 - 2020“ f ormuliert.
16 PROZESS DER STRATEGIEENTWICKLUNG Kurzdokumentation der Abstimmungsgespräche Diese soll zu einer Verringerung der Arbeitslosigkeit, zur Sicherung bestehender Arbeitsplätze und zu einem Entgegenwirken der Armutsentwicklung beitragen. Diese Themenbereiche wurden in drei Säulen (Arbeitsuchende – Unternehmen – Querschnittthemen) gegliedert. Jede Säule enthält Vorschläge für spezifische themenbezogene Handlungsfelder. Für jedes Handlungsfeld wurden kurz gefasste Diskussi- onsvorschläge zum Zweck der Ausformulierung spezifischer Einzelstrategien, Ziele und Maßnahmen vorgelegt. 15.09.2014: Zweite Arbeitsgruppensitzung Im Vorfeld der Sitzung wurde den Mitgliedern der Arbeitsgruppe Zeit eingeräumt, eine Stellungnahme zu den im vorigen Abschnitt genannten Diskussionsvorschlägen abzugeben, welche dann in dieser Arbeits- gruppensitzung erörtert wurden. Folgende Themenbereiche wurden von WK, IV und AK besonders ange- sprochen: Ein-Personen-Unternehmen (EPU), betriebsnahe Qualifizierung von Beschäftigten, „Rückhol aktion“ von HochschulabsolventInnen sowie die Berufswahl von Jugendlichen unter dem Aspekt von „Entscheidungsfehlern“. 15.10.2014: Sitzung mit den Regionen beziehungsweise den Lokalen Aktionsgruppen (LAG) Ziel dieser Sitzung war, das „working paper“ der Strategiegruppe den LAG vorzustellen und diesen darauf- hin die Möglichkeit zu geben, ihre Anliegen aus der Sicht der Regionen zu formulieren. Darüber hinaus wurde auch über fachliche Ergänzungen und die Nutzung von Synergien zwischen dem LEADER-Programm und dem ESF-Programm gesprochen. 20.10.2014: Dritte Sitzung der Arbeitsgruppe Inhalt der Gespräche waren: • die Einarbeitung der geplanten Maßnahmen-Vorschläge der LAG-RegionalmanagerInnen • die Einarbeitung der thematischen Schwerpunkte aller Institutionen in das bestehende Arbeitspa- pier in Richtung einer Adaptierung der Säulen und Handlungsfelder • die Diskussion der geplanten quantifizierbaren Ziele und • die Abstimmung der weiteren Vorgangsweise 25.11.2014: Abstimmung mit den Abteilungen 4 (Soziales) und 10 (Landwirtschaft) In der Besprechung wurde von allen Beteiligten abgewogen, welche Kooperationsmöglichkeiten und Syn- ergien (inhaltlich und finanziell) zukünftig zwischen den ELER-Leader, EFRE, ESF und nationalen Förder- programmen des AMS und des KWF beziehungsweise AWS/BMWFW geschaffen werden könnten. Im Zentrum der Überlegung stand der Begriff der „Beschäftigungsrelevanz“. Alle in dem skizzierten Arbeitsprozess vorgeschlagenen Strategien und Maßnahmen wurden unter Berück sichtigung der zur Verfügung stehenden budgetären Mittel und Möglichkeiten in das Strategiedokument eingebunden.
PROZESS DER STRATEGIEENTWICKLUNG 17 Kurzdokumentation der Abstimmungsgespräche Februar und März 2015: Formulierung der Beiträge An dieser Stelle ein herzliches Dankeschön an alle mitwirkenden Institutionen für die eingegangenen Bei- träge und Formulierungsvorschläge. Die IFA Unternehmensberatung hat die Koordination übernommen und die Redaktion der Beiträge durchgeführt. Das nun vorliegende Dokument ist das Ergebnis der Vorlage mehrerer Entwürfe. Für die oben angeführten Konsultationen und Abstimmungen sowie die Erarbeitung der Entwürfe war ein „kleiner Strategiearbeitskreis“ bestehend aus VertreterInnen des Landes und des AMS mit Unterstützung der IFA Unternehmensberatung verantwortlich. Allen Beteiligten an dieser Strategieentwicklung ist bewusst, dass die aktuellen und zukünftigen Problem- lagen am Arbeitsmarkt und in der Wirtschaft in Kärnten eine große Bandbreite an Maßnahmen erfordern. Die finanziellen Rahmenbedingungen sind begrenzt. Neben effizientem Mitteleinsatz gilt es daher jene Maßnahmen zu fördern, die die besten Effekte und nachhaltige Wirkung erzielen. Diese Strategie wird sich daher auch den sicher ändernden Rahmenbedingungen des Wirtschafts- und Arbeitsmarktes anpassen. Dem Strategiearbeitskreis obliegt daher eine regelmäßige Adaptierung, Schärfung und Ergänzung. Die daraus resultierenden Ergebnisse werden in regelmäßigen Abständen gemeinsam abgestimmt und umgesetzt. Dies soll für die Kärntner Bevölkerung in sehr transparenter W eise auf www.ktn.gv.at/arbeitsmarktstrategie erfolgen. Wir sind am Anfang eines gemeinsamen Weges für eine positive Entwicklung des Kärntner Arbeitsmarktes.
18 AUSGANGSSITUATION FÜR DIE KÄRNTNER BESCHÄFTIGUNGS- UND QUALIFIZIERUNGSSTRATEGIE 2020+ Demografische Veränderungen 5. Ausgangssituation für die Kärntner Beschäftigungs- und Qualifizierungs- strategie 2020+ Die gegenwärtige Situation in Kärnten ist von großen Herausforderungen geprägt, auf die auch im Rahmen einer Beschäftigungs- und Qualifizierungsstrategie 2020+ Antworten gegeben werden sollen. Demografische Veränderungen „Kärnten zählt österreichweit zu jenen Bundesländern, in welchen der demografische Wandel am weites- ten fortgeschritten ist. So ist Kärnten das einzige Bundesland, welches bereits eine stagnierende Bevölke- rungsentwicklung verzeichnet und in welchem – mit einem Anteil an Personen über 64 Jahren von 19,5 % gemeinsam mit dem Burgenland – die Alterung der Bevölkerung am stärksten fortgeschritten ist.“ 1 So ist laut der nachfolgenden Tabelle der Landesstatistik die Bevölkerungsentwicklung in Kärnten seit dem Jahr 1995 rückläufig. Betrug der Gesamtbevölkerungsstand im Bundesland 1995 noch 561.281, so sank er im Jahr 2013 auf rund 555.000. Tab. 1: Bevölkerungsentwicklung in Kärnten2 15 – 60 Jährige 60+ 1995 346.649 112.449 2000 345.063 119.671 2005 342.327 129.408 2010 338.936 139.585 2013 334.277 145.867 Wirtschafts- und arbeitsmarktpolitisch wesentlich ist insbesondere der Umstand, dass der Anteil der Bevölkerungsgruppe im „Erwerbsalter“ stetig sinkt, während der Anteil der Bevölkerungsgruppe im Pen- sionsalter deutlich ansteigt. Gemäß den längerfristigen Bevölkerungsprognosen werden sich diese Entwicklungen noch deutlich ver- schärfen. So ist beispielsweise für das Jahr 2030 ein Bevölkerungsrückgang auf 547.078 Personen prognostiziert, wobei der Anteil der 15 – 60 Jährigen auf nur noch ca. 277.000 Personen, jener der über 60 –Jährigen aber bereits auf über 200.000 geschätzt wird. 3 1 Aus Aigner-Walder Birgit, Bliem Markus Gilbert 2012: Demographie und Daseinsvorsorge in Kärnten. Herausforderungen und Lösungsansätze auf kommunaler Ebene; Studie gefördert durch den Kärntner Gemeindebund und die Landesgruppe Kärnten des Österreichischen Städtebundes, Institut für Höhere Studien und Wissenschaftliche Forschung Kärnten, Klagenfurt, S. 88 2 Quelle: Statistik-Amt der Kärntner Landesregierung (Hg.) 2014: Statistisches Handbuch des Landes Kärnten 2014: 59. Jahr- gang, Daten 2013; Heyn, Klagenfurt, S. 39 3 Vgl.: Statistik-Amt der Kärntner Landesregierung (Hg.) 2014: a.a.O., S. 44
AUSGANGSSITUATION FÜR DIE KÄRNTNER BESCHÄFTIGUNGS- UND QUALIFIZIERUNGSSTRATEGIE 2020+ 19 Demografische Veränderungen Abb. 1: Bevölkerungsentwicklung nach Bundesländern 2013 bis 2060, mittlere Variante4 Quelle: STATISTIK AUSTRIA, Bevölkerungsprognose 2014. Erstellt am 12.11.2014 Neben den großen Herausforderungen für das Sozialversicherungs- und Pensionssystem wird diese Ent- wicklung auch massiv die Rahmenbedingungen für den regionalen Kärntner Arbeitsmarkt beeinflussen. Als Folge des prognostizierten und stetig steigenden Bevölkerungsrückganges ist trotz aktuell hoher Arbeitslosigkeit in längerfristiger Betrachtung mit einem Mangel an vor allem hoch qualifizierten und spe- zialisierten Arbeitskräften zu rechnen. Parallel dazu weist die Altersstruktur des Erwerbspotenzials eine deutliche Zunahme der über 49-Jährigen auf. Daraus leitet sich im Sinne der Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit durch entsprechende Anpassung der Qualifikationsstruktur eine zunehmende Herausforderung im Bereich der Weiterbildung und Qualifi- zierung vor allem im Segment der „älteren ArbeitnehmerInnen“ ab. 4 Quelle online unter: http://www.statistik.at/web_de/wcmsprod/groups/b/documents/webobj/027334.gif [04.03.2015]
20 AUSGANGSSITUATION FÜR DIE KÄRNTNER BESCHÄFTIGUNGS- UND QUALIFIZIERUNGSSTRATEGIE 2020+ Humankapitalverlust durch Abwanderung Abb. 2: Bevölkerungsentwicklung in Kärnten im Haupterwerbsalter (15 bis 64 Jahre) nach Altersgruppen Quelle: STATISTIK AUSTRIA, Bevölkerungsprognose 2014. Erstellt am 12.11.2014 Humankapitalverlust durch Abwanderung Im Hinblick auf die Qualifikationsstruktur der Kärntner Erwerbsbevölkerung zeigt sich im Österreichver- gleich, dass in Kärnten die mittlere Qualifikationsebene und dabei insbesondere die berufsbildenden Ab- schlüsse wie Lehre, BMS oder BHS stärker ausgeprägt sind. Umgekehrt sind die Anteile der Personen mit höchstens Pflichtschulabschluss auf der einen Seite und AHS-Matura oder Hochschulabschluss auf der anderen Seite etwas geringer als im österreichischen Durchschnitt. 5 5 Vgl.: ibw (Institut für Bildungsforschung der Wirtschaft) 2012: Bildungsstruktur und Qualifikationsbedarf in Kärnten; Autoren: Schmid Kurt, Gruber Benjamin, Petanovitsch Alexander, in: ibw Forschungsbericht Nr. 169: S. 43
AUSGANGSSITUATION FÜR DIE KÄRNTNER BESCHÄFTIGUNGS- UND QUALIFIZIERUNGSSTRATEGIE 2020+ 21 Humankapitalverlust durch Abwanderung Abb. 3: Unterschiede der formalen Bildungsabschlüsse zwischen Kärnten und Österreich im Zeitablauf: Differenz der relativen Anteile nach höchstem Bildungsabschluss Quelle: Statistik Austria, Volkszählungen und Mikrozensus 2010; ibw-Berechnungen Anmerkung: Für Bevölkerung 15 Jahre und älter Demgegenüber ist die MaturantInnenquote in Kärnten sogar etwas höher als im Bundesdurchschnitt. Trotz- dem ist die Anzahl der von Arbeitslosigkeit betroffenen Personen angestiegen – dies obwohl die Gesamtbevöl- kerung ebenfalls nicht wesentlich gestiegen ist. Die Ursachen sind vielschichtig unter anderem die Erhöhung des faktischen Pensionsantrittsalters sowie die Erhöhung der Erwerbsquote. Dies schlägt sich deshalb nicht in der formalen Qualifikationsstruktur der jüngeren Alterskohorte (20- bis 24-Jährige) mit Wohnsitz in Kärnten nieder, weil viele Kärntner MaturantInnen aufgrund des in Kärnten eingeschränkten hochschulischen Bil- dungsangebotes sich entscheiden, ihren Bildungsweg an Hochschulen außerhalb Kärntens fortzusetzen. Aus der Perspektive des Qualifikationsangebotes für den Wirtschaftsstandort Kärnten ergibt sich dadurch ein sogenannter „BRAIN DRAIN“ 6, da weiterführende hochschulische Ausbildung außerhalb Kärntens oftmals auch in einem dauerhaften „Wegzug“ formal hoch ausgebildeter KärntnerInnen resultiert. Auf der anderen Seite plant einer Studie des Wissenschaftsministeriums zufolge von jenen KärntnerInnen, die außerhalb Kärntens studierten, nur jeder achte (12,5 %) nach dem Studium eine Rückkehr nach Kärnten. Rund ein Drittel wusste zwar noch nicht, ob sie wieder zurückkehren werden, es zeichnet sich aber insge- samt ein ausgeprägter „BRAIN DRAIN“ für Kärnten ab 7. 6 Der Begriff „Brain Drain“ kommt aus der Entwicklungspolitik und meint „die Emigration von Arbeitskräften, die dem Abwan- derungsland Kenntnisse und Fertigkeiten, d. h. in den Menschen inkorporiertes Humankapital entzieht.“ (Gabler Wirtschafts- lexikon, Internet: http://wirtschaftslexikon.gabler.de/) 7 Martin Unger, Sarah Zaussinger, Lukas Dünser, Angelika Grabher 2010: Regionale Herkunft und Binnenmobilität der Studie- renden; Zusatzbericht der Studierenden-Sozialerhebung 2009; Studie im Auftrag des Bundesministeriums für Wissenschaft und Forschung (BMWF), Wien
22 AUSGANGSSITUATION FÜR DIE KÄRNTNER BESCHÄFTIGUNGS- UND QUALIFIZIERUNGSSTRATEGIE 2020+ „Wirtschaftsflaute“ und Arbeitslosigkeit „Wirtschaftsflaute“ und Arbeitslosigkeit Die in den Jahren 2008 und 2009 einsetzende und nahezu weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise hatte auf den österreichischen und dementsprechend auch auf den Kärntner Arbeitsmarkt schwerwiegende Auswirkungen. Zwar konnte sich die Wirtschaft im Zeitraum 2010/2011 kurzfristig erholen, in weiterer Folge jedoch waren und sind die konjunkturellen Wachstumsperspektiven eher mäßig. Insbesondere die Vernetzung der österreichischen Volkswirtschaft im globalen Kontext der Wirtschaft hat zur Folge, dass im Zuge eines Konjunkturrückganges die Nachfrage nach Arbeitskräften zurückgeht. Tab. 2: Arbeitslosenquoten in Kärnten und Österreich 8 2011 2012 2013 2014 2015*** Kärnten 8,9 9,1 10,2 10,8* 14,5 Österreich 6,7 7,0 7,6 8,4** 10,5 * aus Wibis Daten, www.kwf.at ** IHS Kärnten Konjunkturreport 14. Jg. Ausg. 4 Dez. 2014 *** AMS – Kärnten; Monatsbericht Jänner 2015 Es konnte zwar nach wie vor ein hoher Beschäftigungsstand gehalten werden, jedoch ist aufgrund des steigenden Arbeitskräftepotenzials und einer verringerten Aufnahmefähigkeit des Beschäftigungsmark- tes ein deutliches Ansteigen der Arbeitslosigkeit zu bemerken. Auffallend ist, dass die Anzahl der unselb- ständig Erwerbstätigen in Kärnten langfristig grundsätzlich stabil ist. Geschlechtsspezifisch differenziert war die Zunahme in der Arbeitslosigkeit in den ersten Jahren nach Aus- bruch der Krise männlich dominiert. Hauptursache war, dass vor allem männerdominierte Branchen wie der Produktionsbereich oder die Arbeitskräfteüberlassung betroffen waren. Die Einschätzungen hinsichtlich der künftigen Arbeitsmarktentwicklung sind daher angesichts der vorlie- genden Rahmenbedingungen tendenziell pessimistisch. Der Bestand an vorgemerkten Arbeitslosen wird demnach auch in den nächsten Jahren hoch bleiben, wo- bei dies durch die weiter oben skizzierten demografischen Veränderungen verstärkt wird. So konnte zwar die Beschäftigungsquote von Älteren in den letzten Jahren gesteigert werden, diese ist aber im internationalen und EU-Vergleich noch immer niedrig. Ebenfalls stark zugenommen hat die Gruppe der Langzeitbeschäftigungslosen. Lange Absenz vom Ar- beitsmarkt und die damit einhergehende Dequalifizierung und Mehrfachproblemlagen kennzeichnen die- se Gruppe. Aus all diesen Entwicklungen heraus ergibt sich die Notwendigkeit, zum einen der Verfestigung von Arbeitslosigkeit entgegenzuwirken und zum anderen den Strukturwandel in der Nachfrage nach Arbeitskräften durch nachfrageorientierte Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen zu unterstützen. 8 Quelle: IHS 2014: Wirtschaftsbericht des Landes Kärnten 2013, Wien, S. 21
AUSGANGSSITUATION FÜR DIE KÄRNTNER BESCHÄFTIGUNGS- UND QUALIFIZIERUNGSSTRATEGIE 2020+ 23 Armut und Armutsgefährdung Armut und Armutsgefährdung Armut und damit verbundene soziale Ausgrenzung wird heute nicht mehr ausschließlich am „Rande der Gesellschaft“ beobachtet, sondern immer häufiger auch in der sogenannten „sozialen Mitte“, was zu einer Intensivierung der öffentlichen Armutsdebatte in den letzten Jahren führte. Die jährlichen Erhebungen der Statistik Austria (EU-SILC) zeigen für das Bundesland Kärnten für die letz- ten neun Jahre unterschiedliche Einschätzungen. Ein deutlicher Anstieg der Zahl der armutsgefährdeten Menschen wird im Referenzjahr 2011 mit einer Anzahl von 102.000 betroffenen KärntnerInnen ausgewie- sen. Seitdem ist die Zahl der armutsgefährdeten Kärntnerinnen und Kärntner wieder gesunken, dennoch ist die allgemeine Tendenz steigend. Armutsgefährdet nach EU-SILC sind Personen, die mit weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens der gesamten Bevölkerung auskommen müssen. Abb. 4: Armutsgefährdung in Kärnten – Statistik Austria EU-SILC, Jahreswerte 2004 – 2013 Der Anteil jener, die unter der Armutsgefährdungsschwelle leben, wird für das Jahr 2013 mit 16,6 Prozent angegeben. D amit liegt Kärnten über dem österreichischen Durchschnitt (14,7 %) und liegt an drittletzter Stelle vor Vorarlberg (17,1 %) und Wien (22,7 %). Armutsgefährdung trotz Arbeit ist oftmals auch mit Teil- zeitarbeit verbunden. Die langfristige Entwicklung zeigt nach wie vor eine konstante Zunahme von Teilzeit- arbeitsplätzen in Kärnten.
24 AUSGANGSSITUATION FÜR DIE KÄRNTNER BESCHÄFTIGUNGS- UND QUALIFIZIERUNGSSTRATEGIE 2020+ Armut und Armutsgefährdung Auf der Grundlage der skizzierten Entwicklungen und Herausforderungen im Bundesland Kärnten formu- lierten die am Strategieprozess beteiligten arbeitsmarktpolitischen Akteure folgendes Leitziel der Kärntner Beschäftigungs- und Qualifizierungsstrategie 2020+: Die Beschäftigungs- und Qualifizierungsstrategie 2020+ des Landes Kärnten umfasst unter Berück sichtigung der strategischen Ausrichtung der EU-Förderperiode 2014 – 2020 die Bündelung aller arbeits- marktpolitischen Anstrengungen auf • die Verringerung der Arbeitslosigkeit • die Sicherung der vorhandenen Arbeitsplätze • die Bekämpfung von Armut und • die Vermeidung von Humankapitalverlust durch Abwanderung Handlungsbedarf – Handlungsspielraum Analysen und strategische Planungen, die einen gewissen Zeitraum in Anspruch nehmen, können natur- gemäß von der Dynamik aktueller Ereignisse überholt werden. So wird auch die Umsetzung der Maßnah- men zur Beschäftigungs- und Qualifizierungsstrategie 2020+ für Kärnten von der im Zuge der Hypo-/Heta- Krise erfolgten Abstufung der Kreditwürdigkeit des Landes Kärnten und von den daraus resultierenden Maßnahmen und den entsprechenden möglichen Budgetkorrekturen beeinflusst werden. Die an der Erar- beitung der Strategie beteiligten Institutionen haben sich im Rahmen der Arbeitsgruppensitzung am 6. Mai 2015 dazu bekannt, dass die strategische Zielsetzung angesichts der aktuellen Entwicklung wichtig ist und bleibt; der Umsetzungszeitpunkt der Maßnahmen aufgrund der budgetären Rahmenbedingungen aber möglicherweise verschoben wird. 2015 ist für unser Bundesland von großen Herausforderungen gekennzeichnet und es muss leider davon ausgegangen werden, dass die aktuelle budgetäre Situation des Landes nachhaltige Auswirkungen auf viele Bereiche der Landesverwaltung haben wird. Trotzdem und gerade deswegen müssen langfristige strategische Ziele definiert werden, um mittel- und langfristig den Arbeits- und Wirtschaftsraum Kärnten wieder attraktiv und zukunftsfähig zu gestalten.
HANDLUNGSFELD A: JUGENDLICHE AM ÜBERGANG SCHULE - BERUF 25 Herausforderungen 6. Handlungsfeld Jugendliche am Übergang Schule – Beruf 6.1. Herausforderungen Unter dem Titel „Jugendarbeitslosigkeit – Tragödie Europas“ schreibt Thomas Öchsner am 4.3.2013 in der Onlineausgabe der Süddeutschen Zeitung folgenden Kommentar: „Wenn junge Leute arbeitslos werden oder erst gar nicht den Einstieg ins Berufsleben finden, hinterlässt dies eine lebenslange Narbe. Nichts tun zu können, nagt am Selbstvertrauen. Solche Menschen lernen erst spät, auf eigenen Füßen zu stehen. Und selbst wenn sie irgendwann einen Job ergattert haben, ist ihr Risiko, bald wieder auf der Straße zu landen, ein Leben lang wenig zu verdienen und später in die Altersarmut zu rutschen, besonders hoch. Dieses Schicksal tragen derzeit Millionen Jugendliche von Lissabon bis Stockholm. Es ist die Tragödie Europas.“ Im Vergleich zu europäischen Ländern wie Spanien, Griechenland oder Portugal erscheint das Thema „Jugendarbeitslosigkeit“ in Österreich längst nicht so alarmierend und dramatisch. Während etwa in der Gesamtheit der EU-Länder durchschnittlich 21,4 Prozent der Jugendlichen arbeitslos sind, sind in Öster- reich „bloß“ 9 Prozent der Jugendlichen bzw. jungen Erwachsenen zwischen 15 und 24 Jahren von Arbeits- losigkeit betroffen 9. Die Perspektive ändert sich allerdings, wenn man sich die absoluten Zahlen ansieht und feststellt, dass es sich dabei um immerhin rund 50.000 (!) dieser jungen Menschen handelt, die in Österreich von Arbeitslosigkeit betroffen sind. In Kärnten waren im Jänner 2015 laut AMS Statistik 4.106 Personen in der Altersklasse bis 24 Jahren als arbeitssuchend gemeldet. Die Situation, die Lebensum- stände und die Zukunftsaussichten dieser Jugendlichen werden von der Arbeitslosigkeit fundamental be- einflusst und getrübt. Aus diesem Grund ist es Aufgabe der Politik, sich dieser Herausforderung grundle- gend anzunehmen und aktiv gegenzusteuern. Erfreulich ist aber, dass die Dauer der Arbeitslosigkeit in dieser Altersgruppe sehr kurz ist. Dies bedeutet, dass in dieser Altersgruppe überdurchschnittlich viele Personen von Arbeitslosigkeit betroffen sind, aber die Integration in den Arbeitsmarkt sehr rasch möglich ist. NEET (not in employment, education or training) Die Gesamtthematik Jugend und Arbeit verschärft sich zusätzlich, wenn man berücksichtigt, dass die Jugendarbeitslosenquote gemäß ihrem Definitionsmerkmal „aktive Schritte zur Arbeitsuche“ nur eine begrenzte Aussagekraft über die tatsächliche Arbeitsmarktlage von Jugendlichen hat. Damit werden etwa jene Jugendlichen nicht als arbeitslos wahrgenommen, die aufgrund der Aussichtslosigkeit am Arbeitsmarkt keine Arbeit (mehr) suchen oder wegen Betreuungspflichten nicht unmittelbar verfügbar sind. 10 Da die enge Definition der Arbeitslosigkeit dazu führen kann, speziell bei Jugendlichen das Problemaus- maß zu unterschätzen, hat man sich in der internationalen Arbeitsmarktforschung auf den sogenannten NEET-Indikator als Ergänzung zur Jugendarbeitslosenquote (Eurofund 2011) geeinigt: „NEET steht für ‚not in employment, education or training‘ und bezeichnet Jugendliche, die weder im Beschäftigungs- noch im (Aus-)Bildungssystem integriert sind und an keiner Trainingsmaßnahme 9 Zahlen aus 2014; Quelle: Eurostat Abfrage vom 30.01.2015; BMS 10 Vgl.: Bacher Johann, Tamesberger Dennis, Leitgöb Heinz, Lankmayer Thomas 2013: NEET-Jugendliche: Eine neue arbeits- marktpolitische Zielgruppe in Österreich, in WISO 4/2013, Nr. 103, Linz, S. 103-132.
26 HANDLUNGSFELD A: JUGENDLICHE AM ÜBERGANG SCHULE - BERUF Herausforderungen teilnehmen. Die zugrundeliegende Annahme ist, dass mit diesem Indikator auch Jugendliche, die sich schon weiter vom Arbeitsmarkt entfernt haben, erfasst werden können. Somit repräsentiert der NEET-In- dikator in gewissem Sinn auch ein Maß für die soziale Ausgrenzung von Jugendlichen und jungen Erwach- senen, w obei anzumerken ist, dass nicht jede/r NEET-Jugendliche von sozialer Ausgrenzung bedroht ist und nicht alle sozial ausgegrenzten Jugendlichen durch den NEET-Indikator erfasst werden.“ 11 In einer vom Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz (BMAS) in Auftrag gegebe- nen und 2014 veröffentlichten Studie wird gezeigt, dass in Österreich im Zeitraum von 2006 bis 2011 im Durchschnitt rund 78.000 junge Menschen im Alter zwischen 16 und 24 Jahren von Desintegration im Sinne eines NEET-Status betroffen sind. Die Anzahl an NEET-Jugendlichen ist jedoch stark von der Konjunktur abhängig und stieg beispielsweise in den Krisenjahren 2009 und 2010 deutlich an. Ein erhöhtes NEET- Risiko haben der Studie zufolge: • frühe SchulabgängerInnen • (weibliche) Jugendliche mit Betreuungspflichten • Jugendliche mit Migrationshintergrund der 1. Generation • Jugendliche, deren Eltern eine geringere Bildung haben • Jugendliche ohne EU-Staatsbürgerschaft sowie • Jugendliche, deren Eltern ein geringeres formales Bildungsniveau aufweisen 12 Die NEET-Gruppe ist in sich sehr heterogen und entsprechend vielfältig sind die Ursachen, Bedürfnis- und Problemlagen. Als eine zentrale Hauptursache mit direkter Wirkung auf den NEET-Status konnte ein früher Schulabgang identifiziert werden. Zur Senkung der NEET-Rate treten die StudienautorInnen für Strategien gegen frühen Schulabbruch und für Maßnahmen ein, die an den individuellen Bedürfnissen der Jugendli- chen ansetzen und niederschwellig sind. Des Weiteren werden Programme für (neue) Zielgruppen, Maß- nahmen zur Vernetzung und Koordinierung relevanter AkteurInnen und Angebote auf regionaler Ebene sowie eine Weiterentwicklung der aktiven Arbeitsmarktpolitik vorgeschlagen. 13 Die Gestaltung von Übergängen Die Biografie heranwachsender Menschen ist durch zahlreiche Übergänge geprägt (z. B. durch den Über- gang vom Kindes- ins Jugendalter, den Wechsel von der Schule in eine Berufsausbildung, die Loslösung von den Eltern), die häufig als kritische Lebensereignisse erlebt werden, da es sich um sensible und mit hoher Unsicherheit behaftete Phasen handelt. Im Übergang vom Bildungs- in das Beschäftigungssystem resultiert eine besondere Komplexität zum ei- nen aus der Vielfalt an Zuständigkeiten (Schule, Eltern, AMS, Beratungseinrichtungen etc.) und zum ande- ren aus einer Kette an vorgelagerten Qualifizierungsschritten und Entscheidungen, die für das Gelingen der beruflichen Integration maßgeblich sind. In diesem Dickicht von Institutionen, Möglichkeiten und Begrenzungen gelingt es einem Teil der Jugendli- chen nicht, passende, an ihren Voraussetzungen, Zielen und Lebenslagen anknüpfende Wege und An- schlüsse zu finden. Hierbei soll Übergangsmanagement ansetzen und alle Maßnahmen und Projekte umfassen, die Jugendli- che am Übergang von der Schule zum Beruf beziehungsweise von der Schule zur Berufsausbildung unter- 11 Bacher e.a. 2013: a.a.O., S. 104 12 BMAS (Hg.) 2014: Studie zur Unterstützung der arbeitsmarktpolitischen Zielgruppe „NEET“ ISW – IBE – JKU, S. 12ff.; Quelle: http://www.sozialministerium.at/cms/site/attachments/0/0/9/CH2247/CMS1318326022365/bmask_neet-studie.pdf 13 BMAS 2014 (Hg): a.a.O., S. 22ff
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