LebensZeiten - Im Wirbel des Lebens - Ein Magazin über das Unvermeidliche und für das Leben danach - Bestattungshaus Haller

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LebensZeiten - Im Wirbel des Lebens - Ein Magazin über das Unvermeidliche und für das Leben danach - Bestattungshaus Haller
LebensZeiten
                                                     Ausgabe 19

Ein Magazin über das Unvermeidliche und für das Leben danach

 Im Wirbel des Lebens
LebensZeiten - Im Wirbel des Lebens - Ein Magazin über das Unvermeidliche und für das Leben danach - Bestattungshaus Haller
Gedicht                                                                              Erste Worte                                         Inhalt
                                                                                                                       Liebe Leserinnen und Leser,                         Lebenswege
                                                                                                                                                                             Im Wirbel des Lebens                            6
                                                                                                                       Als ich Mitte Mai mit Herrn Fritz einen
                                                                                                                       Termin ausmachte, war es mein Anliegen,             Kunst, Kultur und Historisches
                                                                                                                       über Männertrauer zu schreiben und diese              Die Kostbarkeit des Bruchs          4
                                                                                                                       ganz bewusst in den Fokus zu nehmen. Als              Bitterer Kaffee:
                                                                                                                       ich ankam und von zwei Personen begrüßt               Bestattungskultur in Ägypten		 13
                                                                                                                       wurde, entwickelte sich ein ungewöhnlich              In guter Gesellschaft:
                                  An einen Schmetterling                                                               offenes und facettenreiches Gespräch. Le-
                                                                                                                       sen Sie auf Seite 6, was die Wirbel des Le-
                                                                                                                                                                             Wolfgang Windgassen 		 17
                                                                                                                                                                             Bestatter auf Reisen:
                                                                                                                       bens zu Tage bringen.                                 In einer Hängematte zum Paradies		 26
                                  Du, leicht und schön, aus Gottes Traum geboren,
                                  du Bote einer tiefersehnten Welt!                                                    Ihnen eine gute Zeit beim Lesen!                    Rituale in der Trauer
                                  Du Sieger, der die Liebe unverloren                                                                                                         Mit Kaffeebohnen für
                                  und sanft im Segel seiner Schwingen hält:                                                                                                   gute Erinnerungen sorgen		 12

                                  Die Blumen lieben dich. Und wenn ich träume,                                                                                             Lebensgeschichten
                                                                                                                                                                             Weinhändler des Westens:
                                  so träum ich deinen selbstvergessnen Flug.                                                                                                 Lutz Kühnel		 18
                                  Wie du mir wiederkommst durch helle Bäume,
                                  versöhnst du mit der Erde Last und Trug.                                                                                                 Bestattungsformen
                                                                                                                                                                             Die Feuerbestattung und ihre Geschichte		 20
                                  Dein goldner Schmelz erschrickt vor meiner Schwere.
                                  Du flügelst auf, mir lahmt der wüste Schritt.                                                                                            Steuern und Recht
                                  Doch hoch und höher jetzt, in seliger Kehre,                                                                                                Wie man ein wirksames Nottestament erstellt		 16
                                  nimmst du den Schmerz auf deinen Schwingen mit.                                      Ihre                                                Veranstaltungen & Tipps
                                                                                                                       Andrea Maria Haller                                   Trauergruppen und Begleitung 		 24
                                  Josef Weinheber                                                                      lebenszeiten@bestattungshaus-haller.de                Kulturveranstaltungen		 26

                                                                                                                                                                           Gedicht
                                                                                                                                                                             An einen Schmetterling   			                    2

                                                                                                                                                                           Bildquellenangaben					                         24

                                                                                                                                                                           In eigener Sache		         			                  31

                                                                                                                                                                           Impressum		           				                      32

 LebensZeiten erscheint vierteljährlich. Mit LebensZeiten wollen wir die Angst vor dem Tod und vor Trauer nehmen
 und uns für einen offenen Umgang mit diesen Themen einsetzen. LebensZeiten soll helfen, sich auf das Unvermeidliche
 vorzubereiten, und Mut machen für das Leben danach. Hier erzählen wir die Geschichten der Menschen, die uns in
2unserer Arbeit als Bestatter begegnen. LebensZeiten ∙ Ausgabe 19                                                                                                LebensZeiten ∙ Ausgabe 19                                       3
LebensZeiten - Im Wirbel des Lebens - Ein Magazin über das Unvermeidliche und für das Leben danach - Bestattungshaus Haller
Kunst

Die Kostbarkeit des Bruchs

                                    Kintsugi ist eine japanische
                                    Kunstform und bedeutet
                                    Goldreperatur.

                                    Wenn ein Gefäß zerbro-
                                    chen ist, werden die Scher-
                                    ben von einem kenntnisrei-
                                    chen Handwerker wieder
                                    zusammengefügt.

                                    Die Risse werden sorgsam
                                    gereinigt und verklebt, da-
                                    mit das Gefäß wieder be-
                                    füllt werden kann. Dann
                                    werden die Bruchstellen
                                    mit feinem Goldstaub auf-
                                    gefüllt.

                                    So entsteht ein vergoldeter
                                    Neuanfang.

4       LebensZeiten ∙ Ausgabe 19                                  LebensZeiten ∙ Ausgabe 19   5
LebensZeiten - Im Wirbel des Lebens - Ein Magazin über das Unvermeidliche und für das Leben danach - Bestattungshaus Haller
Lebenswege

Im Wirbel
des Lebens
W
                  erner Fritz war 57      Werner spürte ihn beim Autofahren,
                  Jahre alt, als seine    wenn bestimmte Musik im Radio
                  Frau starb. Sieglin-    kam, beim Laufen im Wald, beim
                  de Fritz hatte Krebs,   Sport auf dem Heimtrainer. Er
eine seltene Art, sie lebte nach der      wusste in diesen Momenten, dass
Diagnose nur noch ein Jahr. Werner        er die Gefühle zulassen muss. Das      Verschlingungen freischwimmen. In        Werner Fritz leitet eine Behörde, ist    Die Natur war ihm schon immer             Und er gibt zu, er spürt auch ein wenig
pflegte sie in dieser Zeit zuhause. Er    Wasser fließen lassen. Mehrmals        einen Lebensbereich vordringen, wo       Chef von über hundert Mitarbeitern.      wichtig, jetzt wird sie noch wichtiger.   Neid, wenn er ältere Paare sieht, die
erinnert sich mit sehr tiefem Respekt     täglich. Bis es von alleine weni-      Klarheit und Ordnung herrscht.           Er hat sein eigenes Büro und eine        In der Natur sein, bei sich sein, das     zusammen etwas unternehmen, lachen,
daran, wie Sieglinde ihr Leben bis        ger wird. Die Zeit alleine heilt gar                                            Vorzimmerdame, die seine Lebens-         tut im gut. Da macht es ihm nichts        einander berühren.
zu den letzten Atemzügen gelebt hat.      nichts, sagt er. Man muss etwas tun,   Nach drei, vier Wochen ging Wer-         situation kennt. Er ist geschützt. Mit   aus, alleine zu sein. Natur gibt ihm
Die kleinen alltäglichen Freuden,         sich dem Schmerz stellen. Nicht        ner wieder zur Arbeit. Er sehnte         seiner Sekretärin redet er über viel     viel. Im Wald spazieren zu gehen,         Im ersten Jahr nach Sieglindes Tod
der Blick in die Garten. Sie wollte in    vermeiden, nicht weglaufen, nicht      sich nach Normalität. Die Arbeit         Praktisches. Wenn jemand möchte,         erfrischt ihn.                            waren die Wochenenden ein Alp-
der Nähe ihrer Familie sein und die       verdrängen. Und gleichzeitig immer     gab ihm eine Tagesstruktur. Halt.        kann er im Büro ziemlich sachlich                                                  traum. Die Geburtstage, die Feiertage,
vertrauten Stimmen im Haus hören.         wieder seine Nase rausstecken. Das     Lenkte den Kopf ab.                      über alles reden. Auch über den                                                    die Feste. Silvester.
Schmerzmittel lehnte sie ab, damit        Leben jetzt so akzeptieren und ir-                                              Schrecken der Krankheit, des Ster-            Er will das Leben
sie klar bleiben konnte. „Wir haben
das gut gemacht, so gut es ging.“
                                          gendwie klar kommen.                   Ein großer Teil seiner Kollegen war
                                                                                 bei der Trauerfeier. Er war froh,
                                                                                 dass die anderen Bescheid wussten
                                                                                                                          bens. Wer so redet, ist im Kopf.
                                                                                                                          Wenn Werner Fritz allein ist, ist er
                                                                                                                          im Bauch, in seinem Gefühl. Das
                                                                                                                                                                         nicht aufgeben.                     D    er erste Urlaub war auch wirk-
                                                                                                                                                                                                                  lich schwierig. Werner fühlte
                                                                                                                                                                                                             sich wie ein bunter Hund. Er ging in
Das erste Jahr nach ihrem Tod war                                                – aber er wollte nicht mit ihnen da-     Emotionale macht er mit sich selbst                                                die Ferienwohnung, in die er immer
schwierig für ihn. Viele Fragen ha-            Die Zeit alleine                  rüber reden. Reden hilft ihm nicht.      aus. Da kann er niemanden brau-          Das Konzert-Abo, das er mit Sieg-         mit seiner Frau gegangen ist, lief die-
ben ihn beschäftigt. Hat er alles              heilt gar nichts.                 Weinen, für sich sein, laufen – das      chen.                                    linde hatte, lässt er weiterlaufen. Es    selben Wege, die sie immer gemein-
richtig gemacht? War alles gut genug                                             hilft. Er will sich dem Schmerz allei-                                            fühlt sich seltsam an, im Foyer vor       sam gegangen sind, aß in denselben
für seine Frau? Wäre es besser für             Man muss sich                     ne stellen. Das Wasser laufen lassen.    Er hat das Gefühl, seine Erfahrun-       den Konzerten alleine dazustehen.         Gaststätten. Er war alleine und ir-
sie gewesen, professionell gepflegt             dem Schmerz                                                               gen mit Sieglindes Krankheit und         „Ich will aber trotzdem gehen. Ich        gendwie auch nicht. Die Erinnerun-
zu werden? Eine Weile lang haben                                                 Auch im Freundeskreis wollte er          Sterben machen ihn zu einem bes-         strecke die Nase raus.“ Er will das       gen an Sieglinde waren immer da.
diese Fragen den meisten Raum
                                                    stellen.                     nicht reden. Aber er schätzte es,        seren Chef. Er kann seinen Mitar-        Leben nicht aufgeben. Er geht auch        Die Nachbarn in den anderen Woh-
eingenommen. Das Gefühl, all das                                                 dass seine Freunde ihn immer wie-        beitern Freiräume gewähren, weil         wandern, fühlt sich aber ein wenig        nungen kennen ihn. Ihnen musste er
Geschehene verarbeiten zu müssen,                                                der miteinbezogen haben. Ihn ein-        er versteht, was sie erleben. Er weiß    beäugt, wenn er anderen Menschen          nicht zumindest immer erklären, wa-
bestimmte ihn.                            Klar kommen. Diese Worte ver-          fach mitnahmen. Gelegentlich ein         auch, wie hilfreich Arbeit sein kann     begegnet. Er hat das Gefühl, er muss      rum er allein ist. Er war froh: Diese
                                          wendet Werner Fritz immer wieder.      wenig Normalität zu spüren, das tat      und wie gut es tun kann, eine Struk-     der Außenwelt gegenüber rechtferti-       Ferienwohnung ist und bleibt irgend-
Dann kam der Schmerz.                     Wie: sich aus Verwirrungen und         ihm gut.                                 tur im Alltag zu haben.                  gen, warum er alleine ist.                wie auch ein Stück Zuhause.

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LebensZeiten - Im Wirbel des Lebens - Ein Magazin über das Unvermeidliche und für das Leben danach - Bestattungshaus Haller
Lebenswege                                                                                                                                                                                                                       Lebenswege

                                                                                                                       M
                                                                                                                                     artinas Mann litt an       Martina und ihr Mann Volker ha-           Sie fragt sich und andere, ob diese
                                                                                                                                     einem seltenen Hirn-       ben die letzte Zeit seines Lebens         Begegnungen wohl real sind, ob
                                                                                                                                     tumor. Auch bei ihm        ganz bewusst gelebt. Sie nahmen           da wirklich er zu ihr spricht – oder
                                                                                                                                     dauerte die Krankheit      sich Zeit, jeden Moment zu genie-         ob es nur ein Weg ist, auf dem ihr
                                                                                                                       nur ungefähr ein Jahr. Kurz nachdem      ßen. Kurze Momente in der Sonne.          Unterbewusstsein ihr Heilung
                                                                                                                       die beiden eine neue, pflegegerechte     Zweisamkeit. Nähe.                        verschaffen will. Macht das einen
                                                                                                                       Wohnung bezogen hatten und nach-                                                   Unterschied? Am Ende ist es ihr
                                                                                                                       dem er in seinem neuen Heim alles                                                  egal, woher es kommt. Es tut gut.
                                                                                                                       begutachtet hatte, starb er.                 Für Martina war es
                                                                                                                                                                                                          Martina will, dass ihre Arbeit
                                                                                                                       Martina Braun war damals 52 Jahre            wichtig, Menschen                     ein trauerfreier Bereich bleibt.
                                                                                                                       alt, sie haderte mit der Ungerechtig-            zu finden,                        Über eine Kollegin lässt sie da-
                                                                                                                       keit. Ihr Mann war immer sportlich,                                                rum bitten, dass sie nicht auf den
                                                                                                                       ernährte sich gut. Es brauchte eine
                                                                                                                                                                      die Ähnliches                       Tod ihres Mannes angesprochen
                                                                                                                       ganze Weile, bis sie ihren Frieden              erlebt haben.                      wird. Das verschafft ihr einen ge-
                                                                                                                       mit seinem Tod machen konnte.                                                      schützten Raum. Sie will einfach
                                                                                                                                                                                                          irgendwie durch den Tag kom-
                                                                                                                       Für Martina war es in der ersten         Nach seinem Tod spricht sie mit Vol-      men, ohne loszuheulen. Überle-
                                                                                                                       Zeit wichtig, andere Menschen zu         ker. Regelmäßig. Am Grab, in der          ben. Die anderen wissen ja, was
                                                                                                                       finden, die Ähnliches erlebt haben,      Wohnung, beim Spazierengehen.             passiert war. Und sie kannten
                                                                                                                       mit denen sie sprechen und aus de-       Sie hat auch das Gefühl, dass er mit      Volker. Weil Martina deutlich
                                                                                                                       ren Erfahrungen sie lernen kann. Sie     ihr redet, sie ermutigt. Er fordert sie   kommuniziert hat, was sie will
                                                                                                                       hatte das Gefühl, sie muss Bücher        auch und gibt sie frei, ihr Leben zu      und braucht, ist es nun für alle
                                                                                                                       lesen, sie muss reden, sie muss hören,   leben. In einem dieser Gespräche          klar, wie sie sich verhalten sollen.
                                                                                                                       dass ihre Erfahrung normal ist, sie      nimmt sie für sich wahr, dass Volker      Es entstehen keine Unsicherhei-
                                                                                                                       muss für sich Antworten finden. Für      gestorben ist, um ihr seine Krankheit     ten, es ist kein Geheimnis und
                                                                                                                       sich entdecken, was sie wirklich tief    nicht mehr zuzumuten. Um ihr ein          auch kein Elefant im Zimmer,
                                                                                                                       in ihrem Innersten glaubt.               Leben zurückzugeben.                      über den keiner spricht.

Im Nachhinein war es eine gute Ent-    Sieglinde zurückblicken, nicht nur     sich sein Leben an. Was soll bleiben,
scheidung, dorthin zu fahren. Wer-     auf das letzte Jahr.                   was ist zu viel? Er gibt einige Eh-
ner ist froh, dass er das so gemacht                                          renämter auf. Hört auf, zusätzlich zu
hat. Obwohl er sich die ganze Zeit     Als beim Autofahren die Tränen         seiner Arbeit noch an der Fachhoch-
wie amputiert gefühlt hat. Werner      weniger werden, fängt er an zu spü-    schule zu unterrichten. Der Haushalt
ist ein Familienmensch. Familie,       ren, dass er wieder mit dem Leben      braucht auch Energie und Kraft. Er
Zweisamkeit, die Vertrautheit einer    klarkommt.                             nimmt sich wieder Zeit zum Lesen,
Beziehung sind ihm wichtig, und                                               zum Klavierspielen. Nimmt sich
plötzlich ist er allein.                                                      Zeit für sich. Zeit, um wieder zu
                                                                              Kräften zu kommen.
                                         Als beim Autofahren
S    eine Tochter findet eines Tages
     alte Bilder aus guten Tagen,
Bilder von der Mutter, die sie nicht
                                          die Tränen weniger                  Werner will ein neues Sofa. Für
                                                                              seine Kinder ist dies nicht ganz ein-
kannte, aus der Zeit vor ihrer Ge-       werden, fängt er an zu               fach: Sie wollen nicht, dass er in die
burt. Das bringt Werner die schö-        spüren, dass er wieder               Wohnung etwas ändert. Sie wollen
ne Zeit mit Sieglinde wieder ins                                              alles in dem Zustand belassen, wie
Bewusstsein. So lange standen die
                                            mit dem Leben                     es war. Damit es ihnen vertraut
schwierigen Tage im Vordergrund,              klarkommt.                      ist, wenn sie zu Besuch kommen.
die Zeit der Krankheit und Pflege.                                            Werner fühlt sich wie im Museum.
Der Abschied. Aber es gab auch                                                Er kauft das Sofa, ändert ein paar
noch eine andere Zeit, und diese       Aber nach einer Weile merkt er, dass   Dinge in der Wohnung. Langsam
wird immer präsenter. Werner kann      er jetzt mehr Ruhe braucht. Er hat     beginnt sich in ihm wieder das Le-
jetzt auf die ganzen 25 Jahre mit      starke Migräne-Anfälle. Er schaut      ben zu regen.

8                                      LebensZeiten ∙ Ausgabe 19                                                                                                LebensZeiten ∙ Ausgabe 19                                                  9
LebensZeiten - Im Wirbel des Lebens - Ein Magazin über das Unvermeidliche und für das Leben danach - Bestattungshaus Haller
Lebenswege                                                                                                                                                                                                                             Lebenswege

S   o entsteht ein für Martina wohl-
    tuendes, stilles Begleiten. Irgend-
wann kann sie von alleine darüber
                                          M      artina kennt Werner von der
                                                 Arbeit. Als seine Frau stirbt,
                                          nimmt sie Kontakt zu ihm auf, bie-
                                                                                    eines Jahres zuhause. Werner und
                                                                                    Martina haben mit dem Sterben
                                                                                    ihrer Partner gelebt. Sie waren bis
                                                                                                                               I hr Wissen um all das Schmerzhaf-
                                                                                                                                 te, das möglich ist, birgt auch eine
                                                                                                                               gewisse Angst in sich. Jeder weiß,
                                                                                                                                                                        Für Werners Kinder ist das mit der
                                                                                                                                                                        neuen Beziehung nicht ganz einfach.
                                                                                                                                                                        Für Kinder ist die Mutter immer die
                                                                                                                                                                                                               Man kann verliebt sein und trauern.

                                                                                                                                                                                                               Für Martina und Werner sind Vol-
sprechen.                                 tet ihm ihre Hilfe und Gespräche          zum Ende dabei, zuhause. Sie ha-           wie schnell sich alles ändern kann,      Mutter, der Vater immer der Vater.     ker und Sieglinde ein selbstverständ-
                                          an. Ein offenes Ohr. Als ihr Mann         ben die Nächte ausgehalten. Die            wie zerbrechlich das Leben, wie zer-     Unersetzlich. Und auch die Ehe der     licher Teil ihres gemeinsamen neuen
                                          starb, war es ihr ja so wichtig gewe-     Hoffnungslosigkeit. Sie waren beide        brechlich das Glück ist. Sie haben       Eltern ist für sie mit dem Tod nicht   Lebens. Es wird über sie gespro-
                                          sen, zu reden. Und sie schätzte die       an den Orten, an denen es keinen           eine tiefe Erfahrung gemacht, die sie    beendet. Auch Martinas Stiefkinder     chen. Sie sind präsent. Sie haben
     Diese Änderungen                     Begegnungen mit Menschen, die             Trost gibt. Nur die nackte Endgül-         eint und miteinander verbindet.          ringen mit den Veränderungen.          ihren Platz.
       in die Hände                       ähnliches erlebt haben sehr.              tigkeit. Sie haben alles gegeben,

        zu nehmen,                        Bei Werner kommt das nicht gut an.
      ist für Martina                     Er ist irritiert. Versteht nicht, war-
                                          um reden helfen soll. Reden hat ihm
          auch ein                        noch nie geholfen. Er sagt ihr, er will
       Schlussstrich                      jetzt nach vorne schauen, lässt sie ab-
                                          blitzen.
           mit dem

                                          I
       Selbstmitleid.                          rgendwann finden sich Martina
                                               und Werner doch noch. Werden
                                               ein Paar. Da ist es zwei Jahre
                                               her, dass Werner seine Frau ver-
Zwei Jahre nach Volkers Tod hat           loren hat. Und vier Jahre, dass Mar-
Martina das Gefühl, sie will die Ein-     tinas Mann starb.
richtung in der Wohnung ändern.
Die äußeren Veränderungen sind ihr        Für Werner ist das Leben mit dem
wichtig. Die Symbolik des Handelns,       Tod zu Ende. Friedhofsbesuche
die innere Bewegung, die durch die        bringen Werner nichts. Mit Sieglin-
Äußere ausgelöst wird. Oder ist es        de zu reden käme ihm nicht in den
andersrum? Vielleicht muss der Im-        Sinn. Sie ist tot. Aber Sieglinde ist
puls von innen kommen, aber man           trotzdem immer irgendwie präsent.
muss ihm auch nachgeben dürfen.           Im Haus, in den Erinnerungen, in
Diese Änderungen in die Hände zu          den Begegnungen mit seinen Kin-
nehmen, ist auch ein Schlusstrich mit     dern, auch in den gemeinsamen Ge-
dem Selbstmitleid, sagt sie. Es gibt      sprächen mit Martina jetzt. Und das
einem wieder ein klein wenig Kont-        ist Werner auch wichtig. Er will sie
rolle über das Leben. Sie muss sich       ja nicht vergessen.
öfters bewusst die Erlaubnis geben,
Dinge zu ändern und nicht in der          Für Martina ist der Friedhof ein          alles gelebt. Alles mit dem anderen        Eine von Martinas Enkelinnen frag-       Doch weder für Martina noch für        Auch die gemeinsame Zukunft hat
Vergangenheit zu verharren.               schöner Ort, ein wichtiger Ort. Sie       ausgehalten. Sie sind froh, dass sie       te sie: „Bist du dann jetzt in zwei      Werner ist die neue Beziehung ein      Raum in ihren Gesprächen mitei-
                                          redet mit ihrem Mann, erzählt ihm         das getan haben.                           Männer verliebt?“ „Genau so ist es“,     Ersatz für die alte.                   nander. Sie machen Pläne für ein
Aber von Volker spürt sie immer           auch von Werner. Sie hat das Ge-                                                     antwortete Martina, „Ich bin in zwei                                            Zusammenleben, für gemeinsame
wieder, dass der Weg für sie zurück       fühl, ihrem verstorbenen Mann ist es      Ein wichtiger Teil ihrer gemeinsamen       Männer verliebt, in den Opa und in       „Diese neue Beziehung hilft mir        Urlaube. Aber noch wichtiger als
ins Leben gehen darf und soll. Sie        ganz recht, dass sie wieder unterge-      Beziehung ist das Wissen um die            den Werner.“                             nicht, mit meiner Trauer klarzukom-    die Pläne für die Zukunft ist das
findet Volkers Tod immer noch un-         kommen und versorgt ist, dass sie ihr     Vergänglichkeit. Das Wissen, dass                                                   men, Ich kann die Beziehung füh-       Leben im Jetzt. Nichts auf die lan-
gerecht, kann es aber annehmen und        einiges Leben findet. Er will, dass       alles ganz schnell vorbei sein kann –      Ohne ihren eigenen Verlust würde         ren, weil ich mit mir selbst im Rei-   ge Bank zu schieben, die Augen-
in allem einen höheren Sinn sehen,        sie glücklich ist.                        und wie kostbar der Augenblick ist.        Martina sich schwer tun, Werner zu       nen bin“, sagt Werner. Beide wissen:   blicke miteinander zu genießen.
auch wenn sie ihn nicht verstehen                                                   Die kleinen Dinge wertzuschätzen,          verstehen. Sie wäre eifersüchtig. Wa-    Eine neue Beziehung ist nicht das      Zu leben.
oder erklären kann.                       Die beiden früheren Partner Sieglin-      das hilft beiden, auch jetzt in der Zeit   rum spricht er so viel von Sieglinde?    Allheilmittel. Man darf nicht alles
                                          de und Volker hatten seltene Formen       ihrer neuen Beziehung. „Wir wissen         Aber sie weiß: Auch Werner darf in       auf den Partner projizieren, der ei-
                                          von Krebs. Beide starben innerhalb        ja nicht, was noch alles passiert.“        zwei Frauen verliebt sein.               nen vor der Trauer retten soll.

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LebensZeiten - Im Wirbel des Lebens - Ein Magazin über das Unvermeidliche und für das Leben danach - Bestattungshaus Haller
Rituale in der Trauer                                                                                                                                                                                                      Aus fernen Ländern

                                                                                                                                                                                                                          Mohamed El-Bastawisy
Trauerrituale sind Rituale des Übergangs. Sie machen das einschneidende Erlebnis begreifbarer und kennzeichnen den Ab-                                                                                                    lebt in Ostfildern. Er ist
schluss eines wichtigen Kapitels im eigenen Leben. Sie unterstützen Trauernde darin, mit ihren Gefühlen in Kontakt zu kom-                                                                                                in Ägypten geboren, hat
men und diese auszuleben. Trauer muss gelebt werden, denn sie ist heilsam. In unserer Serie stellen wir Ihnen nach und nach                                                                                               in Chemie und pharma-
einige dieser Trauerrituale vor.                                                                                                                                                                                          zeutischer Chemie pro-

                                                                                                                              Bitterer Kaffee
                                                                                                                                                                                                                          moviert. Seit 15 Jahren
                                                                                                                                                                                                                          lebt er in der Region
                                                                                                                                                                                                                          Stuttgart und ist ein
Rituale in der Trauer:                                                                                                                                                                                                    Experte im Bereich in-

                                                                                                                              für die                                                                                     terkultureller Kommuni-
                                                                                                                                                                                                                          kation und Integration.

Mit Kaffeebohnen für                                                                                                          Trauernden,
gute Erinnerungen sorgen                                                                                                      Almosen für die Armen
                                                                                                                              und Wasser für die Gräber

W
                enn jemand vor seinem Tod lange gelitten         Etwas Ähnliches können Sie für die Erinnerungen an
                hat, kann es sein, dass die guten Erinne-        einen lieben Menschen machen.                                Mohamed El-Bastawisy beschreibt die Bestattungsrituale seines Heimatlandes Ägypten.
                rungen an den Verstorben in den Hinter-
                grund treten – und dass die Erinnerung an
die schwierige Zeit vor dem Tod sehr viel Raum einnimmt.

                                                                                                                              B
                                                                                                                                        estattungen in Ägypten?         weißes Tuch zu wickeln. Totenwä-       den Toten beschmutzt. Tote wer-
Aber es sind die guten Erinnerungen, die einen trösten                                                                                  Da denkt man vielleicht         scher sind oft auch Ehepaare. Dann     den auch oft großzügig mit Parfüm
und in denen man die wohltuende Verbindung zum Ver-                                                                                     erst mal an Pyramiden           wäscht der Mann die Männer, die        oder Eau de Cologne eingesprüht,
storbenen spürt. Gute Erinnerungen können außerdem                                                                                      und Pharaonen, an die           Frau die Frauen.                       damit sie gut riechend vor Allah
Dankbarkeit auslösen. Und Dankbarkeit erweitert die                                                                           opulenten Grabkammern im Tal der                                                 treten können. Anschließend bringt
Seele und schützt vor Verzweiflung am Leben.                                                                                  Könige oder die Mumien im ägypti-         Diese rituelle Waschung ist extrem     man den Leichnam in die Moschee.
                                                                                                                              schen Museum in Kairo.                    wichtig. Denn der Verstorbene muss     Dort finden Gebete statt.
Vielleicht kennen Sie die Geschichte von jener Frau, die                                                                                                                rein „zwischen den Händen Allahs“
wollte, dass ihr das Gute im Leben bewusster wird.                                                                            Aber im heutigen Ägypten werden           erscheinen, ähnlich wie vor dem        So ist es auch bei Mohameds ver-
                                                                                                                              die Toten anders bestattet. Es ist der    Gebet. Der Kopf des Toten wird         storbenem Freund. Von der Stutt-
Jeden Morgen steckte sie sich fünf Kaffeebohnen in                                                                            Islam, der die Bestattungskultur des      hochgebunden, damit der Mund           garter Moschee aus wird der Ver-
die linke Hosentasche. Jedes Mal, wenn ihr etwas Gu-                                                                          Landes prägt, 85 Prozent der Be-                                                 storbene danach zur Ägyptischen
tes geschah, nahm sie eine Kaffeebohne aus der linken            Jedes Mal, wenn Ihnen ein Erlebnis mit diesem Men-           völkerung sind Muslime. Zu den                                                   Botschaft nach Frankfurt gebracht.
Hosentasche und schob sie in die rechte Hosentasche.             schen oder eine seiner Eigenschaft einfällt, lassen Sie      Praktiken und Ritualen der alten            Tote werden auch oft                 Dort untersucht ein Angestellter
Am Ende des Tages nahm sie alle Kaffeebohnen in die              eine Kaffeebohne von der linken Hosentasche in die           Ägypter gibt es längst keine Verbin-                                             den Sarg und versiegelt ihn mit Seil
Hand und erinnerte sich noch einmal an jede einzelne             rechte wandern. Und am Ende des Tages nehmen Sie             dungen mehr.
                                                                                                                                                                          großzügig mit Parfüm                 und Wachs.
Begebenheit, die das Umlagern der Kaffeebohnen von               sich ganz bewusst Zeit, die Kaffeebohnen in die Hand                                                     oder Eau de Cologne
links nach rechts ausgelöst hatten.                              zu nehmen und diesen Erinnerungen nachzuspüren.              Mohamed El-Bastawisy erzählt von                                                 Von der Botschaft transportiert
                                                                                                                              dem Tod seines Freundes. Als sein
                                                                                                                                                                              eingesprüht.                     man den Sarg weiter zum Flugha-
                                                                                                                              bester Freund in Stuttgart stirbt,                                               fen. Dann fliegt er in seine Heimat,
                                                                                                                              kommt ein muslimischer Totenwä-                                                  in derselben Maschine wie seine Fa-
                                                                                                                              scher nach Hause und hilft den            geschlossen bleibt. Nase und Ohren     milie, die ihn in Ägypten bestatten
                                                                                                                              Männern der Familie dabei, den            werden mit Watte geschlossen, damit    will. Von Deutschland aus versucht
                                                                                                                              Verstorbenen zu waschen und in ein        keine Flüssigkeit austreten kann und   Mohamed El-Bastawisy parallel

12                                                                                                                                                                     LebensZeiten ∙ Ausgabe 19                                                13
LebensZeiten - Im Wirbel des Lebens - Ein Magazin über das Unvermeidliche und für das Leben danach - Bestattungshaus Haller
Aus fernen Ländern

                                                                                     des Kopfes. Zur Verschönerung des
                                                                                     Grabes gibt es Aufbauten auf den
                                                                                     Gräbern mit Grabsteinen.

                                                                                     Auf dem kleinen Familienfriedhof
                                                                                     in Kairo sind wie auf allen Friedhö-
                                                                                     fen die Geschlechter getrennt. Alle
                                                                                     Frauen liegen links, alle Männer
                                                                                     rechts. Auch Ehepartner werden
                                                                                     nicht gemeinsam bestattet. Die Ehe
                                                                                     ist nur für dieses Leben, nach dem
                                                                                     Tod ist die Ehe beendet. Über dem
                                                                                     Eingang zu dem kleinen Hof hängt
Eine Gasse in der Totenstadt Kairos.
                                                                                     der Text einer Sure: Wir gehören
                                                                                     Allah, und zu ihm kehren wir zu-
dafür zu sorgen, dass der Sarg in       eine etwas zwiespältige Angelegen-           rück. „Inna li’Llahi wa inna ilaihi
Kairo schnell freigegeben wird, da-     heit: Wenn sie nicht laut genug kla-         radschi’un.“
mit die Familie nicht tagelang war-     gen, könnten die Nachbarn denken,
ten muss. Es gelingt ihm. Noch be-
vor die Passagiere aussteigen dürfen,
wird der Sarg ausgeladen.
                                        sie hätten den Toten nicht geliebt.
                                        Wenn sie zu laut klagen, könnten
                                        die Nachbarn denken, sie wären
                                                                                     A    m Abend versammeln sich
                                                                                          alle am Haus der Familie des
                                                                                     Verstorbenen. Die Männer bleiben
                                        nicht wirklich gläubig. Beduininnen          draußen in einem Zelt, das extra auf-

D     irekt vom Flughafen reist der
      Sarg weiter in eine Kairoer Mo-
schee. Dort öffnen sie den Sarg wie-
                                        und Bäuerinnen werfen während
                                        dieses Gangs oft auch Erde über
                                        sich, als würden sie mit dem Toten
                                                                                     gebaut wurde, die Frauen treffen sich
                                                                                     drinnen. Alle Männer, die zur Familie
                                                                                     gehören – und das können viele sein,
der, der Verstorbene wird im Tuch       bestattet werden wollen.                     denn Cousins zählen dazu – stehen        Kairos Totenstadt al-Qarafa.
herausgenommen, nach Mekka aus-                                                      am Eingang des Zeltes aufgereiht.
gerichtet, und es wird ausgiebig für    Feuerbestattungen sind im Islam
den Toten gebetet. Das sind wichtige    prinzipiell nicht erlaubt: aus Respekt       Jeder, der in das Zelt kommt, sagt zu    sein wird.“ Die Antwort derjenigen,        fragt wird: Was ist los? Ist in deiner   Als Dank für die Almosen sprechen
Gebete: Sie sollen dem Toten dabei      für die Schöpfung Gottes, die der            jedem einzelnen von ihnen: „Das ewi-     denen so kondoliert wird, ist eben-        Familie jemand gestorben?                die Beschenkten ausgiebige Gebete
helfen, jene Fragen gut zu beantwor-    Mensch nicht zerstören darf. In ganz         ge Leben ist nur für Gott. Wir hof-      falls rituell: „Wir hoffen, dass wir nie                                            für den Toten und formulieren auch
ten, die ihm die Engel Munkar und       Kairo gibt es kein Krematorium.              fen, dass dies eure letzte Traurigkeit   wegen einer solchen Traurigkeit zu         Am Donnerstag nach dem Todes-            sehr poetische Segenswünsche für
Nakir im Grab stellen werden. Die-                                                                                            euch ins Haus gehen müssen.“ Ver-          tag versammelt sich die Familie.         die Lebenden. Am Grab werden
ses „talqīn“ ist Gebet und Instrukti-   Mohamed El-Bas-                                                                       traute Männer umarmen sich einmal          Sie lesen die erste Sure vom Koran       erneut Suren zitiert. Und man gießt
on zugleich. Wer ist dein Gott? Wer     tawisys verstorbe-                                                                    rechts, einmal links, und klopfen ein-     „Alfatiha“ für den Toten. Es soll        Wasser über das Grab, eine symbo-
ist dein Prophet? Dieser Moment gilt    ner Freund wird                                                                       ander auf die Schulter; Männer, die        ihm helfen. Für 40 Tage nach der         lische Geste, um die Hitze des Gra-
als extrem wichtig. Er entscheidet      auf einem Famili-                                                                     sich nicht kennen, schütteln einander      Bestattung müssen alle Frauen der        bes zu mildern.
über die Zukunft des Verstorbenen,      enfriedhof in Kai-                                                                    die Hand.                                  Familie schwarz tragen. Im Haus
ob für ihn die Tore des Paradieses
geöffnet werden oder die der Hölle.
                                        ro bestattet. Das
                                        sind kleine Höfe,
                                        die man innerhalb                                                                     I m Zelt gibt es „Ahwa Sada“,
                                                                                                                                bitteren schwarzen Kaffee ohne
                                                                                                                                                                         darf keine Musik laufen und auch
                                                                                                                                                                         kein Fernseher. Bunte Kleidung ist
                                                                                                                                                                         nicht erlaubt, kein Schmuck oder
                                                                                                                                                                                                                  I n der Zeitung erscheinen die Trau-
                                                                                                                                                                                                                    eranzeigen in weißer Schrift auf
                                                                                                                                                                                                                  schwarzem Hintergrund. Wenn es
Nach dem Gebet in der Moschee           größerer Friedhöfe                                                                    Zucker. Von einem Vorleser wer-            Make-Up.                                 im Haus ein Portraitbild des Ver-
wird der Sarg auf den Friedhof          anlegt, sie sind spe-                                                                 den jede halbe Stunde Koran-Suren                                                   storbenen gibt, wird es oft mit einem
getragen. Es sind die Männer der        ziell für eine Familie                                                                zitiert – über einen Lautsprecher,         Am 40. Tag nach dem Tod versam-          diagonalen kleinen Balken versehen.
Familie, die den Sarg auf die Schul-    gedacht. Tote Mus-                                                                    damit auch die Frauen im Haus die          melt sich die ganze Familie, um ge-
tern nehmen. Von den Frauen wird        lime werden in der                                                                    Worte hören können. Meist bleiben          meinsam ans Grab zu gehen. Vorab         Wenn Mohamed El-Bastawisy in
erwartet, dass sie sich weiter hinten   Erde bestattet und                                                                    die Gäste für einen Kaffee und eine        werden bestimmte Kekse gebacken          Ägypten ist, besucht er oft das Grab
halten, dass sie laut weinen und kla-   nach Mekka ausge-                                                                     Sure. Die Bedeutung von „Ahwa              und Essen gekocht. Diese Kekse           seines Freundes. Manchmal nimmt
gen. Gleichzeitig werden sie ermu-      richtet. Meist legt                                                                   Sada“ ist so eng verknüpft mit Beer-       und das Essen werden als Almosen         er andere Verwandte mit. Am Grab
tigt, nicht zu verzweifeln und ihre     man ihnen einen                                                                       digungen, dass jemand, der in einem        an Arme verteilt. Oft sind Bedürf-       sprechen sie das „Alfatiha“.
Hoffnung in Allah zu legen. Das ist     Koran in die Nähe        Eingang zu einem Privatfriedhof innerhalb der Totenstadt.    Café diesen Kaffee bestellt, oft ge-       tige direkt am Friedhof zu finden.

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LebensZeiten - Im Wirbel des Lebens - Ein Magazin über das Unvermeidliche und für das Leben danach - Bestattungshaus Haller
Recht                                                                                                                                                                                                                     Kultur und Historisches

                                                                                                                       In guter Gesellschaft · Stuttgarts Friedhöfe

                                                                                                                       Wolfgang Windgassen
                                                                                                                       Tenor, Operndirektor –
Wie man ein wirksames Nottestament erstellt                                                                            und ein Liebling der Opernfreunde
                                                                                                                       geboren 1914 in Annemasse (Frankreich)
Haben Sie schon einmal von dem Drei-Zeugen-Testament gehört? Das ist ein Nottestament. Es kann dann eine Lösung
sein, wenn jemand akut im Sterben liegt und noch schnell ein Testament aufsetzen möchte.
                                                                                                                       gestorben 1974 in Stuttgart

D                                                                                                                      W
          och damit ein solches          das Nottestament. Das Gericht          anerkannt. Es könne auch erwartet             olfgang Windgassen entstammt einer bekann-
          Testament später wirk-         folgte seiner Auffassung: Ein Not-     werden, dass der Notar an einem               ten Sängerfamilie. Der Vater, Fritz Windgas-
          lich gilt, liegen die recht-   testament könne nur dann wirksam       Samstag benachrichtigt werde.          sen, war ebenfalls Tenor und Professor an der Mu-
          lichen Hürden recht            sein, wenn sich der Erblasser zu                                              sikhochschule Stuttgart. Seine Mutter Vali von der
hoch. Dies zeigt beispielsweise ein      diesem Zeitpunkt wirklich in akuter    Bei dem in Hamm verhandelten Fall      Osten war Sopranistin. Sie starb, als Wolfgang erst
Beschluss des Oberlandesgerichts         Todesgefahr befunden habe. Und         waren die Zeugen von einer akuten      neun Jahre alt war.
Hamm vom 10. Februar 2017 (AZ            eine solche Todesgefahr bestehe        Lebensgefahr der kranken Frau, wie
15 W 587/15).                            aus objektiver Sicht nur dann, wenn    sie erforderlich gewesen wäre, nicht   Wolfgang Windgassen begann als technischer Volontär
                                         man bereits von beginnendem Or-        überzeugt. Es gab auch keine objek-    an der Staatsoper Stuttgart, wechselte dann aber zum
Der Fall, der dort verhandelt wor-       ganversagen ausgehen müsse. Alle       tiven Anhaltspunkte, die dafür ge-     Gesang und studierte an der Musikhochschule Stutt-
den war: Eine Frau hatte Krebs im        drei Zeugen müssten subjektiv da-      sprochen hätten.                       gart. Er debütierte am Stadttheater Pforzheim. Ab
Endstadium, Heilungschancen sah          von überzeugt sein, dass der Testie-                                          1945 sang er am Staatstheater Stuttgart und wurde sehr
niemand mehr. Die Todkranke hat-
te schon früher ein handschriftliches
Testament verfasst, in dem sie ihren
                                         rende das Eintreffen eines Notars
                                         oder Bürgermeisters nicht mehr er-
                                         leben werde.
                                                                                M     ithin bekam der Sohn Recht.
                                                                                      Der letzte Wille der verstor-
                                                                                benen Frau wurde also nicht erfüllt.
                                                                                                                       bald einer der Lieblinge der Opernfreunde.

                                                                                                                       Wieland Wagner erkannte das große Talent und holte
einzigen Sohn als ihren Alleiner-                                               Ihr Vermögen konnte wegen der          ihn ans Festspielhaus Bayreuth. Windgassen beherrsch-
ben eingesetzt hatte. Doch dieser
hatte inzwischen erhebliche Schul-
den. Die Erblasserin bat daher eine
                                         Ä    hnlich wie eine akute Lebens-
                                              gefahr werteten die Richter
                                         auch Veränderungen wie ein dro-
                                                                                Schulden ihres Sohnes nicht erhal-
                                                                                ten werden.
                                                                                                                       te nicht nur die Wagnerpartien, natürlich auch den
                                                                                                                       Siegmund in der „Walküre“, sondern glänzte auch in
                                                                                                                       anderen Rollen. Nicht wenige sahen in ihm den besten
Rechtsanwältin zu sich ins Kran-         hendes Koma: Möglich wäre ein                                                 Wagnertenor in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhun-
kenhaus, um sich beraten zu lassen.      Nottestament auch dann, wenn man                                              derts.
Die Juristin riet dazu, zusätzlich       davon ausgehen müsse, dass ein
eine Dauertestamentsvollstreckung        Kranker demnächst testierunfähig                                              Hinzu kamen Gastspiele an allen führenden Opernhäu-
anzuordnen, um so den Nachlass           werde und dies bis zum Tod bleibe.                                            sern der Welt, unter anderem in Wien, London, Paris,
zu erhalten. Am selben Tag noch                                                                                        Mailand, Barcelona, Buenos Aires, Sydney und San
wurde im Krankenhaus ein entspre-        Wenn jemand wegen einer unheilba-                                             Francisco. 1970 wurde er zum Operndirektor in Stutt-
chendes Nottestament mit drei Zeu-       ren Krankheit im Endstadium noch                                              gart ernannt. Er blieb es kaum vier Jahre lang: Wolfgang
gen geschrieben. Einen Tag später        ein bis zwei Tage zu leben habe, sei                                          Windgassen starb früh – im Alter von nur 60 Jahren, an
wurde die Frau in ein Hospiz ver-        dies hingegen keine ausreichende                                              Herzversagen. Bis dahin war er über dreitausendmal als
legt, vier Tage später starb sie.        Rechtfertigung und begründe keine                                             Tenor auf der Bühne gestanden.
                                         akute Todesgefahr. Solange ein Pa-
Als es später um das Erbe ging, ver-     tient wach und orientiert sei, könne                                          Nach ihm wurde in Stuttgart-Mitte der Wolfgang-
trat ihr Sohn die Auffassung, dass       der Besuch eines Notars abgewartet     Kerstin Herr                           Windgassen-Weg benannt.
das ursprüngliche handschriftliche       werden. In dem Fall sei ein Nottes-    Rechtsanwältin                                                                                        Wolfgang Windgassens Grab auf dem Waldfriedhof in Stuttgart.
Testament seiner Mutter gelte, nicht     tament nicht nötig und werde nicht     Kanzlei Königstraße, Stuttgart

                                                                                                                       In dieser Serie schreibt Werner Koch, der ehemalige Leiter des Garten-, Friedhofs- und Forstamtes der Stadt Stuttgart.
16                                       LebensZeiten ∙ Ausgabe 19                                                     Er ist zusammen mit seinem Sohn, dem Fotografen Christopher Koch, Autor des Stuttgarter Friedhofsführers.              17
LebensZeiten - Im Wirbel des Lebens - Ein Magazin über das Unvermeidliche und für das Leben danach - Bestattungshaus Haller
Lebensgeschichten · Stuttgart West                                                                                                                                                                       Lebensgeschichten · Stuttgart West

Weinhändler des Westens
Lutz Kühnel

L
        utz Kühnel hatte Freude       nach neuen Sprüchen für seine Tafel      Wortlos kommunizierten sie mitein-
        an seiner Arbeit. Seine       vor der Weinhandlung. Sprüche, die       ander – jeder wusste, was der andere
        Leidenschaft galt Trau-       oftmals für Erheiterung sorgten.         dachte oder wollte.
        ben und gutem Wein.
Über Wein wusste er alles. Er war     Er war ein kreativer Kopf, nicht nur     Beide wollten, dass die Kunden,
Weinhändler im Stuttgarter Westen.    was die Sprüche vor dem Laden            die in ihren Laden kamen, dort we-
                                      betraf, sondern auch, wenn es um         nigstens für einen Moment erheitert       Lutz Kühnel ausnahmsweise mal im Urlaub.
Lutz arbeitete viel. Aber er wusste   Alltagsprobleme ging. Immer dachte       waren. Menschen zum Lachen oder
auch, wie man sich im Alltag In-      er darüber nach, wie man etwas gut       zum Lächeln zu bringen, das war
seln des Genusses schaffen konnte.    lösen oder noch verbessern konnte.       immer Ziel jeder Begegnung. Das           beiden heirateten. Sie bekamen zwei     ge, viel Veränderung vor allem in den   zu bringen, sondern da wollte er et-
Ein schönes Glas Wein, ein lecke-                                              Geschäft, ihr Weinladen, war ihr Le-      Kinder, zogen sie groß und brachten     ersten Jahren hier im Westen. Aber      was verändern. Er war voller Klar-
res gemeinsames Essen oben in der                                              bensmittelpunkt. Lutz war stolz auf       sie in den Westen.                      er war immer voller Optimismus und      heit, mit der er seine immer sehr gut
Wohnung. Spaziergänge mit Angie,                                               all das, was sie dort selbst erarbeitet                                           Glaube an die Zukunft und auch an       durchdachten Meinungen vertrat.
                                           Er war ständig auf
dem Hund. Wanderungen auf der
schwäbischen Alb. Zeit am Bären-
see – und Angie beim Schwimmen
                                             der Suche nach
                                                                               hatten. Und es war ihm wichtig, auch
                                                                               seinen Kindern den Wert von Arbeit
                                                                               mit auf den Lebensweg zu geben.
                                                                                                                         F    ür Lutz war es irgendwann mal
                                                                                                                              klar geworden, dass er in der
                                                                                                                         DDR nicht bleiben wollte. Zwei
                                                                                                                                                                 seine eigene Schaffenskraft.            Gelegentlich gab es Momente, in
                                                                                                                                                                                                         denen man ihn überzeugen konnte
                                                                                                                                                                                                         mit einem noch besser durchdachten
                                            neuen Sprüchen.
beobachten.                                                                                                              Jahre lang bearbeitete er Jana un-                                              Argument. Oder auch nicht.
                                                                               Für Lutz war das Leben als Selbst-        ermüdlich. Dann sind die beiden                  Am Grab
Urlaub war eine Seltenheit. Das
gab es nur zu besonderen Anlässen.
Lanzarote zum 50. Geburtstag und
                                      Lutz hatte Freude an kreativen Er-
                                      klärungen oder auch an wilden Bei-
                                                                               ständiger in Westdeutschland keine
                                                                               Selbstverständlichkeit. Kindheit und
                                                                               Jugend hatte er in Sachsen verbracht.
                                                                                                                         geflohen, über Ungarn. Das war im
                                                                                                                         Sommer 1989, kurz bevor die Mau-
                                                                                                                         er fiel. Aber das wusste man ja vor-
                                                                                                                                                                           steht ein
                                                                                                                                                                          Weinfass
                                                                                                                                                                                                         L   utz war planvoll und struktu-
                                                                                                                                                                                                             riert, gelassen und voller Hu-
                                                                                                                                                                                                         mor. Seine Sprüche bleiben unver-
Südtirol zum 25. Hochzeitstag.        spielen, die in Erinnerung blieben.      Dort haben sich Lutz und seine Frau       her nicht.                                     voller Blumen                    gessen.
                                      Wenn er Kunden etwas erklärte,           auch kennengelernt. Im Schwimm-
Lutz Kühnel wollte aus Wein nie       verfiel er auf Ideen. Dann hat er sich   bad, wo er Rettungsschwimmer war.         Diese Flucht mit den Kindern über              und Trauben.                     Er mochte Eric Clapton, die Ea-
eine Wissenschaft machen. Wein        selbst als einen Lemberger beschrie-     Es hat gleich zwischen den beiden ge-     die Grenze war ein großes Abenteu-                                              gles und Heino. Wenn es um Heino
war ein Weg, um das Leben zu ge-      ben und seine Frau eher als Riesling.    funkt. Jana verfiel seinem verschmitz-    er und ein noch größeres Risiko. Die                                            ging, war er vollkommen unemp-
nießen. Wein war aber auch Arbeit,    Er wäre auch ein guter Lehrer ge-        ten Lächeln und seinen wilden Lo-         Familie kam hierher zu den Schwa-       Und er war ein Überraschungs-Ge-        findlich gegenüber dem, was andere
und Arbeit an sich machte ihm Freu-   wesen.                                   cken. Es dauerte nicht lange, und die     ben, denn sein Bruder wohnte bereits    schenkemacher. Er ließ sich immer       über den Sänger dachten.
de. Da hatte der Sachse aus Dres-                                                                                        in der Gegend, in Kornwestheim.         etwas Kreatives einfallen, um seine
den eine schwäbische Seele.           Eigentlich wäre er ja gerne Elektri-                                                                                       Verbundenheit und Liebe auszudrü-       Lutz wusste, dass er nicht mehr lan-
                                      ker geworden, aber da hätte er sich                                                Am Anfang lebte die Familie in ei-      cken. So etwas wie ein Klettband an     ge leben würde. Es war ihm wichtig,
Er tüftelte für sein Leben gerne an   auf den Hosenboden setzen müssen,                                                  ner so kleinen Wohnung, dass nur        den Schuhaufhängern seiner Frau,        das Geschäft in guter Ordnung an
Problemen und suchte immer die ef-    um gute Schulnoten zu bekommen,                                                    zwei Personen gleichzeitig essen        damit die Stiefel nicht ständig her-    seine Frau zu übergeben.
fizienteste Lösung. Zeitverschwen-    und das lag ihm nicht. Er musste                                                   konnten. Und dennoch waren es           unterfielen.
dung bei der Arbeit sah er als Sün-   einfach etwas Richtiges zu tun ha-                                                 schöne und glückliche Zeiten.                                                   Er starb im Alter von 54 Jahren. An
de. Er arbeitete ständig und gerne    ben. Mit den Händen UND mit                                                                                                Lutz sorgte immer für Entspannung.      seiner Trauerfeier auf dem Wald-
– aber es musste effektiv sein.       dem Hirn schaffen.                                                                 Es gab viele schöne, glückliche Zei-    Nur Elternabende mit ihm waren          friedhof in Stuttgart stand ein Wein-
                                                                                                                         ten. Denn Lutz war einer, der immer     schwierig. Da war er streitbar und      fass voller Blumen auf dem Grab.
Lutz hatte ein Faible für Sprache.    Lutz Kühnel und seine Frau wa-                                                     das meiste aus dem machte, was das      unnachgiebig. Da war sein Ziel          Statt Blütenblättern konnte man Lutz
Permanent war er auf der Suche        ren ein extrem eingespieltes Team.       Lutz in seinem Weinladen.                 Leben ihm gab. Es gab viele Umzü-       nicht, sein Gegenüber zum Lachen        Trauben mit auf den Weg geben.

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Kultur und Historisches

Warum gibt es verschiedene Formen der Bestattung? Wie kam es dazu, und was bedeutet das für uns heute?
Welche unterschiedlichen Formen von Gräbern kennen wir, und was macht sie jeweils aus? All diese Fragen
beantworten wir Ihnen in einer kurzen Serie.

Die Feuerbestattung
und ihre Geschichte
Wissenswertes und Hintergründe
In den letzten Jahren hat sich die Feuerbestattung auch im Süden Deutschlands mehr und mehr
durchgesetzt. Etwa 60 Prozent aller Verstorbenen in Deutschland werden in einem Krematorium
eingeäschert. Was danach mit der Urne geschieht, entscheiden die Angehörigen. Denn eine Feuer-
bestattung erlaubt nach der Einäscherung prinzipiell ganz unterschiedliche Beisetzungsformen: zum
Beispiel das Beisetzen der Urne in einem normalen Grab, in einer Urnenwand, an einem Baum
oder in einem Bestattungswald wie Friedwald und Ruheforst.
                                                                                                                    Das Krematorium auf dem Stuttgarter Pragfriedhof wurde 1907 erbaut.

D
             as erste Krematorium in   wurde damals von einem Feuerbe-        Die Feuerbestattung ist nicht nur
             Deutschland entstand      stattungsverein in Auftrag gegeben,    eine fernöstliche Tradition, son-
             1878 in Gotha. Es folg-   dem „Verein für fakultative Feuer-     dern hat auch in Europa Wurzeln,      Feuerbestattung von wohlhabenderen           machen. Dabei nahm er die leibli-      rausforderung. Die katholische Kir-
             ten Hamburg, Heidel-      bestattung zu Stuttgart e. V.“. Das    die weit in die Geschichte reichen.   Bürgern. Dort wurden besondere               che Bestattung Christi als Vorbild.    che sah die Feuerbestattung lange
berg und Jena. Am Anfang waren         Krematorium auf dem Waldfriedhof       Es gibt Hinweise, dass die ersten     Hölzer für die Einäscherung ver-             Er wollte den ganzen, unzerstörten     als theologisch fragwürdig an. Nicht
Feuerbestattungen nur etwas für        in Leinfelden-Echterdingen wurde       Feuerbestattungen in Europa etwa      wendet, um persönlichen Reichtum             Leib erhalten als Grundlage für die    so sehr, weil sie die leibliche Auferste-
Privilegierte. Einäscherungen waren    in den 1970er-Jahren erbaut und ist    3000 Jahre vor Christus stattgefun-   und sozialen Status auszudrücken.            leibliche Auferstehung der Toten.      hung bedrohe – die Theologie hatte
meist teurer als eine Erdbestattung.   denkmalgeschützt. Das Krematori-       den haben. Bis ins 8. Jahrhundert     Auch bei den Alemannen und den               Die Feuerbestattung war fortan nur     sich seit 785 weiterentwickelt. Son-
Feuerbestattungen wurden vornehm-                                             nach Christus war die Feuerbestat-    Germanen sprach nichts gegen eine            noch für Ketzer und Hexen, eine        dern weil die katholische Kirche in
lich in bürgerlich-akademischen                                               tung durchaus verbreitet, aber nur    Feuerbestattung. In Skandinavien             ewige Todes-Strafe.                    der Feuerbestattung die Würde des
Kreisen praktiziert. Die Entstehung          In der Region                    selten war sie die häufigste Form     und Griechenland wurden Krieger                                                     Leibes gefährdet sah. Der Zerset-
der Krematorien wurde von soge-                                               der Bestattung.                       eingeäschert, um sie nach Hause zu                                                  zungsprozess des Toten im Grab ver-
nannten Feuerbestattungsvereinen            Stuttgart gibt es                                                       bringen.                                                 Das                        läuft parallel zum Trauerprozess der
vorangetrieben. Der erste Feuerbe-         drei Krematorien:                  Die vielzähligen Urnenfelder der                                                        Wiederauftauchen                  Angehörigen. In die Würde dieses
stattungsverein wurde 1874 in Dres-
den gegründet und trug den Namen
„Die Urne – Verein für fakultative
                                               Stuttgart,
                                        Leinfelden-Echterdingen
                                                                              Kelten stammen aus der Bronzezeit
                                                                              (1300-800 vor Christus). Die Ein-
                                                                              äscherungen fanden auf dem Schei-
                                                                                                                    G     enaue Zahlen zu historischen
                                                                                                                          Feuerbestattungen gibt es
                                                                                                                    nicht, aber, man weiß, dass die Erd-
                                                                                                                                                                     der Feuerbestattung
                                                                                                                                                                      in Europa war für
                                                                                                                                                                                                        natürlichen Prozesses sollte nicht tech-
                                                                                                                                                                                                        nisch eingegriffen werden. Die Idee
                                                                                                                                                                                                        war: Alles braucht seine Zeit und soll
Leichenverbrennung“. Die Vereine            und Rutesheim.                    terhaufen statt, die Asche wurde      und die Feuerbestattung sehr lange                 die Kirchen eine                 seine Zeit auch brauchen dürfen.
propagierten öffentlichkeitswirksam                                           meist in steinerne Urnen gegeben      nebeneinander existierten, wobei                  Herausforderung.
die Einführung von Feuerbestattun-
gen und den Bau von Krematorien,       um Bonholz in Rutesheim ist das ers-
                                                                              – auch in Baden-Württemberg.          im Großen und Ganzen gesehen
                                                                                                                    in Europa die Erdbestattung weiter                                                  A     nders betrachtete es die evan-
                                                                                                                                                                                                              gelische Kirche: Schon 1908
für die sie oft selbst bezahlten.

1907 nahm das Krematorium auf
                                       te private Krematorium Baden Würt-
                                       temberg, es wurde 2003 in Betrieb
                                       genommen. Das Krematorium in
                                                                              D     ie Griechen verbrannten ihre
                                                                                    wohlhabenden Toten und
                                                                              löschten das Feuer mit Wein. Bei
                                                                                                                    verbreitetet war. Erst im Jahr 785
                                                                                                                    mit Karl dem Großen geriet die Feu-
                                                                                                                    erbestattung deutlich ins Hintertref-
                                                                                                                                                                 Für die christlichen Kirchen, insbe-
                                                                                                                                                                 sondere für die katholische Kirche,
                                                                                                                                                                                                        genehmigte sie im Lichte protestan-
                                                                                                                                                                                                        tischer Freiheit die Feuerbestattung
                                                                                                                                                                                                        und erlaubte ihren Pfarrern, an
dem Pragfriedhof seinen Betrieb        Esslingen wurde wegen technischen      den Römern gab es schon im drit-      fen. Er wollte die Erdbestattung zur         war das erneute Auftauchen der         Krematoriums-Einweihungen teil-
auf. Auch dieses Krematorium           Schwierigkeiten 2004 stillgelegt.      ten Jahrhundert Krematorien für die   einzig christlichen Begräbnisform            Feuerbestattung um 1870 eine He-       zunehmen sowie christliche Feuer-

20                                     LebensZeiten ∙ Ausgabe 19                                                                                                LebensZeiten ∙ Ausgabe 19                                                   21
Kultur und Historisches                                                                                                    Kultur und Historisches

                                              reiten. Feuerbestattungsanhänger       che katholische Regionen bis heute    empfunden wird. Außerdem ist die-
                                              waren nicht unbedingt Atheisten.       die Erdbestattung bevorzugen. In      ser etwas frühere Termin für viele
                                                                                     den Städten gibt es mehr Feuerbe-     auch emotional besser: Wenn alle

                                              I  m Nationalsozialismus wurde
                                                 die Feuerbestattung propagiert,
                                              teils unter Berufung auf germa-
                                                                                     stattungen als auf dem Land, im
                                                                                     Süden und Westen weniger Feu-
                                                                                     erbestattungen als im Norden und
                                                                                                                           zeitnah zusammenkommen, hilft
                                                                                                                           das dabei, den Schock gemeinsam
                                                                                                                           wahrzunehmen und auszudrücken.
                                              nische Einäscherungs-Praktiken.        Osten.                                Durch eine solche Feier kann früh
                                              Mit dem Gesetz über die Feuerbe-                                             eine unterstützende Gemeinschaft
                                              stattung vom 15. Mai 1934 wurde        Bei der Feuerbestattung findet        entstehen. Aber auch eine Urnen-
                                              die Feuerbestattung der traditio-      der Abschiedsritus in zwei Teilen     trauerfeier hat ihre Vorteile: Weil
                                              nellen Erdbestattung grundsätz-        statt. Weil zwischen dem Tod und      sie meist ungefähr zehn Tage nach
                                              lich gleichgestellt. Dieses Gesetz     der Beisetzung die Einäscherung       dem Tod stattfindet, ist sie zeitlich
                                              ist tatsächlich auch heute noch        stattfindet, zögert sich der letzte   planbarer und kann so das Organi-
                                              die rechtliche Grundlage der Feu-      Teil des Rituals um einige Tage       sieren erleichtern.
                                              erbestattung. Verordnet ist die        hinaus.
                                              amtsärztliche Leichenschau vor
                                              der Einäscherung, die Einzelein-
                                              äscherung in einem Sarg, die Ver-
                                                                                                                           V    iele entscheiden sich bei der
                                                                                                                                Feuerbestattung auch für eine
                                                                                                                           Kombination beider Formen: Sie
                                                                                                                                                                   Ein Blick in den Ofen im Krematorium Rutesheim.

Salzkristall-Urne bei einer Seebestattung.    brennung allein durch die heiße           Im Süden gibt es mehr              laden ein zu einer Trauerfeier mit      bringen. Dazu brauchen sie eine            tet werden muss. Daher haben sich
                                              Luft in der zuvor hocherhitzten              Erdbestattungen                 dem Sarg und haben somit einen          Genehmigung und einen Urnen-               vielerorts die Preise einer Feuerbe-
bestattungen durchzuführen. 1920              Ofenkammer und der Umgang                                                    Termin, bei dem zeitnah alle Perso-     pass. Wenn Angehörige eine Urne            stattung an die einer Erdbestattung
erkannte sie die Feuerbestattung voll         mit der Totenasche: Die Asche              als in anderen Teilen             nen zusammengebracht werden, die        in andere Bundesländer überführen          angeglichen.
an. Diese offenere Haltung der Feu-           muss in einer Aschekapsel auf ei-              Deutschlands.                 mit dem verstorbenen Menschen in        wollen, muss von Fall zu Fall geprüft
erbestattung gegenüber geht auch auf
Luther zurück, der jede Form der
                                              nem Friedhof bestattet werden. Sie
                                              ist in Deutschland nicht zur Ver-
                                                                                                                           Verbindung standen. Später bege-
                                                                                                                           hen sie die Einäscherung und Bei-
                                                                                                                                                                   werden, ob es möglich ist.
                                                                                                                                                                                                              B    ei der Frage, wen man zur Ur-
                                                                                                                                                                                                                   nenbeisetzung einladen sollte,
Bestattung als ethisch und sittlich
neutral betrachtet hatte: Für ihn hat-
te es nichts mit dem Seelenheil zu
                                              streuung freigegeben. Den größten
                                              Missbrauch der Feuerbestattung
                                              verübten die Nationalsozialisten in
                                                                                     Für die nächsten Angehörigen
                                                                                     sind dies oft sehr unruhige Tage,
                                                                                     in denen sie das Gefühl haben,
                                                                                                                           setzung im engeren Familien- und
                                                                                                                           Freundeskreis.                          L   ange Zeit galt die Feuerbe-
                                                                                                                                                                       stattung als günstiger als eine
                                                                                                                                                                   Erdbestattung. Tatsächlich waren in
                                                                                                                                                                                                              ist vielleicht der folgende Gedanke
                                                                                                                                                                                                              hilfreich: Der Verstorbene hat ei-
                                                                                                                                                                                                              nen neuen Ort, an den er nun ge-
tun, wie man bestattet wurde. Aller-          den Krematorien der Konzentrati-       sie seien in der Schwebe. Der         Eine Feuerbestattung ermöglicht es,                                                hört. Wer sollte diesen „Umzug“
dings empfahl auch die evangelische           onslager.                              Verstorbene ist nicht mehr „hier“,    verschiedene Arten von Gräbern zu                                                  mit gestalten? Denkbar wäre, jene
Kirche ihren Mitgliedern noch bis                                                    aber auch noch nicht „dort“.          wählen. Auf den lokalen Friedhöfen                                                 Menschen einzubeziehen, die den
ins Jahr 1977 die Erdbestattung. Sie
tat dies jedoch mit dem Bewusstsein,
dass es sich hier um eine bewährte
                                              I n der DDR wurde nach dem
                                                zweiten Weltkrieg die Feuerbe-
                                              stattung staatlich und ideologisch
                                                                                     Wenn sich die Zeit zwischen Tod
                                                                                     und Beisetzung über Wochen
                                                                                     hinzieht, kann dies sehr belastend
                                                                                                                           in Esslingen, Leinfelden-Echterdin-
                                                                                                                           gen, Leonberg, Stuttgart und auf
                                                                                                                           den Fildern stehen bei einer Feuer-
                                                                                                                                                                                                              Verstorbenen öfter zuhause besucht
                                                                                                                                                                                                              haben. Sie kennen in ihrem Alltag
                                                                                                                                                                                                              die bisherige Verortung des Toten,
christliche Tradition handle, nicht           gefördert. Es gab Prämien für jede     sein. Für manche ist die Vorstel-     bestattung meist Wahl- oder Reihen-                                                für sie wäre der Gang an den neuen
um ein theologisches Dogma.                   Feuerbestattung. Etwa 80 Prozent       lung des Leichnams im Feuer sehr      gräber, Baumgräber, Rasenfelder                                                    Ort, die Urnenbeisetzung, vielleicht
                                              aller Bestattungen waren Feuerbe-      bedrohlich. Sollte dies für ein na-   und Kolumbarien zur Verfügung.          Sarg bei der Einäscherung.                 ein wichtiger Schritt.

F   ür die ersten Verfechter der
    Feuerbestattung, darunter Frei-
denker und Freimauer, war die Feu-
                                              stattungen – oft anonym, dies soll-
                                              te dem Konzept der sozialistischen
                                              Gemeinschaft entsprechen. Doch
                                                                                     hes Familienmitglied zutreffen,
                                                                                     wäre es wohl besser, eine andere
                                                                                     Form als die Feuerbestattung in
                                                                                                                           Auch eine anonyme Beisetzung ist
                                                                                                                           in den meisten Gemeinden möglich,
                                                                                                                           jedoch nicht auf allen Friedhöfen.      vielen Gemeinden die Urnengräber
                                                                                                                                                                                                              Für viele ist die Urnenbeisetzung der
                                                                                                                                                                                                              Moment, an dem der Verstorbene
erbestattung eine gute Möglichkeit,           auch hier zeigt sich kein einheitli-   Erwägung zu ziehen.                   Nach der Einäscherung kann die          phasenweise günstiger als Gräber für       seinen letztendlichen Platz in die-
sich des Körperlichen zu entledi-             ches Bild. Vielerorts war die Auf-                                           Asche auch in einem Friedwald           Erdbestattungen, da die Gemeinden          ser Welt einnimmt – und dann erst
gen. Für deren Weltsicht war oft der
Dualismus von Leib und Seele, die
Trennung von Geist und Körper von
                                              gabe, die Toten zu bestatten, den
                                              Kirchen überlassen worden. So
                                              hielt sich auch in manchen Teilen
                                                                                     W      ann und wie die Trauerfei-
                                                                                            er sein soll, dafür gibt es
                                                                                     bei einer Feuerbestattung mehrere
                                                                                                                           oder Ruheforst beigesetzt werden.
                                                                                                                           Wer möchte, kann daraus einen Dia-
                                                                                                                           manten pressen oder einen Edelstein
                                                                                                                                                                   nur die tatsächliche Fläche berech-
                                                                                                                                                                   neten. Dieser Kostenunterschied
                                                                                                                                                                   hat sich in den letzten Jahren deut-
                                                                                                                                                                                                              kommen auch sie selbst zur Ruhe.
                                                                                                                                                                                                              Denn dann endet jene unbestimm-
                                                                                                                                                                                                              bare „Zwischenzeit“ zwischen Tod
Bedeutung. Die Feuerbestattung er-            der DDR die Erdbestattung.             Optionen: entweder mit dem Sarg       formen lassen.                          lich gesenkt. Denn mehr und mehr           und Bestattung, die für viele von
möglichte es dem Toten, ganz in der                                                  vor der Einäscherung oder aber                                                Gemeinden haben ein Bewusstsein            Unruhe geprägt ist. Dann erst kann
Welt des Geistes aufzugehen, eben-            Im Westen zeigte sich ein anderes      mit der Urne nach der Einäsche-       In Baden-Württemberg ist es auch        dafür entwickelt, dass ja von allen        die Trauer ihren Platz im Leben der
so auch, dem materiellen Dasein in            Bild, geprägt von einem deutlichen     rung. Häufig hört man, dass eine      möglich, dass Angehörige selbst die     gleichermaßen der ganze Friedhof           Hinterbliebenen einnehmen und ge-
dieser Welt ein sauberes Ende zu be-          Nord-Süd-Gefälle, wobei ländli-        Trauerfeier mit Sarg als konkreter    Asche zum gewünschten Friedhof          benutzt wird, der auch bewirtschaf-        lebt werden.

22                                           LebensZeiten ∙ Ausgabe 19                                                                                             LebensZeiten ∙ Ausgabe 19                                                   23
Kultur und Historisches

Die Feuerbestattung in den Weltreligionen
                                                                         Feuerbestattungen im
                                                                         Hinduismus
                                                                         Im Hinduismus ist das Feuer und damit die Feuer-
                                                                         bestattung ein notwendiges Element, um einen To-
                                                                         ten von seinem Leib zu befreien. Nur Kinder unter
                                                                         fünf Jahren und Bettelmönche müssen nicht durch
                                                                         das Feuer gehen. Die Verbrennung des Leichnams
                                                                         findet öffentlich statt, meist an bestimmten Stellen
                                                                         am Ufer eines Flusses. Die Familie selbst, meist der
                                                                         älteste Sohn, entzündet das Feuer. Die Asche kann
                                                                         dann einem Fluss (bevorzugt dem Ganges), aber
                                                                         auch der Erde übergeben werden.
Waschung des Körpers im Ganges vor einer Einäscherung in Indien.

                                                       Feuerbestattungen im Buddhismus
                                                       Der Buddhismus macht keine grundlegenden, religiös begründeten
                                                       Vorgaben, wie ein Leichnam zu bestatten ist. Verschiedene Tradi-
                                                       tionen bevorzugen ihre jeweils eigenen Methoden. In den meisten
                                                       Ländern, in den denen der Buddhismus vorherrscht, wird die Feu-
                                                       erbestattung häufig praktiziert. Aber es gibt auch andere Formen:
                                                       In Tibet ist die Luftbestattung üblich, bei der die Überreste des
                                                       Verstorbenen von Vögeln in den Himmeln getragen werden. In Tei-
                                                       len Japans werden Tote in Föten-Position in der Erde bestattet.
 Kremation in Thailand.                                                                                                         Morgenstimmung in Kathmandu. Jede der Plattformen am Fluss ist für Einäscherungen bestimmt, die die Familie selbst durchführt.

 Feuerbestattungen im Judentum
 Für konservative und chassidische Juden gilt die Feuerbestattung als Entweihung der Körpers. Amos 2,1 bezeichnet das           biblische Stellen gibt, die eine Erdbestattung nahe legen. Im Prediger 12,7 beispielsweise finden sich die Worte: „Denn
 Verbrennen einen Toten als Frevel. Auch die Texte der Thora werden Hinweis auf die Ablehnung der Feuerbestattung               der Staub muss wieder zu der Erde kommen, wie er gewesen ist, und der Geist wieder zu Gott, der ihn gegeben hat.“
 zitiert: „Denn du bist Erde und sollst zu Erde werden.“ Im Judentum geht es um die Würde des Toten, und man ist                Und im ersten Buch Mose 3,19 steht: „… bis dass du wieder zu Erde werdest, davon du genommen bist. Denn du bist
 überzeugt, dass einem Verstorbenen seine Würde durch die Feuerbestattung geraubt würde. Die Überzeugung ist: Der               Erde und sollst zu Erde werden.“ Im neuen Testament gibt es keine Hinweise auf eine bevorzugte Bestattungsart. Aus
 Körper muss als Ganzes beerdigt werden, denn im messianischen Zeitalter stehen die Toten wieder auf. Im liberalen und          seelsorgerischer Perspektive wird manchmal empfunden, dass der langsamere Prozess der Zersetzung des Leichnams in
 auch reformierten Judentum ist die Feuerbestattung akzeptiert, aber unter Juden in Deutschland nicht weit verbreitet. 2007     der Erde weniger gewalttätig ist und der Würde des Leichnams mehr entspricht. Die Worte „Erde zu Erde, Asche zu
 wurde in Israel das erste Krematorium errichtet.                                                                               Asche, Staub zum Staube“ kommen nicht aus der Bibel, sondern aus der evangelischen Begräbnisliturgie.

                                                                                                                                Feuerbestattungen im Islam
 Feuerbestattungen im Christentum
                                                                                                                                Im Koran Sure 5 Vers 31 ist der Satz zu finden: „Da sandte Allah einen Raben, der auf dem Boden scharrte, dass Er
 Traditionell wird in den südlichen, katholischen Ländern die Erdbestattung bevorzugt, in protestantischen, nördlichen          ihm zeige, wie er den Leichnam seines Bruders verbergen könne.“ Dieser wird als Gebot gesehen, wie ein Leichnam zu
 Ländern dominiert mittlerweile eher die Feuerbestattung. Theologisch spricht wenig gegen die Feuerbestattung, obwohl es        bestatten ist. Die Feuerbestattung wird in muslimischen Ländern nicht praktiziert. Es gibt auch keine Krematorien.

  24                                           LebensZeiten ∙ Ausgabe 19                                                                                                      LebensZeiten ∙ Ausgabe 19                                                          25
Bestatter auf Reisen

Wenn ich unterwegs bin, kann ich es mir nicht verkneifen, nach Friedhöfen Ausschau zu halten. Ich möchte wissen, wie man
dort die Toten bestattet, welcher Riten man sich bedient. Was man über ein Leben nach dem Tod denkt. Wann immer es geht,
stelle ich Fragen. So auch diesmal. Auf meinem Backpacker-Segeltrip von Kolumbien nach Panama begegnete ich Nestor
und seiner Familie. Nestor lebt auf der Insel Naunego vor der Küste Panamas.

                                     In der
                                   Hängematte
                                      zum
                                    Paradies                                                                                Unter diesen Wellblechdächern befinden sich die Familiengräber der Guna.

                                                                                                                            ten, manche leben für sechs Monate            wohl insgesamt. Das ist der Friedhof,      werden so tief ausgehoben, dass ein
                                                                                                                            auf einer Insel und für sechs Monate          auf dem die Guna der drei nahelie-         aufrecht stehender Mann darin ver-
                                                                                                                            auf dem Festland. Oder auch auf ei-           genden Inseln ihre Toten bestatten.        schwindet. Wie bei uns. Als nächs-
                                                                                                                            ner der größeren Inseln, wo es gan-           Die Guna sind ein kleines Volk, das        tes erzählt der Totengräber, wie
                                                                                                                            ze Dörfer mit Schulen und kleinen             auf diesen Inseln vor der Küste lebt.      innerhalb des Grabs am Kopf- und
                                                                                                                            Geschäften gibt. Andere bleiben das                                                      am Fußende zwei tote Baumstämme
                                                                                                                            ganze Jahr auf ihrer kleinen Insel,                                                      aufgestellt werden – so, dass sie am

V
                                                                                                                            weil das Leben auf der Insel schö-                                                       Ende noch ein wenig aus dem Bo-
             or der Küste Pana-                                                    riffen umgeben, auf manchen stehen       ner ist. Vor allem aber bewachen die               Die Hängematte ist                    den ragen werden. An diesen Stäm-
             mas liegt ein Paradies:          Inseln eher unter dem Namen San      nur ein oder zwei Palmen. Jede der       Eigentümer ihre Kokosnüsse. Jede                  das größte Heiligtum                   men wird die Hängematte im Grab
             Guna Yala. Die west-             Blas. 365 tropische Inseln gehören   Inseln ist einer Familie zugesprochen,   Kokosnuss hat einen Besitzer. Die                                                        dann aufgehängt.
             liche Welt kennt diese           zum Archipel, viele von Korallen-    die sie bewacht. Oftmals in Schich-      Kokosnuss ist Währung, Nahrung                          eines Guna.
                                                                                                                            und Handelsware, sie wird meist                       In ihr schläft er,                 Mit ins Grab kommt alles, was der
                                                                                                                            nach Kolumbien exportiert.                                                               Tote zu Lebzeiten besessen hatte.
  Hier landen wir mit dem Boot, um den Friedhof der Guna zu betreten.                                                                                                            in ihr heiratet er,                 Das ist bei den Guna nicht viel: sein
                                                                                                                            Wir kommen in einer Bucht an. Wohl-              in ihr wird er bestattet.               Essgeschirr, ein paar Kleidungsstü-
                                                                                                                            weislich haben Nestor und sein Sohn                                                      cke, Badelatschen, Gummistiefel.
                                                                                                                            Gummistiefel an. Meine Schlappen                                                         Manch einer hat auch Turnschuhe.
                                                                                                                            bleiben nach dem ersten Schritt im            Weil auf den drei Inseln sehr wenig        Es stimmt: Außer den Hängematten
                                                                                                                            Schlamm stecken. Mit Mühe kann                Platz ist, bestatten die Guna ihre         und ein paar Stühlen befindet sich
                                                                                                                            ich sie befreien und wate barfuß wei-         Toten auf dem Festland. In Hän-            selten viel in den Hütten der Guna.
                                                                                                                            ter. Ich versuche es später noch ein-         gematten. Die Hängematte ist das           Töpfe und Pfannen sind Familienbe-
                                                                                                                            mal: vergeblich. Der Weg den Hügel            größte Heiligtum eines Guna, neben         sitz. Gekocht wird über dem offenen
                                                                                                                            hoch ist steil und schlammig. Irgend-         der Kokosnuss. In ihr schläft er, in ihr   Feuer in der Hütte mit Strohdach.
                                                                                                                            wann gebe ich das mit den Schlap-             heiratet er, in ihr wird er bestattet.
                                                                                                                            pen auf und absolviere den Rest des                                                      Nachdem der Tote und all das, was
                                                                                                                            Friedhofsbesuchs barfuß.                      Ich habe Glück an diesem Tag. Zu-          ihm gehörte, ins Grab gelegt worden
                                                                                                                                                                          fällig treffen wir unterwegs den To-       ist, wird die Erde vom Grabaushub
                                                                                                                            Wir stehen auf einem Hügel voller             tengräber, der mir alles über die Be-      zurück in das Grab geschaufelt.
                                                                                                                            Blechdächer. Ungefähr 15 sind es              stattungen sagen kann. Die Gräber          Auf diese Weise entsteht ein kleiner

26                                           LebensZeiten ∙ Ausgabe 19                                                                                                     LebensZeiten ∙ Ausgabe 19                                                   27
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