INTER - SEK TIONALITÄT - ROSA LUXEMBURG STIFTUNG - ROSA-LUXEMBURG-STIFTUNG

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Rosa Luxemburg Stiftung

INTER­­     -
SEK­TIONALITÄT

               Bil dun gsMaterial ien
               der Rosa-Luxemb urg-Stiftung
IMPRESSUM
Bildungsmaterialien Nr. 4 wird herausgegeben von der Rosa-Luxemburg-Stiftung
V. i. S. d. P.: Ulrike Hempel
Franz-Mehring-Platz 1 · 10243 Berlin · www.rosalux.de
Redaktionsschluss: Dezember 2016
Lektorat: TEXT-ARBEIT, Berlin, www.text-arbeit.net
Gestaltung: FLMH | Labor für Politik und Kommunikation, www.flmh.de
Herstellung: MediaService GmbH Druck und Kommunikation, www.mediaservice.de
Gedruckt auf Circleoffset Premium White, 100 % Recycling
Alle Methoden aus dieser Broschüre sind online unter www.rosalux.de/bildungsmaterialien abrufbar.
ISSN (Print) 2513-1222
Das Bildungsmaterial wird unter den Bedingungen einer Creative Commons License veröffentlicht:
Creative Commons Attribution-NonCommercial-NoDerivs 3.0 Germany License (abrufbar unter
www.creative-commons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/legalcode). Nach dieser Lizenz dürfen die Texte
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unter der Bedingung, dass die Namen der Autor_innen und der Broschürentitel inkl. des Verlags/
Trägers genannt werden, der Inhalt nicht bearbeitet, abgewandelt oder in anderer Weise verändert
wird und er unter vollständigem Abdruck dieses Lizenzhinweises weitergegeben wird. Alle anderen
Nutzungsformen, die nicht durch diese Creative Commons Lizenz oder das Urheberrecht gestattet
sind, bleiben vorbehalten.

Herausgeber_innen
  Claudia de Coster arbeitet als Referentin für politische Weiterbildung bei der Rosa-Luxemburg-
Stiftung. Dort ist sie insbesondere für Weiterbildungsangebote für politische Bildner_innen und
Multiplikator_innen verantwortlich. Inhaltliche Schwerpunkte sind unter anderem die pädagogische
Bearbeitung von Antisemitismus und Rassismus sowie die Auseinandersetzung mit intersektionaler
Bildungsarbeit. www.rosalux.de/weiterbildung
Kontakt: Claudia.deCoster@rosalux.org

  Niklas Prenzel studierte Bildungswissenschaft und beschäftigt sich mit dem Zusammenhang von
Bildungssystem und sozialer Ungleichheit. Im außerschulischen Bereich arbeitet er mit Kinder- und
Jugendgruppen zu Themen der ästhetischen und politischen Bildung. Er ist in verschiedenen Projekten
der Rosa-Luxemburg-Stiftung engagiert, unter anderem den Gesprächskreisen «Bildungspolitik» und
«Politische Bildung».

  Nora Zirkelbach studiert im Masterstudiengang Internationale Entwicklung und Geschichte
an der Universität Wien und beschäftigt sich dort unter anderem mit Rassismus, Migration und
Erinnerungspolitik. Als politische Bildnerin arbeitet sie unter anderem zu Themen der historisch-
politischen Bildung und Menschenrechten sowie Globalem Lernen. Von Juli bis Dezember 2015 war
sie in der Akademie für Politische Bildung der Rosa-Luxemburg-Stiftung in den Themengebieten
Migration sowie Neonazismus, Strukturen und Ideologien der Ungleichwertigkeit tätig.
Inhaltsübersicht

Wieso ein Heft zu Intersektionalität in der Bildungsarbeit?...................................... 4

Thema......................................................................................... 8

Warum linke Bildungsarbeit intersektional sein sollte.............................................. 8

Intersektionalität als Haltung von politischen Bildner_innen ................................ 12

Scheitern als Lerngelegenheit gegen Komplexitätsreduktion ............................. 18

«Widerstand ist auch ein Lernprozess!»................................................................... 24

Erfahrungen mit dem intersektionalen Ansatz in Slowenien................................ 28

Methoden................................................................................. 34

Methode 1: Bingo.......................................................................................................... 36

Methode 2: Alle gleich, alle verschieden................................................................... 38

Methode 3: Power Flower........................................................................................... 41

Methode 4: Diskriminierungsquadrat........................................................................ 44

Methode 5: Wie im richtigen Leben........................................................................... 46

Methode 6: Vereinbarung gegen Diskriminierung.................................................. 51

Serviceteil................................................................................ 54

Die Autor_innen............................................................................................................ 54

Tipps zu Materialien, Kontakten und zum Weiterlesen........................................... 55

Literatur, Publikationen, Einführungen...................................................................... 55

Materialien- und Methodensammlungen, Broschüren, Webseiten..................... 57

Filme................................................................................................................................ 59

Glossar..................................................................................... 61
Wieso ein Heft
zu Intersektiona
der Bildungsarb

 Schon bei einem flüchtigen Blick auf unsere Gesellschaft
 ist zu erkennen, dass sie ein in sich verschachteltes
 Gebilde ist. Nicht erst der globalisierte Neoliberalismus
 hat durch fortschreitende Deregulierungsmaßnahmen
 und damit einhergehenden Sozialabbau zu vielfältigen
 gesellschaftlichen Verwerfungen geführt.

                      Auch weitere, lang eingeübte gesell-       zu können, wurde das Konzept der In-
                      schaftliche Praxen wie Sexismus, Ras-      tersektionalität entwickelt. Der Begriff,
                      sismus oder Klassismus sorgen für eine     der auf die Schwarze* Juristin Kimberlé
                      ungleiche gesellschaftliche Machtvertei-   Crenshaw zurückgeht (siehe hierzu
                      lung und tragen zu einer Schlechterstel-   auch den Artikel von Mart Busche in
                      lung vieler Bevölkerungsgruppen bei.       diesem Heft), bezeichnet die Überlap-
                                                                 pung (engl. intersection = Schnittpunkt,
                      Viele Menschen sehen sich in ihrem         Schnittmenge) von verschiedenen
                      alltäglichen Leben nicht nur mit einem     Diskriminierungserfahrungen in einer
                      einzelnen Unterdrückungsverhältnis,        Person, die sich nicht einfach addieren,
                      wie zum Beispiel sexistischen Struktu-     sondern zu eigenständigen Diskrimi-
                      ren, konfrontiert, sondern befinden sich   nierungserfahrungen führen.
                      zur selben Zeit in einer prekären ökono-
                      mischen Situation und sind zusätzlich
                      als (Post-)Migrant_innen negativ von       *Das Adjektiv «Schwarz» großzuschreiben geht
                      Rassismus betroffen. Um derartige          auf eine Selbstbezeichnung Schwarzer Menschen
                      Formen mehrdimensionaler Benach-           zurück und soll verdeutlichen, dass «Schwarz»
                                                                 ein konstruiertes Zuordnungsmuster und keine
                      teiligung sichtbar zu machen, dafür zu
                                                                 reale «Eigenschaft» ist. Vgl. Sow, Noah: Deutsch-
                      sensibilisieren und in der Folge politi-   land Schwarz Weiß: Der alltägliche Rassismus,
                      sche Handlungsstrategien entwickeln        München 2008.

 4
alität in
beit?

                                               Mit diesen Ansätzen soll dreierlei er-    rung zu entwickeln. Dies gilt sowohl für
                                               reicht werden:                            heterogene als auch für (vermeintlich)
                                                                                         homogene Lerngruppen.
                                               •	Erstens geht es darum, Personen mit
                                               (mehrdimensionalen) Diskriminie-          •	Drittens sind Bildungskontexte –
                                               rungserfahrungen in ihren Kämpfen         seien es nun Schule oder Universität als
 Was bedeutet das für eine politische          zu unterstützen und ihnen geschützte      klassische formale Bildungseinrichtun-
 Bildungsarbeit, die sich selbst als emanzi-   Räume zur Verfügung zu stellen, in        gen, aber auch Workshops und Semi-
 patorisch und links versteht?                 denen sie ihre Erfahrungen teilen sowie   nare der schulbezogenen und außer-
                                               gemeinsam nach (kollektiven) Hand-        schulischen politischen Jugend- und
 Seit den 1980er Jahren haben in der           lungsstrategien suchen können.            Erwachsenenbildung, die sich selbst als
 Bundesrepublik Selbstorganisationen                                                     emanzipatorisch und links verstehen –
 von Menschen, die in ihrem Alltag             • Zweitens soll eine politische Bil-      nicht frei von gesellschaftlichen Macht-
 mit mehrdimensionalen Formen von              dungsarbeit, die sich als emanzipa-       und Unterdrückungsverhältnissen.
 Diskriminierung konfrontiert sind, da-        torisch versteht, die komplexen ge-       Auch hier wirken bestehende soziale
 mit begonnen, gemeinsame politische           sellschaftlichen Lebensbedingungen        Ungleichheiten fort. Das kann nicht
 Handlungsstrategien zu entwickeln, um         unterschiedlicher Gruppen in den Blick    nur Heterogenitäten innerhalb einer
 ihre Situation und die gesellschaftlichen     nehmen. Dabei sollten sowohl die damit    Lerngruppe betreffen, sondern auch das
 Rahmenbedingungen zu verändern und            einhergehenden Besser- und Schlech-       Verhältnis der politischen Bildungsar-
 sich selbst zu empowern. In den vergan-       terstellungen als auch die (Ohn-)         beiter_innen zur Lerngruppe, zu einzel-
 genen Jahren haben unterschiedliche           Machtverhältnisse reflektiert werden.     nen Teilnehmenden oder die ausge-
 (linke) Bildungsträger an diese Bil-          Damit kann zum einen für spezifische      wählten Lerninhalte. Es ist die Aufgabe
 dungsansätze angeknüpft und Projekte          gesellschaftliche Unterdrückungsver-      von Pädagog_innen und Bildungsarbei-
 und Bildungskonzepte entwickelt sowie         hältnisse sensibilisiert werden. Zum      ter_innen, mit diesen Gegebenheiten
 Publikationen veröffentlicht, die eine        anderen wird in einem weiteren Schritt    machtkritisch und differenzsensibel
 intersektionale Perspektive in der politi-    angestrebt, gemeinsame Handlungs-         umzugehen und daraus Lernanlässe zu
 schen Bildungsarbeit einnehmen.               optionen für gesellschaftliche Verände-   generieren – für die Gruppe und immer

                                                                                                                                5
wieder auch für sich selbst. Je nach         pekte einer intersektionalen Perspektive    von Pädagog_innen an den eigenen
Lerngruppe und thematischem Kontext          in der Bildungsarbeit nahebringen und       Ansprüchen beschäftigen sich Kathari-
kann das Bildner_innen mitunter vor          dafür werben, bekanntes Terrain zu ver-     na Debus und Olaf Stuve in ihrem Text
große Herausforderungen stellen, für         lassen und neue Wege auszuprobieren.        «Scheitern als Lerngelegenheit gegen
die es keine Patentlösungen gibt. Diese                                                  Komplexitätsreduktion». Sie plädieren
Anforderungen gilt es immer wieder –         Aufbau des Bildungshefts                    dafür, eigene Fehler bei der Gestaltung
vorab, während und nach einer Bil-                                                       von Bildungsprozessen als Teil eines
dungsveranstaltung – zu reflektieren.        Der erste Teil dieses Hefts setzt sich      immerwährenden Lernprozesses zu
                                             aus einer eher theoretischen Perspek-       sehen und einen gelassen(er)en Um-
Mit diesem Bildungsheft möchte die           tive mit unterschiedlichen Aspekten         gang damit zu finden. Im Gespräch mit
Rosa-Luxemburg-Stiftung, die sich in         intersektionaler Bildungsarbeit ausein-     Handan Kaymak «Widerstand ist auch
diesem Feld selbst als lernende Or-          ander. Der Text «Warum linke Bil-           ein Lernprozess!» geht es um konkrete
ganisation sieht, dazu beitragen, eine       dungsarbeit intersektional sein sollte»     Erfahrungen mit dem intersektionalen
solche intersektionale Perspektive in        von Mart Busche beleuchtet zunächst         Ansatz in der pädagogischen Praxis und
einer politischen Bildungsarbeit, die        die Entstehungskontexte und einige          die Frage nach Gelingensbedingungen
sich selbst als kritisch, emanzipatorisch,   Hintergründe intersektionaler Ansät-        für eine Bildungsarbeit, die sich selbst
partizipativ und links versteht, stärker     ze, um anschließend angesichts der          als intersektional versteht. Der Text
zu verankern. Nach unserer Auffassung        gesellschaftlichen Macht- und Ungleich-     von Majda Hrženjak lenkt schließlich
muss beim Planen und Gestalten von           heitsverhältnisse auf die Notwendigkeit     den Blick über den deutschsprachigen
Bildungsprozessen der Anspruch lei-          einer intersektionalen Perspektive in       Kontext hinaus nach Slowenien und
tend sein, bestehende gesellschaftliche      der Bildungsarbeit einzugehen. Was          beleuchtet die Erfahrungen mit dem
Macht- und Ungleichheitsverhältnisse         bedeutet eine solche intersektionale Per-   intersektionalen Ansatz in der dortigen
– innerhalb und außerhalb des Semi-          spektive für das Selbstverständnis von      Beratungsarbeit und politischen Organi-
narraums – in den Blick zu nehmen,           Pädagog_innen? Dieser Frage geht der        sationsentwicklung.
die eigene Bildungsarbeit kritisch zu        Text von Stefan Nadolny nach, der sich
hinterfragen und sich auf die Suche          mit «Intersektionalität als Haltung von     Im zweiten Teil des Hefts werden sechs
nach Veränderungsmöglichkeiten zu            politischen Bildner_innen» und den          Methoden vorgestellt, die politische
begeben. Das vorliegende Bildungs-           sich daraus ergebenden Konsequenzen         Bildungsarbeiter_innen, Pädagog_in-
material will auch Pädagog_innen und         für die Gestaltung von Bildungsprozes-      nen sowie Einsteiger_innen in die
Bildungsarbeiter_innen, die mit dem          sen auseinandersetzt. Mit den Fallstri-     politische Bildungsarbeit dazu ermuti-
Thema Intersektionalität noch nicht (so)     cken einer intersektionalen Bildungs-       gen sollen, gesellschaftliche Ungleich-
vertraut sind, die unterschiedlichen As-     arbeit und dem möglichen Scheitern          heiten, Heterogenität und Intersekti-

6
onalität in ihre bildnerische Praxis zu    Ungleichheiten, ihre Überlappungen
integrieren. Die Methoden und ihre         und mögliche Handlungsoptionen ins
Inhalte verweisen auf die Verwobenheit     Gespräch zu kommen.
unterschiedlicher Herrschafts-, Macht-
und Unterdrückungsverhältnisse,            Im günstigsten Falle animieren sowohl
versuchen, sie sichtbar zu machen, und     die vorgestellten Methoden als auch die
bieten Anhaltspunkte für gemeinsame        Texte dazu, sich auf die Suche nach wei-
Reflexion. Für das Bildungsheft haben      teren Hintergrundinformationen und
wir die Methoden, die der einen oder       Methoden zu begeben. Dazu kann der
dem anderen bereits aus verschiedenen      Serviceteil am Ende des Hefts beitragen,
Kontexten bekannt sein könnten, ange-      in dem sich neben einem Glossar auch
passt (und zum Teil adaptiert), sodass     Hinweise auf weiterführende Literatur,
sie in unterschiedlichen (heterogenen)     Internetseiten, Filme sowie auf im Pra-
Lerngruppen mit (jungen) Erwachsenen       xisfeld tätige Organisationen und Initi-
eingesetzt werden können. Drei der         ativen finden lassen, die Anknüpfungs-
Methoden eignen sich für einen Ein-        punkte und eine gute Orientierung für
stieg ins Thema Intersektionalität, drei   die eigene Arbeit bieten können.
weitere ermöglichen eine vertiefende
gesellschaftliche Analyse. Sie sind von    Nun wünschen wir viel Spaß bei der
Bildner_innen ohne externe Unterstüt-      Lektüre des Hefts und hoffen, dass sich
zung anwendbar und geben Arbeits-          aus den Texten Anlässe zum Nach-
material, Hinweise zur Durchführung        denken und Irritiert-Sein ergeben und
und zu Variationsmöglichkeiten an die      dass die vorgestellten Methoden derart
Hand. Durch leichte Modifikationen         inspirierend sind, dass sie die eigene
können die Methoden auch in ande-          politische Bildungspraxis bereichern!
ren Zielgruppen (etwa im schulischen
Kontext) eingesetzt werden. Wir hoffen,
mit dieser Methodensammlung Anre-
gungen für die Gestaltung der eigenen      Claudia de Coster, Niklas Prenzel,
Bildungsarbeit zu geben und damit          Nora Zirkelbach
Gelegenheiten zu schaffen, in der bild-
nerischen Praxis über gesellschaftliche    Berlin, Dezember 2016

                                                                                      7
Warum linke
Bildungsarbeit in
sein sollte
                                                                                               Unterdrückung verpflichtet haben, und
                                                                                               wir sehen unsere besondere Aufgabe in
                                                                                               einer umfassenden Analyse und Praxis,
                                                                                               die darauf aufbauen, dass die Haupt-
                                                                                               Unterdrückungssysteme miteinander
                                                                                               verflochten sind. Die Verknüpfung die-
                                                                                               ser Unterdrückungsverhältnisse steckt
                                                                                               den Rahmen für unser Leben ab.»2

                                                                                               Damit formulierte die Gruppe eine
                                                                                               Erfahrung und ein Anliegen, das
                                                                                               viele Schwarze Frauen teilten. Mithilfe
                                                                                               dieses Ansatzes kritisierten sie einen
                                                                                               Feminismus, der von weißen Mit-
                                                                                               telschichtsfrauen besetzt wurde und
                                                                                               wird und in erster Linie Sexismus als
                                                                                               Herrschaftsverhältnis thematisiert, an-
 Intersektionalität war schon immer da      Insbesondere Schwarze Aktivistinnen                dere Unterdrückungsverhältnisse aber
                                            in der US-amerikanischen Frauenbewe-               ausspart. Die Schwarze Juristin Kimber-
 Linke Bildungsarbeit zeichnet sich         gung haben auf die Verflechtung dieser             lé Crenshaw zeigte in ihrer intersektio-
 dadurch aus, dass sie gesellschaftliche    Herrschaftsverhältnisse hingewiesen                nalen Analyse des US-amerikanischen
 Verhältnisse analysiert, kritisiert und    und sie zum Ausgangspunkt ihrer                    Antidiskriminierungsrechts auf, dass
 Veränderungsprozesse zu initiieren         politischen Arbeit gemacht. In einem               auch hier immer nur ein Herrschafts-
 sucht. Damit hat sie bereits von ihrem     Statement von 1977 schrieb das Com-                verhältnis einklagbar ist, sodass es der
 Ansatz her etwas gemeinsam mit dem,        bahee River Collective, eine Gruppe                Realität Schwarzer Frauen nicht gerecht
 was seit einigen Jahren im deutsch-        Schwarzer lesbischer Feministinnen                 werden kann. Crenshaw spricht von
 sprachigen Raum unter dem Stichwort        aus Massachusetts:1 «Die grundle-                  einem Gleichheits-Differenz-Paradox,
 «Intersektionalität» diskutiert wird.      gendste Erklärung zu unserer aktuellen             das darin besteht, dass Schwarze Frau-
 Gemeint ist damit die Verschränktheit      Politik wäre, dass wir uns dem aktiven             en «entweder gezwungen sind, sich mit
 von Unterdrückungsverhältnissen, das       Kampf gegen rassistische, geschlecht-              weißen Frauen oder Schwarzen Män-
 heißt, dass einzelne gesellschaftliche     liche, heterosexuelle und klassistische            nern gleichzumachen, oder aber als zu
 Unterdrückungsformen nicht getrennt                                                           verschieden und damit als Spezialfall
 voneinander analysiert und bearbeitet                                                         der Gruppe ‹Frauen› oder der Gruppe
                                            1	Die Gruppe hat sich 1974 in Boston gegründet.
 werden können, weil sie immer schon        Ihr Name bezieht sich auf die Befreiung von über
                                                                                               ‹Schwarze› angesehen werden, die
 zusammenwirken. Eine Herrschaftskri-       700 Sklav_innen am Combahee River in South         sie gleichzeitig und genau aufgrund
 tik, die dieser Komplexität gerecht wer-   Carolina im Jahr 1863 durch Unionstruppen der
                                            US-amerikanischen Nordstaaten, die von der ehe-
 den will, muss deshalb entsprechend
                                            maligen Sklavin und Aktivistin Harriet Tubman      2	The Combahee River Collective Statement,
 umfassend formuliert und umgesetzt         auf Dampfbooten durch den verminten Fluss          1977, unter: www.historyisaweapon.com/defcon1/
 werden.                                    geführt wurden.                                    combrivercoll.html (Übersetzung M. B.)

 8   THEMA
ntersektional
                                                                                                      Mart Busche

der Spezifizität nicht repräsentieren                Klägerin ausdrückt, konnte es jedoch                 Privilegien und Nachteile
könnten».3 So wurde in einem Fall eine               nicht feststellen4.
Klage Schwarzer Frauen gegen Diskri-                                                                      Die gesellschaftliche Position eines
minierung aufgrund ihres Geschlechts                 Das Konzept der Intersektionalität ist               Menschen ist darüber bestimmt, wie
vom Gericht mit dem Argument abge-                   untrennbar mit dem Black Feminism                    unterschiedliche Machtstrukturen
wiesen, dass die beklagte Diskriminie-               verbunden. Intersektional wurde und                  zusammenwirken. Es gibt Menschen,
rung nicht auf weiße Frauen zutreffe,                wird aber auch in anderen Kontexten                  die von den Strukturen profitieren,
sodass sie als Schwarze Frauen die                   gearbeitet, wenn auch nicht immer                    und andere, die aufgrund dieser
Kategorie «Frau» als Diskriminierungs-               unter diesem Namen: So ist zum                       Strukturen Diskriminierungen erfah-
kategorie für sich nicht in Anspruch                 Beispiel Clara Zetkin eine proletarische             ren. Logischerweise gibt es auch viele
nehmen könnten.                                      Vorkämpferin intersektionaler Analyse,               Positionierungen dazwischen, die sich
                                                     die die bürgerliche Frauenbewegung                   aus Privilegierung in Bezug auf ein
Simultane Diskriminierung aufgrund                   der 1920er Jahren dafür kritisierte,                 Dominanzverhältnis und Benachteili-
von Vergeschlechtlichung und Ethni-                  dass sie den Zusammenhang zwischen                   gung in Bezug auf ein anderes zusam-
sierung ist auch im deutschen Antidis-               Geschlecht und Klasse ausblende.5                    mensetzen. Das Ganze ist – zumindest
kriminierungsrecht nicht vorgesehen.                 In der BRD der 1980er Jahre wurde                    theoretisch – flexibel, situations- und
Das zeigt zum Beispiel die abgewiesene               die unterschiedliche gesellschaftliche               kontextabhängig und im ständigen
Klage einer in der Türkei geborenen                  Position von «eingewanderten» und                    Wandel begriffen.
Deutschen, die von ihrem Arbeitgeber                 «eingeborenen» Frauen diskutiert,6 und
während ihrer Schwangerschaft auf eine               auch Schwarze deutsche Feministinnen                 Für die Privilegierten heißt das vor
weniger lukrative Stelle versetzt wurde.             meldeten sich zu Wort mit ihrer Kritik               allen Dingen: in der luxuriösen Situ-
Ihre alte Stelle wurde mit einem weißen              an der weißen, bürgerlichen Frauenbe-                ation zu sein, sich heraushalten zu
deutschen Mann besetzt und finanziell                wegung, in der sie nicht vorkämen.7                  können; nicht von Reduzierungen auf
und ressourcenbezogen wesentlich                                                                          ein Merkmal, von Stereotypisierungen,
besser ausgestattet. Das Arbeitsgericht              4	Arbeitsgericht Wiesbaden: Pressemitteilung,        Diskriminierungen und struktureller
Wiesbaden sah in der Versetzung eine                 18.12.2008, unter: www.gleft.de/Zx                   Gewalt betroffen zu sein; über die Mar-
Diskriminierung aufgrund der Mutter-                 5 Vgl. Walgenbach, Katharina: Gender als             ginalisierten sprechen zu können, sie
schaft. Eine Diskriminierung aufgrund                interdependente Kategorie, in: Walgenbach,           analysieren zu können, ihnen «Gutes»
von Geschlecht und Ethnisierung, die                 Katharina/Dietze, Gabrielle/Hornscheidt, Antje/      zu tun, wenn es gerade passt, oder aber
                                                     Palm, Kerstin (Hrsg.): Gender als interdependente
sich in der finanziellen Abwertung der               Kategorie: Neue Perspektiven auf Intersektionali-
                                                                                                          sich über sie lustig zu machen oder
                                                     tät, Diversität und Heterogenität, Opladen 2007,     sich auf ihre Kosten gut zu fühlen. Für
                                                     S. 21–64.                                            die Personen, die in Dominanzverhält-
                                                     6 Kalpaka, Annita/Räthzel, Nora: Paternalismus       nissen nicht privilegiert sind, heißt
3 Zit. nach: Chebout, Lucy: Back to the roots!
Intersectionality und die Arbeiten von Kimberlé
                                                     in der Frauenbewegung?! Zu den Gemeinsamkei-         das, nicht aus dem System von Zu-
                                                     ten und Unterschieden zwischen eingewanderten
Crenshaw, 2012, Portal Intersektionalität, unter:                                                         schreibungen und Diskriminierungen
                                                     und eingeborenen Frauen, in: Informationsdienst
www.portal-intersektionalitaet.de; vgl. Crenshaw,
                                                     zur Ausländerarbeit 3/1985, S. 21–27.                aussteigen zu können, wegen potenziel-
Kimberlé: Demarginalizing the Intersection
                                                                                                          ler Anfeindungen beständig in Hab-
of Race and Sex: A Black Feminist Critique of        7 Vgl. Ayim, May/Oguntoye, Katharina/Schultz,
Antidiscrimination Doctrine, in: The University of   Dagmar (Hrsg.): Farbe bekennen. Afro-deutsche Fra­   Acht-Stellung zu sein sowie sich selbst
Chicago Legal Forum, Chicago 1989, S. 139–167.       uen auf den Spuren ihrer Geschichte, Berlin 1986.    empowern zu müssen, um handlungs-

                                                                                                                                         THEMA      9
fähig zu sein und dem System immer           oder auch Erfahrenem, oft vermischt         fenheit wahrzunehmen und durch eine
wieder ein Schnippchen schlagen zu           mit Klischees und Stereotypen, die sich     klare Haltung für den entsprechenden
können. Sie brauchen Rückzugsräume           dann zu einer Einschätzung verdichten       Schutz zu sorgen.
und Allianzen: Schwarze Frauen haben         können. Problematisch werden Vorur-
sich zum Beispiel oft mit Schwarzen          teile dann, wenn sie zur Grundlage von      Eine grundsätzliche Frage für linke
Männern im Kampf gegen Rassismus             Diskriminierungen werden. Aber auch         Bildungsarbeit ist: Wie kann Gerechtig-
und Klassismus verbündet, was weißen         (Vor-)Urteile können verändert wer-         keit für alle aussehen und wie kann sie
Frauen dazu gedient hat, ihnen Verrat        den, indem zum Beispiel Erfahrungen         hergestellt werden? Für die Personen,
an feministischen Idealen zu unterstel-      gemacht werden, die ihnen zuwiderlau-       die im sozialen System eher privilegiert
len. Eine Mehrheit weißer Feministin-        fen, oder indem linke Bildungsarbeit        positioniert sind, heißt das mitunter,
nen hat hier definiert, wie der «richtige»   einen Raum schafft, über solche Urteile     dass sie erst einmal zuhören und wahr-
Feminismus zu sein hat, ohne die             (gemeinsam) nachzudenken und in ei-         nehmen sollten, welche Erfahrungen
Positionierung Schwarzer Frauen zu           nen ehrlichen Austausch zu treten, der      Menschen machen, die durch (mehrfa-
reflektieren.                                vielleicht den einen oder anderen Aha-      che) Diskriminierung und strukturelle
                                             Moment schafft, in dem sich ein Urteil      Ausgrenzung positioniert sind. Es gilt,
Überhaupt: Mehrheiten. Was für die           verschiebt oder sogar überflüssig wird.     die Verschiedenheiten, die getrennten
Mehrheit – oder gesellschaftlich pri-        Vorurteile sind manchmal Bestand-           Standpunkte und auch das Scheitern
vilegierte Gruppen – zutrifft, wird als      teil von pädagogischen Übungen: So          daran auszuhalten – und trotzdem die
Normalität wahrgenommen. Damit ist           wichtig es ist, die eigenen Urteile zu      Perspektive auf ein gemeinsames gutes
die Erwartung an Minderheiten bzw.           überdenken, so schwierig kann es sein,      Leben weiterzuverfolgen. Da dies auch
andere gesellschaftlich benachteiligte       explizit mit ihnen zu arbeiten, insbeson-   das Ziel emanzipatorischer, linker Bil-
Gruppen verknüpft, sich der Norm             dere dann, wenn sie ohne die Methode        dungsarbeit ist, ist es notwendig, diese
anzupassen. Aber Normen und Regeln           gar nicht aufgerufen worden wären.          auf der Basis einer intersektionalen
entstehen aufgrund bestimmter Macht-         Dies ist auch vor dem Hintergrund           Analysepraxis zu betreiben.
verhältnisse, sie sind das Ergebnis von      wichtig, dass unter den Teilnehmenden
teilweise jahrhundertealten Ausschluss-      eventuell Personen sein können, die         Wo ansetzen? Subjekte und Strukturen
prozessen. Weil sie aber historisch ent-     durch reduzierende Urteile oder das
standen sind, sind sie auch veränderbar.     Aufrufen von Klischees verletzt wer-        Wie kann es nun gelingen, in der
Das Gleiche gilt für Vorurteile: Vorur-      den können. Linke Bildungsarbeit hat        Bildungsarbeit individuelle Befindlich-
teile sind oft intuitive Entscheidungen      die Aufgabe, einen Umgang damit zu          keiten – tatsächlich gemeint als soziale
darüber, wie etwas oder jemand zu be-        finden, einen Raum zu öffnen, in dem        Positionsbestimmungen inmitten vieler
werten ist, ohne den konkreten Sachver-      offen gesprochen werden kann und            Zugehörigkeitsmöglichkeiten – mit den
halt oder die Person(en) zu kennen. Sie      Lernerfahrungen möglich sind, und           strukturellen Verhältnissen zusammen-
dienen der Orientierung und fußen in         gleichzeitig die unterschiedliche Posi-     zubringen?
der Regel auf Gehörtem, Phantasiertem        tioniertheit hinsichtlich Verletzungsof-

10 THEMA
Für die Praxis ist von Anfang an für                    Hierarchien anzusehen.»9 Anhand der                     «Level Playing Field»,11 «Bingo»12 oder
Pädagog_innen festzuhalten: Man kann                    Lebensgeschichten und Erfahrungen                       der Film «Neukölln unlimited»), eignen
nicht alle mitdenken und mitmeinen:                     lassen sich strukturelle Ausgrenzungen                  sich als «Teaser», um über unterschied-
«Mit anderen Worten, im Hinblick                        erkennen (z. B. lässt sich anhand der                   liche Erfahrungen ins Gespräch zu
auf die Mikroebene der individuellen                    Frage, wer wie abends an der Discotür                   kommen. Dazu braucht es prozessori-
Erfahrungen, auf der das Konzept                        kontrolliert wird und wer Einlass erhält,               entierte Erfahrungsräume, die in der
Intersektionalität sinnvolle Anwendung                  aufzeigen, dass möglicherweise rassis-                  Bildungsarbeit eher untypisch sind, da
findet, ist die Unabschließbarkeit ein                  tische und heteronormative Mechanis-                    nicht unbedingt klar ist, was am Ende
unhintergehbares Faktum. Das ist anzu-                  men wirken). Dabei gilt es, den Blick                   herauskommt. Außerdem entziehen
erkennen, ohne dem durch vorgreifende                   derer, die relativ ungestört durchs Leben               sie sich einer direkten marktförmi-
Inklusion auszuweichen.»8 Es werden                     gehen können, auf ihre Mitbetroffenheit                 gen Verwertbarkeit. Für die politische
«Fehler» passieren; das, worauf wir                     als Privilegierte zu lenken. Viele pädago-              Handlungsfähigkeit sind solche Räume
nicht vorbereitet sind, wird uns begeg-                 gische Methoden, die unterschiedliche                   der «Selbstverständigung» vielverspre-
nen, die Spezifität von Erfahrungen und                 gesellschaftliche Positionierungen bear-                chend.
Existenzweisen ist unendlich.                           beiten (z. B. «Wie im richtigen Leben»,10

Das macht eine intersektionale Her-                     9 Busche, Mart/Stuve, Olaf: Bildungsarbeit inter-
angehensweise aber auch besonders                       sektional erweitern, in: Riegel, Christine/Scherr,
spannend und für alle lehrreich.                        Albert/Stauber, Barbara (Hrsg.): Transdisziplinäre
                                                        Jugendforschung, Wiesbaden 2007, S. 271–288,
Intersektionale Bildungsarbeit kann
                                                        hier S. 281. Begriffe wie Biografie oder Subjekt tra-
beispielsweise versuchen, die unter-                    gen oft Ideen westlich geprägter Lebensführung
schiedlichen Lebensgeschichten stärker                  in sich, da sie in der Tradition der europäischen
zu berücksichtigen und mithilfe der Be-                 Moderne stehen. Darin erscheint die Biografie als
                                                        kohärent erzählbare, individuelle Lebensgeschich-
arbeitung individueller und kollektiver
                                                        te; das Individuum bekommt seinen Subjektstatus
Geschichten an den jeweiligen Ressour-                  über die hierarchische Abgrenzung zu anderen
cen anzuknüpfen, um somit eine eigen-                   (vgl. Kappeler, Susanne: Der Wille zur Gewalt.
ständige Entwicklung zu initiieren: «Die                Politik des persönlichen Verhaltens, München
                                                        1994, S. 34 ff.). Es ist von daher zu reflektieren,
Biographien sind wie Schnittstellen ge-                 auf welche Weise diese Begriffe benutzt werden
sellschaftlicher Differenzierungen und                  und ob alle Realitäten im Raum darin aufgehoben
                                                        sein können. Auch das meint Intersektionalität:
                                                        Die Überprüfung der genutzten Konzepte auf ihr          11 Vgl. das (englischsprachige) Material zu dieser
                                                        koloniales, sexistisches, rassistisches und ander-      Methode unter: www.peerthink.eu/peerthink/
                                                        weitig diskriminierendes Erbe.                          content/view/113/123
8 Klinger, Cornelia: Für einen Kurswechsel
in der Intersektionalitätsdebatte, Portal Intersekti-   10 Vgl. die Methode in diesem Heft auf Seite 46         12 Vgl. die Methode in diesem Heft auf Seite 36
onalität, 2012, S. 5, unter:                            oder unter: www.baustein.dgb-bwt.de/PDF/                oder unter: www.dissens.de/isgp/docs/
www.portal-intersektionalitaet.de                       B3-ImRichtigenLeben.pdf                                 isgp-bingo.pdf

                                                                                                                                                       THEMA 11
Intersektionalit
Haltung von pol
Bildner_innen
                              Stefan Nadolny

 Politische und pädagogische Handlungsfelder sind Teil
 komplexer Unterdrückungssysteme. Sie werden selbst
 durch Herrschaftsverhältnisse geprägt und produzieren
 bzw. reproduzieren Strukturen und Handlungslogiken von
 Benachteiligungen. Auch in politischen Bildungsprozessen
 werden Machtverhältnisse und damit einhergehende
 (Mehrfach-)Benachteiligungen (re-)produziert. Daher lohnt
 es sich, die darin verstrickten Bildner_innen in den Fokus zu
 nehmen. Im Folgenden soll dies entlang von Haltungsfragen
 geschehen, die sich in der (emanzipatorischen) politischen
 Bildung an den – wenn auch unscharfen – Schnittstellen der
 politischen und pädagogischen Handlungsfelder stellen.

 12 THEMA
tät als
litischen

 Haltung – was ist das eigentlich?              Im pädagogischen Feld bezeichnen Haltun-       Nachdenken über die eigenen Annahmen
                                                gen Grundeinstellungen, in denen sich Wis-     über das Lernen anderer als Korrektiv und
 Je nachdem, wie wir uns zu unserer             sen, Erfahren, Fühlen und Können auf je-       als fortwährende Suchbewegung verste-
 Umwelt und zu uns selbst – zu unseren          weils andere Weise miteinander verbinden.      hen, das zum festen Bestandteil jeder Bil-
 Erfahrungen, unserem Wissen und unse-          Der Haltungsbegriff wird insbesondere in       dungsarbeit gehört.
 ren Fähigkeiten – in Bezug setzen, entste-     Bezug auf das Selbstverständnis der Bild-
 hen unterschiedliche Haltungen, die zum        ner_innen im Verhältnis zu den Lernenden       Als explizit politische_r Bildner_in ist die
 Beispiel in unserer Lebensführung, unseren     hin verwendet. Hierbei kommt der Klärung       eigene Haltung darüber hinaus Ergebnis
 Handlungsorientierungen und/oder unseren       der eigenen Rolle in den Lernprozessen an-     der Reflexion darüber, welche politischen
 Verhaltensmustern zum Ausdruck kommen.         derer eine zentrale Bedeutung zu.              Überzeugungen dem Verständnis der eige-
                                                In der pädagogischen Praxis sind damit         nen Rolle und der Rolle derjenigen, die am
 In pädagogischen und politischen Hand-         unter anderem die Reflexion der subjekti-      Lernprozess teilnehmen, zugrunde liegen.
 lungsfeldern wird häufig von einer professi-   ven Wahrnehmung als Bildner_in, der            Für den Haltungstyp emanzipatorischer po-
 onellen Haltung gesprochen, die durch das      eigenen Lernerfahrungen, der eigenen           litischer Bildner_innen lässt sich das als
 bewusste Nachdenken über die eigenen           mentalen Modelle sowie das Verständnis         Orientierung auf die Schnittstelle zwischen
 Wahrnehmungs- und Verhaltensmuster,            von Lerntheorien, Methodik, Didaktik und       Pädagogik und Politik beschreiben, in der
 die eigenen Ziele und die eigenen Ansprü-      Gruppendynamik gemeint. Diese Aspek-           Bildung und Lernen als befreiende politi-
 che an sich selbst und an die Umwelt           te fließen in die Gestaltung des Verhältnis-   sche Praxis gedacht werden. Bildner_in-
 gekennzeichnet ist. In einem engeren Sinn      ses zu den Lernenden mehr oder weni-           nen unterstützen und begleiten Menschen
 kann Haltung als bewusst gewählt und           ger bewusst ein. Bildner_innen mit einem       in ihren subjektiven Interessen, Unterdrü-
 damit auch als veränderbar verstanden          emanzipatorischen Anspruch an das eige-        ckungssysteme durch verändernde Praxen
 werden.                                        ne Lehrhandeln sollten das selbstkritische     zu überwinden.

                                                                                                                                       THEMA 13
Haltung in intersektionaler Perspektive     Daraus, wie viele Privilegien jemand
                                                       besitzt bzw. von welchen Ausschlüs-
           Intersektionalität ist sowohl ein macht-    sen er oder sie betroffen ist, ergeben
           und herrschaftsanalytischer Theoriean-      sich unterschiedliche Handlungs- und
           satz als auch ein politisches und pädago-   Gestaltungsspielräume. Subjekte sind
           gisches Handlungsfeld. Theorieleitend       jedoch immer auch innerhalb der ihnen
           ist die Feststellung, dass das Zusam-       zugewiesenen gesellschaftlichen Platzie-
           menspiel verschiedener Herrschaftsver-      rung handlungsfähig. Durch Offenlegen
           hältnisse komplexe, mehrdimensionale        und Sichtbarmachen der unterschied-
           Systeme von Unterdrückung ausbildet.        lichen Unterdrückungsmechanismen
           Gesellschaft stellt sich aus intersektio-   sowie des alltäglichen Umgangs mit
           naler Perspektive als ein Raum dar, der     den Konsequenzen können Bündnisse
           durch unterschiedliche, sich aber über-     geschlossen, Handlungsspielräume
           schneidende Machtachsen strukturiert        erweitert und gesellschaftliche Interven-
           ist, auf denen die Akteur_innen anhand      tionen geplant und umgesetzt werden.
           der ihnen zugewiesenen Eigenschaften        Die Art und Weise der Interventionen
           und Merkmale (z. B. «Frau», «Ober-          kann sehr vielfältig sein. Beispiele
           schicht», «Migrationshintergrund»,          sind die Verständigung über Diskurse,
           «bisexuell») positioniert sind.             Veränderungen von politischen, orga-
                                                       nisatorischen und rechtlichen Rahmen-
           Aus dieser Positionierung innerhalb         bedingungen, Ausweitung öffentlicher
           der gesellschaftlichen Machtstrukturen      Repräsentationen, Darstellungen und
           ergeben sich unterschiedliche Chancen       Interessenvertretung von Mehrfachbe-
           und Risiken für die Individuen, kurz:       nachteiligten, Veränderungen von staat-
           unterschiedliche Lebensrealitäten.          lichen und zivilgesellschaftlichen Hilfs-
                                                       und Unterstützungsstrukturen sowie

14 THEMA
der Kampf um Zugänge zu Ressourcen.        1 Reflexion der eigenen Position und Verän-   Lehren und Lernen sind durch die
Diese unterschiedlichen Formen der         derung von Lehr-Lern-Verhältnissen            jeweilige Positionierung der Bildner_in-
Ermächtigung sind mit Lernprozessen                                                      nen und Teilnehmenden innerhalb der
verbunden, die von Bildner_innen in        Professionelle Haltungsentwicklung ist        gesellschaftlichen Verhältnisse und Dif-
dafür geeigneten Bildungssettings un-      immer mit der Reflexion von Wahr-             ferenzlinien geprägt. Aufmerksamkeit
terstützt werden können.                   nehmungs- und Verhaltensmustern               und Bedeutung erhält ein Lerngegen-
                                           verbunden. Das Bewusstsein um die             stand für Lernende aus ihrer subjek-
In der politischen Bildung sollten in-     eigenen Prägungen und die der anderen         tiven Lebensrealität heraus und kann
tersektionale Perspektiven vor allem als   sowie um die Begrenzung des eigenen           von ihnen daher sehr unterschiedlich
spezifische Haltungsfragen der Bild-       Denkens und Handelns ist sowohl im            gedeutet werden. Ein verallgemeinerba-
ner_innen thematisiert werden, die in      politischen als auch im pädagogischen         rer Gehalt ist somit infrage zu stellen.
diesen Unterstützungspraxen stets im       Handlungsfeld bedeutsam. Es stellen           Thema und Methodik werden zumeist
Spannungsfeld zwischen der eigenen         sich grundlegende Fragen: Welche              von den Bildner_innen gesetzt, oftmals
und der gesellschaftlichen Positio-        Lebensrealitäten und Formen von               ohne dass sie sich vergegenwärtigen,
nierung der Teilnehmenden stehen.          (Mehrfach-)Benachteiligung mit ihren          inwieweit die Auswahl von der eigenen
Für das Praxisfeld emanzipatorisch-        Konsequenzen für mich und andere              Lebensrealität und Erfahrung (mit-)be-
politischer Bildung ergeben sich daraus    habe ich überhaupt im Blick? Was kann         stimmt ist, die nicht ohne Weiteres mit
für Bildner_innen die folgenden zwei       ich nachvollziehen und daher im eige-         denen der Teilnehmenden korrespon-
grundlegenden Konsequenzen: zum            nen Handeln als politische_r Bildner_in       dieren müssen. Wenn Bildner_innen
einen das «subjektive» Verhalten im        bewusst berücksichtigen? Nehme ich            ihre gesellschaftliche Positionierung
konkreten Lehr-Lern-Verhältnis bzw.        diskriminierende Verhaltensweisen und         und deren Folgen für ihr Handeln in
dessen bewusste Gestaltung, zum ande-      Äußerungen (in meinen Bildungsver-            Lehr-Lern-Verhältnissen nicht oder nicht
ren der Umgang mit dem «objektiven»        anstaltungen) wahr und bin ich dazu           ausreichend reflektieren, stehen ihre
Wissen, das intersektionale Perspekti-     bereit sowie in der Lage, angemessen          Bildungsformate im schlimmsten Fall
ven bieten.                                darauf zu reagieren?                          sogar dem Lernprozess anderer im Weg.

                                                                                                                        THEMA 15
Ein emanzipatorisches Politik- und          gruppen und die Reflexion des eigenen       2 Intersektionalität als (Meta-)Wissen
Bildungsverständnis, das Intersek-          Verhaltens sowie der eigenen Positio-
tionalität ernst nimmt, sollte daher        nierung in gesellschaftlichen Verhält-      In einer derart verstandenen Lernkultur
versuchen, einseitig von Bildner_innen      nissen aus einer Verwertungs- und           dürfen intersektionale Perspektiven
strukturierte Bildungssettings auf-         Kompetenzperspektive. So wird durch         nicht als Wissen von «Expert_innen»
zulösen und stattdessen subjektiven         den Umgang mit Unterschieden als            einfließen. Ihre Grundannahmen,
Interessen, gegenseitiger Erkundung         Ressourcen die gesellschaftliche (Re-)      also verschiedene gesellschaftliche
und gemeinsamen Erkenntnissen und           Produktion von Ungleichheiten oftmals       Unterdrückungsmechanismen zusam-
Erfahrungen Raum zu geben. Dafür ist        ausgeblendet.                               menhängend zu denken, sollten im
eine Lernkultur hilfreich, die nicht von                                                Gegenteil offengelegt und als erfah-
den Interessen und Überzeugungen            Im Gegensatz dazu kann emanzipatori-        rungsorientierte Beiträge nachvoll-
der Bildner_innen ausgeht, sondern          sche politische Bildung dialogorientierte   ziehbar gemacht werden. Das Wissen
diese zugunsten von Dialog und (Lern-)      Formate und Räume entwickeln und            um die Funktionsweise und (Re-)
Kooperationen hinten anstellt.              sich als nicht nur outputfixiert ver-       Produktion von Unterdrückung kann
                                            stehen. Unterschiedlichkeit wird hier       als Modellwissen politische Prozesse
Die bewusste Initiierung von heteroge-      weniger als Potenzial verstanden, etwas     von Selbst-Aufklärung und Empower-
nen Lerngruppen, zum Beispiel durch         zu erreichen, sondern als ethisch-politi-   ment unterstützen. Im besten Fall zeigt
gezielte Einladungs- und Auswahlpoli-       sches Ziel an sich. Wir arbeiten an einer   ein Modell – notwendig Komplexität
tik und Orientierung auf dafür achtsa-      Gesellschaft, in der Unterschiedlichkeit    reduzierend – einen Mechanismus auf,
me Lernkulturen, kann die Entwicklung       selbstverständlich ist: Die Kooperation     an dem eine Strategie- und Taktikent-
dialogorientierter Bildungsformate un-      und die sich gegenseitig ergänzende         wicklung mit der Perspektive von gesell-
terstützen. Anders als bei sogenannten      Bezugnahme und Weise der Zusam-             schaftlicher Transformation ansetzen
Diversity-Ansätzen sollte das Ziel jedoch   menarbeit während des Bildungsprozes-       kann. Modelle und damit verbundene
nicht ausschließlich darin bestehen,        ses wären das Mehr und ein zentrales        Vereinfachungen sind für politische
Arbeits-, Lern- und Kommunikations-         Motiv für heterogene Lerngruppen.           Lernprozesse legitim und wichtig und
weisen zu verändern. Herkömmliche                                                       können auch aus gemeinsamen Refle-
Diversity-Ansätze instrumentalisieren                                                   xionen von Erfahrungen ergänzt und
häufig die Unterschiedlichkeit in Lern-                                                 entwickelt werden.

16 THEMA
Vereinfachende Modelle von Macht-          sind, davon profitieren. Hier werden        positioniert werden, sollte von intersek-
und Herrschaftsverhältnissen können        also Herrschaftsverhältnisse reprodu-       tionalen Perspektiven allerdings nicht
allerdings auch zu Fehlschlüssen           ziert. Um eine solche Re-Entry-Kette zu     erwartet werden, dass sie der Lebens-
führen. Dabei kann es unter anderem        vermeiden, sollten Macht- und Herr-         realität Einzelner als Überkreuzungen
zu Re-Entry-Ketten kommen, das heißt,      schaftsverhältnisse und ihre Folgen an-     dieser Machtachsen «objektiv» gerecht
dass die aus den Modellen abgeleiteten     gemessen und nicht unterkomplex dar-        werden können. Dennoch können inter-
Strategien, ein Problem zu lösen, zur      gestellt werden. Sowohl im politischen      sektionale Perspektiven politische Ak-
Reproduktion ebendieses Problems           als auch im pädagogischen Handeln           teur_innen und Bildner_innen befähi-
beitragen. Ein Beispiel kann das gut       kommt dem Grad von Komplexitätsre-          gen, sich bewusster und wirkungsvoller
veranschaulichen:                          duktion besondere Bedeutung zu.             zu den Interessen ihres Gegenübers in
Um gesellschaftliche Unterdrückungs-                                                   Beziehung zu setzen und reproduktive
verhältnisse sprachlich nicht zu wieder-   Politische Akteur_innen und Bild­­ner_in­   Anteile als Faktor in Unterdrückungs-
holen, werden in linken Bildungskon-       nen haben durch eine intersektionale        systemen zu reduzieren. Damit dies ge-
texten heute meist geschlechtersensible    Perspektive die Möglichkeit, bisherige      schieht, müssen politische Bildner_in-
Sprachformen (d. h. Geschlechter           Kategoriensysteme zur Analyse von           nen sich entsprechend dem eigenen
sichtbar machende oder geschlechts-        Unter­drückungszusammenhängen und           Erkenntnis- und Reflexionsstand auch
neutrale Sprachstrategien) verwendet.      damit ihr Verständnis von Ursachen          im Handlungsfeld politischer Bildung
Häufig erwarten Bildner_innen von den      und Folgen von (Mehrfach-)Benachtei-        – das heißt nicht nur im Verhältnis zu
Teilnehmenden, dass sie die von ihnen      ligung zu erweitern. Sie können eine        Teilnehmenden, sondern auch gegen-
gesetzten Sprachregelungen überneh-        emanzipatorische Haltung einnehmen,         über Auftraggeber_innen – (öffentlich)
men. Dadurch entsteht das Risiko, dass     wenn sie Deutungsmuster entlang einer       positionieren und für eine stärkere Ver-
Sprachstrategien, die Diskriminierung      oder weniger Differenzlinien aufgeben       ankerung intersektionaler Perspektiven
vermeiden sollen, diskriminierend          und ihre Wahrnehmung verändern hin          eintreten. Dies bedeutet unter Um-
wirken: Teilnehmer_innen, denen diese      zur Vorstellung vieler Betroffenheiten      ständen auch, eine kritische Posi­tion
Sprachstrategien weniger vertraut sind,    und dazu nicht deckungsgleicher Inter-      gegenüber anderen machtkritischen,
können verunsichert werden und sich        essen. Angesichts der Komplexität und       aber unterkomplexen Ansätzen, die in
aus der Zusammenarbeit zurückzie-          der Vielzahl gesellschaftlicher Diffe-      politischen Bildungsformaten anzutref-
hen, während andere, die sie gewohnt       renzlinien, entlang derer Akteur_innen      fen sind, einzunehmen.

                                                                                                                       THEMA 17
Scheitern als Ler
gegen Komplexit

            Intersektionale Bildungskonzepte – sich
            den Balanceakten stellen

            Pädagogik beschäftigt sich häufig mit
            Fragen von Identität und Zugehörigkeit.
            Um diese angemessen in die Arbeit
            einbeziehen zu können, sollte das
            Spannungsverhältnis aus individuellen
            Faktoren und Herrschaftseffekten (Mart
            Busche spricht in diesem Heft von
            «Subjekt» und «Struktur») sowohl in
            der Persönlichkeitsentwicklung als auch
            in der sozialen Lage der Individuen be-
            rücksichtigt werden. Als Pädagog_in gilt
            es, sich dem Balanceakt zu stellen, nie
            sicher wissen zu können, wann welche
            der beiden Ebenen gerade in welcher
            Weise wirksam ist.

 18 THEMA
rngelegenheit
tätsreduktion
                                                                                  Katharina Debus
                                                                                  und Olaf Stuve

 Daher geht es unseres Erachtens in der                 lungssituationen, der Annahme, Fehler      soziale Ungleichheiten, andererseits
 Pädagogik darum, eine Kompetenz im                     seien vor allem Zeichen individueller      ein Scheitern einer bestimmten Form
 Umgang mit Komplexität zu erarbeiten,                  professioneller Inkompetenz anstatt        methodischer Herangehensweise.
 mit deren Hilfe diese Vielschichtigkeit                mindestens zum Teil Ergebnis gesell-
 berücksichtigt werden kann. Dabei                      schaftlicher Widersprüche und Lernbe-      Scheitern 1: Ausspielen unterschiedlicher
 besteht immer ein Risiko, an der Kom-                  darfe, sowie der daraus erwachsenden       Ungleichheitsverhältnisse
 plexität und den darin eingewobenen                    Sehnsucht nach allgemeingültigen
 Herrschaftsanordnungen zu scheitern,                   Rezepten und Regeln. Dies kann dazu        In einer Fortbildungsreihe zu «Ge-
 ein Schwindelgefühl bezüglich der                      führen, Komplexität in einer Weise zu      schlechterreflektierter Arbeit mit
 Vielschichtigkeit zu entwickeln und                    reduzieren, die dem pädagogischen          Jungen in der Schule» sammeln wir
 entsprechend auch Fehler zu machen.                    Handeln nicht förderlich ist, oder aus     Fälle für das Kollegiale Forumtheater,
 Nicht zu handeln, sich aus Angst vor                   Angst vor Fehlern schwierige Themen        eine Mischung aus kollegialer Beratung
 dem Scheitern der Komplexität nicht                    zu meiden.                                 und Forumtheater. Eine Lehrerin bringt
 zu stellen oder schwierige Themen zu                                                              einen Fall ein, in dem es um einen
 meiden – all dies sind keine Lösungen.                 Als Gegenentwurf dazu wollen wir an-       Jungen in ihrer Klasse geht, der – ihrer
 In Anlehnung an Andreas Foitzik geht                   hand des folgenden Beispiels Scheitern     Meinung nach – immer Recht haben
 es vielmehr darum, «möglichst elegant                  als Lerngelegenheit betrachten, die im     müsse. Da stünde ja sicher viel Druck
 zu scheitern»,13 also Formen der Hand-                 besten Fall dazu ermutigt, sich in einen   dahinter, immer dominant sein zu
 lungsfähigkeit trotz Handlungsunsi-                    stetigen und produktiven Entwicklungs-     müssen. Von dieser Männlichkeitsan-
 cherheit als ein Ziel pädagogischer Pra-               prozess zu begeben.                        forderung wolle sie ihn entlasten. Für
 xis zu erarbeiten. Probleme erwachsen                                                             das Kollegiale Forumtheater muss der
 oft aus einer Angst vor Unsicherheit                   Scheitern als Lerngelegenheit              Fall anhand einer spielbaren Situation
 in (nicht nur pädagogischen) Hand-                                                                bearbeitet werden. Auf die Nachfrage
                                                        Im Folgenden geht es um ein Beispiel,      nach einer exemplarischen Situation
 13 Aussage im Rahmen der Weiterbildungsreihe           anhand dessen wir zwei Formen des          beschreibt die Lehrerin, dass sie mit der
 «Pädagogisches Handeln in der Einwanderungs-
                                                        Scheiterns als Lerngelegenheit thema-      Klasse des Jungen einen Auszug aus
 gesellschaft»; vgl. auch Foitzik, Andreas: Interkul-
 turelle Kompetenz [ajs-Kompaktwissen], Aktion          tisieren: einerseits ein Scheitern an      dem Buch «Deutschland schafft sich
 Jugendschutz, Stuttgart 2013.                          einer eindimensionalen Perspektive auf     ab» von Thilo Sarrazin gelesen hat und

                                                                                                                                     THEMA 19
der Junge standfest behauptet habe,         aber auch sagen, dass sie das in der       Kinder und Jugendliche von Diskrimi-
Sarrazins Äußerungen seien rassistisch.     Fortbildung erlernte männlichkeitskri-     nierungserlebnissen berichten. Wenn
Davon hätte der Schüler nicht abwei-        tische Argument genutzt hat, um die        sie thematisieren, dass sie in der Schule
chen können, da hätte er immer Recht        antirassistische Intervention des Jungen   oder an anderen pädagogischen Orten
behalten müssen, selbst als die anderen     zu diskreditieren.                         aus vergeschlechtlichten, ethnisierten
gesagt hätten, das stimme doch: «Wir                                                   oder kulturalisierten sowie schicht- bzw.
sind doch wirklich manchmal so.» Das        Ein explizites oder auch implizites        klassenbezogenen oder behindernden
sei doch sicher auch total anstrengend      Ausspielen verschiedener Ungleich-         Gründen benachteiligt werden, sollte
für den Jungen. Die Schule, von der die     heitsverhältnisse steht einer qualitativ   dies von Pädagog_innen nicht einfach
Lehrerin hier berichtet, befindet sich in   hochwertigen Arbeit allein schon des-      als Ausrede oder – wie im Beispiel –
Berlin-Neukölln, einem Bezirk, der über     halb entgegen, weil es den Bedürfnissen    als Ablenkung umgedeutet und zum
viele Jahre von Menschen mit niedrigen      und Lebenslagen der Adressat_innen         (Männlichkeits-)Problem einzelner
Einkommen und/oder mit türkischen           nicht gerecht wird. Darüber hinaus         Jugendlicher gemacht werden.
bzw. arabischen Migrationsgeschichten       kann dies zu sehr nachvollziehbaren
geprägt worden ist. Zweifellos richten      Widerständen führen: einerseits weil       Widersprüchlichkeiten, wie sie auch
sich Sarrazins rassistische Angriffe        manche Adressat_innen (oft zu Recht)       aufseiten der Jugendlichen auftauchen,
direkt gegen diese Bevölkerungsgruppe.      das Gefühl haben könnten, ihre Dis-        müssen damit nicht ausgeblendet
                                            kriminierungserfahrungen würden            werden. Wenn – wie im Beispiel – der
Was hier geschieht ist, dass die Lehrerin   weniger berücksichtigt als die anderer     Junge auf Männlichkeitsressourcen14
in dieser Situation Rassismus gegen ihr     Gruppen, sodass eine pädagogisch be-       zurückgreift (hier Durchsetzungsfähig-
(im Seminar frisch erworbenes) Wissen       förderte Form der «Opferkonkurrenz»        keit und Beharrungsvermögen gegen
um die Konstruiertheit von Geschlecht       entsteht; andererseits auch, weil einige   institutionelle Autorität), um seine Kri-
ausspielt. Wenn wir den Beitrag der         keine Lust haben, ständig in die «Op-      tik gegen rassistische Diskriminierun-
Lehrerin mit viel Wohlwollen interpre-      ferkiste» gepackt zu werden, und lieber    gen anzubringen, dann kann mit dem
tieren, dann hat sie einfach vor lauter     mit unterschiedlichen Leuten Bündnis-      Jungen aus intersektionaler Perspektive
Geschlecht den Rassismus in ihrer           se entlang vielfältiger Zugehörigkeiten
Form der affirmativen Behandlung des        und Privilegierungs- bzw. Diskriminie-
                                                                                       14 Männlichkeitsressourcen werden hier als
Sarrazin-Textes nicht gesehen bzw.          rungserfahrungen schmieden möchten.
                                                                                       Kompetenzen begriffen, die tendenziell eher in
ernst nehmen können. Mit weniger            Aus einer intersektionalen Perspektive     männlichen als in weiblichen Sozialisationen
Wohlwollen betrachtet, könnten wir          geht es darum, ernst zu nehmen, was        erlernt werden.

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auch seine Strategie des Widerstands      Keinesfalls sollte Männlichkeitskritik      um dann gemeinsam den für die Grup-
kritisch bearbeitet werden, wenn es nö-   für eine Erziehung zur Unterordnung         pe interessantesten Fall zur weiteren
tig oder hilfreich erscheint. Aufbauend   genutzt werden. Auf der Grundlage von       Bearbeitung auszuwählen. Während der
auf einer vorrangigen Anerkennung sei-    Anerkennung und Verhandlung könnte          Fallauswahl sollte explizit keiner der zur
ner Rassismuskritik könnte an anderer     nicht zuletzt diskutiert werden, welche     Beratung angebotenen Fälle diskutiert
Stelle zu verschiedenen Konflikt- und     Widerstandsstrategien und Umgangs-          werden. Als der Sarrazin-Fall beschrie-
Auseinandersetzungsstrategien gear-       weisen möglicherweise welche Erfolgs-       ben wurde, begann es in meinem Kopf
beitet werden, zu Rahmenbedingun-         chancen und welche Nachteile mit sich       zu rattern, ob es möglich wäre, inner-
gen und zu Spielräumen persönlicher       bringen. Dann kann auch männliches          halb der Methode den Rassismusgehalt
Herangehensweisen, die es möglich         Dominanzverhalten thematisiert              des Falls zu thematisieren. Als die
machen, nicht immer aus einer Vertei-     werden, aber ohne dieses wiederum zu        Teilnehmenden dann einen anderen
digungs- bzw. Kampfposition heraus        kulturalisieren oder gegen Rassismus-       Fall auswählten, fand ich anschließend
sprechen zu müssen.                       kritik auszuspielen.                        keine Möglichkeit mehr, im Rahmen
                                                                                      meines knappen Zeitplans noch auf
Zu der Thematisierung, wie anstren-       Scheitern 2: Methodische Dogmen und         das Thema Rassismus in dem beschrie-
gend Letzteres ist und wie das im         Herrschaftskritik                           benen Fall einzugehen. Ich hatte mir
Wechselverhältnis zu Geschlecht steht,                                                mit der Regel der Nicht-Diskussion bei
gehört aber auch ein gemeinsames          Am selben Beispiel ist auch ein anderer     der Fallvorstellung selbst die Hände
Arbeiten daran, wie der Umgang im         Aspekt herrschaftskritischer Pädago-        gebunden.15
Klassenraum sein müsste, um Alter-        gik zu thematisieren – ein Aspekt, an
nativen lebbar zu machen. So müsste       dem wir selbst aus unserem Scheitern        In einer Teamfortbildung mit Annita
in diesem Beispiel an den Möglichkei-     gelernt haben:                              Kalpaka, in der unter anderem diese
ten gearbeitet werden, wie und unter                                                  Situation wiederum im Rahmen einer
welchen Bedingungen Kritik geäußert       Ich [K. D.] hatte in der Fortbildungsver-   kollegialen Beratung zum Thema
werden kann, die nicht darauf aufbaut,    anstaltung für die Fallsammlung die         wurde, wies sie uns darauf hin, dass
laut und «störrisch» sein zu müssen,      Regel ausgesprochen, dass die Fälle nur
und dennoch gehört und ernst genom-       so weit erläutert werden sollen, wie es
                                                                                      15 Das Thema wurde dann im weiteren Verlauf
men wird. Dies schließt eine Unter-       nötig ist, damit die Teilnehmenden ent-
                                                                                      der Fortbildungsreihe, an dem ich als Gast­
richtskultur ein, in der Kritik ernst     scheiden können, welcher Fall für ihre      referentin nicht mehr beteiligt war, von den
genommen wird und Raum bekommt.           eigene Arbeit praktische Relevanz hat,      Kolleg_­in­nen aufgegriffen

                                                                                                                          THEMA 21
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