INTER - SEK TIONALITÄT - ROSA LUXEMBURG STIFTUNG - ROSA-LUXEMBURG-STIFTUNG
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Rosa Luxemburg Stiftung INTER - SEKTIONALITÄT Bil dun gsMaterial ien der Rosa-Luxemb urg-Stiftung
IMPRESSUM Bildungsmaterialien Nr. 4 wird herausgegeben von der Rosa-Luxemburg-Stiftung V. i. S. d. P.: Ulrike Hempel Franz-Mehring-Platz 1 · 10243 Berlin · www.rosalux.de Redaktionsschluss: Dezember 2016 Lektorat: TEXT-ARBEIT, Berlin, www.text-arbeit.net Gestaltung: FLMH | Labor für Politik und Kommunikation, www.flmh.de Herstellung: MediaService GmbH Druck und Kommunikation, www.mediaservice.de Gedruckt auf Circleoffset Premium White, 100 % Recycling Alle Methoden aus dieser Broschüre sind online unter www.rosalux.de/bildungsmaterialien abrufbar. ISSN (Print) 2513-1222 Das Bildungsmaterial wird unter den Bedingungen einer Creative Commons License veröffentlicht: Creative Commons Attribution-NonCommercial-NoDerivs 3.0 Germany License (abrufbar unter www.creative-commons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/legalcode). Nach dieser Lizenz dürfen die Texte für nichtkommerzielle Zwecke vervielfältigt, verbreitet und öffentlich zugänglich gemacht werden unter der Bedingung, dass die Namen der Autor_innen und der Broschürentitel inkl. des Verlags/ Trägers genannt werden, der Inhalt nicht bearbeitet, abgewandelt oder in anderer Weise verändert wird und er unter vollständigem Abdruck dieses Lizenzhinweises weitergegeben wird. Alle anderen Nutzungsformen, die nicht durch diese Creative Commons Lizenz oder das Urheberrecht gestattet sind, bleiben vorbehalten. Herausgeber_innen Claudia de Coster arbeitet als Referentin für politische Weiterbildung bei der Rosa-Luxemburg- Stiftung. Dort ist sie insbesondere für Weiterbildungsangebote für politische Bildner_innen und Multiplikator_innen verantwortlich. Inhaltliche Schwerpunkte sind unter anderem die pädagogische Bearbeitung von Antisemitismus und Rassismus sowie die Auseinandersetzung mit intersektionaler Bildungsarbeit. www.rosalux.de/weiterbildung Kontakt: Claudia.deCoster@rosalux.org Niklas Prenzel studierte Bildungswissenschaft und beschäftigt sich mit dem Zusammenhang von Bildungssystem und sozialer Ungleichheit. Im außerschulischen Bereich arbeitet er mit Kinder- und Jugendgruppen zu Themen der ästhetischen und politischen Bildung. Er ist in verschiedenen Projekten der Rosa-Luxemburg-Stiftung engagiert, unter anderem den Gesprächskreisen «Bildungspolitik» und «Politische Bildung». Nora Zirkelbach studiert im Masterstudiengang Internationale Entwicklung und Geschichte an der Universität Wien und beschäftigt sich dort unter anderem mit Rassismus, Migration und Erinnerungspolitik. Als politische Bildnerin arbeitet sie unter anderem zu Themen der historisch- politischen Bildung und Menschenrechten sowie Globalem Lernen. Von Juli bis Dezember 2015 war sie in der Akademie für Politische Bildung der Rosa-Luxemburg-Stiftung in den Themengebieten Migration sowie Neonazismus, Strukturen und Ideologien der Ungleichwertigkeit tätig.
Inhaltsübersicht Wieso ein Heft zu Intersektionalität in der Bildungsarbeit?...................................... 4 Thema......................................................................................... 8 Warum linke Bildungsarbeit intersektional sein sollte.............................................. 8 Intersektionalität als Haltung von politischen Bildner_innen ................................ 12 Scheitern als Lerngelegenheit gegen Komplexitätsreduktion ............................. 18 «Widerstand ist auch ein Lernprozess!»................................................................... 24 Erfahrungen mit dem intersektionalen Ansatz in Slowenien................................ 28 Methoden................................................................................. 34 Methode 1: Bingo.......................................................................................................... 36 Methode 2: Alle gleich, alle verschieden................................................................... 38 Methode 3: Power Flower........................................................................................... 41 Methode 4: Diskriminierungsquadrat........................................................................ 44 Methode 5: Wie im richtigen Leben........................................................................... 46 Methode 6: Vereinbarung gegen Diskriminierung.................................................. 51 Serviceteil................................................................................ 54 Die Autor_innen............................................................................................................ 54 Tipps zu Materialien, Kontakten und zum Weiterlesen........................................... 55 Literatur, Publikationen, Einführungen...................................................................... 55 Materialien- und Methodensammlungen, Broschüren, Webseiten..................... 57 Filme................................................................................................................................ 59 Glossar..................................................................................... 61
Wieso ein Heft zu Intersektiona der Bildungsarb Schon bei einem flüchtigen Blick auf unsere Gesellschaft ist zu erkennen, dass sie ein in sich verschachteltes Gebilde ist. Nicht erst der globalisierte Neoliberalismus hat durch fortschreitende Deregulierungsmaßnahmen und damit einhergehenden Sozialabbau zu vielfältigen gesellschaftlichen Verwerfungen geführt. Auch weitere, lang eingeübte gesell- zu können, wurde das Konzept der In- schaftliche Praxen wie Sexismus, Ras- tersektionalität entwickelt. Der Begriff, sismus oder Klassismus sorgen für eine der auf die Schwarze* Juristin Kimberlé ungleiche gesellschaftliche Machtvertei- Crenshaw zurückgeht (siehe hierzu lung und tragen zu einer Schlechterstel- auch den Artikel von Mart Busche in lung vieler Bevölkerungsgruppen bei. diesem Heft), bezeichnet die Überlap- pung (engl. intersection = Schnittpunkt, Viele Menschen sehen sich in ihrem Schnittmenge) von verschiedenen alltäglichen Leben nicht nur mit einem Diskriminierungserfahrungen in einer einzelnen Unterdrückungsverhältnis, Person, die sich nicht einfach addieren, wie zum Beispiel sexistischen Struktu- sondern zu eigenständigen Diskrimi- ren, konfrontiert, sondern befinden sich nierungserfahrungen führen. zur selben Zeit in einer prekären ökono- mischen Situation und sind zusätzlich als (Post-)Migrant_innen negativ von *Das Adjektiv «Schwarz» großzuschreiben geht Rassismus betroffen. Um derartige auf eine Selbstbezeichnung Schwarzer Menschen Formen mehrdimensionaler Benach- zurück und soll verdeutlichen, dass «Schwarz» ein konstruiertes Zuordnungsmuster und keine teiligung sichtbar zu machen, dafür zu reale «Eigenschaft» ist. Vgl. Sow, Noah: Deutsch- sensibilisieren und in der Folge politi- land Schwarz Weiß: Der alltägliche Rassismus, sche Handlungsstrategien entwickeln München 2008. 4
alität in beit? Mit diesen Ansätzen soll dreierlei er- rung zu entwickeln. Dies gilt sowohl für reicht werden: heterogene als auch für (vermeintlich) homogene Lerngruppen. • Erstens geht es darum, Personen mit (mehrdimensionalen) Diskriminie- • Drittens sind Bildungskontexte – rungserfahrungen in ihren Kämpfen seien es nun Schule oder Universität als Was bedeutet das für eine politische zu unterstützen und ihnen geschützte klassische formale Bildungseinrichtun- Bildungsarbeit, die sich selbst als emanzi- Räume zur Verfügung zu stellen, in gen, aber auch Workshops und Semi- patorisch und links versteht? denen sie ihre Erfahrungen teilen sowie nare der schulbezogenen und außer- gemeinsam nach (kollektiven) Hand- schulischen politischen Jugend- und Seit den 1980er Jahren haben in der lungsstrategien suchen können. Erwachsenenbildung, die sich selbst als Bundesrepublik Selbstorganisationen emanzipatorisch und links verstehen – von Menschen, die in ihrem Alltag • Zweitens soll eine politische Bil- nicht frei von gesellschaftlichen Macht- mit mehrdimensionalen Formen von dungsarbeit, die sich als emanzipa- und Unterdrückungsverhältnissen. Diskriminierung konfrontiert sind, da- torisch versteht, die komplexen ge- Auch hier wirken bestehende soziale mit begonnen, gemeinsame politische sellschaftlichen Lebensbedingungen Ungleichheiten fort. Das kann nicht Handlungsstrategien zu entwickeln, um unterschiedlicher Gruppen in den Blick nur Heterogenitäten innerhalb einer ihre Situation und die gesellschaftlichen nehmen. Dabei sollten sowohl die damit Lerngruppe betreffen, sondern auch das Rahmenbedingungen zu verändern und einhergehenden Besser- und Schlech- Verhältnis der politischen Bildungsar- sich selbst zu empowern. In den vergan- terstellungen als auch die (Ohn-) beiter_innen zur Lerngruppe, zu einzel- genen Jahren haben unterschiedliche Machtverhältnisse reflektiert werden. nen Teilnehmenden oder die ausge- (linke) Bildungsträger an diese Bil- Damit kann zum einen für spezifische wählten Lerninhalte. Es ist die Aufgabe dungsansätze angeknüpft und Projekte gesellschaftliche Unterdrückungsver- von Pädagog_innen und Bildungsarbei- und Bildungskonzepte entwickelt sowie hältnisse sensibilisiert werden. Zum ter_innen, mit diesen Gegebenheiten Publikationen veröffentlicht, die eine anderen wird in einem weiteren Schritt machtkritisch und differenzsensibel intersektionale Perspektive in der politi- angestrebt, gemeinsame Handlungs- umzugehen und daraus Lernanlässe zu schen Bildungsarbeit einnehmen. optionen für gesellschaftliche Verände- generieren – für die Gruppe und immer 5
wieder auch für sich selbst. Je nach pekte einer intersektionalen Perspektive von Pädagog_innen an den eigenen Lerngruppe und thematischem Kontext in der Bildungsarbeit nahebringen und Ansprüchen beschäftigen sich Kathari- kann das Bildner_innen mitunter vor dafür werben, bekanntes Terrain zu ver- na Debus und Olaf Stuve in ihrem Text große Herausforderungen stellen, für lassen und neue Wege auszuprobieren. «Scheitern als Lerngelegenheit gegen die es keine Patentlösungen gibt. Diese Komplexitätsreduktion». Sie plädieren Anforderungen gilt es immer wieder – Aufbau des Bildungshefts dafür, eigene Fehler bei der Gestaltung vorab, während und nach einer Bil- von Bildungsprozessen als Teil eines dungsveranstaltung – zu reflektieren. Der erste Teil dieses Hefts setzt sich immerwährenden Lernprozesses zu aus einer eher theoretischen Perspek- sehen und einen gelassen(er)en Um- Mit diesem Bildungsheft möchte die tive mit unterschiedlichen Aspekten gang damit zu finden. Im Gespräch mit Rosa-Luxemburg-Stiftung, die sich in intersektionaler Bildungsarbeit ausein- Handan Kaymak «Widerstand ist auch diesem Feld selbst als lernende Or- ander. Der Text «Warum linke Bil- ein Lernprozess!» geht es um konkrete ganisation sieht, dazu beitragen, eine dungsarbeit intersektional sein sollte» Erfahrungen mit dem intersektionalen solche intersektionale Perspektive in von Mart Busche beleuchtet zunächst Ansatz in der pädagogischen Praxis und einer politischen Bildungsarbeit, die die Entstehungskontexte und einige die Frage nach Gelingensbedingungen sich selbst als kritisch, emanzipatorisch, Hintergründe intersektionaler Ansät- für eine Bildungsarbeit, die sich selbst partizipativ und links versteht, stärker ze, um anschließend angesichts der als intersektional versteht. Der Text zu verankern. Nach unserer Auffassung gesellschaftlichen Macht- und Ungleich- von Majda Hrženjak lenkt schließlich muss beim Planen und Gestalten von heitsverhältnisse auf die Notwendigkeit den Blick über den deutschsprachigen Bildungsprozessen der Anspruch lei- einer intersektionalen Perspektive in Kontext hinaus nach Slowenien und tend sein, bestehende gesellschaftliche der Bildungsarbeit einzugehen. Was beleuchtet die Erfahrungen mit dem Macht- und Ungleichheitsverhältnisse bedeutet eine solche intersektionale Per- intersektionalen Ansatz in der dortigen – innerhalb und außerhalb des Semi- spektive für das Selbstverständnis von Beratungsarbeit und politischen Organi- narraums – in den Blick zu nehmen, Pädagog_innen? Dieser Frage geht der sationsentwicklung. die eigene Bildungsarbeit kritisch zu Text von Stefan Nadolny nach, der sich hinterfragen und sich auf die Suche mit «Intersektionalität als Haltung von Im zweiten Teil des Hefts werden sechs nach Veränderungsmöglichkeiten zu politischen Bildner_innen» und den Methoden vorgestellt, die politische begeben. Das vorliegende Bildungs- sich daraus ergebenden Konsequenzen Bildungsarbeiter_innen, Pädagog_in- material will auch Pädagog_innen und für die Gestaltung von Bildungsprozes- nen sowie Einsteiger_innen in die Bildungsarbeiter_innen, die mit dem sen auseinandersetzt. Mit den Fallstri- politische Bildungsarbeit dazu ermuti- Thema Intersektionalität noch nicht (so) cken einer intersektionalen Bildungs- gen sollen, gesellschaftliche Ungleich- vertraut sind, die unterschiedlichen As- arbeit und dem möglichen Scheitern heiten, Heterogenität und Intersekti- 6
onalität in ihre bildnerische Praxis zu Ungleichheiten, ihre Überlappungen integrieren. Die Methoden und ihre und mögliche Handlungsoptionen ins Inhalte verweisen auf die Verwobenheit Gespräch zu kommen. unterschiedlicher Herrschafts-, Macht- und Unterdrückungsverhältnisse, Im günstigsten Falle animieren sowohl versuchen, sie sichtbar zu machen, und die vorgestellten Methoden als auch die bieten Anhaltspunkte für gemeinsame Texte dazu, sich auf die Suche nach wei- Reflexion. Für das Bildungsheft haben teren Hintergrundinformationen und wir die Methoden, die der einen oder Methoden zu begeben. Dazu kann der dem anderen bereits aus verschiedenen Serviceteil am Ende des Hefts beitragen, Kontexten bekannt sein könnten, ange- in dem sich neben einem Glossar auch passt (und zum Teil adaptiert), sodass Hinweise auf weiterführende Literatur, sie in unterschiedlichen (heterogenen) Internetseiten, Filme sowie auf im Pra- Lerngruppen mit (jungen) Erwachsenen xisfeld tätige Organisationen und Initi- eingesetzt werden können. Drei der ativen finden lassen, die Anknüpfungs- Methoden eignen sich für einen Ein- punkte und eine gute Orientierung für stieg ins Thema Intersektionalität, drei die eigene Arbeit bieten können. weitere ermöglichen eine vertiefende gesellschaftliche Analyse. Sie sind von Nun wünschen wir viel Spaß bei der Bildner_innen ohne externe Unterstüt- Lektüre des Hefts und hoffen, dass sich zung anwendbar und geben Arbeits- aus den Texten Anlässe zum Nach- material, Hinweise zur Durchführung denken und Irritiert-Sein ergeben und und zu Variationsmöglichkeiten an die dass die vorgestellten Methoden derart Hand. Durch leichte Modifikationen inspirierend sind, dass sie die eigene können die Methoden auch in ande- politische Bildungspraxis bereichern! ren Zielgruppen (etwa im schulischen Kontext) eingesetzt werden. Wir hoffen, mit dieser Methodensammlung Anre- gungen für die Gestaltung der eigenen Claudia de Coster, Niklas Prenzel, Bildungsarbeit zu geben und damit Nora Zirkelbach Gelegenheiten zu schaffen, in der bild- nerischen Praxis über gesellschaftliche Berlin, Dezember 2016 7
Warum linke Bildungsarbeit in sein sollte Unterdrückung verpflichtet haben, und wir sehen unsere besondere Aufgabe in einer umfassenden Analyse und Praxis, die darauf aufbauen, dass die Haupt- Unterdrückungssysteme miteinander verflochten sind. Die Verknüpfung die- ser Unterdrückungsverhältnisse steckt den Rahmen für unser Leben ab.»2 Damit formulierte die Gruppe eine Erfahrung und ein Anliegen, das viele Schwarze Frauen teilten. Mithilfe dieses Ansatzes kritisierten sie einen Feminismus, der von weißen Mit- telschichtsfrauen besetzt wurde und wird und in erster Linie Sexismus als Herrschaftsverhältnis thematisiert, an- Intersektionalität war schon immer da Insbesondere Schwarze Aktivistinnen dere Unterdrückungsverhältnisse aber in der US-amerikanischen Frauenbewe- ausspart. Die Schwarze Juristin Kimber- Linke Bildungsarbeit zeichnet sich gung haben auf die Verflechtung dieser lé Crenshaw zeigte in ihrer intersektio- dadurch aus, dass sie gesellschaftliche Herrschaftsverhältnisse hingewiesen nalen Analyse des US-amerikanischen Verhältnisse analysiert, kritisiert und und sie zum Ausgangspunkt ihrer Antidiskriminierungsrechts auf, dass Veränderungsprozesse zu initiieren politischen Arbeit gemacht. In einem auch hier immer nur ein Herrschafts- sucht. Damit hat sie bereits von ihrem Statement von 1977 schrieb das Com- verhältnis einklagbar ist, sodass es der Ansatz her etwas gemeinsam mit dem, bahee River Collective, eine Gruppe Realität Schwarzer Frauen nicht gerecht was seit einigen Jahren im deutsch- Schwarzer lesbischer Feministinnen werden kann. Crenshaw spricht von sprachigen Raum unter dem Stichwort aus Massachusetts:1 «Die grundle- einem Gleichheits-Differenz-Paradox, «Intersektionalität» diskutiert wird. gendste Erklärung zu unserer aktuellen das darin besteht, dass Schwarze Frau- Gemeint ist damit die Verschränktheit Politik wäre, dass wir uns dem aktiven en «entweder gezwungen sind, sich mit von Unterdrückungsverhältnissen, das Kampf gegen rassistische, geschlecht- weißen Frauen oder Schwarzen Män- heißt, dass einzelne gesellschaftliche liche, heterosexuelle und klassistische nern gleichzumachen, oder aber als zu Unterdrückungsformen nicht getrennt verschieden und damit als Spezialfall voneinander analysiert und bearbeitet der Gruppe ‹Frauen› oder der Gruppe 1 Die Gruppe hat sich 1974 in Boston gegründet. werden können, weil sie immer schon Ihr Name bezieht sich auf die Befreiung von über ‹Schwarze› angesehen werden, die zusammenwirken. Eine Herrschaftskri- 700 Sklav_innen am Combahee River in South sie gleichzeitig und genau aufgrund tik, die dieser Komplexität gerecht wer- Carolina im Jahr 1863 durch Unionstruppen der US-amerikanischen Nordstaaten, die von der ehe- den will, muss deshalb entsprechend maligen Sklavin und Aktivistin Harriet Tubman 2 The Combahee River Collective Statement, umfassend formuliert und umgesetzt auf Dampfbooten durch den verminten Fluss 1977, unter: www.historyisaweapon.com/defcon1/ werden. geführt wurden. combrivercoll.html (Übersetzung M. B.) 8 THEMA
ntersektional Mart Busche der Spezifizität nicht repräsentieren Klägerin ausdrückt, konnte es jedoch Privilegien und Nachteile könnten».3 So wurde in einem Fall eine nicht feststellen4. Klage Schwarzer Frauen gegen Diskri- Die gesellschaftliche Position eines minierung aufgrund ihres Geschlechts Das Konzept der Intersektionalität ist Menschen ist darüber bestimmt, wie vom Gericht mit dem Argument abge- untrennbar mit dem Black Feminism unterschiedliche Machtstrukturen wiesen, dass die beklagte Diskriminie- verbunden. Intersektional wurde und zusammenwirken. Es gibt Menschen, rung nicht auf weiße Frauen zutreffe, wird aber auch in anderen Kontexten die von den Strukturen profitieren, sodass sie als Schwarze Frauen die gearbeitet, wenn auch nicht immer und andere, die aufgrund dieser Kategorie «Frau» als Diskriminierungs- unter diesem Namen: So ist zum Strukturen Diskriminierungen erfah- kategorie für sich nicht in Anspruch Beispiel Clara Zetkin eine proletarische ren. Logischerweise gibt es auch viele nehmen könnten. Vorkämpferin intersektionaler Analyse, Positionierungen dazwischen, die sich die die bürgerliche Frauenbewegung aus Privilegierung in Bezug auf ein Simultane Diskriminierung aufgrund der 1920er Jahren dafür kritisierte, Dominanzverhältnis und Benachteili- von Vergeschlechtlichung und Ethni- dass sie den Zusammenhang zwischen gung in Bezug auf ein anderes zusam- sierung ist auch im deutschen Antidis- Geschlecht und Klasse ausblende.5 mensetzen. Das Ganze ist – zumindest kriminierungsrecht nicht vorgesehen. In der BRD der 1980er Jahre wurde theoretisch – flexibel, situations- und Das zeigt zum Beispiel die abgewiesene die unterschiedliche gesellschaftliche kontextabhängig und im ständigen Klage einer in der Türkei geborenen Position von «eingewanderten» und Wandel begriffen. Deutschen, die von ihrem Arbeitgeber «eingeborenen» Frauen diskutiert,6 und während ihrer Schwangerschaft auf eine auch Schwarze deutsche Feministinnen Für die Privilegierten heißt das vor weniger lukrative Stelle versetzt wurde. meldeten sich zu Wort mit ihrer Kritik allen Dingen: in der luxuriösen Situ- Ihre alte Stelle wurde mit einem weißen an der weißen, bürgerlichen Frauenbe- ation zu sein, sich heraushalten zu deutschen Mann besetzt und finanziell wegung, in der sie nicht vorkämen.7 können; nicht von Reduzierungen auf und ressourcenbezogen wesentlich ein Merkmal, von Stereotypisierungen, besser ausgestattet. Das Arbeitsgericht 4 Arbeitsgericht Wiesbaden: Pressemitteilung, Diskriminierungen und struktureller Wiesbaden sah in der Versetzung eine 18.12.2008, unter: www.gleft.de/Zx Gewalt betroffen zu sein; über die Mar- Diskriminierung aufgrund der Mutter- 5 Vgl. Walgenbach, Katharina: Gender als ginalisierten sprechen zu können, sie schaft. Eine Diskriminierung aufgrund interdependente Kategorie, in: Walgenbach, analysieren zu können, ihnen «Gutes» von Geschlecht und Ethnisierung, die Katharina/Dietze, Gabrielle/Hornscheidt, Antje/ zu tun, wenn es gerade passt, oder aber Palm, Kerstin (Hrsg.): Gender als interdependente sich in der finanziellen Abwertung der Kategorie: Neue Perspektiven auf Intersektionali- sich über sie lustig zu machen oder tät, Diversität und Heterogenität, Opladen 2007, sich auf ihre Kosten gut zu fühlen. Für S. 21–64. die Personen, die in Dominanzverhält- 6 Kalpaka, Annita/Räthzel, Nora: Paternalismus nissen nicht privilegiert sind, heißt 3 Zit. nach: Chebout, Lucy: Back to the roots! Intersectionality und die Arbeiten von Kimberlé in der Frauenbewegung?! Zu den Gemeinsamkei- das, nicht aus dem System von Zu- ten und Unterschieden zwischen eingewanderten Crenshaw, 2012, Portal Intersektionalität, unter: schreibungen und Diskriminierungen und eingeborenen Frauen, in: Informationsdienst www.portal-intersektionalitaet.de; vgl. Crenshaw, zur Ausländerarbeit 3/1985, S. 21–27. aussteigen zu können, wegen potenziel- Kimberlé: Demarginalizing the Intersection ler Anfeindungen beständig in Hab- of Race and Sex: A Black Feminist Critique of 7 Vgl. Ayim, May/Oguntoye, Katharina/Schultz, Antidiscrimination Doctrine, in: The University of Dagmar (Hrsg.): Farbe bekennen. Afro-deutsche Fra Acht-Stellung zu sein sowie sich selbst Chicago Legal Forum, Chicago 1989, S. 139–167. uen auf den Spuren ihrer Geschichte, Berlin 1986. empowern zu müssen, um handlungs- THEMA 9
fähig zu sein und dem System immer oder auch Erfahrenem, oft vermischt fenheit wahrzunehmen und durch eine wieder ein Schnippchen schlagen zu mit Klischees und Stereotypen, die sich klare Haltung für den entsprechenden können. Sie brauchen Rückzugsräume dann zu einer Einschätzung verdichten Schutz zu sorgen. und Allianzen: Schwarze Frauen haben können. Problematisch werden Vorur- sich zum Beispiel oft mit Schwarzen teile dann, wenn sie zur Grundlage von Eine grundsätzliche Frage für linke Männern im Kampf gegen Rassismus Diskriminierungen werden. Aber auch Bildungsarbeit ist: Wie kann Gerechtig- und Klassismus verbündet, was weißen (Vor-)Urteile können verändert wer- keit für alle aussehen und wie kann sie Frauen dazu gedient hat, ihnen Verrat den, indem zum Beispiel Erfahrungen hergestellt werden? Für die Personen, an feministischen Idealen zu unterstel- gemacht werden, die ihnen zuwiderlau- die im sozialen System eher privilegiert len. Eine Mehrheit weißer Feministin- fen, oder indem linke Bildungsarbeit positioniert sind, heißt das mitunter, nen hat hier definiert, wie der «richtige» einen Raum schafft, über solche Urteile dass sie erst einmal zuhören und wahr- Feminismus zu sein hat, ohne die (gemeinsam) nachzudenken und in ei- nehmen sollten, welche Erfahrungen Positionierung Schwarzer Frauen zu nen ehrlichen Austausch zu treten, der Menschen machen, die durch (mehrfa- reflektieren. vielleicht den einen oder anderen Aha- che) Diskriminierung und strukturelle Moment schafft, in dem sich ein Urteil Ausgrenzung positioniert sind. Es gilt, Überhaupt: Mehrheiten. Was für die verschiebt oder sogar überflüssig wird. die Verschiedenheiten, die getrennten Mehrheit – oder gesellschaftlich pri- Vorurteile sind manchmal Bestand- Standpunkte und auch das Scheitern vilegierte Gruppen – zutrifft, wird als teil von pädagogischen Übungen: So daran auszuhalten – und trotzdem die Normalität wahrgenommen. Damit ist wichtig es ist, die eigenen Urteile zu Perspektive auf ein gemeinsames gutes die Erwartung an Minderheiten bzw. überdenken, so schwierig kann es sein, Leben weiterzuverfolgen. Da dies auch andere gesellschaftlich benachteiligte explizit mit ihnen zu arbeiten, insbeson- das Ziel emanzipatorischer, linker Bil- Gruppen verknüpft, sich der Norm dere dann, wenn sie ohne die Methode dungsarbeit ist, ist es notwendig, diese anzupassen. Aber Normen und Regeln gar nicht aufgerufen worden wären. auf der Basis einer intersektionalen entstehen aufgrund bestimmter Macht- Dies ist auch vor dem Hintergrund Analysepraxis zu betreiben. verhältnisse, sie sind das Ergebnis von wichtig, dass unter den Teilnehmenden teilweise jahrhundertealten Ausschluss- eventuell Personen sein können, die Wo ansetzen? Subjekte und Strukturen prozessen. Weil sie aber historisch ent- durch reduzierende Urteile oder das standen sind, sind sie auch veränderbar. Aufrufen von Klischees verletzt wer- Wie kann es nun gelingen, in der Das Gleiche gilt für Vorurteile: Vorur- den können. Linke Bildungsarbeit hat Bildungsarbeit individuelle Befindlich- teile sind oft intuitive Entscheidungen die Aufgabe, einen Umgang damit zu keiten – tatsächlich gemeint als soziale darüber, wie etwas oder jemand zu be- finden, einen Raum zu öffnen, in dem Positionsbestimmungen inmitten vieler werten ist, ohne den konkreten Sachver- offen gesprochen werden kann und Zugehörigkeitsmöglichkeiten – mit den halt oder die Person(en) zu kennen. Sie Lernerfahrungen möglich sind, und strukturellen Verhältnissen zusammen- dienen der Orientierung und fußen in gleichzeitig die unterschiedliche Posi- zubringen? der Regel auf Gehörtem, Phantasiertem tioniertheit hinsichtlich Verletzungsof- 10 THEMA
Für die Praxis ist von Anfang an für Hierarchien anzusehen.»9 Anhand der «Level Playing Field»,11 «Bingo»12 oder Pädagog_innen festzuhalten: Man kann Lebensgeschichten und Erfahrungen der Film «Neukölln unlimited»), eignen nicht alle mitdenken und mitmeinen: lassen sich strukturelle Ausgrenzungen sich als «Teaser», um über unterschied- «Mit anderen Worten, im Hinblick erkennen (z. B. lässt sich anhand der liche Erfahrungen ins Gespräch zu auf die Mikroebene der individuellen Frage, wer wie abends an der Discotür kommen. Dazu braucht es prozessori- Erfahrungen, auf der das Konzept kontrolliert wird und wer Einlass erhält, entierte Erfahrungsräume, die in der Intersektionalität sinnvolle Anwendung aufzeigen, dass möglicherweise rassis- Bildungsarbeit eher untypisch sind, da findet, ist die Unabschließbarkeit ein tische und heteronormative Mechanis- nicht unbedingt klar ist, was am Ende unhintergehbares Faktum. Das ist anzu- men wirken). Dabei gilt es, den Blick herauskommt. Außerdem entziehen erkennen, ohne dem durch vorgreifende derer, die relativ ungestört durchs Leben sie sich einer direkten marktförmi- Inklusion auszuweichen.»8 Es werden gehen können, auf ihre Mitbetroffenheit gen Verwertbarkeit. Für die politische «Fehler» passieren; das, worauf wir als Privilegierte zu lenken. Viele pädago- Handlungsfähigkeit sind solche Räume nicht vorbereitet sind, wird uns begeg- gische Methoden, die unterschiedliche der «Selbstverständigung» vielverspre- nen, die Spezifität von Erfahrungen und gesellschaftliche Positionierungen bear- chend. Existenzweisen ist unendlich. beiten (z. B. «Wie im richtigen Leben»,10 Das macht eine intersektionale Her- 9 Busche, Mart/Stuve, Olaf: Bildungsarbeit inter- angehensweise aber auch besonders sektional erweitern, in: Riegel, Christine/Scherr, spannend und für alle lehrreich. Albert/Stauber, Barbara (Hrsg.): Transdisziplinäre Jugendforschung, Wiesbaden 2007, S. 271–288, Intersektionale Bildungsarbeit kann hier S. 281. Begriffe wie Biografie oder Subjekt tra- beispielsweise versuchen, die unter- gen oft Ideen westlich geprägter Lebensführung schiedlichen Lebensgeschichten stärker in sich, da sie in der Tradition der europäischen zu berücksichtigen und mithilfe der Be- Moderne stehen. Darin erscheint die Biografie als kohärent erzählbare, individuelle Lebensgeschich- arbeitung individueller und kollektiver te; das Individuum bekommt seinen Subjektstatus Geschichten an den jeweiligen Ressour- über die hierarchische Abgrenzung zu anderen cen anzuknüpfen, um somit eine eigen- (vgl. Kappeler, Susanne: Der Wille zur Gewalt. ständige Entwicklung zu initiieren: «Die Politik des persönlichen Verhaltens, München 1994, S. 34 ff.). Es ist von daher zu reflektieren, Biographien sind wie Schnittstellen ge- auf welche Weise diese Begriffe benutzt werden sellschaftlicher Differenzierungen und und ob alle Realitäten im Raum darin aufgehoben sein können. Auch das meint Intersektionalität: Die Überprüfung der genutzten Konzepte auf ihr 11 Vgl. das (englischsprachige) Material zu dieser koloniales, sexistisches, rassistisches und ander- Methode unter: www.peerthink.eu/peerthink/ weitig diskriminierendes Erbe. content/view/113/123 8 Klinger, Cornelia: Für einen Kurswechsel in der Intersektionalitätsdebatte, Portal Intersekti- 10 Vgl. die Methode in diesem Heft auf Seite 46 12 Vgl. die Methode in diesem Heft auf Seite 36 onalität, 2012, S. 5, unter: oder unter: www.baustein.dgb-bwt.de/PDF/ oder unter: www.dissens.de/isgp/docs/ www.portal-intersektionalitaet.de B3-ImRichtigenLeben.pdf isgp-bingo.pdf THEMA 11
Intersektionalit Haltung von pol Bildner_innen Stefan Nadolny Politische und pädagogische Handlungsfelder sind Teil komplexer Unterdrückungssysteme. Sie werden selbst durch Herrschaftsverhältnisse geprägt und produzieren bzw. reproduzieren Strukturen und Handlungslogiken von Benachteiligungen. Auch in politischen Bildungsprozessen werden Machtverhältnisse und damit einhergehende (Mehrfach-)Benachteiligungen (re-)produziert. Daher lohnt es sich, die darin verstrickten Bildner_innen in den Fokus zu nehmen. Im Folgenden soll dies entlang von Haltungsfragen geschehen, die sich in der (emanzipatorischen) politischen Bildung an den – wenn auch unscharfen – Schnittstellen der politischen und pädagogischen Handlungsfelder stellen. 12 THEMA
tät als litischen Haltung – was ist das eigentlich? Im pädagogischen Feld bezeichnen Haltun- Nachdenken über die eigenen Annahmen gen Grundeinstellungen, in denen sich Wis- über das Lernen anderer als Korrektiv und Je nachdem, wie wir uns zu unserer sen, Erfahren, Fühlen und Können auf je- als fortwährende Suchbewegung verste- Umwelt und zu uns selbst – zu unseren weils andere Weise miteinander verbinden. hen, das zum festen Bestandteil jeder Bil- Erfahrungen, unserem Wissen und unse- Der Haltungsbegriff wird insbesondere in dungsarbeit gehört. ren Fähigkeiten – in Bezug setzen, entste- Bezug auf das Selbstverständnis der Bild- hen unterschiedliche Haltungen, die zum ner_innen im Verhältnis zu den Lernenden Als explizit politische_r Bildner_in ist die Beispiel in unserer Lebensführung, unseren hin verwendet. Hierbei kommt der Klärung eigene Haltung darüber hinaus Ergebnis Handlungsorientierungen und/oder unseren der eigenen Rolle in den Lernprozessen an- der Reflexion darüber, welche politischen Verhaltensmustern zum Ausdruck kommen. derer eine zentrale Bedeutung zu. Überzeugungen dem Verständnis der eige- In der pädagogischen Praxis sind damit nen Rolle und der Rolle derjenigen, die am In pädagogischen und politischen Hand- unter anderem die Reflexion der subjekti- Lernprozess teilnehmen, zugrunde liegen. lungsfeldern wird häufig von einer professi- ven Wahrnehmung als Bildner_in, der Für den Haltungstyp emanzipatorischer po- onellen Haltung gesprochen, die durch das eigenen Lernerfahrungen, der eigenen litischer Bildner_innen lässt sich das als bewusste Nachdenken über die eigenen mentalen Modelle sowie das Verständnis Orientierung auf die Schnittstelle zwischen Wahrnehmungs- und Verhaltensmuster, von Lerntheorien, Methodik, Didaktik und Pädagogik und Politik beschreiben, in der die eigenen Ziele und die eigenen Ansprü- Gruppendynamik gemeint. Diese Aspek- Bildung und Lernen als befreiende politi- che an sich selbst und an die Umwelt te fließen in die Gestaltung des Verhältnis- sche Praxis gedacht werden. Bildner_in- gekennzeichnet ist. In einem engeren Sinn ses zu den Lernenden mehr oder weni- nen unterstützen und begleiten Menschen kann Haltung als bewusst gewählt und ger bewusst ein. Bildner_innen mit einem in ihren subjektiven Interessen, Unterdrü- damit auch als veränderbar verstanden emanzipatorischen Anspruch an das eige- ckungssysteme durch verändernde Praxen werden. ne Lehrhandeln sollten das selbstkritische zu überwinden. THEMA 13
Haltung in intersektionaler Perspektive Daraus, wie viele Privilegien jemand besitzt bzw. von welchen Ausschlüs- Intersektionalität ist sowohl ein macht- sen er oder sie betroffen ist, ergeben und herrschaftsanalytischer Theoriean- sich unterschiedliche Handlungs- und satz als auch ein politisches und pädago- Gestaltungsspielräume. Subjekte sind gisches Handlungsfeld. Theorieleitend jedoch immer auch innerhalb der ihnen ist die Feststellung, dass das Zusam- zugewiesenen gesellschaftlichen Platzie- menspiel verschiedener Herrschaftsver- rung handlungsfähig. Durch Offenlegen hältnisse komplexe, mehrdimensionale und Sichtbarmachen der unterschied- Systeme von Unterdrückung ausbildet. lichen Unterdrückungsmechanismen Gesellschaft stellt sich aus intersektio- sowie des alltäglichen Umgangs mit naler Perspektive als ein Raum dar, der den Konsequenzen können Bündnisse durch unterschiedliche, sich aber über- geschlossen, Handlungsspielräume schneidende Machtachsen strukturiert erweitert und gesellschaftliche Interven- ist, auf denen die Akteur_innen anhand tionen geplant und umgesetzt werden. der ihnen zugewiesenen Eigenschaften Die Art und Weise der Interventionen und Merkmale (z. B. «Frau», «Ober- kann sehr vielfältig sein. Beispiele schicht», «Migrationshintergrund», sind die Verständigung über Diskurse, «bisexuell») positioniert sind. Veränderungen von politischen, orga- nisatorischen und rechtlichen Rahmen- Aus dieser Positionierung innerhalb bedingungen, Ausweitung öffentlicher der gesellschaftlichen Machtstrukturen Repräsentationen, Darstellungen und ergeben sich unterschiedliche Chancen Interessenvertretung von Mehrfachbe- und Risiken für die Individuen, kurz: nachteiligten, Veränderungen von staat- unterschiedliche Lebensrealitäten. lichen und zivilgesellschaftlichen Hilfs- und Unterstützungsstrukturen sowie 14 THEMA
der Kampf um Zugänge zu Ressourcen. 1 Reflexion der eigenen Position und Verän- Lehren und Lernen sind durch die Diese unterschiedlichen Formen der derung von Lehr-Lern-Verhältnissen jeweilige Positionierung der Bildner_in- Ermächtigung sind mit Lernprozessen nen und Teilnehmenden innerhalb der verbunden, die von Bildner_innen in Professionelle Haltungsentwicklung ist gesellschaftlichen Verhältnisse und Dif- dafür geeigneten Bildungssettings un- immer mit der Reflexion von Wahr- ferenzlinien geprägt. Aufmerksamkeit terstützt werden können. nehmungs- und Verhaltensmustern und Bedeutung erhält ein Lerngegen- verbunden. Das Bewusstsein um die stand für Lernende aus ihrer subjek- In der politischen Bildung sollten in- eigenen Prägungen und die der anderen tiven Lebensrealität heraus und kann tersektionale Perspektiven vor allem als sowie um die Begrenzung des eigenen von ihnen daher sehr unterschiedlich spezifische Haltungsfragen der Bild- Denkens und Handelns ist sowohl im gedeutet werden. Ein verallgemeinerba- ner_innen thematisiert werden, die in politischen als auch im pädagogischen rer Gehalt ist somit infrage zu stellen. diesen Unterstützungspraxen stets im Handlungsfeld bedeutsam. Es stellen Thema und Methodik werden zumeist Spannungsfeld zwischen der eigenen sich grundlegende Fragen: Welche von den Bildner_innen gesetzt, oftmals und der gesellschaftlichen Positio- Lebensrealitäten und Formen von ohne dass sie sich vergegenwärtigen, nierung der Teilnehmenden stehen. (Mehrfach-)Benachteiligung mit ihren inwieweit die Auswahl von der eigenen Für das Praxisfeld emanzipatorisch- Konsequenzen für mich und andere Lebensrealität und Erfahrung (mit-)be- politischer Bildung ergeben sich daraus habe ich überhaupt im Blick? Was kann stimmt ist, die nicht ohne Weiteres mit für Bildner_innen die folgenden zwei ich nachvollziehen und daher im eige- denen der Teilnehmenden korrespon- grundlegenden Konsequenzen: zum nen Handeln als politische_r Bildner_in dieren müssen. Wenn Bildner_innen einen das «subjektive» Verhalten im bewusst berücksichtigen? Nehme ich ihre gesellschaftliche Positionierung konkreten Lehr-Lern-Verhältnis bzw. diskriminierende Verhaltensweisen und und deren Folgen für ihr Handeln in dessen bewusste Gestaltung, zum ande- Äußerungen (in meinen Bildungsver- Lehr-Lern-Verhältnissen nicht oder nicht ren der Umgang mit dem «objektiven» anstaltungen) wahr und bin ich dazu ausreichend reflektieren, stehen ihre Wissen, das intersektionale Perspekti- bereit sowie in der Lage, angemessen Bildungsformate im schlimmsten Fall ven bieten. darauf zu reagieren? sogar dem Lernprozess anderer im Weg. THEMA 15
Ein emanzipatorisches Politik- und gruppen und die Reflexion des eigenen 2 Intersektionalität als (Meta-)Wissen Bildungsverständnis, das Intersek- Verhaltens sowie der eigenen Positio- tionalität ernst nimmt, sollte daher nierung in gesellschaftlichen Verhält- In einer derart verstandenen Lernkultur versuchen, einseitig von Bildner_innen nissen aus einer Verwertungs- und dürfen intersektionale Perspektiven strukturierte Bildungssettings auf- Kompetenzperspektive. So wird durch nicht als Wissen von «Expert_innen» zulösen und stattdessen subjektiven den Umgang mit Unterschieden als einfließen. Ihre Grundannahmen, Interessen, gegenseitiger Erkundung Ressourcen die gesellschaftliche (Re-) also verschiedene gesellschaftliche und gemeinsamen Erkenntnissen und Produktion von Ungleichheiten oftmals Unterdrückungsmechanismen zusam- Erfahrungen Raum zu geben. Dafür ist ausgeblendet. menhängend zu denken, sollten im eine Lernkultur hilfreich, die nicht von Gegenteil offengelegt und als erfah- den Interessen und Überzeugungen Im Gegensatz dazu kann emanzipatori- rungsorientierte Beiträge nachvoll- der Bildner_innen ausgeht, sondern sche politische Bildung dialogorientierte ziehbar gemacht werden. Das Wissen diese zugunsten von Dialog und (Lern-) Formate und Räume entwickeln und um die Funktionsweise und (Re-) Kooperationen hinten anstellt. sich als nicht nur outputfixiert ver- Produktion von Unterdrückung kann stehen. Unterschiedlichkeit wird hier als Modellwissen politische Prozesse Die bewusste Initiierung von heteroge- weniger als Potenzial verstanden, etwas von Selbst-Aufklärung und Empower- nen Lerngruppen, zum Beispiel durch zu erreichen, sondern als ethisch-politi- ment unterstützen. Im besten Fall zeigt gezielte Einladungs- und Auswahlpoli- sches Ziel an sich. Wir arbeiten an einer ein Modell – notwendig Komplexität tik und Orientierung auf dafür achtsa- Gesellschaft, in der Unterschiedlichkeit reduzierend – einen Mechanismus auf, me Lernkulturen, kann die Entwicklung selbstverständlich ist: Die Kooperation an dem eine Strategie- und Taktikent- dialogorientierter Bildungsformate un- und die sich gegenseitig ergänzende wicklung mit der Perspektive von gesell- terstützen. Anders als bei sogenannten Bezugnahme und Weise der Zusam- schaftlicher Transformation ansetzen Diversity-Ansätzen sollte das Ziel jedoch menarbeit während des Bildungsprozes- kann. Modelle und damit verbundene nicht ausschließlich darin bestehen, ses wären das Mehr und ein zentrales Vereinfachungen sind für politische Arbeits-, Lern- und Kommunikations- Motiv für heterogene Lerngruppen. Lernprozesse legitim und wichtig und weisen zu verändern. Herkömmliche können auch aus gemeinsamen Refle- Diversity-Ansätze instrumentalisieren xionen von Erfahrungen ergänzt und häufig die Unterschiedlichkeit in Lern- entwickelt werden. 16 THEMA
Vereinfachende Modelle von Macht- sind, davon profitieren. Hier werden positioniert werden, sollte von intersek- und Herrschaftsverhältnissen können also Herrschaftsverhältnisse reprodu- tionalen Perspektiven allerdings nicht allerdings auch zu Fehlschlüssen ziert. Um eine solche Re-Entry-Kette zu erwartet werden, dass sie der Lebens- führen. Dabei kann es unter anderem vermeiden, sollten Macht- und Herr- realität Einzelner als Überkreuzungen zu Re-Entry-Ketten kommen, das heißt, schaftsverhältnisse und ihre Folgen an- dieser Machtachsen «objektiv» gerecht dass die aus den Modellen abgeleiteten gemessen und nicht unterkomplex dar- werden können. Dennoch können inter- Strategien, ein Problem zu lösen, zur gestellt werden. Sowohl im politischen sektionale Perspektiven politische Ak- Reproduktion ebendieses Problems als auch im pädagogischen Handeln teur_innen und Bildner_innen befähi- beitragen. Ein Beispiel kann das gut kommt dem Grad von Komplexitätsre- gen, sich bewusster und wirkungsvoller veranschaulichen: duktion besondere Bedeutung zu. zu den Interessen ihres Gegenübers in Um gesellschaftliche Unterdrückungs- Beziehung zu setzen und reproduktive verhältnisse sprachlich nicht zu wieder- Politische Akteur_innen und Bildner_in Anteile als Faktor in Unterdrückungs- holen, werden in linken Bildungskon- nen haben durch eine intersektionale systemen zu reduzieren. Damit dies ge- texten heute meist geschlechtersensible Perspektive die Möglichkeit, bisherige schieht, müssen politische Bildner_in- Sprachformen (d. h. Geschlechter Kategoriensysteme zur Analyse von nen sich entsprechend dem eigenen sichtbar machende oder geschlechts- Unterdrückungszusammenhängen und Erkenntnis- und Reflexionsstand auch neutrale Sprachstrategien) verwendet. damit ihr Verständnis von Ursachen im Handlungsfeld politischer Bildung Häufig erwarten Bildner_innen von den und Folgen von (Mehrfach-)Benachtei- – das heißt nicht nur im Verhältnis zu Teilnehmenden, dass sie die von ihnen ligung zu erweitern. Sie können eine Teilnehmenden, sondern auch gegen- gesetzten Sprachregelungen überneh- emanzipatorische Haltung einnehmen, über Auftraggeber_innen – (öffentlich) men. Dadurch entsteht das Risiko, dass wenn sie Deutungsmuster entlang einer positionieren und für eine stärkere Ver- Sprachstrategien, die Diskriminierung oder weniger Differenzlinien aufgeben ankerung intersektionaler Perspektiven vermeiden sollen, diskriminierend und ihre Wahrnehmung verändern hin eintreten. Dies bedeutet unter Um- wirken: Teilnehmer_innen, denen diese zur Vorstellung vieler Betroffenheiten ständen auch, eine kritische Position Sprachstrategien weniger vertraut sind, und dazu nicht deckungsgleicher Inter- gegenüber anderen machtkritischen, können verunsichert werden und sich essen. Angesichts der Komplexität und aber unterkomplexen Ansätzen, die in aus der Zusammenarbeit zurückzie- der Vielzahl gesellschaftlicher Diffe- politischen Bildungsformaten anzutref- hen, während andere, die sie gewohnt renzlinien, entlang derer Akteur_innen fen sind, einzunehmen. THEMA 17
Scheitern als Ler gegen Komplexit Intersektionale Bildungskonzepte – sich den Balanceakten stellen Pädagogik beschäftigt sich häufig mit Fragen von Identität und Zugehörigkeit. Um diese angemessen in die Arbeit einbeziehen zu können, sollte das Spannungsverhältnis aus individuellen Faktoren und Herrschaftseffekten (Mart Busche spricht in diesem Heft von «Subjekt» und «Struktur») sowohl in der Persönlichkeitsentwicklung als auch in der sozialen Lage der Individuen be- rücksichtigt werden. Als Pädagog_in gilt es, sich dem Balanceakt zu stellen, nie sicher wissen zu können, wann welche der beiden Ebenen gerade in welcher Weise wirksam ist. 18 THEMA
rngelegenheit tätsreduktion Katharina Debus und Olaf Stuve Daher geht es unseres Erachtens in der lungssituationen, der Annahme, Fehler soziale Ungleichheiten, andererseits Pädagogik darum, eine Kompetenz im seien vor allem Zeichen individueller ein Scheitern einer bestimmten Form Umgang mit Komplexität zu erarbeiten, professioneller Inkompetenz anstatt methodischer Herangehensweise. mit deren Hilfe diese Vielschichtigkeit mindestens zum Teil Ergebnis gesell- berücksichtigt werden kann. Dabei schaftlicher Widersprüche und Lernbe- Scheitern 1: Ausspielen unterschiedlicher besteht immer ein Risiko, an der Kom- darfe, sowie der daraus erwachsenden Ungleichheitsverhältnisse plexität und den darin eingewobenen Sehnsucht nach allgemeingültigen Herrschaftsanordnungen zu scheitern, Rezepten und Regeln. Dies kann dazu In einer Fortbildungsreihe zu «Ge- ein Schwindelgefühl bezüglich der führen, Komplexität in einer Weise zu schlechterreflektierter Arbeit mit Vielschichtigkeit zu entwickeln und reduzieren, die dem pädagogischen Jungen in der Schule» sammeln wir entsprechend auch Fehler zu machen. Handeln nicht förderlich ist, oder aus Fälle für das Kollegiale Forumtheater, Nicht zu handeln, sich aus Angst vor Angst vor Fehlern schwierige Themen eine Mischung aus kollegialer Beratung dem Scheitern der Komplexität nicht zu meiden. und Forumtheater. Eine Lehrerin bringt zu stellen oder schwierige Themen zu einen Fall ein, in dem es um einen meiden – all dies sind keine Lösungen. Als Gegenentwurf dazu wollen wir an- Jungen in ihrer Klasse geht, der – ihrer In Anlehnung an Andreas Foitzik geht hand des folgenden Beispiels Scheitern Meinung nach – immer Recht haben es vielmehr darum, «möglichst elegant als Lerngelegenheit betrachten, die im müsse. Da stünde ja sicher viel Druck zu scheitern»,13 also Formen der Hand- besten Fall dazu ermutigt, sich in einen dahinter, immer dominant sein zu lungsfähigkeit trotz Handlungsunsi- stetigen und produktiven Entwicklungs- müssen. Von dieser Männlichkeitsan- cherheit als ein Ziel pädagogischer Pra- prozess zu begeben. forderung wolle sie ihn entlasten. Für xis zu erarbeiten. Probleme erwachsen das Kollegiale Forumtheater muss der oft aus einer Angst vor Unsicherheit Scheitern als Lerngelegenheit Fall anhand einer spielbaren Situation in (nicht nur pädagogischen) Hand- bearbeitet werden. Auf die Nachfrage Im Folgenden geht es um ein Beispiel, nach einer exemplarischen Situation 13 Aussage im Rahmen der Weiterbildungsreihe anhand dessen wir zwei Formen des beschreibt die Lehrerin, dass sie mit der «Pädagogisches Handeln in der Einwanderungs- Scheiterns als Lerngelegenheit thema- Klasse des Jungen einen Auszug aus gesellschaft»; vgl. auch Foitzik, Andreas: Interkul- turelle Kompetenz [ajs-Kompaktwissen], Aktion tisieren: einerseits ein Scheitern an dem Buch «Deutschland schafft sich Jugendschutz, Stuttgart 2013. einer eindimensionalen Perspektive auf ab» von Thilo Sarrazin gelesen hat und THEMA 19
der Junge standfest behauptet habe, aber auch sagen, dass sie das in der Kinder und Jugendliche von Diskrimi- Sarrazins Äußerungen seien rassistisch. Fortbildung erlernte männlichkeitskri- nierungserlebnissen berichten. Wenn Davon hätte der Schüler nicht abwei- tische Argument genutzt hat, um die sie thematisieren, dass sie in der Schule chen können, da hätte er immer Recht antirassistische Intervention des Jungen oder an anderen pädagogischen Orten behalten müssen, selbst als die anderen zu diskreditieren. aus vergeschlechtlichten, ethnisierten gesagt hätten, das stimme doch: «Wir oder kulturalisierten sowie schicht- bzw. sind doch wirklich manchmal so.» Das Ein explizites oder auch implizites klassenbezogenen oder behindernden sei doch sicher auch total anstrengend Ausspielen verschiedener Ungleich- Gründen benachteiligt werden, sollte für den Jungen. Die Schule, von der die heitsverhältnisse steht einer qualitativ dies von Pädagog_innen nicht einfach Lehrerin hier berichtet, befindet sich in hochwertigen Arbeit allein schon des- als Ausrede oder – wie im Beispiel – Berlin-Neukölln, einem Bezirk, der über halb entgegen, weil es den Bedürfnissen als Ablenkung umgedeutet und zum viele Jahre von Menschen mit niedrigen und Lebenslagen der Adressat_innen (Männlichkeits-)Problem einzelner Einkommen und/oder mit türkischen nicht gerecht wird. Darüber hinaus Jugendlicher gemacht werden. bzw. arabischen Migrationsgeschichten kann dies zu sehr nachvollziehbaren geprägt worden ist. Zweifellos richten Widerständen führen: einerseits weil Widersprüchlichkeiten, wie sie auch sich Sarrazins rassistische Angriffe manche Adressat_innen (oft zu Recht) aufseiten der Jugendlichen auftauchen, direkt gegen diese Bevölkerungsgruppe. das Gefühl haben könnten, ihre Dis- müssen damit nicht ausgeblendet kriminierungserfahrungen würden werden. Wenn – wie im Beispiel – der Was hier geschieht ist, dass die Lehrerin weniger berücksichtigt als die anderer Junge auf Männlichkeitsressourcen14 in dieser Situation Rassismus gegen ihr Gruppen, sodass eine pädagogisch be- zurückgreift (hier Durchsetzungsfähig- (im Seminar frisch erworbenes) Wissen förderte Form der «Opferkonkurrenz» keit und Beharrungsvermögen gegen um die Konstruiertheit von Geschlecht entsteht; andererseits auch, weil einige institutionelle Autorität), um seine Kri- ausspielt. Wenn wir den Beitrag der keine Lust haben, ständig in die «Op- tik gegen rassistische Diskriminierun- Lehrerin mit viel Wohlwollen interpre- ferkiste» gepackt zu werden, und lieber gen anzubringen, dann kann mit dem tieren, dann hat sie einfach vor lauter mit unterschiedlichen Leuten Bündnis- Jungen aus intersektionaler Perspektive Geschlecht den Rassismus in ihrer se entlang vielfältiger Zugehörigkeiten Form der affirmativen Behandlung des und Privilegierungs- bzw. Diskriminie- 14 Männlichkeitsressourcen werden hier als Sarrazin-Textes nicht gesehen bzw. rungserfahrungen schmieden möchten. Kompetenzen begriffen, die tendenziell eher in ernst nehmen können. Mit weniger Aus einer intersektionalen Perspektive männlichen als in weiblichen Sozialisationen Wohlwollen betrachtet, könnten wir geht es darum, ernst zu nehmen, was erlernt werden. 20 THEMA
auch seine Strategie des Widerstands Keinesfalls sollte Männlichkeitskritik um dann gemeinsam den für die Grup- kritisch bearbeitet werden, wenn es nö- für eine Erziehung zur Unterordnung pe interessantesten Fall zur weiteren tig oder hilfreich erscheint. Aufbauend genutzt werden. Auf der Grundlage von Bearbeitung auszuwählen. Während der auf einer vorrangigen Anerkennung sei- Anerkennung und Verhandlung könnte Fallauswahl sollte explizit keiner der zur ner Rassismuskritik könnte an anderer nicht zuletzt diskutiert werden, welche Beratung angebotenen Fälle diskutiert Stelle zu verschiedenen Konflikt- und Widerstandsstrategien und Umgangs- werden. Als der Sarrazin-Fall beschrie- Auseinandersetzungsstrategien gear- weisen möglicherweise welche Erfolgs- ben wurde, begann es in meinem Kopf beitet werden, zu Rahmenbedingun- chancen und welche Nachteile mit sich zu rattern, ob es möglich wäre, inner- gen und zu Spielräumen persönlicher bringen. Dann kann auch männliches halb der Methode den Rassismusgehalt Herangehensweisen, die es möglich Dominanzverhalten thematisiert des Falls zu thematisieren. Als die machen, nicht immer aus einer Vertei- werden, aber ohne dieses wiederum zu Teilnehmenden dann einen anderen digungs- bzw. Kampfposition heraus kulturalisieren oder gegen Rassismus- Fall auswählten, fand ich anschließend sprechen zu müssen. kritik auszuspielen. keine Möglichkeit mehr, im Rahmen meines knappen Zeitplans noch auf Zu der Thematisierung, wie anstren- Scheitern 2: Methodische Dogmen und das Thema Rassismus in dem beschrie- gend Letzteres ist und wie das im Herrschaftskritik benen Fall einzugehen. Ich hatte mir Wechselverhältnis zu Geschlecht steht, mit der Regel der Nicht-Diskussion bei gehört aber auch ein gemeinsames Am selben Beispiel ist auch ein anderer der Fallvorstellung selbst die Hände Arbeiten daran, wie der Umgang im Aspekt herrschaftskritischer Pädago- gebunden.15 Klassenraum sein müsste, um Alter- gik zu thematisieren – ein Aspekt, an nativen lebbar zu machen. So müsste dem wir selbst aus unserem Scheitern In einer Teamfortbildung mit Annita in diesem Beispiel an den Möglichkei- gelernt haben: Kalpaka, in der unter anderem diese ten gearbeitet werden, wie und unter Situation wiederum im Rahmen einer welchen Bedingungen Kritik geäußert Ich [K. D.] hatte in der Fortbildungsver- kollegialen Beratung zum Thema werden kann, die nicht darauf aufbaut, anstaltung für die Fallsammlung die wurde, wies sie uns darauf hin, dass laut und «störrisch» sein zu müssen, Regel ausgesprochen, dass die Fälle nur und dennoch gehört und ernst genom- so weit erläutert werden sollen, wie es 15 Das Thema wurde dann im weiteren Verlauf men wird. Dies schließt eine Unter- nötig ist, damit die Teilnehmenden ent- der Fortbildungsreihe, an dem ich als Gast richtskultur ein, in der Kritik ernst scheiden können, welcher Fall für ihre referentin nicht mehr beteiligt war, von den genommen wird und Raum bekommt. eigene Arbeit praktische Relevanz hat, Kolleg_innen aufgegriffen THEMA 21
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