LebensZeiten - Im engsten Kreis - Ein Magazin über das Unvermeidliche und für das Leben danach - Bestattungshauses Haller

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LebensZeiten - Im engsten Kreis - Ein Magazin über das Unvermeidliche und für das Leben danach - Bestattungshauses Haller
LebensZeiten
                                                     Ausgabe 25

Ein Magazin über das Unvermeidliche und für das Leben danach

 Im engsten Kreis
LebensZeiten - Im engsten Kreis - Ein Magazin über das Unvermeidliche und für das Leben danach - Bestattungshauses Haller
Gedicht                                                                               Erste Worte                                             Inhalt

                                                                                                                       Liebe Leserinnen und Leser,                              Lebenswege
                                                                                                                                                                                  Im engsten Kreis		 6
                                 Abend                                                                                                                                            Langsames Schmelzen		 12

                                                                                                                       Liebe Leserinnen und Leser,                              Kunst, Kultur und Historisches
                                                                                                                                                                                  Freudige Unvoreingenommenheit:		 4
                                 Der Abend wechselt langsam die Gewänder,                                              traurig sein hat viele Gesichter, das sehen                der Künstler Simon Dittrich
                                                                                                                       wir jeden Tag. Jede und jeder trauert auf                  In guter Gesellschaft:
                                 die ihm ein Rand von alten Bäumen hält;                                               eine eigene Art. Jeder und jede braucht                    Gottlieb Daimler auf dem Uffkirchhof		 17
                                                                                                                       etwas anderes fürs Abschiednehmen                          Liebe in Farben:
                                 du schaust: und von dir scheiden sich die Länder,                                     und fürs Weiterleben.                                      Selbstgestaltete Urnen		 18

                                 ein himmelfahrendes und eins, das fällt;                                              Aber was bedeutet das für die Art und                    Lebensgeschichten
                                                                                                                       Weise, wie eine Trauerfeier organisiert                    Motorradfahrer, Sammler, Wurstkenner:		 14
                                                                                                                       wird? Wenn wir darüber reden, finden                       Dieter Wälde
                                                                                                                       wir es heraus.
                                 und lassen dich, zu keinem ganz gehörend,                                                                                                      Veranstaltungen und Tipps
                                                                                                                       Wer hinhört, kann viel Schönes wahr-                       Trauergruppen und Begleitung		 22
                                 nicht ganz so dunkel wie das Haus, das schweigt,                                      nehmen, darum geht es in diesem Heft.                      Veranstaltungen für Trauernde:		 23
                                                                                                                       Ihnen eine gute Lektüre!                                   Trauerwandern im Schwarzwald
                                 nicht ganz so sicher Ewiges beschwörend
                                                                                                                       Ihre                                                     Steuern und Recht
                                 wie das, was Stern wird jede Nacht und steigt -                                                                                                   Kann man es rückgängig machen,
                                                                                                                                                                                   wenn man ein Erbe ausgeschlagen hat?		 16

                                                                                                                                                                                In eigener Sache
                                 und lassen dir (unsäglich zu entwirrn)                                                                                                            Salonabend im Bestattungshaus:		 23
                                                                                                                                                                                   von Mozart bis Ellington,
                                 dein Leben bang und riesenhaft und reifend,                                                                                                       von Puschkin zu Achmatowa

                                 so dass es, bald begrenzt und bald begreifend,                                                                                                 Wintermärchen
                                                                                                                                                                                  Josephine und das Singen der Bäume		    22
                                 abwechselnd Stein in dir wird und Gestirn.
                                                                                                                                                                                Gedicht
                                                                                                                       Andrea Maria Haller                                        Abend		                                  2
                                                                                                                       lebenszeiten@bestattungshaus-haller.de
                                 Rainer Maria Rilke                                                                                                                             Bildquellenangaben					                   20

                                                                                                                                                                                Impressum						                           28

 LebensZeiten erscheint vierteljährlich. Mit LebensZeiten wollen wir die Angst vor dem Tod und vor Trauer nehmen
 und uns für einen offenen Umgang mit diesen Themen einsetzen. LebensZeiten soll helfen, sich auf das Unvermeidliche
 vorzubereiten, und Mut machen für das Leben danach. Hier erzählen wir die Geschichten der Menschen, die uns in
2unserer Arbeit als Bestatter begegnen. LebensZeiten ∙ Ausgabe 25                                                                                                    LebensZeiten ∙ Ausgabe 25                                 3
LebensZeiten - Im engsten Kreis - Ein Magazin über das Unvermeidliche und für das Leben danach - Bestattungshauses Haller
Kunst

                                                                  In dieser Serie stellen wir Künstler aus der Region vor.
                                                                  Diesmal: Simon Dittrich aus Stuttgart-Möhringen

Freudige
Unvoreingenommenheit
S
          imon Dittrich macht nie Urlaub. Es ist für ihn
          unvorstellbar, an einen Ort zu fahren, an dem er
          nicht malen oder zeichnen kann. Unglaublich viel-
          fältig ist der Schatz an Werken, den er in den ver-
 gangenen 60 Jahren geschaffen hat. Immer wieder entstehen
 neue Bildwelten.

 Der 80-Jährige hat nie Langeweile. Seine Arbeit ist für ihn
 ein ewiges Öffnen von neuen Türen. Ständig begibt er sich
 auf unbekanntes Terrain. Dabei können seine Werke unter-
 schiedliche Formen annehmen. Skulpturen aus Holz oder
 Metall, Zeichnungen, Radierungen, Lithografien, Gemäl-
 de. Viele seiner Werke tragen eine spielerische Heiterkeit
 in sich, die einem beim Betrachten ein Lächeln ins Gesicht
 zaubert.

 Wenn Simon Dittrich sich auf ein neues Werk einlässt,
 macht er dies völlig unvoreingenommen und ohne jede Vor-
 stellung davon, was am Ende dabei herauskommen soll. Er
 arbeitet so lange, bis Ordnung da ist.

 Wenn er abends ein Bild fertiggestellt hat und am nächsten
 Morgen wieder in sein Atelier kommt, öffnet er die Tür nur
 ganz vorsichtig. Gerade so, dass er ein Drittel des Bildes se-
 hen kann. Wenn er dann zufrieden ist, betritt er den Raum
 und begrüßt das Bild ganz heiter: „So schlecht bist du ja
 gar nicht!“

 Und das ist für ihn dann besser als jeder Urlaub.

                             Simon Dittrich lebt mit seiner
                             Frau Lilian
                             inmitten von vielen Bildern in
                             Stuttgart- Möhringen.

                             Mehr von Simon Dittrich zu
                             seinen Arbeiten finden Sie auf
                             VIMEO.
                             www.simon-dittrich.de
LebensZeiten - Im engsten Kreis - Ein Magazin über das Unvermeidliche und für das Leben danach - Bestattungshauses Haller
Lebenswege                                                                                                                                                                                                            Lebenswege

                                                                                                               J
                                                                                                                    essica und Carmen waren           Sorgen, ihren Ärger über Männer.        Sie kannten sich mehr als 20 Jahre.
                                                                                                                    Freundinnen. Schon lange.         Sie lachten unglaublich viel. Hat-      Jessica organisierte Carmens Ge-
                                                                                                                    Irgendwann einmal vor vielen      ten keine Angst vor Exzessen und        burtstag, Carmen Jessicas. Sie wa-

    Im engsten Kreis
                                                                                                              Jahren haben sie zusammengear-          langen Nächten. Beruflich blühte        ren richtig gute Freundinnen. Dann
                                                                                                              beitet; Carmen war Jessicas Vorge-      Jessica auf, als sie mit Carmen zu-     lebten sie sich ein wenig auseinan-
                                                                                                              setzte bei einem IT-Unternehmen.        sammenarbeitete. Gemeinsam be-          der. Eigentlich war gar nichts We-
                                                                                                              Die beiden hatten mehr gemeinsam        treuten sie internationale Projekte.    sentliches. Jessica hatte einen neuen

                                                                                                    Jessica
                                                                                                              als ihre Arbeit. Sie verreisten zu-     Meisterten die Herausforderungen        Partner mit Familie. Das nahm viel
                                                                                                              sammen, feierten, genossen das          der IT-Branche: die Jahrtausend-        Raum ein.
                                                                                                              Leben. Sri Lanka, Malediven,            wende, die Finessen der Euro-Um-
                                                                                                              Karibik, immer und immer wie-           stellung. Viel harte Arbeit und viele   Im März 2013 wurde bei Carmen
                                                                                                              der waren sie auf Sylt. Sie waren       fröhliche Feste. Immer das Gefühl,      Darmkrebs diagnostiziert. Da war
                                                                                                              immer auf derselben Wellenlänge.        das Leben im Griff zu haben. Zu-        sie 46 Jahre alt.
                                                                                                              Sie teilten ihre Hoffnungen, ihre       mindest in Teilen.

                                                                                                              K
                                                                                                                       atrin war ebenfalls gut mit    dauer, mit der sie ihren Sohn eine      Schritte. Und auch immer wieder
                                                                                                                       Carmen befreundet. Sie         Zeit lang alleine erzog und sich mit    gerne über alles Mögliche, das
                                                                                                                       hatten einander in einem       zwei Arbeitsplätzen über Wasser         nichts mit der Krankheit zu tun
                                                                                                              Restaurant in Ludwigsburg kennen-       hielt.                                  hatte. Alltägliches. Das Leben,
„Wir haben im engsten Kreis Abschied genommen.“                                                               gelernt, sympathisch gefunden und                                               die Arbeit. Aber auch Sinnfragen.
Diese Worte stehen oftmals auf Traueranzeigen. Meist stecken dahinter komplexe Lebensgeschichten              diese Verbindung dann über Jah-         Als Carmen erfuhr, dass sie Darm-       Über den Tod sprachen sie nie.
                                                                                                              re aufrechterhalten. Ohne äußere        krebs hatte, rief sie Katrin an, um     Carmen mochte Friedhöfe nicht.
und Empfindungen. Manchmal ist es der ausgesprochene Wille des Verstorbenen. Manchmal sind                    Rahmenbedingungen wie eine ge-          ihr von der Diagnose zu erzählen.       Sie war viel lieber unter den Le-
es Müdigkeit und Erschöpfung oder das Gefühl der Überforderung auf Seiten der Hinterbliebenen.                meinsame Arbeit oder einen Verein.      Katrin hörte ihre Wut heraus, spür-     benden.
                                                                                                              Einfach weil sie es wollten. Weil sie   te aber auch ihre Lebenskraft und
Manchmal ist es einfach der Wunsch nach einem geschützten Rahmen, zu dem nicht jeder Zutritt hat.             einander mochten.                       ihren Kampfesgeist. Es hatte viele      Carmen machte schon immer viel
                                                                                                                                                      Voruntersuchungen gegeben. Alles        mit ihrer Schwester Henri aus.
                                                                                                    Katrin
                                                                                                              Katrin schätzte an Carmen ihren         hatte sich immer wieder verzögert.      Die beiden standen sich sehr nahe.
Wie geht es den anderen damit? Hat jeder ein Recht auf Abschied? Wie kann man diese Zeit so                   Lebensmut. Und dass sie so eine         Jetzt war es ziemlich spät. Carmen      Henri war die Ältere, aber Carmen
gestalten, dass alle Bedürfnisse berücksichtigt werden?                                                       grundpositive Einstellung gegenüber     war kämpferisch und bereit, Che-        immer die Beschützerin. Durch die
                                                                                                              anderen Menschen hatte. Dass sie        mos und Behandlungen auf sich zu        Krankheit sind sie sich noch näher
In dieser Geschichte erzählen wir von einer komplexen Dynamik des Rückzugs und der Öffnung und                in anderen Menschen immer deren         nehmen. Sie hatte Hoffnungen und        gekommen. Auch Henri war Teil
darüber, wie ein Kreis sich wandelt.                                                                          Stärken sah, deren Potenziale. Car-     Pläne, über die sie sprach. Sie hat-    des Freundeskreises. War bei Fes-
                                                                                                              men schätzte an Katrin ihre ruhige,     te bis jetzt alles im Leben gemeis-     ten und Feiern präsent. Fuhr mit
                                                                                                              reflektierte, freundliche Art. Und      tert. Die beiden redeten über die       in gemeinsame Urlaube. Mal mit
                                                                                                              die wahnsinnige Disziplin und Aus-      Behandlungen, über die nächsten         Partner, mal alleine.

6                                      LebensZeiten ∙ Ausgabe 25                                                                                      LebensZeiten ∙ Ausgabe 25                                                 7
LebensZeiten - Im engsten Kreis - Ein Magazin über das Unvermeidliche und für das Leben danach - Bestattungshauses Haller
Lebenswege                                                                                                                                                                                                                             Lebenswege

          A                                                                                                                          I                                        W
                    ls Carmen glaubte, sie hätte   rationen. Immer wieder musste sie         Carmens Rückzug nicht einfach.             m Mai 2017 schien es, als hätte               ährend Carmen immer              Als Carmen das letzte Mal in die
                    den Krebs besiegt, schrieb     in die Klinik nach Heidelberg. Die        Man muss es jemandem zugestehen,           Carmen akzeptiert, dass sie es                schwächer wurde, wurde die       Klinik nach Heidelberg fuhr, für ein
                    sie Jessica eine E-Mail.       ganze Zeit über arbeitete Carmen          wenn er einfach keine Kraft mehr           nicht schaffen würde. „Aber           Beziehung zu ihrer Schwester im-         Wochenende von Freitag bis Mon-
          Sie wollte die alte Freundschaft         weiter, ging nach der Arbeit zu ihren     hat, einen zu sehen, sagte Jessicas     eigentlich habe ich ein schönes Le-      mer intensiver. Heute kann Henri         tag, wollte sie gar niemanden mehr
          wieder auffrischen. Jessica spürte,      Behandlungen. Sie brauchte diese          rationaler Teil. Trotzdem spürte sie,   ben gehabt.“                             sagen, dass sie unendlich dankbar        sehen. Jessica hatte damals sogar
          wie sehr Carmen ihr gefehlt hatte.       Normalität, diese klare Struktur und      wie sehr es die anderen schmerzte,                                               ist für die Nähe, die Carmen in die-     den Verdacht, Carmen wollte in die
          Sie weinte unglaublich. Da war Er-       das Gefühl von Kontrolle über ihr         ausgeschlossen zu sein. Die ersten      Sie redete lange mit Jessica. Nicht      ser Zeit zugelassen hat.                 Schweiz und hätte Heidelberg nur
          leichterung, Sehnsucht. Die beiden       Leben. Eine Aufgabe. Sie brauchte         Zeichen der Ohnmacht, die der           über den Tod, sondern über all das                                                vorgeschoben. Das hätte sie ihr zu-
Jessica

          begannen wieder lange miteinander
          zu reden, kamen sich erneut näher.
          Fast näher als zuvor. Jessica war
                                                   normale Unterhaltungen mit Freun-
                                                   den. Die Krankheit sollte nicht im
                                                   Mittelpunkt ihres Lebens stehen.
                                                                                             Freundeskreis unterschwellig spürte,
                                                                                             waren sichtbar geworden. Andere
                                                                                             waren vielleicht auch ein wenig er-
                                                                                                                                     Gute, das sie miteinander erlebt hat-
                                                                                                                                     ten. Das hatte viel von einem Ab-
                                                                                                                                     schied an sich. Als wäre ihr es das
                                                                                                                                                                              A     b August zog sich Carmen
                                                                                                                                                                                    noch weiter zurück. Von allen
                                                                                                                                                                              außer von Henri, ihrer Schwester.
                                                                                                                                                                                                                       getraut. Carmen wollte immer die
                                                                                                                                                                                                                       Kontrolle behalten. Dieses Ausge-
                                                                                                                                                                                                                       liefertsein an ihre Krankheit, an die
          froh, dass Carmen wieder in ihr Le-                                                leichtert, sich nicht damit auseinan-   Wichtigste, zu wissen, dass ihr Le-      Jessica tat dieser Rückzug weh.          Ärzte, an die ganze medizinische
          ben gekommen war.

          Mitte des Jahres erhielt Carmen eine
                                                   M      it der Zeit ging es ihr schlech-
                                                          ter. Ihre Haare fielen aus.
                                                   Sie reduzierte die Anzahl der Men-
                                                                                             dersetzen zu müssen. Vielleicht.

                                                                                             Es war schwer, Carmen so zu sehen.
                                                                                                                                     ben gut war. Ja, das war es. Es war
                                                                                                                                     ein Moment des Übereinkommens
                                                                                                                                     über alles Vergangene. Der tiefen
                                                                                                                                                                              Sie wäre so gern dagewesen für
                                                                                                                                                                              ihre Freundin. Sehnte sich auch
                                                                                                                                                                              nach ihr. Sie wollte lieber diesen
                                                                                                                                                                                                                       Maschinerie, all das war unerträg-
                                                                                                                                                                                                                       lich für sie.

          weitere Krebs-Diagnose. Man hatte        schen, die sie sehen wollte und konn-     Diese intelligente, starke, schöne,     Begegnung und Wertschätzung.             Schmerz mit ihr teilen. Es war ein
          Metastasen gefunden. Chemo. Ope-         te. Für viele im Freundeskreis war        mutige Frau – ein Häufchen Elend.       Und ja – der Dankbarkeit.                Gefühl von tiefer Ohnmacht.

          C                                                                                                                          C
                   armen jammerte nie, war trotz   So lange es ging, trafen Katrin und       Die Effekte der Chemo machten                   armen sagte Katrin, dass sie      Katrin ist so froh, dass sie diese      schwiegen. Kostbare Momente. Car-
                   allem immer voller Pläne und    Carmen sich jede Woche, oft in einem      die Krankheit immer sichtbarer und              jetzt eigentlich austherapiert    Tage hatte, dass sie noch ganz be-      men musste darüber lachen, dass an-
                   Hoffnungen. Die Begleiter im    Café in Ludwigsburg. Sie redeten          waren für Carmen immer schwerer                 sei. An einem Tag im Som-         wusst bei Carmen sein konnte. Auch      dere sie noch immer anriefen, obwohl
          Krankenhaus rieten Carmen, ihrem         dann über Alltägliches. Diese Nor-        auszuhalten.                            mer in einem Café in Bietigheim.          wenn es schwierig war, sie leiden zu    sie doch gar nicht sprechen konnte.
          Krebs einen Namen zu geben. Sie          malität tat beiden gut. Katrin hätte                                              Erst bei diesem Gespräch und in den       sehen und zu wissen, dass sie sterben
Katrin

          nannte sie Hugo. Einen Namen zu
          geben kann helfen, eine Krankheit
          anzunehmen und sie nicht mehr als so
                                                   mit Carmen auch über das Ende
                                                   gesprochen, wenn Carmen das ge-
                                                   wollt hätte. (Obwohl Katrin bewusst
                                                                                             E    s gab auch Zeiten, da wollte
                                                                                                  Carmen gar niemanden sehen.
                                                                                             Hatte keine Kraft zum Wollen. Das
                                                                                                                                     folgenden Wochen konnte Katrin
                                                                                                                                     sich irgendwie vorstellen, dass Car-
                                                                                                                                     men es nicht schaffen würde.
                                                                                                                                                                               würde. Aber es war trotzdem auch
                                                                                                                                                                               schön. Sie kann heute sagen: Sie
                                                                                                                                                                               genoss jede Minute, in der Carmen
                                                                                                                                                                                                                       In der Nacht vor Carmens Tod träum-
                                                                                                                                                                                                                       te Katrin, dass es Carmen wieder gut
                                                                                                                                                                                                                       geht. Dieser Traum war unglaublich
          bedrohlich wahrzunehmen. Nicht so        ist, dass sie in solchen Momenten oft     war emotional schwierig, aber lo-                                                 noch da war.                            intensiv. Vielleicht war das ja auch ein
          hart gegen sie anzukämpfen. Katrin       nicht weiß, was sie sagen soll. Aber      gisch nachvollziehbar. Immer waren      Eigentlich wäre Katrin in ihren nor-                                              kleiner Hinweis, dass es Carmen nach
          fand das etwas seltsam: Die Krank-
          heit ist doch kein Freund! Sie hielt
          sich aber zurück und kommentierte es
                                                   vielleicht macht genau das Katrin zu
                                                   so einer wertvollen Freundin in dieser
                                                   Zeit. Wer braucht schon Menschen,
                                                                                             da diese zwei Seelen: immer beides
                                                                                             spüren, den eigenen Schmerz und
                                                                                             den des anderen.
                                                                                                                                     malen Sommerurlaub gefahren zu je-
                                                                                                                                     ner Zeit, als es Carmen sehr schlecht
                                                                                                                                     ging. Doch sie blieb da. Dafür ist sie
                                                                                                                                                                               M      anchmal konnte Carmen
                                                                                                                                                                                      nicht mehr so gut reden, ihre
                                                                                                                                                                               Stimme versagte. Manchmal saßen
                                                                                                                                                                                                                       ihrem Tod gut gehen würde. Katrin
                                                                                                                                                                                                                       schickte eine SMS an Carmen und
                                                                                                                                                                                                                       beschrieb ihr diesen Traum. Es waren
          nicht. Carmen schien es zu helfen.       die immer was zu sagen haben?)                                                    heute sehr dankbar.                       sie dann einfach nur zusammen und       ihre letzten Worte an sie.

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LebensZeiten - Im engsten Kreis - Ein Magazin über das Unvermeidliche und für das Leben danach - Bestattungshauses Haller
Lebenswege                                                                                                                                                                                                   Lebenswege

          A                                                                                                                           E
                   n einem Dienstagmittag          eine eigene große Familienkrise           sich ausgeschlossen und ohnmächtig.              ine Woche nach Carmens           Henri verändert. Sie verbringen
                   im September 2017, mitten       managen.                                  Da ist noch so viel Liebe, die sie               Tod findet die Trauerfeier       nun häufig Zeit miteinander, wer-
                   in einer Konferenz, schaut                                                hätten mitgeben wollen. Für die es               statt. Am Ende der Feier         den gute Freundinnen. Der gemein-
          Jessica heimlich auf ihr privates        Drei Tage nach dem Tod gelingt es         keinen Ort mehr gibt. Es ist wie ein     wird die Urne beigesetzt. Ihre al-       same Schmerz verbindet sie. Aber
          Handy – aus ihr heute unerklärli-        endlich. Im Telefonat fragt Jessica       Lied, das plötzlich abbricht und ver-    lerengsten Freunde sind nun doch         nicht nur das. Sie entdecken vieles,
          chen Gründen. Da ist eine SMS.           nach der Trauerfeier. Henri sagt:         stummt, kein richtiges Ende hat. Sie     dabei. Alle ohne Partner und Part-       das sie aneinander mögen. Ende
          Von Carmens Schwester Henri.             Es tut ihr total leid, aber die Trau-     wünschen sich einen gemeinsamen          nerinnen. Und sie sind froh darüber,     November fahren sie sogar zusam-
                                                   erfeier findet im engsten Kreis statt.    Rahmen, in dem sie ihre Gefühle          dass sie dieses Ritual gemeinsam         men in den Urlaub. An einen Ort,
          Carmen ist bei den Engeln.               Das hätte Carmen ausdrücklich so          zum Ausdruck bringen können. Ihre        haben, dass sie einander haben.          wo Carmen immer hinwollte: nach
                                                   gesagt.                                   Liebe, ihrer Traurigkeit, ihre Ver-                                               Ägypten.
          Jessica ist fassungslos. Sie kann gar                                              bindung.                                 Im November lädt Carmens Schwes-
          nicht aufhören zu weinen. Die Trä-
          nen fließen nur so. Ihre Kollegen be-
          merken es, sie erklärt, verabschiedet
                                                   Das erschüttert Jessica. Dieses
                                                   schleichende Gefühl der Ohnmacht,
                                                   das immer präsent war, hat jetzt
                                                                                             Jessica sucht doch nochmal das Ge-
                                                                                             spräch mit Henri, Carmens Schwes-
                                                                                                                                      ter Henri dann zu einer großen Fei-
                                                                                                                                      er bei Carmens Lieblingsitaliener
                                                                                                                                      ein. Über 50 Personen sind da, nun
                                                                                                                                                                               S   ie nehmen ein Bild von Carmen
                                                                                                                                                                                   mit, stellen es im Zimmer auf.
                                                                                                                                                                               Carmen ist dabei. Sie reden viel
          sich. Draußen versucht sie, Carmens      seine volle Wucht entfaltet. Gegen        ter. Sie will diese Entscheidung         die große Runde der Freunde. Jeder       über sie, über das Leben, und er-
Jessica

          Schwester zu erreichen, aber Henri       Carmens Krankheit war kein Ge-            verstehen. Sie würde sie auch gern       kann sehen, wie wichtig dieses Tref-     zählen sich von Erlebnissen mit Car-
          geht nicht ans Telefon. Dann ruft        winnen, ihr Rückzug war rational          überzeugen, dass es einen besseren       fen für viele ist. Eine Gruppe von       men, bei denen die andere nicht mit
          Jessica bei Katrin an. Die beiden        nachvollziehbar, aber emotional un-       Weg gibt. Carmens Schwester bittet       Freunden geht vor dem Essen noch         dabei war. Das tut gut und schafft
          treffen sich und fahren zu Jessicas      glaublich schwer auszuhalten. Zu          um Bedenkzeit. Es ist viel für sie an    gemeinsam ans Grab. Die Rede             nochmal Nähe zu Carmen und zu-
          Eltern. Ein sicherer, vertrauter Ort     spüren, wie die Freundin ihr mehr         diesen Tagen. Henri will eigentlich      von der Trauerfeier wird vorgelesen.     einander.
          für beide.                               und mehr entgleitet und sie rein gar      nur Carmens Wunsch gerecht wer-          Beim Essen erzählt jeder seine Ge-

          Diese Tage sind wie im Nebel.
          Schlimm ist, nicht zu wissen, was
                                                   nichts tun kann.

                                                   Und jetzt das. Sie soll sich nicht ein-
                                                                                             den. Nur im Sinne ihrer Schwester
                                                                                             handeln. Das Richtige tun. Für Car-
                                                                                             men. Und auch für die Familie.
                                                                                                                                      schichten von Carmen. Man sieht
                                                                                                                                      sich Bilder an. Es tut gut. Es wird
                                                                                                                                      gelacht und geweint. Sie stoßen auf
                                                                                                                                                                               S    ie lachen. Sie genießen auch
                                                                                                                                                                                    die Sonne auf der Haut, die
                                                                                                                                                                               Wärme. Sie lernen ihre schon län-
          genau geschehen ist. Jessica ver-        mal von ihr verabschieden können?                                                  Carmen an. Es ist eine Feier, wie        ger bestehende, aber nun viel tiefe-
          sucht immer wieder, Henri zu errei-      Sie ringt mit Wut und Enttäuschung.       Einen Tag später bekommt Jessica         sie Carmen sicherlich auch gefallen      re Freundschaft zu schätzen. Und
          chen. Will sich aber auch nicht auf-                                               dann eine Nachricht von Henri: eine      hätte.                                   sie spüren das Leben, das in ihnen
          drängen. Denn sie weiß ja: Henri         Es verletzt sie zutiefst, es kränkt       Entschuldigung und eine Einladung                                                 pulsiert. Carmens Tod hat es ihnen
          ist selbst tief getroffen von Carmens    auch andere im engeren und weite-         zur Feier. Jessica ist so froh, so er-   Durch Carmens Tod hat sich die           bewusster gemacht. Das Leben ist
          Tod. Gleichzeitig muss sie auch          ren Freundeskreis. Auch sie fühlen        leichtert.                               Freundschaft zwischen Jessica und        jetzt.

          K                                                                                                                           K
                   atrin erfährt von Jessica,     Die Trauerfeier ist schön, aber sehr       sicher, dass es nach dem Tod noch                 atrin und Henri kommen sich     und die Verbindung zu ihr nun auch
                   dass die Feier nur im engs-    traurig. Die Asche vorne am Altar          weitergeht. Das tröstet sie.                      näher. Jetzt verbringen mehr    im Miteinander leben. Das Erlebte
                   ten Familienkreis sein soll.   ist und bleibt für Katrin sehr abstrakt.                                                     Zeit miteinander. Carmens       verbindet sie tiefer. Carmen war voller
          Sie fühlt sich davon nicht ganz so      Unvorstellbar, dass so wenig von ei-       Für Katrin ist Carmen nicht ganz         Tod hat sie einander ebenfalls spürbar   Lebenskraft und Lebenslust. Sie hat
Katrin

          verletzt wie Jessica. Aber auch Ka-     nem Menschen übrigbleiben soll.            weg. Katrin spricht oft mit Carmen.      nähergebracht, und sie pflegen diese     das Leben geliebt und die Menschen.
          trin freut sich, als sich die Pläne     Doch für Katrin ist klar: Eine Trau-       Sie führt Zwiegespräche mit ihr.         Beziehung ganz bewusst. Sie schät-       Katrin will diesen Geist bewahren. In
          ändern und sie doch noch zur Trau-      erfeier ist nicht das letzte Wort zum      Meist beim Laufen, draußen. Heute        zen die Kostbarkeit des anderen, auch    sich und ihren Freundschaften mit Jes-
          erfeier eingeladen wird.                Leben eines Menschen. Sie ist sich         noch.                                    weil sie beide Carmen nahestanden        sica und Henri.

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LebensZeiten - Im engsten Kreis - Ein Magazin über das Unvermeidliche und für das Leben danach - Bestattungshauses Haller
Trauerwege · Gerlingen                                                                                                                                                                                        Trauerwege · Gerlingen

                                                                   Langsames Schmelzen
                                       Es braucht Zeit, sich nach einem Verlust zu erholen.                    Hier erzählt Marie-Luise Tenz, wie sie die Jahre der Pflege erlebt
                            Nicht nur von dem eigentlichen Verlust, sondern von Zeit davor.                    hat und was das mit ihr gemacht hat.

                         M
                                       arie-Luise Tenz hat ih-      begegnete er fremden Menschen. Das         Abend mit ihm einen Weg zu finden,                Der Pfleger und Heiner hatten auch
                                       ren Mann lange betreut       Zusammensein hielt die Demenz et-          damit sie den Abend beide gut überste-            Spaß miteinander. Sie haben kleine
                                       und gepflegt. Heiner         was auf, stärkte sein Selbstwertgefühl     hen können. Das ist mit der Zeit auch             Ausflüge mit dem Rollstuhl gemacht
                                       hatte Demenz. Zehn           und sein Wohlbefinden. Marie-Luise         nicht einfacher geworden.                         und fast jedes Restaurant in Gerlingen
                         Jahre lang hat die Krankheit sein Le-      ist bis heute so dankbar für diesen Rat.                                                     besucht. Heiner war gut aufgehoben.
                         ben geprägt. Und das seiner Familie.

                         Der Anfang war schwierig. Wann             Z     unächst ging Heiner nur zweimal
                                                                          die Woche dorthin. Es machte
                                                                                                               W       enn sie heute darüber nachdenkt,
                                                                                                                       überrascht es sie, wie sie das al-
                                                                                                               les geschafft hat. Wenn sie am Anfang
                                                                                                                                                                 Auch dafür ist Marie-Luise dankbar.

                                                                                                                                                                 Sie war immer gerne für Heiner da.
                         nimmt man wahr, dass man nicht mehr        ihm Spaß, und er war auch klug ge-         gewusst hätte, wie schwierig es noch              Die beiden hatten viele gute Jahre mit-
                         so gut im Alltag zurechtkommt? Wann        nug, um zu wissen, dass er sich und        werden würde, hätte sie es sich niemals           einander.
                         merken es die anderen? Und wie             seiner Frau damit etwas Gutes tat.         zugetraut. Aber sie ist in diese Rolle hi-
                         spricht man darüber? Es gab Anzei-         (Noch so etwas, was Marie-Luise            neingewachsen. Sie kennt die Lebenssi-            Als ihr Mann stirbt, mit 84 Jahren, tut
                         chen, es wurden mehr. Heiner brauchte      heute als Glück ansieht.) Heiner war       tuation von anderen Paaren, bei denen             es ihr leid für ihn. Er hat doch immer
                         Hilfe für Dinge, die eigentlich selbst-    selten stur oder uneinsichtig. Nur ge-     einer dement ist und der andere stets am          so gerne gelebt. Gleichzeitig nimmt sie
                         verständlich sein sollten. Autofahren.     legentlich etwas hartnäckig, vor allem     Rande seiner Kraft. Im Gesprächskreis             an sich wahr, wie sehr die Pflege sie
                         Von einem Spazierganz heimfinden.          beim Lichtschalter.                        für Angehörige von Demenzkranken                  ausgezehrt hat. Wie müde sie ist. Wie-
                                                                                                               konnte sie das gut beobachten. Es hat             viel Kraft die letzten Jahre sie gekostet
                         Es wurde schwieriger. Gerade auch          Die Stube in Leonberg war seine Ta-        ihr geholfen, immer wieder ihr eigenes            haben. Und auch, wieviel Lebensfreu-
                         für seine Familie. Man musste ständig      gespflege, und sie wurde ein guter Ort     Schicksal zu relativieren. Eine andere            de ihr abhandengekommen ist. Sie war
                         in Alarmbereitschaft sein, wusste nie,     für ihn. Er konnte sich einbringen.        Perspektive zu bekommen. Und auch                 immer in Alarmbereitschaft. Die gan-
                         welch wundersames Verhalten ihm als        Und er hat dort die Fähigkeiten, die       zu merken, über was für seltsame Dinge            zen letzten zehn Jahre.
                         nächstes einfiel. Nachts stand er stän-    noch gut vorhanden waren, zum Woh-         man mit anderen lachen kann, die Ähn-
                         dig auf, machte oft das Licht an und       le anderer eingesetzt: singen, tanzen,     liches erleben. Es tat gut. Das Lachen            Nun braucht sie Zeit, um ihr Selbst-
                         aus.                                       andere anleiten. Das lag ihm, das tat      schuf ein klein wenig Distanz zur Härte           vertrauen wiederaufzubauen. Es über-
                                                                    ihm unendlich gut.                         des Alltags.                                      rascht sie ein wenig, wie sehr das ge-
                         Marie-Luise war 15 Jahre jünger als                                                                                                     litten hat. Weil ihr Lebensspektrum
                         ihr Mann Heiner. Ein Glück, sagt sie:      Die Zeit ohne ihn war natürlich eine       Es fiel ihr nicht ganz leicht, in dieser          so eng geworden war, wurde auch ihr
                         Denn dadurch war sie noch fit genug,       Entlastung für Marie-Luise. Das ist        Zeit Freundschaften aufrechtzuer-                 Selbstwertgefühl geschwächt.
                         um sich gut um ihn zu kümmern. Vor         ein wichtiger Punkt, auch im Rück-         halten. Nicht jeder konnte Heiners
                         allem in den späteren Jahren, als die
                         Pflege körperlich immer anstrengender
                         wurde. Als sie ihn, den so viel größe-
                                                                    blick. Denn wenn sie sich geopfert
                                                                    hätte, wenn sie aufgehört hätte zu ar-
                                                                    beiten, wenn sie Heiner die ganze Zeit
                                                                                                               Zustand aushalten. Und sie konnte
                                                                                                               abends kaum raus.                                 F    ast ein Jahr ist es her, dass Heiner
                                                                                                                                                                      gestorben ist. Zum Trauern in
                                                                                                                                                                 dem Sinne, wie sie es von sich erwar-
                         ren Mann, ankleiden musste, abends
                         wieder ausziehen und ins Bett bringen.
                                                                    zuhause behalten hätte, hätte das sein
                                                                    Leben auch nicht besser gemacht. Im
                                                                    Gegenteil, es hätte es nur enger ge-
                                                                                                               J   eden Samstag kam nachmittags ein
                                                                                                                   freiwilliger Pfleger und entlastete
                                                                                                               sie. Marie-Luise nutzte diese Zeit, um
                                                                                                                                                                 tet, wie es vielleicht auch andere von
                                                                                                                                                                 ihr erwarten, ist sie noch gar nicht rich-
                                                                                                                                                                 tig gekommen. Die letzten zehn Jahre
                         Am Anfang war Marie-Luise noch             macht.                                     sich etwas Gutes zu tun. Sie spielte              als Leistung zu sehen, auf die sie stolz
                         berufstätig. Ihr Psychotherapeut riet                                                 Tennis mit einer Freundin, ging Kaf-              sein kann, fällt ihr noch etwas schwer.
                         ihr eines Tages, Heiner in eine Tages-     Um ihn morgens fertig zu machen, da-       feetrinken. Ganz bewusst machte sie               Es braucht seine Zeit, wieder ins Le-
                         pflege zu geben. Als Entlastung, und       für brauchte sie mehr als eine Stunde.     etwas Schönes für sich.                           ben zurückzukommen.
                         auch, weil er dort gefordert wird. Tat-    Oft war es eine Kraftanstrengung. Es
                         sächlich, so war es: In der Tagespflege    war auch eine Herausforderung, jeden       Hilfsangebote finden Sie unter www.wegweiser-demenz.de

12                              LebensZeiten ∙ Ausgabe 25                                                                                                   LebensZeiten ∙ Ausgabe 25                                           13
LebensZeiten - Im engsten Kreis - Ein Magazin über das Unvermeidliche und für das Leben danach - Bestattungshauses Haller
Lebensgeschichten · Stuttgart-West                                                                                                                                                                            Lebensgeschichten · Stuttgart-West

Motorradfahrer, Sammler, Wurstkenner
Dieter Wälde

D
            ieter Wälde war ein lei-       kannte die Regeln und wusste, was       meistens waren sie gut. Sogar sehr
            denschaftlicher und ex-        richtig und was falsch war.             gut. Mit einer Ausnahme: Einmal
            zellenter Motorradfahrer.                                              fuhren sie zehn Kilometer extrem an-
                                                                                                                           Vor diesen Motorrädern standen seine Freunde an der Trauerfeier Spalier.
            Es war eine Wonne, bei         Dieter war ein Kartenleser. Dieter      spruchsvolle Schotterpiste. Die han-
ihm hinten aufzusitzen und mitzufah-       fuhr ohne Navi. Immer. Er kannte        delten ihm den wunderbaren Spitz-
ren. Er fuhr sicher und ohne Angst.        sich aus. Er hatte einen unglaub-       namen „Schotter-Willi“ ein.
Er fand seine berufliche Heimat als        lichen Orientierungssinn und ein                                                In seiner eigenen Jugend war Dieter        Fußballplatz eine gute Figur – Die-    wohin er wollte im Leben. Er war ihr
Fahrlehrer, nach ein paar kleineren        gutes Gedächtnis. Wenn er einmal        Seine Frau Gundula hatte er 1984 in     immer ziemlich wild gewesen. Vor           ter war ein Mädchenschwarm. Die        Fahrlehrer und sie seine Schülerin.
Verirrungen in eine Verwaltungsaus-        an einem Ort gewesen war, dann          Maichingen geheiratet. Gemeinsam        allem, was Musik anbelangte. Seine         Liebe für Fußball sollte sein Leben
bildung und den Sicherheitsbereich                                                 haben die beiden drei Kinder groß-      Schwester kann sich bis heute gut an       lang halten. Er kannte den Spiel-      Und die beiden konnten diese letz-
am Flughafen. 30 Jahre lang brachte                                                gezogen und nach der Trennung gute      die laute „Kiss“-Beschallung erin-         stand jedes Spiels, nicht nur in der   ten Jahre so richtig gut miteinander
er anderen das Motorradfahren bei.            Er konnte schimpfen                  und entspannte Wege miteinander         nern, die Dieter ihr in frühen Jahren      Bundesliga. Aber auch die Formel 1     leben. Das Leben in vollen Zügen
                                                    wie ein                        gefunden.                               zugutekommen ließ. Er selbst hatte         hatte ihren festen Platz in seinem     genießen. Motorradfahren, Zeit zu
Dieter konnte schimpfen wie ein                                                                                            Gitarre spielen gelernt und war eine       Leben. Ganz vorne dran.                zweit, Zeit mit Familie. In den letz-
                                                echter Schwabe
echter Schwabe. Über alles und vor
allem den Verkehr und andere Ver-
kehrsteilnehmer. Als Fahrlehrer hatte      erkannte er alles wieder und wusste,
                                                                                   A    ls Vater war er ziemlich locker.
                                                                                        Er hatte Freude an Unterneh-
                                                                                   mungen mit seinen Kindern. Und
                                                                                                                           ganze Weile in einer Band. Musik
                                                                                                                           war ihm wichtig. Vor allem, wenn
                                                                                                                           sie laut war.
                                                                                                                                                                      Dieter war ein Jäger und Sammler.
                                                                                                                                                                      Kaum etwas in diesem Universum,
                                                                                                                                                                                                             ten Jahren ging Dieter die Familie
                                                                                                                                                                                                             über alles. Mathias, Beatrice, Re-
                                                                                                                                                                                                             becca und natürlich Noah, der En-
er einen hohen Standard und gewisse        wo es langging. Wenn Motorradaus-       mit Dieter war immer Action: Hal-                                                  das er nicht mitgenommen hätte,        kel. Noah war seine große Liebe von
Ansprüche. Nicht nur an sich selbst,       flüge mit Freunden anstanden, plan-     lenbad, Ausflüge in den Europapark            „Wenn es etwas                       wenn es kostenlos war. Alles, was      Geburt an. Opa sein war für Dieter
sondern an alle anderen auch. Er           te deshalb oft er die Routen. Und       oder nach Tripsdrill.                                                              es umsonst gab, war gut. Kugel-        einfach cool.
                                                                                                                                  zu essen gibt,                      schreiber, Gummibären, Pins, Feu-
                                                                                                                                                                      erzeuge.                               In den letzten Jahren wurde Südaf-
                                                                                                                                dann komme ich.“                                                             rika für ihn wichtig. Es fing an mit
                                                                                                                                                                      Er selbst kannte seine kleinen         einem Besuch in einem Hostel bei
                                                                                                                           Gleichzeitig war er in seiner Jugend       Schwächen nur zu gut. Wenn man         Storms River, zum Helfen. Und es
                                                                                                                           immer etwas sensibel, hatte schnell        ihn zu einem Fest einlud, konnte       endete in einer tiefen, freundschaft-
                                                                                                                           Heimweh und untersuchte sein Essen         es sein, dass er sagte: Wenn es et-    lichen Verbundenheit mit den Men-
                                                                                                                           ziemlich genau auf unliebsame In-          was zu essen gibt, dann komme ich.     schen dort.
                                                                                                                           haltsstoffe. Pilze oder Meeresfrüchte      Denn Essen war wichtig. Bratwurst
                                                                                                                           gingen gar nicht.                          und Schinken, Schwarzwurst vom         Und auch hier griff Dieters Sammel-
                                                                                                                                                                      Metzger in Kayh, Gummibärchen          leidenschaft. Zu Weihnachten sam-

                                                                                                                           S   port war ihm immer wichtig, wie
                                                                                                                               er auch in der Familie wichtig
                                                                                                                           war. Als Dieter noch ein Junge war,
                                                                                                                                                                      und Schokolade. Dabei konnte er
                                                                                                                                                                      nie essen, ohne zu krümeln. Auf das
                                                                                                                                                                      Gratis-Essen an der Hochzeit seiner
                                                                                                                                                                                                             melte er alles, was irgendwie nützlich
                                                                                                                                                                                                             war und was man nach Südafrika
                                                                                                                                                                                                             schicken konnte.
                                                                                                                           saßen sie am Samstagabend alle             Tochter hatte er sich schon gefreut.
                                                                                                                           gemeinsam vor dem Fernseher, um
                                                                                                                           die Sportschau anzuschauen. Unter-
                                                                                                                           stützt von den Eltern, spielte er Fuß-    S   eine Lebenspartnerin Petra ist
                                                                                                                                                                         erst ein wenig später in Dieters
                                                                                                                                                                                                             D    ieter konnte gut und gerne
                                                                                                                                                                                                                  schimpfen. Nur an seinem letz-
                                                                                                                                                                                                             ten Tag war es anders. Den ließ er
                                                                                                                           ball in Maichingen in der 1. Mann-         Leben getreten. Da war er schon aus    Revue passieren und sagte: „Es war
                                                                                                                           schaft. Er machte nicht nur auf dem        dem Gröbsten raus. Da wusste er,       heute so ein schöner Tag.“

Dieter Wälde in Südafrika: Erst war es nur ein Besuch, dann große Verbundenheit.

14                                        LebensZeiten ∙ Ausgabe 25                                                                                                   LebensZeiten ∙ Ausgabe 25                                                15
LebensZeiten - Im engsten Kreis - Ein Magazin über das Unvermeidliche und für das Leben danach - Bestattungshauses Haller
Recht                                                                                                                                                                                                                             Kultur und Historisches

                                                                                                                                In guter Gesellschaft · Uffkirchhof Stuttgart-Cad Cannstatt

                                                                                                                               Gottlieb Daimler
Kann man es rückgängig machen,                                                                                                  Ingenieur und Konstrukteur
                                                                                                                                Einer der größten Pioniere des Automobilbaus

wenn man ein Erbe ausgeschlagen hat?                                                                                            Geboren 1834 in Schorndorf, gestorben 1900 in Bad Cannstatt

N                                                                                                                              G
            icht jeder, der erbt,        nung auch nicht übernehmen. Die         geschlagen wird, so kann man diese                        ottlieb Daimler war der Sohn des Gastwirts            1883 meldeten sie den Einzylinder-Viertaktmotor mit Glüh-
            nimmt dieses Erbe auch       Nachlasspflegerin informierte die       Ausschlagung im Nachhinein nicht                          und Bäckermeisters Johannes Däumler (erst             rohrzündung zum Patent an. Sie entwickelten 1885 das ers-
            an. Manchmal vermutet        Schwester der Verstobenen. Darauf-      mehr anfechten. Juristisch gespro-                        später wurde der Name anders geschrieben)             te Motorrad mit Benzinmotor, den sogenannten Reitwagen.
            man, dass der Verstorbe-     hin wollte die Schwester ihre frühere   chen: Die irrtümlich angenommene                          und seiner Ehefrau Frederika.                         Danach folgte der Einbau eines Ottomotors in ein Boot,
ne einem nur Schulden hinterlassen       Entscheidung zurücknehmen: Sie          Wertlosigkeit des Nachlasses stellt                                                                             das erste Motorboot. Im selben Jahr bauten sie auch noch
hat. Aus diesem oder anderen Grün-       focht die erklärte Ausschlagung an      einen unbeachtlichen Motiv-Irrtum             Nach seinem Realschul-Abschluss machte der junge Gott-            einen Motor in eine vierrädrige Kutsche ein. Dies war der
den kann es dazu kommen, dass man        und erklärte, dass sie die Erbschaft    dar. Allerdings trifft das dann nicht         lieb eine Ausbildung zum Büchsenmacher und arbeitete              Beginn der Entwicklung des Automobils!
eine Erbschaft ausschlägt. Ist diese     doch annehme. Sie beantragte einen      zu, wenn sich der Erbe konkrete Ge-           von 1853 bis 1857 in einer Maschinenbau-Firma im El-
Entscheidung endgültig? Oder kann
man sie rückgängig machen?
                                         Erbschein, mit dem sie sich als ge-
                                         setzliche Alleinerbin der Verstorbe-
                                         nen ausweisen wollte.
                                                                                 danken gemacht hat über die Zusam-
                                                                                 mensetzung des Nachlasses und sich
                                                                                 dabei getäuscht hat.
                                                                                                                               sass. Danach begann er ein Maschinenbau-Studium am
                                                                                                                               Polytechnikum Stuttgart. Er hatte Führungspositionen bei
                                                                                                                               verschiedenen Unternehmen, unter anderem in Reutlingen,
                                                                                                                                                                                                D    ie Daimler AG gehört heute zu den international größ-
                                                                                                                                                                                                     ten und erfolgreichsten Unternehmen. Weltweit sind es
                                                                                                                                                                                                 knapp 300 000 Mitarbeiter (Stand 2018).
Mit dieser Frage hat sich das Oberlan-                                                                                         und begegnete dabei zum ersten Mal Wilhelm Maybach.
desgericht Düsseldorf befasst (OLG
Düsseldorf – Beschluss vom 19. De-
zember 2018 – AZ. 3 Wx 140/18).             Nur aufgrund von
                                                                                 E    in zentraler Begriff ist also Spe-
                                                                                      kulation: Nur aufgrund von
                                                                                 Spekulationen sollte man nicht vorei-
                                                                                                                               Seitdem arbeiteten die beiden zusammen. Daimler wech-
                                                                                                                               selte zur Gasmotorenfabrik Deutz, und auch Maybach ging
                                                                                                                               dorthin. Unter Leitung von Daimler brachten sie 1872 den
                                                                                                                                                                                                 Nach Daimler wurden in Bad Cannstatt die Daimlerstraße,
                                                                                                                                                                                                 der Daimlerplatz und das Gottlieb-Daimler-Gymnasium
                                                                                                                                                                                                 benannt, in Untertürkheim gibt es die Daimlerbrücke.
                                           Spekulationen sollte                  lig erklären, ein Erbe auszuschlagen.         Ottomotor zur Serienreife.
Konkret ging es dort um diese Ge-                                                Es eilt ja auch nicht! Denn man hat           1882 verließen Daimler und
schichte: Die Polizei fand eine tote       man nicht voreilig ein                grundsätzlich sechs Wochen Zeit,              Maybach nach einem Streit
Frau in einer äußerst verwahrlos-           Erbe ausschlagen                     bis man erklären muss, ob man ein             mit dem Chef das Unterneh-
ten Wohnung. Die Tote war Wit-                                                   Erbe annimmt oder ausschlägt. Die-            men Deutz.
we. Als gesetzliche Erbin kam die                                                se Frist beginnt, sobald man erfahren
Schwester der Verstorbenen in Be-
tracht. Doch die Schwester erklärte
beim Nachlassgericht, dass sie die
                                         D     er Antrag auf den Erbschein
                                               wurde zurückgewiesen. Die
                                         Begründung: Es gebe keinen An-
                                                                                 hat, dass jemand gestorben und man
                                                                                 selbst zum Erben berufen ist. Die
                                                                                 Frist ist länger, wenn der Verstorbene
                                                                                                                               Daimler erwarb in Cannstatt
                                                                                                                               ein Landhaus am Rande
                                                                                                                               des Kurparks und gründe-
Erbschaft ausschlagen wolle. Denn        fechtungsgrund und deswegen auch        zum Zeitpunkt des Todes im Aus-               te gemeinsam mit Maybach
sie ging davon aus, dass sie als Erbin   keine wirksame Anfechtung der           land gelebt hat oder der Erbe sich            eine neue Versuchswerkstatt.
auch sämtliche Entrümpelungs- und        Ausschlagung. Damit wollte sich die     gerade im Ausland aufgehalten hat:            Ihr erklärtes Ziel war es,
Renovierungskosten für die Woh-          Schwester nicht abfinden und legte      Dann sind es sechs Monate Aus-                „schnell laufende Verbren-
nung ihrer Schwester bezahlen müss-      Beschwerde beim OLG ein. Doch           schlagungsfrist.                              nungsmotoren“ zu entwickeln.
te und der Nachlass der Schwester        sie konnte sich mit ihrer Auffassung
damit wohl überschuldet sei.             nicht durchsetzen.                                                                    Diese Werkstatt gibt es noch
                                                                                                                               heute: ein Museum im Kurpark,
Es wurde eine Nachlasspflegerin          Das OLG entschied: Wenn jemand                                                        das kostenlos besichtigt werden
bestellt. Diese fand heraus, dass die    als Erbe aufgrund von reinen Spe-                                                     kann.
Schwester der Verstorbenen sich          kulationen und Vermutungen irr-                                Kerstin Herr                                             Gottlieb Daimlers Grab auf dem Uffkirchhof in Bad Cannstatt.
geirrt hatte: Der Nachlass war gar       tümlicherweise davon ausgeht, dass                             Rechtsanwältin
nicht überschuldet, und die Erben        ein Nachlass überschuldet ist, und                             Kanzlei Königstraße,
mussten die Renovierung der Woh-         wenn der Nachlass deswegen aus-                                Stuttgart
                                                                                                                               In dieser Serie schreibt Werner Koch, der ehemalige Leiter des Garten-, Friedhofs- und Forstamtes der Stadt Stuttgart.
                                                                                                                               Er ist zusammen mit seinem Sohn, dem Fotografen Christopher Koch, Autor des Stuttgarter Friedhofsführers.
16                                       LebensZeiten ∙ Ausgabe 25                                                                                                         LebensZeiten ∙ Ausgabe 25                                                    17
LebensZeiten - Im engsten Kreis - Ein Magazin über das Unvermeidliche und für das Leben danach - Bestattungshauses Haller
Kreatives

Liebe in Farben
                                                                                                     E                                                               D
                                                                                                                lisabeth Lanz hat sich ein bisschen zurückgezo-             er Adler war immer ein besonderes Tier für Arne
Als Set bestehend aus einer eine Pappmaschee-Urne, mit Kleister, Grundierung, Pinsel und Klar-                  gen, als die Urne für ihren verstorbenen Mann               Lanz gewesen. Das Ehepaar lebte im neunten
lack. So bekommen Angehörige im Bestattungshaus Haller die Urnen zum Selberbasteln ausgehän-                    gestaltet wurde. Das überließ sie gern ihren bei-    Stock, das war fast wie ein Adler-Horst. Er wäre auch
                                                                                                                den Töchtern und den drei Enkeln, sieben, fünf       gerne noch nach Afrika gereist, also gab ihm seine Fami-
digt. Dann geht es ans Werk. Hier beschreiben drei Familien, wie sie die Urnen gestaltet haben und
                                                                                                     und zwei Jahre alt. Ihr selbst war es in dem Moment zu          lie ein klein wenig Afrika mit auf den Weg. Die Kinder
warum. Und wie es Ihnen damit erging.                                                                viel, zu nah. Sie fand es schön, aber zugleich auch sehr        wiederum sind Pferdenarren, und Pferde kann man auch
                                                                                                     schmerzlich, das kreative, liebevolle Gewusel beim Basteln      in der Ewigkeit gut gebrauchen. Unsichtbar fürs Auge

A
                                                                                                     mitanzusehen. Von jedem kam etwas ganz Persönliches auf         gibt es noch einen Drachen, der den Opa beschützen soll.
              ls Julia Sandmanns Mutter gestorben                                                    die Urne. Zunächst die Hände der Enkel. Denn Opa sollte         Elisabeth Lanz tat es gut, die fertige Urne zu sehen und
              war, hörte sie davon, dass man Überur-                                                 sich gehalten wissen. Aus diesen Händen wurden dann ein         zu sehen, wie viel Liebe und Gedanken ihre Familie da
              nen selbst basteln kann. Da war ihr sofort                                             Adler, ein Löwe, eine Giraffe und zwei Pferde.                  hineingesteckt hatte.
              klar: Das will ich für meine Mutter ma-
chen. Ihre Mutter hatte schon immer Selbstgebasteltes
ihrer Tochter geliebt, sie war stolz auf die künstleri-
schen Werke. Auf dem Tisch in Mutters Wohnzimmer
standen seit Jahren Papierblumen, die Julia einmal aus
alten Büchern gemacht hatte. Julia wusste: Die gefal-
len ihr. Also nahm sie ein paar dieser Blumen und
band sie an der Urne fest. Schmetterlinge kamen hin-
zu. Julias Mutter war lange im Rollstuhl gesessen. Die
Schmetterlinge stehen für Julia auch dafür, dass ihre
Mutter das Erdenschwere nun hinter sich gelassen hat
und frei ist.

Als nicht viel später Julias Vater starb, war es für sie
selbstverständlich: Auch er bekommt so eine ganz per-

                                                                                                      D                                                              O
sönliche, selbstgebastelte Urne. Ihr Vater war jemand                                                            aniela Dreher hat schon zwei Überurnen ge-                bendrauf haben sich die Vögel in Herzen verwandelt.
gewesen, der immer gerne auf Reisen war. Und er                                                                  staltet. Das erste Mal vor neun Jahren, als ihr           Das war das Werk der beiden Töchter. Sie haben ih-
hatte die Welt von Gestern geliebt. Er mochte Nostal-                                                            Vater starb. Damals hat sie zusammen mit            rer Mutter auch in der Urne kleine ausgeschnittene Herzen
gisches, Autos und Country Music. „On The Road                                                                   ihrer Familie eine bunte Überurne gemacht.          mit auf den Weg gegeben. Sie haben sich zum Gestalten in
Again“ von Willie Nelson war eine sehr nageliegende                                                    Danielas Vater war Kunstmaler, und eines seiner Werke         Omas Wohnung getroffen. Ein Bild von ihr stand auf dem
Wahl.                                                                                                  wurde oben auf der Urne befestigt.                            Tisch, daneben eine Kerze.

F   ür Julia war es ein schöner Prozess, die Überurnen
    zu gestalten. Darin konnte sie noch ganz viel Liebe
ausdrücken. Sie freute sich über die Gelegenheit, den
                                                                                                       Als dann ihre Mutter starb, war es für Daniela klar, dass
                                                                                                       ihr dieselbe Ehre gebührt. Wieder hat die ganze Familie
                                                                                                       mitgeholfen. Der elfjährige Enkel malte für seine Omi ein
                                                                                                                                                                     Die Atmosphäre war geschäftig, traurig, heiter. Sie ha-
                                                                                                                                                                     ben einander viel erzählt. Daniela Dreher ist heute froh,
                                                                                                                                                                     dass sie das gemeinsam
beiden etwas ganz Persönliches mitzugeben. Allerdings                                                  Eis, weil die beiden immer Eis essen waren. Die fünfjährige   gemacht haben. Hin-
konnten die Überurnen nicht mit ins Grab, weil die El-                                                                                Enkelin malte für Oma ei-      terher war die Urne
tern in einem Friedwald beigesetzt wurden. Julia nahm                                                                                 nen Regenbogen und Vögel,      weniger abstrakt, mehr
die Überurnen also mit nach Hause, merkte aber bald:                                                                                  weil die schön sind und Oma    persönlich. Es hat ihr
Es fiel ihr etwas schwer, diese Überurnen bei sich in                                                                                 welche haben soll. Hinten      geholfen, sich dem Un-
der Wohnung zu haben. Inzwischen stehen sie in der                                                                                    drauf war ein Porsche zu       begreiflichen, dem Tod
Haller-Filiale in Stuttgart-Sillenbuch. Und Julia Sand-                                                                               sehen, weil die Oma die so     und auch der eigentlich
mann mag das Gefühl, dass sie noch da sind.                                                                                           toll fand (und ihr Schwie-     so abstrakten Einäsche-
                                                                                                                                      gersohn dort arbeitete).       rung anzunähern.

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Trauergruppen und Begleitung, Quellenangaben                                                                                                                                                                                  In eigener Sache · Veranstaltungen

 Trauergruppen und Begleitung
                                                                                                                                   Musikalischer Salonabend

                                                                                                                                   Von Mozart bis Ellington,
Hospiz St. Martin · Jahnstraße 44-46 · 70597 Stuttgart Tel.: 0711 · 652 90 70 · www.hospiz-st-martin.de

Hospiz Stuttgart · Stafflenbergstraße 22 · 70184 Stuttgart Tel.: 0711 · 237 41 52 · www.hospiz-stuttgart.de
                                                                                                                                   von Puschkin zu Achmatowa
Einzelgespräche und -begleitung, Gesprächsgruppen
                                                                                                                                   Mittwoch, 12. Februar 2020 · 19:30 Uhr · Obere Weinsteige 23 · 70597 Stuttgart-Degerloch

                                                                                                                                   An diesem Abend nimmt uns der Musiker Vladimir Trenin mit auf eine Reise durch Musik aus
Hospizgruppe Leinfelden-Echterdingen                                                                                               aller Welt. Er spielt auf einem Bajan, einem russisches Knopfakkordeon: Klassik und Jazz, Volks-
Barbara Stumpf-Rühle Tel.: 754 17 33 ∙ Gudrun Erchinger Tel.: 756 05 14 ∙ Elfriede Wieland Tel.: 754 13 41                         und Weltmusik. Zu hören sind auch Texte russischer Dichter, berührend-heiter bis sehnsuchtsvoll,
                                                                                                                                   von Puschkin bis Achmatowa.

Hospizdienst Leonberg · Seestraße 84 · 71229 Leonberg                                                                              Ein musikalisch-literarischer Salonabend im Bestattungshaus Haller.
Tel.: 07152 · 335 52 04 · www.hospiz-leonberg.de                                                                                   Eintritt 15 Euro; die Zahl der Plätze ist begrenzt.
                                                                                                                                   Bitte anmelden über kultur@bestattungshaus-haller.de.

Hospizdienst Ostfildern · Café für Trauernde Treffpunkt Ruit · Scharnhauser Straße 14 · 73760 Ostfildern-Ruit                      Stadtbahn-Haltestelle: Weinsteige oder Degerloch; Zacke: Haigst                                     Vladimir Trenin
Tel.: 0711 · 341 53 36 oder Tel.: 0711 · 616 099 Gesprächskreis & Gesprächsgruppe für Trauernde

Hospiz Esslingen · Keplerstraße 40 · 73730 Esslingen · Tel.: 0711 · 13 63 20 12 · www.hospiz-esslingen.de
Einzelbegleitung, Trauergruppen (donnerstags), Trauercafé (einmal im Monat, sonntags)
                                                                                                                                   Trauerwandern im Schwarzwald
Verwaiste Eltern · Hubertus Busch · Seelsorger im Olgäle · Tel.: 0711 · 278 73 860                                                 Zwei Tage Wandern und Coaching
Vermittlung, Trauergruppen für Eltern, die ein Kind verloren haben
                                                                                                                                   Ganz neue Wege gehen Cäcilia Gemke und Jutta Offner. Beide sind passionierte Wanderführerinnen,
                                                                                                                                   und beide wissen, was es bedeutet, um einen lieben Menschen zu trauern. Sie nutzen ihre eigenen
Arbeitskreis Leben · Römerstraße 32 · 70180 Stuttgart Tel.: 0711 · 60 06 20 · www.ak-leben.de                                      Lebens- und Coaching-Erfahrungen, um andere Menschen mit auf den Weg zu nehmen und gemein-
Einzel-, Paar- und Familiengespräche für Menschen, die einen Angehörigen durch Suizid verloren haben                               sam neue Perspektiven zu erschließen. Denn: Wandern wirkt. Man kann neue Wege gehen, loslassen,
                                                                                                                                   entspannen, nach vorne schauen. Kraft schöpfen in der Natur, Selbstvertrauen wiedergewinnen, neue
                                                                                                                                   Energie für die Herausforderungen des Alltags finden. Damit man das eigene Leben wieder selbst
                                                                                                                                                                                                                                             Lautenbachhof

 Quellenangaben
                                                                                                                                   gestalten kann und voller Zuversicht den neuen Lebensweg geht.

                                                                                                                                   Auf diesen Trauerwanderungen gibt es Übungen und Impulse, die dabei helfen sollen, sich selbst zu
                                                                                                                                   verstehen, den eigenen Weg zu würdigen und sich neu auszurichten. Und natürlich ist da viel Raum für
 Die Quellen der Bilder werden seitenweise angegeben, innerhalb der Seite jeweils von links nach rechts und von oben nach unten.   Gespräche mit anderen, die auf demselben Weg sind.

   Umschlag: alles Adobe Stock / Fotolia                                                                                           Cäcilia Gemke ist Bergwanderführerin und zertifizierter Outdoor-Coach. Sie führt seit zwölf Jahren
   Seite 3: Lange Photography                                             Seite 16: Fotolia, privat                                Menschen durch die Berge und hat mehr und mehr die Heilungskräfte der Natur erkannt.
   Seite 4 & 5: alle Simon Dittrich                                       Seite 17: Christopher Koch                               Jutta Offner ist Wander- und Landschaftsführerin mit Schwerpunkt Schwarzwald. Seit vielen Jahren ist
   Seite 6 & 7: alle Adobe Stock                                          Seite 18 & 19: alle privat                               sie dort unterwegs und kennt inzwischen nahezu jeden Stein.                                               Jutta Offner
   Seite 8 & 9: alle Adobe Stock                                          Seite 21: alle privat
   Seite 10 & 11: alle Adobe Stock                                        Seite 22 & 23: Adobe Stock, Adobe Stock                  Einladung zum Wandern:
   Seite 12 & 13: alle Adobe Stock                                        Seite 24 & 25: Adobe Stock, Adobe Stock                  Sa., 16. Mai, 10 Uhr bis So., 17. Mai, 16 Uhr. Lautenbachhof, 75385 Bad Teinach. Eigene Anreise.
   Seite 14 & 15: alle privat                                             Seite 26 & 27: Adobe Stock, Adobe Stock                  Wandern und Coaching bieten die beiden ehrenamtlich an. Die Teilnehmerzahl ist auf 10 begrenzt.
                                                                                                                                   Kosten für Einzelzimmer und Vollpension: 164 Euro. Getränke kommen hinzu.
 Inhaltliche Beratung: Heiko Hauger · Texte, falls nicht anders angegeben: Andrea Maria Haller                                     Eingeladen sind alle, die moderat fit sind und deren Trauerfall mindesten ein Jahr zurückliegt.
                                                                                                                                   Anmelden über www.montevida.de bis zum 27. April.
                                                                                                                                                                                                                                             Cäcilia Gemke
 20                                            LebensZeiten ∙ Ausgabe 25                                                                                                        LebensZeiten ∙ Ausgabe 25                                                    21
Wintermärchen                                                                                                                                                                                                                    Wintermärchen

Josephine und das
Singen der Bäume
Was bisher geschah: An einem nicht allzu weit entfernten Wintertag war Josephine, ein singender Engel aus den
oberen Etagen des himmlischen Chors, auf die Erde gekommen – aus lauter Neugier auf die Vergänglichkeit.
Prompt hatte sie sich in den sehr vergänglichen Schneemann Herrn Hannibal verliebt. Als Herr Hannibal schmolz,
erfuhr Josephine ihren ersten Verlust und erlebte den schmerzlichen Teil irdischer Vergänglichkeit. Josephine hat
seither schon einige Abenteuer auf Erden erlebt: ein langes Gespräch mit einer Friedhofsmaus, welche die
Geschichten der Menschen hütet, eine leicht irrationale Begegnung mit dem Weihnachtsmann, bei der beide das
Ja-Sagen zum Leben wieder gelernt haben, und eine Wanderung, auf der Josephine ihren Ängsten begegnet ist
und ihre Stimme wiederentdeckt hat.

                                                                          A
                                                                                       ls Josephine in die Nähe des
                                                                                       Waldes kam, hörte sie ein
                                                                                       leises Säuseln. Ein Flüstern.
                                                                                       Doch in dem Moment, in
                                                                          dem ihre Füße den Waldboden berührten,
                                                                          schien es zu verstummen. So wie Gesprä-
                                                                          che manchmal verstummen, wenn man ein
                                                                          Zimmer betritt, und alle haben über einen
                                                                          geredet.
                                                                                                                        A    ber sobald sie anhielt, um zu
                                                                                                                             lauschen, schien es, als ver-
                                                                                                                        stummten die Stimmen wieder.
                                                                                                                                                                 Nach einer Weile kam Josephine an
                                                                                                                                                                 eine Bank unter einer großen, alten
                                                                                                                                                                 Eiche und ließ sich seufzend nieder.
                                                                                                                                                                                                          wohler als in der Kargheit der Winter-
                                                                                                                                                                                                          monate. Mir geht es aber gar nicht so.
                                                                                                                                                                                                          Die Kargheit des Waldes spiegelt die
                                                                                                                                                                                                          Stimmung meiner Seele wider. Alles
                                                                          Josephine war unterwegs in den Wald,          Der Engel helle Lieder – ach, wie        Wieder lauschte sie in den Wald hi-      ist leer. Ich wachse nicht nach außen,
                                                                          weil man ihr geraten hatte, dass der Wald     sehnte sie sich. Sie sehnte sich nach    nein. Und wirklich, nach einer Weile     ich wachse nach innen. Die Verbin-
                                                                          ihrer Seele guttun würde. Dieser Wech-        den Chorproben der Engel im Him-         konnte sie die klaren Töne eines leise   dung zum Leben, die ist innen. Ganz
                                                                          sel der Schatten, das Spiel mit Hell und      mel, den sie verlassen hatte, um die     gesungenen Liedes ausmachen.             tief innen.“
                                                                          Dunkel, all das sei gut für das Gehirn.       Vergänglichkeit zu schmecken. „Was
                                                                          Das reaktiviere die Verbindung zwischen       haben wir da oben nicht alles gesun-      Nach grüner Farb                        „Ich will es aber probieren“, zischte
                                                                                                                                                                  mein Herz verlangt
                                                                          der rechten und linken Gehirnhälfte. Und      gen!“ Michael hatte dieses wun-                                                   eine Stimme.
                                                                                                                                                                  in dieser trüben Zeit.
                                                                          helfe, Schwieriges, das man erlebt habe,      derbare Halleluja komponiert und          Der grimmig Winter währt so lang,
                                                                          besser zu integrieren. Außerdem seien die     Raphael die Harmonien dazu entwi-         der Weg ist mir verschneit.             „Ich will auch“, keifte eine andere.
                                                                          Terpene, die heilsamen Düfte und Gerü-        ckelt. Es war herrlich. Die gewaltigen    Die süßen Vöglein jung und alt,

                                                                                                                                                                                                          J
                                                                          che im Wald, gut für das Immunsystem.         Chöre der Engel. Wahrscheinlich           die hört man lang nit meh´;                osephine hörte ein Geräusch, aber
                                                                          Vor allem, wenn man sich ganz langsam         war Herr Hannibal, der Schnee-            das tut des argen Winters G’walt,          bekam nicht richtig mit, was gesagt
                                                                                                                                                                  der treibt die Vöglein aus dem Wald
                                                                          bewege und stundenlang unter den Bäu-         mann, Josephines große Liebe,                                                     wurde. Sie sah sich um, sah aber nie-
                                                                                                                                                                  mit Reif und kaltem Schnee.
                                                                          men verweile.                                 jetzt mitten unter ihnen und brum-                                                manden. Nah bei ihr waren nur zwei
                                                                                                                        mte mit.                                 „Wer das wohl singt?“, fragte sie sich   schlanke Birken, die ein wenig abseits
                                                                          Also streifte Josephine ganz gemächlich                                                und lächelte.                            der Eiche standen.
                                                                          durch den Wald. Immer wieder hielt sie        Immer wieder hörte sie seltsame, an
                                                                          an, weil sie dachte, sie höre jemanden sin-   Gesang erinnernde Geräusche. Da          „Nach grüner Farb mein Herz ver-         „Sie kann doch nicht ewig so rum-
                                                                          gen. Vielleicht hörte sie ja noch der Engel   war etwas, aber sie wusste einfach       langt. Ja“, dachte sie, „vielen geht     nölen.“ „Das Leben geht weiter. Sie
                                                                          helle Lieder, jetzt an diesen Wintertagen?    nicht, was. Vielleicht war sie auch      es bestimmt so. Dem Wald geht es         muss das verstehen. Komm, wir mun-
                                                                                                                        schon ein wenig verrückt geworden in     vermutlich so: Er fühlt sich in seinem   tern sie auf!“ Eine andere tiefe Stim-
                                                                                                                        dieser seltsamen Welt.                   sattgrünen Mantel des Sommers            me sprach: „Lasst ihr Zeit. Das geht

22                                      LebensZeiten ∙ Ausgabe 25                                                                                                LebensZeiten ∙ Ausgabe 25                                                   23
Wintermärchen                                                                                                                                                                                                               Wintermärchen

                                                                                Die Sonne ist eine Lüge. Die Welt
                                                                                im Frühling ist eine Lüge! Und über-
                                                                                haupt, wer singt da eigentlich?“

                                                                                „Okay, das war vielleicht doch ein
                                                                                wenig zu heftig“, flüsterte eine der
                                                                                Birken.

                                                                                „Sie mochte es nicht“, antwortete die
                                                                                andere betreten.

                                                                                „Wir wollten sie doch nur aufmun-
                                                                                tern.“

                                                                                „Ich habe eine andere Idee. Weißt du,
                                                                                sie freut sich doch immer so an den
                                                                                Vögeln. Da denkt sie, das seien Grü-
                                                                                ße aus dem Himmel.“

                                                                                Und eine der Stimmen legte los:
                                                                                 Alle Vögel sind schon da,
                                                                                 alle Vögel, alle!

                                                                                Die andere fiel mit ein:

                                                                                 Welch ein Singen, Musiziern,
                                                                                 Pfeifen, Zwitschern, Tiriliern!
                                                                                 Frühling will nun einmaschiern,         Aber hinterher schämte sie sich                                                  dachte sie. „Jeder Schritt ist eine
                                                                                                                                                                    und lass mich Wurzel treiben.
                                                                                 kommt mit Sang und Schalle.             gleich wieder dafür. Wenn jemand           Verleihe, dass zu deinem Ruhm         Form des Loslösens. Ich löse mich
                                                                                                                         sie so sah? Er würde ja denken, sie        ich deines Gartens schöne Blum        immer wieder von dem Boden,
                                                                                Josephine lauschte. „Ja, die Vögel“,     hätte Herrn Hannibal nicht geliebt.        und Pflanze möge bleiben.             den meine Füße bedeckt haben,
                                                                                dachte sie. „Es ist immer so nett,       Aber das stimmte nicht. Es war ein-                                              um mich auf etwas Neues, Unbe-
                                                                                wenn Herr Hannibal an mich denkt         fach ein ewiges Hin und Her. Es gab       Zufrieden blickte Josephine sich um.   kanntes einzulassen. Etwas, von
                                                                                und mir einen kleinen Gruß vom           Momente, da spürte sie ganz tief die      Sie fühlte sich spontan geborgen in    dem ich noch nicht weiß, wie es
                                                                                Himmel schickt. Und diese kleinen        Verbindung zur Herrn Hannibal in          diesen großen, hoffnungsvollen Tö-     sich anfühlen wird. Und manch-
                                                                                Kreaturen zu beobachten, tut meiner      einer Art süßem Schmerz. Und Mo-          nen, wer auch immer es war, der        mal bin ich hin- und hergerissen:
                                                                                Seele einfach gut.“                      mente, da lag das Leben vor ihr, frei     da mit ihr sang. „Das Leben wird       zwischen der Sehnsucht nach dem
                                                                                                                         und jung wie ein Maienmorgen.             wieder gut werden“, dachte sie. „Es    Vertrauten, nach dem Boden, den

                                        J
nicht von heute auf morgen.“ „Doch.        osephine hielt sich die Hände         Was sie uns verkünden nun,                                                        wird wieder gut werden.“               ich kenne, und dann wieder nach
                                                                                 nehmen wir zu Herzen:
Wir probieren es jetzt!“ Und dann
hoben die Stimmen an zu singen.
                                           vor die Ohren und schrie: „Hört
                                        auf! Hört auf! Wer auch immer ihr
                                        seid.“ Josephine hasste dieses Lied.
                                                                                 Wir auch wollen lustig sein,
                                                                                 lustig wie die Vögelein,
                                                                                                                         L  angsam summte sich vor sich
                                                                                                                            hin, als singe sie für sich selbst.
                                                                                                                         Ganz zögerlich.
                                                                                                                                                                   Die Birken sahen den Wandel in Jo-
                                                                                                                                                                   sephines Stimmung.
                                                                                                                                                                                                          dem Neuen, Unbekannten, dem
                                                                                                                                                                                                          Fremden, dem Abenteuer. Aber
                                                                                                                                                                                                          ich hebe meinen Fuß in die Luft –
                                                                                 hier und dort, feldaus, feldein,
 Veronika, der Lenz ist da,             „Ich will keinen Frühling. Ich will      singen, springen, scherzen.                                                                                              und siehe, sie trägt.“
 Veronika, Veronika, der Lenz ist da!   keine frischen Blumen, keine grünen                                               Geh aus, mein Herz,                      „So wird es sein“, dachte Josephine.
                                                                                                                          und suche Freud
                                                                                A
 Veronika, der Lenz ist da,             Wiesen. Ich will in diesem Winter             ber sich so ganz diesem wilden                                               „Wir werden wieder vereint sein.       „Au, jetzt wird sie ganz philoso-
 die Mädchen singen tralala.                                                                                              in dieser lieben Sommerzeit
                                        bleiben, da, wo Herr Hannibal ist.            Leben zuwenden – das fiel ihr       an deines Gottes Gaben;                  Wir werden wieder zusammenkom-         phisch“, murmelte eine der Bir-
 Die ganze Welt ist wie verhext,
 Veronika, der Spargel wächst!          Ich will durch den Schnee die Ver-      so schwer. Singen, springen, scherzen?    Schau an der schönen Gärten Zier,        men! Ich spüre es. Und bis dahin       ken, für Josephine unhörbar.
 Veronika, die Welt ist grün,           bindung mit Herrn Hannibal spüren       Sie musste zugeben, es gab so manchen     und siehe, wie sie mir und dir           werde ich noch viel im Wald spazie-
 drum lasst uns in die Wälder ziehn.    und wissen, in jeder Flocke ist etwas   Moment, da war ihr danach. Aber im-       sich ausgeschmücket haben.               ren gehen müssen.“                     „Gleich fängt sie bestimmt wieder
 Sogar der Großpapa sagt zu der         von Herrn Hannibal geborgen. Ich        mer nur kurz, für ein paar Minuten.                                                                                       an zu weinen.“
                                                                                                                         Dann stimmten die Bäume mit ein:
 Großmama:
 Veronika, der Lenz ist da,
 Veronika, Veronika, der Lenz ist da!
                                        will das Kalte und Düstere. Denn
                                        so fühlt sich meine innere Welt an.
                                        Das darf mir niemand wegnehmen!
                                                                                Wenn sie mit anderen zusammen war,
                                                                                die sie verstanden. Wenn sie für ein
                                                                                paar Momente vergessen konnte.
                                                                                                                          Mach in mir deinem Geiste Raum,
                                                                                                                          dass ich dir werd ein guter Baum,
                                                                                                                                                                   U     nd ihre Gedanken spazierten
                                                                                                                                                                         in eine neue Richtung. „Ge-
                                                                                                                                                                   hen ist schon was ganz Besonderes“,
                                                                                                                                                                                                          „Ich kann es nicht mitansehen.“

24                                      LebensZeiten ∙ Ausgabe 25                                                                                                 LebensZeiten ∙ Ausgabe 25                                             25
Wintermärchen                                                                                                                                                                                                               Wintermärchen

                                                                               „Au, nein, nicht!!“, jammerten die
                                                                               Birken dazwischen. „Nicht. Nicht
                                                                               reden lassen. Sie hört nimmer, nim-
                                                                               mer auf, und dann weint sie wieder.
                                                                               Und dann waren all unsere Mühen,
                                                                               sie aufzumuntern, vollkommen um-
                                                                               sonst.“

                                                                               „Du stürzt sie zurück ins Unglück.“
                                                                               „Das ist unerträglich.“
                                                                               „Das hält keiner aus.“

                                                                               D     ie Eiche lächelte und ließ ihre
                                                                                     Äste sanft im Wind wippen.
                                                                               „Unerträglich für wen? Das hält wer
                                                                               nicht aus? Ihr oder sie?“, wandte sie
                                                                               sich an die Birken.

                                                                               Die Birken schauten sie verwundert
                                                                               an. „Ist doch dasselbe“, stammelten
                                                                               sie.

                                                                               „Ist es das?“
                                                                               Josephine blickte verwundert um
                                                                               sich. „Wer spricht denn da die ganze
                                                                               Zeit?“

                                                                               „Ach, das sind nur wir, Josephine.“
                                                                               sagt die Eiche freundlich. „Die Bäu-
                                                                               me des Waldes, wir plappern immer       „Eigentlich singe ich auch ganz        „Ja“, nickte Josephine und lächelte.     zuhören könnt. Vielleicht, vielleicht
                                                                               so vor uns hin. Die meisten stört das   gerne“, sagte Josephine. „Aber seit    Ihre Augen leuchteten, als sie sprach.   singt Herr Hannibal ja auch genau
                                                                               nicht. Sie hören es eigentlich gar      Herr Hannibal geschmolzen ist, hat     Ein wehmütiges Lächeln schlich sich      in diesem Moment mit den Engeln,
                                                                               nicht. Sie denken, wir rascheln und     es mir die Stimme verschlagen, und     über ihr Gesicht.                        lautstark und brummelnd tief, ja,
                                                                               rauschen mit den Ästen im Wind          das Singen fällt mir unglaublich                                                vielleicht.“
                                                                               und hätten nichts zu sagen. Man
                                                                               muss schon gut hinhören, um uns zu
                                                                                                                       schwer. Es rührt mich so tief, dass
                                                                                                                       ich mich gar nicht traue. Im Him-      D     ie beiden Birken blickten einan-
                                                                                                                                                                    der an und rollten mit den Au-     Und sie sprach und sprach und er-
„Pssst!“, schalt die Eiche. „Lasst ihr
doch etwas Zeit. Zeit ist das größte
Geschenk, das ihr ihr geben könnt.“
                                         J  osephine war verwirrt. „Höre ich
                                            Stimmen in meinem Kopf? Oder
                                         habe ich soeben einen Baum spre-
                                                                               verstehen.“

                                                                               „Nun“, dachte sich Josephine,
                                                                                                                       mel, bei den Chorproben, bin ich
                                                                                                                       immer in der ersten Reihe gestan-
                                                                                                                       den. Voller Inbrunst habe ich mich
                                                                                                                                                              gen. „Siehste, genau das ist es. Das
                                                                                                                                                              hört jetzt nie wieder auf“, flüsterten
                                                                                                                                                              sie der Eiche zu.
                                                                                                                                                                                                       zählte den geduldig lauschenden
                                                                                                                                                                                                       Bäumen von jeder Sekunde mit
                                                                                                                                                                                                       Herrn Hannibal. Und als sie fertig
                                         chen hören? Hallo?“                   „eigentlich dürfte mich das nicht       dem Singen hingegeben. Aber jetzt                                               war, stand sie einfach auf und ging
„Und das Schwerste!“, nörgelte eine                                            überraschen. Schließlich kann ich       kann ich gar nicht mehr singen“, ge-   „Hat es schon einmal nie wieder          aus dem Wald hinaus. Sie ging an-
der Birken.                              „Hallo“, antwortete    die   Eiche    ja auch Schneemänner reden hö-          stand Josephine den Bäumen. „Da-       aufgehört?“, fragte die Eiche die        ders aus dem Wald hinaus, als sie hi-
                                         freundlich.                           ren.“                                   bei bin ich doch ein Engel. Im Win-    Birken mit einem Stich Ironie in der     neingegangen war. Aufrechter, hoff-
„Zeit kann doch nicht alles sein“,                                                                                     ter haben wir Hochsaison. Aber         Stimme.                                  nungsvoller und gar ein klein wenig
stimmte die andere mit ein. „Dann        „Hm. Bist du ein sprechender Baum?“   „So, also ihr Bäume redet, und, hm,     es war auch Winter, als ich Herrn                                               lebensfroh.
können wir sie ja gleich ganz alleine                                          habt ihr vorhin auch gesungen?“         Hannibal kennengelernt habe, und       Josephine wiegte sich. „Ach, ich
lassen, und das ist auch nicht gut.“     „Auch das bin ich. Aber noch viel                                             kurz darauf ist er geschmolzen. Da     könnte euch stundenlang davon            Dass sie die Bäume hat singen hö-
                                         mehr. Ich bin ein hörender Baum,      „Jawohl!“, riefen die Birken. „Wir      will ich gar nicht dran denken.“       vorschwärmen. Diese wunderbaren          ren, blieb ihr Geheimnis.
„Josephine“, sprach die Eiche sie        also ein zuhörender Baum. Und         haben gesungen. Wir singen für un-                                             Erinnerungen, sie sind so unglaub-
nun laut und deutlich an. „Josephi-      ich würde gerne alles über Herrn      sere Leben gern. Singen ist so ge-      „War das nicht auch der Moment,        lich kostbar. Ach, ist das schön, dass   Alle Märchen finden Sie unter
ne, magst du uns von Herrn Hanni-        Hannibal hören. Alles. Erzähl mir     sund, eigentlich müsste es der Arzt     in dem du ihn zum Singen gebracht      ihr geduldig seid, wie nur Bäume es      www.bestattungshaus-haller.de/
bal erzählen?“                           …“                                    verschreiben.“                          hast?“, fragte die Eiche.              sein können, und dass ihr so endlos      trauergeschichten/

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