HIV und COVID-19 Zwei Pandemien, ein Kongress
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KONGRESS Virtual | CROI (Conference on Retroviruses and Opportunistic Infections) 6.-10. März 2021 HIV und COVID-19 Zwei Pandemien, ein Kongress Auch wenn HIV noch das Hauptthema dieses Kongresses war, die Highlights waren die neuen Optionen der Corona- Postexpositionsprophylaxe, die kurz vor der Zulassung stehen. Im HIV-Bereich gab es keine sensationellen Neuigkeiten, doch erfreulich viele neue Substanzen am Horizont für die Therapie und zur PrEP sowie viele interessante Details. Die CROI fand in diesem Jahr zum triert. Wie viele sich dann letztendlich in der kleinen Salvage-Studie CAPELLA zweiten Mal als virtueller Kongress zu welchen Sessions eingeloggt hatten, an 72 stark vorbehandelten Patienten statt. Im Gegensatz zum letzten Jahr bleibt das Geheimnis des Veranstalters mit Therapieversagen und Multiresis- als die Konferenz vor Ort sehr kurz- und wie viele der Eingeloggten, dann tenz eingesetzt. Die Viruslast der Teil- fristig abgesagt werden musste, hatte tatsächlich auch konzentriert den Vor- nehmer lag im Schnitt bei 4,2 log, die man in diesem Jahr viel Zeit für die trägen gelauscht haben, bleibt das CD4-Zahl bei 150/µl. Zunächst wurde technische Vorbereitung. Das hat sich Geheimnis der Teilnehmer selbst. Lenacapavir als funktionelle Monothe- gelohnt. Die virtuelle Plattform war rapie oral an Tag 1, 2 und 8 gegeben, übersichtlich und einfach zu bedienen, NEUE SUBSTANZEN was die HIV-RNA bis zum Tag 15 im die Technik klappte reibungslos. Of- Die derzeitigen Regime sind so wirk- Schnitt um -2log-Stufen verminderte. fenbar hat auch das virtuelle Format sam, verträglich und einfach, dass man Bei 88% war die HIV-RNA um mindes- die Attraktivität der Konferenz nicht sich kaum vorstellen kann, dass es tens -0,5 log abgefallen. Anschließend beeinträchtigt – was vielleicht aber noch besser geht. Im Hinblick auf die erhielten die Patienten nach Optimie- auch am relativ hohen Anteil von Wirksamkeit ist hier auch kaum Luft rung der Hintergrundtherapie ihre COVID-19-Beiträgen lag. Rund ein nach oben. Dennoch gibt es (erfreu- erste Subkutan-Injektion von Lenaca- Viertel der Arbeiten beschäftigten sich licherweise) neue Substanzklassen in pavir Q6M. Im weiteren Verlauf der mit dem Corona-Virus. der Pipeline, die sich durch das Fehlen noch laufenden Studie erreichten nach Es wurden wie üblich über 1.000 Ab- von Kreuzresistenzen auszeichnen 26 Wochen 73% (19/26) der Teilneh- stracts eingereicht. 600 Poster wurden sowie Entwicklungen, die längere mer eine Viruslast
KONGRESS tionskapazität etwas vermindert. Die Verträglichkeit war im Allgemeinen gut. COVID-19 Am häufigsten waren lokale milde Impf- HIV und COVID-19, beide Infektionen wurden in gemeinsamen Sessions von reaktionen (Segal-Maurer S et al., 127). Experten in mittlerweile beiden Bereichen abgehandelt. Besonders spannend waren die Studien zur Therapie und Prävention von COVID-19. Die Behandlung von schwer Kranken mit Rekonvaleszenten-Serum hat keinerlei MATURATIONSHEMMER Wirkung gezeigt (Jordans C et al., 124), während die frühzeitige Gabe von neu- Die erste Dosisfindungsstudie zum tralisierenden Antikörpern beeindruckend effektiv ist. Einige Produkte stehen „next generation“ Maturationshemmer hier sogar schon kurz vor der Zulassung. So verhinderte die einmalige Infusion GSK3640254 wurde von Christoph von Bamlanivimab + Etesevimab in der Studie BLAZE-1 (n=1.035) den schweren Spinner aus München vorgestellt. 200 Verlauf einer COVID-19 Erkrankung bei Menschen mit hohem Risiko (Dougan M et mg/d oral über 10 Tage verminderte al., 122). Als Postexpositionsprophylaxe innerhalb von sieben Stunden infundiert verhinderte Bamlanivimab allein in BLAZE-2 (n=1.000) das Risiko einer Infektion die HIV-RNA um -2log. Unter dieser um 76%, das Risiko einer schweren Erkrankung um 80%. Die Verträglichkeit der Monotherapie entwickelten jedoch Antikörper war gut, die Nebenwirkungsrate auf Placeboniveau. 4/6 Teilnehmer die Resistentmutation CASIRIMAB PLUS IMDEVIMAB A364A/V, bei siebentägiger Gabe da- Die Antikörper-Kombination („REGEN-COV“) wurde in einer Placebo-kontrollier- gegen nicht. Probleme mit der Sicher- ten Phase-3-Studie innerhalb von 96 Stunden asymptomatischen Kontaktpersonen heit/Verträglichkeit ergaben sich nicht im Haushalt subkutan gespritzt. In der Interim-Analyse nach 24 Wochen hatten (Spinner C et al., 126). signifikant weniger Personen eine symptomatische (3,6% vs 0%) sowie asympto- matische Infektion (10,3% vs 5,4%) (Abb.). Die Verträglichkeit war gut, am häu- ISLATRAVIR figsten waren lokale Injektionsreaktionen (O´Brien M et al., 123LB). Die Antikörper Das NNRTI Islatravir hat eine lange sind in Deutschland im Rahmen einer „Emergency Use Authorisation“ verfügbar. Halbwertszeit. In einer 2b-Studie wur- de es erfolgreich als einmal tägliche Gabe mit Doravirin kombiniert. Blips waren selten und nicht mit Therapie- versagen assoziiert (Orkin C et al., 416). Ein weiterer potentieller Kombi- nationspartner ist Lenacapavir. Die Hersteller MSD und Gilead Sciences haben kürzlich einen Vertrag zur gemeinsamen Entwicklung und Ver- marktung der beiden Substanzen als Abb REGEN-COV (Casirimab + Imdevimab) als Postexpositionsprophylaxe verhindert 2-Drug-Regime geschlossen. symptomatische Infektionen zu 100% NNRTI MK8507 studie BRIGHT an stark vorbehandel- konstante Wirksamkeit vergleichbar Ein günstiger Kombinationspartner für ten Patienten bewährt. Nun wurde mit der monatlichen Injektion (VL >50 Islatravir könnte der neue NNRTI MK- analysiert, ob eine Temsavir-Resistenz K/ml 90,2% vs 91,0%). Ein virolo- 8507 sein. Die Substanz hat ein ähn- die Empfindlichkeit auf Ibalizumab gisches Versagen (zweimal aufeinan- lich günstiges Resistenzprofil wie und/oder Maraviroc einschränkt. Es derfolgend VL >200 K/ml) im Lauf der Doravirin und sie hat das Potential zur wurde keine Kreuzresistenz beobach- zwei Jahre wurde bei zwei Patienten einmal wöchentlichen Gabe (Diamond tet (Rose B et al., 1306). (0,4%) in der Q4M- und bei neun TL et al., 129). Patienten (1,7%) in der Q8M-Gruppe ART LONG ACTING beobachtet. Die meisten Resistenzent- TEMSAVIR Die neue Ära der ART mit Depotsprit- wicklungen traten im ersten Behand- Zwar zugelassen, aber doch recht neu zen wird demnächst beginnen. In der lungsjahr auf. Im zweiten Jahr kam es ist Fostemsavir, der erste Attachment- Studie ATLAS-2 zeigte die zweimo- lediglich zu einem virologischen Ver- Inhibitor. Er hat sich in der Zulassungs- natliche Gabe nach 96 Wochen eine sagen (Jäger H et al., 401). HIV&more 1/2021 5
KONGRESS WICHTIG: NICHT ZU SPÄT 10 0.5 Projected ISL–TP with Entscheidend für die Wirksamkeit ist, 2.5th and 97.5th percenties wie auch bei der oralen Therapie, die 10 0 Mean (SD) Observed ISL–TP Data ISL-TP Concentration (pmol/million cells) richtige Anwendung. Insbesondere bei 10-0.5 der Q8W-Dosierung ist die zeitge- rechte Applikation wichtig. Doch was 10 -1 passiert bei längeren Injektionspau- sen? Eine Verzögerung der zweiten, 10-1.5 PrEP PK Threshold: 0.05 pmol/million cells dritten oder vierten Gabe von Cabote- gravir/Rilpivirin Q2M um eine Woche 10 -2 0 12 24 36 48 hat den Autoren einer pharmakokine- Time (weeks) *56 mg implant projected to release adequate ISL-TP (above the PK threshold) for almost all individuals for >52 Weeks tischen Simulationzufolge wenig Aus- Abb 2 Islatravir-Implantat liefert ausreichenden Wirkstoff-Spiegel zur PrEP für 52 Wochen wirkungen. Sie empfehlen allerdings bei Verzögerungen ohne orales Brid- ging von 3 Monate zwischen den fol- genden Monaten) das Regime mit 3 ml erneut zu starten und nach einem Abb 3 HTPN 083. Cabotegravir Q2M vs TDF/FTC zur PrEP. HIV-Infektionen im Cabotegravir-Arm Monat wieder 3 ml Q2M zu geben (Han K et al., 373). hier Cabotegravir. In der Studie HTPN lange Medikamentenspiegel die 083, in der Cabotegravir Q2M intra- Virusreplikation und die Antikörper- PrEP LONG ACTING muskulär gegen TDF/FTC geprüft bildung vermindern bzw. verzögern Neue Entwicklungen bei der PrEP wurde, war der Integrasehemmer der kann. 4/16 waren bei Baseline schon gehen vor allem in Richtung längere oralen PrEP so deutlich überlegen, infiziert. 5/16 Patienten hatten sich Wirkdauer. Die Nase vorn hat hier Isla- dass die Studie vorzeitig beendet nach Absetzen von Cabotegravir travir, das in einem Röntgen-dichten wurde. Unter Cabotegravir wurden angesteckt. 3/16 Infektionen fanden Implantat ein Jahr lang wirksam ist 16 HIV-Infektionen, unter TDF/FTC im oralen Lead-in statt. Bleiben 4/16 (Matthews R et al., 88LB) (Abb. 2). 42 HIV-Infektionen beobachtet. Die Infektionen bei ausreichenden Medi- Auch der Capsid-Inbibitor Lenacapa- Erklärung für die Infektionen unter der kamentenspiegeln. Als Ursache vir, der im therapeutischen Einsatz bei oralen PrEP ist einfach: 3/42 Patienten werden schwankende Medikamenten- subkutaner Gabe sechs Monate wirkt, waren bereits bei Studienbeginn infi- Konzentrationen sowie unterschied- könnte ersten Tierversuchen zufolge, ziert, 38/42 Patienten hatten keinen liche Spiegel in verschiedenen für die PrEP geeignet sein (Bekerman, ausreichend hohen Medikamenten- Kompartimenten diskutiert. Der HIV- E et al., 717). TAF einmal wöchentlich spiegel und 1/42 Patient hatte sich Test wurde bei diesen Patienten teils verhinderte im Tierversuch ebenfalls wohl mit einer „PrEP-resistenten“ erst Wochen nach der Infektion posi- SHIV-Infektionen in einer Dosierung Variante (K65R) angesteckt. tiv und auch der direkte Virusnach- von auf den Menschen umgerechnet weis war schwierig. Die Verzögerung 225-450 mg (Maasud L et al., 714). HIV-TEST BEI PrEP der ART bei Weiterführung der PrEP Die Infektionen unter Cabotegravir führte in einem Fall zur INSTI- PrEP-STUDIE HTPN 083 waren komplexer und teilweise sehr Resistenz (Marzinke M et al., 153 LB) Am weitesten in der Entwicklung ist schwer zu diagnostizieren, da der (Abb. 3). HIV&more 1/2021 7
KONGRESS UNERWÜNSCHTE WIRKUNGEN 28,5 Es wurden mehrere Kohortenanalysen INSTI + TAF (n=188) INSTI (n=253) und Auswertungen kontrollierter Stu- Model estimated mean BMI dien zum Thema ART und Gewichtszu- 27,5 Non-INSTI + TAF (n=128) nahme präsentiert. In der großen Ko- INSTI pre-switch (n=441) Non-INSTI post-switch (n=167) horte RESPOND mit über 14.000 Teil- nehmern (Einschluss median 2013, 26,5 Beobachtung 2,6 Jahre, Europa und Non-INSTI pre-switch (n=295) Australien) war ein niedrigeres Gewicht vor Therapiebeginn der stärkste Risiko- Time 0 indicates ART switch 25,5 faktor für eine BMI-Zunahme >7%. Wei- -500 -80 -60 -40 -20 0 20 40 60 80 100 120 tere Faktoren waren Dolutegravir, Ral- Month from time of regimen switch tegravir und TAF, wobei die Zunahme Abb 4 HOPS-Kohorte (n=736) BMI-Verlauf nach Switch 2007-2018 unter der Kombination DOL/TAF grö- ßer war als unter den Einzelsubstanzen verträglich. 99-100% der Teilnehmer und verträglich (Benson P et al., 417). (Bansi-Matharu L et al., 507). In der waren zu Woche 192 komplett suppri- Trio-Kohorte mit über 2.000 Teilneh- miert. Selbst eine vorbestehende Mu- 2DR UND M184V mern, die nach 2015 auf ein neues tation M184V beeinträchtigt die Wirk- Eine archivierte M184V-Mutation INSTI-basiertes Regime umgestellt samkeit nicht. Kein Patient brach die scheint Dolutegravir/3TC insbesondere wurden, fand sich ebenfalls eine stär- Behandlung wegen Nierenproblemen dann zu beeinträchtigen, wenn diese in kere Zunahme beim Switch von TDF ab (Workowski K et al., 415, Acosta RK den letzten fünf Jahren vor dem Start auf TAF (McComsey GA et al., 503). Ein et al., 430) des 2DR dokumentiert wurde. Von 535 ähnliches Bild zeigt die HOPS-Kohorte Das 2DR Dolutegravir/3TC war in den Patienten (39% mindestens ein virolo- (n=736), in der der Gewichtsverlauf Studien GEMINI 1 & 2 nach 144 Wo- gisches Versagen, 58% früher 3TC/ nach Switch auf INSTI- und Non-INSTI- chen gleichermaßen gut wirksam. FTC) in einer retrospektiven Analyse Regime mit/ohne TAF verglichen Die initiale Differenz bei Patienten mit hatten 6,9% eine M184V. Im Verlauf von wurde (Palella F et al., 504) (Abb. 4). fortgeschrittenem Immundefekt 24 Monaten kam es bei 20% der Pati- wurde geringer und ein virologisches enten mit einer „jüngeren“ M184V zum LANGZEITDATEN Versagen wurde unter der dualen The- Therapieversagen im Vergleich zu je- Nicht zuletzt wurden auch Langzeit- rapie bei 12 Teilnehmer und der Triple- weils 5% bzw. 4,4% der Patienten mit daten zu etablierten Regimen vorge- therapie bei neun Patienten beobach- einer über fünf Jahre „alten“ M184V stellt. Bictegravir/F/TAF hat sich in den tet (Orkin C et al., 414) In der Studie bzw. ohne diese Mutation (Santoro MM Studien 1489 und 1490 über vier Jahre TANGO war Dolutegravir/3TC in allen et al., 429) (Abb. 5a und b). bewährt. Das STR war wirksam und gut Subgruppen gleichermaßen wirksam Dr. Ramona Pauli Abb 5 a + b Retrospektive Kohorten-Analyse. Einfluss von archivierter M184V-Mutation auf die virologische Wirksamkeit des 2DR Dolutegravir/3TC nach Switch HIV&more 1/2021 9
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