Leitfaden für Fachkräfte zur Arbeit mit Vätern im Frühbereich

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Leitfaden für Fachkräfte zur Arbeit mit Vätern im Frühbereich
Leitfaden für Fachkräfte
zur Arbeit mit Vätern
im Frühbereich
I M PR E SSU M

Die Materialiensammlung für Fachkräfte zur Arbeit mit Vätern im Frühbereich
wurde erarbeitet durch das Schweizerische Institut für Männer- und
Geschlechterfragen im Rahmen des Nationalen Programms MenCare Schweiz mit
Unterstützung der Stiftung Mercator Schweiz.

Konzept:     Andreas Borter
Autoren:     Andreas Borter, Egon Garstick, Hans-Joachim Lenz, Remo Ryser,
             Heinz Walter.
Lektorat:    Matthias Luterbach

Burgdorf: Mai 2017

Schweizerisches Institut für Männer- und Geschlechterfragen ( SIMG)
www.simg. ch
Bahnhofstrasse 16 | 3400 Burgdorf
Leitfaden für Fachkräfte
zur Arbeit mit Vätern im Frühbereich

INHALTSVERZEICHNIS

Die Bedeutung des Vaters für die frühkindliche Entwicklung
(Heinz Walter & Andreas Borter) ……………………………………………………………………………………….. S. 3
Väter beim Stillen (Andreas Borter & Remo Ryser)                     S. 11
Väter haben den Babyblues (Remo Ryser)                               S. 16
Väter beraten (Egon Garstick)                                        S. 20
Väter und Spiel (Andreas Borter)                                     S. 23
Väter mit Migrationshintergrund (Andreas Borter)                     S. 28
Gewaltbetroffene Väter (Andreas Borter & Hans-Joachim Lenz)          S. 32
Väter und Sexualität (Andreas Borter & Remo Ryser)                   S. 36
Die Bedeutung des Vaters für die
frühkindliche Entwicklung
                                                               Heinz Walter & Andreas Borter

Ausgangslage                                     eine Fülle von Lernprozessen, gepaart mit
                                                 dem Angewiesensein auf deren umsichtige
    Eine breitere Auseinandersetzung mit der
                                                 Begleitung durch Vertreter der Erwach-
frühkindlichen Entwicklung im Sinne eines
                                                 senengeneration. Dieses exklusive „Sonder-
modernen Wissenschaftsverständnisses ist
                                                 angebot der Evolution“ bedeutet: jeder
jung. Interessanterweise waren es wieder-
                                                 menschliche Säugling kann auf bedeutende
holt technische Innovationen, die einer inter-
                                                 Entwicklungsmöglichkeiten wie auf gravie-
disziplinären Säuglings- und Kleinkindfor-
                                                 rende Entwicklungshindernisse treffen. Da
schung entscheidende Möglichkeiten eröff-
                                                 leuchtet ein: Das „Sonderangebot“ auszu-
neten. So z.B. als mit Hilfe einer verfeiner-
                                                 schöpfen wird eher gelingen, wenn mehr als
ten Videotechnik vorsprachliche Verhal-
                                                 ein Begleiter/eine Begleiterin hierfür zur
tensweisen minuziös analysiert werden
                                                 Verfügung steht. Aus dieser Perspektive ist
konnten, insbesondere auch die Interaktio-
                                                 die Erweiterung der Kinderbetreuungsver-
nen der Kinder mit Erwachsenen. Ab den
                                                 antwortung auf mehrere Personen, d.h. ins-
1990er Jahren verdeutlicht die Möglichkeit
                                                 besondere auf den Vater, begrüssenswert.
von Hirnscans das äusserst dynamische
                                                 Ein überwiegender Teil der Männer ist heute
Wechselspiel von Genen, Hormonen und va-
                                                 motiviert, mit solcher Begleitung sein Erfah-
riierenden Umweltbedingungen (Rass 2012,
                                                 rungs- und Erlebensspektrum zu erweitern
Strüber 2016).
                                                 und zu vertiefen, unter hierfür für geeignet
    Bereits 1951 verwies Adolf Portmann auf
                                                 gehaltenen Voraussetzungen in Vaterschaft
ein „extrauterines Frühjahr“, in das das
                                                 Energie und Zeit zu investieren (Baumgarten
menschliche Neugeborene gestossen wird.
                                                 et al. 2016).
Er meint damit, dass es nach neun Monaten
                                                    Doch bis heute sind Forschungsinitiati-
intrauteriner Entwicklung längst nicht jenen
                                                 ven zu finden, die Väter trotz deren nahelie-
Entwicklungsstand erreicht hat, der den
                                                 gender Einbeziehung ausblenden oder Väter
Nachkommen der evolutions-verwandten
                                                 mit Müttern zu genderunspezifischen „El-
Primaten bald nach der Geburt ein ihr Über-
                                                 tern“ machen. Solche „Vaterblindheit“ fin-
leben sicherndes Verhalten ermöglicht. Für
                                                 det sich auch noch recht zahlreich in an
eine vollständige embryonale Entwicklung
                                                 Fachpersonal und Eltern gerichteten Sach-
würde es einer Schwangerschaft von 21 Mo-
naten bedürfen. In einer lange anhaltenden       büchern und in Ratgeberliteratur rund um
Phase grosser Hilfsbedürftigkeit finden nicht    die ersten Lebensjahre.
nur (z.B. motorische) Reifungsprozesse              Und auch heute noch sind Väter, Politiker
                                                 und Entscheidungsträger im Gemeinwesen
statt. Das in der Evolution Einmalige dieser
Phase ist vielmehr die enorme Offenheit für

                                                                                           3
zu finden, die sich an den ersten ein, zwei o-     die linke. Dies kann Väter ermutigen, ih-
der drei Entwicklungsjahren der Kinder mit         rem Input schon in die frühkindliche Ent-
„Schutzbehauptungen“ wie „Da passiert ja           wicklung grössere Bedeutung beizumes-
noch nichts Wesentliches“ vorbeimogeln.            sen.
Beim Kind zu beobachtende Entwicklungen          • Bereits in seinen ersten Stunden ist das
in dieser Zeit werden als Selbstverständlich-      menschliche Neugeborene in der Lage,
keit angenommen (wie bespielsweise der             seinen eigenen Gesichtsausdruck dem
Spracherwerb – anders Sebastian Kretz              seines Gegenübers anzugleichen (Melt-
2016, S. 30: „Ohne die Zuwendung der               zoff/Moore 1989). Von Anfang an sind
wichtigsten Bezugspersonen – also meist der        Säuglinge in der Lage, die Reize in ihrer
Eltern – findet kein Kind zur Sprache.“). Die      Umwelt mit mehreren Sinnen gleichzeitig
Aufgabe des Vaters in dieser Zeit wird vor         (kreuzmodal) wahrzunehmen (Dornes
allem darin gesehen, die klassische Funktion       1993, S. 43 ff.). Das Verlangen nach vi-
des materiellen Ver- und Vorsorgers wahr-          sueller Stimulation kann so gross sein,
zunehmen.                                          dass hierfür kurzfristig Hunger und Durst
                                                   zurückgestellt werden (Dornes 1993, S.
Herausforderungen und Lösungsansätze
                                                   39 ff.). Väter, welche sich insbesondere
   Die inzwischen zahlreich vorliegenden           in den ersten Wochen oft als Pflege-Aus-
Forschungsergebnisse rund um die frühkind-         senseiter vorkommen, kann solches Wis-
liche Entwicklung belegen die Bedeutung            sen zu mehr Aktivitäten mit dem Kind
des Vaters hierfür in aller Deutlichkeit. Dies     von Anfang an motivieren.
sollte auch direkte Auswirkungen auf die         • Schon ab drei Monaten geben Kleinkin-
Beratungspraxis von Fachpersonen haben.            der deutlich zu erkennen, dass sie in dazu
Ebenso sollten diese Einsichten im Hinblick        geeigneten Situationen den Austausch
auf die Kontakte mit Vätern reflektiert und        mit Mutter und Vater einem solchen mit
in diese einbezogen werden:                        nur einem von beiden vorziehen (Fivaz-
• Heutige Väter wollen in der Regel von            Depeursinge & Corboz-Warnery 2001).
  Anfang an gute Väter sein. Das Wissen            Diese Tatsache verdient in Elterngesprä-
  über die Entwicklungen im ersten Le-             chen gezielt betont zu werden, um der
  bensjahr ist dabei von grosser Wichtig-          noch immer weit verbreiteten Annahme
  keit. Aber eine grössere Zahl von Vätern         entgegenzutreten, dass das Kleinkind nur
  ist sich der Bedeutung Ihrer lebendigen          mit einer einzigen Person in intensivem
  Beziehung zum Kind „ab der ersten                Kontakt stehen kann.
  Stunde“ doch noch nicht bewusst. Mit be-       • Das Gegenteil ist der Fall: Für das Kind
  sonders harten Fakten kann hier nachge-          bedeutet die Triade Vater-Mutter-Kind
  holfen werden: So sollten neue Väter z.B.        ein entscheidendes Mehr an psychischen
  wissen, dass das Gehirn eines Kindes bei         Entfaltungsmöglichkeiten als eine exklu-
  der Geburt etwa 400 Gramm wiegt, an              sive Vater-Kind- oder Mutter-Kind-
  dessen erstem Geburtstag bereits über            Dyade. Allerdings setzt eine lebendige
  1000 Gramm; und dass sich in diesem              Triade die triadische Fähigkeit beider El-
  ersten Jahr die rechte „sozioemotionale“         tern voraus: dass sie „jeweils die eigene
  Hirnhälfte deutlich rascher entwickelt als

                                                                                          4
Beziehung zum Kind ohne Ausschluss-          • Nicht nur in der geschilderten Situation
   tendenz gegenüber dem Dritten entwi-           ist es für den Vater wichtig zu wissen,
   ckeln können und dass die Beziehung des        dass er ebenso wie die Mutter zu einer si-
   Partners zum Kind akzeptiert und als Be-       cheren Bindungsperson für das Kind wer-
   reicherung angesehen werden kann“ (von         den kann. Grundsätzlich kann jedes Kind
   Klitzing & Stadelmann 2011, S. 967). Es        Bindungen an zwei oder mehr Erwach-
   ist von Vorteil, wenn diese Vorausetzung       sene eingehen – so diese im sozialen Um-
   bereits während der Schwangerschaft ge-        feld und durch eine innere Bereitschaft
   geben ist (von Klitzing 2002). Oft müssen      hierfür zur Verfügung stehen. Entschei-
   sie sich Väter und Mütter aber erst in ei-     dend ist, dass den Bedürfnissen des Säug-
   nem intensiven Dialog erarbeiten, der          lings mit Feinfühligkeit begegnet wird; d.
   häufig professionelle Begleitung erfor-        h. dass das vom Kind (mit seinen vor-
   dert (Schwinn & Frey 2012).                    sprachlichen Möglichkeiten) artikulierte
• Väter wie Mütter können aus verschiede-         Bedürfnis nach Nähe, Versorgung, Trös-
  nen Gründen als der/die “Dritte im              tung und Schutz jeweils richtig gedeutet
  Bunde“ für einen längeren Zeitraum aus-         wird sowie angemessen und prompt da-
  fallen. Trifft dies für die Mutter zu, so       rauf reagiert wird. (Je jünger das Kind,
  sieht sich der Vater mit mehrfachen An-         umso unmittelbarer ist die Reaktion er-
  forderungen konfrontiert. Da er zumeist         forderlich.) Gelingt dies der Bezugsper-
  nicht darauf vorbereitet ist, wird er Warn-     son hinreichend gut, so kommt es zu einer
  zeichen oft nicht erkennen (beispiels-          sicheren Bindung des Kindes an sie.
  weise dass seine Frau nach der Entbin-          Kann die Bezugsperson diese Erfahrun-
  dung nicht nur Symptome eines „leich-           gen nur diskontinuierlich vermitteln, fehlt
  ten“ Baby-Blues sondern einer sich ver-         es an Verlässlichkeit des „sicheren Ha-
  mutlich über mehrere Monate erstrecken-         fens“, so führt dies zu einer unsicher-am-
  den postpartalen Depression zeigt; Rass         bivalenten Bindung. Bleiben die Signale
  2008). Neben den atypischen, oft be-            des Säuglings in zu hohem Ausmass ohne
  fremdlichen Verhaltensweisen der Kinds-         Echo, ja wird deren „Berechtigung“ von
  mutter lässt der Säugling keinen Auf-           der Bezugsperson negiert, so verzichtet
  schub bezüglich der Befriedigung seiner         das Kind zunehmend darauf, seiner inne-
  elementaren Bedürfnisse zu. Soll aus die-       ren Not Ausdruck zu verleihen; denn so
  ser Situation für die Triade insgesamt und      kann es die Beziehung wenigstens auf-
  für die Einzelnen kein dauerhafter Nach-        rechterhalten. Seine Bindung wird als
  teil entstehen, ist verwandtschaftliche,        eine unsicher-vermeidende bezeichnet.
  nachbarschaftliche und/oder institutio-         Diese Kinder imponieren durch ihre frühe
  nelle Hilfe (z.B. Tagesmutter, Krippe)          „Selbstständigkeit“, Coolness. Heute
  unumgänglich. Es ist ein Glücksfall,            weiss man jedoch um ihr ausgeprägtes
  wenn heute betroffene Väter zudem Hilfe         Stresserleben (Brisch 2010, S. 40-57,
  durch thematisch erfahrene Experten er-         Grossmann & Grossmann 2012, S. 140-
  halten. Ein entsprechendes Angebot ist          156). (Weitere gravierende Bindungsstö-
  erst in Ansätzen vorhanden (Pedrina             rungen finden sich bei Kindern, die ohne
  2012).                                          Chance blieben, auch nur zu einer Person
                                                  eine "durchschaubare", ihnen wenigstens

                                                                                          5
rudimentär Sicherheit vermittelnde Be-           zentration darauf durch einen stets „paral-
   ziehung aufzubauen. Brisch 2010, S. 57-          lel mitlaufenden Sicherheitscheck“ ge-
   65, Grossmann & Grossmann 2012, S.               mindert scheint.
   156-163, Traxl 2016).                         • Väter können hier als Begleiter der jun-
   Die Qualität der Bindung, die ein Säug-         gen Welt-Entdecker eine erstaunlich trag-
ling etwa ab seinem dritten Monat an eine          fähige Basis legen: Grossmann & Gross-
ihn versorgende und schützende Person auf-         mann (2012, S. 233-250) beobachteten
baut, erweist sich bereits mit einem Jahr als      sie in einer Situation mit deren zweijähri-
stabil. Wie sicher oder unsicher sie sich auch     gem Kind, das dabei war, sich mit neuar-
etabliert hat: erst die Bindung an eine be-        tigem Spielmaterial auseinander zu set-
stimmte Person ist Garant für ein physisches       zen. Verfolgten die Väter mit Interesse
und psychisches Überleben. Denn den Af-            und Ermutigungen kooperativ die Initia-
fektstürmen, die andrängende Bedürfnisse in        tiven des Kindes und unterstützten es da-
grosser Heftigkeit auslösen, ist das kleine        bei feinfühlig-herausfordernd mit Anre-
Kind selbst nicht gewachsen. Es bedarf einer       gungen, wenn ein Fortgang des explorie-
stellvertretenden Affektregulierung. D.h. die      renden Handelns für es unter Umständen
Bindungsperson ist jeweils aufgerufen, dem         zu schwierig schien, dann zeigte sich:
Kind im Kontakt mit diesem emotionale Si-          dass es auch am ehesten diese Väter wa-
cherheit zu „leihen“. Es muss kaum erwähnt         ren, die bereits im ersten Jahr fürsorgli-
werden, dass nur eine sichere Bindung eine         ches Engagement für den Säugling zeig-
solide Basis hierfür sein kann; und dass           ten. Andersherum waren es die wenig
durch die vielfach über sie gemachten unter-       spielfeinfühligen Väter, deren Kinder mit
stützenden Erfahrungen die Fähigkeit all-          6 und 10 Jahren in Situationen ohne El-
mählich wächst, auch mit Stress auslösenden        tern von Fachleuten eher als verhaltens-
Situationen eigenständig klar zu kommen            auffällig und als leicht zu verunsichern
(Brisch 2010, S. 38-40, Rass 2011, S. 27-32,       beurteilt wurden. Hingegen wurde den
Rass 2012).                                        16-Jährigen von Personen, die sie gut
• Erst die Gewissheit, in emotional überfor-       kannten, ein hohes Selbstvertrauen in
  dernden Situationen von der Person „auf-         neuen Situationen attestiert; sie selbst be-
  gefangen“ zu werden, die das Kind als            schrieben sie sich selbst im Gleichaltri-
  seine Bindungsperson gekürt hat, lässt es        genkontext sozial kompetent und gut in-
  seine Entwicklungschancen - das „Son-            tegriert – beides wieder dann, wenn ihnen
  derangebot der Evolution“ (siehe oben) -         der Vater als Zweijährigen im Spiel fein-
  effektiv nützen. Erst dann kann das eben-        fühlig und angemessen herausfordernd
  falls ab der ersten Stunde bestehende Ver-       begegnete. Zusammenhänge mit diesem
  langen nach “Welt-Erkundung“ in vollem           frühen Begegnungsmuster zwischen Va-
  Umfang aktiv nachgegangen werden.                ter und Kind konnten die Forscher selbst
  (Eine diesbezüglich sehr anschauliche            für das junge Erwachsenenalter nachwei-
  Darstellung findet man bei Daniel Stern          sen: War es für die Zweijährigen gege-
  1993). Am Spielverhalten unsicher ge-            ben, so konnten diese als 22-Jährige ihre
  bundener Kinder fällt auf, dass ihre Kon-        Sicht von Partnerschaft besonders offen
                                                   und differenziert darlegen, brachten sie

                                                                                            6
die Bedeutung von Bindungen für ihr Le-        den“ scheinen, können Väter unter Um-
  ben wertschätzend zum Ausdruck. (Hin-          ständen – insbesondere dann, wenn sie
  weise auf in noch höherem Alter beste-         selbst sicher gebunden aufwachsen durf-
  hende Zusammenhänge liegen nicht vor,          ten – wenig einfühlsames mütterliches
  da die die Entwicklungsverläufe verfol-        Verhalten dem Kind gegenüber frühzeitig
  gende Langzeitstudie nach 23 Jahren be-        erkennen und erforderliche Hilfe vor-
  endet wurde.)                                  schlagen. (Die „besonders enge Verbun-
• Für Väter ist es ermutigend, aus derartig      denheit“ soll möglicherweise durch (nicht
  dichten evidenzgestützten Hinweisen zu         entwicklungsfördernde!) Verwöhnung
  erfahren, welche nachhaltigen Wirkun-          aufrechterhalten werden, die sich z.B. in
  gen ihr positiver Beitrag in der frühesten     Form einer überzogenen materiellen Zu-
  Kindheit für den weiteren Lebensweg des        wendung mit Babykleidung und Funkti-
  Kindes hat. Forschungsbefunde der wie-         onsspielzeug äussert.)
  dergegebenen Art legen das Plädoyer
                                               Für die Praxis
  nahe, Vätern grundsätzlich das gleiche
  „Bindungs-Potential“ zuzusprechen wie          Verschiedene Fachzeitschriften und Rat-
  Müttern. Argumentative Unterstützung         geber zur frühen Kindheit nehmen sich den
  hierfür findet sich auch in Mütter-Väter-    Schwerpunkt „Väter “ zunehmend sorgfältig
  Gegenüberstellungen: Wurde die Qualität      und praxisorientiert vor:
  der Bindung Einjähriger zu ihrer Mutter      • Die Ratgeberliteratur konzentriert sich in
  und zu ihrem Vater mit dem identischen         verschiedenen Publikationen speziell auf
  Verfahren untersucht, so zeigte sich, dass     Väter mit Kleinkindern, so z.B. das be-
  nicht nur alle Kinder eine Bindung zum         reits zum Bestseller gewordene Papa-
  Vater aufwiesen, sondern dass der Anteil       Handbuch: www.gu.de/buecher/partner-
  der sicheren Bindungen an Väter dem der        schaft-familie/schwangerschaft-ge-
  sicheren Kind-Mutter-Bindungen ent-            burt/561001-das-papa-handbuch
  sprach (Grossmann & Grossmann 2012,          • Die Deutsche Hebammen Zeitschrift
  S. 230).                                       (www.dhz-online.de) nimmt in ihrer Aus-
• Insbesondere das im letzten Abschnitt          gabe 3/ 2017 mit sieben qualifizierten
  Gesagte lässt fragen: Wie viele gesell-        Beiträgen das Thema „Väter“ auf. Über-
  schaftliche Vorurteile und strukturelle        zeugend kommt hier zum Ausdruck, dass
  Barrieren lassen Männer – wie im Zu-           Männer für ihre grundlegend neuen Er-
  rückliegenden mehrfach angedeutet –            fahrungen fachliche Vorbereitung und
  selbst immer noch an ihrer väterlichen         Begleitung, psychische Unterstützung
  Kompetenz zweifeln bzw. sich eine sol-         und Hilfe brauchen – für den erfolgrei-
  che absprechen? Es scheint an der Zeit,        chen Wechsel in neue Lebensformen je-
  auch Konstellationen in Betracht zu zie-       doch zu einem nicht geringen Teil ekla-
  hen, in denen Väter im Verlauf der Fami-       tant andere als ihre Partnerinnen.
  lienentwicklung einen „Positions-Vor-        • Die in Deutschland weit verbreiteten El-
  teil“ haben können: Wenn beispielsweise        ternbriefe des Arbeitskreises Neue Erzie-
  Mütter nach Schwangerschaft und Geburt         hung (www.ane.de), die neuen Eltern in
  mit dem Kind „besonders eng verbun-

                                                                                        7
den ersten zwei Jahren in erhöhter Er-          Das von ihm entwickelte SAFE®-Pro-
   scheinungsdichte zur Verfügung stehen,          gramm richtet sich mit vier interaktiven
   geben Müttern und Vätern nicht nur in           Modulen an Paare (aber auch Alleinste-
   den Texten ihre eigene Gestalt. Die zahl-       hende), um sie (möglichst) ab der
   reich eingestreuten Fotos und Graphiken         20.Schwangerschaftswoche bis zum
   vertiefen diese genderbewusste Aufmerk-         Ende des ersten Kindsjahrs kompetent zu
   samkeitslenkung.                                informieren und zu begleiten. Vätern
• In der Schweiz nehmen die Elternbriefe           wird dabei in den einzelnen Modulen
  zu den ersten Lebensjahren von pro ju-           wiederholt gezielte Aufmerksamkeit ge-
  ventute den Aspekt Väter immer wieder            schenkt. So z.B., wenn in Modul I in der
  auf:         www.projuventute.ch/Eltern-         Gruppe über den „idealen Vater“ reflek-
  briefe.18.0.html.                                tiert wird; aber auch wenn in Modul II der
  Auch zum Schweizer Vätertag wurde ein            Vater ein individuelles videogestütztes
  spezieller     Väterbrief       erarbeitet:      Feedback bezüglich seiner Feinfühligkeit
  www.simg.ch/fileadmin/user_up-                   gegenüber dem Säugling erhält. Nähere
  load/PDF/V%C3%A4terbrief_Lekto-                  Informationen zum Programm und eine
  rama-1.pdf.                                      Info-DVD: www.safe-programm.de.
  Ein Extrabrief zur für den „Väterstart“ so    • Die Bundesinitiative Frühe Hilfen in
  bedeutsamen Vereinbarkeit von Familie           Deutschland konzentriert sich auf den Al-
  und Beruf liegt ebenfalls vor: shop.proju-      terszeitraum Schwangerschaft und erste
  ventute.ch/de/A~PUBL-6054/0~0~1/Ex-             drei Lebensjahre (www.fruehehilfen.de).
  trabrief-Vereinbarkeit-Familie-Be-              Ihre gendersensibel formulierte Program-
  ruf?hi=250.00&hl=2.                             matik findet in den Qualifizierungsmodu-
                                                  len für die die Initiative in den Familien-
                                                  welten praktisch umsetzenden „Familien-
   Speziell auf Väter im Frühbereich ausge-
richtete Programme und Unterstützungsan-          hebammen“ immer wieder ihren sichtba-
gebote gibt es noch kaum, jedoch werden die       ren Niederschlag: „Müttern und Vätern
Väter in vielen Elternprogrammen zuneh-           sowie schwangeren Frauen und werden-
mend gezielt angesprochen:                        den Vätern sollen (..) Beratung und Hilfe
                                                  in Fragen der Partnerschaft und des Auf-
• Die „Elternlehre“, die in der Schweiz zu-
                                                  baus elterlicher Erziehungs- und Bezie-
  nehmend auf Interesse stösst, versucht ei-      hungskompetenzen angeboten werden“
  nen bewusst inklusiven Ansatz in ihren          (Modul 1, S. 9). In eigenen von der Initi-
  Angeboten zum Baby- und Kleinkindal-            ative veranstalteten Tagungen findet zu-
  ter     (www.elternlehre.ch/baby--klein-
                                                  dem eine gezielte Konzentration auf den
  kind/).
                                                  Themenkreis            „Väter“        statt:
• Karl Heinz Brisch gibt sein bindungsba-         www.fruehehilfen.de/wir-ueber-
  siertes Wissen nicht nur in Form zahlrei-       uns/nzfh-tagungsdokumentationen/work-
  cher        Publikationen         weiter:       shop-vaeter-im-kontext-frueher-hil-
  www.klett-cotta.de /buch/Erziehungsrat-         fen/inhalte-der-vortraege-und-ergeb-
  geber/SAFE%C2%AE_-_Sichere_Aus-                 nisse-des-workshops/?L=0.
  bildung_fuer_Eltern/5858.
                                                • An der Schnittstelle von präventiven und
                                                  korrektiven Angeboten sind Vater-Kind-

                                                                                           8
Urlaube und Vater-Kind-Kuren zu sehen,       Kretz, Sebastian (2016): Spracherwerb. Die
  die in Deutschland bereits eine längere          Macht der Wörter. In: GEO, Schweizer
  Tradition haben und die in den letzten 10        Ausgabe 09, S. 30-41.
  Jahren deutlich zugenommen haben (           Meltzoff, Andrew & Moore, Keith (1989):
  siehe zum Beispiel www.muettergene-              Imitation in newborn infants: Exploring
  sungswerk.de/vaterkuren.html). Ein ent-          the range of gestures imitated and the
  sprechendes Angebot in der Schweiz               underlying mechanisms. Developmen-
  existiert nicht. Doch bietet derzeit die         tal Psychology 25, S. 954-962.
  Reka Väter-Kinderwochen für getrennt o-
                                               Pedrina, Fernanda (2012): Vaterschaft im
  der geschieden lebende Väter an:                 Kontext postnataler familiärer Krisen.
  www.reka.ch/de/sozialeangebote/ferien-           Selbsterleben und Entwicklungspro-
  hilfe/seiten/vaeter-kinderwo-                    zesse. In H. Walter/ A. Eickhorst (Hrg.),
  chen.aspx%20.                                    Das Väterhandbuch. Theorie, For-
                                                   schung, Praxis. Giessen: Psychosozial,
Ausgewählte Literatur                              S. 243-264.
Baumgarten, Diana; Wehner, Nina;               Portmann, Adolf (1951): Biologische Frag-
   Maihofer, Andrea & Schwiter, Karin              mente zu einer Lehre vom Menschen.
   (2016): „Wenn Vater, dann will ich              Basel: Schwabe.
   Teilzeit arbeiten“. Die Verknüpfung von
   Berufs- und Familienvorstellungen bei       Rass, Eva (2008): Vater-Kind-Mutter. Die
   30-jährigen Männern aus der deutsch-            Bedeutung des Vaters für das Kind bei
   sprachigen Schweiz. In: GENDER,                 einer depressiven Erkrankung der Mut-
   Sonderhelft 4, S. 76-91.                        ter. In H. Walter (Hrsg.), Vater, wer bist
                                                   du? Auf der Suche nach dem „hinrei-
Brisch, Karl Heinz (2010): SAFE. Sichere           chend guten“ Vater. Stuttgart: Klett-
    Ausbildung für Eltern. Sichere Bindung         Cotta, S. 150-174.
    zwischen Eltern und Kind. Für Schwan-
    gerschaft und erste Lebensjahre. Stutt-    Rass, Eva (2011): Bindungen und Sicherheit
    gart: Klett-Cotta.                             im Lebenslauf. Psychodynamische Ent-
                                                   wicklungspsychologie. Stuttgart: Klett-
Dornes, Martin (1993): Der kompetente              Cotta.
   Säugling. Die präverbale Entwicklung
   des Menschen. Frankfurt am Main.: Fi-       Rass, Eva (2012, Hrsg.): Allan Schore:
   scher.                                          Schaltstellen der Entwicklung. Eine
                                                   Einführung in die Theorie der Affektre-
Fivaz-Depeursinge, Elisabeth; Corboz-              gulation mit seinen zentralen Texten.
    Warnery, Antoinette (2001): Das pri-           Stuttgart: Klett-Cotta.
    märe Dreieck. Vater, Mutter und Kind
    aus entwicklungstheoretisch-systemi-       Schwinn, Lisa; Frey, Britta (2012): Der Va-
    scher Sicht. Heidelberg: Carl-Auer-Sys-       ter in der familiären Triade mit dem
    teme.                                         Säugling. Das Lausanner Trilogspiel in
                                                  Forschung und Beratung. In: H. Walter/
Grossmann, Karin & Grossmann, Klaus E.            A. Eickhorst (Hrsg.): Das Väter-Hand-
    (2012): Bindungen – das Gefüge psy-           buch. Theorie, Forschung, Praxis. Gies-
    chischer Sicherheit. 5. vollst. überarb.      sen: Psychosozial, S. 265- 297.
    Auflage. Stuttgart: Klett-Cotta.

                                                                                          9
Stamm, Margrit (2016): Väter Wer sie sind     Traxl, Bernd (2016): Pavel empfängt das
    Was sie tun Wie sie wirken. Dossier           Trojanische Pferd oder Die Unaus-
    „Väter“ Universität Zürich 2016:              weichlichkeit transgenerationaler Trau-
    http://www.margritstamm.ch/doku-              mata. In J. Huber/ H. Walter (Hrsg.),
    mente/dossiers/249-vaeter-wer-sie-            Der Blick auf Vater und Mutter. Wie
    sind-was-sie-tun-wie-sie-wirken-              Kinder ihre Eltern erleben. Göttingen:
    1/file.html [02.05.2017].                     Vandenhoeck & Ruprecht, S. 215-236.

Stern, Daniel (1993): Tagebuch eines Babys.   Von Klitzing, Kai (2002): Vater – Mutter -
    Was ein Kind sieht, spürt, fühlt und         Säugling. Von der Dreierbeziehung in
    denkt. München: Piper.                       den elterlichen Vorstellungen zur realen
                                                 Eltern-Kind-Beziehung. In H. Walter
Strüber, Nicole (2016): Die erste Bindung.       (Hrg.), Männer als Väter. Sozialwissen-
    Wie Eltern die Entwicklung des kindli-       schaftliche Theorie und Empirie. Gies-
    chen Gehirns prägen. Regensburg:             sen: Psychosozial, 783-810.
    Klett-Cotta.
                                              Von Klitzing, Kai & Stadelmann, Stephanie
                                                 (2011): Das Kind in der triadischen Be-
                                                 ziehungswelt. Psyche – Zeitschrift für
                                                 Psychoanalyse 65, S. 953-972.

                                                                                      10
Väter und Stillen
                                                              Andreas Borter & Remo Ryser

Ausgangslage                                    stark auf das körperliche Erleben aus und hat
                                                einschneidende Auswirkungen auf die Sexu-
   Die Ausgangslage ist klar: Stillen hat
viele Vorteile. Die Muttermilch ist gesund.     alität. Stillende Mütter sind in den ersten
                                                Monaten punkto Körperkontakt oft so gesät-
Die gestillten Kinder sind beispielsweise
                                                tigt, dass für Zärtlichkeiten mit dem Partner
weniger krank und erleiden seltener den ge-
                                                kaum noch ein Bedürfnis besteht. Zudem
fürchteten plötzlichen Kindstod. Und auch
                                                trägt Prolaktin mit seiner leicht lustmindern-
die Kosten für teuer Ersatzprodukte fallen
                                                den Wirkung dazu bei, dass die Libido der
weg.
                                                Partnerin im ersten Jahr nach der Geburt oft
   Die Kindsmutter erlebt das Stillen in der
                                                nur langsam wiedererwacht. Für Väter kann
Regel als eine erfüllende Aufgabe. Es er-
                                                es in dieser Situation zu einer Herausforde-
möglicht ihr eine intensive Beziehung zum
                                                rung werden, einen guten Umgang damit zu
Baby. Zugleich stellt das Stillen für viele
                                                finden. Das heisst, dass die Väter einerseits
Mütter eine grosse Anstrengung dar, welche
                                                ihrer Partnerin mit einer rücksichtsvollen
auch beschwerlich und schmerzhaft werden
                                                Haltung begegnen und andererseits aber
kann. Einige Stillende fühlen sich zudem
                                                auch ihre eigenen Gefühle und Bedürfnisse
durch nächtlichen Schlafentzug unkon-
                                                nicht verleugnen.
zentriert und vergesslich, unter Umständen
                                                    Werdende Eltern sollten bereits vor der
reagieren Stillende besonders empfindsam.
                                                Geburt auf dieses «Wechselbad der Ge-
   Für die frischgebackenen Väter stellt die
                                                fühle» vorbereitet werden und darum wis-
Phase des Stillens ebenfalls eine neue und
                                                sen, dass es vielen anderen Paaren ähnlich
herausfordernde Situation dar. Sie erleben
                                                wie ihnen geht.
die Partnerin in einer neuen Rolle, was ge-
mischte Empfindungen hervorrufen kann: so
                                                Herausforderungen und Lösungsansätze
löst die erlebte Nähe zwischen Mutter und
Kind bei manchen Vätern Gefühle der «Be-           Für die Beratung von Vätern besteht
drohung» und Momente von Neid und Eifer-        heute die Herausforderung, ihnen ihre wich-
sucht aus. Auch kann sich der Vater auf eine    tige Funktion beim Stillen aufzuzeigen.
Beobachterrolle reduziert fühlen und sich       Viele Studien belegen, dass die Einstellung
fragen, wie er zum «Geschehen» überhaupt        des Vaters für den Stillerfolg und die Still-
positiv beitragen kann. Manchen Vätern          dauer entscheidend ist. In Bayern beispiels-
kommen Zweifel auf, ob sie angesichts der       weise fragte eine Untersuchung (Kohlhuber
hier entstehenden engen Mutter-Kind-Be-         et al. 2008) zum Stillverhalten nach dessen
ziehung überhaupt einen eigenen Platz in        Einstellung zum Stillen. War seine Meinung
den Familienbeziehungen haben.                  positiv, stillte die Mutter 22mal häufiger,
   Das Stillen ist ein sehr körperlicher Vor-   verglichen mit Elternpaaren, bei denen sich
gang. Damit wirkt er für beide PartnerInnen     der Partner negativ zum Stillen äusserte.

                                                                                           11
Auch auf die Stilldauer hatte seine Meinung      • Mit dem Vater alternative Care-Bei-
einen Einfluss: Neben Stillproblemen und           träge mit dem Baby thematisieren.
Rauchen war die ablehnende Haltung des             Auch diese ermöglichen intime Momente
Vaters einer der ausschlaggebendsten Fakto-        der Zweisamkeit: Zum Beispiel organi-
ren, dass die Eltern vor dem vierten Monat         sieren sich manche Paare untereinander
des Kindes Nahrungsergänzungsmittel ein-           so, dass «Sie» für’s Stillen (Input) und
setzten oder abstillten (Die Wahrscheinlich-       «Er» für das Wickeln (Output) oder Ba-
keit erhöht sich um den Faktor 2,36). Auch         den verantwortlich ist. Hier ist es beson-
eine weitere Studie zeigt: Väter spielen eine      ders wichtig, dem Vater auch eine aktive
herausragende Rolle in den Dimensionen Er-         und gestaltende Rolle anzuerkennen und
mutigung,      Entscheidungen,     Vertrauen       ihn dabei wertzuschätzen.
(Abou-Dakn 2009).                                • Das Thema «Abpumpen» mit Vätern
   Davon ausgehend können in der beraten-          aktiv ansprechen. Abpumpen hat direk-
den Praxis mit dem Vater die konkreten Sze-        ten Einfluss auf die Möglichkeiten der
narien besprochen werden, wie er einen             Vereinbarung von Beruf und Familie. Es
wichtigen Beitrag zum Stillen leisten kann:        muss erlernt werden, was oft Geduld und
• Dem Vater konkrete Hinweise und                  allenfalls gar professionelle Unterstüt-
  Ideen mitgeben, wie er eine stillende            zung erfordert. Väter denken oft kaum
  Mutter konkret unterstützen kann,                daran, dass das Abpumpen für sie Vor-
  z.B. durch                                       teile mit sich bringen kann. Denn mit ab-
   -   im Arm halten von Partnerin und             gepumpter Milch können auch Väter ihr
       Kind beim Stillen und gemeinsamem           Kind ab und zu „stillen“. Vätern bietet
       Erleben von Nähe                            sich auf diese Weise eine Gelegenheit,
   -   Vorlesen für Mutter und Kind beim           das Kind selbstverantwortlich zu „beva-
       Stillen, um auch den Hunger nach            tern“ und die „Ernährerrolle“ einzuüben.
       geistiger Nahrung zu stillen              • Den Vater ermutigen, über seine eigene
   -   dafür sorgen, dass die Partnerin am         Situation und seine Bedürfnisse nach-
       Tag auch kinderfreie Zeiten hat, um         zudenken. Es ist wichtig, dass er trotz
       sich zu erholen etc.                        dieser im Vordergrund stehenden intensi-
• Dem Vater die Bedeutung eines «Nest-             ven Mutter-Kind-Beziehung nicht ver-
  gestalters» aufzeigen. Bekanntlich redu-         gisst, was er in dieser Situation braucht
  zieren Stresshormone bei der Mutter den          und was ihm guttut. Vielleicht braucht
  Milchfluss. Das heisst, ein ruhiges, ge-         auch er Unterstützung, um mit seinen
  schütztes Ambiente ist fürs Stillen sehr         Fragen und Gefühlen zurecht zu kom-
  zuträglich. Der Vater kann dazu beitra-          men? Vielleicht braucht er den Hinweis
  gen, indem er beispielsweise Besuche ko-         auf entsprechende Beratungsmöglichkei-
  ordiniert, die Mutter im Haushalt entlas-        ten? Vielleicht wäre ein Gespräch mit an-
  tet, vor dem Stillen den Stillplatz mit Kis-     dern Vätern hilfreich, und er braucht Hin-
  sen einrichtet oder sich geduldig gegen-         weise, wo sich eine Gelegenheit dazu fin-
  über ihren allfälligen Stimmungsschwan-          det….
  kungen zeigt.                                  • Den Vater auf den Moment vorberei-
                                                   ten, wenn eine Mutter des Stillens ein-
                                                   mal überdrüssig ist. Da kann es wichtig

                                                                                          12
werden, dass der Vater durch seine Hal-       leben. Optimalerweise werden in diesem Zu-
   tung nicht einen raschen Abbruch unter-       sammenhang u.a. auch Informationen rund
   stützt, sondern seinerseits im Abwä-          um die kindliche Entwicklung sowie bei-
   gungsprozess der Mutter nochmals auf          spielsweise auch zum Babyblues (vgl. u.a.
   die verschiedenen Vorteile des Stillens       separates Factsheet «Babyblues bei Vätern»)
   aufmerksam macht.                             vermittelt.
• Gemeinsame Gespräch übers Abstillen                Informationen zum Thema Väter und
  ermöglichen. Andrerseits kann der Vater        Stillen in vatergerechter Sprache aufbe-
  mithelfen, die Frage des Abstillens nicht      reiten. Väter äussern in Befragungen und
  zu einem Tabuthema zu machen. Im Ge-           Studien wiederholt, dass sie sich mehr Infor-
  genteil soll es zu einem Bereich der ge-       mationen zu den Vorteilen des Stillens wün-
  meinsamen Verantwortung und der „Fa-           schen: Einfach zugänglich, kurz und präg-
  milienplanung“ werden. Immer häufiger          nant, mit Zahlen und Fakten gestützt, gän-
  ist dies auch direkt mit dem beruflichen       gige Still-Mythen hinterfragend, sowie er-
  Wiedereinstieg von Frauen verbunden.           gänzend mit konkreten Beispielen und prak-
  Dieses Thema darf und muss frühzeitig in       tischen Tipps, wie sie die ersten Wochen
  einem partnerschaftlichen Dialog bespro-       nach der Geburt aktiv mitgestalten kön-
  chen werden. Dabei sind die Interessen         nen.(Sheriff, Nigel et al. 2014). Werden die
  des Kindes, der Mutter und auch des Va-        Informationen von verschiedenen Fachper-
  ters miteinander abzuwägen.                    sonen im Grundsatz gleich vermittelt,
                                                 kommt dies bei Vätern besonders gut an. So
Für die Praxis                                   gestärkte Väter treten auch eher als Mei-
   Erfahrungen und Studien zeigen ver-           nungsbildner im erweiterten Umfeld (Gos-
schiedene erfolgsversprechende Möglich-          seltern, Peer-Group etc.) auf, das den Still-
keiten, die Väter in der Stillthematik mitein-   entscheid massgeblich mit beeinflusst.
zubeziehen:                                          Einen vorgeburtlichen Stillkurs expli-
   Im Rahmen der Begleitung vor- bzw.            zit für Väter durchführen. Erste Umset-
nachgeburtlich ein Vater-Gesprächsfens-          zung zeigen: Nimmt der Vater an einem va-
ter anbieten: Solche persönlichen Gesprä-        terspezifischen vorgeburtlichen 2h-Kurs teil,
che mit der Hebamme oder mit einem Väter-        kombiniert mit einem freiwilligen Bera-
berater ermöglichen es, das Thema Stillen        tungsangebot nach der Geburt, erhöht sich
gendergerecht anzusprechen und Väter mit         der Stillerfolg sechs Wochen nach der Ge-
ihren Fragen, Sorgen und Bedürfnisse abzu-       burt signifikant (81,6% versus 75,2% bei der
holen. Väter zeigen gemäss Studien bei-          Kontrollgruppe) (Brown et al. 2014). Dieser
spielsweise besonderes Interesse, mehr über      Kurs kann entweder im Rahmen eines Ge-
möglicherweise auftretende Stillprobleme         burtsvorbereitungskurses einmalig angebo-
zu erfahren. Sie möchten ihre Partnerin in       ten werden. Oder aber als kontinuierliche
solchen Fällen aktiv unterstützen können         Austauschgruppe für werdende und junge
und sich dazu im Vorfeld Handlungswissen         Väter, in der verschiedene Themen rund um
aneignen. Dies passt zur Wahrnehmung,            die ersten Wochen nach der Geburt (Stillen,
dass Väter sich vielfach als erste «Anlauf-      Pflege von Neugeborenen, Kinderbetreuung
stelle» ihrer Partnerin bei Schwierigkeit er-    in den ersten Monaten, Sexualität etc.) ange-

                                                                                           13
sprochen werden. Als zentraler Erfolgsfak-         Hilfe zu holen. Werden sie frühzeitig und
tor erwies sich bisher eine gleichgeschlecht-      wiederholt auf Hilfs- und Vernetzungsange-
liche Moderation durch einen Mann/Vater.           bote hingewiesen, fällt zumindest die
    Still(vorbereitungs-)kurse für Vater           Schwelle der Informationssuche im Dickicht
und Mutter gemeinsam anbieten. Einen               der Beratungs- und Unterstützungsangebote
Stillkurs gemeinsam mit Männern zu besu-           weg. Mit der MenCare-Schweiz-Landkarte2
chen, mag für einige Mütter eine unge-             besteht bereits eine Übersicht mit Anregun-
wohnte Vorstellung sein und Verunsiche-            gen und Unterstützungsangebote für Männer
rungen auslösen. In Australien ist dies je-        und Väter, die Verantwortung für sich und
doch bereits eine gängige Praxis und es wer-       andere wahrnehmen wollen. Die Landkarte
den gute Erfahrungen gemacht1. In den Kur-         verlinkt Angebote im Bereich Beratung,
sen wird die gemeinsame Verantwortung be-          Austausch sowie Bildung und verweist auf
tont, wobei auch das gute Mass und Timing          Informationsmaterialien zu einzelnen Stich-
seitens des Vaters Thema ist. Denn: Zuviel         worten und Themen wie Geburt und Vater-
«Einmischung» durch den Vater bzw. zum             schaft, Familie und Partnerschaft, Sorge um
unpassenden Zeitpunkt kann das Stillen auch        sich, Betreuungsunterstützung, Finanzen
hemmen, wie einzelne Studien zeigen.               etc.
    Paargespräche zum Thema Stillen und
Wochenbett in der Geburtsvorbereitung              Ausgewählte Literatur
initiieren. Eine Vielzahl aktueller Studien        Abou-Dakn Michael (2009): Einfluss des
aus Europa und dem angelsächsischen Raum              Vaters auf das Stillen. Vortrag beim
belegen übereinstimmend, dass die Mehrheit            Fachtag Bremen.
der Männer/Väter gegenüber dem Stillen po-
                                                   Arbeitsgemeinschaft freier Stillgruppen
sitiv (oder zumindest neutral) eingestellt             (AFS (2012): Stillkinder brauchen Ihren
sind. Einzelne Gruppen wie junge Väter und             Vater.       Bonn:       http://www.afs-
solche mit tiefen Einkommen und Bildungs-              stillen.de/images/faltblaetter/fb_11.pdf
niveau zeigen sich jedoch dem Stillen ge-              Download 21.4.17
genüber kritisch(er) (Sheriff et al. 2014).
                                                   Brown, Amy & Davies, Ruth (2014): Fa-
Insbesondere dem Stillen in der Öffentlich-
                                                      thers' experiences of supporting breast-
keit begegnen diese häufiger als Vergleichs-          feeding: challenges for breastfeeding
gruppen mit Ablehnung. Paarkurse mit In-              promotion and education. In: Journal
formationen und Austausch können dazu                 Maternal & Child Nutrition, 10/2014,
beitragen, Vorurteile und Ängste abzubauen            S. 510 – 526
und einen partnerschaftlich getragenen Ent-
scheid zu fällen.
    Hilfesuchendes Verhalten bei Vätern
unterstützen. Wenn es in den ersten Wo-
chen nach der Geburt schwierig wird, ist es
für viele Väter kein einfacher Schritt, sich

   1
     Die Kurse finden sie beispielsweise unter:    ren.net.au/articles/birth_clas-
www.pregnancybirthbaby.org.au/breastfeeding-for-   ses_dads.html/context/1385 oder www.breastfee-
fathers, www.mrdad.com.au/, www.raisingchild-      ding.asn.au/classes?state_province=1638
                                                       2
                                                         http://www.mencare.swiss/de/landkarte

                                                                                              14
Flemming Olivia (2014): “‘Men think            Kohlhuber, Martina; Rebhan, Barbara;
    breastfeeding ist gross – we’re here to       Schwegler, Ursula; Koletzko, Berthold;
    tell them it’s not: Dads pose in gender-      Fromme, Hermann (2008): Breastfeed-
    bending campaign to show their support        ing rates and duration in Germany: a Ba-
    for nursing”. [online]: www.dail-             varian cohort study. British Journal of
    ymail.co.uk/femail/article-                   Nutrition, 99, S. 1127–1132
    2573875/Understanding-wifes-body-
    makes-better-father-Dads-pose-gender-      Richter, Robert & Schäfer Eberhard (2016):
    bending-breastfeeding-campaign-sup-            Das Papa-Handbuch: Alles, was Sie
    port-nursing.html. [10.05.2017]                wissen müssen zu Schwangerschaft,
                                                   Geburt und dem ersten Jahr zu dritt.
    Dazu auch Bilder des Projects Breast-          Gräfe und Unzer
    feeding       zu     finden       unter:
    http://time.com/19959/if-i-could-i-        Sherriff, Nigel; Hall, Valerie & Panton,
    would-photographs-of-breastfeeding-            Christina (2014): Engaging and sup-
    dads/ [11.05.2017].                            porting fathers to promote breast feed-
                                                   ing: A concept analysis. In: Midwifery
                                                   Journal 30/2014, S. 667 – 677

                                                                                       15
Väter und Babyblues
                                                                                  Remor Ryser

Ausgangslage                                     che Schmerzzustände, sexuelle Lustlosig-
                                                 keit). Der Zustand ist häufig begleitet von ei-
   Väter können wie Mütter unmittelbar
nach der Geburt in ein psychisches Tief fal-     ner gefühlten Distanz oder gar innerlichen
                                                 Trennung von der Partnerin und dem Kind
len, auch bekannt unter dem Begriff Baby-
                                                 sowie eine erhöhte Ängstlichkeit im Um-
Blues. Wie bei Müttern klingt dieser Zustand
                                                 gang mit dem Neugeborenen. Dabei treten
bei den meisten Vätern nach wenigen Tagen
                                                 deutliche geschlechtsspezifische Unter-
bis innerhalb der ersten zwei Monate wieder
                                                 schiede auf: Während bei Frauen eher der
ab. Bei Müttern und in der neueren For-
                                                 Erschöpfungszustand dominiert, neigen
schung auch bei Vätern wird dies mitunter
                                                 Männer eher zu erhöhter Reizbarkeit, Ag-
im Zusammenhang mit der Hormonumstel-
lung und Veränderungen im Hormonspiegel          gressivität und impulsiven Handlungen. Zu-
                                                 dem lässt sich aufgrund bisheriger Resultate
nach der Geburt erklärt. Bei einem von acht
                                                 vermuten, dass Väter häufiger dazu tendie-
oder je nach Studie einem von 20 Vätern
                                                 ren, ihr Befinden zu verleugnen und sich von
steigert sich das psychische Loch in den ers-
                                                 diesem zu distanzieren. Sie werden bei-
ten Wochen und Monaten nach der Geburt
                                                 spielsweise zynisch, stürzen sich in die Ar-
zu einer väterlichen Wochenbettdepression
                                                 beit ausser Haus, neigen zu Suchtverhalten
weiter, in Fachkreise als paternale postpar-
                                                 (Alkohol, TV, Neue Medien, Spielsucht) o-
tale Depression (pPPD) bekannt. Diese ent-
                                                 der gehen fremd.
steht typischerweise eher schleichend, hält
                                                    Auf das väterliche Bonding, dem emotio-
längere Zeit an und ist statistisch betrachtet
                                                 nalen Beziehungsaufbau zwischen Vater
drei bis sechs Monate nach der Geburt am
                                                 und Kind, kann dies erschwerend wirken.
stärksten ausgeprägt. Schlafmangel – der in
                                                 Auch wenn bezüglich des Grundinteresses
dieser Phase besonders oft auftritt – sowie
                                                 für die Vater-Kind-Beziehung zwischen be-
Paarkonflikte wirken dabei häufig als unmit-
                                                 troffenen und nicht-betroffenen Vätern
telbare Auslöser. Die pPPD versteht die heu-
                                                 keine relevanten Unterschiede erfasst wer-
tige Forschung als erstmaliges Hervortreten
                                                 den können, weisen einzelne Studien darauf
von depressiven Dispositionen unter der
Herausforderung der Vaterwerdung.                hin, dass sich betroffene Väter weniger häu-
                                                 fig aktiv mit ihren Kindern beschäftigen.
   Die Symptomatik der pPPD gleicht einer
                                                 (Beispielsweise weniger mit ihnen spielen
herkömmlichen Depression: Niedergeschla-
                                                 und Geschichten erzählen). Erklärt werden
genheit, ein Verlust von Energie und Freude,
                                                 kann dies mitunter damit, dass es betroffe-
erhöhte Ermüdbarkeit, Schuld- und Überfor-
                                                 nen Vätern schwerer fällt, Fürsorglichkeit,
derungsgefühle, Konzentrationsschwierig-
                                                 Wärme und Sensibilität gegenüber dem
keiten sowie psychosomatische Beschwer-
                                                 Neugeborenen zu entwickeln. Sie sind
den (Appetit- und Schlafstörungen, körperli-
                                                 schneller irritierbar im Beziehungsaufbau

                                                                                             16
und entwickeln mit der Zeit häufiger eine       sozialen Umfeld (Verwandte, Freunde, Insti-
ambivalente bis ablehnende Haltung zum          tutionen) in Anspruch zu nehmen, sie suchen
Kind.                                           diese hingegen eher bei der Partnerin.
   Grundsätzlich sind die Auswirkung einer         Väter, bei denen ein pPPD auftritt, verfü-
pPPD auf Kind und Umfeld jedoch noch we-        gen über einen unterdurchschnittlich ausge-
nig erforscht. Die Forschung weist einzig       prägten Kohärenzsinn (Sense of Coherence,
bisher deutlich darauf hin, dass eine pPPD      im Sinne eines durchdringenden, lebendigen
bei Vätern und Müttern die Kinder unter-        Gefühls des Vertrauens, das sich aus Klar-
schiedlich stark beeinflusst: Eine Depression   heit, Handlungskraft und Sinngebung nährt).
des Vaters wirkte sich mehr als doppelt so      Einerseits zeigen sie ein erhöhtes subjektives
häufig negativ auf die Psyche der Jungen als    Stressempfinden, d.h. sie nehmen stressaus-
auf die der Mädchen aus. Eine Wochenbett-       lösende Situationen eher bedrohlich wahr.
depression der Mutter hingegen beeinflusste     Andererseits machen sie weniger Gebrauch
beide Geschlechter ähnlich stark. Einige        von sozialen, materiellen und psychologi-
Studien deuten zudem auf ein erhöhtes Ri-       schen Ressourcen. Zudem gibt es Hinweise,
siko bei Kindern – insbesondere Söhnen –        dass bei betroffenen Vätern bereits in der
depressiver Väter hin, zu einem späteren        Schwangerschaftsphase häufiger Zukunfts-
Zeitpunkt eine psychiatrische Erkrankung o-     sorgen rund um die neue Aufgabe und Le-
der Verhaltensstörung zu entwickeln.            benskonstellation auftauchen und bei ihnen
                                                die Vorstellungen zur Vaterrolle und die ein-
Herausforderungen und Lösungsansätze            tretende Realität (bezüglich veränderter Ta-
   Von einer pPPD sind besonders Männer         gesstruktur, Paarbeziehung, Beziehungsauf-
betroffen, die in der Vergangenheit entweder    bau mit dem Baby) deutlicher auseinander-
eine eigene Depression oder eine Depression     klafft.
der Partnerin erlebt haben. Zudem erhöht           Teilweise sind auch weitere Risikofakto-
eine ppD bei der Mutter die Wahrscheinlich-     ren belegt, beispielweise Armut, mangelnde
keit, dass auch der Vater die Symptome ent-     Unterstützung des sozialen Netzwerkes,
wickelt.                                        Suchtmittelmissbrauch (z.B. erhöhter Alko-
   Weiter zeigen statistische Betrachtungen,    holkonsum), Arbeitslosigkeit oder Druck am
dass betroffene Väter die Zufriedenheit mit     Arbeitsplatz, Schwangerschaft in der Ado-
der Paarbeziehung tiefer als Nicht-Be-          leszenz, Kriminalität, Leben in Illegalität
troffene beurteilen und ihre Partnerin weni-    bzw. ohne gesicherten Aufenthalt. Hingegen
ger unterstützend in der Rollenfindung als      gibt es bisher keine oder widersprüchliche
Vater und auch weniger vermittelnd im Be-       Studienergebnisse zu den Einflussfaktoren
ziehungsaufbau mit dem Kind erfahren. Un-       Alter, Beziehungsstatus, Bildungsniveau o-
klar ist, ob die nicht zufriedenstellende       der Erstgeburt. Insbesondere in Bezug auf
Paarbeziehung die väterliche Depression         die gesammelten Erfahrungen als Vater
mitverursacht oder im Gegenteil die Depres-     bleibt die Frage bisher unbeantwortet, ob sie
sion die Qualität der Paarbeziehung ver-        eher eine Ressource (im Sinne von angeeig-
schlechtert. Insgesamt sind betroffene Väter    neter Kompetenz) oder eine Belastung (im
seltener bereit, Unterstützung im weiteren      Sinne einer Verantwortung für mehrere Kin-
                                                der) darstellen. Im Gegensatz zu obenge-
                                                nannten pPPD begünstigenden Belastungen

                                                                                           17
ist noch wenig bekannt über jene Faktoren,         Screening-Aufgaben Anamnesegespräche
die einer pPPD entgegenwirken oder davor           mit den werdenden Eltern getrennt. Ein sol-
schützen (Resilienz- und Schutzfaktoren).          ches Vorgehen trägt dazu bei, die Hemm-
    Allgemein gilt: Nicht alle Väter erkran-       schwelle bei Vätern zu reduzieren, über per-
ken, die erhöhte Risiken tragen oder ausge-        sönliche und/oder belastende bzw. tabui-
setzt sind. Entscheidend ist der Umgang mit        sierte Themen zu sprechen. Gleiches gilt für
den erwähnten Risikofaktoren. D.h., aus-           Gesprächs- und Beratungsangebote in denen
schlaggebend ist, ob und in welchem Aus-           Männer unter sich sind beziehungsweise von
mass den Vätern Ressourcen zur Verfügung           Mann zu Mann geschehen, z.B. durch Ange-
stehen, um die sonst schon erhebliche An-          bote in Geburtsvorbereitungskursen oder
passungsleistung im persönlichen, partner-         durch beratende Männer auf Mütter- und
schaftlichen und beruflichen Bereich unter         Väterberatungsstellen.
diesen erschwerten Bedingungen zu bewäl-              Zeichnet sich eine pPPD-Gefährdung ab,
tigen.                                             bewährt sich eine Kombination von kompe-
                                                   tenzsteigernden und entlastenden Massnah-
Für die Praxis                                     men, um die Stressbelastung und das Gefühl
   In der Begleitung der Eltern rund um die        von Überforderung möglichst zu reduzieren.
Geburt sowie in der Aus- und Weiterbildung         Beispiele sind die Entwicklung eines Unter-
von Fachpersonen steht meistens die Mutter         stützungs- und Entlastungsplans im Bereich
im Zentrum. Um die Väter nicht aus dem             Familie, Beruf und Eigenzeit oder die Aus-
Blick zu verlieren, gilt es, die väterliche Per-   dehnung bzw. Intensivierung der Beglei-
spektive und Betroffenheit häufiger einzube-       tung. Auf jeden Fall sollten pPPD-betroffene
ziehen – nicht nur, aber auch in Bezug auf         Väter dazu ermuntert werden, professionelle
die Prävention und Früherkennung von post-         psychologische und/oder ärztliche Hilfe in
partaler Depression.                               Anspruch zu nehmen. Auch aufgrund des er-
   Fachpersonen, die Eltern nach der Geburt        höhten Suizidrisikos bei einer depressiven
betreuen, sollten deshalb achtsam sein, nicht      Erkrankung erachten Fachpersonen eine
nur das biopsychosoziale Befinden der Mut-         pPPD als dringend behandlungsbedürftig.
ter, sondern auch jenes des Vaters sowie des          Babyblues und postnatale Depression bei
Paares insgesamt zu beachten. Insbesondere         Männern? Das löst teilweise auch weiterhin
wenn sich in den pränatalen Gesprächen Ri-         ungläubiges Kopfschütteln, fragende Blicke
sikofaktoren wie z.B. eine frühere oder aktu-      oder irritierte Reaktionen aus – nicht nur in
elle depressive Episode bei dem Partner oder       der Öffentlichkeit, sondern auch in Fach-
der Partnerin zeigen. Mit dem „Edinburgh           kreisen. Entsprechend ist es wünschenswert,
Postnatale Depression Skala“ steht dazu ein        dass die Thematik in die Aus- und Weiter-
Fragebogen zur Verfügung, der beiden El-           bildung von Fachpersonen rund um Schwan-
ternteilen separat abgegeben und danach in-        gerschaft, Geburt und Wochenbett integriert
dividuell und/oder gemeinsam besprechen            wird. Ist von maternaler postpartaler Depres-
(siehe unter Literatur).                           sion die Rede, gilt es auch auf die paternale
   Studien zeigen, dass Väter oft das Gefühl       - väterliche - Form hinzuweisen. In diesem
haben, mit ihren Bedürfnissen übersehen            Zusammenhang sind auch vermehrte ge-
und nicht gehört zu werden. Teilweise füh-         zielte Forschungsvorhaben wünschenswert,
ren Hebammen inzwischen im Rahmen ihrer

                                                                                             18
beispielsweise zu pPPD-spezifischen Resili-      Kunz, Elisabeth; Sidor Anna; Eickhorst, An-
enz- und Schutzfaktoren, zu milieuspezifi-          dreas & Cierpka Manfred (2012). Zu-
schen Unterschieden sowie zu den konkreten          sammenhänge zwischen elterlicher de-
                                                    pressiver Symptomatik, Stressbelastung
Auswirkungen auf die kindliche Entwick-
                                                    und Kohärenzgefühl in Risikofamilien.
lung.                                               Zeitschrift Prävention & Gesundheits-
   Sinnvollerweise wird zur pPPD auch prä-          förderung. In: Prävention und Gesund-
natal im Rahmen von Geburtsvorbereitungs-           heitsförderung 7 (4), S.266-273.
kursen oder (Hebammen-)Gesprächen infor-
miert und sensibilisiert. Dabei sollte ein be-   Meier, Daniela & Butcher, Fiona Ann
                                                    (2013). Wenn Väter traurig sind – De-
sonderes Augenmerk auf die Aufklärung
                                                    pression bei Männern nach der Geburt
über Schutz- und Resilienzfaktoren gelegt           des Kindes. Bachelor-Thesis. Zürich:
werden. Beispielsweise kann in diesem Zu-           Berner Fachhochschule, Fachbereich
sammenhang auf die Bedeutung einer akti-            Gesundheit, Bachelor of SchienceS
ven Gestaltung einer Vater-Kind-Beziehung           Hebamme.
hingewiesen und Wege aufgezeigt werden,
                                                 Philpott, Lloyd Frank. (2016): Paternal post-
wie Väter - mit Unterstützung der Mutter -
                                                     natal depression: How midwives can
diese aktiv stärken können. Väter fühlen sich        support families. In: British Journal of
dadurch in ihrer Betreuungs- und Bezie-              Midwifery24 (7), S. 470 – 476
hungskompetenz zum Baby anerkannt, das
Gefühl der Vaterwirksamkeit wird genährt         Schraner, Marco & Meier Magistretti Clau-
und Ängste und Unsicherheiten in der Rolle           dia (2016): Die Rolle der Väter bei post-
                                                     natalen Depressionen. In: Hoschule Lu-
als Kinderbetreuer werden reduziert und
                                                     zern. Im Auftrag des Vereins Postnatale
vorgebeugt. Diverse Studien heben hervor:            Depression      Schweiz.     www.npg-
Gelingt es den werdenden Eltern frühzeitig           rsp.ch/fileadmin/npg-
und nachhaltig, als Paar ein funktionierendes        rsp/Themen/Fachthe-
Elternbündnis aufzubauen und dafür Raum              men/HSLU_2016_Rolle-der-
und Zeit zu investieren (z.B. auch unterstützt       Vaeter.pdf [02.05.2017]
durch einen Vaterschaftsurlaub), dann ist
                                                 SRF (2011): Auch Väter haben den „Baby-
dies ein wesentlicher Schutzfaktor gegen-           Blues“.               www.srf.ch/sen-
über einer postpartalen Depression – seitens        dungen/puls/psyche/auch-vaeter-ha-
des Vaters wie auch der Mutter.                     ben-den-baby-blues [04.05.2017].

Ausgewählte Literatur zum Thema                  Wee, Kim Yiong; Pier, Ciaran; Milgrom,
                                                    Jeannette; Richardson, Ben; Fisher,
Edinburgh Postnatale Depression Skala               Jane & Skouteris, Helen (2013): Fa-
    (o.J.): Screeninginstrument mit 10 Items        thers' mental health during the ante-and
    zur Erfassung postpartaler depressiver          postnatal periods. Knowledge, recom-
    Zustände        www.postnatale-depres-          mendations and interventions. In: Brit-
    sion.ch/de/selbsttest.html (in diversen         ish Journal of Midwifery 21 (5), S. 342–
    Sprachen).                                      353

                                                                                           19
Väter beraten
                                                                                   Egon Garstick

 Ausgangslage                                    ein hohes Verantwortungsbewusstsein. Die-
    Sich auf ein Beratungsangebot rund um        ses ressourcenorientierte Feedback fördert
 Schwangerschaft und Geburt einzulassen, ist     die Wahrnehmung seiner Kompetenzen. Es
 für viele Männer zunächst keine Selbstver-      empfiehlt sich, ihn ins gemeinsame Ge-
                                                 spräch durch gezieltes Nachfragen nach sei-
 ständlichkeit: lange Zeit waren entspre-
                                                 nen Wahrnehmungen und seinem Erleben
 chende Angebote ausschliesslich auf Frauen
                                                 aktiv einzuladen.
 und Mütter ausgerichtet. Derzeit ist die fa-
                                                    Zudem ist es wichtig, sich bewusst zu
 miliale Arbeitsteilung aber stark im Wandel
 und immer häufiger wollen Väter eigenstän-      sein, dass einige Männer möglicherweise
 dige Zeit mit dem Kind verbringen. Dennoch      noch unverdaute, mehr oder weniger stark
 wirkt diese „Tradition“ in mancher Hinsicht     erlebte Irritationen mit sich bringen, die sie
 nach und auch heutige junge Väter empfin-       in der Schwangerschaft, während der Geburt
                                                 und in den ersten Wochen nach der Geburt
 den sich in entsprechenden Beratungssituati-
                                                 erlebt haben. Diese können sich auf die
 onen zunächst immer noch als Aussenseiter
                                                 ganze Familie belastend auswirken.
 oder „Anhängsel“. Wenn der Vater nun in
 ein niederschwelliges, offenes Beratungsset-
                                                 Herausforderungen und Lösungsansätze
 ting alleine oder in Begleitung mit der Mut-
 ter und dem Baby kommt, sollte er sich des-         Aus der Beratung kennen wir eine Viel-
 halb zuerst einmal auch als Vater der neuen     zahl von unterschiedlichen Gemütszustän-
 Familie begrüsst erleben und willkommen         den bei Vätern nach der Geburt: Möglicher-
 geheissen fühlen. Gerade auch eine öffentli-    weise ist er erschöpft und enttäuscht von der
 che Beratungsstelle sollte zum Ausdruck         Familiengründung. „So habe ich mir das
 bringen, dass sie sich über die Offenheit der   nicht vorgestellt!“. Möglicherweise ist er
 ganzen Familie gegenüber dem Angebot            auch durch den Geburtsverlauf noch schwer
 freut. Das familienpolitische Anliegen, El-     irritiert oder sogar traumatisiert. Eventuell
 tern darin zu unterstützen, dass sie dem        auch enttäuscht über die erschöpfte Mutter,
 neuen, heranwachsenden Menschen in unse-        in der er seine Partnerin von vor der Geburt
 rer Gesellschaft ein gutes „Holding“, sichere   kaum mehr wiedererkennt. Dem Vater fehlt
 Bindungsbeziehungen und einen guten bio-        vielleicht eine Perspektive. Er weiss gar
 psycho-sozialen Entwicklungsraum bieten,        nicht mehr, wie er sich positiv einbringen
 muss für die Väter erfahrbar werden.            kann. Vielleicht aber geht es ihm sehr gut
    Die Beraterin kann dem Vater vermitteln,     und er findet sich mit der neuen Situation
 dass er nun einen für seine Familie und für     schnell zurecht. Auch dies ist möglich und
 die Gesellschaft sehr wichtige Aufgabe          soll Anerkennung finden. Hier ein paar mög-
 übernommen hat. Er zeigt in seiner Bereit-      liche Themen, die dem Vater allenfalls noch
 schaft, ein Beratungsangebot aufzusuchen,       auf der Seele, im Bauch oder im Nacken lie-
                                                 gen:

                                                                                            20
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