Ergonomie AKTUELL Die Fachzeitschrift des Lehrstuhls für Ergonomie - TUM
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Ergonomie AKTUELL Die Fachzeitschrift des Lehrstuhls für Ergonomie Ausgabe 020 | Sommer 2019 | ISSN 1616-7627
Impressum IMPRESSUM: Ergonomie Aktuell Die Fachzeitschrift des Lehrstuhls für Ergonomie erscheint im Selbstverlag einmal pro Jahr. Auflage 200 Herausgeber: Lehrstuhl für Ergonomie Technische Universität München Boltzmannstraße 15 85748 Garching Tel: 089/ 289 15388 www.ergonomie.tum.de http://www.lfe.mw.tum.de/downloads/ ISSN: 1616-7627 Verantw. i.S.d.P.: Prof. Dr. phil. Klaus Bengler Prof. Dr.-Ing. Veit Senner Redaktion: Prof. Dr. phil. Klaus Bengler Prof. Dr.-Ing. Veit Senner Dr.-Ing. Verena Knott Dipl. Wirtsch.-Ing. Christian Lehsing, M.Sc. Julia Fridgen Layout: Julia Fridgen/TUM Druck: Printy, Digitaldruck & Kopierservice 80333 München © Lehrstuhl für Ergonomie | TUM Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, auch auszugsweise, nur in Abstimmung mit der Redaktion. Zum Sprachgebrauch: Nach Artikel 3 Abs. 2 des Grundgesetzes sind Frauen und Männer gleichberechtigt. Alle Personen- und Funktionsbezeich- nungen beziehen sich gleicher Weise auf Frauen und Männer. 2
Editorial Sehr geehrte Leserinnen und Leser, Freunde und Förderer der Ergonomie, die diesjährige Ausgabe der Ergonomie blickt auf ein sehr erfolgreiches Jahr zurück und zeigt, dass viele Forschungsschwerpunkte des Lehrstuhls für Ergonomie Themen wichtige zukunftsrelevante Fra- gestellungen adressieren. Vor allem fällt auf, dass die neuen Rollenverteilungen zwischen Mensch und Maschine neue Werkzeuge und Methoden erfordern bzw. die Aktualisierung unseres Handwerkzeuges. So bringen die Projekt INSAA und DELFIN den RAM- SIS der Welt der automatisierten Fahrzeuge näher und für die Studierenden wurde mit dem Design darauf, dass inzwischen viele HFE Studierende als Thinking Seminar eine neue Lehrveranstaltung ins kompetente Mitarbeiter die Idee der menschorien- Leben gerufen. Ziel ist es die Idee der nutzerorien- tierten Gestaltung an der TUM in ihren Unternehmen tierten Entwicklung und das agile Arbeiten auf sehr umsetzen und auf diesem Weg unsere Gesellschaft hohem Niveau zu ermöglichen. mitgestalten. Vor allen Dingen ist neben den Aktivitäten zur au- Das LfE Team und das SPGM Team wünschen Ihnen tomatisierten Fahrzeugführung ein Forschungs- viel Freude bei der Lektüre. Lassen Sie sich zum For- schwerpunkt entstanden, der sich mit Leben und schen und Gestalten inspirieren. Arbeit in der Digitalisierung beschäftigt. Diese Aktivi- täten finden vor allem in Kooperation mit der neu ge- gründeten Munich School for Robotics and Machine Intelligence (MSRM) statt, in die auch der Lehrstuhl für Ergonomie zur Koordination der Aktivitäten in der Arbeitsforschung aufgenommen wurde. In diesem Wir wünschen Ihnen viel Freude bei der Lektüre. Zug verstärken wir mit den Kollegen anderer Fakul- täten unsere Aktivitäten zur künstlichen Intelligenz. Ihr Die Beiträge in dieser Ausgabe und die abgeschlos- senen Dissertationen zeigen, dass die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des Lehrstuhls zu den aktu- ellen Forschungsthemen national und internatio- Klaus Bengler nal gefragte Experten sind. Ebenso sind wir stolz 3
Inhalt Impressum 02 Editorial 03 Projekt Kooperatives, hochautomatisiertes Fahren (Ko-HAF) – Fährst du schon oder forschst du noch? Jonas Radlmayr 06 UNICARagil – Ein Zwischenstand Ingrid Bubb, Hendrik Homans, Lorenz Prasch, Jakob Reinhardt 10 Agiles Arbeiten und die vierte technische Revolution Caroline Adam, Lorenz Prasch 16 Workshop Design Thinking Experience am Lehrstuhl für Ergonomie Caroline Adam 20 Und was machen sie dann? Eine Befragung der Absolvent/innen des Studiengangs Ergonomie – Human Factors Engineering (HFE) Carmen Aringer-Walch 24 Professur für Sportgeräte und -materialien: Verständnis für die Interaktion zwischen Athlet, Ausrüstung und Umwelt - Aljoscha Hermann 26 Gesundheit, Wohlbefinden und mehr Spaß durch technische Unterstützung - Aljoscha Hermann 27 Sportlicher Leistungsgewinn durch optimiertes Equipment - Bahador Keshvari 28 Verbesserte Schutzausrüstung - Stefanie Paßler, Tanja Lerchl 29 Gemeinsames sporttechnologisches Projekt mit der Technischen Universität Chemnitz - Quirin Schmid 31 Rechtliche Anforderungen an automatisiertes Fahren – Erkenntnisse aus Verkehrsgerichtstagen mit Ver- kehrsunfallbeispielen Thomas Winkle 32 Neue Projekte 38 Veröffentlichungen von Sommer 2018 bis Sommer 2019 42 Dissertationen 47 Abgeschlossene Diplom- und Masterarbeiten 49 Neue Mitarbeiter 52 Abschied 53 Aktuelles 54 Rückblick 56 5
Projekt Kooperatives, hochautomatisiertes Fahren (Ko-HAF) – Fährst du schon oder forschst du noch? Jonas Radlmayr Hochautomatisiertes Fahren Automatisiertes Fahren ist in aller Munde! Ob tech- nische Hürden, gesetzliche Voraussetzungen oder ethische Fragen, die Diskussion um automatisiertes Fahren wird in Medien, Industrie und Wissenschaft leidenschaftlich geführt. Einen Beitrag dazu leistet das vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie geförderte Projekt Kooperatives, hochau- tomatisiertes Fahren – Ko-HAF. Dabei geht es kon- kret um das hochautomatisierte Fahren, bei dem Geschwindigkeiten bis zu 130 km/h durch die Au- tomation auf Autobahnen realisiert werden können, bei denen sich Fahrer von der Fahraufgabe abwen- den dürfen. Die Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) definiert hochautomatisiertes Fahren als Le- vel 3 (Gasser & Westhoff, 2012), analog zur Automa- tionstaxonomie der Society of Automotive Enginee- rs, die Level 3 als Conditional Driving Automation definiert (SAE, 2018). In beiden Fällen darf sich der Fahrer von der Fahraufgabe abwenden, ist allerdings als Rückfallebene vorgesehen, sofern die Automati- on eine Systemgrenze erreicht. Dann kommt es zu einer sogenannten Übernahme (Damböck, 2013; Gold, Damböck, Lorenz, & Bengler, 2013). Ko-HAF fahrfremde Tätigkeiten (ffT) oder Müdigkeit auf die- Im Projekt Ko-HAF befasste sich eines von 5 Ar- se Übernahme. Das Projekt wurde nach 3,5-jähri- beitspaketen unter der Leitung des Lehrstuhls für ger Laufzeit Ende 2018 mit einer sehr erfolgreichen Ergonomie mit der Übernahme und Einflüssen wie Abschlusspräsentation auf dem Opel-Testgelände in Dudenhofen abgeschlossen. Die Demonstrati- onen mit im Projekt aufgebauten Versuchsträgern umfassten eine Vielzahl von Themen, wie beispiels- weise Umfelderfassung und -repräsentation in ei- nem Safety Server (Arbeitspaket 1), die hochgenaue Lokalisierung und ein statisches Umfeldmodell als Voraussetzung für hochautomatisiertes Fahren (Ar- beitspaket 2), die Funktionsentwicklung für den Nor- mal- und Notbetrieb (Arbeitspaket 4) und die Absi- cherung und Erprobung dieser Funktionen im realen Verkehr (Arbeitspaket 5). Dabei konnten Besucher der Abschlusspräsentation hochautomatisiertes Fahren live erleben. Arbeitspaket 3 (AP3) mit dem Titel kooperative Fahrzeugführung und kontrollier- 6
Projekt Kooperatives, hochautomatisiertes Fahren – Ko-HAF bare Automation präsentierte die Vielzahl der Stu- dienergebnisse im Rahmen einer Posterausstellung, mithilfe von Wizard-of-Oz-Versuchsträgern und in Vorträgen. Im Arbeitspaket 3 wurden zu ergonomi- schen Fragen von den Partnern insgesamt 33 em- pirische Studien durchgeführt, mit 1723 Probanden in mehr als 1750 Stunden. Die Ergebnisse wurden in mehr als 30 Publikationen veröffentlicht und fan- den bereits während der Projektlaufzeit Einzug in die internationale Standardisierung auf ISO-Ebene. Zentraler Untersuchungsgegenstand der Versuche war die Übernahme als sicherheits- und komfortkri- Abbildung 1: Übernahmeprozess beim hoch-automatisierten tischer Teil des hochautomatisierten Fahrens, wenn Fahren und Einflussgrößen (Marberger et al., 2017). das Fahrzeug eine Systemgrenze erreicht und Fah- rer zum manuellen Weiterfahren aufgefordert wer- Um die Ergebnisse der verschiedenen Studien und den. Im Vordergrund stand dabei der Fahrerzustand, Partner vergleichbar zu machen, wurde zudem zu der sich aufgrund längerer Automationsdauern, oder Projektbeginn eine Klassifizierung und Bewertung der Zuwendung zu fahrfremden Tätigkeiten während bereits bestehender Übernahmesituationen erar- der automatisierten Fahrt ändert. Inwiefern diese beitet (Gold, Naujoks, Radlmayr, Bellem, & Jarosch, Änderungen einen Einfluss auf die Übernahmezeit 2017). Dabei können Übernahmesituationen nun hin- und -qualität haben, wurde intensiv im Arbeitspaket sichtlich Dringlichkeit, Vorhersagbarkeit, Kritikalität 3 untersucht. und Komplexität des notwendigen Manövers einge- ordnet werden. Zudem ermöglicht diese Taxonomie Methodische Basis und Taxonomie der das zielgenaue Auswählen sinnvoller Situationen in Übernahme Abhängigkeit der Forschungsfrage, da es große Un- terschiede zwischen Situationen gibt, die entweder Als methodischer Unterbau diente ein zu Beginn die Grenzen menschlicher Leistungsfähigkeit abbil- des Projekts erarbeiteter Rahmen, oder Framework, den sollen, oder den Komfort und die Akzeptanz von der in Abbildung 1 zu sehen ist. Einflussgrößen wie Übernahmen in den Vordergrund stellen. Analog zur die konkrete Übernahmesituation oder die Gestal- Klassifizierung und Bewertung von Übernahmesitua- tung des HMI’s der Übernahmeaufforderung können tionen wurde ein Katalog an fahrfremden Tätigkeiten den Prozess genauso beeinflussen, wie die Transi- (ffT) erstellt. Dieser basiert auf einer umfangreichen tion ausgehend von einem aktuellen Fahrerzustand Sichtung bereits bestehender Literatur und erlaubt (bspw. müde, einer fahrfremden Tätigkeit zugewen- eine Zuordnung der ffT zu den unterschiedlichen Pha- det) hin zu einem Fahrerzustand, der für das folgen- sen einer Übernahme, die durch die Ausübung der ffT de, manuelle Fahren kein Problem darstellt. beeinflusst werden können. Mögliche Auswirkungen von ffT auf die Übernahmeleistung können so ziel- gerichteter untersucht werden. Der Katalog der fahr- fremden Tätigkeiten wurde am Anfang des Projekts publiziert (Naujoks, Befelein, Wiedemann, & Neukum, 2018). Die Vielzahl an Ergebnissen im Arbeitspaket 3 wurden zur Vorbereitung der Abschlusspräsentati- on in einer umfangreichen inhaltlichen Diskussion zu zentralen „key messages“ zusammengetragen, die neben den Detailergebnissen der einzelnen Studien eine gemeinsame Ergebniszusammenschau des AP3 7
Projekt Kooperatives, hochautomatisiertes Fahren – Ko-HAF bieten. Dabei zeigte sich, dass die Übernahmezeit längeren automatisierten Fahrten zeigten sich keine beeinflusst wird durch eindeutigen Ergebnisse hinsichtlich des Übernahme- verhaltens. Diese Ergebnisse zum Thema Müdigkeit • Merkmale der fahrfremden Tätigkeiten finden sich ebenfalls in einer partnerübergreifenden Publikation wieder (Radlmayr et al., 2018). • Individuelle Faktoren (Fahrermerkmale) • Merkmale des Übernahmeszenarios (z. B. Zeit- Fahrfremde Tätigkeiten budget, Komplexität der erforderten Fahrerinter- vention, …) Neben dem Auftreten von Müdigkeit wurden zudem fahrfremde Tätigkeiten untersucht. Relevante Merk- • und der Gestaltung des HMI’s. male (Handbelegung, Blickabwendung, etc.) aus Sicht der Ergonomie identifiziert, in einem Katalog Die Untersuchungen zu nicht planbaren (unplanned, klassifiziert und daraus abgeleitete Auswirkungen auf unexpected, time-critical) Übernahmesituationen (auf die Transition systematisch untersucht. Dabei zeigte ungeplante Ereignisse) im AP3 fanden dabei immer sich, dass folgende Merkmale fahrfremder Tätigkei- mit Zeitbudgets zwischen 5 und 10 Sekunden statt. ten den Zeitbedarf des Fahrers gegenüber keiner Be- schäftigung mit einer Tätigkeit erhöhen können: Müdigkeit beim hochautomatisierten Fahren • Belegung der Hände Die Ergebnisse zum Thema Müdigkeit beim hoch- • Starke Körperdrehung automatisierten Fahren zeigten, dass Müdigkeit beim automatisierten Fahren rasch entstehen oder • Unterbrechungsaufwand bzw. Anzahl der Hand- erzeugt werden kann und sich sprunghaft ändern lungsschritte zur Unterbrechung der Aufgabe kann. Fahrer unterscheiden sich hinsichtlich intra- und interindividuellen Entwicklung von Müdigkeit Für folgende Merkmale fahrfremder Tätigkeiten stell- stark. Für hochautomatisierte Fahrfunktionen muss te sich kein eindeutiges Bild dar: Schlaf als extremer Fahrerzustand mit hoher Zuver- lässigkeit erkannt und vermieden werden. Die De- • Visuelle oder visuell-manuelle Tätigkeit ohne tektion von starker Schläfrigkeit und Müdigkeit kann Handbelegung dabei helfen, solchen extremen Fahrerzuständen entgegenzuwirken oder damit umzugehen, um die • Kognitive Aufgaben Sicherheit und die Akzeptanz des Systems zu erhö- hen. Die Versuche in Ko-HAF haben gezeigt, dass Als mögliche Erklärung für das nichteindeutige Bild Änderungen des Müdigkeitslevels mit verschiede- wurden die Kompensation durch Selbstregulation und nen Labor-Messmethoden unter hohem Aufwand Risikowahrnehmung der Fahrer herangezogen, sowie (Eye-Tracking, EEG, videobasiertes Expertenrating, große individuelle Unterschiede im Umgang mit der Selbstbewertung) in experimentellen Bedingungen fahrfremden Tätigkeit. Dabei zeigte sich, dass durch erkennbar sind. Allgemein wurden im AP3 zur Un- aktivierende bzw. motivierende fahrfremde Tätigkei- tersuchung von Müdigkeit ausreichend lange au- ten der Entwicklung von Müdigkeit temporär entge- tomatisierte Fahrten (bis 90 Minuten) durchgeführt, gengewirkt werden kann, andererseits aber durch um Auswirkungen auf das Übernahmeverhalten monotone oder entspannende fahrfremde Tätigkeiten nachweisen zu können. Bereits bei kürzeren auto- Müdigkeit gezielt erzeugt werden kann. matisierten Fahrten (20 – 30 Minuten) konnte unter monotonen Bedingungen eine Zunahme von Müdig- Mögliche Optimierungen des HMI’s wurde ebenfalls keit nachgewiesen werden, diese zeigte allerdings in Ko-HAF untersucht. Die Ergebnisse zeigen, dass keinen Einfluss auf die Übernahmeleistung. Auch bei Fahrerbeobachtungssysteme adaptive HMI-Kon- 8
Projekt Kooperatives, hochautomatisiertes Fahren – Ko-HAF zepte vor und in der Übernahme ermöglichen. Bei belastbare Antworten auf die Herausforderungen im geplanten Übernahmen sind mehrstufige Transiti- Automobilsektor und der Ergonomie zu liefern. onskonzepte zu empfehlen, um die Sicherheit und Akzeptanz der Übernahme zu erhöhen. Zudem ist es Eine Sammlung aller Ergebnisse zum Download fin- für den Umgang mit fahrfremden Tätigkeiten vorteil- det sich auf www.ko-haf.de. haft, eine Vorschau über geplante Transitionen (basie- rend auf Safety Server und geplanter Route) anzubie- ten. Hinsichtlich der Übernahme kann ein „lockout“ Literatur (systemseitiges Unterbrechen der fahrfremden Tä- tigkeit auf vernetzten „handheld devices“ oder inte- Damböck, D. (2013). Automationseffekte im Fahrzeug – grierten elektronischen Geräten (infotainment) zum von der Reaktion zur Übernahme. München, Technische Zeitpunkt der Übernahmeaufforderung) die Reaktion Universität München, Dissertation. in der Übernahme beschleunigen. Grundsätzliche be- Gasser, T. M., & Westhoff, D. (2012). BASt-study: Defini- zieht sich die Analyse und Interpretation von Effekten tions of automation and legal issues in Germany. Paper in Ko-HAF dabei auf durchschnittliche Fahrerreaktio- presented at the Proceedings of the 2012 Road Vehicle nen. Für eine Betrachtung der Kontrollierbarkeit von Automation Workshop. Übernahmen ist allerdings die Einbeziehung von ext- Gold, C., Damböck, D., Lorenz, L., & Bengler, K. (2013). remeren Reaktionen vonnöten. “Take over!” How long does it take to get the driver back into the loop? Paper presented at the Proceedings of the Ko-HAF hat neben der Vielzahl an empirischen Er- Human Factors and Ergonomics Society Annual Meeting. gebnissen zudem einen enormen Beitrag zur Weiter- Gold, C., Naujoks, F., Radlmayr, J., Bellem, H., & Jarosch, entwicklung von Untersuchungsmethoden geliefert. O. (2017). Testing Scenarios for Human Factors Rese- Im Projekt wurden für Realfahrzeugstudien auch arch in Level 3 Automated Vehicles. In N. A. Stanton Wizard-of-Oz-Fahrzeuge von verschiedenen Part- (Ed.), Advances in Human Aspects of Transportation: nern aufgebaut und verwendet. Um auch hier eine Proceedings of the AHFE 2017 International Conference Vergleichbarkeit von Ergebnissen zu gewährleisten, on Human Factors in Transportation, Los Angeles, USA wurden die Wizard-of-Oz-Methodik im Rahmen ei- (pp. 551-559). Cham: Springer International Publishing. nes Workshops kritisch beleuchtet und die metho- Marberger, C., Mielenz, H., Naujoks, F., Radlmayr, J., Beng- dischen Grundlagen für eine weitere Verwendung ler, K., & Wandtner, B. (2017). Understanding and Ap- dieser Methodik zur Untersuchung ergonomischer plying the Concept of “Driver Availability” in Automated Fragestellungen geschaffen. Driving. In N. A. Stanton (Ed.), Advances in Human As- pects of Transportation: Proceedings of the AHFE 2017 International Conference on Human Factors in Transpor- Fahren und Forschen tation, Los Angeles, USA (pp. 595-605). Cham: Springer International Publishing. Abschließend lässt sich festhalten, dass der enorme Naujoks, F., Befelein, D., Wiedemann, K., & Neukum, A. empirische Datenschatz in Ko-HAF sehr differenzierte (2018). A Review of Non-driving-related Tasks Used in Antworten auf die Themen Fahrerzustand und des- Studies on Automated Driving. Paper presented at the sen Einfluss auf die Übernahme beim hochautoma- Advances in Human Aspects of Transportation, Cham. tisierten Fahren zulässt. Dabei hat sich gezeigt, dass Radlmayr, J., Feldhütter, A., Frey, A., Jarosch, O., Marber- die hohe Dynamik des Themas „automatisiertes Fah- ger, C., Naujoks, F., . . . Bengler, K. (2018). Drowsiness ren“ Katalysator für eine sehr offene und konstrukti- and fatigue in conditionally automated driving - Towards ve Zusammenarbeit im Projekt war, gleichzeitig aber an integrative framework. Proceedings of the Human bei weitem nicht alle ergonomischen Fragen durch Factors and Ergonomics Society Annual Meeting Euro- Ko-HAF beantwortet werden konnten. Die Zusam- pe Chapter. menschau der Ergebnisse, die durch die Vielzahl an SAE. (2018). J3016 - Taxonomy and definitions for terms Partnern mitgetragen wird, unterstreicht, wie wichtig related to on-road motor vehicle automated driving sys- und notwendig Förderprojekte wie Ko-HAF sind, um tems. In Surface Vehicle Recommended Practice. 9
UNICARagil – Ein Zwischenstand Ingrid Bubb, Hendrik Homans, Lorenz Prasch, Jakob Reinhardt UNICARagil – Die Vision Im folgenden Artikel soll eine Bestandsaufnahme ge- macht werden, womit sich der Lehrstuhl im letzten Zur Bewältigung des steigenden Mobilitätsbedarfs Jahr beschäftigt hat und wie es weitergehen wird. und fortschreitender Urbanisierung werden autono- me elektrische Fahrzeuge eine Schlüsselrolle ein- nehmen. Wie aber solche Fahrzeuge gestaltet und Mensch-Maschine-Interaktionen rund um im Straßengeschehen eingesetzt werden können, die Fahrzeuge dafür will das Projekt UNICARagil (Laufzeit: 02/2018 -01/2022) einen bedeutenden Beitrag leisten. Im Projekt stehen bei der Interaktion und Koopera- Grundgedanke ist hierbei eine modulare, skalierbare tion vor allem drei Themen im Fokus: ergonomische Fahrzeugplattform, die über unterschiedliche Absi- und kooperative Trajektorien, externes Anzeigekon- cherungsmöglichkeiten (Sensoren, Cloud, Drohnen, zept und internes Anzeigekonzept. Leitwarte, aber auch neuartige Softwarearchitektu- ren) das Verkehrsgeschehen erfassen und in diesem Das Fahrverhalten der Fahrzeuge soll so ausgelegt automatisiert agieren kann. Über unterschiedliche werden, dass Passagiere sich wohl und sicher fühlen Karosserien können individuelle Anwendungsfälle und zudem das Fahrzeug von anderen Verkehrsteil- dargestellt werden. In UNICARagil werden vier Fahr- nehmern nicht als „Fremdkörper“ im Verkehr wahr- zeugkonzepte erarbeitet, die in Abb. 1 dargestellt genommen wird. Da der Mensch nicht mehr selbst- sind; ein auf Abruf bestellbare AUTOtaxi, die AU- ständig das Fahrzeug führt, sondern als Passagier TOelfe für den privaten Gebrauch, das AUTOshuttle agiert, ändert sich die Rolle des Nutzers. Elbanhawi, als Omnibus und das AUTOliefer als Lieferfahrzeug. Simic und Jazar (2015) bezeichnen diesen Paradig- (Woopen et al., 2018). menwechsel als „Loss of Controllability“ weshalb derzeit gültige Komfortmaßstäbe für die manuelle Fahrzeugführung nicht ungeprüft für die autonome Fahrzeugführung übernommen werden können. Der verbreitetste Ansatz zur Steigerung des Wohl- befindens während der Fahrt ist die Optimierung der Fahrzeugbewegung hinsichtlich der auf den Fah- rer wirkenden Kräfte und Rucke (Elbanhawi et al., 2015). Hartwich, Beggiato, Dettmann und Krems Abbildung 1: UNICARagil Familie (von links nach rechts AUTO- (2015) identifizierten Geschwindigkeit, Beschleuni- liefer, AUTOelfe, AUTOtaxi, AUTOshuttle) (Bildquelle: Woopen gung und Bremsintensität als die drei wichtigsten et al., 2018) Einflussfaktoren auf das Fahrerlebnis und damit die wahrgenommene Fahrweise. Müller (2015) konn- Wie bereits in der Ergonomie Aktuell 2018 berichtet te in seiner Dissertation feststellen, dass eine Ab- wurde, befasst sich der Lehrstuhl für Ergonomie mit hängigkeit von Beschleunigungsgrenzen und der folgenden drei Themenschwerpunkten im Projekt: Wahrnehmbarkeit dieser Grenzen durch die Pro- banden besteht. Diese Grenzwerte müssen in die • Mensch-Maschine-Interaktion Trajektorienplanung mitberücksichtigt werden und können gezielt für Veränderungen in der Fahrstrate- • Arbeitsplatzgestaltung Leitwarte gie genutzt werden. Jedoch ist zu beachten, dass ermittelte Werte aus manuellen Fahrten nicht direkt • Konzeptentwicklung, Aufbau und Realabsiche- für das autonome Fahren übernommen werden kön- rung des Prototyps AUTOtaxi nen, da hier eine komplexe Wechselwirkung von wahrgenommenen Einflussparameter vorliegt und 10
UNICARagil – Ein Zwischenstand somit keine allgemeingültigen Angaben von Richt- Für das Projekt wurden innerhalb eines Workshop bzw. Grenzwerten möglich sind (Festner, Eicher, & mit weiteren Projektpartnern fünf Fahrsituationen Schramm, 2017). Diese Richt- bzw. Grenzwerte sind ausgewählt, die hinsichtlich ihrer „Erwartungskon- beispielweise von Fahrzeug, Use Case, Passagier formität“ und „Selbstbeschreibungsfähigkeit ana- und Tätigkeit abhängig. In einer Realfahrzeug-Stu- lysiert wurden. Dies dient als Grundlage für weitere die stellen Festner et al. (2017) fest, dass akzeptable Ausarbeitungen und Abstimmungen, um beispiels- Grenzwerte auch von der durchgeführten Tätigkeit weise bisher in der Virtual Reality untersuchte Fahr- abhängen. Je nach Tätigkeit (Verkehr beobachten, zeugtrajektorien aus Sicht von Verkehrsteilnehmern Artikel lesen und Spielen auf Tablet) ergeben sich zu evaluieren. unterschiedliche Komfortwerte. Aus diesen Grün- den sollten Grenzwerte und somit auch der Fahrstil Da im autonomen Fahrzeug die verbale und nonver- wählbar sein (Festner et al., 2017). Bisherige Stu- bale Kommunikation des Fahrzeugfahrers mit ande- dien zeigen auch, dass Passagiere im autonomen ren Verkehrsteilnehmern wegfällt, bedarf es mögli- Fahrzeug geringere Beschleunigungen akzeptieren cherweise eines technischen Ersatzes (Färber, 2015). als Fahrer (Le Vine, Zolfaghari, & Polak, 2015). Ne- Somit ist ein externes Anzeigekonzept (external ben Beschleunigungsfaktoren können Kinetose-Er- HMI, kurz: eHMI) zur Kommunikation z.B. mit Fuß- scheinungen das Komfortempfinden der Passagiere gängern oder potentiellen Passagieren (Shuttle) mit- beeinflussen und müssen demnach sowohl in der tels Displays oder LED-Matrix angedacht. Im Projekt Innenraumgestaltung als auch in der Trajektorien- wurden bisher Recherchen über aktuelle Anzeige- planung berücksichtigt werden, erste Anhaltspunkte konzepte durchgeführt und mögliche Lösungen für zu Übelkeitsempfinden sowohl durch unterschied- das Projekt identifiziert. Darüber hinaus erfolgte ein liche Sitzposition als auch Beschleunigungswerten technisches Proof-of-Concept, um die IT-Architektur können Arbeiten wie Bohrmann (2018) entnommen und technische Bauteile speziell für das Projekt zu werden. testen. Dieses Proof-of-Concept wurde bereits mit einer LED-Matrix und einem LED-Streifen realisiert Im Projekt wird nicht nur die Auswirkung des Fahr- (Abbildung 2). Solch ein Konzept soll vor allem da- verhaltens auf die Passagiere, sondern auch die für dienen „Patt-Situationen“ im Straßenverkehr mit auf andere Verkehrsteilnehmer untersucht. Ziel Beteiligung autonomer Fahrzeuge aufzulösen sowie hierbei ist es, dass ein UNICARagil Fahrzeug nicht Vertrauen und Akzeptanz zu steigern. Die primäre als Fremdkörper von anderen Verkehrsteilnehmern Kommunikation der Fahrzeugintention soll über das wahrgenommen wird. Dazu wird zwischen „Erwar- selbstbeschreibende Fahrverhalten abgebildet wer- tungskonformität“ und „Selbstbeschreibungsfä- den, wie oben beschrieben. higkeit“ (vergleiche Dragan, Lee & Srinivasa, 2013) unterschieden. So sollten autonome Fahrzeuge eine Die technische Umsetzung und Evaluation dieser hohe Selbstbeschreibungsfähigkeit in ihrem Fahr- Bauteile folgte im Frühjahr 2019 und zeigte erste po- verhalten aufweisen, sodass ohne erkennbaren Fah- sitive Ergebnisse. rer die Absicht des Fahrzeugs eindeutig und früh genug geklärt ist („Das Fahrzeug bremst stark ab und lenkt nah an den Mittelstreifen – vielleicht wird es gleich einen Fahrstreifenwechsel vollziehen.“). Ein Verhalten ist erwartungskonform, wenn es mit der Erwartung übereinstimmt („Wenn das Fahrzeug nach rechts blinkt, biegt es dann auch wirklich nach rechts ab?“) 11
UNICARagil – Ein Zwischenstand te Informationen für das Projekt abzuleiten. Für die Analyse wurde unter anderem eine Kontextanalyse in der Leitwarte Nürnberg durchgeführt, in der fahr- erlose U-Bahnen überwacht werden. Im Projekt soll innerhalb der Leitwarte Einfluss auf die Fahrzeugflotte genommen werden, vorstellbar ist die Änderung des Fahrtziels durch Teleoperati- on. Die Teleoperation ermöglicht dabei auf einzelne Fahrzeuge über einen Remote-Eingriff zuzugreifen und Probleme zu beheben. In einem nächsten Schritt wurde eine Cognitive Abbildung 2: Prototypischer Aufbau der LED-Matrix und des Work Analysis durchgeführt die, in Kombination mit LED-Streifens (Bildquelle: Robin Storm, 2019) abgeleiteten Aufgaben der Leitwarte, Grundlagen für ein Interaktionskonzept darstellt. So konnten funkti- Zusätzlich zum eHMI ist ein internes Anzeigekonzept onale und nichtfunktionale Anforderungen an das In- notwendig, um den Informationsbedarf der Pas- teraktionskonzept und die ergonomische Auslegung sagiere und Insassen der Fahrzeuge zu bedienen. des Arbeitsplatzes abgeleitet werden. 46% der Autofahrer sehen bisher ihre Zeit im Auto als verlorene Zeit an (AutoScout24, 2011). Im Ver- gleich dazu sehen nur 13% der Bahnreisenden ihre Konzeptentwicklung, Aufbau und Realabsi- Zeit im Zug als verschwendet an (Lyons, Jain, Susilo cherung des Prototyps AUTOtaxi & Atkins, 2013). Die Möglichkeit zur Beschäftigung mit anderen Aufgaben als der Fahraufgabe stellt den Im zurückliegenden Jahr hat sich der Lehrstuhl für zweitwichtigsten Vorteil des selbstfahrenden Au- Ergonomie zusammen mit dem Lehrstuhl für Fahr- tos dar. Dies wurde in einer Online-Studie mit 489 zeugtechnik der TUM hauptsächlich mit der Kon- Teilnehmern festgestellt (König & Neumayr, 2017). zeptentwicklung des AUTOtaxi beschäftigt. Dabei Der Bedarf von Informationen und Interaktionsmög- wurden Fragestellungen bearbeitet, die sich unter lichkeiten der Passagiere des AUTOtaxis, AUTOs- anderem damit beschäftigt haben, wie Personen in huttle und AUTOelfe sind bisher ungeklärt. Da der das Fahrzeug einsteigen werden, aber auch wie der Informationsbedarf im autonomen Fahrzeug weitge- Innenraum des Fahrzeugtaxis gestaltet werden soll. hend unerforscht ist, wird hier ein nutzerzentrierter Ansatz gewählt. Nach einer Literaturrecherche wird Unter der Zielsetzung einen möglichst großen In- der Informationsbedarf szenariobasiert ermittelt. Im nenraum bei gegeben Grunddimensionen des klei- Frühjahr 2019 werden mittels einem nutzerbasierten nen Fahrzeugaufbaus (für AUTOtaxi und AUTOelfe) Gestaltungsprozesses weitere Anforderungen spezi- gewährleisten zu können, wurden unterschiedliche fiziert und umgesetzt. Sitzkombinationsmöglichkeiten mit dem virtuellen Menschmodell RAMSISTM durchgeführt. Dabei wer- den folgende Prämissen berücksichtigt: Arbeitsplatzgestaltung Leitwarte • Gute Differenzierungsmöglichkeit gegenüber der Mit dem Lehrstuhl für Fahrzeugtechnik (FTM) an der „großen“ Fahrzeugplattform (AUTOshuttle) und TU München wird das Konzept für eine Leitwarte auch gegenüber dem Privatfahrzeug (AUTOelfe) entwickelt, aus welcher die automatisierte Fahrzeug- flotte betrieben werden soll. Hierfür wurde zunächst • Innenraum flexibel und individuell an NutzerIn- der Stand der Technik von Leitwarten in anderen nen anpassen Domänen genauer betrachtet, um hieraus relevan- 12
UNICARagil – Ein Zwischenstand • Sitzvorzugsrichtung soll in Fahrzeugrichtung sein, um mögliche Kinetosesymptome gering halten zu können • Viel Sicht nach außen durch große Fenster • Gewährleistung von Ablagemöglichkeiten für Taschen/Rucksäcke am Sitz, sowie Ablagemög- lichkeit für größere Gegenstände im Fahrzeug- bereich Abbildung 3: Verdeutlichung Bedarf Innenraumhöhe durch • Pro Seite eine Zugangsmöglichkeit, um den Ein- Betrachtung kritischstem Perzentil Mann sehr groß Sitzriese stieg in das Fahrzeug zu erleichtern (Bildquelle: Ingrid Bubb @TUM) • Ein aufrechter Einstieg und vor allem Ausstieg soll Es ist vorgegeben, dass sich die kleinen (AUTOtaxi möglich sein, um sich im Innenraum möglichst und AUTOelfe) Fahrzeuge von den großen (AUTOs- einfach orientieren und bewegen zu können. huttle und AUTOliefer) Fahrzeugen unterscheiden. Trotzdem sollen unterschiedlich große Personen die • Haltegriffe sollen den Zustieg und auch Ausstieg unterschiedlichen Autos gleich gut besteigen und aus dem Fahrzeug erleichtern können verlassen können. Ein innovativer Lösungsvorschlag ist für die kleinen Fahrzeuge ein duales Türkonzept. • Sitzhöhen sollen vergleichbar denen eines Sofas/ Dies bedeutet, dass sich die Türen zum einen zur Stuhl (~ 400 mm) sein, was zu mehr Beinfreiheit Seite (z.B. über Schiebetüren, Schwenktüren, etc.) führt als eine vergleichbar niedrige Sitzhöhe öffnen, zusätzlich wird das Dach angehoben wird, um den Einstieg und die Orientierung im Innenraum • Anbringung von Anbauelementen an Sitzen mög- zu erleichtern. Eine Trägerstruktur in der Fahrzeug- lich und gewünscht (z.B. Armlehnen / Tische) mitte sorgt für die notwendige Stabilität des Aufbaus, weshalb ein Zu- und Ausgang auf beiden Seiten des • Höhenverstellung und Lehnenneigung der Sitze Fahrzeugs realisiert werden soll. In Abbildung 4 wird wünschenswert das gewählte Einstiegskonzept schematisch mit ei- nem sehr großen Mann (ungefähr 95. Perzentils Kör- Der Entwicklungsprozess erfolgte in iterativen perhöhe) verdeutlicht. Schleifen und konnte nicht immer einen nutzerzent- rierten Ansatz verfolgen. Dies war bedingt durch die schnelle Festlegung auf die Dimensionen der Fahr- zeugplattform, aber auch durch notwendige Diffe- renzierung von großer (Busshuttle und Lieferfahr- zeug) und kleiner Plattform (Taxi und Privatfahrzeug) nicht immer möglich. Erforderliche Raumdimensionen für die kleine Platt- form, z.B. in der Höhe, konnten über das digitale Menschmodell RAMSISTM festgelegt werden. Hier- Abbildung 4: Verdeutlichung des Einstiegsszenarios – Teile des bei wurde ein sehr großer Mann mit langen Oberkör- Daches werden angehoben, um den Einstieg zu erleichtern per als Auslegekriterium verwendet (vgl. Abbildung 3). (Bildquelle: Ingrid Bubb @TUM) 13
UNICARagil – Ein Zwischenstand Auf Basis dieses Zugangs-Grundkonzeptes konnten bei gegebener Plattformstruktur unterschiedliche In- nenraumkonzepte entwickelt werden. Dabei war die Beinlänge des sehr großen Mannes kritisch für die Auslegung der Länge des Innenraums und die der sehr kleinen Frau für die Sitzhöhe (vgl. Bubb, Beng- ler, Grünen und Vollrath, 2015). Abbildung 5 zeigt verschiedene Konzeptvarianten. Abbildung 6: Grundidee Innenraumkonzept AUTOtaxi bei Be- setzung des Taxis mit drei Personen (Bildquelle: Ingrid Bubb @ TUM) Aktuell wird eine Sitzkiste aufgebaut, um diese ers- ten virtuellen Ergebnisse zu evaluieren. Damit sol- len nicht nur die Konzeptideen für den Innenraum, sondern auch der Einstieg für das kompakte Fahr- zeug überprüft werden. Neben Untersuchungen des Erlebens und des Nutzens des Innenraum- und Zugangskonzepts, können an der Sitzkiste Frage- stellung zur Platzierung notwendiger Haltegriffe und Abbildung 5: Unterschiedliche Konzeptvorschläge für Fahrzeu- zum Stauraum für Gepäck beantwortet werden. ginnenraum des AUTOtaxis am Beispiel eines sehr großen Man- nes, Sitzzwerg (Bildquelle: Ingrid Bubb @TUM) Die Forschungsarbeiten wurden im Rahmen des Pro- jekts „UNICARagil“ durchgeführt (FKZ 16EMO0288). Ein Expertengremium diskutierte und bewertete die- Wir bedanken uns für die finanzielle Unterstützung se unterschiedlichen Innenraumkonzepte. Für das des Projekts durch das Bundesministerium für Bil- AUTOtaxi ergibt sich ein Raumkonzept, das zwei dung und Forschung (BMBF). vollwertigen Hauptsitze in Fahrrichtung und zwei Klappsitze entgegen Fahrtrichtung umfasst. Dies Wir bedanken uns besonders bei dem Institut für soll unter anderem eine größtmögliche Unterschei- Kraftfahrzeuge, RWTH Aachen, dem Lehrstuhl für dung zum Privatfahrzeug ermöglichen. Die Ausstat- Fahrzeugtechnik, TU München, dem Institut für tung der Hauptsitze soll sowohl Armlehnen als auch Mess-, Regel- und Mikrotechnik, Universität Ulm, Tische umfassen, um so fahrfremde Tätigkeiten wie und dem Institut für Mess- und Regelungstechnik, Arbeiten und Lesen während der Transportzeit zu KIT, für ihren Beitrag zu dieser Veröffentlichung. ermöglichen (vgl. Abbildung 6). Durch die Klapp- sitze kann bei Bedarf ein Transport für bis zu vier Personen ermöglichet werden. Werden die beiden Klappsitze nicht belegt, so kann in diesem Bereich Gepäck verstaut werden. 14
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Agiles Arbeiten und die vierte technische Revolution Caroline Adam, Lorenz Prasch Die vierte technische Revolution Einer der größten aktuell zu beobachtenden Trends valenz zunimmt (Sauter et al., 2018). Das Akronym ist die Digitalisierung, also die zunehmende Ver- VUCA (volatility, uncertainity, complexity, ambiguity) netzung verschiedenster Objekte und Dienste im beschreibt diese veränderten Rahmenbedingungen. Alltag. Historisch betrachtet lässt sich diese in das Im Lichte dieser globalen Umbrüche geraten etab- Framework der technischen Revolutionen einord- lierte Geschäfts- und Führungsmodelle ins wanken nen. Während es die erste technische Revolution und Anforderungen an die Arbeitsgestaltung, die (Dampfmaschine) zunächst ermöglichte, körperli- Kommunikation sowie die Zusammenarbeit verän- chen menschlichen Aufwand durch Maschinen zu dern sich (Moskaliuk, 2019). Die Antwort vieler Un- ersetzen, machte die zweite technische Revolution ternehmen auf diese Herausforderung lautet Agilität. (Elektrizität) dies durch die Bereitstellung der nötigen Ein typisches Charakteristikum agiler Methoden und Infrastruktur nahezu überall möglich. Dies stellt also Prozesse ist – neben der Kundenorientierung bzw. einen zweistufigen Veränderungsprozess dar, wobei Nutzerzentrierung (Beck et al., 2001) – die Organisa- in der ersten Stufe eine grundsätzliche Möglichkeit tion in kurzen Entwicklungszyklen. Diese sogenann- geschaffen wird, erst die zweite Stufe jedoch für eine ten Sprints sind in der Regel zwischen ein bis vier allgemeine Verfügbarkeit sorgt und damit für massi- Wochen lang (Cooper, 2014) und bilden einen festen ve Auswirkungen auf Arbeit und Leben. Folgt man Rahmen, in dem eine Entwicklungsschleife durch- dieser Einordnung, befähigt die dritte technische Re- laufen wird. Ziel der Unternehmen ist es, auf die volution (Computer) erstmals dazu, auch komplexe wachsende Geschwindigkeit globaler Veränderun- kognitive Prozesse durch Maschinen zu substi- gen und die immer häufiger auftretenden disrupti- tuieren. In der Folge machte die vierte technische ven Innovationen zu reagieren (Sauter et al., 2018), Revolution (Internet) diese Möglichkeit allgemein indem sie die Fähigkeit entwickeln, „sich kontinuier- zugänglich und ist nach wie vor im Begriff, ihre Kon- lich an [ihre] komplexe, turbulente und unsichere Zu- sequenzen zu entfalten (Bubb, 2006). kunft anzupassen“ (Häusling & Fischer, 2016, S. 30). Die Verbreitung und vor allem die Vernetzung des Computers ermöglicht es Organisationen und Indi- Agiles Arbeiten viduen weltweit und ohne großes Vertriebsnetz Kon- takt zu Stakeholdern aufzunehmen und Dienstleis- Seinen Ursprung in der Praxis findet agiles Arbeiten tungen oder Produkte zu vermarkten (Sauter, Sauter circa 1950 im Kontext der Produktion. So wurde der & Wolfig, 2018). Zusätzlich verändert sich vermehrt Ansatz des Lean Manufacturing bzw. des Lean Ma- auch das Wesen der Produkte selbst. Digitale Pro- nagement durch den Automobilhersteller Toyota kon- dukte, die häufig keinerlei physischen Produktions- sequent umgesetzt (Sauter et al., 2018). Mit dieser prozess mehr benötigten prägen aufgrund ihrer ver- Umstellung im Sinne einer Prozessoptimierung (auch gleichsweise simplen Skalierbrkeit die Märkte der bekannt unter dem Begriff Toyota Production System) letzten Jahre. Einher mit der zunehmenden Digita- zielte das Unternehmen nicht mehr darauf ab, die Pro- lisierung der Produkte geht die Veränderung der zu duktion langfristig zu planen, sondern sich durch eine ihrer Herstellung zu leistenden Arbeit. Reduzierung der system response time in die Lage zu versetzen, unmittelbar auf Veränderungen am Markt Gegeben durch die Möglichkeiten eines schnel- reagieren zu können (Morien, 2000). len Informationenstransfers, entsteht ein globaler Marktplatz, der einerseits geprägt ist von niedrigen Zusätzlich zur bereits beschriebenen zunehmenden Markteintrittsbarrieren, andererseits jedoch an Un- Unsicherheit und der damit verbundenen Notwendig- beständigkeit, Unsicherheit, Komplexität und Ambi- keit schnellstmöglich auf aktuelle Entwicklungen rea- 16
Agiles Arbeiten und die vierte technische Revolution gieren zu können, zeichnet sich unsere heutige Welt für die Arbeitsforschung zahlreiche Herausforderun- obendrein durch den immer häufigeren Verzicht auf gen, um die Potentiale und Chancen der Digitalisie- den Menschen im produzierenden Gewerbe aus. rung für die Arbeit zu nutzen. Die Automatisierung manueller Routinetätigkeiten ist maßgebliche Konsequenz der Anwendung der Prin- zipien Frederick Winslow Taylors (1914). Dieser Trend Herausforderungen für die Ergonomie wird sich voraussichtlich fortsetzen und hat bereits zu einer deutlichen Zunahme von Wissensarbeit ge- Für eine erfolgreiche Einführung agiler Prozesse in führt (Ramirez & Nembhard, 2004). Dabei meint Wis- Unternehmen ist ein Wandel der Werte sowohl sei- sensarbeit die Akquise, Verarbeitung, Generierung tens der Führungskräfte, als auch der Belegschaft und Verbreitung von Wissen (Drucker, 1959). Im An- von großer Wichtigkeit. gesicht dieser Entwicklung macht Peter Drucker im Jahr 1999 die Produktivitätssteigerung der manuel- „Ein Unternehmen, welches agile Methoden len Arbeit durch die Verbesserung von Prozessen und wie Design Thinking oder Kanban einführt, Arbeitsbedingungen im letzten Jahrhundert für den ist ein Unternehmen mit agilen Methoden, Großteil der ökonomischen und gesellschaftlichen aber noch lange keine agile Organisation.“ Errungenschaften dieser Zeit verantwortlich. In Kon- sequenz der im Rahmen der vierten technischen Re- (Markus Reimer, Innovationsexperte) volution bereits beschriebenen Veränderungen nennt er die Analyse und Verbesserung der Arbeitsbedin- Neben der Offenheit für Neues und der Bereitschaft gungen für WissensarbeiterInnen als größte Heraus- sich auf Veränderungen einzulassen braucht es auch forderung des 21. Jahrhunderts. den Mut Entscheidungen zu treffen und neue Wege zu gehen. Ein ‚agiles Unternehmen‘ kann für die Be- Im Bereich der Wissensarbeit sind agile Methoden legschaft in einem Arbeitsumfeld resultieren, wel- heute vor allem in der Softwareentwicklung weit ches geprägt ist von ganzheitlicher und autonomer verbreitet. Vorteile ergeben sich dabei insbesondere Arbeitsweise in zunehmend selbstverantwortlichen aus der Tatsache, dass dank kurzer, kontinuierlicher Teams. Jedoch dürfen unternehmerische Risiken Feedbackschleifen und einer schnellen Reaktions- nicht auf die Beschäftigten verlagert werden und da- fähigkeit flexibel und unverzüglich auf Änderungen mit bedarf es einer Veränderung der Führungs- und reagiert werden kann. Zumeist ist die Entwicklung Unternehmenskultur (BMAS, 2016). Der Ergonomie von Software kein prozessorientierter und industri- kommt dabei eine zentrale Rolle zu, da sie die ar- eller Vorgang, sondern vielmehr durch einen schöp- beitenden Menschen im Arbeitsprozess ganzeitlich ferischen, kreativen und dynamischen Charakter betrachtet, mit dem Ziel die Produktivität zu erhöhen geprägt (Fuchs, Stolze & Thomas, 2013). Den agi- und das Wohlbefinden zu steigern (Dul et al., 2012). len Entwicklungsprozess zeichnet dabei die kreative Zusammenarbeit der Teammitglider in Kombination Im Hinblick auf die Wissensarbeit besteht die Her- mit einem großen Handlungsspielraum aus: „Creati- ausforderung jedoch zunächst nicht nur darin, die vity, not voluminous written rules, is the only way to Produktivität von WissensarbeiterInnen zu steigern, manage complex software development problems“ sondern zu ermitteln, wie die Produktivität in diesem (Highsmith & Cockburn, 2001, S. 121). Kontext überhaupt definiert werden kann (Prasch & Bengler, 2019). Im Gegensatz zu manueller Arbeit, Durch die hohe Flexibilität und Dynamik agiler Ar- deren Produktivität in der Regel durch Stückzahl pro beitsprozesse in Kombination mit einem durch VUCA Zeiteinheit - oder genereller - Ergebnis durch Auf- geprägten Arbeitsumfeld ergeben sich insbesondere wand quantifiziert werden kann, fehlt für Wissens- 17
Agiles Arbeiten und die vierte technische Revolution arbeit bis dato eine solche Größe. Insbesondere bei Art Innovationscampus zu gestalten (und zu ver- kreativer Wissensarbeit ist es häufig schwierig fest- markten), wobei von Sportmöglichkeiten über eine zulegen, was das gewünschte Ergebnis ist und wel- Wäscherei bis hin zu Kräuter- und Gemüsegärten che Aufwände genau dazu beitragen. alles vorhanden ist, was ein Umfeld schaffen soll, welches ArbeitnehmerInnen gar nicht mehr verlas- Dem obersten Ziel der Ergonomie, einer optimalen sen müssen bzw. wollen. Synthese aus Systemleistung und Wohlergehen fol- gend, müssen also zunächst diese beiden Dimensi- Dennoch ermöglicht uns die Digitalisierung ein ho- onen erfassbar gemacht werden. hes Maß an Flexibilität in der örtlichen Arbeitswahl, welche einhergeht mit dem Kontrollverlust über „If you can’t measure it, you can’t manage konkrete Arbeitsbedingungen. Zwar adressiert die it.” Arbeitsstättenverordnung Telearbeit und bezieht dabei die physische und die psychische Belastung (Peter Drucker, Pionier des modernen im Rahmen einer Gefährdungsbeurteilung mit ein, Managements) mobiles Arbeiten (im Flugzeug, Zug, Café oder gele- gentliches Arbeiten von Zuhause) ist in der Arbeits- Eine klassische Herangehensweise zum Verständnis stättenverordnung jedoch nicht geregelt. Hier gilt es der auf die Arbeitenden wirkenden Faktoren bildet bei der Gestaltung von Arbeits- und Transportmitteln hierbei das Belastungs-Beanspruchungs-Konzept bestmögliche Voraussetzungen zu schaffen. (Schmidtke, 1993). Die Herausforderung in der An- wendung zur Ableitung allgemeingültiger Regeln zeigt Neben der räumlichen Entgrenzung von Arbeit führt sich jedoch in der schwierigen Messung von vermehrt die hohe Flexibilität auch zu einer zeitlichen Entgren- auftretenden psychischen Belastungen und Beanspru- zung. Die ständige Arbeitsmöglichkeit birgt die Ge- chungen (siehe dazu auch Rothe et al., 2017). fahr der ständigen Arbeitstätigkeit und kann daher mit einem Anstieg der psychischen Belastung ein- Im Kontext der zunehmend komplexen, kreativen, hergehen: “Aus der Möglichkeit des ‘Anytime – Any- aber auch über mehrere Kontinente und Zeitzonen place’ darf für Beschäftigte nicht das Diktat des ‘Al- verteilten Arbeit stellt sich die Frage nach der op- ways and Everywhere’ werden“ (BMAS, 2015, S.65). timalen Arbeitsorganisation sowie Arbeitsmitteln. Auf der anderen Seite kann eine selbstbestimmte Während die technischen Möglichkeiten zur Kom- Zeiteinteilung jedoch auch zu einer Zunahme der munikation (von Telefon- über Videokonferenzen bis Motivation und reduzierter psychsicher Belastung hin zu Meetings in der virtuellen Realität) immer mehr und Beanspruchung führen, bedingt beispielswei- Ähnlichkeit zu physischen Treffen gewinnen, scheint se durch ein hohes Maß an Eigenverantwortung, diese Präsenz doch für einige Arbeitsaufgaben un- verbesserter Vereinbarkeit von Arbeit und Privatem abdingbar. Dies zeigt sich beispielsweise auch in der (BAuA, 2017) sowie Zeitersparnis durch reduzierte Tatsache, dass Unternehmen ihre MitarbeiterInnen arbeitsbedingte Mobilität. verstärkt in die Büros ‚zurückholen‘, da sie hier ein höheres Maß an Kreativität und Innovation erwarten. Das Verschwimmen der Grenzen zwischen Arbeit und Privatem ist gleichzeitig Risiko und Chance für Arbeit- “They’re thinking of every single possible geber und ArbeitnehmerInnen. Es ergibt sich eine Rei- way to reunite people to drive better he an Fragen an die Arbeitswissenschaft und die Ergo- innovations.” nomie, deren Beantwortung entscheidend sein wird, um die Chancen, die sich durch die Digitalisierung im (Thanh Nguyen, Connery Consulting, Kontext der Arbeit ergeben, ergreifen zu können: Managing Director) • Wie kann eine ganzheitliche Einführung agiler Stark innovationsgetriebene Arbeitgeber wie Google Prozesse im Unternehmen unter Miteinbezie- oder Apple zielen darauf ab, die Arbeitstätte als eine hung der Belegschaft gelingen? 18
Agiles Arbeiten und die vierte technische Revolution • Wie lautet eine allgemeingültige Definition von Wis- Drucker, P. F. (1959). Landmarks of Tomorrow: A Report sensarbeit? Um sich darauf aufbauend der Frage on the New “Post-Modern” World. New York: Harper widmen zu können, wie Produktivität im Kontext & Row. der Wissensarbeit gemessen werden kann? Drucker, P. F. (1999). Knowledge Worker Productivity: The Biggest Challenge. California Management Review, • Wann braucht es physische Präsenz am Arbeits- 41(2), 79–85.Eckstein, J. (2012). Agilität und verteilte platz und wie können digitale Technologien den Projekte. In Agile Softwareentwicklung mit verteilten Arbeitsprozess bestmöglich unterstützen? Teams, 7-22. dpunkt. verlag. Fuchs, A., Stolze, C., & Thomas, O. (2013). Von der klas- • Wie sollten Arbeits- und Transportmittel ergono- sischen zur agilen Softwareentwicklung Evolution der misch gestaltet sein, um mobiles Arbeiten ge- Methoden am Beispiel eines Anwendungssystems. fährdungsfrei zu ermöglichen? HMD Praxis der Wirtschaftsinformatik, 50(2), 17-26. Häusling, A., & Fischer, S. (2016). Mythos Agilität – oder • Wie kann psychische Belastung und Beanspru- Realität. Personalmagazin, 4, 30-33. chung gemessen werden? Und welche Rolle Highsmith, J., & Cockburn, A. (2001). Agile software de- spielt dabei Eustress, beispielsweise im Rahmen velopment: The business of innovation. Computer, der Kreativarbeit? 34(9), 120-127. Morien, R. (2005). Agile management and the Toyota way • Muss es Grenzen der Arbeit geben, wenn die- for software project management. In INDIN'05. 2005 se sich nicht mehr wie Arbeit anfühlt? Wie kann 3rd IEEE International Conference on Industrial Infor- Arbeitsbelastung bei immer mehr verschwim- matics. IEEE, 516-522. menden Grenzen in einem vertretbaren Rahmen Moskaliuk, J. (2019). VUCA-World: Was die Digitalisie- gehalten werden? rung wirklich verändert hat. In Beratung für gelingende Leadership 4.0, 1-8. Springer, Wiesbaden. Literatur Prasch, L., & Bengler, K. (2019). Ergonomics in the Age of Creative Knowledge Workers – Define, Assess, Opti- BAuA – Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsme- mize. Advances in Intelligent Systems and Computing, dizin. (2017). Flexible Arbeitszeitmodelle. Überblick 821, 349–357. und Umsetzung. 1. Auflage. Dortmund. Ramírez, Y. W., & Nembhard, D. A. (2004). Measuring Beck, K., Beedle, M., Van Bennekum, A., Cockburn, A., knowledge worker productivity. Journal of Intellectual Cunningham, W., Fowler, M., ... & Kern, J. (2001). Ma- Capital, 5(4), 602–628. nifesto for agile software development. Rothe, I., Adolph, L., Beermann, B., Schütte, M., Windel, BMAS – Bundesministerium für Arbeit und Soziales. A., Grewer, A., Lenhardt, … Formazin, M. (2017) Psy- (2015). Arbeit weiter denken. Grünbuch Arbeiten 4.0, chische Gesundheit in der Arbeitswelt - Wissenschaft- 64-67. Berlin. liche Standortbestimmung. 1. Auflage. Dortmund: Bun- BMAS – Bundesministerium für Arbeit und Soziales. desanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin. (2016). Arbeit weiter denken. Weißbuch Arbeiten 4.0, Schmidtke, H. (1993). Ergonomie. 3. Auflage. (pp. 116- 82-89. Berlin. 120). Carl Hanser Verlag, München. Bubb, H. (2006). A consideration of the nature of work Sauter, R., Sauter, W., & Wolfig, R. (2018). Agile Arbeits- and the consequences for the human-oriented design welt. In Agile Werte- und Kompetenzentwicklung, 1-66. of production and products. Applied Ergonomics, 37(4 Springer Gabler, Berlin, Heidelberg. SPEC. ISS.), 401–407. Taylor, F. W. (1914). The Principles of Scientific Manage- Cooper, R. G. (2014). What's Next?: After Stage-Gate. ment. New York: Harper & Brothers. Research-Technology Management, 57(1), 20-31. Womack, J. P., Womack, J. P., Jones, D. T., & Roos, D. Dul, J., Bruder, R., Buckle, P., Carayon, P., Falzon, P., Mar- (1990). Machine that changed the world. Simon and ras, W. S., … van der Doelen, B. (2012). A strategy for Schuster. human factors/ergonomics: developing the discipline and profession. Ergonomics, 55(4), 377–395. 19
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