LebensZeiten - Vom Halt der Freundschaft im Fluss des Lebens - Ein Magazin über das Unvermeidliche und für das Leben danach - Bestattungshaus Haller
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LebensZeiten Ausgabe 24 Ein Magazin über das Unvermeidliche und für das Leben danach Vom Halt der Freundschaft im Fluss des Lebens
Gedicht Erste Worte Inhalt Liebe Leserinnen und Leser, Lebenswege Vom Halt der Freundschaft 6 der Trauer recht geben, aber ihr nicht da im Fluss des Lebens letzte Wort lassen: In diesen Worten des Gedichtes von Friedrich Karl Barth steckt Kunst, Kultur und Historisches eine Bereitschaft, sich dem Schmerz eines LebensSchichten: 4 Wir kamen uns nahe, wir blieben uns fremd. Verlustes zu stellen und eine klare Entschie- Edel Schäfer aus Stuttgart denheit weiterzuleben. Ein roter Faden, der Wir merken jetzt, was uns fehlt, sich in wundersamer Weise in fast all den Lebensgeschichten Geschichten dieser Ausgabe von Lebens- Energie in allen Sparten: 12 und fragen uns, was denn bleibt. Zeiten wiederfindet. Norbert Böhme Farben fürs Leben: 14 Wir werden der Trauer recht geben; Ihnen gute Einblicke beim Lesen und Mut Walter Surdmann zum Leben! aber sie muss nicht das letzte Wort behalten. Aus fernen Ländern Mit den Toten in Gemeinschaft: Trauerrituale in Mexiko 24 Aus: Der Trauer recht geben Veranstaltungen und Tipps von Friedrich Karl Barth Trauergruppen und Begleitung 22 Veranstaltungen für Trauernde: 23 die Kunst des Hoffens © Strube Verlag, München Rituale in der Trauer Ein Bad im Walde 17 Steuern und Recht Verschwunden aber wirksam: 16 Ihre Über verlorene Testamente Andrea Maria Haller lebenszeiten@bestattungshaus-haller.de Buchbesprechung Von Pilz und Habicht 18 Gedicht Der Trauer recht geben 2 Bildquellenangaben 22 Impressum 28 LebensZeiten erscheint vierteljährlich. Mit LebensZeiten wollen wir die Angst vor dem Tod und vor Trauer nehmen und uns für einen offenen Umgang mit diesen Themen einsetzen. LebensZeiten soll helfen, sich auf das Unvermeidliche vorzubereiten, und Mut machen für das Leben danach. Hier erzählen wir die Geschichten der Menschen, die uns in 2unserer Arbeit als Bestatter begegnen. LebensZeiten ∙ Ausgabe 24 LebensZeiten ∙ Ausgabe 24 3
Kunst Kunst LebensSchichten S ie malt. Schicht um In dieser Serie stellen wir Künstler aus der Region vor. Schicht. Kratzt ab. Über- Diesmal: Edel Schäfer aus dem Stuttgarter Westen malt. Rubbelt. Klebt. Die Schichten ihrer Bil- der sollen Geschichten erzählten. Edel Schäfer mag es, den Zauber der Vergänglichkeit zu dokumen- tieren. Ein Stück alte Tapete hier, ein paar gebrauchte alte Briefe da. Zusammen ergeben sie ein Etwas. Eine Brottüte auf dem Boden vor einer Bäckerei, ein rostiges Stück Metall auf der Straße, ein Stück abgefallenes Plakat auf dem Geh- weg. Sie sammelt, was sie finden kann, wo immer sie es finden mag. In ihren Händen werden rostige Zangen zu Engeln, Papiertüten zu Kunstwerken, Profanes wird vergoldet. Wenn man das so- genannte Hässliche aufwertet, kann man vielleicht ein Stück der ihm innewohnenden, versteckten Schönheit entdecken, sagt sie. A lles ist Stückwerk, Fragment. Die Fragmente deuten auf ein größeres Ganzes hin. Eines, das nie fertig ist und immer in Be- wegung bleibt, immer in Entwick- lung. Edel Schäfers Werke sind Objekte, die Geschichten flüstern, gut ver- hüllt, aber von Weitem erahnbar.
Lebenswege Lebenswege Vom Halt der Freundschaft im Fluss des Lebens Wie ein Verlust zwei Frauen verbindet und sie durch Humor zu neuer Kraft finden Vor zwei Jahren erschien in LebensZeiten ein Artikel über zwei junge Frauen, deren Ehemänner kurz vor ihrem 50. Geburtstag gestorben sind. Beide Männer hatten Krebs. Die beiden Frauen hatten einander zu diesem Zeit- punkt nicht gekannt. Aber nach dem Artikel wollten sie sich kennenlernen. Heute ist Silke 39 Jahre alt, Petra 46. Sie leben beiden in Stuttgart. Z aghaft schrieben sie ei- sprechen darüber. Der Nebentisch Über die Themen, die sich zeigen, Tag passiert ist, und immer auch „Wir vermissen unsere Männer“, sa- Gleichzeitig ist es traurig, heimzukom- nander E-Mails. Erst verabschiedete sich beklommen. die sie gemeinsam haben. Wo sie un- über den Verlust von Stefan. Irgend- gen sie. Und dennoch gibt es mitt- men in eine leere Wohnung. Und es vorsichtig, dann ausgie- terschiedlich sind. wie kommen in solchen Momenten lerweile Situationen, die sich normal gibt diese schönen, besonderen Mo- biger. Schließlich verab- Am Ende des Abends wussten die alle Gefühle zusammen, und es tut anfühlen – ohne sie. Es gibt auch mente im Leben, da wünscht man redeten sie sich zu einem Treffen. In einem kleinen italienischen Restau- rant im Stuttgarter Westen. Beide beiden, sie werden Freundinnen. Keine versteht mich so gut wie Silke. Ich kann mit niemanden so lachen D as erste, das beide sagen: Es geht ihnen gut. Und man spürt es auch bei beiden. Da ist Kraft. gut, sie rauszulassen. Petra sagt: Manchmal tue sie sich selbst richtig leid. „Und das tut mir gut.“ Momente, da schätzen die beiden ihre neue Freiheit. In Silkes Woh- nung ist nun deutlich mehr Pink. sich einfach, der andere wäre jetzt da. Man würde ihn jetzt laut lachen hören. Oder schimpfen. machten sich schick, als wäre es ein wie mit Petra. Und Klarheit. Sie sprechen über Petra bekommt daheim mehr Be- Date. Die Verbindung war ihnen so wichtig geworden, da wollten sie einen guten Eindruck hinterlassen. die Besonderheit ihrer Freundschaft. Darüber, dass sie miteinander über Themen lachen, über die sie mit S ilke hat ein Buch, in dem sie ihre Gefühle aufschreibt. Sie schreibt auch Briefe an Stefan, berichtet ihm, E in großes Thema für beide ist das Thema Partnerschaft. Irgend- wann hat Silke Petra gefragt, ob sie Und es tat auch einfach gut, sich Am Ende des anderen nicht einmal sprechen kön- was gerade geschehen ist. „Dabei Petra schimpft. schon mal über eine neue Partnerschaft endlich mal wieder schön anzuzie- Abends wussten nen. Und wie unglaublich gut das weiß er es doch sowieso, aber es tut nachgedacht habe. Petra war entsetzt. hen. beide, sie werden tut, wirklich verstanden zu werden. gut, es ihm nochmal zu erzählen.“ Silke schreibt. Natürlich nicht. Sie war fast beleidigt Sie beide haben Grenzerfahrungen über diese Frage. Aber im Anschluss Im Restaurant angekommen, zo- Freundinnen. gemacht, die viele ihres Alters nicht Petra schimpft öfter mal mit Mar- an jenes Gespräch hat sich etwas in ihr gen sie einige Blicke auf sich. Alles gemacht haben. tin. Wenn die Dinge nicht so laufen, geöffnet. Es war fast, als habe sie sich war ein wenig eng, man kann dort wie sie sollten. Wenn ein Handwer- selbst eine innere Erlaubnis gegeben. die Gespräche vom Nebentisch Sie berichten, wie sich ihre Trauer ker versucht, sie über den Tisch zu such von Freunden als früher. Mar- Es gehört zu diesem Weg dazu, das ei- mithören. Eine Gruppe Männer Einer ihrer gemeinsamen Lieblings- gewandelt hat. Wo es zuvor das All- ziehen, wenn der Wasserhahn nicht tin mochte zwar sehr gerne Besuch, gene Leben wieder selbst in die Hand freute sich erst über den weiblichen scherze war: Wenn Frau Haller bestimmende im Alltag war, ist es funktioniert. Dann lacht sie. „Er aber nicht so häufig, und je kränker zu nehmen. Verantwortung für sich zu Zuwachs. Wurde dann aber zuse- das wüsste! Das wäre doch mal ein jetzt ein Teil ihres Lebens, der einen kann ja nichts dafür.“ er wurde, umso anstrengender wurde übernehmen, das eigene Leben zu ge- hends befangen, als sie die Themen spannender Artikel in LebensZei- Platz gefunden hat und nicht in alles es für ihn. Außerdem: Eigene Ent- stalten, das ja weitergeht. aufschnappte. Hast du eigentlich ten. Und tatsächlich, jetzt, an einem hineinschwappt. Für beide waren die letzten Monate scheidungen treffen oder Aufgaben schon einen Grabstein? Petra kann dieser letzten warmen Septemberta- vor dem Tod ihrer Männer beson- übernehmen, die Martin immer über- Petra fand die Beziehung und den nicht fassen, dass Silke ihren Mann ge, ist es soweit. Wir sitzen bei Petra Silke sagt, dass es ihr manchmal ders intensiv. Alles hat sich um de- nommen hatte – das macht sie stolz Austausch mit Silke so wohltuend im Abschiedshaus selbst angekleidet im Garten und reden. Über die letz- nach einem schwierigen Tag gut tut ren Krankheit und dann um deren auf sich selbst. Silke schätzt es, sich und konstruktiv, dass sie sich auch hat. Silke hat das sehr gutgetan. Sie ten zwei, über die letzten vier Jahre. zu weinen – darüber, was an dem Tod gedreht. nicht absprechen müssen. bei Facebook auf einer Seite für Trau- 6 LebensZeiten ∙ Ausgabe 24 LebensZeiten ∙ Ausgabe 24 7
Lebenswege Lebenswege rer. Sie will nicht mit Fremden darü- ber reden. Sie hat das Gefühl, ande- re sehen sie dann anders an, denken Silke hat kein Problem damit. Sie erzählt Menschen, die sie neu ken- nenlernt, dass ihr Mann gestorben Z uhause ist Stefans Namens- schild noch immer an der Tür. Auch Martins Name ist vielleicht, sie sollten lieber die Finger ist. Sie sagt es immer mit großer noch auf dem Briefkasten. Mar- von ihr lassen. „Weil: Witwe ist ein- Klarheit. Und hat eigentlich auch tins Schlüssel steckt noch innen fach zu komplex.“ noch keine schlechten Erfahrungen im Schloss. Petra hat es bis heu- gemacht. Sie beobachtet an sich, dass te nicht geschafft, Telekom und M anchmal fühlt sie sich auch unwohl, wenn sie auf Martins Tod angesprochen wird. Vor allem Die Namen Strom auf sich umschreiben zu lassen. Manchmal findet sie es ganz toll, wenn noch Briefe an in einer Gruppe. Dann kann die ihn eintreffen – auch wenn es nur Stimmung bei ihr kippen. Das ärgert ihrer Männer Rechnungen sind. Das ist Be- sie selbst. Sie fühlt sich so ausgelie- stehen noch weis, dass er wirklich da war, vor fert und fremdbestimmt. Neulich hat gar nicht so langer Zeit. Neulich jemand bei einer Feier das Lied ge- an den Türen. kam ein Paket ohne Absender spielt, das ihr Lied mit Martin war. für Martin, Petra sollte es von Das hat sie zum Weinen gebracht, der Post abholen. Das war eine vor den anderen. Dann hadert sie sie mit der Zeit offener geworden ist, kleine Lebenskrise. Was kommt mit sich selbst. Obwohl die anderen beispielweise auch mit ihren Kollegen da jetzt? Sie war fast panisch. Verständnis haben und sie unterstüt- mehr über Stefans Tod spricht. Am Und dann kam ein neuer Recei- zen – aber sie will ihnen nicht die Anfang hatten die Kollegen sich nicht ver von der Telekom. Petra und Stimmung verderben. Doch auch das getraut, Fragen zu stellen. Sie spüren Silke lachen. Kommt das aus wird besser mit der Zeit. jetzt aber die größere Offenheit. dem Jenseits? ernde angemeldet hat „Da wird es vielleicht mehr solche Menschen geben!“ Doch die Praxis war eher anderer zu entsprechen. Es kommt zu einem veritablen Shitstorm, und Petra verlässt diese Gruppe, zusam- D as Thema Partnerschaft ist auch wichtig für Silke. Stefan hätte nicht gewollt, dass sie nur ihm ernüchternd. Mit Silke hatte sie die men mit ein paar anderen. Die Un- nachtrauert und aufhört zu leben. Es Erfahrung gemacht, über die herz- terstellungen, sie habe ihren Mann wäre ihm wichtig, dass sie wieder zerreißendsten Dinge lachen zu nicht wirklich geliebt, tun ihr weh. glücklich wird. Und es wäre schön, können – das hat ihr geholfen, nicht Man kann doch einen Menschen wenn es jemand ist, mit dem Stefan im Schmerz zu ertrinken. Für so lieben und sich dennoch auf einen einverstanden wäre. Jemanden, den etwas scheint in jener Gruppe kein neuen einlassen! er irgendwie gut fände. Raum. Dabei tut ihr das Lachen so unendlich gut. Es schafft eine Dis- Beide tun sich auch schwer mit dem tanz. Es ist wie eine Leine, an der Thema in Bezug auf ihre Schwie- sie sich selbst ein bisschen rauszie- Man kann gereltern. Sie haben Sorge, dass hen kann. Durch den Humor ver- einen Menschen, diese denken könnten, sie hätten schwindet der Schmerz nicht, aber ihre Männer nicht geliebt oder seien er wird ein klein wenig erträglicher. den man liebt, flatterhaft. Oder trauerten nicht ge- Er übermannt einen nicht mehr so. nug. Aber sie können auch verste- nicht ersetzen. hen, dass es für die Schwiegereltern Einmal spricht sie auch online in nochmal auf einer anderen Ebene der Gruppe das Thema einer neuen schwierig ist. Partnerschaft an. Sie ringt mit ih- Natürlich liebt Petra Martin immer rem eigenen Wunsch, nicht allein zu noch. Sie will Martin doch nicht er- Petra tut sich schwer zu sagen: Ich sein, und damit, ihren eigenen Vor- setzen. Das geht ja gar nicht. Silke bin Witwe. Sie hat Angst vor den stellungen und den Erwartungen nickt. Reaktionen und dem Mitleid ande- 8 LebensZeiten ∙ Ausgabe 24 LebensZeiten ∙ Ausgabe 24 9
Lebenswege Lebenswege I n der ersten Zeit haben beide emp- funden, dass Stefan und Martin ganz gegenwärtig sind. Inzwischen lich zu gestalten. Es sollte ein Hin- gucker sein. Sie hat den Grabstein selbst entworfen. Ließ sich besondere P etra hat bis heute noch keinen Grabstein für Martin. Silke hat ja die Messlatte für den Stein so spüren sie sie nicht mehr so nah, Gestaltungsideen einfallen. Darunter hoch gelegt, sagt Petra. Sie lachen. sagen beide. Das kam plötzlich. Es war einmal auch eine Betonschalen Immer wieder hat sie Ideen, aber war dann auch irgendwie gar nicht mit Kakteen, zu der es eine eigene nichts, was wirklich zündet. Der schlimm. Vielleicht eine Form von Geschichte gibt: Die Schale wurde Stein ist ja für die Ewigkeit. Oder Zutrauen: Du kannst jetzt alleine dummerweise vom Grab gestohlen. zumindest 25 Jahre. weiter. Silke ging damals zur Polizei und Am Todestag geht sie mit ihrer Fa- Da war immer so ein Gefühl in Mar- milie ans Grab. Sie nehmen eine tins Büro, sagt Petra. Und es gab Die Rolle Flasche Brunello mit und große eine Lampe über dem Esstisch, die Gläser für alle. Ein Glas Wein fürs immer flackerte, wenn sie über Mar- des Grabes Grab. Musik von The Chemical tin gesprochen hat – und die war ändert sich Brothers, seiner Lieblingsband. Das plötzlich ganz kaputt. Petra kauft Ganze auf dem Pragfriedhof und sich eine neue Lampe, eine von Ikea, mit der Zeit. ziemlich laut: Es war gut und so pas- ganz simpel und ohne Fernbedienung. send. Und ziemlich verheult. Martin Das wäre mit Martin nie gegangen: fehlt. Er hat die Familie zusammen- Bei ihm waren Lampen immer halbe hat Anzeige erstattet. Die Beamten gehalten. Er hat eine Riesenlücke Computer. baten sie um ein Bild der Schale – hinterlassen. vielleicht entdecken sie sie ja, wenn Auch die Bedeutung des Grabes än- dert sich. Am Anfang war es Silke extrem wichtig, das Grab ungewöhn- sie Streife fahren. Da musste Silke ir- gendwie lachen. Wie irrwitzig ist das denn? Am Ende lachten alle. A ls Silke neulich auf einem Metallica-Konzert war, wurde auch „Nothing Else Matters“ ge- spielt. Wie auf der Trauerfeier. Da Silke und Petra nehmen wahr, dass voll ausleben und einen Kilometer musste sie kurz durchatmen. Das sie manchmal auch den Schmerz lang heulen. Es tut so gut, diesen kommt jetzt! Sich dem Schmerz zu ganz bewusst ansteuern, um ihn zu Kloß rauszulassen. stellen, scheint zu funktionieren und fühlen. gut zu tun. Und irgendwie nimmt es auch die Wucht. Jetzt kann sie das Lied wieder ganz normal hören. S ilke will diesen Schmerz dann einfach auch mal spüren. Die- ses Spüren tut gut, und sie empfin- Es tut so gut, det darin eine Lebendigkeit. Das diesen Kloß D a ist so viel, was sie von ihren Männern gelernt und übernom- men haben. Verträge aushandeln. rauszulassen. ist Lebendigkeit. Silke denkt heute anders über das Leben. Sie denkt weniger nach. Ihr ist bewusst, wie Selbst hinstehen! Stilistische und schnell sich alles ändern kann. Ich geschmackliche Erweiterungen. Rei- gönne mir das jetzt. Ich mache das sen. Afrika. Der Garten. jetzt. Denn ein Morgen gibt es viel- Als Petra einen Wasserschaden in leicht gar nicht. Die Zerbrechlich- Da ist auch vieles, was sich nach der Wohnung hat und dann auch keit des Lebens ist ein wenig näher deren Tod geändert hat. Petra lebt noch von einem Hund angefallen gerückt. jetzt zurückgezogener. Sie findet es wird, ist alles zu spät. Sie heult auf schön, immer wieder allein zu sein. der Feuerbacher Heide, ganz laut Und sie sind beide froh, dass sie ein- Früher war alles Party. Jetzt braucht (hat sich aber natürlich vorher vor- ander haben. sie mehr Stille, Zeit für sich. sichtig umgesehen). Das kann sie 10 LebensZeiten ∙ Ausgabe 24 LebensZeiten ∙ Ausgabe 24 11
Lebensgeschichten · Weilimdorf Lebensgeschichten · Weilimdorf Energie in allen Sparten Norbert Böhme Norbert Böhme war Menschen- und Tierfreund, Architekt, Segler, Autofan und Hobby-Rennfahrer. Norbert Böhme in jüngeren und späteren Jahren. M E an könnte seine Le- waren. Seiner Meinung nach war Norbert war ständig neugierig und große Themen gut durchzudenken. Marion hat er damals beim Aus- nde der 90er-Jahre entdeckten bensgeschichte anhand weder Kinderwagen festhalten noch innovativ. Er probierte alles Neue So hat er es geschafft, acht energie- wahlverfahren der Studienstiftung die beiden das gemeinsame seiner Autos nach- Mittagessen kochen etwas für Jungs. einfach aus. Er war energiegeladen, autarke Projekte auf den Weg zu kennengelernt. Beide waren sie Kochen. Mit 16 Personen und der erzählen. Denn Autos schnell entschlossen und risikofreu- bringen. Ein paar sind bereits ge- schlaue Köpfe. Vier Wochen spä- Kochlehrerin Gisa trafen sie sich waren ihm immer wichtig, und sie dig. Sein Lachen, seine Begeiste- baut. ter wurden die beiden ein Paar und regelmäßig in einer der Wohnun- hatten Namen. Es fing an mit der rungsfähigkeit und seine Fröhlichkeit blieben dann 47 Jahre zusammen. gen. Planen, schnippeln, zerlegen, „Nussschale“, einem eierschalenfar- benen Fiat 850, als er 18 war. Es folgte ein sehr bunter VW Käfer. zogen alle in seinen Bann. Und Norbert liebte es, etwas zu leis- W enn Behörden unnötig Pro- jekte blockiert haben oder für die Energiewende nur Lippenbe- 1979 öffnete sich für beide die Welt des Segelns, und diese Leiden- rühren, kneten, schlagen, kochen, brutzeln, schmoren, braten, dabei erzählen, tratschen, lachen, bis der Dann kam ein knallroter Golf S mit ten. Fast 40 Jahre arbeitete er als Ar- kenntnisse abgegeben haben, dann schaft verband sie bis zum Schluss. Morgen graut und der Wein leer ist. Rennsitzen und Drehzahlmesser, chitekt und hinterließ markante Spu- wurde er ungemütlich. Er war ein Beide hatten Freude an Regatten, darauf war er richtig stolz. ren. Norbert Böhme war ein Mann Kämpfer. Unehrlichkeit und Unge- In der letzten Zeit hat er eine alte des Entwurfs, Details waren nicht rechtigkeit konnten ihn fuchsteufels- Leidenschaft aus der Jugend aufle- Ende der 80er-Jahre erfüllte er sich Ein Porsche namens Paulchen. sein Ding. Er dachte in großen Zu- wild machen. Vom schnellen ben lassen: das Klavierspielen. erstmals seinen Traum vom Porsche. sammenhängen. In den letzten Jahren Auto zum Er kaufte einen gebrauchten 924 und Er entwickelte einen rebellischen, ge- wurde er nachdenklich. Norbert hatte weder Angst vor har- Am 2. August 2019 starb Nor- fuhr damit die ersten Rundrennen. sellschaftskritischen Geist, in dieser ter Arbeit noch vor Risiken. Er war nachhaltigen bert Böhme. Ganz plötzlich, ohne Lange Jahre war ein gelber 911 sein Begleiter in allen wichtigen Lebens- lagen, der hieß Paulchen. Gelb war Zeit sehr nach links gerichtet. Den konnte er in Gymnasium und Studi- um voll austoben. Er lebte Protest. F ür ihn war klar: Wir haben genau genommen kein Energieproblem, sondern ein CO2-Problem. Ökolo- immer offen für einen kleinen Wett- bewerb, sei es auf dem Wasser oder auf der Rennpiste. Segel-Regatten Bauen Vorwarnung. Mitten in Projekten. Voller Pläne für die Zukunft. Vie- le Freunde und Kollegen würdigten schon immer eine Farbe, der er sich Verweigerte Prüfungen, zusammen gisches Bauen wurde ihm wichtig, und Porsche-Slalom machten ihm am Bodensee und an der aktiven sein Leben und sprachen über seine in besonderem Maße verbunden mit den Kommilitonen. Er und seine sehr wichtig. Er wollte heute für eine unendlich viel Freude. Das Haus Mitarbeit in der Akademischen Se- Strahlkraft, Heiterkeit und Kreativi- fühlte: Seiner Meinung nach waren spätere Frau Marion waren das ers- gute Zukunft bauen. Nur noch Ge- steht voller Pokale. gelvereinigung. Norbert war lange tät. Seine Trauerfeier auf dem Wald- alle schnellen Autos gelb. Mit Paul- te Paar, das unverheiratet in einem bäude ohne Schornstein: Häuser, die Vorstand. friedhof in Degerloch war eine der chen war er viel unterwegs und ge- Apartment im Studentenwohnheim nicht nur klimaneutral sind, sondern Die Seinen hat er wie ein Löwe be- längsten jemals. wann Pokale im Slalomfahren. zusammenlebte, damals in der Bir- selbst aktiv Energie produzieren. Er schützt. Keine Lügen. Dankbar sein Er hatte die unglaubliche Fähigkeit, kenwaldstraße. Beide waren aktiv in investierte viel Zeit und Energie mit für alles. Leben und leben lassen. im Auto ungeduldig an den Boden- Und ohne Autos? Norberts Schul- der studentischen Selbstverwaltung, Plusenergiehäusern, auch Aktiv-Plus- Das waren die Mottos für ihn und see zum Segelboot zu rasen – um jahre waren voller Streiche und auch und Norbert hatte eine gewisse Freu- Häuser genannt. An vielen Wochen- seine Frau Marion. Leitsätze, an de- dann unendlich geduldig und ent- voller Gedanken, die von der Gleich- de daran, Auseinandersetzungen mit enden ging er auf Seminare, um zu nen sich die beiden auch in schwieri- spannt im Boot zu sitzen und auf berechtigung nicht so ganz überzeugt dem Verwaltungsapparat zu führen. lernen, sich schlau zu machen und gen Zeiten orientiert haben. den Wind zu warten. 12 LebensZeiten ∙ Ausgabe 24 LebensZeiten ∙ Ausgabe 24 13
Lebensgeschichten · Leindfelden-Echterdingen Lebensgeschichten · Leindfelden-Echterdingen Farben fürs Leben wecken – ist einfacher. Computern leisteter er Widerstand bis zum bitte- ren Ende. Er wollte alles auf Papier. Selbst die Webseite. Übergabe und seine „Beförderung vom Geschäftsführer zum Brieföff- ner“. Stolz auf den Schalk, der sei- nen Kindern und Enkeln im Nacken Walter Surdmann saß. Es gab da diese Geschichte, Dafür war er ein umso größerer wie Sohn und Tochter das Auto des VfB-Fan. 60 Jahre lang hielt er dem Nachbarn angemalt haben, mit Far- Verein trotz aller Abstiege die Treue ben, die in der Surdmanschen Gara- Unternehmer, Familienmensch, Freund und besuchte mit seiner Dauerkarte ge gelagert waren. Davon erzählte er regelmäßig die Spiele. immer gerne und mit einem leichten Funkeln in den Augen. W Nicht nur dem VfB hielt er die alter Surdmann erzählte gerne Ge- schichten. So wie immer in paar Straßen weiter. Die Eltern sollten es ja nicht wissen. Treue, auch Freunden. Freunde waren wichtig. Der wöchentliche Stammtisch war unerschütterlich. W alter war ein Urgestein als Opa. Als seine Enkelin im Alter von fünf Jahren daheim auszog die von seinem ers- ten Schultag: Ein Bekannter hatte ihm gesagt, die Schule habe keinen A m 15. Juli 1963 lernte Walter Ingrid kennen. Die junge Frau hatte sich während eines Regens im „Einer stoht emmer.“ Die Jahres- ausflüge. Der Herren-Ausflug. Der Kegelausflug, der nichts mit Kegeln und samt Koffer vor der großelter- lichen Tür stand (die Wohnung lag im selben Haus), gewährte Walter Wert, er solle gar nicht erst hinge- Mittnachtbau in Sicherheit gebracht. zu tun hatte. ihr Asyl. Sein Enkel und er gründe- hen. Daraufhin ging Walter Surd- Plötzlich gesellte sich ein Fremder zu ten ihren eigenen Stammtisch. Mitt- mann am ersten Schultag gar nicht erst hin. Das war für ihn vollkom- men logisch. ihr und wollte mit ihr tanzen gehen. Sie war geschmeichelt, begeistert und ließ sich darauf ein. Aus diesem einen W alter war bodenständig, und er war gerne mit bodenstän- digen Menschen unterwegs. Er hatte wochs – nur die beiden. Bei der Wahl der Urlaubsziele war Tanz wurden fast 60 Jahre. 60 Jahre, einen ausgeprägten Gerechtigkeits- er immer sehr, sehr klar. Silvester Walter war hier geboren, wurde die die beiden gemeinsam verbrach- sinn und einen Sinn für Anstand. lückenlos jedes Jahr in Schwangau. aber mit fünf zu den Großeltern ten, arbeiteten, zwei Kinder großzo- Sein Wort war sein Wort. Das galt Sommerurlaube am Mondsee. Nur geschickt, ins Allgäu auf den Bau- gen und zwei Enkel verwöhnten. für geschäftliche Abmachungen einmal ging es nach Rimini, aber ernhof. Mit neun kam er ins Schwä- ebenso wie für danach nie wie- bische zurück, er trug Lederhosen Und ein Unternehmen führten. ein leicht fahr- der. Mondsee war und Wadenstrümpfe. Und wurde in Walter war voller Unternehmergeist. lässiges Verspre- schöner. Da war der Schule ausgelacht. Aber Walter hatte ein gewinnendes Wesen. Das Früh machte er sich selbstständig mit Pinseln, die er aus dem Auto chen, das er einst seinen Kindern Walter war ein so viel Gutes in Walters Leben: Auslachen hinderte ihn nicht dar- verkaufte. Zwei Jahre später eröffne- gegeben hatte: Urgestein. seine Familie, an, Freundschaften zu knüpfen. Er te er seinen ersten Laden in Leinfel- ein Auto für je- das Unterneh- war immer einer, der viele Freunde den-Echterdingen. Ein ganz großer den, der bis zum men Fendal, seine hatte und diese Freundschaften auch Schritt war die Übernahme des 18. Geburtstag Freundschaften. pflegte. Zu seiner Trauerfeier ka- Unternehmens Fendal im Jahr 1989. das Rauchen nicht angefangen hat- Der VfB und das Golfen. Wandern men auch Menschen aus der Schule, Den ging er zusammen mit Tochter, te. Umstandslos hielt er sein Wort. gehen und ein Ziel erreichen. Den Menschen aus den früheren Jahren Sohn und Schwiegertochter. Garten genießen. Die Geschichten, seines Lebens, mit denen er noch im- Walter er war ein Genießer. Kein die er immer wieder erzählte und die mer in Verbindung war. Walter hatte durchaus Freude an Weg ohne Ziel. Wandern war toll, sein Leben formten. harter Arbeit. Er war ein Schaffer. aber Ankommen war noch viel toller. Walter war ein Lausbub und hatte Nur mit Garten und Handwerksar- In den letzten Jahren spielte das Gol- Walter Surdmann war zuverlässig, es faustdick hinter den Ohren. Als beiten stand er immer ein wenig auf fen eine immer größere Rolle in sei- beständig, klar und voller Humor. er im Alter von 19 Jahren nach Lein- Kriegsfuß. Da konnte es passieren, nem Leben. Er bewegte sich schon Ein Fels in der Brandung. Seine felden-Echterdingen zog, hatte er dass er ganz versehentlich das Ka- immer gern und war ein ziemlich Beerdigung im August dieses Jahres schon einen Führerschein und zwei bel der Heckenschere durchschnitt. flotter Läufer. auf dem Waldfriedhof von Leinfel- Freunde. Gemeinsam kauften die Selbst die Kaffeemaschine war eine den-Echterdingen war voll. Voll mit drei heimlich ein Auto, Walter war technische Überforderung für ihn: Er war stolz auf seine Kinder und Familie und Freunden, mit Tränen der Fahrer. Vorsichtshalber parkte er lieber morgens seine Frau Ingrid Enkel. Stolz auf die gute Firmen- und Geschichten. 14 LebensZeiten ∙ Ausgabe 24 LebensZeiten ∙ Ausgabe 24 15
Recht Rituale in der Trauer Trauerrituale sind Rituale des Übergangs. Sie machen das einschneidende Erlebnis begreifbarer und kennzeichnen den Abschluss eines wichtigen Kapitels im eigenen Leben. Sie unterstützen Trauernde darin, mit ihren Gefühlen in Kontakt zu kommen und diese auszuleben. Trauer muss gelebt werden, denn sie ist heilsam. In unserer Serie stellen wir Ihnen nach und nach einige dieser Trauerrituale vor. Verschwunden, aber wirksam Ein Bad im Walde Über verlorene Testamente E B B in Mensch, der Ihnen na- Beschluss vom 16. März 2018) so- eide Gerichte haben am Ende iophilia nannte der Evolutionsbiologe Edward O. Der Wald kann auch positive Effekte für Ihr Immunsystem hestand, den sie geliebt wie das Oberlandesgericht Köln das verschwundene Testament Wilson in den 1980er-Jahren unsere Liebe zu haben, das haben Studien eindrucksvoll belegt. Im Wald haben, ist gestorben. Sie (AZ: 2 Wx 261/18, 2 Wx 266- anerkannt. Auch in ihren Begrün- allem Lebendigen. Wir seien genetisch dazu be- tauchen Menschen in eine tiefe Entspannung ein und kön- wissen: Es gibt ein Testa- 270/18, Beschluss vom 3. Juli 2018). dungen waren die Richter ähnlicher stimmt, die Natur zu lieben. Der österreichische nen dadurch regenerieren. ment, und zwar zu Ihren Gunsten. Auffassung. Sie argumentierten: Biologe Clemens Arvey meinte 2016, dass die Natur unser Vielleicht waren Sie selbst sogar da- bei, als das Testament entstanden ist und hinterlegt wurde. Möglicherwei- E s ging auch um ähnlich gelager- te Fälle: Der jeweilige Erblasser hatte zugunsten einer ihm naheste- Nur weil ein Testament unauffindbar ist, bedeute dies nicht, dass es nicht wirksam sei. Und nur weil ein Tes- evolutionäres Zuhause sei. Deswegen biete diese archaische Verbindung auch die Möglichkeit von „grüner Heilung“. In Japan gilt Waldbaden, „Shinrin yoku“ genannt, als Medi- se haben Sie auch gesehen, wo dieses henden Person ein Testament errich- tament unauffindbar ist, könne man zin. Auf der Insel Usedom ist letztes Jahr der erste europäi- Testament aufbewahrt wurde. tet. Dieses Testament wurde in der nicht unwiderlegbar vermuten, dass sche Kur- und Heilwald entstanden. Wohnung aufbewahrt. Es gab dafür der Verstorbene das Testament ver- Doch dann ist das Testament spurlos stets Zeugen: sowohl für die Errich- nichtet und somit auch widerrufen Was genau steckt hinter dem Waldbaden? Und was hat verschwunden. Diese Person ist ge- habe. das mit Ritualen auf dem Trauerweg zu tun? storben, aber das Testament taucht einfach nicht auf. Es waren eini- ge Menschen in der Wohnung des Die Gerichte haben G rundsätzlich könne auch anders nachgewiesen werden, dass es W aldbaden bedeutet, einen Waldbesuch zu machen und dann ganz intensiv und achtsam in die Atmo- Verstorbenen unterwegs. Denkbar, das verschwundene ein solches Testament gegeben habe sphäre des Waldes einzutauchen. Atmen Sie die klare und dass jemand das Testament hat ver- – beispielsweise mit Zeugen- oder würzige Luft ein. Hören Sie die Blätter rauschen. Nehmen schwinden lassen. Und jetzt? Streit Testament anerkannt. Urkundenbeweise. Das ist tatsächlich Sie das Spiel zwischen Licht und Schatten wahr. Beobach- ist vorprogrammiert. der entscheidende Punkt: Sowohl ten Sie die Wipfel, die sich im Wind wiegen. Ertasten Sie die Erstellung als auch der Inhalt die feste Rinde eines Baumstamms. Und spüren Sie den Denn es ist unklar, was nun gilt. des Testaments müssen mit Zeu- weichen Waldboden unter Ihren Füßen. Greift mangels Testament die gesetz- tung des Testaments als auch für genaussagen belegt werden können. liche Erbfolge? Dann könnte es sein, dessen Verwahrung. Doch nach dem Um diese Frage wird es auch gehen, Wer trauert, erlebt eine große Bandbreite an Gefühlen, Und nun wieder zur Trauer: In einen Waldbesuch lassen dass bestimmte Familienangehörigen Tod war und blieb das Testament in wenn Gerichte künftig in vergleich- Verzweiflung und Wut, aber auch Gefühllosigkeit. Trau- sich auch gut kleine Trauerrituale einbauen, beispielsweise erben – nicht aber diejenigen, denen beiden Fällen verschwunden. baren Konstellationen entscheiden ernde sind oft wie betäubt und vernachlässigen sich un- das Flussritual, das wir schon beschrieben haben in Lebens- der Verstorbene eigentlich seinen müssen. Sie werden den Einzelfall ter Umständen selbst. Es kann zu Gewichtsverlust und Zeiten 20. Besitz hinterlassen wollte. Kann es In dem Fall, über den das OLG intensiv prüfen, ob die vorgebrachten Schlafstörungen kommen. wirklich sein, dass Sie komplett leer Köln entscheiden sollte, haben die Beweise genügen, um die Existenz Der Wald ist eine Einladung. Versuchen Sie, sich darauf ausgehen, obwohl Sie wissen, dass gesetzlichen Erben einen Erbschein dieses Testaments nachzuweisen. Wald entschleunigt. Die klare und frische Luft stärkt und einzulassen. Spüren Sie, wie der Wald wirkt. Und nach- es dieses anderslautende Testament beantragt. Die Person, die im Tes- vitalisiert. Das Waldbaden kann dazu beitragen, die Trau- wirkt. gab? Solche Situationen gibt es im- tament eigentlich bedacht gewesen er zu verarbeiten. mer wieder. wäre, ist dagegen juristisch vorge- L etztes Jahr haben sich zwei Ge- richte nahezu gleichzeitig da- gangen. Der Fall des OLG Braun- schweig war etwas anders: Dort hat- te die im Testament benannte Erbin Kerstin Herr W aldbaden kann vieles bewirken. Vielleicht klärt es Ihre Gedanken. Vielleicht kommen Sie zur Ruhe, fühlen sich weniger gestresst und schlafen besser. Beim Patricia Bäuerle hat eine Aus- Rechtsanwältin mit befasst, das Oberlandesgericht einen Erbschein beantragt, was zu- Kanzlei Königstraße, Waldbaden sind Sie dazu eingeladen, Ihre Sinne zu öffnen, bildung als Trauer-begleiterin Braunschweig (AZ: 1 W 155/17, nächst abgelehnt worden war. Stuttgart ins Spüren zu kommen und mehr wahrzunehmen. und betreut die Haller-Filiale in Stuttgart-Rot. 16 LebensZeiten ∙ Ausgabe 24 LebensZeiten ∙ Ausgabe 24 17
Buchbesprechung Lebenswege Von Pilz und Habicht Zwei Bücher, zwei ganz besondere Wege Wie zwei sehr unterschiedliche Bücher Natur und Trauer zusammenführen: „Mein Weg durch die Wälder“ von Long Litt Woon und „H wie Habicht“ von Helen Macdonald B ücher über Trauerfäl- und Seelenbruder Eiolf plötzlich parallel auch in ihre innere Land- le können unerträglich stirbt. Die Anthropologin hatte ihn schaft aus Schmerz und Trauer. schmerzhaft sein, so wie mit 19 Jahren kennengelernt, als Die Geschichte des Trauerns und Trauerfälle selbst.“ So sie ein Austauschjahr in Stavanger die Geschichte der Pilze sind im beginnt eine Rezension im „New machte. Die beiden heirateten, und Buch in unterschiedlichen Farben Yorker“ von „Mein Weg durch die Wälder. Was mich Pilze über das Norwegen wurde über Jahrzehnte zu ihrer neuen Heimat. gedruckt. man erfährt auch allerhand über ihre kulturelle Bedeutung und über Na- U nd dann berühren sich die in unterschiedlichen Farben sopp og sorg) und in der englischen Übersetzung (The Way through the Leben lehrten“. Ich habe das Buch gelesen. Es hat mich berührt und I n dem Buch beschreibt die Au- torin, wie die Kombination von turgeschichte. gedruckten Geschichten des Trau- erns und der Pilze: Eine Woche vor Woods: On Mushrooms and Mour- ning) noch enthalten waren. Dennoch nachdenklich gemacht. Dass es sich dabei um eine doppelte Erzählung, um eine mehrfache Reise handelt, „Sie entdeckt Pilzen und Trauer grundlegende Veränderungen in ihrem Leben auslöste, indem sie neue Bedeutung F leißig zusammengetragen und sehr vielschichtig sind all die In- formationen und Anekdoten über Eiolfs Todestag (der mittlerweile zum inneren Kalender gehört wie der Hochzeitstag und Weihnachten) fin- ist dieses kleine, feine Buch eine groß- artige Einladung auf zwei Reisen, eine ins Innere und eine in die Welt die Parallelen zwischen ist eine Überraschung. Sie gelingt und Identität schuf. Und wie sie zum Pilze. Beispielsweise ein Kulturver- det Long Litt Woon bei Eiolfs Gar- der Pilze. Und es beschreibt sehr ge- auch, weil die Autorin Long Litt der Welt der Trauer und ersten Mal seit dem Tod ihres Part- gleich: In Finnland werden Gift- tenterrasse ihre erste Spitzmorchel. lungen, wie die Verbindung von Na- Woon, mit einer sehr klaren Sprache der Welt der Pilze.“ ners wieder Freude über ein Thema lorcheln als Leckerei geschätzt, in Ein Zeichen von ihm? In der Ver- tur und Trauer ein heilsames Poten- und fast wissenschaftlicher Neugier empfinden konnte. Freude auch über Norwegen beschlagnahmt. Oder Na- schränkung der Wirklichkeiten liegen zial freisetzen kann: „Im Nachhinein vorgeht. eine Welt, die außerhalb des Alpha- turkunde: Wer weiß denn schon, dass Hoffnung, Trost und das Mit-Teilen sehe ich, dass meine Reise als Wit- bets des Trauerns liegt und die stetig ein Hallimasch-Pilz in den USA einer gemeinsamen menschlichen Er- we durch die Landschaft der Trauer W aldspaziergänge. In die Pilze gehen. Schwammerl suchen. Daran haben einige sicher noch Er- F ür Long Litt Woon beginnt nach seinem Tod eine tägliche Auseinandersetzung mit dem ei- wächst, ganz ähnlich wie ein Pilz- Mycel, mit neuen Bekanntschaften und Erkenntnissen. Bis hin zum Er- als größtes und ältestes Lebewesen der Welt gilt? Auch die kulinarische Seele kann sich freuen an tollen Re- fahrung. für mich der Weg zu einem neuen Frühling war. Durch meine inneren und äußeren Reisen kam das Leben innerungen aus ihrer Kindheit. An- genen Leben, das ihr im Trauern folgserlebnis, ihrem bestandenen Di- zepten. „Im Nachhinein sehe ich, schleichend zu mir zurück, und ich dere werden vielleicht gerade jetzt, fremd geworden ist. Alles droht in plom als Pilzsachverständige: „Ich erlebte das ungewohnte Gefühl, mir zwischen herbstlichen Regenfällen, dem sprachlosen Raum zwischen glaube, Eiolf wäre stolz auf mich Nuanciert erzählt Long Litt Woon dass meine Reise durch selbst neu zu sein“, schreibt sie. „Eine von ihrer Sammelleidenschaft in die Lähmung und Wahnsinn zu versin- gewesen.“ den nicht-linearen Prozess des Trau- die Landschaft der Trauer Wanderung im Pilzreich setzt wache Wälder gerufen. Die aus dem Nor- ken. Da stößt sie auf die wundersa- erns. Sie berichtet von der „Unbarm- der Weg zu einem neuen Sinne und Präsenz voraus. Ich nehme wegischen übersetzte Geschichte von Long Litt Woon beginnt jedoch nicht als sonntäglicher Waldspazier- me Welt der Pilze. Sie freundet sich mit Pilzsammlern an, einem eigenen Menschenschlag: fast schon ein W ährend Long Litt Woon ihre Leser durch diese gleichzei- tig lustige und herzzerreißende Ge- herzigkeit der Trauerarbeit“, wofür sie zeitweise eine Trauergruppe besucht hatte. Sie schildert die Zwischenwelt Frühling war.“ etwas Neues wahr, ergo bin ich eine neue Person. In die Pilze zu gehen, versetzt mich in einen Flow. Im Fluss gang. Sie beginnt mit einer Katast- seltsamer Stamm, der allerhand un- schichte führt, fühlt sich ihre unge- des Limbus, schrittweise Abschiede zu sein heißt, einen Sinn finden, und rophe: Das Leben der in Malaysia geborenen Autorin bricht zusam- men, als ihr langjähriger Ehemann ausgesprochene Regeln und Riten pflegt. Auf ihrer Entdeckungsreise in das Reich der Pilze wagt sie sich wöhnliche, persönliche Suche bald vertraut an. Man lernt Pilze nicht nur als Lebensmittel oder Gift kennen, und auch, wie sie unverlierbare Erin- nerungen entdeckt hat. All das gelingt ihr in klarer, ungekünstelter Sprache. D er deutsche Titel des Buchs hat die Alliterationen verloren, die im norwegischen Originaltitel (Om einen Sinn finden bedeutet, ganz langsam den inneren Sturm zu be- sänftigen.“ 18 LebensZeiten ∙ Ausgabe 24 LebensZeiten ∙ Ausgabe 24 19
Buchbesprechung Buchbesprechung E D iner ähnlichen Verknüp- och es zeigt sich, dass allein die zwar in ihrer Seele widerhallt, jedoch fung ging bereits die Rückbesinnung auf die Natur keine Allheilmittel für den Trauer- englische Autorin Helen und das „Wilde“ sie nicht aus ihrer weg und seinen Alltag ist. „Obwohl Macdonald nach: In ih- Situation retten können. Ihr stabi- das Jahr wunderschön war – und in rem 2015 erschienenen Buch „H les Lebensumfeld und ihre sozialen vieler Hinsicht auch sehr düster –, wie Habicht“ versucht die Univer- Kontakte entgleiten ihr immer stärker, hatte ich einen schrecklichen Fehler sitätsdozentin, den plötzlichen Tod während ihre Obsession für ihren gemacht. Ich dachte nämlich, dass ihres Vaters und ihre tiefe Trau- Vogel zum Lebensinhalt wird. Sie ich genauso sein wollte wie mein er zu verarbeiten, indem sie einen scheint sich selbst in einen Habicht Habicht: ganz allein, unabhängig, Habicht abrichtet. Sie schrieb eine verwandeln zu wollen. „Der Habicht auf niemanden angewiesen und er- außergewöhnliche Verbindung von war all das, was ich sein wollte: ein füllt von einer unbeschreiblichen Trauertagebuch, Biographie und Einzelgänger, selbstbeherrscht, frei Wut. All das fühlte ich natürlich Naturessay. Indem man als Leser von Trauer und taub gegenüber den wegen des Todes meines Vaters. Ich ein Jahr lang teilnimmt an der Be- Verletzungen des Lebens.“ habe den Habicht als Spiegel meiner ziehung zwischen der Autorin und Selbst benutzt und mich irgendwann ihrem Habichtweibchen „Mabel“, mehr als Habicht gefühlt denn als schwebt man fast in einer Vogelper- "Ich dachte, dass ich mich selbst. Am Ende habe ich ge- spektive über Mensch, Umgebung genauso sein wollte wie lernt: Die Geschichte der Natur ist und Leben. eigentlich immer unsere eigene Ge- mein Habicht: ganz schichte. Der Habicht hat mich ver- D ie Ausbildung und Zusammen- arbeit mit dem Vogel erweist sich als langwierig. Helen Macdo- allein, unabhängig und erfüllt von einer ändert und mich in gewisser Weise mit dem Tod versöhnt.“ unbeschreiblichen nald erhofft sich, dabei ihren eigenen Weg wiederzufinden, ihre persönliche Freiheit zurückzugewinnen. Denn ihr Wut." H elen Macdonalds Sprache ist ungleich literarischer und strah- lender, ihr Buch strotzt von ornitho- Leben ist nach dem plötzlichen Tod logischen Fachbegriffen. Trotzdem ihres geliebten Vaters wie auseinan- dergebrochen, sie möchte diesen Tod verarbeiten können. L etztendlich entscheidet sich die Autorin für eine Therapie, da die naturalistische Verschmelzung verbinden sich Aspekte ihres Aus- Flugs mit dem Waldspaziergang von Long Litt Woon: Bei beiden Auto- rinnen kann man durch die Beschäfti- in der Größe eines Berges im Arm. sich mit den wundersamen, über- gung mit der Natur viel lernen. Über Du musst Geduld haben, hatte er zu raschenden und ungewohnten die vielfältigen Erscheinungen des mir gesagt. Wenn du etwas unbe- Erscheinungsformen der Natur Lebendigen, über die eigene Wahr- beschäftigt, kann ein kostbarer nehmung – und über die Zeit. Denn Wahrnehmungsprozess beginnen alles hat seine Zeit, braucht Zeit und Du musst – ob im Unterholz, in den inne- vor allem Geduld. Sowohl das Ab- Geduld haben. ren Landschaften des Schmerzes richten eines Greifvogels als auch das oder im himmelssehnenden Flug Einarbeiten in die Welt der Pilze, vor eines Vogels, der doch auf die allem aber der Weg des Trauerns. dingt sehen willst, musst du geduldig Hand des Falkners zurückkehrt. Beide Autorinnen beschreiben auf sein und warten. Mein Warten war ihre Weise dasselbe Phänomen: Man nicht geduldig, aber die Zeit war kann nichts abkürzen. Erst am Ende trotzdem vergangen und hatte ihren ihres Buches schreibt Macdonald: sorgsamen Zauber gewirkt.“ „Zum allerersten Mal begriff ich den Ulrika Bohnet hat G Umfang meiner Trauer. Ich konnte eduld und die geheimnisvol- Ethnologie studiert und betreut die genau fühlen, wie groß sie war. Das le Kraft der Zeit haben ihre Haller-Filiale im war sehr seltsam, als hielte ich etwas eigene Wirksamkeit: Indem man Stuttgarter Süden. 20 LebensZeiten ∙ Ausgabe 24 LebensZeiten ∙ Ausgabe 24 21
Trauergruppen und Begleitung, Quellenangaben In eigener Sache · Veranstaltungen Trauergruppen und Begleitung Musikalischer Salonabend Hospiz St. Martin · Jahnstraße 44-46 · 70597 Stuttgart Tel.: 0711 · 652 90 70 · www.hospiz-st-martin.de Von Mozart bis Ellington, Hospiz Stuttgart · Stafflenbergstraße 22 · 70184 Stuttgart Tel.: 0711 · 237 41 50 · www.hospiz-stuttgart.de Einzelgespräche und -begleitung, Gesprächsgruppen von Puschkin zu Achmatowa Mittwoch, 16. Oktober 2019, um 19:30 Uhr Obere Weinsteige 23, 70597 Stuttgart-Degerloch, Hospizgruppe Leinfelden-Echterdingen Eintritt: 15 Euro Barbara Stumpf-Rühle Tel.: 754 17 33 ∙ Gudrun Erchinger Tel.: 756 05 14 ∙ Elfriede Wieland Tel.: 754 13 41 An diesem Abend nimmt uns der Musiker Wladimir Trenin auf eine Reise durch Musik aus aller Welt. Auf seinem russischen Bajan spielt er Klassik und Jazz, Volks- und Weltmusik. Hospizdienst Leonberg · Seestraße 84 · 71229 Leonberg Begleitet von Texten russischer Dichter, berührend-heiter bis sehnsuchtsvoll, von Puschkin Tel.: 07152 · 335 52 04 · www.hospiz-leonberg.de bis Achmatowa. Ein literarisch-musikalischer Salonabend im Bestattungshaus Haller. Hospizdienst Ostfildern · Café für Trauernde Treffpunkt Ruit · Scharnhauser Straße 14 · 73760 Ostfildern-Ruit Tel.: 0711 · 341 53 36 oder Tel.: 0711 · 616 099 Gesprächskreis & Gesprächsgruppe für Trauernde Hospiz Esslingen · Keplerstraße 40 · 73730 Esslingen · Tel.: 0711 · 13 63 20 12 · www.hospiz-esslingen.de Einzelbegleitung, Trauergruppen (donnerstags), Trauercafé (einmal im Monat, sonntags) Die Kunst des Hoffens Verwaiste Eltern · Hubertus Busch · Seelsorger im Olgäle · Tel.: 0711 · 278 73 860 Vermittlung, Trauergruppen für Eltern, die ein Kind verloren haben Veranstaltungskalender für Trauernde Hoffnung in der Literatur Hoffnung und Spiritualität Arbeitskreis Leben · Römerstraße 32 · 70180 Stuttgart Tel.: 0711 · 60 06 20 · www.ak-leben.de Mittwoch, 23. Oktober 2019, 15 Uhr Dienstag, 19. November 2019, 15 Uhr Einzel-, Paar- und Familiengespräche für Menschen, die einen Angehörigen durch Suizid verloren haben Lesung im Bestattungshaus Haller, Stuttgart-Degerloch Russisch-Orthodoxe Kirche auf dem Pragfriedhof Ein Spaziergang durch eine Vielfalt von Texten, die Kosten: Eine Spende wird zwar nicht erwartet, erfreut helfen können, verborgene Freude zu entdecken. aber die Seele. Quellenangaben Mit Ulrika Bohnet, Edith Hämmerlin, Andrea Haller und Dr. Axel Schwaigert. Der Priester Johannes Kaßberger spricht über die Quellen der Hoffnung in der östlichen Spiritualität. Die Quellen der Bilder werden seitenweise angegeben, innerhalb der Seite jeweils von links nach rechts und von oben nach unten. Anmeldung Salonabend Hoffnung in der Literatur Umschlag: alles Adobe Stock / Fotolia Seite 3: Lange Photography Seite 16: Fotolia, privat Hoffnung und Spiritualität Seite 4 & 5: alle privat Seite 17: Adobe Stock, Lange Photography Seite 7: Adobe Stock Seite 19: Adobe Stock Name: Vorname: Seite 8 & 9: Adobe Stock, Adobe Stock Seite 20 & 21: Adobe Stock, Adobe Stock, Lange Photography Straße: Seite 10 & 11: Adobe Stock, Adobe Stock Seite 23: privat Seite 12 & 13: alle privat Seite 24 & 25: Adobe Stock, Adobe Stock Postleitzahl: Ort: Seite 14 & 15: Adobe Stock, Adobe Stock Seite 26 & 27: Adobe Stock, Adobe Stock Inhaltliche Beratung: Heiko Hauger · Texte, falls nicht anders angegeben: Andrea Maria Haller Bitte senden Sie diese Anmeldung an: Bestattungshaus Haller, Obere Weinsteige 23, 70597 Stuttgart oder per Fax: 0711 · 72 20 95 22 oder an kultur@bestattungshaus-haller.de 22 LebensZeiten ∙ Ausgabe 24 LebensZeiten ∙ Ausgabe 24 23
Aus fernen Ländern · Mexiko Lebenswege In dieser Serie stellen wir Menschen vor, die in Deutschland leben und Wurzeln in anderen Kulturkreisen haben. Mit den Toten in Gemeinschaft Trauerkultur in Mexiko Nidia Göhring hat in Mexiko und Paris Kunstgeschichte studiert und lebt seit zehn Jahren mit ihrem Mann Jörg in Deutschland. Die beiden haben zwei Kinder und wohnen in Neuhausen auf den Fildern. In diesem Beitrag beschreibt sie den Abschied von ihrer Oma und die Festlichkeiten am Tag der Toten. Ein Friedhof in Mexiko, geschmückt für den Tag der Toten. N idia war sieben oder angezündet und Räucherwerk. Es Einäscherungen gibt es kaum. Vie- Blasinstrumente oder, wenn man und der Farbe. Zur „Cempasúchil“ Dort, wo Omas Sarg stand, hat man acht Jahre alt, als ihre wird gebetet. Es wird auch viel ge- le Mexikaner könnten es sich nicht in der Nähe der Berge war, auch sagt man in Mexiko auch „Flor de auf dem Boden mit buntem Sand ein Oma starb, in Oaxa- weint, vor allem die Frauen. Das vorstellen, einen Verstorbenen zu Flöten und Trommeln, Spuren der Muertos“, Blume der Toten. großes Kreuz gemalt. Dieses Kreuz ca, im Süden Mexikos. wird erwartet. Die Männer weinen verbrennen. aztekischen Kultur. Es ist noch gar muss neun Tage bleiben. Die neun An diesem Tag wird Nidia von der gar nicht, haben ernste Gesichter. nicht so lange her, dass man auf den Tage stehen für die neun Stufen des Viele Mexikaner glauben, Schule abgeholt, damit sie sich von der Oma verabschieden kann. Sie noch einmal berühren kann, die Sie müssen stark sein, und sie müssen trinken. Es gibt Mezcal , einen gelb- lichen Schnaps, der Tequila ähnelt. E in Auto holt den Sarg ab. Zu- erst wird er in die Kirche ge- bracht, zur Messe, und dann auf Dörfern Frauen für lautes Wehkla- gen bezahlt hat, weiß Nidia. dass die Spur der Blumen „Mictlan“, jenes Ortes, der zwischen der Welt und dem inneren Himmel liegt. So wurde es von den Azteken den Verstorbenen den Hand streicheln oder ihr einen Kuss geben. Sich von jemandem zu ver- abschieden, der gestorben ist, gilt Das Gold Oaxacas. den Friedhof. Familie und Freunde gehen still hinterher. Die Män- ner der Familie helfen dabei, A m Grab ihrer Oma gibt es viele Blumen. Riesengroße Kränze, immer in Orange. Es sind Weg weisen. überliefert. An diesem Ort gibt es vie- le Prüfungen zu bestehen. als sehr, sehr wichtig. Als Nidia nach Hause kommt, liegt Mama Sabe (so nannte sie ihre Oma) den Sarg auszuladen, ihn zu tragen und ihn ins Grab hinun- ter zu lassen. vor allem „Cempasúchil“, die zur Familie der Studentenblumen gehö- ren, also Tagetes. Zu dieser Blume Die Trauernden versammeln sich später im Haus. Dort gibt es heiße Schokolade zum Trinken und schwar- D abei können die Hinterbliebenen helfen, durch Gebete und auch Es- sen. An allen neun Tagen kommen vie- noch in ihrem Bett. Doch bald erzählt man sich eine Legende: Ein ze „Mole de Muerto“. Die dickflüs- le Besucher. Mit dabei ist jeden Abend danach wird ein Sarg gebracht. Die Stadt, in der Nidia als Azteken-Mädchen trauerte um ih- sige Suppe besteht aus Schokolode, auch ein Beter – das ist jemand, der ei- Darin wird Mama Sabe aufge- Kind lebte, war schon damals ren im Krieg gefallenen Geliebten. vier Sorten Chili und Hühnchen. Es gens dafür engagiert wird, mit der trau- bahrt. Sie bleibt noch für eine ein wenig moderner. In den Die Sonne soll das Mädchen in eine ist ein aufwendiges Rezept, das die ernden Familie zu beten. Jeden Abend weitere Nacht in einem Zimmer südlichen Dörfern hätte die „Cempasúchil“ verwandelt haben. Frauen der Familie gemeinsam vorbe- gibt es etwas zu essen und zu trinken: im Haus. Schwarze Mole, eine Suppe mit Schokolade. Bestattung vielleicht anders Da erschien der verstorbene Jüngling reiten. Am Ende steht eine Schale mit Kaffee, Schokolade, Tamales und ausgesehen. Dort wurden Tote oft als Kolibri und berührte sanft ihre tiefschwarzer Suppe auf dem Tisch. Totenbrot, das ein wenig nach Oran- Ein katholischer Priester kommt auch in Petate, in Teppichen bestat- Blütenblätter. Die beiden waren wie- Köstlich, sagt Nidia. Sie liebt dieses gen schmeckt. Am Ende dieser neun und segnet sie, spricht Gebete. Die Man ruft die Zeitung an, damit tet, die man eigens für diesen Tag der vereint. Gericht. Mole ist das Festessen der Tage wird der Sand von Omas Kreuz große Familie versammelt sich im sie den Termin für die Beerdigung aus Palmwedeln herstellte. Man Mexikaner im Süden. Es gibt Mole vorsichtig zusammengekehrt. Man ver- Haus, viele Verwandte, Nachbarn bekanntgeben kann. Das eilt: Die brachte sie meist in Kutschen zum Viele Mexikaner glauben, dass die zu Hochzeiten, Taufen und Beer- streut ihn auf dem Grab. Ein Jahr spä- und Freunde. Die ganze Nacht über Beerdigung soll gleich am nächsten Friedhof. Auf dem Weg zum Grab Blumen den Verstorbenen den Weg digungen. Es gibt grüne, gelbe und ter wird noch einmal eine Messe für die kommt Besuch. Es werden Kerzen Tag sein, denn es ist heiß in Mexiko. hätte es langsame Musik gegeben. weisen mit ihrem intensiven Duft schwarze Mole. Oma gelesen. 24 LebensZeiten ∙ Ausgabe 24 LebensZeiten ∙ Ausgabe 24 25
Aus fernen Ländern · Mexiko Aus fernen Ländern · Mexiko E s gibt noch einen weiteren Tag, an dem viele Familien zuhause einen Altar aufbauen: am „Día de Tor symbolisiert, und mit mehreren Stufen. Direkt unter dem Bogen wird oftmals ein Kreuz angebracht. süßen Totenköpfe, werden in allen Größen verkauft. Vor dem Fried- hof ist ein Jahrmarkt aufgebaut, mit Muertos“, dem berühmten Tag der Den Altar schmückt man mit Ker- Karussell und Schaukeln. Auch der Toten. Der „Día de Muertos“ ist zen, Räucherwerk und natürlich mit Torborgen am Friedhof ist prächtig der wichtigste Feiertag der Mexika- Studentenblumen. Auch Bilder von geschmückt mit orangenen Blumen, ner. Es heißt, dass die Toten an die- Mama Sabe stehen dort. damit die Toten den Eingang finden. sem Tag in diese Welt zurückkeh- ren, um ein paar Stunden mit den Lebenden zu verbringen. Von zwölf Uhr mittags bis zwölf Uhr nachts Am D ie Familien treffen sich an die- sem Tag an ihren Gräbern, meist am Grab der Mutter. Auch wird gefeiert. Vorab werden im gan- Día de Muertos Nidias Familie versammelt sich am zen Land „Ofrendas“ aufgebaut, Grab von Mama Sabe. Dort wird bunte Altäre für die Toten, auf den kommen die Toten gegessen und getrunken, schwarze Friedhöfen und auch daheim. Mit für einen Tag in Mole und Schokolade. Nidias Mut- diesen Altären will man die Geis- ter wiegt sich zu den Klängen der ter der Verstorbenen willkommen diese Welt zurück. Gitarristen und Geiger, die überall heißen. Die Gräber werden geputzt, auf dem Friedhof sind und Musik renoviert und geschmückt. Manche machen. Die Stimmung ist denkbar Familien legen Kissen und Decken Die ganze Stadt zeigt sich ge- entspannt, alle sitzen auf ihren Grä- für ihre Toten aus, damit diese sich schmückt mit Papierfahren in Oran- bern, essen und trinken. Man bringt von ihrer Reise erholen können. ge und Lila. Überall verteilt man dem Verstorbenen seine Lieblings- die orangenen Studentenblumen. Es speisen mit und andere Dinge, die er A uch für Mama Sabe wird im Haus ein kleiner Altar einge- richtet. Mit einem Bogen, der ein erklingt Musik, und es gibt buntes Zuckerwerk, speziell Skelette und Totenschädel: Die „Calaveras“, die mochte. Zigaretten, Früchte, „Pan de Muerto“, also das Totenbrot, und natürlich wieder Schokolade. Am Der Friedhof, abends festlich beleuchtet und voller Besucher, die den Día der Muertos mit ihren Toten verbringen. Eine Oferenda in einem mexikanischen Zuhause. Mit den Totenblumen Cempasúchil, Kerzen und Kreuzen. Und etwas zu essen. Grab wartet auch immer ein Glas kommen tausende von Besuchern, verstorbene feine Dame, die einen Wasser, denn die Toten brauchen um mitzufeiern. Die Hotels sind großen Hut auf ihrem Totenkopf Wasser für ihren Rückweg. quasi ausgebucht. Für die Gäste trägt – ursprünglich machte man werden mitten in der Stadt große, sich damit über die Oberschicht M an trinkt dabei gehörig, es gibt Mezcal und Bier. Es ist eine fröhliche Feier. Man spricht über den bunte Gräber angelegt, mit Um- zäunungen. Riesige Skelette zieren Plätze und Parkanlagen. lustig. Inzwischen hat sich der Kult um diese Figur verselbstän- digt. Sie steht symbolisch für den Toten, die ganze Familie ist vereint. Tag der Toten. Geschaffen wurde Ein wenig Rührung ist erlaubt, ein „La Catrina“ von José Guadalupe paar Tränen. Aber der Ton des Fes- Nidia liebt Posada, einem 1913 verstorbenen tes bleibt freudig. Denn die Toten diesen Tag. mexikanischen Karikaturisten. sind ja da, und ihre Verbindung zu den Lebenden ist nicht abgebrochen. Die Toten gehören noch immer zur Gemeinschaft, und der Tod ist nur Es gibt auch literarische „Calaveras“: Wer kann, schreibt ein Gedicht über N idia liebt diesen Tag. Die ganze Familie kommt zu- sammen. Alles ist so voller Le- ein Übergang zu einem anderen Ort. den Toten. Oder über die Leben- ben. Besser als Weihnachten! An den. Die Zeitungen veröffentlichen Weihnachten bleiben alle zuhause, Nidia hat beobachtet, dass sich der possenhafte Hymnen auf noch le- in ihren Häusern. Aber am „Día „Día de Muertos“ in ihrer Heimat- bende Politiker, worin sie an ihre de Muertos“ sind alle auf dem stadt mittlerweile verändert. Man- Sterblichkeit erinnert werden. Friedhof, man trifft einander, be- ches wird nur für Touristen gemacht. gegnet den Nachbarn und auch Oaxaca ist eine der beiden Hochbur- gen des „Día de Muertos“. Jährlich Ü berall sieht man „La Catrina“. Das ist eine Spottfigur, eine Freunden aus der Kindheit. Und das ist wirklich schön. 26 LebensZeiten ∙ Ausgabe 24 LebensZeiten ∙ Ausgabe 24 27
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