Diskurs - 2020 Zukunft 2020 - ein Modell für ein soziales Deutschland - ein Modell für ein soziales Deutschland
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März 2009 Expertisen und Dokumentationen zur Wirtschafts- und Sozialpolitik Diskurs Zukunft 2020 – ein Modell für ein soziales Deutschland 2020 1
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Studie im Auftrag der Abteilung Wirtschafts- und Sozialpolitik der Friedrich-Ebert-Stiftung Zukunft 2020 – ein Modell für ein soziales Deutschland Klaus Bartsch Unter Mitarbeit von Gerhard Leithäuser und Claudia Temps
WISO Diskurs Friedrich-Ebert-Stiftung Inhalt Vorbemerkung 3 1. Einleitung 4 2. Strategien für eine bessere Zukunft 5 2.1 Höheres Wachstum durch Förderung des Humanvermögens 6 2.2 Verbesserung der Einkommensverteilung 8 2.3 Sicherung der Nachfrage 9 3. Die Hauptergebnisse der Szenarien 12 3.1 Wachstum und Beschäftigung 14 3.2 Verteilung, öffentliche Finanzen und Außenhandel 17 3.3 Die Ergebnisse auf einen Blick 24 4. Fazit 26 5. Informationen zu den Autoren/innen 27 Diese Studie wird von der Abteilung Wirtschafts- und Sozialpolitik der Friedrich-Ebert- Stiftung veröffentlicht. Die Ausführungen und Schlussfolgerungen sind von den Autoren/innen in eigener Verantwortung vorgenommen worden. Impressum: © Friedrich-Ebert-Stiftung Herausgeber: Abteilung Wirtschafts- und Sozialpolitik der Friedrich-Ebert-Stiftung Godesberger Allee 149 53175 Bonn Fax 0228 883 9205 www.fes.de/wiso Gestaltung: pellens.de Druck: bub Bonner Universitäts-Buchdruckerei ISBN: 978-3-86872-064-8
Wirtschafts- und Sozialpolitik WISO Diskurs Vorbemerkung Wo kämen wir hin, zungen eines sozialen Deutschlands im oben ge- wenn alle sagten, nannten Sinne zu erreichen. Dazu wird zunächst wo kämen wir hin, in einem Basisszenario die Fortschreibung bis- und niemand ginge, heriger Politiken simuliert, die erwartungsgemäß um mal zu schauen, keine wesentliche Verbesserung der sozialen Lage wohin man käme, außer einer Konsolidierung der Staatsfinanzen wenn man ginge. bringen, da im Modell auch die gegenwärtigen Steuersätze beibehalten werden. Diesem Basis- (Kurt Marti) szenario werden anschließend Szenarien mit al- ternativen Politikbündeln gegenübergestellt, die Bei der vorliegenden Studie handelt es sich um auf eine Verbesserung des Humanvermögens, der die modellgestützte Simulierung verschiedener Verteilung und auf eine Stabilisierung der Nach- wirtschaftspolitischer Szenarien für Deutschland, frage im europäischen Kontext zielen. Im Kom- die ein Team von Klaus Bartsch Econometrics im plettszenario sind all diese Politikbündel inte- Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung durchgeführt griert und ihre Wechselwirkungen berücksichtigt. hat. Es bildet eines der zentralen Forschungspro- So entsteht bis 2020 das beste Szenario mit mas- jekte im Rahmen des stiftungsweiten Projektes siven Investitionen in Bildung, offensiver Ver- Zukunft 2020, das sich zur Aufgabe gesetzt hat, teilungspolitik und Maßnahmen zur Nachfrage- Strategien und Politiken zu identifizieren, die es stabilisierung angesichts der Finanzkrise. Es er- erlauben, bis zum Jahr 2020 ein soziales Deutsch- möglicht ein relatives hohes Wachstum mit sin- land zu erreichen. Darunter verstehen wir: Eine kender Arbeitslosigkeit und sozialem Ausgleich freie, solidarische und kinderfreundliche Gesellschaft auf schwedischem Niveau. Wenn die richtigen mit gleichen Chancen der wirtschaftlichen, sozialen politischen Maßnahmen ergriffen werden, kann und kulturellen Teilhabe unabhängig von Geschlecht die Prekarisierung und soziale Spaltung der deut- und Herkunft; eine lebendige Demokratie mit enga- schen Gesellschaft gestoppt und rückgängig ge- gierten Bürgerinnen und Bürgern; eine nachhaltig macht werden. Deutschland kann im Jahr 2020 wachsende Wirtschaft mit guter Arbeit für alle; einen wirtschaftliche Stärke und sozialen Ausgleich so vorsorgenden Sozialstaat, der mehr Bildung und Ge- verbinden, dass die Menschen wieder Vertrauen sundheit ermöglicht; ein Land, das in Europa und der in die Demokratie, den Sozialstaat und die Zu- Welt Verantwortung für Frieden und sozialen Fort- kunft haben. schritt übernimmt. Das „Modell für ein soziales Deutschland“ Michael Dauderstädt simuliert eine Reihe interdependenter und auf- Leiter der Abteilung einander abgestimmter Politikbündel, die dazu Wirtschafts- und Sozialpolitik beitragen sollen, die wirtschaftlichen Vorausset- 3
WISO Diskurs Friedrich-Ebert-Stiftung 1. Einleitung Die Studie „Zukunft 2020 – ein Modell für ein stimmter Politikmaßnahmen können sich auf soziales Deutschland“ entwirft und modelliert unterschiedliche Ziele wie etwa Wachstum, Ver- gesamtwirtschaftliche Entwicklungspfade für teilung oder Preisstabilität verschieden auswir- Deutschland, die zu einer deutlichen Steigerung ken. Werden – wie in der vorliegenden Studie – der realen Pro-Kopf-Einkommen und gleichzeitig die Effekte ganzer Politikbündel modelliert, so zu einer erheblichen Verbesserung der persona- sind deren Wechselwirkungen untereinander und len Verteilungsgerechtigkeit führen können. innerhalb des gesamtwirtschaftlichen Systems zu Die Simulationen wurden mit einem eigenen berücksichtigen. Nur ein entsprechend komple- makroökonometrischen Modell für die Bundes- xes Modell, das alle wichtigen Rückkopplungen republik Deutschland mit aggregiertem Europa- abbildet, erlaubt eine angemessene Abschätzung modul, LAPROSIM (Langfristprognose- und Si- der Ergebnisse hinsichtlich der zentralen, poli- mulationsmodell), durchgeführt. Die diversen tisch gewählten Zielgrößen. Versionen des Modells wurden seit 1992 in zahl- Für die Szenarien wurde ein umfangreicher reichen wissenschaftlichen und wirtschaftspoliti- Kranz geeigneter wirtschaftspolitischer Vorschlä- schen Beratungszusammenhängen eingesetzt. Das ge insgesamt vierzehn einzelnen Politikfeldern LAPROSIM-Modell ist eines der wenigen „leben- zugeordnet und zu „rechenbaren“ Politikmodu- den“, d. h. laufend gepflegten und weiterent- len verdichtet. Sie werden im nächsten Kapitel in wickelten makroökonometrischen Modelle in der aufeinander aufbauenden Szenarien kurz vorge- Bundesrepublik. stellt und erläutert. Anschließend werden die Ein solch aufwändiger Ansatz ist notwendig, Hauptergebnisse der Simulationen hinsichtlich da die Wirtschaft mit ihren vielen Akteuren und wirtschafts- und sozialpolitischer Schlüsselgrö- Wirkungszusammenhängen keine einfachen Pro- ßen dargestellt.1 gnosen erlaubt. Insbesondere die Wirkungen be- 1 Die Langfassung dieser Studie mit ausführlichen theoretischen und methodischen Erläuterungen sowie einer umfassenderen Darstellung der Simulationsergebnisse ist unter dem Titel „Szenarioanalyse zur Zukunft des sozialen Deutschland“ auf der website www.fes.de/zukunft2020 als pdf zum Download erhältlich. 4
Wirtschafts- und Sozialpolitik WISO Diskurs 2. Strategien für eine bessere Zukunft Das Basisszenario beinhaltet umfangreiche An- beträgt im Schnitt des Simulationszeitraumes nahmen bezüglich der weltwirtschaftlichen Rah- etwa 3,4 Prozent. menbedingungen, der demographischen Entwick- • Die demographische Entwicklung in Deutschland lung und der Entwicklung der Qualifikations- bis 2020 ist durch folgende Annahmen be- struktur der Bevölkerung. Weitere Annahmen stimmt: Die Geburtenhäufigkeit verharrt bei betreffen zentrale wirtschaftspolitische Parameter etwa 1,4 Kindern je Frau; die Lebenserwartung wie etwa Steuersätze und die Entwicklung des Ni- steigt moderat an. Im Schnitt des Simulations- veaus der öffentlichen Beschäftigung. Alle An- zeitraumes wandern netto 200.000 Personen nahmen reflektieren in etwa den Stand von Ende pro Jahr ein. Diese Annahmen wurden über- Oktober 2008. Damit wird der wirtschaftspoli- nommen aus der Variante 1-W2 der 11. Koor- tische „Status Quo“ dieses Zeitpunktes fortge- dinierten Bevölkerungsvorausberechnung des schrieben; die Konjunkturpakete I und II konn- Statistischen Bundesamtes. ten noch nicht berücksichtigt werden. Auch die • Hinsichtlich der Entwicklung der Qualifika- nach den jüngsten Daten wahrscheinliche, er- tionsstruktur der erwerbsfähigen Bevölkerung heblich schwächere Entwicklung der Weltwirt- wird angenommen, dass sich die Akademiker- schaft bzw. des Welthandelswachstums gegen- quote, dem langfristigen Trend folgend, im in- über dem Stand von Oktober 2008 konnte noch ternationalen Vergleich nur schwach erhöht keinen Eingang in das Basisszenario finden. Die und sich damit der Abstand zu den USA, Japan zentralen Annahmen in Kürze: und dem EU-Durchschnitt weiter vergrößert. • Weltwirtschaftlich wird im langfristigen Durch- • Wirtschaftspolitisch gilt für die exogen gesetz- schnitt des Prognosezeitraums 2009 –2020 ein ten Variablen, vor allem Steuersätze- und Wachstum des Welthandelvolumens in Höhe -formeln, der „Status quo“ von Oktober 2008. von 4,0 Prozent pro Jahr angenommen. Für Durch deren Beibehaltung bauen sich im Ba- „Euroland“ ohne Deutschland wird ein Wachs- sisszenario Überschüsse im Staatshaushalt auf tum von nur etwa 2,1 Prozent prognostiziert. und die Staatsverschuldung sinkt deutlich, Die Entwicklung des deutschen Exportvolu- was in der Realität wahrscheinlich durch Steu- mens hängt in wachsendem Maße von der ersenkungen und/oder Ausgabensteigerungen Positionierung deutscher Unternehmen auf verhindert würde. Öffentliche Investitionen den Nicht-OECD-Märkten ab. Der Rohölpreis und Beschäftigung folgen ihren langfristigen steigt infolge fundamentaler Verknappung Vergangenheitstrends. Die Sozialversicherungs- langfristig auf über 90 Dollar je Barrel. Der ak- sätze passen sich entsprechend der prognosti- tuell zu beobachtende Ölpreisverfall ist als kri- zierten Veränderung der Finanzierungsbedin- senbedingte Sonderentwicklung zu betrachten. gungen der gesetzlichen Sozialversicherungen Der Leitzins der EZB ergibt sich modellendo- modellendogen bestimmt an. gen aus einer modifizierten Taylor-Regel2 und 2 Der Taylor-Zins variiert mit der Höhe der „Output Lücke“, also der Differenz aus tatsächlicher und potenzialorientierter Wachstumsrate des realen Bruttoinlandsproduktes, und der Differenz zwischen der Höhe der aktuellen und der von der Zentralbank angestrebten Infla- tionsrate (i.d.R. 2%). 5
WISO Diskurs Friedrich-Ebert-Stiftung Auf dieses Basisszenario werden insgesamt vier- und geförderten Vorschulkinder in Deutsch- zehn „Politikmodule“ aufgesetzt, die mögliche land deutlich unterdurchschnittlich. Die Ver- Maßnahmen auf verschiedenen wirtschafts- und sorgung der Altersgruppe der unter dreijähri- sozialpolitisch relevanten Politikfeldern beschrei- gen Kinder mit Kindertageseinrichtungsplät- ben. Die Module wurden in drei aufeinander auf- zen und Kindertagespflegeplätzen liegt bei- bauende Szenarien spielsweise derzeit auf einem Niveau von etwa • Szenario A: Wachstum durch Förderung des 14 v. H. Dies ist insbesondere auch deshalb Humanvermögens (Module I-V) problematisch, weil weit über 30 v. H. der Kin- • Szenario B: Szenario A plus Verbesserung der der im Vorschulalter einen Migrationshinter- Einkommensverteilung (Module I-X) grund im weiteren Sinne aufweisen – und da- • Szenario C: Szenario B plus Stabilisierung der mit in der Regel einen fehlenden oder einge- Nachfrage (Module I-XIV) schränkten Spracherwerb der späteren Unter- integriert und für den Zeitraum von 2009–2020 richtssprache Deutsch in der Familie. mit dem makroökonometrischen Deutschland- Vorgesehen ist daher die schrittweise Erhö- modell LAPROSIM simuliert. Im Folgenden wer- hung der öffentlichen Beschäftigung, insbeson- den die z. T. komplexen einzelnen Teilszenarien, dere im Bereich der frühkindlichen Erziehung, auf die „Essenz“ der von ihrer Umsetzung be- um 246.000 Personen und ein unentgeltlicher rührten gesamtwirtschaftlichen und bildungs- Zugang zu Kindertageseinrichtungen. Kernziel- ökonomischen Größen reduziert, skizziert: setzung ist die beschleunigte Erreichung einer Vollversorgung mit Tageseinrichtungsplätzen im Bereich der Kinder ab drei Jahren und von 2.1 Höheres Wachstum durch Förderung 35 v. H. bei den Kindern unter drei Jahren bei des Humanvermögens gleichzeitiger Verbesserung des Personalschlüs- sels. Das Szenario A enthält jene Module des Gesamt- szenarios, welche geeignet sind, die Steigung des • Modul II – Allgemeine und berufliche Erstaus- Wachstumspfades durch Erhöhung des Ausbil- bildung: dungsstandes der Bevölkerung und Verbesserung Der Akademikeranteil Deutschlands in den das der infrastrukturellen Basis mittel- und langfristig Erwerbspersonenpotenzial umfassenden Alters- zu erhöhen. Hierbei handelt es sich um Kom- gruppen fällt im internationalen Vergleich im- ponenten einer expansiven Bildungs- und Infra- mer weiter zurück. Insbesondere hinsichtlich strukturpolitik: der Durchlässigkeit des Sekundärbereichs hin zum tertiären Hochschulbereich unterscheidet • Modul I – Familienpolitik, Migrantenförderung, sich das deutsche Bildungssystem von den frühkindliche Erziehung (ISCED 0)3: meisten Bildungssystemen der nicht deutsch- Die langfristig notwendige Erhöhung des Aus- sprachigen Länder. Der Anteil von Hochschul- bildungsstandes der Bevölkerung sollte bereits zugangsberechtigten in den Eintrittsjahrgän- auf einer guten frühkindlichen Erziehung und gen auf dem Arbeitsmarkt von zur Zeit etwa Bildung aufbauen können, insbesondere bei 43 v. H. in Deutschland müsste fast verdoppelt Kindern mit Migrationshintergrund. Die Reali- werden, um Werte wie in Schweden oder Finn- tät in Deutschland sieht derzeit jedoch anders land zu erreichen. Vor dem Hintergrund der aus: Im Vergleich der OECD-Länder ist der An- demographisch bedingt schwachen Nachwuchs- teil der in Kindertageseinrichtungen betreuten kohorten einerseits und dem allmählichen 3 ISCED: International Standard Classification of Education, UNESCO-Standard zur Klassifizierung und Charakterisierung von Schultypen und Schulsystemen. 6
Wirtschafts- und Sozialpolitik WISO Diskurs Ausscheiden starker, relativ gut ausgebildeter • Modul IV – Arbeitszeitkomponente des Weiter- älterer Jahrgänge der „Babyboomer-Generation“ bildungskonzepts: andererseits, erscheint es als unabdingbar, das Um die Partizipationsbereitschaft bisher wei- Bildungspotenzial der nachwachsenden Gene- terbildungsabstinenter Erwerbspersonen zu ration so effizient wie möglich auszuschöpfen, fördern, gilt es sicherzustellen, dass die Teil- um den wachsenden Bedarf an wissenschaft- nahme an Weiterbildungsmaßnahmen auch lich ausgebildeten Arbeitskräften bestmöglich in der unmittelbaren Ausbildungsphase für die zu decken. Partizipanten grundsätzlich nicht mit finan- Der Anteil der Hochschulzugangsberechtigten ziellen und zeitlichen Nachteilen verbunden an den Abgangsjahrgängen wird dazu schritt- ist. Die Möglichkeit, Weiterbildungszeit grund- weise deutlich erhöht, damit langfristig hin- sätzlich auf die vertraglich vereinbarte Arbeits- sichtlich des Akademisierungsgrades der deut- zeit anrechnen zu können, verhindert eine schen Erwerbsbevölkerung wieder Anschluss Einschränkung der frei disponiblen Zeit der an die internationale Entwicklung gefunden Teilnehmer und unterstützt so die Partizipa- werden kann. Zu diesem Zweck wird das Per- tionsbereitschaft. sonal im Bildungssektor gegenüber dem Basis- Um die Akzeptanz von zeitlichem Weiterbil- pfad schrittweise um 365.000 Personen bzw. dungsaufwand zu erhöhen, wird das Modul ein gutes Drittel erhöht. „Berufliche Weiterbildung“ durch eine „zweck- gebundene“ Verkürzung der unmittelbar pro- • Modul III – Berufliche Weiterbildung: duktiven Arbeitszeit im Umfang von 92 Stun- Sowohl die Quote der Unternehmen, die in- den pro Jahr und Vollzeitbeschäftigten flan- nerbetriebliche berufliche Weiterbildung an- kiert. bieten, als auch die Partizipationsrate der Be- schäftigten an derartigen Angeboten sind in • Modul V – Infrastruktursanierungs- und Aus- Deutschland im europäischen Vergleich bes- weitungskomponente: tenfalls im Mittelfeld und deutlich unterhalb Der Anteil der öffentlichen Investitionen am von Ländern wie Schweden und Frankreich BIP ist seit 1991 von 2,7 v. H. auf 1,4 v. H. in angesiedelt. Zudem sind beide Größen von 2007 gesunken. Die Quote liegt damit seit Jah- 1999 bis 2005 gesunken. Im Bereich der Wei- ren deutlich unterhalb des durchschnittlichen terbildung tritt außerdem in starkem Maße der Niveaus sowohl der EU als auch der USA. Der „Matthäus-Effekt“ auf: Akademisch ausgebil- reale Pro-Kopf-Bestand an öffentlicher Infra- dete Menschen im Erwerbsalter nehmen Wei- struktur in Deutschland innerhalb eines Panels terbildungsangebote etwa viermal so häufig von 22 OECD-Ländern lag 1980 noch um wahr wie Ungelernte, die Partizipationsquote 29,9 v. H. über dem (ungewichteten) Durch- liegt bei Akademikern bei 42 v. H. zu 11 v. H. schnitt; im Jahr 2000 wurde der Durchschnitt bei Ungelernten. hingegen um -2,4 v. H. verfehlt. Allein für den Die Partizipationsquoten der Erwerbsfähigen kommunalen Bereich, der für etwa 60 v. H. der an Weiterbildungsangeboten werden im Mo- öffentlichen Investitionen steht, bestand im dul durch geeignete Maßnahmen deutlich er- Jahr 2005 ein investiver Nachholbedarf in Hö- höht. Zugleich werden die Angebote zum he von rund 70 Mrd. € (in Preisen von 2000). nachholenden oder zusätzlichen Erwerb von Aus dieser Entwicklung entstehen sowohl an- Berufs- und Hochschulabschlüssen erheblich gebots- wie auch nachfrageseitig beachtliche ausgeweitet. In diesem Kontext wird die Zahl Probleme. Ökonometrische Untersuchungen der Weiterbildner im Staatsdienst und bei pri- bestätigen die positiven Wachstumseffekte öf- vaten Trägern schrittweise um 300.000 Per- fentlicher Infrastrukturinvestitionen. Im Um- sonen erhöht. kehrschluss dämpfen unterlassene notwendige 7
WISO Diskurs Friedrich-Ebert-Stiftung Infrastrukturinvestitionen das Wachstum. Da- Angelehnt an das schwedische Muster werden her wird eine schrittweise Anhebung des Ni- die quasi ehrenamtlichen Dienstleistungen veaus der öffentlichen Infrastrukturinvestiti- von Angehörigen im Bereich der reinen „Pfle- onen um 40 Mrd. € vorgesehen, um die Bil- gegeldfälle“ schrittweise durch 300.000 profes- dungsinitiative zu flankieren und aufgelaufene sionalisierte Pflegekräfte unterstützt bzw. er- Infrastrukturdefizite zu beseitigen. setzt. • Modul VII – Einkommenssteuertarif, angelehnt 2.2 Verbesserung der an das ver.di-Konzept „Steuergerechtigkeit”: Einkommensverteilung Der geltende Einkommensteuertarif nach § 32a des Einkommensteuergesetzes weist eine rela- Szenario B schließt das Szenario A ein und enthält tiv starke Steigung der Grenzsteuersätze in ergänzende sozial- und verteilungspolitische Mo- der unteren Progressionszone und eine deut- dule, welche die aus der Umsetzung des Szenarios lich niedrigere Steigung im Bereich der oberen A zu erwartenden Wachstumsgewinne in verstärk- Progressionszone auf. Durch eine geglättete tem Maße in Einkommens- bzw. Wohlfahrtsge- Funktion lässt sich dagegen gezielt die Steuer- winne der unteren und mittleren Einkommens- belastung von Einkommensschichten, deren gruppen ummünzen. Bezieher im Schnitt durch eine deutlich über- durchschnittliche Konsumquote gekennzeich- • Modul VI – Professionalisierung der ambu- net sind, senken und so die Kaufkraft stärken. lanten Pflege: Es erfolgt also die Beseitigung des „Knicks“ in Im Vergleich mit den nordischen Ländern und der Progressionszone des geltenden Einkom- den Niederlanden ist die häusliche Pflege in mensteuertarifs bei gleichzeitiger Anhebung Deutschland vergleichsweise wenig professio- des Spitzensteuersatzes auf 45 v. H. ab 60.000 € nalisiert: Von den 1,54 Millionen zu Hause ver- Einkommen im Basistarif. sorgten Pflegebedürftigen kamen Ende 2007 nur 504.000 Personen in den Genuss von un- • Modul VIII – Fiskalpolitische „Skandinavien- terstützenden oder ausschließlichen ambu- Komponente“: lanten Pflegedienstleistungen. Die übrigen Im Zuge von zahlreichen Testsimulationen der 1.033.000 Personen erhielten ausschließlich Szenarien stellte sich heraus, dass eine substan- Pflegegeld und wurden in der Regel allein tielle Annäherung an eine personelle Einkom- durch Angehörige gepflegt. mensverteilung des besonders ausgewogenen Dadurch liegt die Quote der Personen, die we- „nordischen“ Typs ohne eine Adaption von gen der Pflege von Angehörigen keine Berufs- Elementen schwedischer bzw. dänischer Fis- tätigkeit aufnehmen können oder sie aufgege- kalpolitik und insbesondere auch Sekundär- ben haben, deutlich höher als in Schweden verteilungspolitik kaum möglich ist. Gegen- (3,8 v. H. , Deutschland: 21,3 v. H.). Außerdem wärtig werden beispielsweise in Deutschland ist der Anteil der familiären Pflegekräfte, die die Leistungen der gesetzlichen Sozialversiche- Arbeit suchen, in Deutschland sehr viel höher rungen im Verhältnis zum Bemessungsein- (Schweden: 3,7 v. H. gegenüber Deutschland kommen überproportional von den Beziehern 14,2 v. H.). Hier eröffnet sich also die Mög- von Lohneinkommen oberhalb der „Midi-Zo- lichkeit, auch direkt über die berufliche Quali- ne“ und unterhalb des Einsetzens der Beitrag- fizierung von pflegenden Angehörigen perso- bemessungsgrenzen finanziert. Der volle ag- nelle Ressourcen für eine professionellere Pfle- gregierte Sozialversicherungssatz von rund gekultur zu heben und damit zugleich die 40 v. H. wird nur für diese Beschäftigtengruppe Erwerbsquote zu erhöhen. fällig. Das Niveau der Lohnersatzleistungen 8
Wirtschafts- und Sozialpolitik WISO Diskurs dagegen liegt in Deutschland sowohl unmit- • Modul X – Kooperative Lohnpolitik gemäß der telbar nach Eintritt der Arbeitslosigkeit als „Bofinger-Regel“ ab 2016: auch bei Dauerarbeitslosigkeit relativ zum vor Seit Mitte der 90er Jahre entwickeln sich die der Arbeitslosigkeit erzielten Einkommen er- deutschen Lohnstückkosten deutlich schwä- heblich unter den Niveaus von Schweden und cher als diejenigen fast aller übrigen OECD- Dänemark. Hohe Einkommen und Vermögen Länder. In dieser Entwicklung kommt vor werden im Vergleich zu den skandinavischen allem eine vergleichsweise schwache Lohnent- Ländern in Deutschland vergleichsweise mo- wicklung zum Ausdruck. Dadurch jedoch derat besteuert. konnten sich die extremen außenwirtschaft- Dieses Modul enthält daher einige, die vertei- lichen Ungleichgewichte, insbesondere inner- lungspolitische Zielsetzung flankierende „An- halb der Euro-Zone, aufbauen, die nun in der näherungen“ an Elemente schwedischer und Krise die Kohäsion der Währungsunion auf dänischer Fiskalpolitik: Die Zuschüsse des Bun- eine schwere Probe stellen. des zur gesetzlichen Rentenversicherung wer- Im Basisszenario wird implizit ein im wesent- den schrittweise auf das Zweieinhalbfache des lichen durch die Verhandlungsmacht der Tarif- Niveaus des Basisszenarios angehoben. Zu- parteien determinierter, endogener Lohnbil- sätzlich wird eine einmalige Niveauanhebung dungsprozess angenommen, der zentral von der Lohnersatzleistungen bei Arbeitslosigkeit der Arbeitslosenquote beeinflusst wird. In die- um durchschnittlich 20 v. H. beim ALG II und sem Modul wird alternativ ein von Peter Bo- beim Sozialgeld sowie um 15 v. H. beim ALG I finger vorgeschlagener „korporatistischer“, in vorgenommen. Die effektive Steuerbelastung der Tradition der „Meinhold-Formel“ stehen- von privaten Zinserträgen und sonstigen pri- der Ansatz angewendet. vaten Kapitaleinkünften wird verdoppelt. Idealtypisch führen Lohnerhöhungen gemäß diesem regelgebundenen Ansatz aus der Sicht • Modul IX – Einführung eines allgemeinver- der Lohnabhängigen zu einer Beteiligung am bindlichen gesetzlichen Mindestlohnes: realen Produktivitätsfortschritt unter gleich- In Deutschland ist „Armut trotz Arbeit“ selbst zeitigem Ausgleich der Konsumentenpreisin- für Vollzeitbeschäftigte weiterhin ein großes flationsrate und aus der Sicht der Unterneh- und wachsendes gesellschaftspolitisches Pro- men zu einem an langfristiger realer Kosten- blem. In Deutschland arbeiten mittlerweile niveau- und Verteilungsneutralität orientier- allein 2,7 Millionen Vollzeitbeschäftigte für ten Lohnbildungsprozess. einen Nettolohn unterhalb der Pfändungs- In Abwandlung der „Meinhold-Formel“ ergibt freigrenze für Alleinstehende. Etwa 6,9 Millio- sich nach der „Bofinger-Regel“ die regelgebun- nen Voll- und Teilzeitbeschäftigte erhalten dene Richtschnur für die jährliche Lohnan- einen Stundenlohn, der die Niedriglohn- passung als Summe aus dem nationalen Pro- schwelle von 66 v. H. des Medianeinkommens duktivitätszuwachs und der Zielinflationsrate unterschreitet. der EZB von etwa zwei Prozent. Um dem entgegenzuwirken, wird in diesem Modul ein Mindestlohn von 7,50 € in 2009 eingeführt, mit einer schrittweisen Erhöhung 2.3 Sicherung der Nachfrage auf 9,00 € bis Mitte 2010, gefolgt von einer anschließenden Anpassung gemäß der Preis- Szenario C schließt das Szenario B ein und enthält steigerungsrate (Indexierung). zusätzlich, vor dem Hintergrund der laufenden Weltwirtschaftskrise, Maßnahmen gegen Firmen- konkurse infolge der entstandenen außerordent- lichen Verhältnisse im Bankensektor und zusätz- 9
WISO Diskurs Friedrich-Ebert-Stiftung liche Investitionen zwecks Erhöhung der Ener- Betrag der geförderten Investitionen erhöht gieeffizienz. Hinzu kommen flankierende Maß- sich gegenüber dem Stand von 2007 bis 2020 nahmen, welche die Effekte der unter A und B etwa um das 3,5-fache. Damit erhöht sich die bezeichneten Politiken durch internationale Anzahl der sanierten Wohneinheiten von Koordination ergänzen. 89.000 in 2007 schrittweise auf etwa 315.000 in 2020. Die Wirtschaftsbauinvestitionen wer- • Modul XI – Gegensteuerung „Kreditklemme“: den im Schnitt des Simulationszeitraumes um Staatsbürgschaften für kleine und mittlere 1,1 Mrd. € in Preisen von 1995 erhöht. Hierbei Betriebe: handelt es sich vor allem um zusätzliche Kraft- In diesem (als experimentell anzusehenden) werke im Bereich der erneuerbaren Energien. Teilszenario sichert der Staat Kreditbedarfe Im Gegenzug vermindert sich die Näherungs- substantiell gesunder Unternehmen über variable für den Primärenergieeinsatz je realer Staatsbürgschaften, welche unter den Sonder- BIP-Einheit bis 2020 um 3,9 v. H. bedingungen der schweren Finanzmarktkrise Probleme haben, überlebensnotwendige kurz- • Modul XIII – flankierende fiskalpolitische Ex- und mittelfristige, aber auch zwecks Finanzie- pansion in der übrigen EU: rung strategischer Investitionen notwendige Eine isolierte nationale fiskalische Expansion langfristige Kredite einzuwerben. Über eine ist im Regelfall mit einem Nettoabfluss von jährliche Ausweitung des Bürgschaftsvolumens Nachfrage in das Ausland verbunden. Zwar um 50 Mrd. € nominal sichert der Staat jeweils entstehen auch in diesem Fall Feedbackeffekte, einen Betrag in Höhe von etwa 2 v. H. des mit- durch die dann auch wieder eine leicht ver- tel- und langfristigen Kreditbestandes von stärkte Nachfrage nach deutschen Exporten zu Privaten und Unternehmen bei inländischen verzeichnen ist. Durch eine simultane fis- Banken zusätzlich ab und unterstützt dadurch kalische Expansion in den Ländern der euro- eine potenzialorientierte Kreditausweitung. päischen Union lassen sich die wechselseitig entstehenden Binnennachfrageeffekte jedoch • Modul XII – Verstärktes Energie- und Klima- merklich erhöhen. paket: In diesem Teilszenario wird die Binnennach- Der Klimaschutz ist mittlerweile allgemein als frage im in LAPROSIM integrierten „Nutshell- ein Bereich anerkannt, in dem ein hoher Be- Modell“ für die EU-Regionen „Euroland ohne darf an langfristigen Investitionen besteht, um Deutschland“ und „Übrige EU“ exogen um zum einen die Energieeffizienz zu steigern, durchschnittlich jeweils 0,75 v. H. pro Jahr ge- zum anderen den Anteil erneuerbarer und da- genüber dem Basisszenario erhöht. Daraus re- mit klimaneutraler Energieträger zu erhöhen. sultiert ein im Schnitt etwa 0,6 v. H. stärkeres An diesem Prozess eines energetischen Um- zusätzliches reales BIP-Wachstum in diesen baus sind viele Akteure auch finanziell zu be- Regionen. teiligen, die öffentliche Hand könnte aber weit stärker, als dies bisher geschieht bzw. in Pla- • Modul XIV – Wachstumsunterstützende Zins- nung ist, eine Vorreiterrolle einnehmen bzw. politik der EZB: private Investitionen stimulieren. Aus keynesianischer Perspektive wird als Folge Die Wohnbauinvestitionen werden daher ge- einer Senkung der kurzfristigen Notenbank- genüber dem Basisszenario schrittweise von leitzinsen aufgrund verminderter Refinanzie- 2,4 Mrd. € in Preisen von 1995 in 2009 auf rungskosten der Geschäftsbanken im Regelfall 6,8 Mrd. € in 2020 erhöht. Es handelt sich bei eine Absenkung des Niveaus der gesamten diesen Investitionen um von der KfW geför- Zinskurve erwartet. Dadurch verbilligen sich derte zusätzliche Maßnahmen zur Erhöhung mittel- und langfristige Investitionskredite, der Energieeffizienz von Wohngebäuden. Der aber auch Konsumentenkredite. In der Folge 10
Wirtschafts- und Sozialpolitik WISO Diskurs einer Leitzinssenkung kann daher von einer der EZB seit Übernahme der zinspolitischen Erhöhung der Nachfrage und daraus abgeleitet Verantwortung modellendogen ableitende von realen Output- und Beschäftigungseffek- Leitzinssatz („modifizierte Taylor-Regel“) wird ten ausgegangen werden. im Simulationszeitraum in diesem Modul um Der sich im „Default-Fall“ aus dem beobacht- jeweils einen Prozentpunkt abgesenkt. baren „regelhaften“ zinspolitischen Verhalten 11
WISO Diskurs Friedrich-Ebert-Stiftung 3. Die Hauptergebnisse der Szenarien Der für das Basisszenario prognostizierte Wachs- beitsplätze“ im weiteren Sinne untergräbt die tumspfad des realen Bruttoinlandprodukts weist, Verhandlungsmacht der Lohnabhängigen und auch ohne Berücksichtigung der sich in den letz- ihrer Gewerkschaften. Daher vermindert sich ten Monaten abzeichnenden schweren Weltwirt- im Referenzszenario die Lohnquote weiter. schaftskrise, mit etwa 1,2 v. H. im Schnitt des Si- Aber auch die an die Lohnentwicklung gekop- mulationszeitraumes 2009/20 nur eine schwache pel-ten Transfereinkommen, insbesondere die Steigung auf (vgl. Übersicht und Schaubild 1). Renten, entwickeln sich in der Folge schwach, Dafür sind vor allem folgende angebots- und so dass auch die personale Einkommensver- nachfrageseitig wirksame Faktoren ursächlich: teilung insgesamt sich weiter zu Lasten der un- teren Einkommensgruppen entwickelt. • Das durchschnittliche Ausbildungskapital pro • Die vergleichsweise schwache Einkommens- Erwerbsfähigem steigt im Basisszenario nur entwicklung der durch überdurchschnittliche schwach an. Verknüpft mit der infolge des Konsumquoten gekennzeichneten unteren schwachen Wachstums sinkenden Erwerbstä- Einkommensgruppen führt zu einer Dämp- tigenzahl sinkt das gesamte im Produktions- fung der Entwicklung der Binnennachfrage, prozess eingesetzte Ausbildungskapital sogar insbesondere des privaten Konsums. deutlich ab. Innovationsfähigkeit und in der Aus der Kombination von schwacher Wirtschafts- Folge Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit entwicklung, sinkender Beschäftigung und sin- der Gesellschaft werden dadurch vermindert. kendem Beschäftigungsgrad sowie zugleich ab- • Die Relation von öffentlichem Infrastruktur- nehmendem Anteil der Beschäftigten, deren Ein- kapitalstock und Unternehmenskapitalstock kommen die Nettozahlung von Steuern- und vermindert sich weiter. Damit vermehrt sich Sozialabgaben ermöglicht, erwachsen sowohl die Wahrscheinlichkeit des Auftretens infra- einnahme- wie ausgabeseitig Probleme für die struktureller „Flaschenhälse“. Dies senkt die Finanzierungsverhältnisse sowohl der Gebiets- Entwicklung der Produktivität sowohl unmit- körperschaften als auch der Sozialkassen: telbar als auch mittelbar durch Verschlechte- • Die prognostizierte schwache Beschäftigungs- rung der Standortqualität und die infolgedes- entwicklung und ihre Struktur dämpft den Zu- sen in Deutschland unterlassenen Unterneh- wachs der staatlichen Einnahmen. Zusätzlich mensinvestitionen. wirkt bei gegebenem Einkommenssteuertarif • Die schwache Wachstumsentwicklung führt infolge der geringen Lohnzuwächse der Effekt trotz des demographisch bedingt leicht sin- der „kalten Progression“ nur mäßig. Zwar ist kenden Erwerbspersonenpotenzials zu einem realistischerweise zu erwarten, dass die Politik leichten Absinken des Beschäftigungsgrades. Steuersenkungen durchführen wird, auf Spe- Zugleich sinkt die Quote der sozialversiche- kulationen über deren Höhe wurde jedoch im rungspflichtigen Arbeitsverhältnisse an allen Modell verzichtet und stattdessen der steuer- Arbeitsverhältnissen, während der Anteil der tarifliche Status quo beibehalten. Dadurch baut ausschließlich geringfügig Beschäftigten steigt. sich im Simulationszeitraum ein Überschuss Der sinkende Beschäftigungsgrad unter gleich- im Staatshaushalt auf und die Staatsverschul- zeitiger Abnahme des Anteils der „guten Ar- dung sinkt deutlich. 12
Wirtschafts- und Sozialpolitik WISO Diskurs • Ausgabenseitig entsteht zusätzlicher Aufwand nicht aus, um ein langfristiges leichtes An- für Arbeitslose und ihre Angehörigen sowie für steigen des aggregierten Sozialversicherungs- „Aufstocker“, deren Erwerbseinkünfte nicht satzes zu verhindern. zur Bestreitung des Lebensunterhaltes ausrei- Die folgende Tabelle gibt eine Übersicht über die chen. Eine gewisse Kompensation ergibt sich Entwicklung von elf wirtschafts- und sozialpoli- zwar insbesondere aufgrund der schwachen tischen Schlüsselgrößen im Durchschnitt des Rentenentwicklung. Dieser Effekt reicht jedoch Simulationszeitraums für das Basisszenario und für die alternativen Szenarien. Übersichtstabelle: Elf Kernvariablen: Durchschnittswerte im Simulationszeitraum 2009 – 2020 Basisszenario Szenario A Szenario B Szenario C Wachstum des realen BIP 1,17 1,76 1,98 2,02 Erwerbstätigenzahl, Wachstum -0,63 -0,09 +0,31 +0,35 (Nachrichtlich: Erwerbspersonenpotenzial) (-0,26) (-0,26) (-0,26) (-0,26) Erwerbstätigenproduktivität, 1,91 1,84 1,66 1,67 Wachstum Stundenproduktivität, AN im 2,24 2,87 3,82 4,04 Unternehmenssektor, Wachstum Stunden je Beschäftigten, -0,06 -0,55 -1,58 -1,77 Wachstum Arbeitslosenquote, Prozent 8,5 4,3 2,6 2,3 Konsumentenpreisinflationsrate, 1,45 2,57 2,55 2,49 Prozent Nettoexportquote, Prozent 9,9 8,6 8,4 8,0 Verteilungsindex 63,3 68,7 77,9 80,1 (Skalierter Herfindahl 0: USA 2004 100: Schweden 1981) Aggregierter 40,6 36,5 34,0 33,7 Sozialversicherungssatz, Prozent Staatliche Defizitquote, 2,78 2,11 3,05 3,20 Prozent (Negatives Vorzeichen: Defizit) 13
WISO Diskurs Friedrich-Ebert-Stiftung 3.1 Wachstum und Beschäftigung nischen Fortschritts in die gesamtwirtschaft- liche Produktionsfunktion. Dieser Diffusions- Die im Szenario A enthaltenen Module I bis V set- prozess materialisiert sich im Modellkontext zen vor allem an den angebotsseitig wirksamen über ein höheres „konjunkturautonomes“ In- Faktoren Ausbildungskapital und Infrastruktur- vestitionsniveau des Unternehmenssektors. kapital an. Der Staat tritt hier als „gesamtgesell- • Zusätzlich wird auch die Exportfähigkeit infol- schaftlicher Unternehmer“ auf, der gezielt in Be- ge der erhöhten gesellschaftlichen Fähigkeit reiche mit mittel- bis langfristig hoher gesamt- zur Hervorbringung innovativer Produkte ver- wirtschaftlicher Rentabilität investiert. bessert. Die Umsetzung der Komponenten des Szena- • Auch die Ausweitung des Infrastrukturkapital- rios A entfaltet simultan sowohl über die Nach- stocks steht über die Verbesserung der Renta- frage- als auch über die Angebotsseite wirkende bilität bestehender und geplanter Unterneh- Effekte: mensinvestitionen in komplementärer Bezie- • Zum einen ist die Umsetzung des Szenarios hung zum Unternehmenssektor: Die im Rah- unmittelbar mit einer erheblich steigenden men dieses Szenarios generierte deutliche staatlichen Nachfrage nach Investitions- und Verbesserung der Relation von öffentlichem Verbrauchsgütern sowie einer deutlichen Erhö- zu privatem Unternehmenskapitalstock („ge- hung der öffentlichen Beschäftigung und der samtwirtschaftlicher Standortindikator“) regt damit verbundenen staatlichen Lohnsumme das Investitionsniveau zusätzlich an. verknüpft. Diese staatliche Nachfrageauswei- Die ineinander greifenden angebots- und nach- tung trifft auf das potenzielle Angebot des Un- frageseitigen Effekte generieren im Schnitt des Si- ternehmenssektors und erzeugt über den im mulationszeitraumes ein zusätzliches Wirtschafts- Kontext des Modells enthaltenen üblichen wachstum in Höhe von etwa 0,6 Prozent pro Jahr „keynesianischen“ Akzelerator-Multiplikator- (vgl. Übersicht), welches sich in einem substan- Prozess4 zusätzlich Wachstum, Beschäftigung, tiell höheren Niveau des realen BIP niederschlägt Einkommen und Investitionen im nichtstaat- (Schaubild 1). lichen Sektor. Die Stundenproduktivität wächst infolge der • Zusätzlich wirken im Modell mittel- und lang- mittel- und unmittelbaren Produktivitätseffekte fristig verstärkt die Effekte der mit der Realisie- der getätigten Ausbildungs- und Infrastrukturin- rung der öffentlichen Investitionsprojekte in vestitionen ebenfalls um etwa 0,6 Prozent jähr- Ausbildungs- und Infrastrukturkapital verbun- lich an. Da jedoch die Weiterbildungskomponen- denen Verbesserungen der Angebotsbedingun- te mit einer „zweckgebundenen“ Verkürzung der gen: Ein größerer Bestand an Ausbildungska- unmittelbar produktiven vereinbarten Arbeits- pital steht in komplementärer Beziehung zur zeit um 92 Jahresarbeitstunden bzw. 2 Wochen- Anwendung fortgeschrittener Technologien. arbeitsstunden je Vollzeitbeschäftigten verknüpft Daher beschleunigt ein höheres Ausbildungs- wurde, sinkt die Erwerbstätigenproduktivität um niveau in der Tendenz die Diffusion des tech- durchschnittlich etwa 0,1 Prozent und Jahr. 4 „Akzelerator“ bezeichnet die Förderung des Investitionsvolumens durch den Anstieg der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage, „Multi- plikator“ den Faktor, der angibt, in welchem Umfang sich ein ursprünglicher wirtschaftlicher Impuls – hier: die staatliche Nachfrage- ausweitung – auf eine zu erklärende Größe – hier: Wachstum in nichtstaatlichen Sektoren – auswirkt. 14
Wirtschafts- und Sozialpolitik WISO Diskurs Schaubild 1: Bruttoinlandsprodukt 2900 F H F H 2800 F J F Szenario C F H J 2700 F H J F J F F H J 2600 H HJ F H J B B H Szenario B H J B in Mrd € 2500 F B H J B 2400 J B F H B B J Szenario A 2300 FF J B J B 2200 B FJ B B 2100 B Basis 2000 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 Bruttoinlandsprodukt absolut in Mrd €, in Preisen von 1995 Quelle: KBE – Klaus Bartsch Econometrics Schaubild 2: Erwerbstätige 45.000 F F F F Szenario C 43.000 F H H H F H H F J J H FH F FH J J J H HF F H 41.000 FH J J H Szenario B J J FB H J J J in TSD B J B B B B B 39.000 B B J Szenario A B B B B 37.000 B Basis 35.000 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 Zahl der Erwerbstätigen in Tausend Quelle: KBE – Klaus Bartsch Econometrics Im Ergebnis wird das Beschäftigungsniveau ge- Senkung der Zahl der Arbeitslosen um bis zu 2,1 genüber dem Basispfad im Maximum um knapp Millionen (Schaubild 3). Ein Teil der zusätzlichen 2,9 Millionen Personen erhöht (Schaubild 2). Beschäftigung rekrutiert sich aus der „Stillen Re- Diese Entwicklung spiegelt sich wider in einer serve“. 15
WISO Diskurs Friedrich-Ebert-Stiftung Nicht nur das Niveau der Beschäftigung steigt er- lich ab (Schaubild 5). Die Politiken des Szenarios heblich, auch die Struktur der Beschäftigungsver- A gehen also konform mit der Zielsetzung der Er- hältnisse verbessert sich qualitativ. Während die höhung des Anteils der „guten Arbeitsplätze“ an Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäf- der Gesamtbeschäftigung (in der weiten begriff- tigten stark steigt (Schaubild 4), nimmt die Zahl lichen Fassung als sozialversicherungstechnisch der ausschließlich geringfügig Beschäftigten deut- abgesicherte Beschäftigungsverhältnisse). Schaubild 3: Arbeitslose 4.000 B B B B B B B 3.500 B B B B B B Basis BFJ H 3.000 J FH 2.500 J J Szenario A in TSD 2.000 FH J J J J J H 1.500 H J J J J Szenario B F J 1.000 H F H H H H H F F H H H 500 F F F F F F Szenario C F 0 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 Zahl der registrierten Arbeitslosen in Tausend Quelle: KBE – Klaus Bartsch Econometrics Schaubild 4: Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte 33.000 F F 32.000 F H H F F Szenario C H H F F H FH 31.000 H F H J J J F H H J F 30.000 F H J J J H Szenario B FH J J in TSD 29.000 J FJB H J B J 28.000 B B B B J Szenario A 27.000 B B 26.000 B B B 25.000 B B Basis B 24.000 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 Quelle: KBE – Klaus Bartsch Econometrics 16
Wirtschafts- und Sozialpolitik WISO Diskurs Schaubild 5: Geringfügig Beschäftigte 6.500 B Basis 6.000 B B B B B B B B 5.500 B B H BJ BH J B J Szenario A HJF in TSD 5.000 H J F J H FH Szenario B 4.500 J J J J J J FH J FH F H 4.000 H FH F H H F H F F H Szenario C 3.500 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 Quelle: KBE – Klaus Bartsch Econometrics 3.2 Verteilung, öffentliche Finanzen und zung von – im Vergleich zum Basisszenario – Außenhandel deutlich höheren Lohnzuwächsen. In der Folge verändert sich die funktionale Primärverteilung Die insgesamt deutlich verbesserte Beschäfti- zugunsten der Arbeitnehmereinkommen (Schau- gungssituation stärkt die Verhandlungsmacht der bild 6). Steigende Löhne in Verbindung mit stei- Gewerkschaften und ermöglicht die Durchset- genden an die Lohnentwicklung gekoppelten Schaubild 6: Lohnquote 72% H H F H F F Szenario C 70% F H F H F J J J H F J J FH J FH J 68% FH J H F FH H Szenario B J FJ B H HF J JB J 66% B J Szenario A 64% B B B 62% B B B B Basis B B B B 60% 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 Quelle: KBE – Klaus Bartsch Econometrics 17
WISO Diskurs Friedrich-Ebert-Stiftung Schaubild 7: Verteilung (Herfindahlindex, normiert und skaliert) 95 F 90 F F Szenario C F F 85 F H H F H H 80 F H H H Szenario B F H 75 F H FJ H H FJ H FH H JJF 70 B J J B J J J J J J J J B J Szenario A 65 B B B 60 B B B B 55 B B Basis 50 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 Normierter Herfindahlindex mit 0 = USA 2004 – bis 100 = Schweden 1981 Quelle: KBE – Klaus Bartsch Econometrics Sozialtransfers führen zugleich zu einer erheb- bzw. 60,9 Mrd. € aufgewendet. Allerdings ent- lichen Verbesserung der Verteilungsposition der stehen gleichzeitig auch erhebliche Mehrein- unteren Einkommensquintile. Dies kommt in nahmen, insbesondere aufgrund des starken Be- einer deutlichen Verbesserung des Verteilungsin- schäftigungsanstieges, der Erhöhung des Anteils dexes (skalierter Herfindahlindex) zum Ausdruck steuerlich ergiebiger Beschäftigungsverhältnisse (Schaubild 7). und der deutlich steigenden Löhne bei unverän- Da die Politiken des Szenarios A mit erheb- dertem Einkommensteuertarif und damit relativ lichen Stundenproduktivitätszuwächsen verbun- hoher „kalter Progression“. den sind, fällt der insbesondere durch steigende Obwohl im „Default-Fall“ ohnehin bei den Lohnkosten bedingte Anstieg der Konsumenten- gesetzlichen Sozialversicherungen eventuell ent- preisinflationsrate gegenüber der Basislösung im stehende Finanzierungsüberschüsse zeitnah über Schnitt des Simulationszeitraumes mit rund Beitragssatzsenkungen an die Versicherten und einem Prozentpunkt und einem Schnitt von ins- die Unternehmen weitergegeben werden (Schau- gesamt 2,6 Prozent relativ moderat aus (vgl. Über- bild 9), finanziert sich die Bildungs- und Infra- sicht und Schaubild 8). strukturoffensive aufgrund der induzierten Mit der investiven Fiskalpolitik des Szenarios Wachstums- und Beschäftigungseffekte mittel- A sind brutto erhebliche Mehrausgaben verbun- und langfristig weitgehend selbst. Die staatliche den; allein in den Jahren 2009 und 2010 werden Defizitquote bzw. besser Quote des staatlichen vom Gesamtstaat brutto zusätzlich 39,1 Mrd. € Haushaltssaldos zum BIP verändert sich insgesamt 18
Wirtschafts- und Sozialpolitik WISO Diskurs Schaubild 8: Inflationsrate (Konsumentenpreise) 4,0% F Szenario C 3,5% F H F F H H J J F H J 3,0% J H HF J Szenario B FH J 2,5% J J J H JF H F J Szenario A 2,0% H FH F H J HJ B B 1,5% F B B B B B B BF B B B Basis BJF H B 1,0% 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 Quelle: KBE – Klaus Bartsch Econometrics Schaubild 9: Aggregierter Sozialversicherungssatz 44% B B Basis 42% B B B B B B 40% B B B B J Szenario A B BJFJ J 38% HF J J J J H H F J J Szenario B 36% J J J J J H F 34% H HF F Szenario C F H H H FH H F HF H F F 32% F F 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 Quelle: KBE – Klaus Bartsch Econometrics 19
WISO Diskurs Friedrich-Ebert-Stiftung nur geringfügig (Übersicht und Schaubild 10). Das • Die deutliche Anhebung des steuerfinanzierten stark steigende nominale BIP lässt sogar eine be- Anteils an den Leistungen der Rentenkasse schleunigte Reduktion der öffentlichen Schul- entlastet schwerpunktmäßig den „Einkom- denstandsquote zu (Schaubild 11). mensmittelbau“, also jene Einkommen ober- Hinsichtlich der Zielsetzung, die personalen halb der Midizone und unterhalb der untersten Verteilungsverhältnisse der verfügbaren Nettoein- Beitragsbemessungsgrenze mit der höchsten kommen an jene der historisch besonders gleich- anteiligen Sozialabgabenbelastung. Grundsätz- mäßigen schwedischen Verteilung von 1981 an- lich werden jedoch alle Lohnabhängigen zunähern, sind die Maßnahmen des Szenarios A oberhalb der Minijob-Zone graduell begünstigt jedoch nicht ausreichend. Der seit Ende der sieb- (unterste vier Quintile). ziger Jahre zu beobachtende Sinkflug dieses Ver- • Die „Bofinger-Regel“ begünstigt ab 2016 grund- teilungsindikators kann mit den bisher darge- sätzlich alle überwiegend in den unteren vier stellten wirtschafts- und beschäftigungspoliti- Einkommensquintilen zu findenden tariflich schen Maßnahmen gebremst, aber nicht gestoppt bezahlten Lohn- und Gehaltsempfänger. werden. Der erreichte Durchschnittswert von Diese Komponenten bilden den „harten Kern“ 68,7 Indexpunkten für den zwölfjährigen Simu- der zusätzlich im Szenario B enthaltenen Politik- lationszeitraum 2009-2020 liegt immer noch module und bewirken zusammen eine substan- deutlich unter dem Durchschnittswert von 76,7 tielle Verbesserung der Verteilung, die im Modell Indexpunkten für den vorangehenden Zwölfjah- mit dem skalierten Herfindahlindex gemessen reszeitraum von 1997–2008. Daher galt es, einen wird. Dieser verbessert sich auf 77,9 Indexpunkte Satz von sozial- und verteilungspolitischen Maß- im Mittel des Simulationszeitraumes und schließ- nahmen zu erkunden, der nicht nur geeignet ist, lich auf 85,6 Indexpunkte im Jahr 2020 (siehe die Zielstellung deutlich höherer personaler Ver- auch Schaubild 7). Es kann also hinsichtlich der teilungsgerechtigkeit zu erreichen, ohne die im Entwicklung der personalen Verteilung eine deut- Szenario A erzielten Wachstums- und Produktivi- liche Annäherung an die historisch besonders tätseffekte wieder „aufzufressen“, sondern der im gleichmäßige Verteilung in Schweden 1981 er- Gegenteil diese Effekte noch verstärkt reicht werden. Hier erwiesen sich vor allem solche Maßnah- Die überproportionale Begünstigung der Ein- men als wirksam, welche das Nettoeinkommen kommensentwicklung der unteren vier Quintile der unteren drei Einkommensquintile mit ihren erhöht insbesondere die Nachfrage nach Kon- überdurchschnittlichen spezifischen Konsumquo- sumgütern und nach Wohnbauten. Das durch- ten erhöhen und daher in besonderem Maße ge- schnittliche Wachstum erhöht sich gegenüber eignet sind, den privaten Konsum als größtes dem Szenario A um weitere 0,22 Prozentpunke. Aggregat der Binnennachfrage zu fördern: Der Exportanteil hingegen nimmt im Vergleich • Das unterste Quintil wird durch eine Erhöhung zum Basisszenario zunächst noch einmal ab, mit von Lohnersatzleistungen bei Arbeitslosigkeit durchschnittlich 8,4 Prozent im Simulations- und Bedürftigkeit auf „dänisches Niveau“ be- zeitraum verbleibt die Nettoexportquote jedoch günstigt. weiterhin deutlich positiv (Schaubild 12). Sowohl • Die Einführung eines gesetzlichen Mindest- die Herstellung des „Warenkorbes“ des privaten lohnes erhöht die Kaufkraft vor allem in den Konsums als auch die Erbringung von Bauleis- beiden unteren Quintilen. tungen sind im Vergleich zu den Güterbündeln • Die Beseitigung des „Mittelstandsknicks“ in des Exportsektors im Mittel durch einen relativ der Einkommensteuerfunktion erhöht vor al- hohen „Local Content“ und eine höhere Arbeits- lem die Nettoeinkommen des zweituntersten, intensität bei niedrigerer Stundenproduktivität des mittleren und des zweitobersten Quintils, gekennzeichnet. Daher ist die Verschiebung eines also der Einkommensgruppen mit besteue- gegebenen Nachfrageniveaus hin zum privaten rungsfähiger Einkommenshöhe. Konsum und den Wohnungsbauinvestitionen 20
Wirtschafts- und Sozialpolitik WISO Diskurs Schaubild 10: Nettodefizitquote des Staates 7,0% 6,0% BFH FB H B Basis 5,0% J FH B J F F F 4,0% F B H F H H B J H J Szenario A H J 3,0% F B J H B J 2,0% B J H J F B H Szenario B 1,0% B H FJ J B BH J 0,0% B J -1,0% J F F H Szenario C F -2,0% 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 Quelle: KBE – Klaus Bartsch Econometrics Schaubild 11: Bruttostaatsschuld zu BIP 60% BJF BJ B 55% HF J B H F J B B B Basis 50% F H J B H F J B 45% J B HF J B 40% H J J Szenario A F H J B 35% F H J B 30% F H J B F H Szenario B 25% H J F H 20% F H 15% F F Szenario C 10% 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 Quelle: KBE – Klaus Bartsch Econometrics 21
WISO Diskurs Friedrich-Ebert-Stiftung Schaubild 12: Nettoexportquote 12% B B Basis 11% B B B 10% H BFJ B J Szenario A B B B B B J B B J J H 9% J H H J H H J H J HF J F F F F F H J HJ Szenario B 8% H F J J F H H F F H F F 7% F Szenario C 6% 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 Quelle: KBE – Klaus Bartsch Econometrics mit einem positiven strukturellen Beschäftigungs- Folge sinkt der prognostizierte Zuwachs der Er- effekt verbunden. Infolge der zusätzlichen Be- werbstätigenproduktivität gegenüber dem Basis- schäftigungseffekte wird mit einer Arbeitslosen- szenario leicht ab (vgl. Übersichtstabelle). rate von unter zwei Prozent de facto Vollbe- Allerdings reagieren die Unternehmen wie in schäftigung erreicht (siehe auch Schaubild 3). den 1960/70er Jahren und so auch im Modell- Diese Situation stärkt besonders die Verhand- zusammenhang auf diese für die Beschäftigten lungsmacht der Lohnabhängigen: Die Lohnquo- „paradiesische“ Situation auf spezifische Weise. te steigt deutlich an. Im Modellzusammenhang Durch stark steigende Löhne und die zusätzliche wird nun Folgendes abgebildet: Angesichts der Verknappung des Arbeitsangebots werden die hohen Nettoreallöhne können es sich die Be- Anstrengungen der Unternehmen verstärkt, die schäftigten zunehmend leisten, ihr Arbeitsange- Arbeitsorganisation zu verbessern und den Anteil bot aufgrund der verteilungspolitisch gelockerten arbeitssparender Rationalisierungsinvestitionen Budgetrestriktionen stärker an ihre individuellen am Investitionsbudget zu erhöhen. Diese Gegen- Freizeitpräferenzen anzupassen bzw. das zum reaktion erhöht die Stundenproduktivität des Zwecke des Gelderwerbs auf dem Arbeitsmarkt Szenarios B gegenüber Szenario A im Schnitt um angebotene Zeitbudget einzuschränken. Jeder hat einen Prozentpunkt. in dieser Situation die Möglichkeit, „gute Arbeits- Die stark steigende Lohnsumme verbessert plätze“ zu finden und die Arbeitszeit relativ frei trotz der simulierten Einkommensteuerentlas- zu wählen. Nicht abgesicherte geringfügige Be- tung (Politikmodul VII) die Relation des öffent- schäftigungsverhältnisse werden in Zeiten der lichen Haushaltssaldos zum Bruttoinlandspro- Vollbeschäftigung wieder typische Zuverdienst- dukt erheblich. Infolge der stärkeren Steuerfinan- jobs für Schüler, Studenten und Rentner („Zei- zierung und der zusätzlichen Beschäftigung kann tungsausträger“ statt zerlegte Vollzeitjobs). In der der aggregierte Sozialversicherungssatz zwar zu- 22
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