LEADER 2004 - Netzwerk Ländliche Räume
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LEADER 2004 Dossier: S. 20 – 33 Herausgeber: Deutsche Vernetzungsstelle LEADER+ leader@ble.de www.leaderplus.de
Dossier Demographischer Ideen statt Resignation D ie Entwicklung in den ländlichen Regionen gestalten: nach Meinung der Autoren dieses Dossiers ist das trotz aller Verunsicherung möglich, wenn man rechtzeitig und mit den richtigen Mitteln darauf reagiert. Ansatzpunkte dafür gibt es viele. Denn: Längst nicht alle wollen gehen. Es gilt Rahmenbedingungen zu schaffen, die die Entschei- dung zum Bleiben erleichtern. Das können Ideen sein, wie Familien Zugang zu günstigem Wohneigentum erhalten oder wie neue Wohnformen und Betreuungsmöglichkeiten für ältere Mitbürger gestaltet sein können. Denkbar sind aber auch Planungen auf Kommunal- oder Kreisebene, Bereiche wie Gesundheit, Bildung und öffentlichen Personennah- verkehr – wenn möglich in Kooperation – bedarfsgerecht weiterzuentwickeln. Grundsätzliche Überlegungen und klare Leitbilder für die Zukunft bieten in den Regionen eine Chance, leistungsfähigere Strukturen aufzubauen, auch wenn man dazu hin und wieder ausgetretene Pfade ver- lassen muss. 20 L E A D E R forum 2.2004
Dossier Schrumpfung versus Wandel Wachstum VON PAUL GANS Die zukünftige Bevölkerungsentwicklung Deutschlands wirft nicht nur allgemeine Fragen nach der Effizienz sozialer Sicherungssysteme, der Entwicklung des Arbeitsmarktes, der Auslastung von Infrastrukturen oder der Leistungsfähigkeit öffentlicher Haushalte auf. Sämtliche Trends weisen auf eine deutliche Mani- festierung regionaler Unterschiede in den kommenden Jahren hin. D ie wesentlichen Charakteristika der regionalen Differenzie- rung sowie ausgewählte sektorale Problemstellungen für ländlich geprägte Gebiete – nach der Definition des Bundes- amtes für Bauwesen und Raumordnung (BBR) – lassen sich in sieben Punkten zusammenfassen. Sie geben zugleich die wich- tigsten Ergebnisse des Arbeitskreises "Räumliche Auswirkun- gen des demographischen Wandels" der Akademie für Raum- forschung und Landesplanung wieder. Alterung, Heterogenisierung und Vereinzelung prägen die zukünftige Bevölkerungsentwicklung in Deutschland. Für Deutschland insgesamt sowie für mehrere Bundesländer liegen verschiedene Bevölkerungsvorausberechnungen bis 2020 vor. Alle Prognosen weisen übereinstimmend vier grund- legende Trends des demographischen Wandels aus: ● In knapp der Hälfte der Regionen werden die Einwohner- zahlen nach den Berechnungen des BBR bis 2020 weiter zunehmen. ● Die Alterung wird sich fortsetzen. ● Der Anteil der Einpersonenhaushalte wird weiter ansteigen. ● Die Zusammensetzung der Bevölkerung nach Herkunft, Sprache, Religion oder Bildungsstand wird noch vielfältiger. Die zukünftige Bevölkerungsentwicklung verläuft regional wie lokal sehr differenziert. Auch unter der Annahme, dass die Bevölkerungsstruktur in den verschiedenen Regionen zu einem bestimmten Zeitpunkt identisch ist, führen die regionale Wirtschaftsstruktur, die unterschiedliche Ausstattung der einzelnen Teilräume – bei- spielsweise mit Bildungs- und Forschungseinrichtungen – sowie Erreichbarkeitskriterien dazu, dass weniger begünstigte Gebiete im Vergleich zu prosperierenden Regionen überpropor- tional von Alterung und Bevölkerungsrückgang betroffen sein werden. Dabei verläuft der demographische Wandel nur be- dingt in Übereinstimmung mit Siedlungsstrukturen. So erwar- tet das BBR von 2000 bis 2020 für die Ballungsräume eine Zunahme der Einwohnerzahlen von 0,3 Prozent (West: -1,1 Prozent; Ost: +6,1 Prozent), für die ländlichen Räume jedoch insgesamt eine Abnahme von 2,6 Prozent (West: +1,1 Prozent; Ost: -10,6 Prozent). Auch innerhalb der weniger verdichteten L E A D E R forum 2.2004 21
Dossier Gebiete schwanken die Werte in den alten (-9,6 bis +9,5 Pro- In strukturschwachen ländlichen Regionen rufen Sterbeüber- zent) wie neuen Ländern (-16,9 bis +12,8 Prozent) erheblich. schüsse und Wanderungsverluste eine rückläufige Nachfrage, Diese Variation setzt sich auf der Ebene von Kreisen, Gemein- Wohnungsleerstände, geringe Marktgängigkeit des Bestandes den und Ortsteilen fort. sowie den Verfall der Immobilienwerte hervor und stellen Bis 2020 werden durchweg Sterbeüberschüsse erwartet. Vor Kommunen, Privathaushalte, Wohnungs- und Bauwirtschaft vor diesem Hintergrund werden die zukünftigen Einwohnerzahlen Probleme (s. S. 28-29). Auch kleinere Städte in Ost und West und Bevölkerungsstrukturen entscheidend von Binnen- und werden davon betroffen sein. Außenwanderungen und den damit verbundenen selektiven In allen Teilräumen ist eine wachsende Nachfrage nach alters- Effekten bestimmt. Die Migrationen werden vorliegende regio- gerechten Wohnmöglichkeiten abzusehen. Vereinzelung und nale Disparitäten noch verstärken, da sich die Wanderungs- veränderte Präferenzen der Haushalte, insbesondere das Stre- ströme mit entgegengesetzten Vorzeichen in den Herkunfts- ben nach Eigentum – die Wohneigentumsbildung mit ihren und Zielgebieten auf zahlreiche Faktoren auswirken – beispiels- sozialen Vorteilen ist in anderen Ländern deutlich höher – weise auf Humankapital, Kaufkraft, Alterung und Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen. Die Außenwanderungen werden sich auf Ballungsräume und größere Städte konzentrie- ren, während ländlich geprägte Gebiete mit hohem Wohn- und Freizeitwert oder in guter Erreichbarkeit zu Verdichtungs- räumen von Binnenwanderungen jüngerer Haushalte und älte- ren Menschen profitieren. Der demographische Wandel beeinflusst direkt Umfang und Struktur der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter. Der Rückgang der Einwohnerzahlen verringert das Arbeits- kräfteangebot in einer Region. Aus dieser Verknappung kann allerdings nur bedingt auf einen Rückgang der Arbeitslosen- zahlen geschlossen werden, da für die Beschäftigungssituation beispielsweise die Sozial- und Lohnpolitik oder die Diskrepanz ("mismatch") zwischen Qualifikationsanforderungen und -ange- boten auf dem Arbeitsmarkt eine wesentliche Rolle spielen. Die dezentralen Strukturen der Fachhochschulen sind dabei noch am ehesten geeignet, junge Studierende zu binden und auch nach Studienabschluss in der Region zu halten. Der steigende Anteil älterer Erwerbstätiger bei gleichzeitig merklichem Rückgang junger Erwachsener kumuliert zwar Erfahrungen, schwächt aber eher die Innovationskraft von Unternehmen und verlangsamt das Produktivitätswachstum. Die Änderungen in der Altersstruktur des Arbeitskräftepoten- zials können die Wettbewerbsfähigkeit der regionalen Ökono- mie gefährden, wenn es nicht gelingt, Innovation und Erfah- rung unter dem Stichwort "lebenslanges Lernen" zu bündeln und dieses auch in die Praxis umzusetzen. Der demographische Wandel beeinflusst quantitativ wie quali- tativ die Wohnungsnachfrage. In Regionen mit Wanderungsgewinnen, die sogar den negati- ven natürlichen Saldo mehr als ausgleichen, wird auch zukünf- tig gebaut. Positiv schneiden hier die weniger verdichteten Gebiete im Umland der Metropolen Berlin und Hamburg oder in Nachbarschaft zu den Ballungsgebieten, beispielsweise von Rhein-Ruhr, Rhein-Main, Stuttgart oder München, ab. Trotz zunehmender Einwohnerzahlen ist hier allerdings auch eine ausgeprägte Alterung zu erwarten: Zum einen fallen die Wan- derungsbilanzen älterer Menschen positiv aus, zum anderen wird der Zuzug der Haushalte in den suburbanen Raum häufig von der Wohneigentumsbildung motiviert – dies betrifft über- wiegend die kleiner werdende Gruppe der 30- bis 45-Jährigen. Die Folge ist eine anschließend hohe Immobilität ("aging in place"). 22 L E A D E R forum 2.2004
Dossier beeinflussen ein sich änderndes Verhältnis von Nachfrage und ländlicher Siedlungen als Wohnstandorte und verstärken damit Angebot auf den regionalen Wohnungsmärkten, und ein räum- kumulative Schrumpfungsprozesse. liches Nebeneinander von Neubau und Leerstand wird zu Bei Standortplanungen muss berücksichtigt werden, dass sich beobachten sein – mit der Gefahr einer weiteren Landschafts- der Rückgang der jungen Bevölkerung nicht kontinuierlich, zersiedelung. sondern in einem wellenförmigen Abwärtsverlauf vollzieht. Zudem kann die Verringerung der Bevölkerung im erwerbsfähi- Der demographische Wandel ändert die Auslastung insbeson- gen Alter zu einer erhöhten Erwerbsquote von Frauen führen dere von altersspezifisch genutzten Infrastrukturen. und damit die Nachfrage nach Kindertagesstätten oder Ganz- tagsschulen steigern. Denkbar wäre auch, dass nicht viele Die rückläufigen Einwohnerzahlen in den Altersgruppen der Schüler an einem Ort konzentriert werden, sondern wenige unter 20-Jährigen bis 2020 (ländliche Gebiete West: -20 Pro- Lehrer dezentral arbeiten. zent; Ost: -29 Prozent) senkt die Nachfrage beispielsweise nach Als Alternative zur Konzentration auf wenige Standorte wären Krippen- und Hortplätzen, Kindergärten und Schulen. Die übli- außerdem die multifunktionale Nutzung vorhandener Einrich- che Reaktion auf solche Tendenzen ist die Konzentration des tungen sowie die interkommunale Kooperation zu bedenken – Infrastrukturangebots, um die Sollauslastung der verbliebenen auch um die Bedürfnisse der älteren Menschen einzubeziehen, Standorte zu gewährleisten. Bei dieser Vorgehensweise ist deren Zahl bis 2020 stark zunimmt (ländliche Gebiete West: allerdings zu bedenken, dass die Wege zum Aufsuchen der +24 Prozent; Ost: +27 Prozent) und die in den neuen Ländern Einrichtungen in der Regel länger werden. Die Kosten werden sogar rund ein Drittel der Gesamtbevölkerung stellen werden häufig nur verlagert, und Maßnahmen wie die Schließung von (s.S. 32-33). Kindergarten oder Grundschule verschlechtern die Attraktivität Die Planung der Netzinfrastruktur muss stärker als bisher den Rückgang und die Alterung der Bevölkerung berücksichtigen. Aufgrund der abnehmenden Einwohnerzahlen – insbesondere in den mobilen jüngeren und mittleren Altersgruppen – müssen sich in der Verkehrsinfrastruktur die knappen Mittel auf den Bestand und Erhalt statt auf den permanenten Ausbau konzentrieren. In den ländlichen Gebieten wird die stark zurückgehende Zahl von schul- pflichtigen Kindern und Jugendlichen den öffentlichen Nahverkehr vor große Probleme stellen. L E A D E R forum 2.2004 23
Dossier Innovative Konzepte wie kleinere Busse, flexiblere Fahrpläne tungen, verlängert die Wege, steigert die Kosten, kann in der oder die stärkere Bündelung von Nutzungen an wenigen Folge zu Stilllegungen von Betrieben führen und verstärkt Standorten können die Daseinsgrundvorsorge in gewissem damit den Schrumpfungsprozess. Umfang sichern. Offen bleibt aber, ob diese neuen Strukturen immer eine wirkliche Alternative zum Linienverkehr sind. In den ländlichen Gebieten mit ihrer niedrigen Bevölkerungs- Kooperation als Königsweg dichte ist besonders zwischen den finanziellen Aufwendungen aller Beteiligten sowie der wachsenden Gruppe älterer Men- Da viele Einrichtungen mit fortschreitendem Bevölkerungs- schen, die nicht mehr auf einen Pkw zurückgreifen können, rückgang aus Rentabilitätsgründen an die Grenzen ihrer Trag- abzuwägen. Grundsätzlich muss beim weiteren Ausbau der fähigkeit stoßen, stehen die Kommunen nicht nur in ländlichen Ver- und Entsorgungssysteme die steigende Kostenbelastung Gebieten zunehmend vor dem Problem, die Herausforderungen der Haushalte vor dem Hintergrund zukünftig rückläufiger des demographischen Wandels nicht mehr eigenständig mei- Einwohnerzahlen berücksichtigt werden. stern zu können. Die Kosten für die Infrastrukturangebote fal- len mit sinkenden Einwohnerzahlen sowie mit geringeren Der Bevölkerungsrückgang und die selektiven Wanderungs- Steuereinnahmen und Zuweisungen aus dem Finanzausgleich verluste der Jüngeren in ländlichen Gebieten können kumulati- zusammen. ve Schrumpfungsprozesse hervorrufen. Deshalb sind die Kommunen verstärkt auf regionale Koopera- tionen angewiesen. Diese eröffnen beispielsweise Chancen zur Bevölkerungsrückgang produziert Leerstände, reduziert die Kostensenkung bei gleichzeitigem Erhalt der Versorgungsqua- Auslastung der Netzinfrastruktur, verringert die regionale lität. Auch stärken sie die regionale Wettbewerbsfähigkeit Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen, erhöht die wirt- durch die Ergänzung um mobile Produktionsfaktoren. Der schaftlichen Schwierigkeiten vom Einzelhandel bis zu den demographische Wandel ist also handhabbar. Die Frage ist nur: Facharztpraxen, dünnt Nahverkehrsangebote aus, vergrößert Akzeptiert die Gesellschaft die Herausforderung, und wie rea- die Einzugsbereiche von privaten und öffentlichen Dienstleis- giert sie darauf? Nähere Informationen Prof. Dr. Paul Gans Geographisches Institut Universität Mannheim 68131 Mannheim Tel. (0 621) 181-19 58 / -19 63 E-Mail: paulgans@uni-mannheim.de 24 L E A D E R forum 2.2004
Dossier Infrastruktur und demographischer Wandel: Die Anpassung managen VON MARTINA KOCKS Die Bevölkerung Deutschlands nimmt ab, wird älter und internationaler. Bevölkerungs- rückgang bedeutet generell Auslastungsprobleme bei öffentlichem Personennahverkehr (ÖPNV), Handel und Dienstleistungen, sozialer und kultureller Infrastruktur sowie Energie- und Wasserversorgung. Die alternde Gesellschaft erhöht die Nachfrage nach altengerechten öffentlichen Angeboten, und die Internationalisierung erfordert Ein- richtungen für Integrationsaufgaben. U m die vielfältigen Aufgaben, die der demographische Wan- del mit sich bringt, zu bewältigen, hat das Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung 2003/2004 sechs neue Modell- der 90er-Jahre, die Abwanderungen in den Westen und die geringen internationalen Wanderungsgewinne. Während die Schrumpfung hier sehr viel weiter fortgeschritten ist als in den vorhaben zum Themenschwerpunkt "Infrastruktur und demo- alten Bundesländern, gilt dies umgekehrt im Westen für das graphischer Wandel" ausgewählt (siehe Textkasten). Drei wei- Stadium der Alterung. tere Vorhaben unter dem Titel "Anpassungsstrategien für länd- Da beide Phänomene aber – zeitlich versetzt – auf beide Lan- liche/periphere Regionen mit starkem Bevölkerungsrückgang desteile zukommen werden, können die Projekte von den in den neuen Ländern" befinden sich bereits in der jeweiligen Erfahrungen der anderen lernen und deren experi- Schlussphase. mentelle Phase für die eigene Zukunft auswerten. Dahinter steht die Einsicht, dass der demographische Wandel ein sehr zäher Vorgang ist, der sich – vor 30 Jahren begonnen – nicht Osten schrumpft, Westen altert mehr aufhalten, sondern bestenfalls verlangsamen lässt. Die Chance liegt in der aktiven Gestaltung des Unabwendbaren. Diese Modellvorhaben berücksichtigen die unterschiedliche Bevölkerungsentwicklung in Ost- und Westdeutschland. So liegt der Fokus in den neuen Bundesländern insbesondere auf den stark rückläufigen Bevölkerungszahlen in den ländlichen Räumen. Verantwortlich hierfür sind die Geburteneinbrüche L E A D E R forum 2.2004 25
Dossier Erster Schritt: die Bevölkerung sensibilisieren Südniedersachen schlägt die Brücke zwischen beiden Modell- regionen mit einer Generationen übergreifenden Infrastruktur- Allen Modellvorhaben gemeinsam ist die Notwendigkeit, zu- planung. Im Mittelpunkt steht die modellhafte Entwicklung von nächst der Öffentlichkeit die Auswirkungen des demographi- "Generationen-Agenturen": Regionale Zentralstellen und de- schen Wandels und den daraus abzuleitenden Handlungsbedarf zentrale Anlaufstellen in den Gemeinden wollen gemeinsam zu vermitteln. Dazu werden Fachforen und "Werkstätten" orga- mit bestehenden Institutionen ambulante Dienstleistungen im nisiert und eine intensive Pressearbeit, nicht nur in den Pla- Bildungs-, Gesundheits- und Freizeitbereich für Kinder, Fami- nungsverbänden, den überwiegenden Trägern der Prozesse, lien und Senioren organisieren und vermitteln. geleistet. Im Mittelpunkt stehen dabei Bestandsanalysen zur öffentlichen Daseinsvorsorge und die Frage, wie diese zukünf- tig an Zahl und Altersstruktur der Einwohner angepasst wer- Alternativen zum Staat den kann. Immer wichtiger wird das Thema "Infrastrukturplanung" auch Ein Ziel der Projekte ist es, effizient mit Haushaltsmitteln um- im Hinblick auf die öffentlichen Kassen. Nicht ausgelastete zugehen und falsch dimensionierte Planungen mit über Jahre Einrichtungen haben sinkende Einnahmen bei gleichen Fix- festgeschriebenen Fixkosten zu vermeiden. Es geht darum, kosten zur Folge; gleichzeitig nehmen bei rückläufiger Bevölke- Lebensverhältnisse zu sichern und Regionen zu stärken. Dies rung auch die einwohnerbezogenen Schlüsselzuweisungen ab. alles dient natürlich auch dazu, die Bevölkerung in der Region Es stellt sich also die Frage, wie die öffentliche Hand durch pri- zu halten und die Standortfaktoren für die Ansiedlung von Ge- vate Dienstleister und bürgerschaftliches Engagement unter- werbe zu verbessern. Vor allem soll ein Klima geschaffen wer- stützt werden kann. Viel wird darüber diskutiert, wie der den, das es Familien erleichtert, sich für Kinder zu entscheiden Eigeninitiative mehr Raum eröffnet, wie "der Staat" zurückge- und das der älteren Generation gleichzeitig einen würdigen nommen werden kann, damit solche Initiativen mehr Kompe- Lebensabend beschert. Der Schlüssel zum Erfolg liegt in der tenz erlangen können. Überwindung rein lokaler Sichtweisen und in einer langfristi- gen, vorausschauenden Planung. In der Region Neumarkt wird untersucht, wie eine stärkere Beteiligung der Älteren in der Gesellschaft gefördert werden kann. Anpassung der Infrastruktur: sechs Regionen, Der Kommunalverband Ruhrgebiet hat explizit die Auswirkun- gen infrastruktureller Anpassungen auf die öffentlichen Finanz- sechs Lösungen mittel zum Thema. Er will aufzeigen, wie die Ausgaben durch den Zusammenschluss dreier Städte gesenkt werden können. Alle neuen Modellregionen haben es sich zur Aufgabe ge- Die dünn besiedelte Region Lommatzscher Pflege schließlich macht, das öffentliche Infrastrukturangebot an die sich wan- befasst sich mit Kosten sparender Infrastrukturplanung durch delnden Generationen anzupassen. multifunktionale und flexible Lösungen. Die Region K.E.R.N in Schleswig-Holstein verfolgt das Ziel, die öffentlichen Leistungen an die Bedürfnisse von Senioren anzu- passen. Dabei soll durchaus auch die wachsende Gruppe der Lösungen für Deutschlands am dünnsten Älteren als neues Wirtschaftspotenzial entdeckt werden. Die besiedelte Räume Region Heilbronn versucht, besonders für die jüngere Genera- tion kinder- und familienfreundliche Rahmenbedingungen zu Die Regionen Mecklenburgische Seenplatte, Lausitz-Spreewald schaffen. und Ostthüringen haben an dem Modellvorhaben "Anpassungs- strategien für ländliche/periphere Regionen mit starkem Bevöl- kerungsrückgang in den neuen Ländern" teilgenommen und hierfür in den vergangenen zwei Jahren Konzepte entwickelt. Im Mittelpunkt stand die Entwicklung der sozialen Infrastruk- tur mit den Themen Bildung/Ausbildung und medizinische Versorgung, technische Infrastruktur, ÖPNV und leitungsgebun- dene Ver- und Entsorgungssysteme sowie die Weiterentwick- lung der integrierten Gesamtplanungen. Alle drei Modellregionen gehören dem am dünnsten besiedel- ten ländlichen Raum in Deutschland an. Entsprechend schnell kommen Tragfähigkeiten an ihre Grenzen. Schließungen, Ange- botsreduzierungen und verschlechterte Erreichbarkeit der ver- bliebenen Einrichtungen sind die Folge. Um Vielfalt und Quali- tät der Einrichtungen zu sichern, haben die Modellregionen unterschiedlichste Handlungsoptionen entwickelt. Diese Erfah- rungen sind in die "Cottbuser Erklärung", die im Mai 2004 bei der Abschlussveranstaltung des Modellvorhabens verabschiedet wurde, eingegangen. Auszüge daraus werden nachfolgend dar- gestellt. Angebot flexibel, Qualität gesichert Am Beispiel der Bildung wird deutlich, dass angesichts weiter sinkender Schülerzahlen innerhalb eines Kreises einerseits die wohnortnahe Bildung für jüngere Kinder nur durch jahrgangs- übergreifende Klassen mit neuen pädagogischen Konzepten 26 L E A D E R forum 2.2004
Dossier Die regionale Öffentlichkeit muss verstehen, dass eine über finanzielle Einsparungen hinausgehende Angebotsreduzierung auch vorteilhaft sein kann. Beispielsweise können weniger Berufsschulen, deren Ausbildungsgänge aber erstmals aufeinan- der abgestimmt sind, mehr Vielfalt bieten als viele Kleinst- berufsschulen, was letztendlich die Ausbildungschancen er- höht. Von "außen" ist dies nicht ohne weiteres ersichtlich. Dementsprechend muss die Bevölkerung frühzeitig in die Diskussion über Notwendigkeit und Art von Veränderungen einbezogen werden. Deshalb gilt es, Formen einer aktiven Beteiligung für all diejenigen zu finden, die von den Vorhaben betroffen bzw. an ihnen interessiert sind. Ein neues Leitbild entwickeln gesichert werden kann, andererseits zukunftsfähige berufsbil- Die Voraussetzung, derartige Ansatzpunkte für alternative Ver- dende Angebote nur in großräumigem Maßstab bereitgestellt sorgungsstrategien erkennen zu können, ist eine gemeinsame werden können. Der ÖPNV, der beispielsweise bei solch rück- Vision, ein Leitbild bzw. ein Entwicklungsszenario zu den läufigen Angeboten die Erreichbarkeit gewährleisten muss, Lebensbedingungen der Menschen in 30 Jahren. Vor dem Hin- kann nicht durch Insellösungen leistungsfähig gehalten wer- tergrund des Anpassungsdruckes müssen wesentliche Fragen den. Deshalb wird künftig mit flexiblen Bedienformen gearbei- zu Bildung, Gesundheit, Beschäftigung, Kultur und Freizeit tet werden müssen. Um die organisatorische und wirtschaftli- angesprochen werden. Ein solches regional konsensfähiges che Basis der Anbieter dauerhaft sicherzustellen, wird bei pri- Leitbild bildet dann den Rahmen für die zukunftsfähige Gestal- vaten und öffentlichen Angeboten verstärkt eine Bündelung an tung einzelner Infrastrukturbereiche und für konkrete Anpas- die Stelle separater Einrichtungen verschiedener Träger treten sungsstrategien. müssen. Im Interesse der Kundenorientierung müssen mobile Dienstleistungen erprobt werden. Das Angebot an notwendiger Daseinsvorsorge muss also wei- terentwickelt werden – mit neuen inhaltlichen und organisato- rischen Konzepten, die geltende Rahmenvorgaben auch be- wusst überschreiten können. Die wissenschaftliche Begleitung, deren Analysen und Gutachten liefern Argumentationshilfen. Zukünftig müssen flexible Öffnungsklauseln in den Regel- werken aufgenommen werden, die innovative Ansätze ermögli- chen. Die Modellregionen geben dazu Anregungen. Es bedarf aber einer auf die regionalen Bedingungen zugeschnittenen Lösung. Neue Partner finden Zentrales Element zur Anpassung der Infrastruktur ist der Ausbau von Kooperationen. Dies sind zum einen die interkom- munalen Kooperationen, bei denen hemmende Verwaltungs- grenzen überwunden und räumlich-funktionale Verflechtungen stärker berücksichtigt werden müssen. Das Instrument des raumordnerischen Vertrages zur Leistungsabstimmung der Mehr Informationen zum "Modellvorhaben der Raumordnung" Partner sollte deshalb noch stärker genutzt werden. Weiterhin des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, sollten Institutionen unterschiedlichen Typs, die in einem mit dessen Betreuung das Bundesamt für Bauwesen und Infrastrukturbereich verschiedene Verantwortlichkeiten haben Raumordnung beauftragt ist, unter oder fachliche Teilthemen behandeln und in unterschiedlichen www.bbr.bund.de/index.html?raumordnung/moro/ hierarchischen oder rechtlichen Verhältnissen zueinander ste- innovative_projekte.htm hen (Kommunen, staatliche Einrichtungen, Verbände, private Akteure etc.), ihre Aktivitäten künftig aufeinander abstimmen. Durch die Verflechtung der bislang streng abgegrenzten eige- nen Wirkungskreise wird gemeinsam Verantwortung für einen Nähere Informationen Bereich übernommen, was neue Lösungen ermöglicht. Martina Kocks, Projektleiterin Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung Referat I 4 Die Bevölkerung aktiv beteiligen Deichmanns Aue 31-37 53179 Bonn Der Dialog mit den Akteuren ist eine entscheidende Voraus- Tel. (0 18 88) 401-23 21 setzung für die Entwicklung und spätere Akzeptanz neuer Fax (0 18 88) 401-23 46 Infrastrukturangebote. Dies erfordert eine Umstellung nicht E-Mail: martina.kocks@bbr.bund.de nur auf der Anbieter-, sondern auch auf der Nutzerseite. So Web: www.bbr.bund.de bedarf ein flexibler Bedienverkehr der aktiven Mitwirkung der Fahrgäste – und sei es nur durch einen einfachen Anruf. L E A D E R forum 2.2004 27
Dossier Dörfer am Scheidepunkt VON MARTINA KLÄRLE Der starke Bevölkerungsrückgang der vergangenen Jahrzehnte hat in den Ortskernen zahlreicher kleiner Dörfer seine Spuren hinterlassen. Die LEADER+ Aktionsgruppe Hohenlohe-Tauber in Baden-Württemberg will jetzt zeigen, wie solche Dörfer wieder belebt werden können. V iele Dörfer mit weniger als 1.000 Einwohnern mussten in den vergangenen Jahrzehnten in Deutschland einen Ein- wohnerrückgang von mehr als 30 Prozent hinnehmen. Was zugsgebiet von Großstädten bleiben. Ein etwas kleinerer Anteil (17 Prozent) will weiterhin im Ortskern wohnen bleiben. Die knapp zwei Drittel der Befragten, die weder die Region verlas- zurückbleibt ist meist eine ernüchternd hohe Anzahl leer ste- sen noch im Ortskern bleiben möchten, stellen die Zielgruppe hender Gebäude in den gewachsenen Ortskernen. In der des Handbuchs dar. Region Hohenlohe-Tauber zeigt sich im Rahmen des demogra- phischen Wandels, dass gerade aus kleinen Dörfern oft mehr als die Hälfte der 18- bis 40-Jährigen abwandert. Die LEADER- Entscheidungshilfen für junge Familien Region Hohenlohe-Tauber, die sich aus 23 Gemeinden in den Junge Menschen, vor allem während der Familiengründung, Landkreisen Main-Tauber-Kreis, Hohenlohekreis und Landkreis sind investitionsfreudig. Die Entscheidung, an welcher Stelle Schwäbisch Hall zusammensetzt, will diesem Trend etwas ent- und in welchem Umfang das Familiendomizil errichtet werden gegensetzen. soll, hängt in unserer schnelllebigen und kapitalbewussten Gesellschaft vor allem von der Geschwindigkeit und Kosten- Der demographische Wandel vollzieht sich schleichend, aber sicherheit bei der Umsetzung ab. konstant. Die Einwohner, vor allem die zurückbleibende ältere Generation, reagieren betroffen und ohnmächtig. Dem Appell, Bauen auf der grünen Wiese ist im Moment schneller und die Orte vor dem Ausbluten zu schützen, können die Kommu- günstiger umzusetzen als die Altbaurenovierung. Das hängt vor nen bislang mit keinem geeigneten Werkzeug nachkommen, allem mit Entscheidungen auf kommunaler Ebene zusammen. zumal die Verantwortung vordergründig bei den abwandernden Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob ländliche Bewohnern selbst liegt. Gemeinden auch künftig bereit sind, wachsende finanzielle Verpflichtungen für die Instandhaltung neuer Baugebiete zu übernehmen, obwohl eine Vielzahl innerörtlicher Gebäude leer Gewusst wie: Die Abwanderung stoppen steht – bei kontinuierlichem Rückgang der Steuerzahler. Ein Leitfaden für Kommunen soll hier Abhilfe schaffen. Zustande gekommen ist er in Zusammenarbeit mit der Lokalen Aktionsgruppe (LAG) Hohenlohe-Tauber und einer wissen- Die Ortskerne stärken: Handbuch gibt Rat schaftlichen Begleitforschung, die 14 Projektgemeinden einbe- Das LEADER+ Handbuch der LAG Hohenlohe-Tauber unter- zieht. Das Handbuch zeigt den Gemeinden, wie der Abwan- stützt Bürgermeister und Entscheidungsträger, die von diesem derung insbesondere junger Leute entgegengewirkt werden Kurs bewusst abweichen und durch die Nutzung der innerörtli- kann. Zielgruppe sind in erster Linie diejenigen, die es vorzie- chen Potenziale eine überzogene Flächeninanspruchnahme im hen, in Neubaugebiete der Region zu ziehen, obwohl genügend Außenbereich begrenzen wollen. Das Handbuch `Best-Practice´ innerörtliche Wohnmöglichkeiten vorhanden sind. ist auf eine Vielzahl ländlicher Regionen übertragbar und erläu- tert die Ergebnisse an konkreten Fällen. Neben einer Reihe Bei exemplarischen Erhebungen in der Region hat sich heraus- von städtebaulichen Hilfestellungen bilden folgende Themen gestellt, dass knapp ein Fünftel der Befragten die Region ganz die Schwerpunkte: verlassen will. Hierbei handelt es sich vor allem um Studienab- gänger, die aufgrund der besseren Berufsperspektive im Ein- 28 L E A D E R forum 2.2004
Dossier Überzeugungsarbeit bei Multiplikatoren Sind die Bürgermeister, Ortsvorsteher, Pfarrer, Ortschaftsräte Eine Kurzfassung des Handbuchs `Best Practice´ ist ab Februar oder Vereinsvorsitzenden von den Zielen einer nachhaltigen 2005 erhältlich, Vorbestellungen sind in der LEADER+ Geschäfts- Ortsentwicklung und einer Stärkung der Ortskerne überzeugt, stelle Hohenlohe-Tauber möglich. tragen diese die Pläne in die Köpfe der Ortsbewohner. Die Überzeugungsarbeit kann in Vorträgen, Stadtratsitzungen, kom- Prof. Dr. Martina Klärle erarbeitet das Handbuch `Best Practice´ munalen Agenda-Gruppen oder in Einzelgesprächen erfolgen. im Rahmen einer wissenschaftlichen Begleitung für die LEADER+ Aktionsgruppe Hohenlohe-Tauber, zusammen mit ihren Mitarbei- Öffentlichkeitsarbeit terinnen des gleichnamigen Ingenieurbüros. Sie ist Professorin an Viele Bauherren orientieren sich an den scheinbar attraktiven und werbewirksamen Offerten von Bauträgern wie den kom- der Fachhochschule Osnabrück, Fakultät Agrarwissenschaften und munalen Bauplatzangeboten, die günstig sind, häufig sogar Landschaftsarchitektur. unter den Selbstkostenpreisen liegen. Der Leitfaden soll hier ein Gegengewicht darstellen und die Vorteile des Bauens im Bestand aufzeigen, etwa das besondere Flair eines renovierten, großzügigen Altbaus, das Miteinander mehrerer Generationen oder die auffallend großen, gewachsenen Grünstrukturen in Nähere Informationen der Ortsmitte. Die Öffentlichkeitsarbeit kann über Bürgerver- Thomas Schultes sammlungen, öffentliche Vorträge, Infobroschüren und eine LEADER+ Geschäftsstelle Hohenlohe-Tauber Reihe von Presseartikeln realisiert werden. Landratsamt Schwäbisch Hall Münzstr. 1 Grundstückspool – Transparenz 74523 Schwäbisch Hall Ein Grundstückspool wird einerseits allen Verkaufswilligen Tel. (0 791) 755 - 76 34 eine Plattform geben, um ihre Gebäude und Flächen zum Ver- Fax (0 791) 755 - 73 99 kauf anzubieten; zudem skizzieren die Planer Nutzungsvari- E-Mail: schultes@leader-hohenlohe-tauber.de anten. Andererseits gibt der Grundstückspool Bauwilligen die Web: www.leader-hohenlohe-tauber.de Möglichkeit, sich näher über das Angebot zu informieren. Die Planer werden die Informationen austauschen und sorgen Wissenschaftliche Begleitung und Erarbeitung des Handbuches damit für Transparenz im dörflichen Immobiliengeschehen, Prof. Dr. Martina Klärle gespickt mit einer Reihe von Ideen, wie die Entwicklung der Ingenieurbüro Prof. Dr. Klärle Objekte konkret aussehen kann. Bachgasse 5 Architektengespräche 97990 Weikersheim Eigentümer alter Immobilien, vor allem von landwirtschaftli- Tel. (0 79 34) 38 45 chen Anwesen, fehlt häufig der Überblick, wie vielseitig sich E-Mail: info@klaerle.de die Umnutzung ihrer Gebäude darstellen kann. Deshalb emp- Web: www.klaerle.de fiehlt der Leitfaden, mit den Eigentümern detaillierte Architek- tengespräche durchzuführen. Durch skizzenhafte Grund- und Aufrissdarstellungen (z.B. Maßstab 1:200) werden konkrete Ideen einer neuen Nutzung aufgezeigt. Die Skizzen dienen als Diskussionsgrundlage in der Familie, als Planungsgrundlage für weitere Ideen und als Antragsgrundlage für mögliche Förder- gelder. Mission geglückt? Man darf gespannt sein, ob die Dörfer die Herausforderung annehmen, die Schönheit und Einzigartigkeit der ländlichen Regionen als Lebensqualität zu erkennen und zurückzugewin- nen und so das Image des Dorflebens auf eine angemessene Stufe zu stellen. Fotos: Büro Prof. Klärle L E A D E R forum 2.2004 29
Dossier Hoffen ist gut, handeln ist besser VON ANNE-MARIE TRUNIGER Wo die Bevölkerung schwindet, steigen die kommunalen Gebühren, denn fixe Kosten müssen auf immer weniger Köpfe umgelegt werden. Auch im Werra-Meißner-Kreis ist dieses Problem bekannt. Tatenlos zuschauen will die Lokale Aktionsgruppe (LAG) Werra-Meißner der Entwicklung dort allerdings nicht. ... mögliche Strategien diskutiert ... Prof. Dr. Ulf Hahne, Universität Kassel, entwarf vier Szenarien für mögliche Anpassungsreaktionen von Kommunen und Akteuren: ● Keine Reaktion ➛ Schrumpfen für alle ● Konzentration ➛ leere Dörfer ● Teilraumstabilisierung aufgrund von lokalen Stärken ➛ Jeder für sich ● Gemeinsame Anpassungsstrategie ➛ Kooperation Handeln statt abwarten, war die einstimmige Meinung des Regionalforums. Diskutiert wurden zahlreiche Vorschläge wie die Ausweisung interkommunaler Gewerbegebiete, eine zwi- schen Kommunen abgestimmte Siedlungsentwicklung, Perspek- tiven für altersgerechte Wohnungen, die Einrichtung einer familien- und altersfreundlichen Region sowie neue Formen für Einzelhandel und Dienstleistung. ... und praktisch umgesetzt Um die Bevölkerung zu sensibilisieren und Lösungsansätze D ie Hoffnung stirbt zuletzt, ein geflügeltes Wort, das auch für den demographischen Wandel gilt: Allen Prognosen zum Trotz wird auf Zuwanderung gehofft, um die Auswirkun- gemeinsam umsetzen zu können, gründete der Verein für Regionalentwicklung Werra-Meißner – dem die Aufgaben einer gen sinkender Bevölkerungszahlen auffangen zu können. LAG zukommen – im April 2004 eine Arbeitsgruppe. In dieser sind der Verein, die Landfrauen, das Familienzentrum, die Hoffen allein genügt aber nicht, meint die LAG Werra-Meißner. Wirtschaftsförderung, zwei Bürgermeister sowie das Amt für Auf ihre Initiative hin traf sich im März 2004 das Regional- den ländlichen Raum vertreten. In den kommenden Monaten forum Werra-Meißner, dem neben der LAG selbst der Landrat wird eine Checkliste zur Beurteilung öffentlicher Infrastruk- sowie Vertreter aus den Kommunen und Kreisen angehören. turen – notwendig / änderungsbedürftig / überflüssig – erar- Das Ziel der Veranstaltung: Konsequenzen des Wandels erken- beitet. Konzepte für eine sinnvolle Nachnutzung leer stehender nen und Lösungsmöglichkeiten aufzeigen. Bausubstanz sollen entwickelt und verschiedene Szenarien mit konkreten Auswirkungen erarbeitet werden, um sie anschlie- Auswirkungen dargelegt ... ßend der Bevölkerung in kreativer Weise vorzustellen. Prof. Dr. Hahne sicherte zu, die Vorhaben mit studentischen Projekten Die wirtschaftliche Entwicklung der vergangenen Jahre war zu unterstützen. Für weitere Aktionen soll der Tag der nicht vorhersehbar und im Zusammenhang mit der demogra- Regionen 2005 genutzt werden. Vorstellbar ist auch, dass der phischen Entwicklung deshalb nicht in Betracht gezogen wor- demographische Wandel das Leitthema des Open Flair Festivals den, lautete die Bilanz von Prof. Dr. Rainer Winkel, TU Dres- in Eschwege 2005 bildet. den. Seine Prognose: zehn Prozent weniger Einwohner für den Werra-Meißner-Kreis im Jahr 2020. Die Folgen: Weite Wege zur Gesundheitsversorgung, da Arztpraxen auf dem Lande wirt- Nähere Informationen schaftlich nicht mehr attraktiv sind und weite Schulwege für Verein für Regionalentwicklung Werra-Meißner e.V. Kinder, weil Schulen geschlossen werden müssen. Auch der Anne-Marie Truniger Brandschutz, bislang auf freiwilliger Basis, könne nicht mehr Niederhoner Str. 54 ohne Mehraufwand sichergestellt werden. Kosten für Infra- 37269 Eschwege struktur und öffentliche Gebäude wie Dorfgemeinschaftshäuser Tel. (0 56 51) 7 05 11 müssen in den kommenden Jahren ebenfalls von weniger Bürgern aufgebracht werden. Fax (0 56 51) 33 11 66 E-Mail: info@vfr-werra-meissner.de Web: www.vfr-werra-meissner.de 30 L E A D E R forum 2.2004
Dossier Heiß begehrt: Die Generation "60 plus" VON GERD LEHMANN UND SILKE LIEBHER Drastischer Geburtenrückgang und erhebliche Abwanderung haben die Bevölkerungs- zahlen in weiten Teilen Ostdeutschlands massiv sinken lassen; der Anteil älterer Menschen wird immer größer. Drei Brandenburger LEADER+ Regionen sehen in dieser vordergründig negativen Entwicklung allerdings ein erhebliches Potenzial. I n den LEADER+ Regionen "UckerRegion", "Fläming-Havel" und "Naturparkregion Uckermärkische Seen" wird die Bevöl- kerungsdichte mit dem demographischen Wandel auf weit direkter Zusammenarbeit mit Projektträgern in der Region im Vordergrund. Diese sollen die Grundlage für die Vorbereitung von Investitionen, baulichen Veränderungen, Existenzgründun- unter 50 Einwohner/km2 bis 2020 sinken. Gleichzeitig wird gen und neuen Geschäftsfeldern bilden, die im Anschluss der Anteil der Einwohner im Rentenalter überproportional stei- durch die Projektträger umgesetzt werden. Zur Förderung in- vestiver Maßnahmen stellt LEADER+ finanzielle Mittel bereit. gen. Den Kommunen droht mit Defiziten in der Grundversor- gung ein erheblicher Imageverlust. Weitere Abwanderungen, insbesondere von jungen Menschen, sind die Folge, während Erste Schritte Anreize zur Zuwanderung fehlen. Sowohl Dienstleister als auch Die beteiligten Regionen sind sich einig, nur gemeinsam politi- Gewerbebetriebe verlieren Nachfragepotenziale, und mit den sche Handlungsempfehlungen erarbeiten zu können. Derzeit Einwohnern geht den Kommunen zugleich Steuerkraft verlo- werben sie auf allen Ebenen des LEADER+ Prozesses für ihr ren. Projekt, das bereits mit ersten konkreten Ideen aufwarten kann: Anpassung als Chance ● Umnutzung leer stehender Mietwohnungen im ländlichen Diesem "Schicksal" treten die drei LEADER+ Regionen mit Raum zur Existenzgründung im Bereich "betreuten einem ungewöhnlichen Plan entgegen. Ziel ihres Gemein- Wohnen", schaftsprojektes ist es, ihre Regionen für Menschen im dritten ● Tagespflege und Urlaubsangebote für Familien mit Lebensabschnitt attraktiver zu gestalten. Der Imagegewinn, so pflegebedürftigen Mitgliedern, ihre Idee, könnte zu einer Zuwanderung von älteren Menschen ● Ausbildung für die kombinierte Kranken- und Altenpflege. mit – in der Regel – höherem Einkommen führen. Langfristig könnten sich sogar Synergie-Effekte für weitere Bevölkerungs- gruppen ergeben, beispielsweise durch die Schaffung von Nähere Informationen Ausbildungs- und Arbeitsplätzen für junge Menschen in den LAG UckerRegion e.V. wachsenden Märkten für Senioren. Geschäftsbesorger Agro-Öko-Consult GmbH Dr. Gerd Lehmann und Silke Liebher Miteinander planen und umsetzen Friedrichstr. 2 Bevor das Projekt starten kann, steht eine Grundlagenstudie 17921 Prenzlau zur Situationsanalyse in den beteiligten Regionen an. Tel. 03984 / 83 38 27 Es sollen Aussagen getroffen werden zu: Fax 03984 / 83 38 29 E-Mail: lag-uckerregion@web.de ● Bevölkerungsentwicklung und deren Auswirkung auf Web: www.uckerregion.de die einzelnen Regionen; ● Speziellen Bedürfnissen älterer Menschen (Wohnsituation und Wohnumfeld, begleitende Dienstleistungen, Infrastruktur, räumliche Mobilität, soziale Netze, barriere freier Tourismus); ● Bereits vorhandenen seniorengerechten Angeboten (soziale und medizinische Dienste, Wohnen, Tourismus, Freizeit, Bildung und Versorgung); ● Handlungsbedarf zur Bestimmung der Modellvorhaben (z.B. Qualitätsverbesserung, Schaffung neuer Angebote, innovative Finanzierungslösungen, Anpassung des Wohn- bestandes). Den Abschluss der Studie bildet je ein Regionalforum mit Teil- nahme der Kooperationspartner. Neben der Diskussion und Wissensvermittlung im "Netzwerk demographischer Wandel" steht die Erarbeitung umsetzungsfähiger Modellvorhaben in L E A D E R forum 2.2004 31
Dossier Betreutes Wohnen daheim VON ANITA LANZL Bis zum Jahr 2010 wird der Anteil der über 65-Jährigen im Landkreis Kelheim auf 20 Prozent ansteigen. Da viele junge Menschen aus beruflichen Gründen aus ihren Heimat- orten wegziehen, leben immer mehr Senioren allein. Um ihnen dennoch ein eigenstän- diges Leben zu ermöglichen, bietet das LEADER-Projekt "Leben+plus" betreutes Wohnen in den eigenen vier Wänden. Gezielt auf die Bedürfnisse eingehen D er Anteil allein lebender älterer Menschen nimmt ständig zu und erfasst zunehmend auch ländlich strukturierte Gebiete. Der Landkreis Kelheim verzeichnete 2002 insgesamt Von der Lokalen Aktionsgruppe Kelheim wurde "Leben+plus" 17.413 Personen über 65 Jahre, dies entspricht einem Anteil als Schlüsselprojekt eingestuft. Dieses wird wissenschaftlich von 16 Prozent der Bevölkerung. Bis 2010 ist mit einem begleitet vom Institut für Dienstleistungsökonomik der TU Zuwachs auf 19.200 Senioren zu rechnen. Die Versorgung die- München-Weihenstephan, um unter anderem die Perspektive ser Menschen durch ambulante Dienste ist nur teilweise und und Nachhaltigkeit sowie die Übertragbarkeit auf andere auch nur im Pflegebereich abgedeckt. Ziel war es daher, ein Regionen zu prüfen und um durch Marktanalysen das Konzept Versorgungssystem in den Bereichen soziale Kontakte und beständig und bedarfsorientiert anpassen zu können. Anfang Pflege, Haushalt und Ernährung, Mobilität und Sicherheit auf- 2004 wurden Interviews mit über 65-Jährigen durchgeführt, zubauen, welches für Senioren finanzierbar ist und deren um den Bedarf an hauswirtschaftlichen Leistungen, Hilfe bei Vereinsamung vermeidet. Behördengängen, sozialen und kulturellen Leistungen und dem Interesse an Sicherheitseinrichtungen, z.B. einem Hausnotruf, zu ermitteln. Ein Großteil der Befragten schätzt den eigenen Mehr Unabhängigkeit, weniger Konflikte zukünftigen Bedarf vor allem im Bereich Haushalt und Sicher- Ein Servicebüro in Abensberg betreut seit Dezember 2002 das heit als sehr hoch ein. Die Angebotspalette wurde entspre- Projekt "Leben+plus" – initiiert und getragen vom Bayerischen chend angepasst und anschließend im Landkreis durch Marke- Roten Kreuz – mit fast 50 Senioren. Bei mehr als der Hälfte tingmaßnahmen (Pressearbeit, Vorträge, Info-Stände) bekannt dieser Senioren leben die Kinder vor Ort, bei den anderen aber gemacht. weiter entfernt; einige der Senioren haben keine direkten Angehörigen mehr. Die am Ort lebenden Familien sehen die Von Einzelleistung bis "All inclusive" ambulante Versorgung durch Leben+plus als wichtig für die Unabhängigkeit der älteren Familienmitglieder an. Diese kön- Das aktuelle Angebot von "Leben+plus" ist vielfältig (siehe nen so ihr Leben nach ihren eigenen Bedürfnissen gestalten Kasten). Alle Leistungen können einzeln, im Paket und/oder und müssen sich nicht nach dem Zeitplan der Kinder richten. im Abo gebucht werden. Die Pakete werden individuell auf die Auch kann die Versorgung durch "Fremde" zur Entzerrung Bedürfnisse des Einzelnen zugeschnitten. Zurzeit werden vor häuslicher Spannungen beitragen. allem Einzelleistungen im hauswirtschaftlichen Bereich und in der Betreuung in Anspruch genommen. Der "Renner" ist die täglich frisch zubereitete, warme Mahlzeit, die monatlich über 500-mal ausgeliefert wird. Möchte ein älterer Mensch oder ein Angehöriger Leistungen in Anspruch nehmen, wird das Servicebüro meist telefonisch kon- taktiert. Beim Erstkontakt werden Wünsche und Vorstellungen besprochen. Es folgt ein persönlicher Besuch durch die Sozial- pädagogin, um das Umfeld kennen zu lernen, um festzustellen, ob weitere Hilfe notwendig wäre und um Leistungen schriftlich zu vereinbaren (für Einzelleistungen reichen mündliche Ab- sprachen aus). Helfer werden einem Kunden fest zugeordnet, so dass ein enger, teilweise familiärer Umgang entstehen kann. Wichtig ist dies insbesondere bei Senioren ohne beziehungs- weise mit weit entfernt wohnenden Angehörigen. 32 L E A D E R forum 2.2004
Dossier Fotos: Leben+plus - Team 2003/4 Arbeitsplätze für die Region Nähere Informationen Inge Morath Seit Februar 2004 gibt es ein weiteres Servicebüro in Kelheim. Gesamtprojektleitung Leben+plus In beiden Dienststellen arbeiten je eine Sozialpädagogin (ver- Servicebüro Kelheim antwortlich für Beratung und Betreuung) und eine Verwal- BRK – Kreisverband Kelheim tungsangestellte als hauptamtliche Mitarbeiterinnen (alle Teil- Stadtknechtstr. 22 zeit) sowie je ein Zivildienstleistender, verantwortlich für 93309 Kelheim Essensauslieferungen und Hilfsdienste wie Begleitung bei Aktivitäten. Alle weiteren Helferinnen haben eine Ausbildung Tel. (0 94 41) 50 28 - 17 oder - 18 im pflegerischen oder im hauswirtschaftlichen Bereich. Es sind Fax (0 94 41) 50 28 - 22 entweder jüngere Frauen, die während der Kindererziehung E-Mail: morath@kvkelheim.brk.de nicht ganz aus dem Arbeitsleben aussteigen wollen und die Möglichkeit der Teilzeitarbeit nutzen, oder aber Frauen, die Anita Lanzl nach Zeiten der Kindererziehung wieder in das Berufsleben Projektleitung Leben+plus Abensberg einsteigen wollen. Eine Zusammenstellung, die sich bisher gut Servicebüro Abensberg bewährt hat. Die Helferinnen arbeiten auf 410-Euro-Basis oder Edelhardgasse 9 ehrenamtlich. 93326 Abensberg Tel. (0 94 43) 99 26 37 Mehr Lebensqualität bei sinkenden Kosten Fax (0 94 43) 99 26 39 Bereits 2005 wird ein drittes Servicebüro in Mainburg eröffnet, E-Mail: lanzl@kvkelheim.brk.de um eine wohnortnahe Betreuung im gesamten Landkreis zu garantieren. Durch die häusliche Versorgung und die Einbin- dung in das soziale Netz wird ein regionales, altersgerechtes Integrationsmodell geschaffen. Mit Hausnotrufsystemen und Leistungspalette von Leben+plus der schnellen Erreichbarkeit des Servicebüros wird ein hohes Maß an Sicherheit geboten. Ebenso ist über das Büro eine gute Haushalt: Haushaltshilfen, Wäscheservice, Garten- Kommunikation mit Hausärzten und Fachstellen gewährleistet. und Grabpflege, handwerkliche Tätigkeiten, Durch das Projekt "Leben+plus" wird für die Bürger ein sozia- Kehr- und Räumdienste, Haussitting les, kommunikatives und zuverlässiges Netz für einen sicheren bei Abwesenheit während des Urlaubs, Lebensabend geschaffen und ein Umzug der Senioren in ein Krankenhaus- oder Kuraufenthaltes Pflegeheim oftmals vermieden. Für die Kommunen ergibt sich Ernährung: Versorgung mit warmen Mahlzeiten, daraus eine erhebliche Kosteneinsparung im Vergleich zu sta- Einkaufsdienste tionären Aufenthalten und eine qualitative Verbesserung der Versorgung: Friseur, Handwerksdienste, Botengänge regionalen Lebensqualität auch für erwerbstätige Bürger mit Mobilität: Hol-/ Bringdienste, (Behinderten-)Fahrdienste betreuungsbedürftigen Angehörigen. auf Stundenbasis oder Kilometerpauschale Pflege: ambulante häusliche Pflege, Organisation der Projekt steht bald auf eigenen Füßen ärztlichen Versorgung Unterstützt wird "Leben+plus" in den ersten drei Jahren durch Sicherheit: Hausnotruf, regelmäßige Hausbesuche, LEADER+ und die GlücksSpirale. Durch eine LEADER+ An- Nachtwache, Urlaubsbetreuung, schubfinanzierung werden unter anderem Kosten für Personal Wohnberatung in der Initialphase und Investitionen, Fortbildungsmaßnahmen Soziale Kontakte: Beratung, Besuchsdienst, Kultur- und und Öffentlichkeitsarbeit sowie die Evaluierung durch die TU Freizeitangebote München-Weihenstephan finanziert. Über die GlücksSpirale erhält das Projekt eine Gesamtförderung mit festen jährlichen Alle Dienste können einzeln oder im Abo gebucht werden; Beträgen. Das Ziel, ab 2006 wirtschaftlich und kostendeckend auch die Zusammenstellung von Betreuungspaketen mit und ohne zu arbeiten, kann voraussichtlich erreicht werden. Hausnotruf ist möglich. Ferner können Einzelleistungen per Gutschein verschenkt werden. L E A D E R forum 2.2004 33
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