Leitfaden für Fachkräfte zur Arbeit mit Vätern im Frühbereich
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I M PR E SSU M Die Materialiensammlung für Fachkräfte zur Arbeit mit Vätern im Frühbereich wurde erarbeitet durch das Schweizerische Institut für Männer- und Geschlechterfragen im Rahmen des Nationalen Programms MenCare Schweiz mit Unterstützung der Stiftung Mercator Schweiz. Konzept: Andreas Borter Autoren: Andreas Borter, Egon Garstick, Hans-Joachim Lenz, Remo Ryser, Heinz Walter. Lektorat: Matthias Luterbach Burgdorf: Mai 2017 Schweizerisches Institut für Männer- und Geschlechterfragen ( SIMG) www.simg. ch Bahnhofstrasse 16 | 3400 Burgdorf
Leitfaden für Fachkräfte zur Arbeit mit Vätern im Frühbereich INHALTSVERZEICHNIS Die Bedeutung des Vaters für die frühkindliche Entwicklung (Heinz Walter & Andreas Borter) ……………………………………………………………………………………….. S. 3 Väter beim Stillen (Andreas Borter & Remo Ryser) S. 11 Väter haben den Babyblues (Remo Ryser) S. 16 Väter beraten (Egon Garstick) S. 20 Väter und Spiel (Andreas Borter) S. 23 Väter mit Migrationshintergrund (Andreas Borter) S. 28 Gewaltbetroffene Väter (Andreas Borter & Hans-Joachim Lenz) S. 32 Väter und Sexualität (Andreas Borter & Remo Ryser) S. 36
Die Bedeutung des Vaters für die frühkindliche Entwicklung Heinz Walter & Andreas Borter Ausgangslage eine Fülle von Lernprozessen, gepaart mit dem Angewiesensein auf deren umsichtige Eine breitere Auseinandersetzung mit der Begleitung durch Vertreter der Erwach- frühkindlichen Entwicklung im Sinne eines senengeneration. Dieses exklusive „Sonder- modernen Wissenschaftsverständnisses ist angebot der Evolution“ bedeutet: jeder jung. Interessanterweise waren es wieder- menschliche Säugling kann auf bedeutende holt technische Innovationen, die einer inter- Entwicklungsmöglichkeiten wie auf gravie- disziplinären Säuglings- und Kleinkindfor- rende Entwicklungshindernisse treffen. Da schung entscheidende Möglichkeiten eröff- leuchtet ein: Das „Sonderangebot“ auszu- neten. So z.B. als mit Hilfe einer verfeiner- schöpfen wird eher gelingen, wenn mehr als ten Videotechnik vorsprachliche Verhal- ein Begleiter/eine Begleiterin hierfür zur tensweisen minuziös analysiert werden Verfügung steht. Aus dieser Perspektive ist konnten, insbesondere auch die Interaktio- die Erweiterung der Kinderbetreuungsver- nen der Kinder mit Erwachsenen. Ab den antwortung auf mehrere Personen, d.h. ins- 1990er Jahren verdeutlicht die Möglichkeit besondere auf den Vater, begrüssenswert. von Hirnscans das äusserst dynamische Ein überwiegender Teil der Männer ist heute Wechselspiel von Genen, Hormonen und va- motiviert, mit solcher Begleitung sein Erfah- riierenden Umweltbedingungen (Rass 2012, rungs- und Erlebensspektrum zu erweitern Strüber 2016). und zu vertiefen, unter hierfür für geeignet Bereits 1951 verwies Adolf Portmann auf gehaltenen Voraussetzungen in Vaterschaft ein „extrauterines Frühjahr“, in das das Energie und Zeit zu investieren (Baumgarten menschliche Neugeborene gestossen wird. et al. 2016). Er meint damit, dass es nach neun Monaten Doch bis heute sind Forschungsinitiati- intrauteriner Entwicklung längst nicht jenen ven zu finden, die Väter trotz deren nahelie- Entwicklungsstand erreicht hat, der den gender Einbeziehung ausblenden oder Väter Nachkommen der evolutions-verwandten mit Müttern zu genderunspezifischen „El- Primaten bald nach der Geburt ein ihr Über- tern“ machen. Solche „Vaterblindheit“ fin- leben sicherndes Verhalten ermöglicht. Für det sich auch noch recht zahlreich in an eine vollständige embryonale Entwicklung Fachpersonal und Eltern gerichteten Sach- würde es einer Schwangerschaft von 21 Mo- naten bedürfen. In einer lange anhaltenden büchern und in Ratgeberliteratur rund um Phase grosser Hilfsbedürftigkeit finden nicht die ersten Lebensjahre. nur (z.B. motorische) Reifungsprozesse Und auch heute noch sind Väter, Politiker und Entscheidungsträger im Gemeinwesen statt. Das in der Evolution Einmalige dieser Phase ist vielmehr die enorme Offenheit für 3
zu finden, die sich an den ersten ein, zwei o- die linke. Dies kann Väter ermutigen, ih- der drei Entwicklungsjahren der Kinder mit rem Input schon in die frühkindliche Ent- „Schutzbehauptungen“ wie „Da passiert ja wicklung grössere Bedeutung beizumes- noch nichts Wesentliches“ vorbeimogeln. sen. Beim Kind zu beobachtende Entwicklungen • Bereits in seinen ersten Stunden ist das in dieser Zeit werden als Selbstverständlich- menschliche Neugeborene in der Lage, keit angenommen (wie bespielsweise der seinen eigenen Gesichtsausdruck dem Spracherwerb – anders Sebastian Kretz seines Gegenübers anzugleichen (Melt- 2016, S. 30: „Ohne die Zuwendung der zoff/Moore 1989). Von Anfang an sind wichtigsten Bezugspersonen – also meist der Säuglinge in der Lage, die Reize in ihrer Eltern – findet kein Kind zur Sprache.“). Die Umwelt mit mehreren Sinnen gleichzeitig Aufgabe des Vaters in dieser Zeit wird vor (kreuzmodal) wahrzunehmen (Dornes allem darin gesehen, die klassische Funktion 1993, S. 43 ff.). Das Verlangen nach vi- des materiellen Ver- und Vorsorgers wahr- sueller Stimulation kann so gross sein, zunehmen. dass hierfür kurzfristig Hunger und Durst zurückgestellt werden (Dornes 1993, S. Herausforderungen und Lösungsansätze 39 ff.). Väter, welche sich insbesondere Die inzwischen zahlreich vorliegenden in den ersten Wochen oft als Pflege-Aus- Forschungsergebnisse rund um die frühkind- senseiter vorkommen, kann solches Wis- liche Entwicklung belegen die Bedeutung sen zu mehr Aktivitäten mit dem Kind des Vaters hierfür in aller Deutlichkeit. Dies von Anfang an motivieren. sollte auch direkte Auswirkungen auf die • Schon ab drei Monaten geben Kleinkin- Beratungspraxis von Fachpersonen haben. der deutlich zu erkennen, dass sie in dazu Ebenso sollten diese Einsichten im Hinblick geeigneten Situationen den Austausch auf die Kontakte mit Vätern reflektiert und mit Mutter und Vater einem solchen mit in diese einbezogen werden: nur einem von beiden vorziehen (Fivaz- • Heutige Väter wollen in der Regel von Depeursinge & Corboz-Warnery 2001). Anfang an gute Väter sein. Das Wissen Diese Tatsache verdient in Elterngesprä- über die Entwicklungen im ersten Le- chen gezielt betont zu werden, um der bensjahr ist dabei von grosser Wichtig- noch immer weit verbreiteten Annahme keit. Aber eine grössere Zahl von Vätern entgegenzutreten, dass das Kleinkind nur ist sich der Bedeutung Ihrer lebendigen mit einer einzigen Person in intensivem Beziehung zum Kind „ab der ersten Kontakt stehen kann. Stunde“ doch noch nicht bewusst. Mit be- • Das Gegenteil ist der Fall: Für das Kind sonders harten Fakten kann hier nachge- bedeutet die Triade Vater-Mutter-Kind holfen werden: So sollten neue Väter z.B. ein entscheidendes Mehr an psychischen wissen, dass das Gehirn eines Kindes bei Entfaltungsmöglichkeiten als eine exklu- der Geburt etwa 400 Gramm wiegt, an sive Vater-Kind- oder Mutter-Kind- dessen erstem Geburtstag bereits über Dyade. Allerdings setzt eine lebendige 1000 Gramm; und dass sich in diesem Triade die triadische Fähigkeit beider El- ersten Jahr die rechte „sozioemotionale“ tern voraus: dass sie „jeweils die eigene Hirnhälfte deutlich rascher entwickelt als 4
Beziehung zum Kind ohne Ausschluss- • Nicht nur in der geschilderten Situation tendenz gegenüber dem Dritten entwi- ist es für den Vater wichtig zu wissen, ckeln können und dass die Beziehung des dass er ebenso wie die Mutter zu einer si- Partners zum Kind akzeptiert und als Be- cheren Bindungsperson für das Kind wer- reicherung angesehen werden kann“ (von den kann. Grundsätzlich kann jedes Kind Klitzing & Stadelmann 2011, S. 967). Es Bindungen an zwei oder mehr Erwach- ist von Vorteil, wenn diese Vorausetzung sene eingehen – so diese im sozialen Um- bereits während der Schwangerschaft ge- feld und durch eine innere Bereitschaft geben ist (von Klitzing 2002). Oft müssen hierfür zur Verfügung stehen. Entschei- sie sich Väter und Mütter aber erst in ei- dend ist, dass den Bedürfnissen des Säug- nem intensiven Dialog erarbeiten, der lings mit Feinfühligkeit begegnet wird; d. häufig professionelle Begleitung erfor- h. dass das vom Kind (mit seinen vor- dert (Schwinn & Frey 2012). sprachlichen Möglichkeiten) artikulierte • Väter wie Mütter können aus verschiede- Bedürfnis nach Nähe, Versorgung, Trös- nen Gründen als der/die “Dritte im tung und Schutz jeweils richtig gedeutet Bunde“ für einen längeren Zeitraum aus- wird sowie angemessen und prompt da- fallen. Trifft dies für die Mutter zu, so rauf reagiert wird. (Je jünger das Kind, sieht sich der Vater mit mehrfachen An- umso unmittelbarer ist die Reaktion er- forderungen konfrontiert. Da er zumeist forderlich.) Gelingt dies der Bezugsper- nicht darauf vorbereitet ist, wird er Warn- son hinreichend gut, so kommt es zu einer zeichen oft nicht erkennen (beispiels- sicheren Bindung des Kindes an sie. weise dass seine Frau nach der Entbin- Kann die Bezugsperson diese Erfahrun- dung nicht nur Symptome eines „leich- gen nur diskontinuierlich vermitteln, fehlt ten“ Baby-Blues sondern einer sich ver- es an Verlässlichkeit des „sicheren Ha- mutlich über mehrere Monate erstrecken- fens“, so führt dies zu einer unsicher-am- den postpartalen Depression zeigt; Rass bivalenten Bindung. Bleiben die Signale 2008). Neben den atypischen, oft be- des Säuglings in zu hohem Ausmass ohne fremdlichen Verhaltensweisen der Kinds- Echo, ja wird deren „Berechtigung“ von mutter lässt der Säugling keinen Auf- der Bezugsperson negiert, so verzichtet schub bezüglich der Befriedigung seiner das Kind zunehmend darauf, seiner inne- elementaren Bedürfnisse zu. Soll aus die- ren Not Ausdruck zu verleihen; denn so ser Situation für die Triade insgesamt und kann es die Beziehung wenigstens auf- für die Einzelnen kein dauerhafter Nach- rechterhalten. Seine Bindung wird als teil entstehen, ist verwandtschaftliche, eine unsicher-vermeidende bezeichnet. nachbarschaftliche und/oder institutio- Diese Kinder imponieren durch ihre frühe nelle Hilfe (z.B. Tagesmutter, Krippe) „Selbstständigkeit“, Coolness. Heute unumgänglich. Es ist ein Glücksfall, weiss man jedoch um ihr ausgeprägtes wenn heute betroffene Väter zudem Hilfe Stresserleben (Brisch 2010, S. 40-57, durch thematisch erfahrene Experten er- Grossmann & Grossmann 2012, S. 140- halten. Ein entsprechendes Angebot ist 156). (Weitere gravierende Bindungsstö- erst in Ansätzen vorhanden (Pedrina rungen finden sich bei Kindern, die ohne 2012). Chance blieben, auch nur zu einer Person eine "durchschaubare", ihnen wenigstens 5
rudimentär Sicherheit vermittelnde Be- zentration darauf durch einen stets „paral- ziehung aufzubauen. Brisch 2010, S. 57- lel mitlaufenden Sicherheitscheck“ ge- 65, Grossmann & Grossmann 2012, S. mindert scheint. 156-163, Traxl 2016). • Väter können hier als Begleiter der jun- Die Qualität der Bindung, die ein Säug- gen Welt-Entdecker eine erstaunlich trag- ling etwa ab seinem dritten Monat an eine fähige Basis legen: Grossmann & Gross- ihn versorgende und schützende Person auf- mann (2012, S. 233-250) beobachteten baut, erweist sich bereits mit einem Jahr als sie in einer Situation mit deren zweijähri- stabil. Wie sicher oder unsicher sie sich auch gem Kind, das dabei war, sich mit neuar- etabliert hat: erst die Bindung an eine be- tigem Spielmaterial auseinander zu set- stimmte Person ist Garant für ein physisches zen. Verfolgten die Väter mit Interesse und psychisches Überleben. Denn den Af- und Ermutigungen kooperativ die Initia- fektstürmen, die andrängende Bedürfnisse in tiven des Kindes und unterstützten es da- grosser Heftigkeit auslösen, ist das kleine bei feinfühlig-herausfordernd mit Anre- Kind selbst nicht gewachsen. Es bedarf einer gungen, wenn ein Fortgang des explorie- stellvertretenden Affektregulierung. D.h. die renden Handelns für es unter Umständen Bindungsperson ist jeweils aufgerufen, dem zu schwierig schien, dann zeigte sich: Kind im Kontakt mit diesem emotionale Si- dass es auch am ehesten diese Väter wa- cherheit zu „leihen“. Es muss kaum erwähnt ren, die bereits im ersten Jahr fürsorgli- werden, dass nur eine sichere Bindung eine ches Engagement für den Säugling zeig- solide Basis hierfür sein kann; und dass ten. Andersherum waren es die wenig durch die vielfach über sie gemachten unter- spielfeinfühligen Väter, deren Kinder mit stützenden Erfahrungen die Fähigkeit all- 6 und 10 Jahren in Situationen ohne El- mählich wächst, auch mit Stress auslösenden tern von Fachleuten eher als verhaltens- Situationen eigenständig klar zu kommen auffällig und als leicht zu verunsichern (Brisch 2010, S. 38-40, Rass 2011, S. 27-32, beurteilt wurden. Hingegen wurde den Rass 2012). 16-Jährigen von Personen, die sie gut • Erst die Gewissheit, in emotional überfor- kannten, ein hohes Selbstvertrauen in dernden Situationen von der Person „auf- neuen Situationen attestiert; sie selbst be- gefangen“ zu werden, die das Kind als schrieben sie sich selbst im Gleichaltri- seine Bindungsperson gekürt hat, lässt es genkontext sozial kompetent und gut in- seine Entwicklungschancen - das „Son- tegriert – beides wieder dann, wenn ihnen derangebot der Evolution“ (siehe oben) - der Vater als Zweijährigen im Spiel fein- effektiv nützen. Erst dann kann das eben- fühlig und angemessen herausfordernd falls ab der ersten Stunde bestehende Ver- begegnete. Zusammenhänge mit diesem langen nach “Welt-Erkundung“ in vollem frühen Begegnungsmuster zwischen Va- Umfang aktiv nachgegangen werden. ter und Kind konnten die Forscher selbst (Eine diesbezüglich sehr anschauliche für das junge Erwachsenenalter nachwei- Darstellung findet man bei Daniel Stern sen: War es für die Zweijährigen gege- 1993). Am Spielverhalten unsicher ge- ben, so konnten diese als 22-Jährige ihre bundener Kinder fällt auf, dass ihre Kon- Sicht von Partnerschaft besonders offen und differenziert darlegen, brachten sie 6
die Bedeutung von Bindungen für ihr Le- den“ scheinen, können Väter unter Um- ben wertschätzend zum Ausdruck. (Hin- ständen – insbesondere dann, wenn sie weise auf in noch höherem Alter beste- selbst sicher gebunden aufwachsen durf- hende Zusammenhänge liegen nicht vor, ten – wenig einfühlsames mütterliches da die die Entwicklungsverläufe verfol- Verhalten dem Kind gegenüber frühzeitig gende Langzeitstudie nach 23 Jahren be- erkennen und erforderliche Hilfe vor- endet wurde.) schlagen. (Die „besonders enge Verbun- • Für Väter ist es ermutigend, aus derartig denheit“ soll möglicherweise durch (nicht dichten evidenzgestützten Hinweisen zu entwicklungsfördernde!) Verwöhnung erfahren, welche nachhaltigen Wirkun- aufrechterhalten werden, die sich z.B. in gen ihr positiver Beitrag in der frühesten Form einer überzogenen materiellen Zu- Kindheit für den weiteren Lebensweg des wendung mit Babykleidung und Funkti- Kindes hat. Forschungsbefunde der wie- onsspielzeug äussert.) dergegebenen Art legen das Plädoyer Für die Praxis nahe, Vätern grundsätzlich das gleiche „Bindungs-Potential“ zuzusprechen wie Verschiedene Fachzeitschriften und Rat- Müttern. Argumentative Unterstützung geber zur frühen Kindheit nehmen sich den hierfür findet sich auch in Mütter-Väter- Schwerpunkt „Väter “ zunehmend sorgfältig Gegenüberstellungen: Wurde die Qualität und praxisorientiert vor: der Bindung Einjähriger zu ihrer Mutter • Die Ratgeberliteratur konzentriert sich in und zu ihrem Vater mit dem identischen verschiedenen Publikationen speziell auf Verfahren untersucht, so zeigte sich, dass Väter mit Kleinkindern, so z.B. das be- nicht nur alle Kinder eine Bindung zum reits zum Bestseller gewordene Papa- Vater aufwiesen, sondern dass der Anteil Handbuch: www.gu.de/buecher/partner- der sicheren Bindungen an Väter dem der schaft-familie/schwangerschaft-ge- sicheren Kind-Mutter-Bindungen ent- burt/561001-das-papa-handbuch sprach (Grossmann & Grossmann 2012, • Die Deutsche Hebammen Zeitschrift S. 230). (www.dhz-online.de) nimmt in ihrer Aus- • Insbesondere das im letzten Abschnitt gabe 3/ 2017 mit sieben qualifizierten Gesagte lässt fragen: Wie viele gesell- Beiträgen das Thema „Väter“ auf. Über- schaftliche Vorurteile und strukturelle zeugend kommt hier zum Ausdruck, dass Barrieren lassen Männer – wie im Zu- Männer für ihre grundlegend neuen Er- rückliegenden mehrfach angedeutet – fahrungen fachliche Vorbereitung und selbst immer noch an ihrer väterlichen Begleitung, psychische Unterstützung Kompetenz zweifeln bzw. sich eine sol- und Hilfe brauchen – für den erfolgrei- che absprechen? Es scheint an der Zeit, chen Wechsel in neue Lebensformen je- auch Konstellationen in Betracht zu zie- doch zu einem nicht geringen Teil ekla- hen, in denen Väter im Verlauf der Fami- tant andere als ihre Partnerinnen. lienentwicklung einen „Positions-Vor- • Die in Deutschland weit verbreiteten El- teil“ haben können: Wenn beispielsweise ternbriefe des Arbeitskreises Neue Erzie- Mütter nach Schwangerschaft und Geburt hung (www.ane.de), die neuen Eltern in mit dem Kind „besonders eng verbun- 7
den ersten zwei Jahren in erhöhter Er- Das von ihm entwickelte SAFE®-Pro- scheinungsdichte zur Verfügung stehen, gramm richtet sich mit vier interaktiven geben Müttern und Vätern nicht nur in Modulen an Paare (aber auch Alleinste- den Texten ihre eigene Gestalt. Die zahl- hende), um sie (möglichst) ab der reich eingestreuten Fotos und Graphiken 20.Schwangerschaftswoche bis zum vertiefen diese genderbewusste Aufmerk- Ende des ersten Kindsjahrs kompetent zu samkeitslenkung. informieren und zu begleiten. Vätern • In der Schweiz nehmen die Elternbriefe wird dabei in den einzelnen Modulen zu den ersten Lebensjahren von pro ju- wiederholt gezielte Aufmerksamkeit ge- ventute den Aspekt Väter immer wieder schenkt. So z.B., wenn in Modul I in der auf: www.projuventute.ch/Eltern- Gruppe über den „idealen Vater“ reflek- briefe.18.0.html. tiert wird; aber auch wenn in Modul II der Auch zum Schweizer Vätertag wurde ein Vater ein individuelles videogestütztes spezieller Väterbrief erarbeitet: Feedback bezüglich seiner Feinfühligkeit www.simg.ch/fileadmin/user_up- gegenüber dem Säugling erhält. Nähere load/PDF/V%C3%A4terbrief_Lekto- Informationen zum Programm und eine rama-1.pdf. Info-DVD: www.safe-programm.de. Ein Extrabrief zur für den „Väterstart“ so • Die Bundesinitiative Frühe Hilfen in bedeutsamen Vereinbarkeit von Familie Deutschland konzentriert sich auf den Al- und Beruf liegt ebenfalls vor: shop.proju- terszeitraum Schwangerschaft und erste ventute.ch/de/A~PUBL-6054/0~0~1/Ex- drei Lebensjahre (www.fruehehilfen.de). trabrief-Vereinbarkeit-Familie-Be- Ihre gendersensibel formulierte Program- ruf?hi=250.00&hl=2. matik findet in den Qualifizierungsmodu- len für die die Initiative in den Familien- welten praktisch umsetzenden „Familien- Speziell auf Väter im Frühbereich ausge- richtete Programme und Unterstützungsan- hebammen“ immer wieder ihren sichtba- gebote gibt es noch kaum, jedoch werden die ren Niederschlag: „Müttern und Vätern Väter in vielen Elternprogrammen zuneh- sowie schwangeren Frauen und werden- mend gezielt angesprochen: den Vätern sollen (..) Beratung und Hilfe in Fragen der Partnerschaft und des Auf- • Die „Elternlehre“, die in der Schweiz zu- baus elterlicher Erziehungs- und Bezie- nehmend auf Interesse stösst, versucht ei- hungskompetenzen angeboten werden“ nen bewusst inklusiven Ansatz in ihren (Modul 1, S. 9). In eigenen von der Initi- Angeboten zum Baby- und Kleinkindal- ative veranstalteten Tagungen findet zu- ter (www.elternlehre.ch/baby--klein- dem eine gezielte Konzentration auf den kind/). Themenkreis „Väter“ statt: • Karl Heinz Brisch gibt sein bindungsba- www.fruehehilfen.de/wir-ueber- siertes Wissen nicht nur in Form zahlrei- uns/nzfh-tagungsdokumentationen/work- cher Publikationen weiter: shop-vaeter-im-kontext-frueher-hil- www.klett-cotta.de /buch/Erziehungsrat- fen/inhalte-der-vortraege-und-ergeb- geber/SAFE%C2%AE_-_Sichere_Aus- nisse-des-workshops/?L=0. bildung_fuer_Eltern/5858. • An der Schnittstelle von präventiven und korrektiven Angeboten sind Vater-Kind- 8
Urlaube und Vater-Kind-Kuren zu sehen, Kretz, Sebastian (2016): Spracherwerb. Die die in Deutschland bereits eine längere Macht der Wörter. In: GEO, Schweizer Tradition haben und die in den letzten 10 Ausgabe 09, S. 30-41. Jahren deutlich zugenommen haben ( Meltzoff, Andrew & Moore, Keith (1989): siehe zum Beispiel www.muettergene- Imitation in newborn infants: Exploring sungswerk.de/vaterkuren.html). Ein ent- the range of gestures imitated and the sprechendes Angebot in der Schweiz underlying mechanisms. Developmen- existiert nicht. Doch bietet derzeit die tal Psychology 25, S. 954-962. Reka Väter-Kinderwochen für getrennt o- Pedrina, Fernanda (2012): Vaterschaft im der geschieden lebende Väter an: Kontext postnataler familiärer Krisen. www.reka.ch/de/sozialeangebote/ferien- Selbsterleben und Entwicklungspro- hilfe/seiten/vaeter-kinderwo- zesse. In H. Walter/ A. Eickhorst (Hrg.), chen.aspx%20. Das Väterhandbuch. Theorie, For- schung, Praxis. Giessen: Psychosozial, Ausgewählte Literatur S. 243-264. Baumgarten, Diana; Wehner, Nina; Portmann, Adolf (1951): Biologische Frag- Maihofer, Andrea & Schwiter, Karin mente zu einer Lehre vom Menschen. (2016): „Wenn Vater, dann will ich Basel: Schwabe. Teilzeit arbeiten“. Die Verknüpfung von Berufs- und Familienvorstellungen bei Rass, Eva (2008): Vater-Kind-Mutter. Die 30-jährigen Männern aus der deutsch- Bedeutung des Vaters für das Kind bei sprachigen Schweiz. In: GENDER, einer depressiven Erkrankung der Mut- Sonderhelft 4, S. 76-91. ter. In H. Walter (Hrsg.), Vater, wer bist du? Auf der Suche nach dem „hinrei- Brisch, Karl Heinz (2010): SAFE. Sichere chend guten“ Vater. Stuttgart: Klett- Ausbildung für Eltern. Sichere Bindung Cotta, S. 150-174. zwischen Eltern und Kind. Für Schwan- gerschaft und erste Lebensjahre. Stutt- Rass, Eva (2011): Bindungen und Sicherheit gart: Klett-Cotta. im Lebenslauf. Psychodynamische Ent- wicklungspsychologie. Stuttgart: Klett- Dornes, Martin (1993): Der kompetente Cotta. Säugling. Die präverbale Entwicklung des Menschen. Frankfurt am Main.: Fi- Rass, Eva (2012, Hrsg.): Allan Schore: scher. Schaltstellen der Entwicklung. Eine Einführung in die Theorie der Affektre- Fivaz-Depeursinge, Elisabeth; Corboz- gulation mit seinen zentralen Texten. Warnery, Antoinette (2001): Das pri- Stuttgart: Klett-Cotta. märe Dreieck. Vater, Mutter und Kind aus entwicklungstheoretisch-systemi- Schwinn, Lisa; Frey, Britta (2012): Der Va- scher Sicht. Heidelberg: Carl-Auer-Sys- ter in der familiären Triade mit dem teme. Säugling. Das Lausanner Trilogspiel in Forschung und Beratung. In: H. Walter/ Grossmann, Karin & Grossmann, Klaus E. A. Eickhorst (Hrsg.): Das Väter-Hand- (2012): Bindungen – das Gefüge psy- buch. Theorie, Forschung, Praxis. Gies- chischer Sicherheit. 5. vollst. überarb. sen: Psychosozial, S. 265- 297. Auflage. Stuttgart: Klett-Cotta. 9
Stamm, Margrit (2016): Väter Wer sie sind Traxl, Bernd (2016): Pavel empfängt das Was sie tun Wie sie wirken. Dossier Trojanische Pferd oder Die Unaus- „Väter“ Universität Zürich 2016: weichlichkeit transgenerationaler Trau- http://www.margritstamm.ch/doku- mata. In J. Huber/ H. Walter (Hrsg.), mente/dossiers/249-vaeter-wer-sie- Der Blick auf Vater und Mutter. Wie sind-was-sie-tun-wie-sie-wirken- Kinder ihre Eltern erleben. Göttingen: 1/file.html [02.05.2017]. Vandenhoeck & Ruprecht, S. 215-236. Stern, Daniel (1993): Tagebuch eines Babys. Von Klitzing, Kai (2002): Vater – Mutter - Was ein Kind sieht, spürt, fühlt und Säugling. Von der Dreierbeziehung in denkt. München: Piper. den elterlichen Vorstellungen zur realen Eltern-Kind-Beziehung. In H. Walter Strüber, Nicole (2016): Die erste Bindung. (Hrg.), Männer als Väter. Sozialwissen- Wie Eltern die Entwicklung des kindli- schaftliche Theorie und Empirie. Gies- chen Gehirns prägen. Regensburg: sen: Psychosozial, 783-810. Klett-Cotta. Von Klitzing, Kai & Stadelmann, Stephanie (2011): Das Kind in der triadischen Be- ziehungswelt. Psyche – Zeitschrift für Psychoanalyse 65, S. 953-972. 10
Väter und Stillen Andreas Borter & Remo Ryser Ausgangslage stark auf das körperliche Erleben aus und hat einschneidende Auswirkungen auf die Sexu- Die Ausgangslage ist klar: Stillen hat viele Vorteile. Die Muttermilch ist gesund. alität. Stillende Mütter sind in den ersten Monaten punkto Körperkontakt oft so gesät- Die gestillten Kinder sind beispielsweise tigt, dass für Zärtlichkeiten mit dem Partner weniger krank und erleiden seltener den ge- kaum noch ein Bedürfnis besteht. Zudem fürchteten plötzlichen Kindstod. Und auch trägt Prolaktin mit seiner leicht lustmindern- die Kosten für teuer Ersatzprodukte fallen den Wirkung dazu bei, dass die Libido der weg. Partnerin im ersten Jahr nach der Geburt oft Die Kindsmutter erlebt das Stillen in der nur langsam wiedererwacht. Für Väter kann Regel als eine erfüllende Aufgabe. Es er- es in dieser Situation zu einer Herausforde- möglicht ihr eine intensive Beziehung zum rung werden, einen guten Umgang damit zu Baby. Zugleich stellt das Stillen für viele finden. Das heisst, dass die Väter einerseits Mütter eine grosse Anstrengung dar, welche ihrer Partnerin mit einer rücksichtsvollen auch beschwerlich und schmerzhaft werden Haltung begegnen und andererseits aber kann. Einige Stillende fühlen sich zudem auch ihre eigenen Gefühle und Bedürfnisse durch nächtlichen Schlafentzug unkon- nicht verleugnen. zentriert und vergesslich, unter Umständen Werdende Eltern sollten bereits vor der reagieren Stillende besonders empfindsam. Geburt auf dieses «Wechselbad der Ge- Für die frischgebackenen Väter stellt die fühle» vorbereitet werden und darum wis- Phase des Stillens ebenfalls eine neue und sen, dass es vielen anderen Paaren ähnlich herausfordernde Situation dar. Sie erleben wie ihnen geht. die Partnerin in einer neuen Rolle, was ge- mischte Empfindungen hervorrufen kann: so Herausforderungen und Lösungsansätze löst die erlebte Nähe zwischen Mutter und Kind bei manchen Vätern Gefühle der «Be- Für die Beratung von Vätern besteht drohung» und Momente von Neid und Eifer- heute die Herausforderung, ihnen ihre wich- sucht aus. Auch kann sich der Vater auf eine tige Funktion beim Stillen aufzuzeigen. Beobachterrolle reduziert fühlen und sich Viele Studien belegen, dass die Einstellung fragen, wie er zum «Geschehen» überhaupt des Vaters für den Stillerfolg und die Still- positiv beitragen kann. Manchen Vätern dauer entscheidend ist. In Bayern beispiels- kommen Zweifel auf, ob sie angesichts der weise fragte eine Untersuchung (Kohlhuber hier entstehenden engen Mutter-Kind-Be- et al. 2008) zum Stillverhalten nach dessen ziehung überhaupt einen eigenen Platz in Einstellung zum Stillen. War seine Meinung den Familienbeziehungen haben. positiv, stillte die Mutter 22mal häufiger, Das Stillen ist ein sehr körperlicher Vor- verglichen mit Elternpaaren, bei denen sich gang. Damit wirkt er für beide PartnerInnen der Partner negativ zum Stillen äusserte. 11
Auch auf die Stilldauer hatte seine Meinung • Mit dem Vater alternative Care-Bei- einen Einfluss: Neben Stillproblemen und träge mit dem Baby thematisieren. Rauchen war die ablehnende Haltung des Auch diese ermöglichen intime Momente Vaters einer der ausschlaggebendsten Fakto- der Zweisamkeit: Zum Beispiel organi- ren, dass die Eltern vor dem vierten Monat sieren sich manche Paare untereinander des Kindes Nahrungsergänzungsmittel ein- so, dass «Sie» für’s Stillen (Input) und setzten oder abstillten (Die Wahrscheinlich- «Er» für das Wickeln (Output) oder Ba- keit erhöht sich um den Faktor 2,36). Auch den verantwortlich ist. Hier ist es beson- eine weitere Studie zeigt: Väter spielen eine ders wichtig, dem Vater auch eine aktive herausragende Rolle in den Dimensionen Er- und gestaltende Rolle anzuerkennen und mutigung, Entscheidungen, Vertrauen ihn dabei wertzuschätzen. (Abou-Dakn 2009). • Das Thema «Abpumpen» mit Vätern Davon ausgehend können in der beraten- aktiv ansprechen. Abpumpen hat direk- den Praxis mit dem Vater die konkreten Sze- ten Einfluss auf die Möglichkeiten der narien besprochen werden, wie er einen Vereinbarung von Beruf und Familie. Es wichtigen Beitrag zum Stillen leisten kann: muss erlernt werden, was oft Geduld und • Dem Vater konkrete Hinweise und allenfalls gar professionelle Unterstüt- Ideen mitgeben, wie er eine stillende zung erfordert. Väter denken oft kaum Mutter konkret unterstützen kann, daran, dass das Abpumpen für sie Vor- z.B. durch teile mit sich bringen kann. Denn mit ab- - im Arm halten von Partnerin und gepumpter Milch können auch Väter ihr Kind beim Stillen und gemeinsamem Kind ab und zu „stillen“. Vätern bietet Erleben von Nähe sich auf diese Weise eine Gelegenheit, - Vorlesen für Mutter und Kind beim das Kind selbstverantwortlich zu „beva- Stillen, um auch den Hunger nach tern“ und die „Ernährerrolle“ einzuüben. geistiger Nahrung zu stillen • Den Vater ermutigen, über seine eigene - dafür sorgen, dass die Partnerin am Situation und seine Bedürfnisse nach- Tag auch kinderfreie Zeiten hat, um zudenken. Es ist wichtig, dass er trotz sich zu erholen etc. dieser im Vordergrund stehenden intensi- • Dem Vater die Bedeutung eines «Nest- ven Mutter-Kind-Beziehung nicht ver- gestalters» aufzeigen. Bekanntlich redu- gisst, was er in dieser Situation braucht zieren Stresshormone bei der Mutter den und was ihm guttut. Vielleicht braucht Milchfluss. Das heisst, ein ruhiges, ge- auch er Unterstützung, um mit seinen schütztes Ambiente ist fürs Stillen sehr Fragen und Gefühlen zurecht zu kom- zuträglich. Der Vater kann dazu beitra- men? Vielleicht braucht er den Hinweis gen, indem er beispielsweise Besuche ko- auf entsprechende Beratungsmöglichkei- ordiniert, die Mutter im Haushalt entlas- ten? Vielleicht wäre ein Gespräch mit an- tet, vor dem Stillen den Stillplatz mit Kis- dern Vätern hilfreich, und er braucht Hin- sen einrichtet oder sich geduldig gegen- weise, wo sich eine Gelegenheit dazu fin- über ihren allfälligen Stimmungsschwan- det…. kungen zeigt. • Den Vater auf den Moment vorberei- ten, wenn eine Mutter des Stillens ein- mal überdrüssig ist. Da kann es wichtig 12
werden, dass der Vater durch seine Hal- leben. Optimalerweise werden in diesem Zu- tung nicht einen raschen Abbruch unter- sammenhang u.a. auch Informationen rund stützt, sondern seinerseits im Abwä- um die kindliche Entwicklung sowie bei- gungsprozess der Mutter nochmals auf spielsweise auch zum Babyblues (vgl. u.a. die verschiedenen Vorteile des Stillens separates Factsheet «Babyblues bei Vätern») aufmerksam macht. vermittelt. • Gemeinsame Gespräch übers Abstillen Informationen zum Thema Väter und ermöglichen. Andrerseits kann der Vater Stillen in vatergerechter Sprache aufbe- mithelfen, die Frage des Abstillens nicht reiten. Väter äussern in Befragungen und zu einem Tabuthema zu machen. Im Ge- Studien wiederholt, dass sie sich mehr Infor- genteil soll es zu einem Bereich der ge- mationen zu den Vorteilen des Stillens wün- meinsamen Verantwortung und der „Fa- schen: Einfach zugänglich, kurz und präg- milienplanung“ werden. Immer häufiger nant, mit Zahlen und Fakten gestützt, gän- ist dies auch direkt mit dem beruflichen gige Still-Mythen hinterfragend, sowie er- Wiedereinstieg von Frauen verbunden. gänzend mit konkreten Beispielen und prak- Dieses Thema darf und muss frühzeitig in tischen Tipps, wie sie die ersten Wochen einem partnerschaftlichen Dialog bespro- nach der Geburt aktiv mitgestalten kön- chen werden. Dabei sind die Interessen nen.(Sheriff, Nigel et al. 2014). Werden die des Kindes, der Mutter und auch des Va- Informationen von verschiedenen Fachper- ters miteinander abzuwägen. sonen im Grundsatz gleich vermittelt, kommt dies bei Vätern besonders gut an. So Für die Praxis gestärkte Väter treten auch eher als Mei- Erfahrungen und Studien zeigen ver- nungsbildner im erweiterten Umfeld (Gos- schiedene erfolgsversprechende Möglich- seltern, Peer-Group etc.) auf, das den Still- keiten, die Väter in der Stillthematik mitein- entscheid massgeblich mit beeinflusst. zubeziehen: Einen vorgeburtlichen Stillkurs expli- Im Rahmen der Begleitung vor- bzw. zit für Väter durchführen. Erste Umset- nachgeburtlich ein Vater-Gesprächsfens- zung zeigen: Nimmt der Vater an einem va- ter anbieten: Solche persönlichen Gesprä- terspezifischen vorgeburtlichen 2h-Kurs teil, che mit der Hebamme oder mit einem Väter- kombiniert mit einem freiwilligen Bera- berater ermöglichen es, das Thema Stillen tungsangebot nach der Geburt, erhöht sich gendergerecht anzusprechen und Väter mit der Stillerfolg sechs Wochen nach der Ge- ihren Fragen, Sorgen und Bedürfnisse abzu- burt signifikant (81,6% versus 75,2% bei der holen. Väter zeigen gemäss Studien bei- Kontrollgruppe) (Brown et al. 2014). Dieser spielsweise besonderes Interesse, mehr über Kurs kann entweder im Rahmen eines Ge- möglicherweise auftretende Stillprobleme burtsvorbereitungskurses einmalig angebo- zu erfahren. Sie möchten ihre Partnerin in ten werden. Oder aber als kontinuierliche solchen Fällen aktiv unterstützen können Austauschgruppe für werdende und junge und sich dazu im Vorfeld Handlungswissen Väter, in der verschiedene Themen rund um aneignen. Dies passt zur Wahrnehmung, die ersten Wochen nach der Geburt (Stillen, dass Väter sich vielfach als erste «Anlauf- Pflege von Neugeborenen, Kinderbetreuung stelle» ihrer Partnerin bei Schwierigkeit er- in den ersten Monaten, Sexualität etc.) ange- 13
sprochen werden. Als zentraler Erfolgsfak- Hilfe zu holen. Werden sie frühzeitig und tor erwies sich bisher eine gleichgeschlecht- wiederholt auf Hilfs- und Vernetzungsange- liche Moderation durch einen Mann/Vater. bote hingewiesen, fällt zumindest die Still(vorbereitungs-)kurse für Vater Schwelle der Informationssuche im Dickicht und Mutter gemeinsam anbieten. Einen der Beratungs- und Unterstützungsangebote Stillkurs gemeinsam mit Männern zu besu- weg. Mit der MenCare-Schweiz-Landkarte2 chen, mag für einige Mütter eine unge- besteht bereits eine Übersicht mit Anregun- wohnte Vorstellung sein und Verunsiche- gen und Unterstützungsangebote für Männer rungen auslösen. In Australien ist dies je- und Väter, die Verantwortung für sich und doch bereits eine gängige Praxis und es wer- andere wahrnehmen wollen. Die Landkarte den gute Erfahrungen gemacht1. In den Kur- verlinkt Angebote im Bereich Beratung, sen wird die gemeinsame Verantwortung be- Austausch sowie Bildung und verweist auf tont, wobei auch das gute Mass und Timing Informationsmaterialien zu einzelnen Stich- seitens des Vaters Thema ist. Denn: Zuviel worten und Themen wie Geburt und Vater- «Einmischung» durch den Vater bzw. zum schaft, Familie und Partnerschaft, Sorge um unpassenden Zeitpunkt kann das Stillen auch sich, Betreuungsunterstützung, Finanzen hemmen, wie einzelne Studien zeigen. etc. Paargespräche zum Thema Stillen und Wochenbett in der Geburtsvorbereitung Ausgewählte Literatur initiieren. Eine Vielzahl aktueller Studien Abou-Dakn Michael (2009): Einfluss des aus Europa und dem angelsächsischen Raum Vaters auf das Stillen. Vortrag beim belegen übereinstimmend, dass die Mehrheit Fachtag Bremen. der Männer/Väter gegenüber dem Stillen po- Arbeitsgemeinschaft freier Stillgruppen sitiv (oder zumindest neutral) eingestellt (AFS (2012): Stillkinder brauchen Ihren sind. Einzelne Gruppen wie junge Väter und Vater. Bonn: http://www.afs- solche mit tiefen Einkommen und Bildungs- stillen.de/images/faltblaetter/fb_11.pdf niveau zeigen sich jedoch dem Stillen ge- Download 21.4.17 genüber kritisch(er) (Sheriff et al. 2014). Brown, Amy & Davies, Ruth (2014): Fa- Insbesondere dem Stillen in der Öffentlich- thers' experiences of supporting breast- keit begegnen diese häufiger als Vergleichs- feeding: challenges for breastfeeding gruppen mit Ablehnung. Paarkurse mit In- promotion and education. In: Journal formationen und Austausch können dazu Maternal & Child Nutrition, 10/2014, beitragen, Vorurteile und Ängste abzubauen S. 510 – 526 und einen partnerschaftlich getragenen Ent- scheid zu fällen. Hilfesuchendes Verhalten bei Vätern unterstützen. Wenn es in den ersten Wo- chen nach der Geburt schwierig wird, ist es für viele Väter kein einfacher Schritt, sich 1 Die Kurse finden sie beispielsweise unter: ren.net.au/articles/birth_clas- www.pregnancybirthbaby.org.au/breastfeeding-for- ses_dads.html/context/1385 oder www.breastfee- fathers, www.mrdad.com.au/, www.raisingchild- ding.asn.au/classes?state_province=1638 2 http://www.mencare.swiss/de/landkarte 14
Flemming Olivia (2014): “‘Men think Kohlhuber, Martina; Rebhan, Barbara; breastfeeding ist gross – we’re here to Schwegler, Ursula; Koletzko, Berthold; tell them it’s not: Dads pose in gender- Fromme, Hermann (2008): Breastfeed- bending campaign to show their support ing rates and duration in Germany: a Ba- for nursing”. [online]: www.dail- varian cohort study. British Journal of ymail.co.uk/femail/article- Nutrition, 99, S. 1127–1132 2573875/Understanding-wifes-body- makes-better-father-Dads-pose-gender- Richter, Robert & Schäfer Eberhard (2016): bending-breastfeeding-campaign-sup- Das Papa-Handbuch: Alles, was Sie port-nursing.html. [10.05.2017] wissen müssen zu Schwangerschaft, Geburt und dem ersten Jahr zu dritt. Dazu auch Bilder des Projects Breast- Gräfe und Unzer feeding zu finden unter: http://time.com/19959/if-i-could-i- Sherriff, Nigel; Hall, Valerie & Panton, would-photographs-of-breastfeeding- Christina (2014): Engaging and sup- dads/ [11.05.2017]. porting fathers to promote breast feed- ing: A concept analysis. In: Midwifery Journal 30/2014, S. 667 – 677 15
Väter und Babyblues Remor Ryser Ausgangslage che Schmerzzustände, sexuelle Lustlosig- keit). Der Zustand ist häufig begleitet von ei- Väter können wie Mütter unmittelbar nach der Geburt in ein psychisches Tief fal- ner gefühlten Distanz oder gar innerlichen Trennung von der Partnerin und dem Kind len, auch bekannt unter dem Begriff Baby- sowie eine erhöhte Ängstlichkeit im Um- Blues. Wie bei Müttern klingt dieser Zustand gang mit dem Neugeborenen. Dabei treten bei den meisten Vätern nach wenigen Tagen deutliche geschlechtsspezifische Unter- bis innerhalb der ersten zwei Monate wieder schiede auf: Während bei Frauen eher der ab. Bei Müttern und in der neueren For- Erschöpfungszustand dominiert, neigen schung auch bei Vätern wird dies mitunter Männer eher zu erhöhter Reizbarkeit, Ag- im Zusammenhang mit der Hormonumstel- lung und Veränderungen im Hormonspiegel gressivität und impulsiven Handlungen. Zu- dem lässt sich aufgrund bisheriger Resultate nach der Geburt erklärt. Bei einem von acht vermuten, dass Väter häufiger dazu tendie- oder je nach Studie einem von 20 Vätern ren, ihr Befinden zu verleugnen und sich von steigert sich das psychische Loch in den ers- diesem zu distanzieren. Sie werden bei- ten Wochen und Monaten nach der Geburt spielsweise zynisch, stürzen sich in die Ar- zu einer väterlichen Wochenbettdepression beit ausser Haus, neigen zu Suchtverhalten weiter, in Fachkreise als paternale postpar- (Alkohol, TV, Neue Medien, Spielsucht) o- tale Depression (pPPD) bekannt. Diese ent- der gehen fremd. steht typischerweise eher schleichend, hält Auf das väterliche Bonding, dem emotio- längere Zeit an und ist statistisch betrachtet nalen Beziehungsaufbau zwischen Vater drei bis sechs Monate nach der Geburt am und Kind, kann dies erschwerend wirken. stärksten ausgeprägt. Schlafmangel – der in Auch wenn bezüglich des Grundinteresses dieser Phase besonders oft auftritt – sowie für die Vater-Kind-Beziehung zwischen be- Paarkonflikte wirken dabei häufig als unmit- troffenen und nicht-betroffenen Vätern telbare Auslöser. Die pPPD versteht die heu- keine relevanten Unterschiede erfasst wer- tige Forschung als erstmaliges Hervortreten den können, weisen einzelne Studien darauf von depressiven Dispositionen unter der Herausforderung der Vaterwerdung. hin, dass sich betroffene Väter weniger häu- fig aktiv mit ihren Kindern beschäftigen. Die Symptomatik der pPPD gleicht einer (Beispielsweise weniger mit ihnen spielen herkömmlichen Depression: Niedergeschla- und Geschichten erzählen). Erklärt werden genheit, ein Verlust von Energie und Freude, kann dies mitunter damit, dass es betroffe- erhöhte Ermüdbarkeit, Schuld- und Überfor- nen Vätern schwerer fällt, Fürsorglichkeit, derungsgefühle, Konzentrationsschwierig- Wärme und Sensibilität gegenüber dem keiten sowie psychosomatische Beschwer- Neugeborenen zu entwickeln. Sie sind den (Appetit- und Schlafstörungen, körperli- schneller irritierbar im Beziehungsaufbau 16
und entwickeln mit der Zeit häufiger eine sozialen Umfeld (Verwandte, Freunde, Insti- ambivalente bis ablehnende Haltung zum tutionen) in Anspruch zu nehmen, sie suchen Kind. diese hingegen eher bei der Partnerin. Grundsätzlich sind die Auswirkung einer Väter, bei denen ein pPPD auftritt, verfü- pPPD auf Kind und Umfeld jedoch noch we- gen über einen unterdurchschnittlich ausge- nig erforscht. Die Forschung weist einzig prägten Kohärenzsinn (Sense of Coherence, bisher deutlich darauf hin, dass eine pPPD im Sinne eines durchdringenden, lebendigen bei Vätern und Müttern die Kinder unter- Gefühls des Vertrauens, das sich aus Klar- schiedlich stark beeinflusst: Eine Depression heit, Handlungskraft und Sinngebung nährt). des Vaters wirkte sich mehr als doppelt so Einerseits zeigen sie ein erhöhtes subjektives häufig negativ auf die Psyche der Jungen als Stressempfinden, d.h. sie nehmen stressaus- auf die der Mädchen aus. Eine Wochenbett- lösende Situationen eher bedrohlich wahr. depression der Mutter hingegen beeinflusste Andererseits machen sie weniger Gebrauch beide Geschlechter ähnlich stark. Einige von sozialen, materiellen und psychologi- Studien deuten zudem auf ein erhöhtes Ri- schen Ressourcen. Zudem gibt es Hinweise, siko bei Kindern – insbesondere Söhnen – dass bei betroffenen Vätern bereits in der depressiver Väter hin, zu einem späteren Schwangerschaftsphase häufiger Zukunfts- Zeitpunkt eine psychiatrische Erkrankung o- sorgen rund um die neue Aufgabe und Le- der Verhaltensstörung zu entwickeln. benskonstellation auftauchen und bei ihnen die Vorstellungen zur Vaterrolle und die ein- Herausforderungen und Lösungsansätze tretende Realität (bezüglich veränderter Ta- Von einer pPPD sind besonders Männer gesstruktur, Paarbeziehung, Beziehungsauf- betroffen, die in der Vergangenheit entweder bau mit dem Baby) deutlicher auseinander- eine eigene Depression oder eine Depression klafft. der Partnerin erlebt haben. Zudem erhöht Teilweise sind auch weitere Risikofakto- eine ppD bei der Mutter die Wahrscheinlich- ren belegt, beispielweise Armut, mangelnde keit, dass auch der Vater die Symptome ent- Unterstützung des sozialen Netzwerkes, wickelt. Suchtmittelmissbrauch (z.B. erhöhter Alko- Weiter zeigen statistische Betrachtungen, holkonsum), Arbeitslosigkeit oder Druck am dass betroffene Väter die Zufriedenheit mit Arbeitsplatz, Schwangerschaft in der Ado- der Paarbeziehung tiefer als Nicht-Be- leszenz, Kriminalität, Leben in Illegalität troffene beurteilen und ihre Partnerin weni- bzw. ohne gesicherten Aufenthalt. Hingegen ger unterstützend in der Rollenfindung als gibt es bisher keine oder widersprüchliche Vater und auch weniger vermittelnd im Be- Studienergebnisse zu den Einflussfaktoren ziehungsaufbau mit dem Kind erfahren. Un- Alter, Beziehungsstatus, Bildungsniveau o- klar ist, ob die nicht zufriedenstellende der Erstgeburt. Insbesondere in Bezug auf Paarbeziehung die väterliche Depression die gesammelten Erfahrungen als Vater mitverursacht oder im Gegenteil die Depres- bleibt die Frage bisher unbeantwortet, ob sie sion die Qualität der Paarbeziehung ver- eher eine Ressource (im Sinne von angeeig- schlechtert. Insgesamt sind betroffene Väter neter Kompetenz) oder eine Belastung (im seltener bereit, Unterstützung im weiteren Sinne einer Verantwortung für mehrere Kin- der) darstellen. Im Gegensatz zu obenge- nannten pPPD begünstigenden Belastungen 17
ist noch wenig bekannt über jene Faktoren, Screening-Aufgaben Anamnesegespräche die einer pPPD entgegenwirken oder davor mit den werdenden Eltern getrennt. Ein sol- schützen (Resilienz- und Schutzfaktoren). ches Vorgehen trägt dazu bei, die Hemm- Allgemein gilt: Nicht alle Väter erkran- schwelle bei Vätern zu reduzieren, über per- ken, die erhöhte Risiken tragen oder ausge- sönliche und/oder belastende bzw. tabui- setzt sind. Entscheidend ist der Umgang mit sierte Themen zu sprechen. Gleiches gilt für den erwähnten Risikofaktoren. D.h., aus- Gesprächs- und Beratungsangebote in denen schlaggebend ist, ob und in welchem Aus- Männer unter sich sind beziehungsweise von mass den Vätern Ressourcen zur Verfügung Mann zu Mann geschehen, z.B. durch Ange- stehen, um die sonst schon erhebliche An- bote in Geburtsvorbereitungskursen oder passungsleistung im persönlichen, partner- durch beratende Männer auf Mütter- und schaftlichen und beruflichen Bereich unter Väterberatungsstellen. diesen erschwerten Bedingungen zu bewäl- Zeichnet sich eine pPPD-Gefährdung ab, tigen. bewährt sich eine Kombination von kompe- tenzsteigernden und entlastenden Massnah- Für die Praxis men, um die Stressbelastung und das Gefühl In der Begleitung der Eltern rund um die von Überforderung möglichst zu reduzieren. Geburt sowie in der Aus- und Weiterbildung Beispiele sind die Entwicklung eines Unter- von Fachpersonen steht meistens die Mutter stützungs- und Entlastungsplans im Bereich im Zentrum. Um die Väter nicht aus dem Familie, Beruf und Eigenzeit oder die Aus- Blick zu verlieren, gilt es, die väterliche Per- dehnung bzw. Intensivierung der Beglei- spektive und Betroffenheit häufiger einzube- tung. Auf jeden Fall sollten pPPD-betroffene ziehen – nicht nur, aber auch in Bezug auf Väter dazu ermuntert werden, professionelle die Prävention und Früherkennung von post- psychologische und/oder ärztliche Hilfe in partaler Depression. Anspruch zu nehmen. Auch aufgrund des er- Fachpersonen, die Eltern nach der Geburt höhten Suizidrisikos bei einer depressiven betreuen, sollten deshalb achtsam sein, nicht Erkrankung erachten Fachpersonen eine nur das biopsychosoziale Befinden der Mut- pPPD als dringend behandlungsbedürftig. ter, sondern auch jenes des Vaters sowie des Babyblues und postnatale Depression bei Paares insgesamt zu beachten. Insbesondere Männern? Das löst teilweise auch weiterhin wenn sich in den pränatalen Gesprächen Ri- ungläubiges Kopfschütteln, fragende Blicke sikofaktoren wie z.B. eine frühere oder aktu- oder irritierte Reaktionen aus – nicht nur in elle depressive Episode bei dem Partner oder der Öffentlichkeit, sondern auch in Fach- der Partnerin zeigen. Mit dem „Edinburgh kreisen. Entsprechend ist es wünschenswert, Postnatale Depression Skala“ steht dazu ein dass die Thematik in die Aus- und Weiter- Fragebogen zur Verfügung, der beiden El- bildung von Fachpersonen rund um Schwan- ternteilen separat abgegeben und danach in- gerschaft, Geburt und Wochenbett integriert dividuell und/oder gemeinsam besprechen wird. Ist von maternaler postpartaler Depres- (siehe unter Literatur). sion die Rede, gilt es auch auf die paternale Studien zeigen, dass Väter oft das Gefühl - väterliche - Form hinzuweisen. In diesem haben, mit ihren Bedürfnissen übersehen Zusammenhang sind auch vermehrte ge- und nicht gehört zu werden. Teilweise füh- zielte Forschungsvorhaben wünschenswert, ren Hebammen inzwischen im Rahmen ihrer 18
beispielsweise zu pPPD-spezifischen Resili- Kunz, Elisabeth; Sidor Anna; Eickhorst, An- enz- und Schutzfaktoren, zu milieuspezifi- dreas & Cierpka Manfred (2012). Zu- schen Unterschieden sowie zu den konkreten sammenhänge zwischen elterlicher de- pressiver Symptomatik, Stressbelastung Auswirkungen auf die kindliche Entwick- und Kohärenzgefühl in Risikofamilien. lung. Zeitschrift Prävention & Gesundheits- Sinnvollerweise wird zur pPPD auch prä- förderung. In: Prävention und Gesund- natal im Rahmen von Geburtsvorbereitungs- heitsförderung 7 (4), S.266-273. kursen oder (Hebammen-)Gesprächen infor- miert und sensibilisiert. Dabei sollte ein be- Meier, Daniela & Butcher, Fiona Ann (2013). Wenn Väter traurig sind – De- sonderes Augenmerk auf die Aufklärung pression bei Männern nach der Geburt über Schutz- und Resilienzfaktoren gelegt des Kindes. Bachelor-Thesis. Zürich: werden. Beispielsweise kann in diesem Zu- Berner Fachhochschule, Fachbereich sammenhang auf die Bedeutung einer akti- Gesundheit, Bachelor of SchienceS ven Gestaltung einer Vater-Kind-Beziehung Hebamme. hingewiesen und Wege aufgezeigt werden, Philpott, Lloyd Frank. (2016): Paternal post- wie Väter - mit Unterstützung der Mutter - natal depression: How midwives can diese aktiv stärken können. Väter fühlen sich support families. In: British Journal of dadurch in ihrer Betreuungs- und Bezie- Midwifery24 (7), S. 470 – 476 hungskompetenz zum Baby anerkannt, das Gefühl der Vaterwirksamkeit wird genährt Schraner, Marco & Meier Magistretti Clau- und Ängste und Unsicherheiten in der Rolle dia (2016): Die Rolle der Väter bei post- natalen Depressionen. In: Hoschule Lu- als Kinderbetreuer werden reduziert und zern. Im Auftrag des Vereins Postnatale vorgebeugt. Diverse Studien heben hervor: Depression Schweiz. www.npg- Gelingt es den werdenden Eltern frühzeitig rsp.ch/fileadmin/npg- und nachhaltig, als Paar ein funktionierendes rsp/Themen/Fachthe- Elternbündnis aufzubauen und dafür Raum men/HSLU_2016_Rolle-der- und Zeit zu investieren (z.B. auch unterstützt Vaeter.pdf [02.05.2017] durch einen Vaterschaftsurlaub), dann ist SRF (2011): Auch Väter haben den „Baby- dies ein wesentlicher Schutzfaktor gegen- Blues“. www.srf.ch/sen- über einer postpartalen Depression – seitens dungen/puls/psyche/auch-vaeter-ha- des Vaters wie auch der Mutter. ben-den-baby-blues [04.05.2017]. Ausgewählte Literatur zum Thema Wee, Kim Yiong; Pier, Ciaran; Milgrom, Jeannette; Richardson, Ben; Fisher, Edinburgh Postnatale Depression Skala Jane & Skouteris, Helen (2013): Fa- (o.J.): Screeninginstrument mit 10 Items thers' mental health during the ante-and zur Erfassung postpartaler depressiver postnatal periods. Knowledge, recom- Zustände www.postnatale-depres- mendations and interventions. In: Brit- sion.ch/de/selbsttest.html (in diversen ish Journal of Midwifery 21 (5), S. 342– Sprachen). 353 19
Väter beraten Egon Garstick Ausgangslage ein hohes Verantwortungsbewusstsein. Die- Sich auf ein Beratungsangebot rund um ses ressourcenorientierte Feedback fördert Schwangerschaft und Geburt einzulassen, ist die Wahrnehmung seiner Kompetenzen. Es für viele Männer zunächst keine Selbstver- empfiehlt sich, ihn ins gemeinsame Ge- spräch durch gezieltes Nachfragen nach sei- ständlichkeit: lange Zeit waren entspre- nen Wahrnehmungen und seinem Erleben chende Angebote ausschliesslich auf Frauen aktiv einzuladen. und Mütter ausgerichtet. Derzeit ist die fa- Zudem ist es wichtig, sich bewusst zu miliale Arbeitsteilung aber stark im Wandel und immer häufiger wollen Väter eigenstän- sein, dass einige Männer möglicherweise dige Zeit mit dem Kind verbringen. Dennoch noch unverdaute, mehr oder weniger stark wirkt diese „Tradition“ in mancher Hinsicht erlebte Irritationen mit sich bringen, die sie nach und auch heutige junge Väter empfin- in der Schwangerschaft, während der Geburt und in den ersten Wochen nach der Geburt den sich in entsprechenden Beratungssituati- erlebt haben. Diese können sich auf die onen zunächst immer noch als Aussenseiter ganze Familie belastend auswirken. oder „Anhängsel“. Wenn der Vater nun in ein niederschwelliges, offenes Beratungsset- Herausforderungen und Lösungsansätze ting alleine oder in Begleitung mit der Mut- ter und dem Baby kommt, sollte er sich des- Aus der Beratung kennen wir eine Viel- halb zuerst einmal auch als Vater der neuen zahl von unterschiedlichen Gemütszustän- Familie begrüsst erleben und willkommen den bei Vätern nach der Geburt: Möglicher- geheissen fühlen. Gerade auch eine öffentli- weise ist er erschöpft und enttäuscht von der che Beratungsstelle sollte zum Ausdruck Familiengründung. „So habe ich mir das bringen, dass sie sich über die Offenheit der nicht vorgestellt!“. Möglicherweise ist er ganzen Familie gegenüber dem Angebot auch durch den Geburtsverlauf noch schwer freut. Das familienpolitische Anliegen, El- irritiert oder sogar traumatisiert. Eventuell tern darin zu unterstützen, dass sie dem auch enttäuscht über die erschöpfte Mutter, neuen, heranwachsenden Menschen in unse- in der er seine Partnerin von vor der Geburt rer Gesellschaft ein gutes „Holding“, sichere kaum mehr wiedererkennt. Dem Vater fehlt Bindungsbeziehungen und einen guten bio- vielleicht eine Perspektive. Er weiss gar psycho-sozialen Entwicklungsraum bieten, nicht mehr, wie er sich positiv einbringen muss für die Väter erfahrbar werden. kann. Vielleicht aber geht es ihm sehr gut Die Beraterin kann dem Vater vermitteln, und er findet sich mit der neuen Situation dass er nun einen für seine Familie und für schnell zurecht. Auch dies ist möglich und die Gesellschaft sehr wichtige Aufgabe soll Anerkennung finden. Hier ein paar mög- übernommen hat. Er zeigt in seiner Bereit- liche Themen, die dem Vater allenfalls noch schaft, ein Beratungsangebot aufzusuchen, auf der Seele, im Bauch oder im Nacken lie- gen: 20
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