LebensZeiten - Vom Halt der Freundschaft im Fluss des Lebens - Ein Magazin über das Unvermeidliche und für das Leben danach - Bestattungshaus Haller

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LebensZeiten - Vom Halt der Freundschaft im Fluss des Lebens - Ein Magazin über das Unvermeidliche und für das Leben danach - Bestattungshaus Haller
LebensZeiten
                                                     Ausgabe 24

Ein Magazin über das Unvermeidliche und für das Leben danach

 Vom Halt der Freundschaft im Fluss des Lebens
LebensZeiten - Vom Halt der Freundschaft im Fluss des Lebens - Ein Magazin über das Unvermeidliche und für das Leben danach - Bestattungshaus Haller
Gedicht                                                                               Erste Worte                                          Inhalt

                                                                                                                       Liebe Leserinnen und Leser,                           Lebenswege
                                                                                                                                                                               Vom Halt der Freundschaft 		 6
                                                                                                                       der Trauer recht geben, aber ihr nicht da               im Fluss des Lebens
                                                                                                                       letzte Wort lassen: In diesen Worten des
                                                                                                                       Gedichtes von Friedrich Karl Barth steckt             Kunst, Kultur und Historisches
                                                                                                                       eine Bereitschaft, sich dem Schmerz eines               LebensSchichten:		               4
                                 Wir kamen uns nahe, wir blieben uns fremd.                                            Verlustes zu stellen und eine klare Entschie-           Edel Schäfer aus Stuttgart
                                                                                                                       denheit weiterzuleben. Ein roter Faden, der
                                 Wir merken jetzt, was uns fehlt,                                                      sich in wundersamer Weise in fast all den             Lebensgeschichten
                                                                                                                       Geschichten dieser Ausgabe von Lebens-                  Energie in allen Sparten:		 12
                                 und fragen uns, was denn bleibt.                                                      Zeiten wiederfindet.                                    Norbert Böhme
                                                                                                                                                                               Farben fürs Leben: 		 14
                                 Wir werden der Trauer recht geben;                                                    Ihnen gute Einblicke beim Lesen und Mut                 Walter Surdmann
                                                                                                                       zum Leben!
                                 aber sie muss nicht das letzte Wort behalten.                                                                                               Aus fernen Ländern
                                                                                                                                                                               Mit den Toten in Gemeinschaft:
                                                                                                                                                                               Trauerrituale in Mexiko		 24

                                 Aus: Der Trauer recht geben                                                                                                                 Veranstaltungen und Tipps
                                 von Friedrich Karl Barth                                                                                                                      Trauergruppen und Begleitung		 22
                                                                                                                                                                               Veranstaltungen für Trauernde:		 23
                                                                                                                                                                               die Kunst des Hoffens
                                 © Strube Verlag, München
                                                                                                                                                                             Rituale in der Trauer
                                                                                                                                                                                Ein Bad im Walde		 17

                                                                                                                                                                             Steuern und Recht
                                                                                                                                                                                Verschwunden aber wirksam:		 16
                                                                                                                       Ihre                                                     Über verlorene Testamente
                                                                                                                       Andrea Maria Haller
                                                                                                                       lebenszeiten@bestattungshaus-haller.de                Buchbesprechung
                                                                                                                                                                               Von Pilz und Habicht		 18

                                                                                                                                                                             Gedicht
                                                                                                                                                                               Der Trauer recht geben		          2

                                                                                                                                                                             Bildquellenangaben					            22

                                                                                                                                                                             Impressum		      				              28

 LebensZeiten erscheint vierteljährlich. Mit LebensZeiten wollen wir die Angst vor dem Tod und vor Trauer nehmen
 und uns für einen offenen Umgang mit diesen Themen einsetzen. LebensZeiten soll helfen, sich auf das Unvermeidliche
 vorzubereiten, und Mut machen für das Leben danach. Hier erzählen wir die Geschichten der Menschen, die uns in
2unserer Arbeit als Bestatter begegnen. LebensZeiten ∙ Ausgabe 24                                                                                                 LebensZeiten ∙ Ausgabe 24                          3
LebensZeiten - Vom Halt der Freundschaft im Fluss des Lebens - Ein Magazin über das Unvermeidliche und für das Leben danach - Bestattungshaus Haller
Kunst                                                                                             Kunst

LebensSchichten
                                                            S
                                                                     ie malt. Schicht um
 In dieser Serie stellen wir Künstler aus der Region vor.            Schicht. Kratzt ab. Über-
 Diesmal: Edel Schäfer aus dem Stuttgarter Westen                    malt. Rubbelt. Klebt.
                                                                     Die Schichten ihrer Bil-
                                                            der sollen Geschichten erzählten.
                                                            Edel Schäfer mag es, den Zauber
                                                            der Vergänglichkeit zu dokumen-
                                                            tieren. Ein Stück alte Tapete hier,
                                                            ein paar gebrauchte alte Briefe da.
                                                            Zusammen ergeben sie ein Etwas.
                                                            Eine Brottüte auf dem Boden vor
                                                            einer Bäckerei, ein rostiges Stück
                                                            Metall auf der Straße, ein Stück
                                                            abgefallenes Plakat auf dem Geh-
                                                            weg. Sie sammelt, was sie finden
                                                            kann, wo immer sie es finden mag.
                                                            In ihren Händen werden rostige
                                                            Zangen zu Engeln, Papiertüten
                                                            zu Kunstwerken, Profanes wird
                                                            vergoldet. Wenn man das so-
                                                            genannte Hässliche aufwertet,
                                                            kann man vielleicht ein Stück der
                                                            ihm innewohnenden, versteckten
                                                            Schönheit entdecken, sagt sie.

                                                            A     lles ist Stückwerk, Fragment.
                                                                  Die Fragmente deuten auf
                                                            ein größeres Ganzes hin. Eines,
                                                            das nie fertig ist und immer in Be-
                                                            wegung bleibt, immer in Entwick-
                                                            lung.

                                                            Edel Schäfers Werke sind Objekte,
                                                            die Geschichten flüstern, gut ver-
                                                            hüllt, aber von Weitem erahnbar.
LebensZeiten - Vom Halt der Freundschaft im Fluss des Lebens - Ein Magazin über das Unvermeidliche und für das Leben danach - Bestattungshaus Haller
Lebenswege                                                                                                                                                                                                                               Lebenswege

Vom Halt der
Freundschaft
im Fluss des Lebens
Wie ein Verlust zwei Frauen verbindet und sie durch Humor zu neuer Kraft finden
Vor zwei Jahren erschien in LebensZeiten ein Artikel über zwei junge Frauen, deren Ehemänner kurz vor ihrem
50. Geburtstag gestorben sind. Beide Männer hatten Krebs. Die beiden Frauen hatten einander zu diesem Zeit-
punkt nicht gekannt. Aber nach dem Artikel wollten sie sich kennenlernen. Heute ist Silke 39 Jahre alt, Petra 46.
Sie leben beiden in Stuttgart.

Z
             aghaft schrieben sie ei-    sprechen darüber. Der Nebentisch          Über die Themen, die sich zeigen,        Tag passiert ist, und immer auch         „Wir vermissen unsere Männer“, sa-        Gleichzeitig ist es traurig, heimzukom-
             nander E-Mails. Erst        verabschiedete sich beklommen.            die sie gemeinsam haben. Wo sie un-      über den Verlust von Stefan. Irgend-     gen sie. Und dennoch gibt es mitt-        men in eine leere Wohnung. Und es
             vorsichtig, dann ausgie-                                              terschiedlich sind.                      wie kommen in solchen Momenten           lerweile Situationen, die sich normal     gibt diese schönen, besonderen Mo-
             biger. Schließlich verab-   Am Ende des Abends wussten die                                                     alle Gefühle zusammen, und es tut        anfühlen – ohne sie. Es gibt auch         mente im Leben, da wünscht man
redeten sie sich zu einem Treffen. In
einem kleinen italienischen Restau-
rant im Stuttgarter Westen. Beide
                                         beiden, sie werden Freundinnen.
                                         Keine versteht mich so gut wie Silke.
                                         Ich kann mit niemanden so lachen
                                                                                   D    as erste, das beide sagen: Es
                                                                                        geht ihnen gut. Und man spürt
                                                                                   es auch bei beiden. Da ist Kraft.
                                                                                                                            gut, sie rauszulassen. Petra sagt:
                                                                                                                            Manchmal tue sie sich selbst richtig
                                                                                                                            leid. „Und das tut mir gut.“
                                                                                                                                                                     Momente, da schätzen die beiden
                                                                                                                                                                     ihre neue Freiheit. In Silkes Woh-
                                                                                                                                                                     nung ist nun deutlich mehr Pink.
                                                                                                                                                                                                               sich einfach, der andere wäre jetzt da.
                                                                                                                                                                                                               Man würde ihn jetzt laut lachen hören.
                                                                                                                                                                                                               Oder schimpfen.
machten sich schick, als wäre es ein     wie mit Petra.                            Und Klarheit. Sie sprechen über                                                   Petra bekommt daheim mehr Be-
Date. Die Verbindung war ihnen
so wichtig geworden, da wollten sie
einen guten Eindruck hinterlassen.
                                                                                   die Besonderheit ihrer Freundschaft.
                                                                                   Darüber, dass sie miteinander über
                                                                                   Themen lachen, über die sie mit
                                                                                                                            S   ilke hat ein Buch, in dem sie ihre
                                                                                                                                Gefühle aufschreibt. Sie schreibt
                                                                                                                            auch Briefe an Stefan, berichtet ihm,
                                                                                                                                                                                                               E    in großes Thema für beide ist das
                                                                                                                                                                                                                    Thema Partnerschaft. Irgend-
                                                                                                                                                                                                               wann hat Silke Petra gefragt, ob sie
Und es tat auch einfach gut, sich              Am Ende des                         anderen nicht einmal sprechen kön-       was gerade geschehen ist. „Dabei                 Petra schimpft.                   schon mal über eine neue Partnerschaft
endlich mal wieder schön anzuzie-             Abends wussten                       nen. Und wie unglaublich gut das         weiß er es doch sowieso, aber es tut                                               nachgedacht habe. Petra war entsetzt.
hen.
                                              beide, sie werden                    tut, wirklich verstanden zu werden.      gut, es ihm nochmal zu erzählen.“                 Silke schreibt.                  Natürlich nicht. Sie war fast beleidigt
                                                                                   Sie beide haben Grenzerfahrungen                                                                                            über diese Frage. Aber im Anschluss
Im Restaurant angekommen, zo-                   Freundinnen.                       gemacht, die viele ihres Alters nicht    Petra schimpft öfter mal mit Mar-                                                  an jenes Gespräch hat sich etwas in ihr
gen sie einige Blicke auf sich. Alles                                              gemacht haben.                           tin. Wenn die Dinge nicht so laufen,                                               geöffnet. Es war fast, als habe sie sich
war ein wenig eng, man kann dort                                                                                            wie sie sollten. Wenn ein Handwer-                                                 selbst eine innere Erlaubnis gegeben.
die Gespräche vom Nebentisch                                                       Sie berichten, wie sich ihre Trauer      ker versucht, sie über den Tisch zu      such von Freunden als früher. Mar-        Es gehört zu diesem Weg dazu, das ei-
mithören. Eine Gruppe Männer             Einer ihrer gemeinsamen Lieblings-        gewandelt hat. Wo es zuvor das All-      ziehen, wenn der Wasserhahn nicht        tin mochte zwar sehr gerne Besuch,        gene Leben wieder selbst in die Hand
freute sich erst über den weiblichen     scherze war: Wenn Frau Haller             bestimmende im Alltag war, ist es        funktioniert. Dann lacht sie. „Er        aber nicht so häufig, und je kränker      zu nehmen. Verantwortung für sich zu
Zuwachs. Wurde dann aber zuse-           das wüsste! Das wäre doch mal ein         jetzt ein Teil ihres Lebens, der einen   kann ja nichts dafür.“                   er wurde, umso anstrengender wurde        übernehmen, das eigene Leben zu ge-
hends befangen, als sie die Themen       spannender Artikel in LebensZei-          Platz gefunden hat und nicht in alles                                             es für ihn. Außerdem: Eigene Ent-         stalten, das ja weitergeht.
aufschnappte. Hast du eigentlich         ten. Und tatsächlich, jetzt, an einem     hineinschwappt.                          Für beide waren die letzten Monate       scheidungen treffen oder Aufgaben
schon einen Grabstein? Petra kann        dieser letzten warmen Septemberta-                                                 vor dem Tod ihrer Männer beson-          übernehmen, die Martin immer über-        Petra fand die Beziehung und den
nicht fassen, dass Silke ihren Mann      ge, ist es soweit. Wir sitzen bei Petra   Silke sagt, dass es ihr manchmal         ders intensiv. Alles hat sich um de-     nommen hatte – das macht sie stolz        Austausch mit Silke so wohltuend
im Abschiedshaus selbst angekleidet      im Garten und reden. Über die letz-       nach einem schwierigen Tag gut tut       ren Krankheit und dann um deren          auf sich selbst. Silke schätzt es, sich   und konstruktiv, dass sie sich auch
hat. Silke hat das sehr gutgetan. Sie    ten zwei, über die letzten vier Jahre.    zu weinen – darüber, was an dem          Tod gedreht.                             nicht absprechen müssen.                  bei Facebook auf einer Seite für Trau-

6                                        LebensZeiten ∙ Ausgabe 24                                                                                                   LebensZeiten ∙ Ausgabe 24                                                     7
LebensZeiten - Vom Halt der Freundschaft im Fluss des Lebens - Ein Magazin über das Unvermeidliche und für das Leben danach - Bestattungshaus Haller
Lebenswege                                                                                                                                                                                                                        Lebenswege

                                                                                                                       rer. Sie will nicht mit Fremden darü-
                                                                                                                       ber reden. Sie hat das Gefühl, ande-
                                                                                                                       re sehen sie dann anders an, denken
                                                                                                                                                                   Silke hat kein Problem damit. Sie
                                                                                                                                                                   erzählt Menschen, die sie neu ken-
                                                                                                                                                                   nenlernt, dass ihr Mann gestorben
                                                                                                                                                                                                            Z     uhause ist Stefans Namens-
                                                                                                                                                                                                                  schild noch immer an der
                                                                                                                                                                                                            Tür. Auch Martins Name ist
                                                                                                                       vielleicht, sie sollten lieber die Finger   ist. Sie sagt es immer mit großer        noch auf dem Briefkasten. Mar-
                                                                                                                       von ihr lassen. „Weil: Witwe ist ein-       Klarheit. Und hat eigentlich auch        tins Schlüssel steckt noch innen
                                                                                                                       fach zu komplex.“                           noch keine schlechten Erfahrungen        im Schloss. Petra hat es bis heu-
                                                                                                                                                                   gemacht. Sie beobachtet an sich, dass    te nicht geschafft, Telekom und

                                                                                                                       M       anchmal fühlt sie sich auch
                                                                                                                               unwohl, wenn sie auf Martins
                                                                                                                       Tod angesprochen wird. Vor allem                     Die Namen
                                                                                                                                                                                                            Strom auf sich umschreiben zu
                                                                                                                                                                                                            lassen. Manchmal findet sie es
                                                                                                                                                                                                            ganz toll, wenn noch Briefe an
                                                                                                                       in einer Gruppe. Dann kann die                                                       ihn eintreffen – auch wenn es nur
                                                                                                                       Stimmung bei ihr kippen. Das ärgert
                                                                                                                                                                           ihrer Männer                     Rechnungen sind. Das ist Be-
                                                                                                                       sie selbst. Sie fühlt sich so ausgelie-              stehen noch                     weis, dass er wirklich da war, vor
                                                                                                                       fert und fremdbestimmt. Neulich hat                                                  gar nicht so langer Zeit. Neulich
                                                                                                                       jemand bei einer Feier das Lied ge-
                                                                                                                                                                           an den Türen.                    kam ein Paket ohne Absender
                                                                                                                       spielt, das ihr Lied mit Martin war.                                                 für Martin, Petra sollte es von
                                                                                                                       Das hat sie zum Weinen gebracht,                                                     der Post abholen. Das war eine
                                                                                                                       vor den anderen. Dann hadert sie            sie mit der Zeit offener geworden ist,   kleine Lebenskrise. Was kommt
                                                                                                                       mit sich selbst. Obwohl die anderen         beispielweise auch mit ihren Kollegen    da jetzt? Sie war fast panisch.
                                                                                                                       Verständnis haben und sie unterstüt-        mehr über Stefans Tod spricht. Am        Und dann kam ein neuer Recei-
                                                                                                                       zen – aber sie will ihnen nicht die         Anfang hatten die Kollegen sich nicht    ver von der Telekom. Petra und
                                                                                                                       Stimmung verderben. Doch auch das           getraut, Fragen zu stellen. Sie spüren   Silke lachen. Kommt das aus
                                                                                                                       wird besser mit der Zeit.                   jetzt aber die größere Offenheit.        dem Jenseits?

ernde angemeldet hat „Da wird es
vielleicht mehr solche Menschen
geben!“ Doch die Praxis war eher
                                        anderer zu entsprechen. Es kommt
                                        zu einem veritablen Shitstorm, und
                                        Petra verlässt diese Gruppe, zusam-
                                                                               D     as Thema Partnerschaft ist
                                                                                     auch wichtig für Silke. Stefan
                                                                               hätte nicht gewollt, dass sie nur ihm
ernüchternd. Mit Silke hatte sie die    men mit ein paar anderen. Die Un-      nachtrauert und aufhört zu leben. Es
Erfahrung gemacht, über die herz-       terstellungen, sie habe ihren Mann     wäre ihm wichtig, dass sie wieder
zerreißendsten Dinge lachen zu          nicht wirklich geliebt, tun ihr weh.   glücklich wird. Und es wäre schön,
können – das hat ihr geholfen, nicht    Man kann doch einen Menschen           wenn es jemand ist, mit dem Stefan
im Schmerz zu ertrinken. Für so         lieben und sich dennoch auf einen      einverstanden wäre. Jemanden, den
etwas scheint in jener Gruppe kein      neuen einlassen!                       er irgendwie gut fände.
Raum. Dabei tut ihr das Lachen so
unendlich gut. Es schafft eine Dis-                                            Beide tun sich auch schwer mit dem
tanz. Es ist wie eine Leine, an der                                            Thema in Bezug auf ihre Schwie-
sie sich selbst ein bisschen rauszie-            Man kann                      gereltern. Sie haben Sorge, dass
hen kann. Durch den Humor ver-                einen Menschen,                  diese denken könnten, sie hätten
schwindet der Schmerz nicht, aber                                              ihre Männer nicht geliebt oder seien
er wird ein klein wenig erträglicher.          den man liebt,                  flatterhaft. Oder trauerten nicht ge-
Er übermannt einen nicht mehr so.                                              nug. Aber sie können auch verste-
                                               nicht ersetzen.                 hen, dass es für die Schwiegereltern
Einmal spricht sie auch online in                                              nochmal auf einer anderen Ebene
der Gruppe das Thema einer neuen                                               schwierig ist.
Partnerschaft an. Sie ringt mit ih-     Natürlich liebt Petra Martin immer
rem eigenen Wunsch, nicht allein zu     noch. Sie will Martin doch nicht er-   Petra tut sich schwer zu sagen: Ich
sein, und damit, ihren eigenen Vor-     setzen. Das geht ja gar nicht. Silke   bin Witwe. Sie hat Angst vor den
stellungen und den Erwartungen          nickt.                                 Reaktionen und dem Mitleid ande-

8                                       LebensZeiten ∙ Ausgabe 24                                                                                                  LebensZeiten ∙ Ausgabe 24                                                9
LebensZeiten - Vom Halt der Freundschaft im Fluss des Lebens - Ein Magazin über das Unvermeidliche und für das Leben danach - Bestattungshaus Haller
Lebenswege                                                                                                                                                                                                                      Lebenswege

I n der ersten Zeit haben beide emp-
  funden, dass Stefan und Martin
ganz gegenwärtig sind. Inzwischen
                                         lich zu gestalten. Es sollte ein Hin-
                                         gucker sein. Sie hat den Grabstein
                                         selbst entworfen. Ließ sich besondere
                                                                                   P    etra hat bis heute noch keinen
                                                                                        Grabstein für Martin. Silke
                                                                                   hat ja die Messlatte für den Stein so
spüren sie sie nicht mehr so nah,        Gestaltungsideen einfallen. Darunter      hoch gelegt, sagt Petra. Sie lachen.
sagen beide. Das kam plötzlich. Es       war einmal auch eine Betonschalen         Immer wieder hat sie Ideen, aber
war dann auch irgendwie gar nicht        mit Kakteen, zu der es eine eigene        nichts, was wirklich zündet. Der
schlimm. Vielleicht eine Form von        Geschichte gibt: Die Schale wurde         Stein ist ja für die Ewigkeit. Oder
Zutrauen: Du kannst jetzt alleine        dummerweise vom Grab gestohlen.           zumindest 25 Jahre.
weiter.                                  Silke ging damals zur Polizei und
                                                                                   Am Todestag geht sie mit ihrer Fa-
Da war immer so ein Gefühl in Mar-                                                 milie ans Grab. Sie nehmen eine
tins Büro, sagt Petra. Und es gab                  Die Rolle                       Flasche Brunello mit und große
eine Lampe über dem Esstisch, die                                                  Gläser für alle. Ein Glas Wein fürs
immer flackerte, wenn sie über Mar-               des Grabes                       Grab. Musik von The Chemical
tin gesprochen hat – und die war                   ändert sich                     Brothers, seiner Lieblingsband. Das
plötzlich ganz kaputt. Petra kauft                                                 Ganze auf dem Pragfriedhof und
sich eine neue Lampe, eine von Ikea,              mit der Zeit.                    ziemlich laut: Es war gut und so pas-
ganz simpel und ohne Fernbedienung.                                                send. Und ziemlich verheult. Martin
Das wäre mit Martin nie gegangen:                                                  fehlt. Er hat die Familie zusammen-
Bei ihm waren Lampen immer halbe         hat Anzeige erstattet. Die Beamten        gehalten. Er hat eine Riesenlücke
Computer.                                baten sie um ein Bild der Schale –        hinterlassen.
                                         vielleicht entdecken sie sie ja, wenn
Auch die Bedeutung des Grabes än-
dert sich. Am Anfang war es Silke
extrem wichtig, das Grab ungewöhn-
                                         sie Streife fahren. Da musste Silke ir-
                                         gendwie lachen. Wie irrwitzig ist das
                                         denn? Am Ende lachten alle.
                                                                                   A    ls Silke neulich auf einem
                                                                                        Metallica-Konzert war, wurde
                                                                                   auch „Nothing Else Matters“ ge-

                                                                                                                           spielt. Wie auf der Trauerfeier. Da     Silke und Petra nehmen wahr, dass        voll ausleben und einen Kilometer
                                                                                                                           musste sie kurz durchatmen. Das         sie manchmal auch den Schmerz            lang heulen. Es tut so gut, diesen
                                                                                                                           kommt jetzt! Sich dem Schmerz zu        ganz bewusst ansteuern, um ihn zu        Kloß rauszulassen.
                                                                                                                           stellen, scheint zu funktionieren und   fühlen.
                                                                                                                           gut zu tun. Und irgendwie nimmt es
                                                                                                                           auch die Wucht. Jetzt kann sie das
                                                                                                                           Lied wieder ganz normal hören.
                                                                                                                                                                                                            S    ilke will diesen Schmerz dann
                                                                                                                                                                                                                 einfach auch mal spüren. Die-
                                                                                                                                                                                                            ses Spüren tut gut, und sie empfin-
                                                                                                                                                                           Es tut so gut,
                                                                                                                                                                                                            det darin eine Lebendigkeit. Das
                                                                                                                                                                           diesen Kloß
                                                                                                                           D    a ist so viel, was sie von ihren
                                                                                                                                Männern gelernt und übernom-
                                                                                                                           men haben. Verträge aushandeln.
                                                                                                                                                                           rauszulassen.
                                                                                                                                                                                                            ist Lebendigkeit. Silke denkt heute
                                                                                                                                                                                                            anders über das Leben. Sie denkt
                                                                                                                                                                                                            weniger nach. Ihr ist bewusst, wie
                                                                                                                           Selbst hinstehen! Stilistische und                                               schnell sich alles ändern kann. Ich
                                                                                                                           geschmackliche Erweiterungen. Rei-                                               gönne mir das jetzt. Ich mache das
                                                                                                                           sen. Afrika. Der Garten.                                                         jetzt. Denn ein Morgen gibt es viel-
                                                                                                                                                                   Als Petra einen Wasserschaden in         leicht gar nicht. Die Zerbrechlich-
                                                                                                                           Da ist auch vieles, was sich nach       der Wohnung hat und dann auch            keit des Lebens ist ein wenig näher
                                                                                                                           deren Tod geändert hat. Petra lebt      noch von einem Hund angefallen           gerückt.
                                                                                                                           jetzt zurückgezogener. Sie findet es    wird, ist alles zu spät. Sie heult auf
                                                                                                                           schön, immer wieder allein zu sein.     der Feuerbacher Heide, ganz laut         Und sie sind beide froh, dass sie ein-
                                                                                                                           Früher war alles Party. Jetzt braucht   (hat sich aber natürlich vorher vor-     ander haben.
                                                                                                                           sie mehr Stille, Zeit für sich.         sichtig umgesehen). Das kann sie

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LebensZeiten - Vom Halt der Freundschaft im Fluss des Lebens - Ein Magazin über das Unvermeidliche und für das Leben danach - Bestattungshaus Haller
Lebensgeschichten · Weilimdorf                                                                                                                                                                                 Lebensgeschichten · Weilimdorf

Energie in allen Sparten
Norbert Böhme
Norbert Böhme war Menschen- und Tierfreund, Architekt, Segler, Autofan und Hobby-Rennfahrer.
                                                                                                                          Norbert Böhme in jüngeren und späteren Jahren.

M                                                                                                                                                                                                         E
              an könnte seine Le-      waren. Seiner Meinung nach war           Norbert war ständig neugierig und         große Themen gut durchzudenken.          Marion hat er damals beim Aus-              nde der 90er-Jahre entdeckten
              bensgeschichte anhand    weder Kinderwagen festhalten noch        innovativ. Er probierte alles Neue        So hat er es geschafft, acht energie-    wahlverfahren der Studienstiftung           die beiden das gemeinsame
              seiner Autos nach-       Mittagessen kochen etwas für Jungs.      einfach aus. Er war energiegeladen,       autarke Projekte auf den Weg zu          kennengelernt. Beide waren sie         Kochen. Mit 16 Personen und der
              erzählen. Denn Autos                                              schnell entschlossen und risikofreu-      bringen. Ein paar sind bereits ge-       schlaue Köpfe. Vier Wochen spä-        Kochlehrerin Gisa trafen sie sich
waren ihm immer wichtig, und sie                                                dig. Sein Lachen, seine Begeiste-         baut.                                    ter wurden die beiden ein Paar und     regelmäßig in einer der Wohnun-
hatten Namen. Es fing an mit der                                                rungsfähigkeit und seine Fröhlichkeit                                              blieben dann 47 Jahre zusammen.        gen. Planen, schnippeln, zerlegen,
„Nussschale“, einem eierschalenfar-
benen Fiat 850, als er 18 war. Es
folgte ein sehr bunter VW Käfer.
                                                                                zogen alle in seinen Bann.

                                                                                Und Norbert liebte es, etwas zu leis-
                                                                                                                          W      enn Behörden unnötig Pro-
                                                                                                                                 jekte blockiert haben oder für
                                                                                                                          die Energiewende nur Lippenbe-
                                                                                                                                                                   1979 öffnete sich für beide die Welt
                                                                                                                                                                   des Segelns, und diese Leiden-
                                                                                                                                                                                                          rühren, kneten, schlagen, kochen,
                                                                                                                                                                                                          brutzeln, schmoren, braten, dabei
                                                                                                                                                                                                          erzählen, tratschen, lachen, bis der
Dann kam ein knallroter Golf S mit                                              ten. Fast 40 Jahre arbeitete er als Ar-   kenntnisse abgegeben haben, dann         schaft verband sie bis zum Schluss.    Morgen graut und der Wein leer ist.
Rennsitzen und Drehzahlmesser,                                                  chitekt und hinterließ markante Spu-      wurde er ungemütlich. Er war ein         Beide hatten Freude an Regatten,
darauf war er richtig stolz.                                                    ren. Norbert Böhme war ein Mann           Kämpfer. Unehrlichkeit und Unge-                                                In der letzten Zeit hat er eine alte
                                                                                des Entwurfs, Details waren nicht         rechtigkeit konnten ihn fuchsteufels-                                           Leidenschaft aus der Jugend aufle-
Ende der 80er-Jahre erfüllte er sich   Ein Porsche namens Paulchen.             sein Ding. Er dachte in großen Zu-        wild machen.
                                                                                                                                                                           Vom schnellen                  ben lassen: das Klavierspielen.
erstmals seinen Traum vom Porsche.                                              sammenhängen. In den letzten Jahren                                                          Auto zum
Er kaufte einen gebrauchten 924 und    Er entwickelte einen rebellischen, ge-   wurde er nachdenklich.                    Norbert hatte weder Angst vor har-                                              Am 2. August 2019 starb Nor-
fuhr damit die ersten Rundrennen.      sellschaftskritischen Geist, in dieser                                             ter Arbeit noch vor Risiken. Er war               nachhaltigen                  bert Böhme. Ganz plötzlich, ohne
Lange Jahre war ein gelber 911 sein
Begleiter in allen wichtigen Lebens-
lagen, der hieß Paulchen. Gelb war
                                       Zeit sehr nach links gerichtet. Den
                                       konnte er in Gymnasium und Studi-
                                       um voll austoben. Er lebte Protest.
                                                                                F   ür ihn war klar: Wir haben genau
                                                                                    genommen kein Energieproblem,
                                                                                sondern ein CO2-Problem. Ökolo-
                                                                                                                          immer offen für einen kleinen Wett-
                                                                                                                          bewerb, sei es auf dem Wasser oder
                                                                                                                          auf der Rennpiste. Segel-Regatten
                                                                                                                                                                               Bauen                      Vorwarnung. Mitten in Projekten.
                                                                                                                                                                                                          Voller Pläne für die Zukunft. Vie-
                                                                                                                                                                                                          le Freunde und Kollegen würdigten
schon immer eine Farbe, der er sich    Verweigerte Prüfungen, zusammen          gisches Bauen wurde ihm wichtig,          und Porsche-Slalom machten ihm           am Bodensee und an der aktiven         sein Leben und sprachen über seine
in besonderem Maße verbunden           mit den Kommilitonen. Er und seine       sehr wichtig. Er wollte heute für eine    unendlich viel Freude. Das Haus          Mitarbeit in der Akademischen Se-      Strahlkraft, Heiterkeit und Kreativi-
fühlte: Seiner Meinung nach waren      spätere Frau Marion waren das ers-       gute Zukunft bauen. Nur noch Ge-          steht voller Pokale.                     gelvereinigung. Norbert war lange      tät. Seine Trauerfeier auf dem Wald-
alle schnellen Autos gelb. Mit Paul-   te Paar, das unverheiratet in einem      bäude ohne Schornstein: Häuser, die                                                Vorstand.                              friedhof in Degerloch war eine der
chen war er viel unterwegs und ge-     Apartment im Studentenwohnheim           nicht nur klimaneutral sind, sondern      Die Seinen hat er wie ein Löwe be-                                              längsten jemals.
wann Pokale im Slalomfahren.           zusammenlebte, damals in der Bir-        selbst aktiv Energie produzieren. Er      schützt. Keine Lügen. Dankbar sein       Er hatte die unglaubliche Fähigkeit,
                                       kenwaldstraße. Beide waren aktiv in      investierte viel Zeit und Energie mit     für alles. Leben und leben lassen.       im Auto ungeduldig an den Boden-
Und ohne Autos? Norberts Schul-        der studentischen Selbstverwaltung,      Plusenergiehäusern, auch Aktiv-Plus-      Das waren die Mottos für ihn und         see zum Segelboot zu rasen – um
jahre waren voller Streiche und auch   und Norbert hatte eine gewisse Freu-     Häuser genannt. An vielen Wochen-         seine Frau Marion. Leitsätze, an de-     dann unendlich geduldig und ent-
voller Gedanken, die von der Gleich-   de daran, Auseinandersetzungen mit       enden ging er auf Seminare, um zu         nen sich die beiden auch in schwieri-    spannt im Boot zu sitzen und auf
berechtigung nicht so ganz überzeugt   dem Verwaltungsapparat zu führen.        lernen, sich schlau zu machen und         gen Zeiten orientiert haben.             den Wind zu warten.

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LebensZeiten - Vom Halt der Freundschaft im Fluss des Lebens - Ein Magazin über das Unvermeidliche und für das Leben danach - Bestattungshaus Haller
Lebensgeschichten · Leindfelden-Echterdingen                                                                                                                                               Lebensgeschichten · Leindfelden-Echterdingen

                                  Farben fürs Leben                                                                wecken – ist einfacher. Computern
                                                                                                                   leisteter er Widerstand bis zum bitte-
                                                                                                                   ren Ende. Er wollte alles auf Papier.
                                                                                                                   Selbst die Webseite.
                                                                                                                                                            Übergabe und seine „Beförderung
                                                                                                                                                            vom Geschäftsführer zum Brieföff-
                                                                                                                                                            ner“. Stolz auf den Schalk, der sei-
                                                                                                                                                            nen Kindern und Enkeln im Nacken

                                                Walter Surdmann
                                                                                                                                                            saß. Es gab da diese Geschichte,
                                                                                                                   Dafür war er ein umso größerer           wie Sohn und Tochter das Auto des
                                                                                                                   VfB-Fan. 60 Jahre lang hielt er dem      Nachbarn angemalt haben, mit Far-
                                                                                                                   Verein trotz aller Abstiege die Treue    ben, die in der Surdmanschen Gara-
                                        Unternehmer, Familienmensch, Freund                                        und besuchte mit seiner Dauerkarte       ge gelagert waren. Davon erzählte er
                                                                                                                   regelmäßig die Spiele.                   immer gerne und mit einem leichten
                                                                                                                                                            Funkeln in den Augen.

                                  W
                                                                                                                   Nicht nur dem VfB hielt er die
                                                  alter     Surdmann
                                                  erzählte gerne Ge-
                                                  schichten. So wie
                                                                          immer in paar Straßen weiter. Die
                                                                          Eltern sollten es ja nicht wissen.
                                                                                                                   Treue, auch Freunden. Freunde
                                                                                                                   waren wichtig. Der wöchentliche
                                                                                                                   Stammtisch war unerschütterlich.
                                                                                                                                                             W     alter war ein Urgestein als
                                                                                                                                                                   Opa. Als seine Enkelin im
                                                                                                                                                            Alter von fünf Jahren daheim auszog
                                                  die von seinem ers-
                                  ten Schultag: Ein Bekannter hatte
                                  ihm gesagt, die Schule habe keinen
                                                                          A      m 15. Juli 1963 lernte Walter
                                                                                 Ingrid kennen. Die junge Frau
                                                                          hatte sich während eines Regens im
                                                                                                                   „Einer stoht emmer.“ Die Jahres-
                                                                                                                   ausflüge. Der Herren-Ausflug. Der
                                                                                                                   Kegelausflug, der nichts mit Kegeln
                                                                                                                                                            und samt Koffer vor der großelter-
                                                                                                                                                            lichen Tür stand (die Wohnung lag
                                                                                                                                                            im selben Haus), gewährte Walter
                                  Wert, er solle gar nicht erst hinge-    Mittnachtbau in Sicherheit gebracht.     zu tun hatte.                            ihr Asyl. Sein Enkel und er gründe-
                                  hen. Daraufhin ging Walter Surd-        Plötzlich gesellte sich ein Fremder zu                                            ten ihren eigenen Stammtisch. Mitt-
                                  mann am ersten Schultag gar nicht
                                  erst hin. Das war für ihn vollkom-
                                  men logisch.
                                                                          ihr und wollte mit ihr tanzen gehen.
                                                                          Sie war geschmeichelt, begeistert und
                                                                          ließ sich darauf ein. Aus diesem einen
                                                                                                                   W       alter war bodenständig, und
                                                                                                                           er war gerne mit bodenstän-
                                                                                                                   digen Menschen unterwegs. Er hatte
                                                                                                                                                            wochs – nur die beiden.

                                                                                                                                                          Bei der Wahl der Urlaubsziele war
                                                                          Tanz wurden fast 60 Jahre. 60 Jahre,     einen ausgeprägten Gerechtigkeits-     er immer sehr, sehr klar. Silvester
                                  Walter war hier geboren, wurde          die die beiden gemeinsam verbrach-       sinn und einen Sinn für Anstand.       lückenlos jedes Jahr in Schwangau.
                                  aber mit fünf zu den Großeltern         ten, arbeiteten, zwei Kinder großzo-     Sein Wort war sein Wort. Das galt      Sommerurlaube am Mondsee. Nur
                                  geschickt, ins Allgäu auf den Bau-      gen und zwei Enkel verwöhnten.           für geschäftliche Abmachungen          einmal ging es nach Rimini, aber
                                  ernhof. Mit neun kam er ins Schwä-                                               ebenso wie für                                           danach nie wie-
                                  bische zurück, er trug Lederhosen       Und ein Unternehmen führten.             ein leicht fahr-                                         der. Mondsee war
                                  und Wadenstrümpfe. Und wurde in         Walter war voller Unternehmergeist.      lässiges Verspre-                                        schöner. Da war
                                  der Schule ausgelacht. Aber Walter
                                  hatte ein gewinnendes Wesen. Das
                                                                          Früh machte er sich selbstständig
                                                                          mit Pinseln, die er aus dem Auto
                                                                                                                   chen, das er einst
                                                                                                                   seinen Kindern
                                                                                                                                                Walter war ein              so viel Gutes in
                                                                                                                                                                            Walters Leben:
                                  Auslachen hinderte ihn nicht dar-       verkaufte. Zwei Jahre später eröffne-    gegeben hatte:                   Urgestein.              seine     Familie,
                                  an, Freundschaften zu knüpfen. Er       te er seinen ersten Laden in Leinfel-    ein Auto für je-                                         das     Unterneh-
                                  war immer einer, der viele Freunde      den-Echterdingen. Ein ganz großer        den, der bis zum                                         men Fendal, seine
                                  hatte und diese Freundschaften auch     Schritt war die Übernahme des            18. Geburtstag                                           Freundschaften.
                                  pflegte. Zu seiner Trauerfeier ka-      Unternehmens Fendal im Jahr 1989.        das Rauchen nicht angefangen hat-      Der VfB und das Golfen. Wandern
                                  men auch Menschen aus der Schule,       Den ging er zusammen mit Tochter,        te. Umstandslos hielt er sein Wort.    gehen und ein Ziel erreichen. Den
                                  Menschen aus den früheren Jahren        Sohn und Schwiegertochter.                                                      Garten genießen. Die Geschichten,
                                  seines Lebens, mit denen er noch im-                                             Walter er war ein Genießer. Kein       die er immer wieder erzählte und die
                                  mer in Verbindung war.                  Walter hatte durchaus Freude an          Weg ohne Ziel. Wandern war toll,       sein Leben formten.
                                                                          harter Arbeit. Er war ein Schaffer.      aber Ankommen war noch viel toller.
                                  Walter war ein Lausbub und hatte        Nur mit Garten und Handwerksar-          In den letzten Jahren spielte das Gol- Walter Surdmann war zuverlässig,
                                  es faustdick hinter den Ohren. Als      beiten stand er immer ein wenig auf      fen eine immer größere Rolle in sei-   beständig, klar und voller Humor.
                                  er im Alter von 19 Jahren nach Lein-    Kriegsfuß. Da konnte es passieren,       nem Leben. Er bewegte sich schon       Ein Fels in der Brandung. Seine
                                  felden-Echterdingen zog, hatte er       dass er ganz versehentlich das Ka-       immer gern und war ein ziemlich        Beerdigung im August dieses Jahres
                                  schon einen Führerschein und zwei       bel der Heckenschere durchschnitt.       flotter Läufer.                        auf dem Waldfriedhof von Leinfel-
                                  Freunde. Gemeinsam kauften die          Selbst die Kaffeemaschine war eine                                              den-Echterdingen war voll. Voll mit
                                  drei heimlich ein Auto, Walter war      technische Überforderung für ihn:        Er war stolz auf seine Kinder und      Familie und Freunden, mit Tränen
                                  der Fahrer. Vorsichtshalber parkte er   lieber morgens seine Frau Ingrid         Enkel. Stolz auf die gute Firmen-      und Geschichten.

14                                     LebensZeiten ∙ Ausgabe 24                                                                                            LebensZeiten ∙ Ausgabe 24                                              15
LebensZeiten - Vom Halt der Freundschaft im Fluss des Lebens - Ein Magazin über das Unvermeidliche und für das Leben danach - Bestattungshaus Haller
Recht                                                                                                                                                                                                                            Rituale in der Trauer

                                                                                                                              Trauerrituale sind Rituale des Übergangs. Sie machen das einschneidende Erlebnis begreifbarer und kennzeichnen den
                                                                                                                              Abschluss eines wichtigen Kapitels im eigenen Leben. Sie unterstützen Trauernde darin, mit ihren Gefühlen in Kontakt zu
                                                                                                                              kommen und diese auszuleben. Trauer muss gelebt werden, denn sie ist heilsam. In unserer Serie stellen wir Ihnen nach und
                                                                                                                              nach einige dieser Trauerrituale vor.

Verschwunden, aber wirksam                                                                                                    Ein Bad im Walde
Über verlorene Testamente

E                                                                                B
                                                                                                                              B
           in Mensch, der Ihnen na-     Beschluss vom 16. März 2018) so-               eide Gerichte haben am Ende                      iophilia nannte der Evolutionsbiologe Edward O.       Der Wald kann auch positive Effekte für Ihr Immunsystem
           hestand, den sie geliebt     wie das Oberlandesgericht Köln                 das verschwundene Testament                      Wilson in den 1980er-Jahren unsere Liebe zu           haben, das haben Studien eindrucksvoll belegt. Im Wald
           haben, ist gestorben. Sie    (AZ: 2 Wx 261/18, 2 Wx 266-              anerkannt. Auch in ihren Begrün-                       allem Lebendigen. Wir seien genetisch dazu be-        tauchen Menschen in eine tiefe Entspannung ein und kön-
           wissen: Es gibt ein Testa-   270/18, Beschluss vom 3. Juli 2018).     dungen waren die Richter ähnlicher                     stimmt, die Natur zu lieben. Der österreichische      nen dadurch regenerieren.
ment, und zwar zu Ihren Gunsten.                                                 Auffassung. Sie argumentierten:              Biologe Clemens Arvey meinte 2016, dass die Natur unser
Vielleicht waren Sie selbst sogar da-
bei, als das Testament entstanden ist
und hinterlegt wurde. Möglicherwei-
                                        E    s ging auch um ähnlich gelager-
                                             te Fälle: Der jeweilige Erblasser
                                        hatte zugunsten einer ihm naheste-
                                                                                 Nur weil ein Testament unauffindbar
                                                                                 ist, bedeute dies nicht, dass es nicht
                                                                                 wirksam sei. Und nur weil ein Tes-
                                                                                                                              evolutionäres Zuhause sei. Deswegen biete diese archaische
                                                                                                                              Verbindung auch die Möglichkeit von „grüner Heilung“. In
                                                                                                                              Japan gilt Waldbaden, „Shinrin yoku“ genannt, als Medi-
se haben Sie auch gesehen, wo dieses    henden Person ein Testament errich-      tament unauffindbar ist, könne man           zin. Auf der Insel Usedom ist letztes Jahr der erste europäi-
Testament aufbewahrt wurde.             tet. Dieses Testament wurde in der       nicht unwiderlegbar vermuten, dass           sche Kur- und Heilwald entstanden.
                                        Wohnung aufbewahrt. Es gab dafür         der Verstorbene das Testament ver-
Doch dann ist das Testament spurlos     stets Zeugen: sowohl für die Errich-     nichtet und somit auch widerrufen            Was genau steckt hinter dem Waldbaden? Und was hat
verschwunden. Diese Person ist ge-                                               habe.                                        das mit Ritualen auf dem Trauerweg zu tun?
storben, aber das Testament taucht
einfach nicht auf. Es waren eini-
ge Menschen in der Wohnung des               Die Gerichte haben                  G     rundsätzlich könne auch anders
                                                                                       nachgewiesen werden, dass es           W       aldbaden bedeutet, einen Waldbesuch zu machen
                                                                                                                                      und dann ganz intensiv und achtsam in die Atmo-
Verstorbenen unterwegs. Denkbar,             das verschwundene                   ein solches Testament gegeben habe           sphäre des Waldes einzutauchen. Atmen Sie die klare und
dass jemand das Testament hat ver-                                               – beispielsweise mit Zeugen- oder            würzige Luft ein. Hören Sie die Blätter rauschen. Nehmen
schwinden lassen. Und jetzt? Streit         Testament anerkannt.                 Urkundenbeweise. Das ist tatsächlich         Sie das Spiel zwischen Licht und Schatten wahr. Beobach-
ist vorprogrammiert.                                                             der entscheidende Punkt: Sowohl              ten Sie die Wipfel, die sich im Wind wiegen. Ertasten Sie
                                                                                 die Erstellung als auch der Inhalt           die feste Rinde eines Baumstamms. Und spüren Sie den
Denn es ist unklar, was nun gilt.                                                des Testaments müssen mit Zeu-               weichen Waldboden unter Ihren Füßen.
Greift mangels Testament die gesetz-    tung des Testaments als auch für         genaussagen belegt werden können.
liche Erbfolge? Dann könnte es sein,    dessen Verwahrung. Doch nach dem         Um diese Frage wird es auch gehen,           Wer trauert, erlebt eine große Bandbreite an Gefühlen,          Und nun wieder zur Trauer: In einen Waldbesuch lassen
dass bestimmte Familienangehörigen      Tod war und blieb das Testament in       wenn Gerichte künftig in vergleich-          Verzweiflung und Wut, aber auch Gefühllosigkeit. Trau-          sich auch gut kleine Trauerrituale einbauen, beispielsweise
erben – nicht aber diejenigen, denen    beiden Fällen verschwunden.              baren Konstellationen entscheiden            ernde sind oft wie betäubt und vernachlässigen sich un-         das Flussritual, das wir schon beschrieben haben in Lebens-
der Verstorbene eigentlich seinen                                                müssen. Sie werden den Einzelfall            ter Umständen selbst. Es kann zu Gewichtsverlust und            Zeiten 20.
Besitz hinterlassen wollte. Kann es     In dem Fall, über den das OLG            intensiv prüfen, ob die vorgebrachten        Schlafstörungen kommen.
wirklich sein, dass Sie komplett leer   Köln entscheiden sollte, haben die       Beweise genügen, um die Existenz                                                                             Der Wald ist eine Einladung. Versuchen Sie, sich darauf
ausgehen, obwohl Sie wissen, dass       gesetzlichen Erben einen Erbschein       dieses Testaments nachzuweisen.              Wald entschleunigt. Die klare und frische Luft stärkt und       einzulassen. Spüren Sie, wie der Wald wirkt. Und nach-
es dieses anderslautende Testament      beantragt. Die Person, die im Tes-                                                    vitalisiert. Das Waldbaden kann dazu beitragen, die Trau-       wirkt.
gab? Solche Situationen gibt es im-     tament eigentlich bedacht gewesen                                                     er zu verarbeiten.
mer wieder.                             wäre, ist dagegen juristisch vorge-

L   etztes Jahr haben sich zwei Ge-
    richte nahezu gleichzeitig da-
                                        gangen. Der Fall des OLG Braun-
                                        schweig war etwas anders: Dort hat-
                                        te die im Testament benannte Erbin
                                                                                                       Kerstin Herr           W      aldbaden kann vieles bewirken. Vielleicht klärt es
                                                                                                                                     Ihre Gedanken. Vielleicht kommen Sie zur Ruhe,
                                                                                                                              fühlen sich weniger gestresst und schlafen besser. Beim                                        Patricia Bäuerle hat eine Aus-
                                                                                                       Rechtsanwältin
mit befasst, das Oberlandesgericht      einen Erbschein beantragt, was zu-                             Kanzlei Königstraße,   Waldbaden sind Sie dazu eingeladen, Ihre Sinne zu öffnen,                                      bildung als Trauer-begleiterin
Braunschweig (AZ: 1 W 155/17,           nächst abgelehnt worden war.                                   Stuttgart              ins Spüren zu kommen und mehr wahrzunehmen.                                                    und betreut die Haller-Filiale in
                                                                                                                                                                                                                             Stuttgart-Rot.

16                                      LebensZeiten ∙ Ausgabe 24                                                                                                        LebensZeiten ∙ Ausgabe 24                                                   17
LebensZeiten - Vom Halt der Freundschaft im Fluss des Lebens - Ein Magazin über das Unvermeidliche und für das Leben danach - Bestattungshaus Haller
Buchbesprechung                                                                                                                                                                                                                   Lebenswege

Von Pilz und Habicht
Zwei Bücher, zwei ganz besondere Wege
Wie zwei sehr unterschiedliche Bücher Natur und Trauer zusammenführen: „Mein Weg
durch die Wälder“ von Long Litt Woon und „H wie Habicht“ von Helen Macdonald

B
          ücher über Trauerfäl-        und Seelenbruder Eiolf plötzlich       parallel auch in ihre innere Land-
          le können unerträglich       stirbt. Die Anthropologin hatte ihn    schaft aus Schmerz und Trauer.
          schmerzhaft sein, so wie     mit 19 Jahren kennengelernt, als       Die Geschichte des Trauerns und
          Trauerfälle selbst.“ So      sie ein Austauschjahr in Stavanger     die Geschichte der Pilze sind im
beginnt eine Rezension im „New         machte. Die beiden heirateten, und     Buch in unterschiedlichen Farben
Yorker“ von „Mein Weg durch die
Wälder. Was mich Pilze über das
                                       Norwegen wurde über Jahrzehnte zu
                                       ihrer neuen Heimat.
                                                                              gedruckt.                                man erfährt auch allerhand über ihre
                                                                                                                       kulturelle Bedeutung und über Na-         U     nd dann berühren sich die
                                                                                                                                                                       in unterschiedlichen Farben
                                                                                                                                                                                                        sopp og sorg) und in der englischen
                                                                                                                                                                                                        Übersetzung (The Way through the
Leben lehrten“. Ich habe das Buch
gelesen. Es hat mich berührt und                                              I n dem Buch beschreibt die Au-
                                                                                torin, wie die Kombination von
                                                                                                                       turgeschichte.                            gedruckten Geschichten des Trau-
                                                                                                                                                                 erns und der Pilze: Eine Woche vor
                                                                                                                                                                                                        Woods: On Mushrooms and Mour-
                                                                                                                                                                                                        ning) noch enthalten waren. Dennoch
nachdenklich gemacht. Dass es sich
dabei um eine doppelte Erzählung,
um eine mehrfache Reise handelt,
                                               „Sie entdeckt
                                                                              Pilzen und Trauer grundlegende
                                                                              Veränderungen in ihrem Leben
                                                                              auslöste, indem sie neue Bedeutung
                                                                                                                       F   leißig zusammengetragen und
                                                                                                                           sehr vielschichtig sind all die In-
                                                                                                                       formationen und Anekdoten über
                                                                                                                                                                 Eiolfs Todestag (der mittlerweile
                                                                                                                                                                 zum inneren Kalender gehört wie der
                                                                                                                                                                 Hochzeitstag und Weihnachten) fin-
                                                                                                                                                                                                        ist dieses kleine, feine Buch eine groß-
                                                                                                                                                                                                        artige Einladung auf zwei Reisen,
                                                                                                                                                                                                        eine ins Innere und eine in die Welt
                                          die Parallelen zwischen
ist eine Überraschung. Sie gelingt                                            und Identität schuf. Und wie sie zum     Pilze. Beispielsweise ein Kulturver-      det Long Litt Woon bei Eiolfs Gar-     der Pilze. Und es beschreibt sehr ge-
auch, weil die Autorin Long Litt          der Welt der Trauer und             ersten Mal seit dem Tod ihres Part-      gleich: In Finnland werden Gift-          tenterrasse ihre erste Spitzmorchel.   lungen, wie die Verbindung von Na-
Woon, mit einer sehr klaren Sprache         der Welt der Pilze.“              ners wieder Freude über ein Thema        lorcheln als Leckerei geschätzt, in       Ein Zeichen von ihm? In der Ver-       tur und Trauer ein heilsames Poten-
und fast wissenschaftlicher Neugier                                           empfinden konnte. Freude auch über       Norwegen beschlagnahmt. Oder Na-          schränkung der Wirklichkeiten liegen   zial freisetzen kann: „Im Nachhinein
vorgeht.                                                                      eine Welt, die außerhalb des Alpha-      turkunde: Wer weiß denn schon, dass       Hoffnung, Trost und das Mit-Teilen     sehe ich, dass meine Reise als Wit-
                                                                              bets des Trauerns liegt und die stetig   ein Hallimasch-Pilz in den USA            einer gemeinsamen menschlichen Er-     we durch die Landschaft der Trauer

W      aldspaziergänge. In die Pilze
       gehen. Schwammerl suchen.
Daran haben einige sicher noch Er-
                                       F    ür Long Litt Woon beginnt
                                            nach seinem Tod eine tägliche
                                       Auseinandersetzung mit dem ei-
                                                                              wächst, ganz ähnlich wie ein Pilz-
                                                                              Mycel, mit neuen Bekanntschaften
                                                                              und Erkenntnissen. Bis hin zum Er-
                                                                                                                       als größtes und ältestes Lebewesen
                                                                                                                       der Welt gilt? Auch die kulinarische
                                                                                                                       Seele kann sich freuen an tollen Re-
                                                                                                                                                                 fahrung.                               für mich der Weg zu einem neuen
                                                                                                                                                                                                        Frühling war. Durch meine inneren
                                                                                                                                                                                                        und äußeren Reisen kam das Leben
innerungen aus ihrer Kindheit. An-     genen Leben, das ihr im Trauern        folgserlebnis, ihrem bestandenen Di-     zepten.                                     „Im Nachhinein sehe ich,             schleichend zu mir zurück, und ich
dere werden vielleicht gerade jetzt,   fremd geworden ist. Alles droht in     plom als Pilzsachverständige: „Ich                                                                                        erlebte das ungewohnte Gefühl, mir
zwischen herbstlichen Regenfällen,     dem sprachlosen Raum zwischen          glaube, Eiolf wäre stolz auf mich        Nuanciert erzählt Long Litt Woon
                                                                                                                                                                    dass meine Reise durch              selbst neu zu sein“, schreibt sie. „Eine
von ihrer Sammelleidenschaft in die    Lähmung und Wahnsinn zu versin-        gewesen.“                                den nicht-linearen Prozess des Trau-        die Landschaft der Trauer            Wanderung im Pilzreich setzt wache
Wälder gerufen. Die aus dem Nor-       ken. Da stößt sie auf die wundersa-                                             erns. Sie berichtet von der „Unbarm-         der Weg zu einem neuen              Sinne und Präsenz voraus. Ich nehme
wegischen übersetzte Geschichte
von Long Litt Woon beginnt jedoch
nicht als sonntäglicher Waldspazier-
                                       me Welt der Pilze. Sie freundet sich
                                       mit Pilzsammlern an, einem eigenen
                                       Menschenschlag: fast schon ein
                                                                              W       ährend Long Litt Woon ihre
                                                                                      Leser durch diese gleichzei-
                                                                              tig lustige und herzzerreißende Ge-
                                                                                                                       herzigkeit der Trauerarbeit“, wofür sie
                                                                                                                       zeitweise eine Trauergruppe besucht
                                                                                                                       hatte. Sie schildert die Zwischenwelt
                                                                                                                                                                         Frühling war.“                 etwas Neues wahr, ergo bin ich eine
                                                                                                                                                                                                        neue Person. In die Pilze zu gehen,
                                                                                                                                                                                                        versetzt mich in einen Flow. Im Fluss
gang. Sie beginnt mit einer Katast-    seltsamer Stamm, der allerhand un-     schichte führt, fühlt sich ihre unge-    des Limbus, schrittweise Abschiede                                               zu sein heißt, einen Sinn finden, und
rophe: Das Leben der in Malaysia
geborenen Autorin bricht zusam-
men, als ihr langjähriger Ehemann
                                       ausgesprochene Regeln und Riten
                                       pflegt. Auf ihrer Entdeckungsreise
                                       in das Reich der Pilze wagt sie sich
                                                                              wöhnliche, persönliche Suche bald
                                                                              vertraut an. Man lernt Pilze nicht nur
                                                                              als Lebensmittel oder Gift kennen,
                                                                                                                       und auch, wie sie unverlierbare Erin-
                                                                                                                       nerungen entdeckt hat. All das gelingt
                                                                                                                       ihr in klarer, ungekünstelter Sprache.
                                                                                                                                                                 D   er deutsche Titel des Buchs hat
                                                                                                                                                                     die Alliterationen verloren, die
                                                                                                                                                                 im norwegischen Originaltitel (Om
                                                                                                                                                                                                        einen Sinn finden bedeutet, ganz
                                                                                                                                                                                                        langsam den inneren Sturm zu be-
                                                                                                                                                                                                        sänftigen.“

18                                     LebensZeiten ∙ Ausgabe 24                                                                                                 LebensZeiten ∙ Ausgabe 24                                                 19
Buchbesprechung                                                                                                                                                                                                              Buchbesprechung

E                                        D
           iner ähnlichen Verknüp-            och es zeigt sich, dass allein die   zwar in ihrer Seele widerhallt, jedoch
           fung ging bereits die              Rückbesinnung auf die Natur          keine Allheilmittel für den Trauer-
           englische Autorin Helen       und das „Wilde“ sie nicht aus ihrer       weg und seinen Alltag ist. „Obwohl
           Macdonald nach: In ih-        Situation retten können. Ihr stabi-       das Jahr wunderschön war – und in
rem 2015 erschienenen Buch „H            les Lebensumfeld und ihre sozialen        vieler Hinsicht auch sehr düster –,
wie Habicht“ versucht die Univer-        Kontakte entgleiten ihr immer stärker,    hatte ich einen schrecklichen Fehler
sitätsdozentin, den plötzlichen Tod      während ihre Obsession für ihren          gemacht. Ich dachte nämlich, dass
ihres Vaters und ihre tiefe Trau-        Vogel zum Lebensinhalt wird. Sie          ich genauso sein wollte wie mein
er zu verarbeiten, indem sie einen       scheint sich selbst in einen Habicht      Habicht: ganz allein, unabhängig,
Habicht abrichtet. Sie schrieb eine      verwandeln zu wollen. „Der Habicht        auf niemanden angewiesen und er-
außergewöhnliche Verbindung von          war all das, was ich sein wollte: ein     füllt von einer unbeschreiblichen
Trauertagebuch, Biographie und           Einzelgänger, selbstbeherrscht, frei      Wut. All das fühlte ich natürlich
Naturessay. Indem man als Leser          von Trauer und taub gegenüber den         wegen des Todes meines Vaters. Ich
ein Jahr lang teilnimmt an der Be-       Verletzungen des Lebens.“                 habe den Habicht als Spiegel meiner
ziehung zwischen der Autorin und                                                   Selbst benutzt und mich irgendwann
ihrem Habichtweibchen „Mabel“,                                                     mehr als Habicht gefühlt denn als
schwebt man fast in einer Vogelper-           "Ich dachte, dass ich                mich selbst. Am Ende habe ich ge-
spektive über Mensch, Umgebung               genauso sein wollte wie               lernt: Die Geschichte der Natur ist
und Leben.                                                                         eigentlich immer unsere eigene Ge-
                                               mein Habicht: ganz                  schichte. Der Habicht hat mich ver-

D     ie Ausbildung und Zusammen-
      arbeit mit dem Vogel erweist
sich als langwierig. Helen Macdo-
                                             allein, unabhängig und
                                                 erfüllt von einer
                                                                                   ändert und mich in gewisser Weise
                                                                                   mit dem Tod versöhnt.“
                                                unbeschreiblichen
nald erhofft sich, dabei ihren eigenen
Weg wiederzufinden, ihre persönliche
Freiheit zurückzugewinnen. Denn ihr
                                                       Wut."                       H     elen Macdonalds Sprache ist
                                                                                         ungleich literarischer und strah-
                                                                                   lender, ihr Buch strotzt von ornitho-
Leben ist nach dem plötzlichen Tod                                                 logischen Fachbegriffen. Trotzdem
ihres geliebten Vaters wie auseinan-
dergebrochen, sie möchte diesen Tod
verarbeiten können.
                                         L   etztendlich entscheidet sich die
                                             Autorin für eine Therapie, da
                                         die naturalistische Verschmelzung
                                                                                   verbinden sich Aspekte ihres Aus-
                                                                                   Flugs mit dem Waldspaziergang von
                                                                                   Long Litt Woon: Bei beiden Auto-

                                                                                                                             rinnen kann man durch die Beschäfti-      in der Größe eines Berges im Arm.       sich mit den wundersamen, über-
                                                                                                                             gung mit der Natur viel lernen. Über      Du musst Geduld haben, hatte er zu      raschenden und ungewohnten
                                                                                                                             die vielfältigen Erscheinungen des        mir gesagt. Wenn du etwas unbe-         Erscheinungsformen der Natur
                                                                                                                             Lebendigen, über die eigene Wahr-                                                 beschäftigt, kann ein kostbarer
                                                                                                                             nehmung – und über die Zeit. Denn                                                 Wahrnehmungsprozess beginnen
                                                                                                                             alles hat seine Zeit, braucht Zeit und             Du musst                       – ob im Unterholz, in den inne-
                                                                                                                             vor allem Geduld. Sowohl das Ab-                 Geduld haben.                    ren Landschaften des Schmerzes
                                                                                                                             richten eines Greifvogels als auch das                                            oder im himmelssehnenden Flug
                                                                                                                             Einarbeiten in die Welt der Pilze, vor                                            eines Vogels, der doch auf die
                                                                                                                             allem aber der Weg des Trauerns.          dingt sehen willst, musst du geduldig   Hand des Falkners zurückkehrt.
                                                                                                                             Beide Autorinnen beschreiben auf          sein und warten. Mein Warten war
                                                                                                                             ihre Weise dasselbe Phänomen: Man         nicht geduldig, aber die Zeit war
                                                                                                                             kann nichts abkürzen. Erst am Ende        trotzdem vergangen und hatte ihren
                                                                                                                             ihres Buches schreibt Macdonald:          sorgsamen Zauber gewirkt.“
                                                                                                                             „Zum allerersten Mal begriff ich den                                                                    Ulrika Bohnet hat

                                                                                                                                                                       G
                                                                                                                             Umfang meiner Trauer. Ich konnte               eduld und die geheimnisvol-                              Ethnologie studiert
                                                                                                                                                                                                                                     und betreut die
                                                                                                                             genau fühlen, wie groß sie war. Das            le Kraft der Zeit haben ihre
                                                                                                                                                                                                                                     Haller-Filiale im
                                                                                                                             war sehr seltsam, als hielte ich etwas    eigene Wirksamkeit: Indem man
                                                                                                                                                                                                                                     Stuttgarter Süden.

20                                       LebensZeiten ∙ Ausgabe 24                                                                                                    LebensZeiten ∙ Ausgabe 24                                            21
Trauergruppen und Begleitung, Quellenangaben                                                                                                                                                                                  In eigener Sache · Veranstaltungen

Trauergruppen und Begleitung                                                                                                          Musikalischer Salonabend

Hospiz St. Martin · Jahnstraße 44-46 · 70597 Stuttgart Tel.: 0711 · 652 90 70 · www.hospiz-st-martin.de                               Von Mozart bis Ellington,
Hospiz Stuttgart · Stafflenbergstraße 22 · 70184 Stuttgart Tel.: 0711 · 237 41 50 · www.hospiz-stuttgart.de
Einzelgespräche und -begleitung, Gesprächsgruppen
                                                                                                                                      von Puschkin zu Achmatowa
                                                                                                                                      Mittwoch, 16. Oktober 2019, um 19:30 Uhr
                                                                                                                                      Obere Weinsteige 23, 70597 Stuttgart-Degerloch,
Hospizgruppe Leinfelden-Echterdingen                                                                                                  Eintritt: 15 Euro
Barbara Stumpf-Rühle Tel.: 754 17 33 ∙ Gudrun Erchinger Tel.: 756 05 14 ∙ Elfriede Wieland Tel.: 754 13 41
                                                                                                                                      An diesem Abend nimmt uns der Musiker Wladimir Trenin auf eine Reise durch Musik
                                                                                                                                      aus aller Welt. Auf seinem russischen Bajan spielt er Klassik und Jazz, Volks- und Weltmusik.
Hospizdienst Leonberg · Seestraße 84 · 71229 Leonberg                                                                                 Begleitet von Texten russischer Dichter, berührend-heiter bis sehnsuchtsvoll, von Puschkin
Tel.: 07152 · 335 52 04 · www.hospiz-leonberg.de                                                                                      bis Achmatowa.

                                                                                                                                      Ein literarisch-musikalischer Salonabend im Bestattungshaus Haller.
Hospizdienst Ostfildern · Café für Trauernde Treffpunkt Ruit · Scharnhauser Straße 14 · 73760 Ostfildern-Ruit
Tel.: 0711 · 341 53 36 oder Tel.: 0711 · 616 099 Gesprächskreis & Gesprächsgruppe für Trauernde

Hospiz Esslingen · Keplerstraße 40 · 73730 Esslingen · Tel.: 0711 · 13 63 20 12 · www.hospiz-esslingen.de
Einzelbegleitung, Trauergruppen (donnerstags), Trauercafé (einmal im Monat, sonntags)
                                                                                                                                      Die Kunst des Hoffens
Verwaiste Eltern · Hubertus Busch · Seelsorger im Olgäle · Tel.: 0711 · 278 73 860
Vermittlung, Trauergruppen für Eltern, die ein Kind verloren haben                                                                    Veranstaltungskalender für Trauernde
                                                                                                                                      Hoffnung in der Literatur                                             Hoffnung und Spiritualität
Arbeitskreis Leben · Römerstraße 32 · 70180 Stuttgart Tel.: 0711 · 60 06 20 · www.ak-leben.de                                         Mittwoch, 23. Oktober 2019, 15 Uhr                                    Dienstag, 19. November 2019, 15 Uhr
Einzel-, Paar- und Familiengespräche für Menschen, die einen Angehörigen durch Suizid verloren haben
                                                                                                                                      Lesung im Bestattungshaus Haller, Stuttgart-Degerloch                 Russisch-Orthodoxe Kirche auf dem Pragfriedhof
                                                                                                                                      Ein Spaziergang durch eine Vielfalt von Texten, die                   Kosten: Eine Spende wird zwar nicht erwartet, erfreut
                                                                                                                                      helfen können, verborgene Freude zu entdecken.                        aber die Seele.

 Quellenangaben                                                                                                                       Mit Ulrika Bohnet, Edith Hämmerlin, Andrea Haller
                                                                                                                                      und Dr. Axel Schwaigert.
                                                                                                                                                                                                            Der Priester Johannes Kaßberger spricht über die
                                                                                                                                                                                                            Quellen der Hoffnung in der östlichen Spiritualität.

 Die Quellen der Bilder werden seitenweise angegeben, innerhalb der Seite jeweils von links nach rechts und von oben nach unten.
                                                                                                                                      Anmeldung                                                             €€Salonabend
                                                                                                                                                                                                            €€Hoffnung in der Literatur
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 Inhaltliche Beratung: Heiko Hauger · Texte, falls nicht anders angegeben: Andrea Maria Haller                                        Bitte senden Sie diese Anmeldung an: Bestattungshaus Haller, Obere Weinsteige 23, 70597 Stuttgart
                                                                                                                                      oder per Fax: 0711 · 72 20 95 22 oder an kultur@bestattungshaus-haller.de

 22                                            LebensZeiten ∙ Ausgabe 24                                                                                                        LebensZeiten ∙ Ausgabe 24                                                  23
Aus fernen Ländern · Mexiko                                                                                                                                                                                                            Lebenswege

In dieser Serie stellen wir Menschen vor, die in Deutschland leben und Wurzeln in anderen Kulturkreisen haben.

Mit den Toten
in Gemeinschaft
Trauerkultur in Mexiko
Nidia Göhring hat in Mexiko und Paris Kunstgeschichte studiert und lebt seit zehn Jahren mit
ihrem Mann Jörg in Deutschland. Die beiden haben zwei Kinder und wohnen in Neuhausen auf
den Fildern. In diesem Beitrag beschreibt sie den Abschied von ihrer Oma und die Festlichkeiten
am Tag der Toten.
                                                                                                                          Ein Friedhof in Mexiko, geschmückt für den Tag der Toten.

N
             idia war sieben oder         angezündet und Räucherwerk. Es           Einäscherungen gibt es kaum. Vie-      Blasinstrumente oder, wenn man            und der Farbe. Zur „Cempasúchil“         Dort, wo Omas Sarg stand, hat man
             acht Jahre alt, als ihre     wird gebetet. Es wird auch viel ge-      le Mexikaner könnten es sich nicht     in der Nähe der Berge war, auch           sagt man in Mexiko auch „Flor de         auf dem Boden mit buntem Sand ein
             Oma starb, in Oaxa-          weint, vor allem die Frauen. Das         vorstellen, einen Verstorbenen zu      Flöten und Trommeln, Spuren der           Muertos“, Blume der Toten.               großes Kreuz gemalt. Dieses Kreuz
             ca, im Süden Mexikos.        wird erwartet. Die Männer weinen         verbrennen.                            aztekischen Kultur. Es ist noch gar                                                muss neun Tage bleiben. Die neun
An diesem Tag wird Nidia von der          gar nicht, haben ernste Gesichter.                                              nicht so lange her, dass man auf den                                               Tage stehen für die neun Stufen des
                                                                                                                                                                     Viele Mexikaner glauben,
Schule abgeholt, damit sie sich von
der Oma verabschieden kann. Sie
noch einmal berühren kann, die
                                          Sie müssen stark sein, und sie müssen
                                          trinken. Es gibt Mezcal , einen gelb-
                                          lichen Schnaps, der Tequila ähnelt.
                                                                                  E    in Auto holt den Sarg ab. Zu-
                                                                                       erst wird er in die Kirche ge-
                                                                                   bracht, zur Messe, und dann auf
                                                                                                                          Dörfern Frauen für lautes Wehkla-
                                                                                                                          gen bezahlt hat, weiß Nidia.               dass die Spur der Blumen
                                                                                                                                                                                                             „Mictlan“, jenes Ortes, der zwischen
                                                                                                                                                                                                             der Welt und dem inneren Himmel
                                                                                                                                                                                                             liegt. So wurde es von den Azteken
                                                                                                                                                                       den Verstorbenen den
Hand streicheln oder ihr einen Kuss
geben. Sich von jemandem zu ver-
abschieden, der gestorben ist, gilt
                                          Das Gold Oaxacas.                        den Friedhof. Familie und Freunde
                                                                                        gehen still hinterher. Die Män-
                                                                                        ner der Familie helfen dabei,
                                                                                                                          A     m Grab ihrer Oma gibt es
                                                                                                                                viele Blumen. Riesengroße
                                                                                                                          Kränze, immer in Orange. Es sind
                                                                                                                                                                            Weg weisen.
                                                                                                                                                                                                             überliefert. An diesem Ort gibt es vie-
                                                                                                                                                                                                             le Prüfungen zu bestehen.

als sehr, sehr wichtig. Als Nidia
nach Hause kommt, liegt Mama
Sabe (so nannte sie ihre Oma)
                                                                                        den Sarg auszuladen, ihn zu
                                                                                        tragen und ihn ins Grab hinun-
                                                                                        ter zu lassen.
                                                                                                                          vor allem „Cempasúchil“, die zur
                                                                                                                          Familie der Studentenblumen gehö-
                                                                                                                          ren, also Tagetes. Zu dieser Blume
                                                                                                                                                                    Die Trauernden versammeln sich
                                                                                                                                                                    später im Haus. Dort gibt es heiße
                                                                                                                                                                    Schokolade zum Trinken und schwar-
                                                                                                                                                                                                             D     abei können die Hinterbliebenen
                                                                                                                                                                                                                   helfen, durch Gebete und auch Es-
                                                                                                                                                                                                             sen. An allen neun Tagen kommen vie-
noch in ihrem Bett. Doch bald                                                                                             erzählt man sich eine Legende: Ein        ze „Mole de Muerto“. Die dickflüs-       le Besucher. Mit dabei ist jeden Abend
danach wird ein Sarg gebracht.                                                          Die Stadt, in der Nidia als       Azteken-Mädchen trauerte um ih-           sige Suppe besteht aus Schokolode,       auch ein Beter – das ist jemand, der ei-
Darin wird Mama Sabe aufge-                                                             Kind lebte, war schon damals      ren im Krieg gefallenen Geliebten.        vier Sorten Chili und Hühnchen. Es       gens dafür engagiert wird, mit der trau-
bahrt. Sie bleibt noch für eine                                                         ein wenig moderner. In den        Die Sonne soll das Mädchen in eine        ist ein aufwendiges Rezept, das die      ernden Familie zu beten. Jeden Abend
weitere Nacht in einem Zimmer                                                           südlichen Dörfern hätte die       „Cempasúchil“ verwandelt haben.           Frauen der Familie gemeinsam vorbe-      gibt es etwas zu essen und zu trinken:
im Haus.                                Schwarze Mole, eine Suppe mit Schokolade.       Bestattung vielleicht anders      Da erschien der verstorbene Jüngling      reiten. Am Ende steht eine Schale mit    Kaffee, Schokolade, Tamales und
                                                                                  ausgesehen. Dort wurden Tote oft        als Kolibri und berührte sanft ihre       tiefschwarzer Suppe auf dem Tisch.       Totenbrot, das ein wenig nach Oran-
Ein katholischer Priester kommt                                                   auch in Petate, in Teppichen bestat-    Blütenblätter. Die beiden waren wie-      Köstlich, sagt Nidia. Sie liebt dieses   gen schmeckt. Am Ende dieser neun
und segnet sie, spricht Gebete. Die       Man ruft die Zeitung an, damit          tet, die man eigens für diesen Tag      der vereint.                              Gericht. Mole ist das Festessen der      Tage wird der Sand von Omas Kreuz
große Familie versammelt sich im          sie den Termin für die Beerdigung       aus Palmwedeln herstellte. Man                                                    Mexikaner im Süden. Es gibt Mole         vorsichtig zusammengekehrt. Man ver-
Haus, viele Verwandte, Nachbarn           bekanntgeben kann. Das eilt: Die        brachte sie meist in Kutschen zum       Viele Mexikaner glauben, dass die         zu Hochzeiten, Taufen und Beer-          streut ihn auf dem Grab. Ein Jahr spä-
und Freunde. Die ganze Nacht über         Beerdigung soll gleich am nächsten      Friedhof. Auf dem Weg zum Grab          Blumen den Verstorbenen den Weg           digungen. Es gibt grüne, gelbe und       ter wird noch einmal eine Messe für die
kommt Besuch. Es werden Kerzen            Tag sein, denn es ist heiß in Mexiko.   hätte es langsame Musik gegeben.        weisen mit ihrem intensiven Duft          schwarze Mole.                           Oma gelesen.

24                                        LebensZeiten ∙ Ausgabe 24                                                                                                 LebensZeiten ∙ Ausgabe 24                                                   25
Aus fernen Ländern · Mexiko                                                                                                                                                                                             Aus fernen Ländern · Mexiko

E    s gibt noch einen weiteren Tag,
     an dem viele Familien zuhause
einen Altar aufbauen: am „Día de
                                        Tor symbolisiert, und mit mehreren
                                        Stufen. Direkt unter dem Bogen
                                        wird oftmals ein Kreuz angebracht.
                                                                                 süßen Totenköpfe, werden in allen
                                                                                 Größen verkauft. Vor dem Fried-
                                                                                 hof ist ein Jahrmarkt aufgebaut, mit
Muertos“, dem berühmten Tag der         Den Altar schmückt man mit Ker-          Karussell und Schaukeln. Auch der
Toten. Der „Día de Muertos“ ist         zen, Räucherwerk und natürlich mit       Torborgen am Friedhof ist prächtig
der wichtigste Feiertag der Mexika-     Studentenblumen. Auch Bilder von         geschmückt mit orangenen Blumen,
ner. Es heißt, dass die Toten an die-   Mama Sabe stehen dort.                   damit die Toten den Eingang finden.
sem Tag in diese Welt zurückkeh-
ren, um ein paar Stunden mit den
Lebenden zu verbringen. Von zwölf
Uhr mittags bis zwölf Uhr nachts
                                                     Am                          D    ie Familien treffen sich an die-
                                                                                      sem Tag an ihren Gräbern,
                                                                                 meist am Grab der Mutter. Auch
wird gefeiert. Vorab werden im gan-           Día de Muertos                     Nidias Familie versammelt sich am
zen Land „Ofrendas“ aufgebaut,                                                   Grab von Mama Sabe. Dort wird
bunte Altäre für die Toten, auf den          kommen die Toten                    gegessen und getrunken, schwarze
Friedhöfen und auch daheim. Mit               für einen Tag in                   Mole und Schokolade. Nidias Mut-
diesen Altären will man die Geis-                                                ter wiegt sich zu den Klängen der
ter der Verstorbenen willkommen              diese Welt zurück.                  Gitarristen und Geiger, die überall
heißen. Die Gräber werden geputzt,                                               auf dem Friedhof sind und Musik
renoviert und geschmückt. Manche                                                 machen. Die Stimmung ist denkbar
Familien legen Kissen und Decken        Die ganze Stadt zeigt sich ge-           entspannt, alle sitzen auf ihren Grä-
für ihre Toten aus, damit diese sich    schmückt mit Papierfahren in Oran-       bern, essen und trinken. Man bringt
von ihrer Reise erholen können.         ge und Lila. Überall verteilt man        dem Verstorbenen seine Lieblings-
                                        die orangenen Studentenblumen. Es        speisen mit und andere Dinge, die er

A     uch für Mama Sabe wird im
      Haus ein kleiner Altar einge-
richtet. Mit einem Bogen, der ein
                                        erklingt Musik, und es gibt buntes
                                        Zuckerwerk, speziell Skelette und
                                        Totenschädel: Die „Calaveras“, die
                                                                                 mochte. Zigaretten, Früchte, „Pan
                                                                                 de Muerto“, also das Totenbrot, und
                                                                                 natürlich wieder Schokolade. Am
                                                                                                                         Der Friedhof, abends festlich beleuchtet und voller Besucher, die den Día der Muertos mit ihren Toten verbringen.
Eine Oferenda in einem mexikanischen Zuhause. Mit den Totenblumen Cempasúchil, Kerzen und Kreuzen. Und etwas zu essen.
                                                                                                                         Grab wartet auch immer ein Glas              kommen tausende von Besuchern,                 verstorbene feine Dame, die einen
                                                                                                                         Wasser, denn die Toten brauchen              um mitzufeiern. Die Hotels sind                großen Hut auf ihrem Totenkopf
                                                                                                                         Wasser für ihren Rückweg.                    quasi ausgebucht. Für die Gäste                trägt – ursprünglich machte man
                                                                                                                                                                      werden mitten in der Stadt große,              sich damit über die Oberschicht

                                                                                                                         M      an trinkt dabei gehörig, es gibt
                                                                                                                                Mezcal und Bier. Es ist eine
                                                                                                                         fröhliche Feier. Man spricht über den
                                                                                                                                                                      bunte Gräber angelegt, mit Um-
                                                                                                                                                                      zäunungen. Riesige Skelette zieren
                                                                                                                                                                      Plätze und Parkanlagen.
                                                                                                                                                                                                                     lustig. Inzwischen hat sich der
                                                                                                                                                                                                                     Kult um diese Figur verselbstän-
                                                                                                                                                                                                                     digt. Sie steht symbolisch für den
                                                                                                                         Toten, die ganze Familie ist vereint.                                                       Tag der Toten. Geschaffen wurde
                                                                                                                         Ein wenig Rührung ist erlaubt, ein                                                          „La Catrina“ von José Guadalupe
                                                                                                                         paar Tränen. Aber der Ton des Fes-                      Nidia liebt                         Posada, einem 1913 verstorbenen
                                                                                                                         tes bleibt freudig. Denn die Toten                      diesen Tag.                         mexikanischen Karikaturisten.
                                                                                                                         sind ja da, und ihre Verbindung zu
                                                                                                                         den Lebenden ist nicht abgebrochen.
                                                                                                                         Die Toten gehören noch immer zur
                                                                                                                         Gemeinschaft, und der Tod ist nur
                                                                                                                                                                      Es gibt auch literarische „Calaveras“:
                                                                                                                                                                      Wer kann, schreibt ein Gedicht über
                                                                                                                                                                                                                     N     idia liebt diesen Tag. Die
                                                                                                                                                                                                                           ganze Familie kommt zu-
                                                                                                                                                                                                                     sammen. Alles ist so voller Le-
                                                                                                                         ein Übergang zu einem anderen Ort.           den Toten. Oder über die Leben-                ben. Besser als Weihnachten! An
                                                                                                                                                                      den. Die Zeitungen veröffentlichen             Weihnachten bleiben alle zuhause,
                                                                                                                         Nidia hat beobachtet, dass sich der          possenhafte Hymnen auf noch le-                in ihren Häusern. Aber am „Día
                                                                                                                         „Día de Muertos“ in ihrer Heimat-            bende Politiker, worin sie an ihre             de Muertos“ sind alle auf dem
                                                                                                                         stadt mittlerweile verändert. Man-           Sterblichkeit erinnert werden.                 Friedhof, man trifft einander, be-
                                                                                                                         ches wird nur für Touristen gemacht.                                                        gegnet den Nachbarn und auch
                                                                                                                         Oaxaca ist eine der beiden Hochbur-
                                                                                                                         gen des „Día de Muertos“. Jährlich           Ü     berall sieht man „La Catrina“.
                                                                                                                                                                            Das ist eine Spottfigur, eine
                                                                                                                                                                                                                     Freunden aus der Kindheit. Und
                                                                                                                                                                                                                     das ist wirklich schön.

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