LEITFADEN FÜR EINE UMFASSENDE STRATEGIE ZUR FÖRDERUNG DER SEXUELLEN GESUNDHEIT AUF KANTONALER EBENE - BERN, 2018
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LEITFADEN FÜR EINE UMFASSENDE STRATEGIE ZUR FÖRDERUNG DER SEXUELLEN GESUNDHEIT AUF KANTONALER EBENE EINE ZUSAMMENFASSUNG BERN, 2018
INHALTSVERZEICHNIS I. EINLEITUNG����������������������������������������������������������������������������������������������������������������3 II. INHALT UND ZIELSETZUNG DES LEITFADENS�������������������������4 III. GRUNDLAGEN: KONZEPTE UND HINTERGRUND��������������5 A. Sexuelle Rechte����������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������5 B. Sexuelle Gesundheit und öffentliche Gesundheit...................................................................................7 C. Internationale Verankerung der sexuellen Gesundheit........................................................................8 D. Sexuelle Gesundheit in der Schweiz..............................................................................................................9 IV. QUALITÄTSGRUNDSÄTZE FÜR EINE UMFASSENDE STRATEGIE ZUR FÖRDERUNG DER SEXUELLEN GESUNDHEIT�����������������������������������������������������������������������������������������������������������13 A. Rechtebasierter, diskriminierungsfreier Rahmen�����������������������������������������������������������������������������������13 B. Qualitativ hochstehende Angebote und Leistungen.......................................................................... 14 C. Vielfältige und allen zugängliche Angebote..............................................................................................14 D. Integrierter Ansatz.................................................................................................................................................16 E. Qualifizierte Fachpersonen...............................................................................................................................16 F. Forschung und Entwicklung................................................................................................................................17 G. Koordinierte Strategie.........................................................................................................................................17 V. ELEMENTE FÜR EINE UMFASSENDE STRATEGIE ZUR FÖRDERUNG DER SEXUELLEN GESUNDHEIT IN DER SCHWEIZ.....................................................................................................................19 A. Umfassende Ziele nach Handlungsfeldern����������������������������������������������������������������������������������������������19 B. Strategische Empfehlungen................................................................................................................................22 VI. PERSPEKTIVEN FÜR KANTONE...............................................................28 VII. IMPRESSUM.................................................................................................................29 2 Leitfaden für eine umfassende Strategie zur Förderung der sexuellen Gesundheit auf kantonaler Ebene
I. EINLEITUNG D ie Kommission für Prävention und ser Expertinnen und Experten. Insbesonde- Gesundheitsförderung (CPPS) der la- re Fachleute für sexuelle Gesundheit sowie teinischen Konferenz für Gesundheit Vertreterinnen und Vertreter der Gesund- und Soziales (CLASS) beauftragte SEXUELLE heitsförderung aus diversen Westschweizer GESUNDHEIT Schweiz – die schweizerische Kantonen wurden einbezogen. Der Leitfaden Stiftung für sexuelle und reproduktive Ge- bietet Vorschläge für Massnahmen und Emp- sundheit und Rechte, Dachorganisation der fehlungen zur Entwicklung einer Politik zur Beratungsstellen für sexuelle Gesundheit und Förderung der sexuellen Gesundheit. Familienplanung sowie der Fachstellen für Se- xualaufklärung – mit der Erarbeitung eines Das erarbeitete Dokument der CLASS mit Leitfadens. Dieser sollte den lateinischen Kan- dem Titel «LEITFADEN FÜR EINE UMFAS- tonen eine Referenz und einen gemeinsamen SENDE STRATEGIE ZUR FÖRDERUNG Reflexionsrahmen zur Umsetzung koordi- DER SEXUELLEN GESUNDHEIT AUF KAN- nierter kantonaler Pläne oder Programme im TONALER EBENE» wurde Anfang 2016 pub- Bereich sexuelle Gesundheit liefern. liziert. Die vorliegende deutsche Kurzversion fasst die wichtigsten Inhalte zusammen. Diese Der Leitfaden stützt sich auf internationale wurden ergänzt durch wichtige Diskussions- und nationale Richtlinien und Vereinbarungen ergebnisse der Herbsttagung der Vereinigung sowie auf die neusten Studien im Bereich se- der Kantonalen Beauftragten für Gesund- xuelle Gesundheit. heitsförderung in der Schweiz (VBGF) vom 27. Oktober 2016, die den Leitfaden zum Der Leitfaden wurde in einem partizipativen Thema machte. Prozess erarbeitet, unter Beteiligung diver- Hinweis: Quellen- und Literaturhinweise im französischen Originaldokument. 3 Leitfaden für eine umfassende Strategie zur Förderung der sexuellen Gesundheit auf kantonaler Ebene
II. INHALT UND ZIELSETZUNG DES LEITFADENS D er Leitfaden soll unterschiedlichen Der Leitfaden kann unterschiedlich genutzt Akteurinnen und Akteuren, Partnerin- werden: als Orientierungsrahmen zur Ent- nen und Partnern im Bereich sexuelle wicklung einer Politik zur Förderung der Gesundheit einen Bezugsrahmen mit folgen- sexuellen Gesundheit, als Instrument zur den Inhalten bieten: Erarbeitung von Aktionsplänen, als Inter- ventionsprogramm im Bereich sexuelle Ge- • e ine gemeinsame Grundlage zur Refle- sundheit und als Referenz zur Evaluation xion und konzeptuellen Vereinheitlichung bestehender Leistungen. Daher richtet sich der sexuellen Gesundheit – im Hinblick der Leitfaden an diverse Adressatinnen und auf die Entwicklung einer entsprechen- Adressaten, deren Informationsbedarf unter- den kantonalen Politik schiedlich ausfallen kann: Leitungspersonen in kantonalen Dienststellen für Gesundheit, • Benennung der wichtigsten Akteurinnen Sozialhilfe und Erziehung, Kantonsärztinnen und Akteure der sexuellen Gesundheit und Kantonsärzte, Fachleute für Gesundheits- förderung,Verantwortliche der Fachstellen für • Unterstützung der Koordination zwi- sexuelle Gesundheit, Fachleute für sexuelle schen verschiedenen Akteurinnen und Gesundheit usw. Akteuren aus der Praxis auf der Grundla- ge einer gemeinsamen Vision und geteil- ter Ziele • Interventionsmassnahmen und Leistun- gen zur Förderung eines umfassenden Ansatzes der sexuellen Gesundheit als Querschnittsaufgabe • Bausteine für Qualitätssicherung und Mo- nitoring der Leistungen Der Leitfaden zeigt Möglichkeiten in fünf 1. Förderung, Erhaltung und Wiederherstel- Handlungsfeldern auf, angelehnt an die De- lung der sexuellen Gesundheit als Teil der finition der sexuellen Gesundheit, die die psychischen Gesundheit Eidgenössische Kommission für sexuelle Ge- sundheit (EKSG) für die Schweiz erarbeitet 2. Förderung, Erhaltung und Wiederherstel- hat. Die Reihenfolge der verschiedenen Be- lung der reproduktiven Gesundheit reiche stellt keine Prioritätenliste dar: Prävention, Testung und Behandlung von 3. HIV und anderen sexuell übertragbaren In- fektionen sowie von genitalen Infektionen 4. P rävention und Bekämpfung von sexuali- sierter Gewalt Sexualaufklärung (Bildung zur sexuellen 5. Gesundheit) 4 Leitfaden für eine umfassende Strategie zur Förderung der sexuellen Gesundheit auf kantonaler Ebene
III. G RUNDLAGEN: KONZEPTE UND HINTERGRUND Was versteht die WHO unter sexueller Gesundheit? Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) definiert sexuel- le Gesundheit als Zustand physischen, emotionalen, geistigen und sozialen Wohlbefindens in Bezug auf die Sexualität. Das bedeutet nicht nur die Abwesenheit von Krankheit, Funktions- störungen oder Gebrechen. Sexuelle Gesundheit setzt einen positiven und respektvollen Zugang zu Sexualität und sexuellen Beziehungen voraus wie auch die Möglichkeit, genussvolle und risikoarme sexuelle Erfahrungen zu machen, frei von Zwang, Diskriminierung und Gewalt. Sexuelle Gesundheit lässt sich er- langen und erhalten, wenn die sexuellen Rechte der Menschen geachtet, geschützt und garantiert werden. 1 A. SEXUELLE RECHTE Gemäss der Erklärung der sexuellen Rechte Dies bedingt der International Planned Parenthood Fe- • die Schaffung von Rahmenbedingungen deration (IPPF) sind sexuelle Rechte Men- und Massnahmen zur Verhinderung jegli- schenrechte bezüglich Sexualität. Sie gründen cher Diskriminierung oder Stigmatisierung auf dem Recht jedes Menschen auf Freiheit, aufgrund von Sexualität, sexueller Orien- auf Gleichheit, auf Privatsphäre, auf persön- tierung, Geschlecht, Alter, Gesundheitszu- liche Selbstbestimmung, auf Unversehrtheit stand oder sozioökonomischer Stellung. und auf Würde. Die sexuellen Rechte sind aus den Grundrechten abgeleitet und inso- • den Zugang zu benötigten Informationen, fern universell, unveräusserlich und unteilbar. Bildungsmassnahmen und Leistungen be- Daher sollten Staaten die sexuellen Rechte züglich Sexualität und sexueller Gesund- der gesamten Bevölkerung achten, schützen heit für alle Bevölkerungsgruppen und und sichern. Sie sollten Umfelder schaffen, in insbesondere für die verletzlichsten Men- denen die Menschen ihre Fähigkeit, eigenstän- schen. dig über ihr Leben zu entscheiden, vollständig wahrnehmen können und in ihren Entschei- • die Beteiligung der Menschen an Ent- dungen respektiert werden. scheidungen, die sie im Bereich Sexualität und sexuelle Gesundheit betreffen. 1 Vgl. sexuelle Gesundheit – eine Definition für die Schweiz, Eidgenös- sische Kommission für sexuelle Ge- sundheit (EKSG) 5 Leitfaden für eine umfassende Strategie zur Förderung der sexuellen Gesundheit auf kantonaler Ebene
Die sexuellen Rechte2 sind 6. Das Recht auf Gedanken und Meinungs- Das Recht auf Gleichstellung, gleichen 1. freiheit, das Recht auf freie Meinungsäus- Schutz durch das Gesetz und Freiheit von serung und Versammlungsfreiheit allen Formen der Diskriminierung aufgrund von Geschlecht, Sexualität oder Gender 7. Das Recht auf Gesundheit und das Recht, am wissenschaftlichen Fortschritt und 2. D as Recht auf Partizipation unabhängig dessen Errungenschaften teilzuhaben von Geschlecht, Sexualität oder Gender 8. Das Recht auf Bildung und Information 3. Die Rechte auf Leben, Freiheit, Sicherheit der Person und körperliche Unversehrtheit 9. Das Recht auf freie Entscheidung für oder gegen die Ehe und für oder gegen die 4. Das Recht auf Privatsphäre Gründung einer Familie sowie das Recht zu entscheiden, ob, wie und wann Kinder 5. D as Recht auf persönliche Selbstbestim- geboren werden sollen mung und Anerkennung vor dem Gesetz 10. D as Recht auf Rechenschaftspflicht und Entschädigung Sexuelle Rechte basieren auf Grundsätzen, und Sozialpolitik, damit sexuelle Rechte inner- die in die staatliche Politik einfliessen sollten, halb des geltenden ethischen Rahmens geför- insbesondere in die Gesundheits-, Erziehungs- dert und umgesetzt werden können. Es handelt sich um die folgenden sieben Grundsätze: • Sexualität ist eine wesentliche Dimension • Sexualität und der damit verbundene se- jedes Menschen. Daher braucht es ein xuelle Genuss sind Kernelemente im Le- günstiges Umfeld, damit jede und jeder ben jedes Menschen, unabhängig von der sexuelle Rechte ausüben kann und sich Entscheidung über Fortpflanzung. somit an der gesellschaftlichen Entwick- lung auf sozialer, wirtschaftlicher, kulturel- • Die Gewährleistung der sexuellen Rech- ler und politischer Ebene beteiligen kann. te für alle Menschen verpflichtet zum Schutz der Freiheit und zur Bekämpfung • Schutz und garantierte Rechte sind für aller Formen von Gewalt. Menschen unter 18 Jahren und Erwach- sene unterschiedlich, dabei muss die Ent- • Sexuelle Rechte dürfen nur von solchen wicklung der Fähigkeit jedes Kindes be- gesetzlichen Regelungen eingeschränkt rücksichtigt werden, seine Rechte für sich werden, die darauf abzielen, die Rechte selbst wahrzunehmen und Verantwor- und Freiheiten aller sowie das Gemein- tung zu tragen. wohl in einer demokratischen Gesell- schaft anzuerkennen und zu achten. • Die Verhinderung jeglicher Diskriminie- rung ist eine entscheidende Bedingung • Sämtliche sexuellen Rechte sowie die für den Schutz und die Förderung sämt- Freiheit, diese wahrzunehmen, müssen licher Menschenrechte. durch die Staaten geachtet, geschützt und umgesetzt werden. 2 IPPF-Erklärung zu den sexuellen Rechten, 2008, London 6 Leitfaden für eine umfassende Strategie zur Förderung der sexuellen Gesundheit auf kantonaler Ebene
B. SEXUELLE GESUNDHEIT UND ÖFFENTLICHE GESUNDHEIT Sexuelle Gesundheit tangiert intime Fragen, usw.) und die durch Präventionsmassnahmen die aber auch die Gesellschaft als Ganzes und verbessert werden können. In diesem Sinn das Zusammenleben betreffen. Die Gesund- soll sexuelle Gesundheit als staatliche Aufga- heitsförderung und die öffentliche Gesundheit be wahrgenommen werden und in die öffent- sind insofern mitbetroffen, als sexuelle Ge- liche Gesundheitspolitik einfliessen. sundheit das Wohlbefinden der Bevölkerung beeinflusst. Dies gilt etwa im Zusammenhang Sexualität ist eine grundlegende Dimension mit Epidemien (HIV, STI, RTI) oder in Situatio- jedes Menschen über den gesamten Lebens- nen, die für die körperliche, psychische oder verlauf3 und betrifft Säuglinge, Kleinkinder, soziale Gesundheit schädlich sind (ungewoll- vorpubertäre Kinder, Pubertierende, Adoles- te Schwangerschaft, Gewalt, Diskriminierung zente, Erwachsene und ältere Menschen. Jugendvereine bzw. Jugendverbände, Ju- Institutionen und spezialisierte Heime, gendhäuser und Jugendzentren geschützte Wohnformen, Alters- und Pflegeheime, Institutionen für Menschen Sportvereine und andere Vereine mit Einschränkungen Beratungs- und Teststellen Ausserschulische Tagesstrukturen, Le- bens- und Freizeiträume O pferhilfestellen und weitere Angebote im Bereich Sicherheit Sexgewerbe-Etablissements sowie wei- tere Kontaktstellen und Dienstleistungen Schulen und Erziehungsheime der Sexarbeit Familien und Unterstützungsangebote für Festanlässe, kulturelle oder öffentliche Familien Feiern Kinderkrippen Kommerzielle und nicht kommerzielle Medien Wohnheime für Asylsuchende Offener und geschlossener Strafvollzug S pitäler, Geburtsabteilungen, gynäkologi- sche Abteilungen, niedergelassene Ärztin- Kommerzielle und nicht kommerzielle nen und Ärzte, psychiatrische Einrichtun- Freizeitangebote und Einrichtungen zur gen und Fachstellen für psychologische Arbeitseingliederung Unterstützung U nterstützungsstrukturen für die peri- Apotheken natale Phase und Dienste zur Prävention von Kindesmisshandlung Dienste im Bereich Medizin, Versorgung, Medikamentenverordnung und Gesund- Präventionsstrukturen (Information und heitsvorsorge (Impfungen) Sensibilisierung) usw. Die Sexualität von Kindern und Jugendlichen Gesundheit je nach Altersgruppe spezifische unterscheidet sich von derjenigen der Er- Formen an. 3 wachsenen. Daher nimmt auch die sexuelle Vgl. Definition oben 7 Leitfaden für eine umfassende Strategie zur Förderung der sexuellen Gesundheit auf kantonaler Ebene
Interventionskontexte und involvierte Akteurinnen und Akteure im Bereich sexuelle Gesundheit Da sexuelle Gesundheit alle Menschen be- Ebenso zahlreich wie die Kontexte sind die trifft, sind die möglichen Interventionskontexte Akteurinnen und Akteure im Bereich sexuelle sehr breit gefächert. Dadurch zeigt sich, dass Gesundheit. Bedingt durch die historische Ent- sexuelle Gesundheit ein vielschichtiges Thema wicklung, stammen die wichtigsten aus dem ist, das sich nicht auf einen bestimmten Kon- Arbeitsfeld der reproduktiven Gesundheit4 text reduzieren lässt, sondern als Querschnitts- sowie aus dem Bereich HIV5. Weitere wichti- aufgabe von einer umfassenden Sicht auf die ge Akteurinnen und Akteure werden oft nicht Gesellschaft getragen werden muss. Entspre- zum Bereich sexuelle Gesundheit gezählt, wie chend sind verschiedene Lebenskontexte von beispielsweise jene aus dem Arbeitsfeld der Bedeutung (sexuellen) Gewalt oder der Migration. Die Akteurinnen und Akteure lassen sich grob in folgende Kategorien einteilen: • staatliche Strukturen oder Verbände, die • Partnerstrukturen im Bildungsbereich wie traditionell Dienstleistungen in den fünf Hochschulen für Soziale Arbeit, Pädagogi- Handlungsfeldern der sexuellen Gesund- sche Hochschulen, Universitäten usw. heit anbieten • je nach Kontext unterschiedliche Koordi- • S tellen mit Multiplikationsfunktion und/ nationspartner, etwa kantonale Departe- oder Interventionsplattformen wie etwa mente oder Dienste, bestimmte Arbeits- Elternvereine, Lehrpersonenverbände, gruppen oder Interventionsprogramme Schulen, Berufsschulen oder Berufsbil- dungszentren, Dienste für interkulturelles • Partner im Bereich Evaluation und Mo- Dolmetschen, Fachleute für Gesundheits- nitoring, namentlich das BAG, Kantons- förderung, Strukturen für soziokulturelle ärztinnen und -ärzte, Forschungsinstitute, Animation unter Jugendlichen usw. Observatorien usw. • zuständige kantonale Departemente – • Partner in Forschung und Wissenschaft im Bereich Gesundheit, Soziales, Bildung wie etwa statistische Dienste oder wis- senschaftliche Beobachtungsstellen sowie 4 Stellen für Fami- Hochschulen und Universitäten lienplanung und Schwangerschafts- beratung, gynäkolo- gische Abteilungen und Fachärztinnen und -ärzte für C. INTERNATIONALE VERANKERUNG DER Gynäkologie, Bera- tungsstellen für die SEXUELLEN GESUNDHEIT perinatale Phase, Geburtsabteilun- gen, Organisationen zur Stärkung der Die wichtigsten Bezüge für Akteurinnen und und in die Agenda 2030 zu nachhaltiger Ent- sexuellen und reproduktiven Akteure im Bereich sexuelle Gesundheit sind wicklung integriert. Zudem macht die Strate- Rechte, Sexual- heute die Definition der sexuellen Gesund- gie 2011–2015 der UNAIDS die Förderung pädagoginnen und heit der WHO aus dem Jahr 2006 sowie die der Menschenrechte und der Gleichstellung -pädagogen usw. Erklärung der sexuellen Rechte von IPPF. der Geschlechter zu einer Priorität in der Be- 5 kämpfung von HIV. Aids-Hilfe-Stel- In den letzten Jahren wurde die sexuelle und re- len, Zentren für HIV-Testung und produktive Gesundheit mit den entsprechen- Weiter sind in mehreren Ländern nationale Behandlung, Orga- den Rechten vermehrt anerkannt. Das Thema Programme für sexuelle Gesundheit bereits in nisationen für die wurde vor allem bei der Weiterentwicklung Umsetzung, beispielsweise in Schottland seit Rechte bestimmter Minderheiten oder und der Konkretisierung verschiedener 2005 und in England seit 2013. Die Schweiz gegen Diskriminie- internationaler Abkommen aufgenommen unterstützt sämtliche Grundsätze und hat an rung usw. 8 Leitfaden für eine umfassende Strategie zur Förderung der sexuellen Gesundheit auf kantonaler Ebene
deren Entstehung teilweise massgeblich mit- Unterzeile zu sexueller und reproduktiver Ge- gearbeitet. Auf internationaler Ebene hat die sundheit und Rechte. Zudem hat die Schweiz Schweiz wesentlich dazu beigetragen, dass in in verschiedenen Bereichen internationale der Agenda 2030 zu nachhaltiger Entwicklung Konventionen ratifiziert, die ein Konzept von das Ziel 3 zu Gesundheit und Wohlergehen sexueller Gesundheit auf der Grundlage der sowie auch das Ziel 5 zu Geschlechtergleich- Menschenrechte stützen. heit enthalten sind. Diese beinhalten zentrale D. SEXUELLE GESUNDHEIT IN DER SCHWEIZ Die Schweiz besitzt bislang keine nationale Stra- rates über die Schweizer Gesundheitspolitik, tegie zur Förderung der sexuellen Gesundheit. in diesem Bereich noch nicht erfüllt. Auf gesamtschweizerischer Ebene sind Mass- nahmen im Bereich sexuelle Gesundheit vor Die im Rahmen von Gesundheit2020 beschrie- allem in den folgenden beiden Gesetzen ver- benen Schwächen betreffen auch den Bereich ankert: im Epidemiengesetz, das den Rahmen sexuelle Gesundheit: starke Fragmentierung des für das Nationale Programm HIV und andere Gesundheitswesens, mangelnde Transparenz und sexuell übertragbare Infektionen 2011–2017 dadurch fehlende Steuerung, Fehlanreize, Ineffi- (NPHS, verlängert bis 2021) vorgibt, sowie im zienz, uneinheitliche Qualitätssicherung, ungenü- Bundesgesetz von 1981 über die Schwanger- gende Investitionen in Prävention, Gesundheits- schaftsberatungsstellen, für dessen Umsetzung förderung und Früherkennung. Überlegungen die Kantone zuständig sind. Diese Situation zur Weiterentwicklung der sexuellen Gesundheit führt zu regional sehr unterschiedlichen Situa- können sich daher unter anderem auf die vier tionen, sowohl was Angebote als auch was Ver- gesundheitspolitischen Handlungsfelder stützen, ankerung und Finanzierung angeht. Die Träger- die in Gesundheit2020 definiert werden: schaft dieser Angebote ist zudem oftmals auf verschiedene Organisationen verteilt, die in un- Lebensqualität sichern terschiedlichen kantonalen Departementen an- Chancengleichheit und Selbstverantwor- gesiedelt sind. Dies erschwert eine koordinier- tung stärken te Reflexion über Zusammenhänge zwischen Versorgungsqualität sichern und erhöhen Strategien und bestehenden Massnahmen. Transparenz schaffen, besser steuern und koordinieren Bestehende Initiativen zur Stärkung der sexuellen Gesundheit Rechtliche Grundlagen In der Schweiz tragen verschiedene Mass- Auf rechtlicher Ebene gelten für Leistungen und nahmen zur Stärkung der sexuellen Gesund- Programme im Bereich sexuelle Gesundheit heit bei, z.B.: das Nationale Programm HIV unterschiedliche Regelwerke, die von diversen und andere sexuell übertragbare Infektionen gesamtschweizerischen Gesetzen abhängen. 2011–2017 (NPHS) mit den entsprechenden Sexuelle Gesundheit und sexuelle Rechte sind Anstrengungen des Bundesamtes für Gesund- derzeit nirgends direkt gesetzlich verankert. Ent- heit (BAG) und seiner Partnerorganisationen; sprechende Bestimmungen sind über einzelne Angebote der Beratungsstellen für sexuelle Artikel der Bundesverfassung, des Zivilgesetz- Gesundheit, Familienplanung und Schwanger- buches und des Strafgesetzbuches verstreut schaft; Massnahmen zur Prävention und Be- oder finden sich in nationalen oder kantonalen handlung von Gebärmutterhalskrebs, Darm- Ausführungsgesetzen oder Wegleitungen. Dabei krebs und Brustkrebs; oder auch Angebote sind bestimmte Bereiche der sexuellen Gesund- der Sexualaufklärung in Rahmen der Schule. heit stärker vertreten als andere, insbesondere Diese Programme, Projekte, Angebote und reproduktive Gesundheit, häusliche Gewalt so- Massnahmen sind jedoch nicht in ein um- wie Verletzungen der körperlichen Unversehrt- fassendes Konzept zur sexuellen Gesundheit heit. Dieses rechtliche Instrumentarium ist zwar eingebettet. Damit sind die Vorgaben von Ge- zerstückelt und bedarf in einigen Fällen einer sundheit2020, der Gesamtschau des Bundes- gründlichen Überarbeitung. Dennoch wird damit 9 Leitfaden für eine umfassende Strategie zur Förderung der sexuellen Gesundheit auf kantonaler Ebene
eine Grenze zwischen öffentlichen und priva- Eine solche Strategie muss Massnahmen zur ten Angelegenheiten gezogen. Die Privatsphäre Information, Sensibilisierung, Bildung, Bera- wird geschützt, insbesondere gegen Übergrif- tung, Prävention und Versorgung umfassen. fe, Beziehungsgewalt und sexuelle Gewalt, mit Diese sollen durch folgende Instrumente besonderem Fokus auf verletzliche Personen gestützt sein: Regelwerke, die die sexuellen oder Menschen in verletzlichen Situationen. Rechte achten (Gesetze, Verordnungen, Re- Auch definiert dieser gesetzliche Rahmen Rechte, glemente usw.), wirtschaftliche Anreize (z.B. Pflichten und Verantwortung der einzelnen Men- Subventionen für Prävention oder Ausbildung schen und legt Verfahren zur Wiedergutmachung von Fachleuten), Umverteilungsmassnahmen fest. Ebenfalls werden Grundlagen geschaffen für (Steuererträge zur Deckung von umfangrei- Präventionsarbeit und Förderung der sexuellen chen Leistungen im Bereich sexuelle Gesund- Gesundheit und eine Reihe von Leistungen defi- heit wie KVG-Beiträge zur Finanzierung des niert, die allen Menschen zustehen müssen. gesetzlich verankerten Schwangerschaftsab- bruchs) sowie Koordinationsmassnahmen. Die Fragmentierung der rechtlichen Grundlagen über Gesundheit und sexuelle Rechte schränkt Eine Strategie zur Förderung der sexuellen die Übersichtlichkeit und Kohärenz der ver- Gesundheit muss einen umfassenden Ansatz schiedenen Massnahmen ein. Trotz der Anzahl verfolgen und für die verschiedenen Bereiche Gesetzesartikel, die sexuelle Rechte stützen, ste- koordinierte und integrierte (oder ganzheit- hen noch diverse Verbesserungen an, weil man- liche) Massnahmen entwickeln, um die Kohä- che geltenden Gesetze die sexuellen Rechte für renz und Effizienz der Angebote zu stärken. bestimmte Gruppen einschränken, insbesonde- Dies betrifft sowohl die präventive wie auch die re für zugewanderte Bevölkerungsgruppen. gesundheitliche und die wirtschaftliche Ebene. Eine Strategie zur sexuellen Gesundheit soll mit Bisherige Beiträge und Entwicklungen anderen nationalen Aktionsplänen abgestimmt auf nationaler Ebene sein, die Bereiche wie Gewalt, psychische Ge- Die Organisationen SEXUELLE GESUNDHEIT sundheit oder Sucht abdecken. Sie hat zudem Schweiz und Aids-Hilfe Schweiz sind beide spe- die spezifischen Bedürfnisse bestimmter Ziel- zialisiert in Fragen der sexuellen Gesundheit gruppen zu berücksichtigen – etwa Jugendliche, und als Partnerorganisationen des BAG an der zugewanderte Menschen, Menschen mit HIV, Umsetzung des Nationalen Programms HIV LGBTI-Menschen, Sexarbeiterinnen und Sex- und andere STI beteiligt. Beide Organisationen arbeiter, Menschen in prekären Lebenssituatio- sind sich einig darüber, dass die Schweiz eine nen, Menschen mit körperlichen und/oder psy- nationale Strategie zur Förderung der sexuellen chischen und/oder kognitiven Einschränkungen Gesundheit benötigt. Diese Strategie muss sich sowie Menschen mit chronischen Krankheiten. auf die Definition der WHO betreffend sexuel- le Gesundheit und die entsprechenden sexuel- Eine Strategie zur Förderung der sexuellen len Rechte stützen. Dies mit dem Ziel, in der Gesundheit darf sich nicht nur auf Risiken Schweiz Bedingungen zu schaffen, damit alle konzentrieren. Sie muss auch Leistungen im Menschen ihre Sexualität vertrauensvoll und Hinblick auf übergreifende Ziele in den fünf risikoarm ausleben können, gemäss ihren freien prioritären Handlungsfeldern entwickeln, de- Entscheidungen und im gegenseitigen Respekt. ren Auflistung hier keine Rangfolge der Priori- Diese Strategie muss Folgendes ermöglichen: täten meint. Diese Ziele wurden im Juni 2015 durch die Eidgenössische Kommission für se- Förderung, Erhalt und Wiederherstellung xuelle Gesundheit (EKSG) verabschiedet, als der sexuellen und reproduktiven Ge- Vorschlag für eine Schweizer Definition der sundheit sexuellen Gesundheit. Etablierung, Förderung und Verteidigung der sexuellen Rechte für alle SEXUELLE GESUNDHEIT Schweiz ist an den Bereitstellung von effizienten und qualita- Diskussionen bezüglich sexueller Gesund- tiv hochstehenden Leistungen, die für alle heit auf gesamtschweizerischer Ebene be- Menschen und Zielgruppen barrierefrei teiligt. Diese Organisation plädiert in diesem und diskriminierungsfrei zugänglich sind Rahmen für die Entwicklung und Umsetzung 10 Leitfaden für eine umfassende Strategie zur Förderung der sexuellen Gesundheit auf kantonaler Ebene
von integrierten Programmen für sexuelle le Luzern Soziale Arbeit werden sowohl CAS- Gesundheit und vertritt diese Position insbe- wie auch MAS-Programme in enger Partner- sondere im Rahmen der parlamentarischen schaft durchgeführt und ermöglichen ebenfalls Gruppe KAIRO+ und der Eidgenössischen das Erwerben des gleichen Fachtitels «Fachper- Kommission für sexuelle Gesundheit. Als ak- son für sexuelle Gesundheit in Beratung und kreditiertes Mitglied von IPPF steht SEXUEL- Bildung» Dieser Abschluss ist für die Arbeit in LE GESUNDHEIT Schweiz in Verbindung mit einer Beratungsstelle für sexuelle Gesundheit verschiedenen internationalen Organisatio- und Familienplanung sowie in der Sexualaufklä- nen und nimmt an entsprechenden Diskus- rung in der lateinischen Schweiz wie auch in der sionen und Entwicklungen teil. Deutschschweiz fast überall Voraussetzung. Seit 1998 besteht der faseg, Fachverband sexuelle Seit fünf Jahren organisiert und führt SEXUEL- Gesundheit in Beratung und Bildung. Er ist die LE GESUNDHEIT Schweiz die jährlichen Aus- Deutschschweizer Vereinigung von Fachper- tausch- und Vernetzungstreffen der im Bereich sonen aus den Bereichen Schwangerschafts- der Interventionsachse 1 (nach NPHS 2011– beratung, Sexualberatung, Familienplanung und 2017)6 tätigen Akteure durch. Die Treffen ha- Sexualpädagogik und verfolgt das Ziel, die Bera- ben einen Weiterbildungs- und Koordinations- tungs- und Bildungsarbeit in sexueller Gesund- charakter auf regionaler Ebene. Daran nehmen heit im Praxisalltag zu fördern und zu stärken. sowohl Aids-Hilfe-Stellen wie auch Fachstellen der sexuellen Gesundheit (Schwangerschafts- Entwicklungen auf kantonaler Ebene beratung und Familienplanung, Sexualaufklärung und die Rolle der Kantone usw.) teil. An diesen regelmässigen Treffen pfle- In der Schweiz sind hauptsächlich die Kanto- gen die Beteiligten eine gemeinsame Reflexion ne für die Gesundheits- und Bildungspolitik zur einheitlichen Weiterentwicklung der Fragen zuständig. Daher ist eine gute Koordination rund um sexuelle Gesundheit in der lateinischen unter den verschiedenen involvierten Netz- Schweiz. Jährlich treffen sich beispielsweise die werken, Organisationen, kantonalen Diensten Leitungen der Beratungsstellen für sexuelle Ge- sowie inner- und überkantonalen Strukturen sundheit und Familienplanung sowie der Dienste besonders wichtig. Die Rolle der Kantone für Sexualerziehung in der lateinischen Schweiz. ist insbesondere in folgenden Bereichen von Weitere Reflexionsrahmen sind der Beirat zur Bedeutung: psychische Gesundheit bei vulne- Entwicklung der CAS/DAS-Programme in se- rablen Gruppen, Schwangerschaftsberatung, xueller Gesundheit sowie verschiedene institu- Prävention im Bereiche HIV und STI, Gewalt- tionsübergreifende Arbeitsgruppen, die mit ih- prävention und Opferhilfe, Ausbildung von rem Fachwissen die Entwicklung professioneller Lehrpersonen in Sexualpädagogik. Ressourcen und die Organisation von Weiterbil- dungsangeboten oder Kolloquien unterstützen. Seit mehreren Jahrzehnten gibt es in allen Sprachregionen der Schweiz ein gut veranker- Dank diesem Engagement der Fachverbände tes Netzwerk von institutionellen Akteuren entstand eine Partnerschaft zwischen SEXU- und Verbänden im Bereich sexuelle Gesund- ELLE GESUNDHEIT Schweiz und den West- heit. Hierbei handelt es sich insbesondere um schweizer Hochschulen (Universität Lausanne die Beratungsstellen für sexuelle Gesundheit UNIL, Universität Genf UNIGE sowie das und Familienplanung, die auf der Grundlage des Weiterbildungszentraum «cefoc» an der Gen- Bundesgesetzes von 1981 über die Schwanger- fer Hochschule für Soziale Arbeit HETS), was schaftsberatungsstellen eingerichtet wurden, so- zu zwei neuen Studiengängen in sexueller Ge- wie um die Aids-Hilfe-Stellen, die in die nationalen sundheit führte. Ein CAS-Programm befähigt Programme zu Aids und anderen STI eingebun- Fachleute aus dem Gesundheits-, Bildungs- und den sind. Sowohl in der lateinischen Schweiz wie Sozialbereich zur Förderung und Prävention in in der Deutschschweiz entstanden Angebote im sexueller Gesundheit; und in einem DAS-Pro- Bereich sexuelle Gesundheit vor allem im Zu- gramm kann der Titel «Spécialiste en santé se- sammenhang mit Beratungsstellen für sexuelle xuelle, éducation-formation-conseil» (Fachper- Gesundheit und Familienplanung, Schwanger- 6 son für sexuelle Gesundheit in Beratung und schaftsberatung, Sexualerziehung, Aids-Hilfe-Stel- www.sexuelle-ge- Bildung) erworben werden. Mit der Hochschu- len und Gesundheitseinrichtungen. Auch gibt sundheit.ch 11 Leitfaden für eine umfassende Strategie zur Förderung der sexuellen Gesundheit auf kantonaler Ebene
es in allen Regionen Teststellen für HIV und STI, • Im Kanton Zürich gibt es im Bereich der Sexualerziehung in den Schulen sowie Opferhil- sexuellen Gesundheit sehr unterschied- festellen für Opfer von Gewalt, teilweise ergänzt liche Angebote und Anlaufstellen, u.a. die durch Beratungsstellen für die perinatale Phase. Schwangerschafts-Beratungszentren, nie- derschwellige medizinische Versorgung, die Im Bereich Prävention und Bekämpfung von Fachstelle für Frauenhandel und Migration, Gewalt gibt es in mehreren Kantonen Koordi- die Sexualpädagogik, psychologische An- nations- und Interventionsstellen gegen häusliche gebote, Sozialberatung, rechtliche Beratung, Gewalt, mit Fokus auf die Frühprävention von Selbsthilfegruppen und Interessengemein- häuslicher Gewalt bei Jugendlichen. Projekte zur schaften. Sensibilisierung und Prävention von Gewalt und Übergriffen bei Jugendlichen entwickeln sich auch • Im Kanton Tessin haben verschiedene im Rahmen der kantonalen Gleichstellungsbüros, Partner (Fachpersonen und kantonale mit Unterstützung des Eidgenössischen Büro für Ämter) im Bereich der sexuellen Gesund- die Gleichstellung von Frau und Mann (EBG). heit zu unterschiedlichen Themen Quali- tätsstandards entwickelt, um Synergien zu In der lateinischen Schweiz haben die Akteu- schaffen und um Ungleichheit und/oder rinnen und Akteure im Bereich sexuelle Ge- Doppelspurigkeit zu verhindern. Dafür sundheit seit vielen Jahren ein interkantonales wurde die «Commissione consultiva ses- Kompetenznetzwerk aufgebaut, in Form von sualità e salute», ein interdisziplinäres be- freiwilligen Kooperationen zwischen den Fach- reichsübergreifendes Gremium, gebildet. verbänden für sexuelle Gesundheit ARTCOSS und ARTANES, den lateinischen Beratungsstel- • Im Kanton Aargau ist die Organisation len für sexuelle Gesundheit und Familienpla- «sexuelle Gesundheit Aargau – seges» zu- nung, den Diensten für Sexualerziehung, den ständig. Sie entstand Anfang 2016 aus der Aids-Hilfe-Stellen im Rahmen der CoRom so- Fusion von der Beratungsstelle für Fami- wie SEXUELLE GESUNDHEIT Schweiz. In der lienplanung, Schwangerschaft und Sexuali- Deutschschweiz ist die Entwicklung diesbezüg- tät mit der Aids-Hilfe Aargau. Seges ist in lich etwas anders verlaufen. Die Formalisierung den Bereichen Beratung (Schwangerschaft, der Netzwerke findet langsam statt. Verhütung, HIV, Sexualität allgemein), Früh- erkennung (u.a. HIV und Syphilis-Tests, Mehrere Kantone sind bestrebt, ihrer Tätigkeit im anonyme Beratungen) sowie Prävention Bereich sexuelle Gesundheit neu zu organisieren (Sexualpädagogik für die Zielgruppen Ju- und entsprechende Strategien zu entwickeln. gend, Migrant/innen, Menschen mit Behin- derung, MSM (Männer, die mit Männern • Der Kanton Neuenburg hat sich zum Ziel Sex haben) zuständig. gesetzt, bis 2022 einen kantonalen Plan zu erarbeiten und politisch genehmigen • as Programm im Kanton Schwyz ist poli- D zu lassen. Darin sollen eine klare Aufga- tisch und in der Bevölkerung gut abgestützt. benverteilung und gemeinsame Ziele auf Die klassische Aufgabe einer Aids-Hilfe soll- kantonaler Ebene in Bezug auf Schulen, te in absehbarer Zeit nicht infrage gestellt Strukturen und Finanzen festgelegt wer- werden. MSM wird wohl immer wieder dis- den. Es soll eine Verbindung zum kantona- kutiert werden. Auch die Sexualpädagogik len Aktionsprogramm (KAP) psychische wird immer wieder Thema zwischen dem Gesundheit mit Bezug zu LGBT (Lesbi- Amt für Volksschule, dem Amt für Gesund- sche, Gays, Bisexuelle und Trans*Men- heit und «Gesundheit Schwyz», sein. schen) erstellt und ein Schwerpunkt bei den vulnerablen Gruppen (Sexarbeiter/ innen, Migrant/innen) gesetzt werden. 12 Leitfaden für eine umfassende Strategie zur Förderung der sexuellen Gesundheit auf kantonaler Ebene
IV. QUALITÄTSGRUNDSÄTZE FÜR EINE UMFASSENDE STRATEGIE ZUR FÖRDERUNG DER SEXUELLEN GESUNDHEIT D iverse Grundlagendokumente von währleistet ist. Für die Empfehlungen sind die WHO und IPPF formulieren Grund- folgenden drei Dimensionen entscheidend: sätze, auf denen eine Strategie zur Ein rechtebasierter, diskriminierungsfreier Förderung der sexuellen Gesundheit aufbau- Rahmen; qualitativ hochstehende Angebote en muss, damit die erforderliche Qualität ge- und Leistungen; eine koordinierte Strategie. A. RECHTEBASIERTER, DISKRIMINIERUNGSFREIER RAHMEN Aufgrund ihres kollektiven Auftrages muss Diskriminierung gelebt werden können. Da- die öffentliche Gesundheit einerseits in der mit die Menschen eine gute sexuelle Gesund- Bevölkerung die Fähigkeiten fördern, die für heit entwickeln, beibehalten und wenn nötig einen guten Gesundheitszustand nötig sind, wiedererlangen können, müssen sie unter und anderseits dafür sorgen, dass der erfor- vertrauten und sicheren Bedingungen über derliche strukturelle Rahmen gegeben ist. ihr affektives, sexuelles und reproduktives Le- ben entscheiden können. Im Bereich sexuelle Gesundheit braucht es einen rechtlichen Rahmen, der auf den Men- In diesem Sinne sind sexuelle Rechte un- schenrechten basiert und die sexuellen Rechte abdingbar für die sexuelle Gesundheit. Die anerkennt und achtet. Sexuelle Rechte leiten Akteurinnen und Akteure in diesem Feld sich direkt von den Menschenrechten ab, sind müssen sich auf einen strukturellen und unteilbar und bilden mit einer Reihe von Kon- rechtlichen Rahmen abstützen können, der ventionen und internationalen Abkommen die gleichberechtigte Anerkennung und An- ein Instrumentarium, auf das sich eine Strate- wendung dieser Rechte für alle Bevölke- gie zur Förderung der sexuellen Gesundheit rungsgruppen und gerade für die verletz- als Referenz berufen muss. Die Grundsätze lichsten Menschen garantiert. Diese Rechte der sexuellen Rechte und der Konventionen sind insbesondere: und internationalen Abkommen müssen in die nationale und kantonale Gesetzgebung Das Recht auf Selbstbestimmung, Gleich- einfliessen, damit ein rechtlicher Rahmen ge- berechtigung und auf Schutz vor Diskri- schaffen wird, der zentrale Werte stützt: freie minierung und Stigmatisierung aufgrund individuelle Entscheidungen, persönliche Si- von Geschlecht, Gesundheitszustand, Se- cherheit, körperliche Unversehrtheit, Achtung xualpraktiken, sexueller Orientierung und des Privatlebens, Gleichstellung, informierte geschlechtlicher Identität Zustimmung, freier Ausdruck der geschlecht- Das Recht auf körperliche Unversehrt- lichen Identität und der sexuellen Orientie- heit und Sicherheit rung sowie gleicher rechtlicher Schutz. Das Recht auf Information, Erziehung und Gesundheitsversorgung Sexualität ist eine naturgegebene und grund- Das Recht zu entscheiden, ob, wie, mit legende Dimension jedes Menschen und muss wem, wann und wie viele Kinder geboren als positiven Aspekt des Lebens anerkannt werden sollen werden. Sie muss frei von Gewalt, Zwang und 13 Leitfaden für eine umfassende Strategie zur Förderung der sexuellen Gesundheit auf kantonaler Ebene
Für die Bereiche, in denen die Grundrechte halten werden, muss deren Umsetzung durch zu Sexualität nicht oder erst teilweise einge- Advocacy vorangetrieben werden. B. QUALITATIV HOCHSTEHENDE ANGEBOTE UND LEISTUNGEN Angebote und Leistungen im Bereich sexuelle die Weiterentwicklung und die Aufrechterhal- Gesundheit müssen dauerhaft gewährleistet tung von Angeboten und Aktionen ermögli- sein und über eine ausreichende personelle chen, die den genannten Kriterien und Quali- und finanzielle Ausstattung verfügen. Die vor- tätsnormen entsprechen. handenen Ressourcen müssen die Schaffung, C. VIELFÄLTIGE UND ALLEN ZUGÄNGLICHE ANGEBOTE Eine qualitativ hochstehende Strategie im Be- Selbstbestimmung muss eine solche Strate- reich sexuelle Gesundheit muss Förderung, gie differenzierte Leistungen vorsehen. Diese Erhalt und Wiederherstellung der sexuellen müssen unterschiedlichen Bevölkerungsgrup- Gesundheit der Bevölkerung ermöglichen, pen in geeigneter Weise zugänglich gemacht indem die Selbststimmung der Menschen in werden, insbesondere verletzlichen Men- Fragen der Sexualität und der sexuellen Ge- schen und Menschen mit besonderen Bedürf- sundheit unterstützt wird. Zur Stärkung der nissen. Information Information bezeichnet in diesem Zusam- aufgezeigt werden, dass sexuelle Gesund- menhang alles, was mit Kommunikation rund heit ein Querschnittsthema ist, das alle Men- um Sexualität und sexuelle Gesundheit zu tun schen lebenslang begleitet. Die verfügbaren hat. Informationen müssen eine positive Sicht- Ressourcen im Bereich sexuelle Gesundheit weise der Sexualität vermitteln und dürfen müssen der Öffentlichkeit bekannt gemacht nicht nur Risiken thematisieren. Auch muss werden. Bildung Formelle wie informelle Bildung ist ein Pro- reotype Vorstellungen, Stigmatisierungen und zess zur Erleichterung des Lernens, um den Diskriminierung aufgrund von Geschlecht, Lernenden rationelle und informierte Ent- geschlechtlicher Identität, sexueller Orien- scheidungen zu ermöglichen. Der Zusam- tierung, Gesundheitszustand, Alter, Sexual- menhang zwischen dem Bildungsniveau und praktiken oder sozioökonomischer Stellung den Auswirkungen auf die Gesundheit ist er- eingedämmt werden. Gleichzeitig müssen die wiesen und gilt ebenfalls für den Bereich der Selbstbestimmung und soziale Verantwortung sexuellen Gesundheit. Um informierte und der Menschen im Rahmen dieser Bildungs- verantwortungsvolle Entscheidungen bezüg- anstrengungen weiterentwickelt und gestärkt lich sexueller Gesundheit treffen zu können, werden. müssen die Menschen über ausreichende Kenntnisse und psychosoziale Fähigkeiten Für Kinder und Jugendliche muss Bildung verfügen. Hierfür braucht die Bevölkerung in bezüglich Gesundheit und sexueller Rechte allen Lebensphasen eine gute Bildung bezüg- in der obligatorischen Schule gewährleistet lich Gesundheit und sexueller Rechte. Diese sein. Dies in Form von Sexualaufklärung, die Bildung muss die Sexualität in positiver Weise ergänzend zur Erziehung durch die Eltern und ganzheitlich angehen. Dabei müssen ste- und idealerweise von Fachpersonen in Zu- 14 Leitfaden für eine umfassende Strategie zur Förderung der sexuellen Gesundheit auf kantonaler Ebene
sammenarbeit mit der Schule erfolgt. Die in der Zeit der nachobligatorischen Bildung Sexualaufklärung bildet den Grundstock, auf oder in der Lehre, die vermehrt Informatio- dem später spezifische Präventionsangebote nen und Ressourcen brauchen, wenn sie ein aufbauen können (zu ungewollter Schwan- aktives Sexualleben beginnen. Entsprechende gerschaft, Gewalt, HIV, sexuell übertragbaren Angebote können in folgender Form stattfin- Infektionen (STI), Infektionen der Fortpflan- den: zungsorgane (RTI), Homophobie, Transpho- bie, Diskriminierung usw.). Solche Aktionen S pezifische Interventionen in Institutio- stärken das Wissen und die Fähigkeiten, die in nen der nachobligatorischen Bildung erlebten Situationen oder bei Risikoverhalten Individuelle Beratungen und/oder Arbeit unmittelbar wichtig sind. in Gruppen im Rahmen von Beratungs- stellen für sexuelle Gesundheit und Fami- Angebote zur Bildung bezüglich sexueller lienplanung Gesundheit sollten auch für Erwachsene ver- Informationen im Kontext der Erwachse- fügbar sein, vor allem für junge Erwachsene nenbildung Psychosoziale Beratung Diese Form ist in Beratungsstellen für sexuel- keiten (Empowerment). Dadurch entsteht ein le Gesundheit die Regel. Dabei geht es um Vertrauensverhältnis bei gleichzeitiger Wah- einen Problemlösungsprozess zur Verände- rung der Neutralität, sodass jede Person in rung von Vorstellungen und Verhaltensweisen ihrem Entscheidungsprozess über sensible und zur Stärkung der Fähigkeit, informierte Fragen begleitet werden kann: Umgang mit und eigenständige Entscheidungen zu treffen. Fruchtbarkeit, Kinderwunsch, medizinisch un- Es wird mit motivierender Gesprächsführung terstützte Fortpflanzung, Pränataldiagnostik, und personenzentriert gearbeitet. ambivalente Gefühle betreffend eine Schwan- gerschaft, Testung von HIV, anderen sexuell Wichtig in diesen Zusammenhang sind aktives übertragbaren Infektionen (STI) sowie Infek- Zuhören, Empathie, eine nicht verurteilende tionen der Fortpflanzungsorgane (RTI), Part- Haltung, Vertraulichkeit sowie die Stärkung nerinformation, sexuelle Orientierung, ge- der Person in ihrem Wissen und ihren Fähig- schlechtliche Identität oder Sexualpraktiken. Spezifische Prävention Für verschiedene Gruppen und Kontexte gewanderte Menschen aus Ländern mit ho- braucht es spezifische Präventionsaktionen, her HIV-Prävalenz usw.). Testprogramme für um entsprechenden Problemlagen gerecht zu HIV, andere STI und RTI sowie Programme werden. Zu den Präventionsthemen gehören zur Prävention von sexuellen Störungen und HIV, andere STI und RTI, ungewollte Schwan- Unfruchtbarkeit sind integrierender Bestand- gerschaft, sexuelle Gewalt bei verletzlichen teil der Präventionsmassnahmen. oder besonders exponierten Bevölkerungs- gruppen oder aber in besonderen Settings Solche besonderen Programme sollten in (Männer, die Sexualkontakte mit Männern erster Linie die Beteiligung der Zielgruppen haben, inhaftierte Personen, Sexgewerbe, zu- anvisieren. Versorgung, Behandlung und Pflege Im Bereich sexuelle Gesundheit müssen Ver- übertragbare Infektionen (STI) sowie Infektio- sorgung, Behandlung und Pflege allen Men- nen der Fortpflanzungsorgane (RTI), sexuelle schen gleichermassen zugänglich sein und die Gewalt und psychische Gesundheit. gängigen Qualitätskriterien einhalten. Pflege- leistungen im Bereich sexuelle Gesundheit betreffen vor allem folgende Themen: repro- duktive Gesundheit, HIV und andere sexuell 15 Leitfaden für eine umfassende Strategie zur Förderung der sexuellen Gesundheit auf kantonaler Ebene
D. INTEGRIERTER ANSATZ Zahlreiche Studien zeigten in den letzten Jah- Aus sozioökonomischer Sicht ermöglicht ein ren, wie wichtig die Synergie zwischen Pro- integrierter Ansatz eine höhere Wirksamkeit grammen zu reproduktiver Gesundheit und und Effizienz der bestehenden Programme zu HIV-Prävention ist. Prävention und Behand- durch bessere Nutzung der personellen und lung von sexuell übertragbaren Infektionen finanziellen Ressourcen sowie eine Verminde- (STI) einschliesslich HIV wie auch von Infek- rung der Konkurrenz. tionen der Fortpflanzungsorgane (RTI) sollten gemäss den Empfehlungen dieser Studien in Eine integrierte Vorgehensweise trägt zudem die Angebote zu sexueller und reproduktiver zur gegenseitigen Stärkung und Ergänzung Gesundheit eingebunden werden. der rechtlichen und politischen Rahmenbe- dingungen bei. Die Entwicklung koordinierter Strategien ist in Indem die Fragmentierung der Angebote mehrfacher Hinsicht von Vorteil, sowohl auf der vermieden wird, liefert der integrierte An- Ebene der öffentlichen Gesundheit als auch auf satz auch einen Beitrag zur Eindämmung der sozioökonomischer und individueller Ebene. Stigmatisierung und Diskriminierung aufgrund von HIV oder der sexuellen Orientierung. Er Ein integrierter Ansatz bringt Verbesserungen fördert das Verständnis und den Schutz der beim Zugang zu Angeboten im Bereich sexuelle Rechte beispielsweise dadurch, dass Men- und reproduktive Gesundheit sowie HIV (glei- schen ihre Geschichte nicht immer wieder ches Eintrittstor für alle Angelegenheiten) und erzählen müssen. steigert die Versorgungsqualität (umfassende Sichtweise). Ein solcher Ansatz stärkt auch die Bei den Bestrebungen zur Entwicklung inte- Abdeckung von unterversorgten oder verletz- grierter Angebote im Bereich sexuelle Ge- lichen Bevölkerungsgruppen sowie von Men- sundheit muss auch die Frage der sexuellen schen, die mit HIV leben. Auch die Botschaft des Gewalt und der psychischen Gesundheit be- doppelten Schutzes gegen HIV und ungewollte züglich Sexualität mitgedacht werden. Schwangerschaft wird dadurch gestärkt. E. QUALIFIZIERTE FACHPERSONEN Fachleute für sexuelle Gesundheit Die Ausbildung der Fachleute für Erziehung, Intervision und Supervision zugreifen kön- Beratung, Prävention und Versorgung in se- nen, damit Fachkenntnisse aktuell bleiben und xueller Gesundheit ist entscheidend für die eigene Vorstellungen und Vorgehensweisen Qualität der Leistungen. Die Ansätze der einer kontinuierlichen Reflexion unterzogen Arbeit im Bereich sexuelle Gesundheit sind werden können. anspruchsvoll. Sie müssen angemessen auf die stetig schnellere gesellschaftliche Entwicklung Fachleute mit Multiplikator_innen-Funk- reagieren und der Ausdifferenzierung der tion aus verwandten Bereichen Probleme gerecht werden, unter Berücksich- Etliche Fachleute ohne Spezialisierung in se- tigung der sensiblen Thematik. xueller Gesundheit können in die Lage kom- men, eine wichtige Vermittlungsfunktion für Fachleute für sexuelle Gesundheit brauchen Fragen zur sexuellen Gesundheit zu spielen. solide Kenntnisse und vielfältige Kompeten- Es sind dies zum Beispiel Fachleute im Ge- zen aus Feldern wie Medizin, Biologie, Ethik, sundheitswesen (Hausärztinnen und Hausärz- Recht, Psychologie, Pädagogik, Soziologie, te, Apothekerinnen und Apotheker, Hebam- Gesundheitsförderung und Prävention. Um men, Pflegefachleute, Sexualtherapeutinnen die Anliegen der Menschen bestmöglich auf- und Sexualtherapeuten, Angestellte der nehmen zu können, müssen Fachleute auf schulärztlichen Dienste, Fachleute für Ge- substanzielle Grund- und Weiterbildungen, sundheitsförderung oder Prävention usw.), im 16 Leitfaden für eine umfassende Strategie zur Förderung der sexuellen Gesundheit auf kantonaler Ebene
Sozialbereich (Sozialpädagoginnen und Sozial- sensibilisiert werden. Auch ihre Rolle bei der pädagogen, Sozialarbeiterinnen und Sozialar- Erkennung von Risikosituation, etwa bezüglich beiter, Fachleute in soziokultureller Animation, Gewalt oder Krisen, muss thematisiert wer- Peers, Gassenarbeiterinnen und Gassenarbei- den. Sie sollten klare Informationen über ver- ter, Fachleute für Frühkindliche Bildung usw.) fügbare Ressourcen erhalten, um ihre Klientel oder im Bildungswesen (Lehrpersonen, Me- bei Bedarf an die richtigen Stellen verweisen diatorinnen und Mediatoren usw.). zu können. Alle diese Personen müssen in der Grundaus- Es müssen daher Weiterbildungsangebote ge- bildung betreffend ihre Rolle als Multiplikato- schaffen werden, die an die jeweilige Praxis rinnen und Multiplikatoren für Botschaften dieser Fachleute anknüpfen. der Gesundheitsförderung und Prävention F. FORSCHUNG UND ENTWICKLUNG Die Forschung bezüglich sexueller Gesund- und miteinander kombiniert werden. Solche heit muss gestärkt werden, um epidemiolo- Daten über die verschiedenen Handlungsfel- gische Fragen zu klären, aber auch um die se- der der sexuellen Gesundheit und über se- xuellen Verhaltensweisen der Bevölkerung zu xuelle Verhaltensweisen der Bevölkerung sind eruieren. Die verfügbaren Datensätze betref- nötig für ein besseres Verständnis der Risiko- fen in der Regel die reproduktive Gesundheit und Schutzfaktoren sowie der Bedürfnisse und HIV. Sie sind jedoch oft lückenhaft und der Bevölkerung. werden wenig genutzt. Es müssen weitere Daten zu sexueller Gewalt, psychischer Ge- Ebenso nötig ist ein System, dass Monitoring sundheit bezüglich Sexualität, Korrelationen und Evaluation der bestehende Dispositive zwischen Sexualität und Sucht usw. erhoben und Programme ermöglicht. G. KOORDINIERTE STRATEGIE Fragen der sexuellen Gesundheit betreffen Die Zusammenarbeit zwischen den Berei- verschiedenste Bereiche, die oft getrennt be- chen HIV und reproduktive Gesundheit ist handelt wurden, je nach Bedarf und Aktualität mittlerweile auf gutem Wege. Noch ausste- der aufkommenden Themen. Die wichtigsten, hend ist eine solche Reflexion für den Bereich klar umrissenen Bereiche sind die reproduk- der sexuellen Gewalt, der oft der Sozialpolitik tive Gesundheit und die perinatale Phase, zugerechnet wird, sowie für das Feld der psy- HIV und andere STI sowie RTI, Gewalt und chischen Gesundheit. psychische Gesundheit. Bislang wurde die se- xuelle Gesundheit in der Politik der Behörden Viele Studien belegen, wie wichtig die Schaf- kaum als eine Einheit gesehen. Vielmehr wur- fung und Stärkung von Synergien unter ver- den für alle Teilbereiche spezifische Angebo- schiedenen Programmen ist. Dies aus Grün- te, Leistungen und Finanzierungen aufgebaut. den der öffentlichen Gesundheit, aber auch Dadurch, dass STI neu in die HIV-Prävention der Effizienz, um allfällige Lücken erkennen einfliessen, entstand jedoch eine umfassende und schliessen zu können. Es braucht drin- Sicht, die den Blick freimacht auf die Frag- gend ein System zur Koordination unter den mentierung und die Vielzahl der involvierten verschiedenen Akteurinnen und Akteuren, Partnerorganisationen sowie Akteurinnen und auch eine Stärkung der dienststellen- und Akteure im psychosozialen und medizi- übergreifenden, institutionsübergreifenden nischen Bereich. Die Bedeutung der Zusam- und interregionalen Zusammenarbeit. menarbeit und Annäherung der verschiede- nen Netzwerke wurde erkannt. Die Akteurinnen und Akteure, die eine sol- che Zusammenarbeit tragen könnten, müssen 17 Leitfaden für eine umfassende Strategie zur Förderung der sexuellen Gesundheit auf kantonaler Ebene
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