LEITLINIE ZUR PRÄVENTION UND THERAPIE DER HYPOGLYKÄMIE BEI NEUGEBORENEN AB 35+0 SCHWANGERSCHAFTSWOCHEN AUF DER WOCHENBETTSTATION

 
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 LEITLINIE ZUR PRÄVENTION UND THERAPIE
 DER HYPOGLYKÄMIE BEI NEUGEBORENEN
 AB 35+0 SCHWANGERSCHAFTSWOCHEN
 AUF DER WOCHENBETTSTATION
 Sven Schulzke, Seema Das-Kundu, Jehudith Fontijn, Marion Mönkhoff, Roland Neumann, Gabor Szinnai

                                                                                  nerhalb der ersten Lebensstunden niedrig sein. Er
                          Was ist neu?                                            steigt danach üblicherweise langsam aber stetig an
                                                                                  und bleibt stabil bis etwa 48 Lebensstunden (Mittel-
                          Interventionsgrenze für neonatale Hypoglykämie          wert (Standardabweichung) 3.3 (0.6) mmol/L), bevor
                          neu < 2.6 mmol/L (zuvor < 2.5 mmol/L)                   er weiter steigt und am vierten Lebenstag ein neues
                          Dextrose-Gel 40% als ergänzende Massnahme               Plateau erreicht (Mittelwert (Standardabweichung)
                          für Prävention und Therapie                             4.6 (0.7) mmol/L)6). Allerdings kann bei bis zu einem
                                                                                  Drittel der gesunden Termingeborenen mindestens
        Sven Schulzke     Berücksichtigung neuer Studien zur neurolo-             eine Episode von Hypoglykämie unter 2.6 mmol/L in-
                          gischen Entwicklung nach Hypoglykämie                   nerhalb der ersten Lebenstage beobachtet werden,
                          Neue Daten zum Spontanverlauf des Blutzuckers           insbesondere in den ersten 12 Lebensstunden6).
                          in den ersten Lebenstagen bei gesunden Neuge-
                          borenen                                                     Glukose ist das primäre Substrat des zerebralen
                                                                                  Energiestoffwechsels. Neugeborene haben wegen des
                                                                                  relativ hohen Gewichts ihres Gehirns im Verhältnis
                        Einleitung                                                zum Körpergewicht einen besonders hohen, ge-
                        Ziel dieser Leitlinie ist es, Empfehlungen für die Pro-   wichtsadaptierten Glukosebedarf. Das Gehirn kann
                        phylaxe und Therapie der Hypoglykämie bei Neuge-          auch Laktat oder Ketone als Energiequelle nutzen, die
                        borenen ab 35+0 Schwangerschaftswochen (SSW) im           im Falle von Lipolyse produziert werden7); daher ist es
                        Gebärsaal und auf der Wochenbettstation zu geben.         nicht notwendig, bei gesunden Termingeborenen rou-
                        Dies entspricht Stationen der neonatologischen Ba-        tinemässig serielle Blutzuckerbestimmungen durch-
                        sisversorgung Level I gemäss der Kommission zur Ak-       zuführen. Im Gegensatz dazu gibt es Neugeborene,
                        kreditierung neonatologischer Stationen (CANU) der        die ein erhöhtes Risiko für neonatale Hypogykämien
                        Schweizerischen Gesellschaft für Neonatologie             haben, z.B. nach perinatalem Stress oder bei mater-
                        (SGN)1). Diese Leitlinie beinhaltet nicht die Behand-     nalem Diabetes. Letzteres führt überwiegend durch
                        lung von Frühgeborenen < 35 SSW und kranken Ter-          einen relativen Hyperinsulinismus zu einer transien-
                        mingeborenen, die in eine Neonatologie der Stufe IIa,     ten Hypoglykämieneigung8). Des Weiteren haben u.a.
                        IIb oder III gemäss CANU gehören1).                       auch Früh- und Mangelgeborene ein erhöhtes Hypo-
                                                                                  glykämierisiko, weil sie nur geringe Glykogenspeicher
                        Hintergrund                                               und wenig Körperfett haben, was über eine reduzierte
                        Bei der Geburt finden verschiedene Stoffwechselan-        Lipolyse zu einem niedrigen Ketonkörperangebot für
                        passungen statt, um den Übergang von einer Glukose-       das Gehirn führt. Ausserdem zeigen diese Kinder eine
                        bereitstellung über die Plazenta und fetalen Glykogen-    unzureichende Glukoneogenese angesichts niedriger
                        synthese hin zur unabhängigen Glukoseproduktion-          Blutzuckerspiegel, da ihnen eine ausreichende Menge
                        und regulation durch das Neugeborene sicherzustellen.     an Substraten wie Laktat, Pyruvat, Alanin oder Keton-
                        Die endogenen Glukagon- und Katecholaminspiegel des       körpern fehlt. Aus diesem Grunde sind routinemäs-
                        Kindes steigen um das 3-5fache an, was eine Glykoge-      sige Blutzuckerbestimmungen bei Risikokindern not-
                        nolyse bewirkt, die für die ersten Lebensstunden zu ei-   wendig (s. Abb. 1, Neugeborene mit einem erhöhten
                        nem ausgeglichenen Blutzucker führt. Die Ausschüt-        Risiko für neonatale Hypoglykämie)3,5,9-15).
                        tung von Wachstumshormon und Cortisol begünstigt
                        des Weiteren die Glukoneogenese, insbesondere jen-             Die Frühernährung mit Muttermilch fördert die
                        seits der ersten Lebensstunden. Gleichzeitig sinken die   Glukoneogenese durch Bereitstellung notwendiger
                        Insulinspiegel. Damit Glykogenolyse und Glukoneoge-       Substrate. Die Ketogenese wird durch Fettsäuren in
                        nese entsprechend anlaufen können, braucht es die         der Milch angeregt, während es in Gegenwart von Lak-
                        zugehörigen Enzyme und Substrate wie Glykogen, Fett       tose nur zu einem diskreten Anstieg des Insulinspie-
                        und Aminosäuren2-5).                                      gels kommt. Im Gegensatz dazu kann die enterale Er-
                                                                                  nährung oraler Glukoselösungen zu erheblicher Insu-
       Korrespondenz:       Selbst bei optimaler postnataler Anpassung kann       lin- und reduzierter Glukagonsekretion führen, was
sven.schulzke@ukbb.ch   der Blutzuckerspiegel bei gesunden Neugeborenen in-       die Entwicklung eines Gleichgewichts aus Glukoneo-

 24                                                                                                  Vol. 32 | 1-2021
Fortbildung
genese und Ketogenese verzögert. Aus diesen theo-               aber auch als unspezifisches Symptom einer Vielzahl
retischen Gründen ist es vorteilhaft, eher Milch, als           von Erkrankungen (z.B. Infektion, Asphyxie, Polyzy-
orale Glukoselösungen zu verabreichen3,9,10,14).                thämie, u.v.a.). Hypoglykämien sind sehr häufig bei
                                                                Früh- und/oder Mangelgeborenen s. Leitlinie Betreu-
     Trotz jahrzehntelanger Forschung existiert bisher          ung von Frühgeborenen 34+0 bis 36+6 SSW www.neo-
kein Konsens über die Definition der neonatalen Hy-             net.ch/recommendations25). In den meisten Fällen
poglykämie. Es gibt mindestens vier Konzepte zur De-            lässt sich der Hauptgrund für die Hypoglykämie durch
finition von Blutzuckergrenzen, die auf den folgenden           Anamnese und klinische Untersuchung herausfinden
Kriterien beruhen: i) Klinische Symptome (sogenannte            (z.B. Frühgeburtlichkeit, intrauterine Wachstumsver-
symptomatische Hypoglykämie); ii) Epidemiologische              zögerung, maternaler Diabetes)26). Im Falle wiederhol-
Daten; iii) Akute metabolische, endokrine und neuro-            ter oder persistierender Hypoglykämien trotz ausrei-
logische Befunde; iv) Neurologische Langzeitentwi-              chendem Angebot von Milch und Dextrose-Gel 40%,
cklung.                                                         sollten Neugeborene rasch zur i.v.-Glukosetherapie
                                                                und weiteren Diagnostik auf eine Level II- oder Level
      Keine dieser Definitionen ist für sich alleine be-        III-Neonatologie verlegt werden, um Störungen wie ei-
trachtet ideal, und alle haben teils erhebliche Mängel          nen persistierenden Hyperinsulinismus, andere Endo-
2,3,10,12,15-20)
                 . Die SGN sieht daher von einer spezifischen   krinopathien, oder Stoffwechselerkrankungen auszu-
Definition der neonatalen Hypoglykämie ab und legt              schliessen27).
stattdessen Interventionsgrenzen für Prävention und
Therapie der neonatalen Hypoglykämie fest.                      Diagnostische Überlegungen
                                                                Die Anforderungen an Geräte zur neonatalen Blutzu-
     Der genaue Effekt neonataler Hypoglykämie(n)               ckermessung sind hoch: Die Messergebnisse sollen
auf die neurologische Langzeitentwicklung ist weiter-           bei minimaler Blutmenge unmittelbar erhältlich, kos-
hin unklar. Neueren Daten zufolge sind insbesondere             tengünstig und genau sein, letzteres insbesondere bei
spät nachweisbare Folgen möglich: In einer prospek-             niedrigen Werten. Goldstandard ist die enzymatische
tiven Kohortenstudie an 528 Neugeborenen mit ei-                Blutzuckerbestimmung im Labor mit der Hexokinase-
nem Gestationsalter ≥ 35 SSW, die primär aufgrund               methode. Allerdings kann eine verzögerte Bestimmung
von mütterlichem Diabetes mellitus rekrutiert wur-              im Labor auch zu einem präanalytischen Absinken des
den, fanden die Autoren bei der 2-Jahres-Kontrolle              Blutzuckerspiegels um ca. 0.3 mmol/L/h durch Ery-
zunächst keinen Unterschied in der neurologischen               throzyten-Glykolyse führen28). Aus praktischen Grün-
Entwicklung von Kindern mit vs. ohne neonatale Hy-              den werden daher häufig kleine, am Patientenbett ein-
poglykämie (Blutzucker < 2.6 mmol/L)21). Allerdings             setzbare, tragbare Geräte (bedside-Methode) verwen-
fielen in derselben Kohorte, bei Nachuntersuchung               det. Die Genauigkeit dieser Geräte im Verhältnis zur
im Alter von 4.5 Jahren nach neonataler Hypoglykä-              Hexokinase-Methode wurde in vielen Studien unter-
mie gehäuft eingeschränkte visomotorische und exe-              sucht29-35). Zusammenfassend lässt sich sagen, dass
kutive Funktionen auf, insbesondere bei Kindern, die            die meisten Geräte den Blutzuckerspiegel überschät-
schwere (
Fortbildung
     (Blutzucker < 2.6 mmol/L per Hexokinase-Methode)
     nicht mit entwicklungsneurologischen Einschränkun-           Folgende Situationen müssen vermieden, bzw. bei
     gen im Alter von 2 Jahren verbunden war, sofern bei          Auftreten schnell und entschlossen behoben wer-
     dieser Schwelle eine rasche Therapie erfolgte21). Da         den, weil sie mit einem erhöhten Risiko für
     viele Kliniken primär mit der bedside-Methode arbei-         neurologische Einschränkungen verbunden sind,22)
     ten, die den Blutzuckerspiegel potentiell überschätzt,       auch sollte rasch Kontakt mit einer Neonatologie
     wird die Interventionsgrenze der neonatalen Hypo-            aufgenommen werden, um das weitere Vorgehen
     glykämie in dieser SGN-Leitlinie wie folgt festgelegt:       abzustimmen:
                                                                  • Schwere Hypoglykämie < 2.0 mmol/L
       Ein Blutzuckerwert < 2.6 mmol/L bei Neugebo-               • Prolongierte Hypoglykämie > 4 Stunden
       renen ≥ 35+0 SSW spricht bei jeglicher Bestim-             • Wiederholte Hypoglykämie
       mungsmethode für eine Hypoglykämie und muss
       behandelt werden.
                                                                Erklärungen zu den Fussnoten
                                                                in den Schemata
     Schema zur Prävention einer Hypoglykämie
     bei Neugeborenen mit erhöhtem Risiko                       1. Erhöhtes Risiko für Hypoglykämie
     Die Abbildung 1 zeigt die empfohlene Prävention (Früh-     • Frühgeborene < 37+0 SSW
     ernährung, Dextrose-Gel 40%, Zusatzernährung), so-
     wie Blutzuckertests und weitere Massnahmen bei Neu-        • Mütterlicher Diabetes (sowohl diätetisch eingestellt,
     geborenen mit einem erhöhten Risiko für Hypoglykä-           als auch insulinpflichtig)
     mie. Ergänzend sollte der Energieverbrauch des Kin-
     des minimiert werden, indem die Körpertemperatur           • Geburtsgewicht < 2500 g am Termin oder bei Ge-
     im Normalbereich gehalten wird (s. Leitlinie Betreu-         burtsgewicht < 3. Perzentile
     ung von Frühgeborenen 34+0 bis 36+6 SSW www.neo-
     net.ch/recommendations25).
                                                                • Geburtsgewicht > 4500 g am Termin oder bei Ge-
                                                                  burtsgewicht > 97. Perzentile
     Schema zur Überwachung und Behandlung                      • Kranke Neugeborene (z.B. Asphyxie, Infektion,
     von Neugeborenen mit V.a. Hypoglykämie                       Atemnotsyndrom, Hämolyse, u.v.a.)
     Die Abbildung 2 zeigt den Ablauf der Blutzuckertests
     und Massnahmen bei Neugeborenen mit hypoglykä-             • Hypothermie (< 36.5° C)
     mieverdächtigen Symptomen.

              Erhöhtes Risiko für
               Hypoglykämie 1)

       Frühernährung, Dextrose-Gel,
       Zusatzernährung (5 mL/kg) 3)
          in erster Lebensstunde

                BZ mit 3-4 h 4)                        ≥ 2.6 mmol/L                            BZ vor MZ 4)

                                                                                       Stillen, Zusatzernährung
                                                                                            (5 mL/kg/MZ) 3)
                 < 2.6 mmol/L

        Rasche enterale Therapie
      Dextrose-Gel, Zusatzernährung
            (10 mL/kg/MZ) 5)

                  BZ 1 h nach
                                                       ≥ 2.6 mmol/L                            BZ vor MZ 4)
                     MZ 4)
                                                                                       Stillen, Zusatzernährung
                                                                                         (10-15 mL/kg/MZ) 5)

                 < 2.6 mmol/L                  Kontaktiere Neonatologie 6)                     < 2.6 mmol/L

     Abbildung 1: Erklärungen der Fussnoten s. Seiten 7 und 8; (BZ = Blutzucker, MZ = Mahlzeit).

26                                                                                   Vol. 32 | 1-2021
Fortbildung

   Verdacht auf Hypoglykämie 2)

                                                                                     Erwäge alternative
                                                                                    Gründe für Symptome
              Sofort BZ 4)                          ≥ 2.6 mmol/L
                                                                                      Evtl. Kontakt zur
                                                                                        Neonatologie
            < 2.6 mmol/L

   Rasche enterale Therapie
 Dextrose-Gel, Zusatzernährung
       (10 mL/kg/MZ) 5)

              BZ 1 h nach
                                                    ≥ 2.6 mmol/L                           BZ vor MZ 4
                 MZ 4)

                                                                                   Stillen, Zusatzernährung
                                                                                     (10-15 mL/kg/MZ) 5)

            < 2.6 mmol/L                    Kontaktiere Neonatologie 6)                   < 2.6 mmol/L

Abbildung 2: Erklärungen der Fussnoten s. Seiten 7 und 8; (BZ = Blutzucker, MZ = Mahlzeit).

2. Verdacht auf Hypoglykämie                                legt werden (spätestens innerhalb der ersten Lebens-
Hypoglykämieverdächtige Symptome können neuro-              stunde). Während der ersten 2 bis 3 Lebenstage soll-
logisch (Muskelhypotonie, Hyperexzitabilität, Apathie,      ten sie alle 2 bis 3 h gestillt werden.
Krampfanfälle), kardiorespiratorisch (Apnoe, Zyanose,
Blässe, Tachykardie, Bradykardie), oder sonstiger Art       Prophylaktische Gabe von Dextrose-Gel 40%
sein (z.B. Schwitzen, Tremor, Zittrigkeit, Hypother-        Eine Einzeldosis von 200 mg/kg KG Dextrose-Gel 40%
mie). Bei neurologischen Symptomen aufgrund einer           (0.5 mL/kg KG), im Alter von 1 Lebensstunde in die
Hypoglykämie geht man davon aus, dass das Gehirn            Wangenschleimhaut massiert, senkt das Risiko für
zu wenig Glukose und alternative Energieträger erhält,      eine neonatale Hypoglykämie. Dies gilt für Kinder mit
daher ist eine schnelle und effektive Behandlung nö-        erhöhtem Risiko für Hypoglykämie und ist nicht auf
tig. Hypoglykämiesymptome sind unspezifisch, des-           Neugeborene diabetischer Mütter beschränkt39).
wegen sollten bei Persistenz der Symptome trotz nor-
malisiertem Blutzucker alternative Diagnosen in Er-         Formulamilch
wägung gezogen werden.                                      Unmittelbar nach dem Stillen kann dem Kind zusätz-
                                                            lich Formulamilch angeboten werden (5 mL/kg KG),
3. Frühernährung, Dextrose-Gel 40%,                         bis ausreichend Muttermilch zur Verfügung steht.
Zusatzernährung
Pränatale Kolostrumgewinnung                                4. Blutzuckerbestimmungen
In manchen Kliniken wird Schwangeren die vorgeburt-         Der Blutzucker kann mit bedside-Methoden gemes-
liche Kolostrumgewinnung angeraten. Dies erfolgt un-        sen werden. Bei asymptomatischen Neugeborenen
ter der Annahme, nach der Geburt Kolostrum bei Kin-         mit erhöhtem Risiko für Hypoglykämie sollte der erste
dern mit erhöhtem Risiko für Hypoglykämie als Zusatz-       Blutzucker im Alter von 3 bis 4 Lebensstunden be-
ernährung zu verabreichen, um den Blutzuckerspiegel         stimmt werden, d.h. unmittelbar vor der 2. Mahlzeit.
anzuheben, bzw. es zur Behandlung manifester Hypo-          Im Falle einer Hypoglykämie sollte er nach 1 h wieder-
glykämie einzusetzen. Leider spricht die Datenlage da-      holt werden, um den Behandlungserfolg zu überprü-
für, dass pränatal gewonnenes Kolostrum fast immer          fen. Falls der Kontrollwert ≥ 2.6 mmol/L ist, sind trotz-
nur in geringer Menge exprimiert wird und nach Geburt       dem weitere Messungen vor den nächsten Mahlzeiten
praktisch keinen Effekt auf den Blutzuckerspiegel hat37).   notwendig. Sobald drei aufeinanderfolgende Messun-
Andererseits gibt es keine Evidenz dafür, dass dieses       gen normal sind, kann auf weitere Bestimmungen ver-
Vorgehen schadet und es könnte die Kuhmilchexposi-          zichtet werden. Bei hypoglykämieverdächtigen Sym-
tion in den ersten Lebenstagen reduzieren38).               ptomen muss der Blutzucker unmittelbar gemessen
                                                            werden.
Frühernährung mit Muttermilch
Neugeborene mit erhöhtem Risiko für Hypoglykämie            5. Enterale Therapie
sollten unmittelbaren Hautkontakt mit ihrer Mutter          Die Diagnose einer Hypoglykämie erfordert eine ra-
haben und möglichst früh an die Mutterbrust ange-           sche Behandlung ohne jegliche Verzögerung. Eine Ein-

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Fortbildung
      zeldosis 200 mg/kg KG (0.5 ml/kg KG) Dextrose-Gel
      40% sollte zügig und unmittelbar vor dem Stillen in
      die Wangenschleimhaut einmassiert werden, weil es
      die Chance für einen Behandlungserfolg verbessert,
      die Verlegung auf die Neonatologie verhindern kann,
      die Stillrate im Vgl. zu Placebo erhöht ist, die neuro-
      logische Entwicklung nicht beeinträchtigt wird und es
      zudem kostengünstig ist40,41). Dextrose-Gel 40% kann
      in den ersten 48 Lebensstunden wiederholt gegeben
      werden, wobei im Falle wiederholter Hypoglykämien
      immer ein Neonatologe oder Pädiater zugezogen wer-
      den sollte. Innerhalb der ersten 2 bis 3 Lebenstage
      sollte im Anschluss an 2- bis 3-stündliches Stillen zu-
      sätzlich Formulamilch angeboten werden (ca. 10 mL/
      kg KG), so dass man auf eine Gesamtmenge von etwa
      10-15 mL/kg KG pro Mahlzeit kommt. Im Allgemeinen
      ist von oralen Glukoselösungen (z.B. Glukose 10%) ab-
      zuraten. Bei Ernährungsschwierigkeiten kann, ent-
      sprechende Kompetenz vorausgesetzt, die Ernährung
      über eine Magensonde erwogen werden, wobei hier
      ein Neonatologe oder Pädiater beratend zugezogen
      werden sollte.

      6. Kontaktaufnahme mit der Neonatologie
      Wenn eine Hypoglykämie durch enterale Ernährung
      und Dextrose-Gel 40% nicht behoben werden kann,
      ist eine i.v.-Therapie notwendig. Derartige Behandlun-
      gen finden üblicherweise auf Neonatologien der Stufe
      IIa, IIb, oder III gemäss CANU-Einteilung statt1). Im
      Falle schwerer, prolongierter, oder wiederholter Hy-
      poglykämien ist eine rasche Kontaktaufnahme mit der
      nächstgelegenen Neonatologie dringend angeraten,
      um die weiteren Massnahmen zu besprechen.

      Für das Literaturverzeichnis verweisen wir auf unsere
      Online Version des Artikels.

      Autoren
      Prof. Dr. med. Sven Schulzke, Abteilung Neonatologie, Universitäts-Kinderspital beider Basel UKBB
      Dr. med. Seema Das-Kundu, Zürich
      Jehudith Fontijn, Klinik für Neonatologie, Universitätsspital Zürich
      Dr. med. Marion Mönkhoff, Kindermedizin, Klinik Hirslanden Zürich
      Dr. med. Roland Neumann, Abteilung Neonatologie, Universitäts-Kinderspital beider Basel UKBB
      PD Dr. med. Gabor Szinnai, Abteilung Diabetologie und Endokrinologie, Universitäts-Kinderspital beider
      Basel UKBB

      Die Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang
      mit diesem Beitrag deklariert.

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