Lernort Kommune Schule und kommunale Jugendbeteiligung - Landeszentrale für politische Bildung ...

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Handreichung „Lernort Kommune“

                                 Lernort
                                 Kommune
                                 Schule und kommunale Jugendbeteiligung

                                                                    Landeszentrale
                                                                    für politische Bildung
                                                                    Baden-Württemberg
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    Impressum

    Herausgeber                               Autoren

    Landeszentrale für politische Bildung     Martina Bechtle, Projektmitarbeiterin
    Baden-Württemberg
    Lautenschlagerstr. 20                     Jessica Bold, Realschullehrerin am
    70173 Stuttgart                               August-Ruf-Bildungszentrum
                                                  Ettenheim
    Redaktion
                                              Christian Diem (StR), Gymnasium
    Dr. Gerfried Kübler, Daniel Mühl, Peter       Ettenheim
    Rauls, Karl-Ulrich Templ, Udo Wenzl
                                              Moritz Dreßen, Emmendingen

    Redaktionsschluss
                                              Johanna Forth, Schulsozialarbeit Albert-
    August 2020                                   Schweitzer-Gymnasium Gundelfingen

                                              Dr. Gerfried Kübler, Regierungspräsidium
                                                  Freiburg, Abteilung Schule und Bildung

                                              Jana Kempf, Stadt Waldkirch, Abteilung
                                                  Jugend, Soziales und Integration

                                              Anne Kunzweiler (StR’in), Heimschule
                                                  St. Landolin Ettenheim

                                              Daniel Mühl, Projektmitarbeiter, Freiburg

                                              David Pomp (StR), Albert-Schweitzer-
                                                  Gymnasium Gundelfingen

                                              Peter Rauls, Regierungspräsidium Freiburg,
                                                  Abteilung Schule und Bildung

                                              Heike Schillinger, Stadt Ettenheim,
                                                  Stabstelle Stadtentwicklung, Bürger-
                                                  beteiligung und Öffentlichkeitsarbeit

                                              Christine Schweizer, BA Erziehungs-
                                                  wissenschaften, MA Public Manage-
                                                  ment, Freiburg

                                              Filipe Fraga Sousa, Leiter des Jugend-
                                                   zentrums Gundelfingen

                                              Karl-Ulrich Templ, Landeszentrale für
                                                  politische Bildung, Stuttgart

                                              Pavlos Wacker, Projektmitarbeiter,
                                                  Waldkirch

                                              Udo Wenzl, Landeszentrale für politische
                                                  Bildung, Waldkirch
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Inhalt

1. Vorwort ........................................................ 4            Modul 4: „Politik in unserer Gemeinde?
                                                                                 Da bin ich dabei.“ ............................................. 22
                                                                                 Modul 5: „Heute war es wirklich ganz
2. Jugendbeteiligung weiterdenken:                                               besonders interessant!“ .................................. 23
   Was ist das Ziel? ........................................ 6
                                                                                 Modul 6: „Wir arbeiten gemeinsam!“.............. 23
a) Politische Bildung und Jugendbeteiligung                              6
                                                                             b) Mögliche Varianten der Beteiligungs-
    Kommunale Jugendbeteiligung unter                                           und Arbeitsformate – eine Auswahl ............. 24
    Einbindung des Paragrafen 41a der
    Gemeindeordnung Baden-Württemberg und
    des Kinder- und Jugendhilfegesetzes ............                     6   4. Das Pilotprojekt ........................................ 26
    Das Sozialgesetzbuch VIII                                                a) Das „Gundelfinger Modell“ ............................ 27
    (Kinder- und Jugendhilfegesetz) ....................                 6
                                                                             b) Das „Waldkircher Modell“ .............................. 34
    Ausgangssituation für eine
                                                                             c) Das „Ettenheimer Modell“ ............................. 40
    kommunale Jugendpolitik ..............................               7
                                                                             d) Evaluation der Pilotprojekte in
    Kommunale Jugendbeteiligung
                                                                                Gundelfingen und Waldkirch .......................... 43
    in der Praxis.....................................................   8
                                                                             e) Ein Umsetzungsvorschlag –
b) Demokratiebildung im Bildungsplan der
                                                                                Verankerung des Projekts „Schule und
   Schulen in Baden-Württemberg ................... 10
                                                                                kommunale Jugendbeteiligung“ im
    Vor welchen Herausforderungen stehen die                                    Fachunterricht sowie im Schulkonzept
    Demokratie und die Demokratiebildung? ........ 10                           Demokratiebildung ......................................... 46
    Welches sind Elemente einer nachhaltigen                                 f) Ein weiteres Projekt: Die beruflichen
    Demokratiebildung in der Schule? ................. 11                       Schulen Emmendingen (mit dem
    Demokratiebildung als verfassungsrechtlicher                                Schwerpunkt der politischen Bildung) ........... 49
    und gesetzlicher Auftrag der Schulen ............ 12
    Demokratiekompetenzen und deren                                          5. Standort- und konzeptübergreifende
    Verankerung im Bildungsplan der
                                                                                Erkenntnisse und Empfehlungen … .... 52
    Grundschule und den weiterführenden
    allgemeinbildenden Schulen........................... 14
    Einführung in den Bildungsplan ..................... 14                  6. Integration der Ergebnisse
    Fächerübergreifende Leitperspektiven .......... 15                          in Form von Leitlinien ............................ 54
    Prozess- und inhaltsbezogene Kompetenzen
    der Einbindung der Fächer ............................. 15               7. Anhang .......................................................... 58
c) Einbindung der SMV ....................................... 16             a) Das Modell des 8er-Rats ................................ 58
                                                                             b) Das Jugendrathaus als Wegbereiter
3. Gemeinsam Jugendbeteiligung                                                  für den 8er-Rat in Rheinfelden ...................... 60
   gestalten ...................................................... 20       c) Kinder- und Jugendbeteiligung in der
                                                                                Stadt Konstanz: Handreichung zum
a) Sechs Module für Schule und Gemeinde ....... 20
                                                                                Konzept der Schulthementage ...................... 65
    Modul 1: „Darüber möchten wir gerne
                                                                             d) Cyberdingen – ein Planspiel der
    mit Ihnen reden!“............................................. 20
                                                                                politischen Bildung zur Kommunalpolitik
    Modul 2: „Jetzt geht’s los!“ ............................. 21               und Jugendbeteiligung ................................... 78
    Modul 3: „Hiermit beschließt die SMV also ...“ 22
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1. Vorwort

    Wer einen Schatz heben möchte ...                           Der Ort, an dem junge Leute diese grundlegenden
                                                                Erfahrungen machen und gemeinsam reflektieren
    Wer einen Schatz heben möchte, erhöht seine Erfolgs-        können, ist die Schule. Sie ist, so Hans Anand Pant in
    aussichten ungemein, wenn er über eine Schatzkarte          der Einführung zum Bildungsplan 2016, „der Gelegen-
    verfügt, in der eine Wegbeschreibung, die wichtigsten       heitsraum für gelebte Demokratie“. Schüler*innen,
    Abzweigungen, besondere Streckenabschnitte und              denen sich im Unterricht, in Projekten und in Arbeits-
    natürlich Fundorte verzeichnet sind. Vielleicht ist nicht   gemeinschaften, auf Klassenebene und im Schülerrat
    auf den ersten Blick erkennbar, dass Sie eine solche        die Gelegenheit bietet, in bedeutsamen schulischen
    Schatzkarte gerade in Händen halten, aber es stimmt.        Bereichen mitzubestimmen und Verantwortung zu
    Besser noch: Die Lektüre dieser Handreichung wird           übernehmen, werden sich voller Lust aktiv im Unter-
    zeigen, dass es zum Fundort dieses Schatzes, mitten         richt und in der Schülermitverantwortung engagieren.
    in Ihrer Gemeinde und in deren Schulen gelegen, gar
    nicht so weit ist und dass schon der Weg dahin voller       Schulen, die Möglichkeiten des Demokratielernens im
    bemerkenswerter Erlebnisse ist.                             Unterricht schaffen und sich für eine demokratische
                                                                Schulkultur einsetzen, werden vielfach belohnt: Studi-
    Wenn eine Schatzkarte mit dem Hinweis beginnt, dass         en belegen eindeutig, dass auf diesem Weg Störungen
    „§ 41a GemO” zum 1.12.2015 geändert wurde, dann             abnehmen und das Miteinander noch besser gelingt
    klingt das zunächst wenig spektakulär. So verständlich      und dass durch die entfachte Motivation, das größere
    es wäre, mit einem Achselzucken zu reagieren, so falsch     Wohlbefinden und die gesteigerte Selbstwirksam-
    wäre es. § 41a regelt die vormals den Gemeinden frei-       keitsüberzeugung auch der Lernerfolg zunimmt. In
    gestellte Beteiligung von Kindern und Jugendlichen          der demokratiefreundlichen Schule öffnet sich der
    nun rechtsverbindlich: „Die Gemeinde soll Kinder und        Erprobungs- und Erfahrungsraum zum Kompetenz-
    muss Jugendliche bei Planungen und Vorhaben, die            erwerb des Einzelnen und zum Wohle aller.
    ihre Interessen berühren, in angemessener Weise
    beteiligen. Dafür sind von der Gemeinde geeignete           Die in § 41a GemO formulierte Vorgabe wird somit zu
    Beteiligungsverfahren zu entwickeln.“                       unser aller Schatz. Für jede Gemeinschaft gilt: Ein
                                                                demokratisches, friedliches Miteinander funktioniert
    Die hier formulierte Vorgabe stärkt die Beteiligungs-       nur mit überzeugten Demokraten, die offen und ernst-
    rechte von Kindern und Jugendlichen. Sie ist Grundlage      haft an Entscheidungen teilhaben und dabei auch
    ihres demokratischen Anspruchs, sich in Gestaltungs-        andere Standpunkte tolerieren können.
    fragen des Gemeinwesens einzumischen und ihre
    Interessen in der Kommune einzubringen. § 41a der           Unser Zusammenleben kann nur gelingen mit über-
    Gemeindeordnung verspricht allen Kindern und                zeugten Demokraten, die gemeinsame demokratische
    Jugendlichen jeder Gemeinde Baden-Württembergs              Werte anerkennen und praktizieren, die sich für an-
    damit auch den Schatz der Demokratie: Du gehörst            dere engagieren und für die Gemeinschaft Verant-
    dazu! Deine Stimme wird gehört! Deine Tatkraft wird         wortung übernehmen. Wer heute Kinder und Jugend-
    gebraucht! Dein Engagement wird wertgeschätzt!              liche an Gestaltungsfragen der Gemeinschaft, in der
    Wer diese existentiell wichtigen Erfahrungen macht,         Schule wie in der Gemeinde, beteiligt, trägt also einer-
    lernt und erlebt Demokratie. Wer diese Gelegenheit          seits zur Zukunftsfähigkeit unserer Demokratie bei
    wahrnimmt, wird und bleibt Demokrat.                        und bereichert andererseits bereits das gegenwärtige
                                                                Zusammenleben durch die Mitwirkung junger Leute.
                                                                Deren kluge, kreative Ideen und besondere Tatkraft
                                                                sind für viele Planungen und Vorhaben ein Schatz, auf
                                                                den keine Schule und keine Gemeinde verzichten kann.
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Vorwort      5

Schließlich formuliert § 41a GemO auch den Auftrag an    In manchen Schulen und Gemeinden ist der Schatz der
die Gemeinden Baden-Württembergs, angemessene            Kinder- und Jugendbeteiligung schon längst gefunden,
Formen und geeignete Verfahren der Beteiligung zu        in anderen wird man sich aufmachen, ihn zu entdecken.
finden. Möglich sind also an repräsentativ-parlamen-      Auch wenn es auf dem Weg vielleicht das eine oder
tarischen Verfahren orientierte Beteiligungsformen       andere Mal nach einem schwierigen Unterfangen aus-
wie z. B. Jugendgemeinderäte, denkbar sind auch viel-    sehen mag, so sollte niemand aufgeben. Diese Hand-
fältige offene oder projektorientierten Beteiligungs-    reichung, Ihre Schatzkarte zeigt: Der Schatz ist da!
formen. Welches Beteiligungsverfahren das richtige,      Er wartet nur darauf, gehoben zu werden!
zu einer Gemeinde und Ihren Möglichkeiten passende
ist, lässt die Gemeindeordnung offen. Dass sich aber     Mit der Handreichung wollen wir alle in Schule und
jede Gemeinde auf die Suche nach der angemessenen        Gemeinde bei der Entwicklung von Jugendbeteili-
Beteiligungsweise und dem geeigneten Format bege-        gungsformaten ermutigen und unterstützen.
ben muss, wird hier sehr deutlich formuliert.
                                                                 Für die Landeszentrale für politische Bildung
Diese Handreichung richtet sich an die, die auf eben                        Karl-Ulrich Templ und Udo Wenzl
dieser Suche sind. Sie erkundet und dokumentiert
insbesondere offene und projektbezogene Formate,                      Für das Regierungspräsidium Freiburg,
die mit besonderem Blick auf lokale Gegebenheiten                              Abteilung Schule und Bildung
und im Kooperationsgeschehen von Schulen und                             Dr. Gerfried Kübler und Peter Rauls
Gemeinden entwickelt wurden.

Die Kooperation von Schulen und Gemeinden ist dabei
ebenso naheliegend wie neu. Unsere Handreichung
versucht auszuloten, wo durch das Zusammenwirken
schulischer Demokratiebildungsarbeit und kommuna-
ler Jugendbeteiligungsangebote Synergien und neue
Bildungsperspektiven entstehen können und welches
dabei die Gelingensfaktoren sind.

Die in der Arbeit insbesondere mit den Gemeinden
Gundelfingen und Waldkirch sowie den jeweils betei-
ligten Schulen entstandenen sechs Module für Schule
und Gemeinde konkretisieren Etappen auf dem Weg
der gemeinsamen Gestaltung von Jugendbeteiligung.
Auf Ihrer eigenen Suche können Sie gerne auf die
Inhalte dieser Module zurückgreifen. Sie sind als In-
formations-, Austausch- und Erarbeitungsangebote
so konzipiert, dass alle relevanten Entscheidungen von
den in ihrer Schule und Gemeinde beteiligten Perso-
nen, darunter natürlich die Jugendlichen, getroffen
werden – eigene Abzweigungen und besondere lokale
Wegabschnitte inklusive.
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2. Jugendbeteiligung weiterdenken:
   Was ist das Ziel?
    a) Politische Bildung und                                Kommunale Jugendbeteiligung unter Einbindung
    Jugendbeteiligung                                        des Paragrafen 41a der Gemeindeordnung Baden-
                                                             Württemberg und des Kinder- und Jugendhilfe-
    von Karl-Ulrich Templ, Pavlos Wacker und Udo Wenzl       gesetzes

    Kommunen sind Beteiligungsorte für alle Generationen     Mit der am 17. Oktober 2015 novellierten Gemeinde-
    und zugleich auch Bildungsorte. Kinder und Jugend-       ordnung von Baden-Württemberg (GemO) wurde mit
    liche sollten dabei besonderes im Blick sein, denn sie   der nun verbindlich festgeschriebenen Jugendbeteili-
    sind Gegenwart und Zukunft in einem. Werden sie          gung ein Steuerungsinstrument für eine aktivierende
    frühzeitig ins kommunale Geschehen einbezogen,           Jugendpolitik auf den Weg gebracht. § 41a (Kinder- und
    kann eine hohe Identifikation mit dem Gemeinwesen         Jugendbeteiligung) der Gemeindeordnung lautet „Die
    entstehen. Dies bedeutet u. a. Gemeinschaft und Wert-    Gemeinde soll Kinder und muss Jugendliche bei Pla-
    schätzung zu erfahren und Beteiligung zu lernen, um      nungen und Vorhaben, die ihre Interessen berühren,
    auf diesem Wege möglichst früh positive Erfahrungen      in angemessener Weise beteiligen. Dafür sind von der
    mit demokratischen Entscheidungsprozessen zu ma-         Gemeinde geeignete Beteiligungsverfahren zu entwi-
    chen. Junge Menschen können auf der kommunalen           ckeln. Insbesondere kann die Gemeinde einen Jugend-
    Ebene unmittelbar erfahren, wie gemeinsam mit            gemeinderat oder eine andere Jugendvertretung ein-
    anderen ein sozial gedeihliches Zusammenleben ver-       richten.“
    antwortungsvoll gestaltet werden kann. Die Idee
    hierbei ist, dass Kinder, Jugendliche, Erwachsene und    2017/2018 hat die Landeszentrale eine umfassende
    Senioren einvernehmlich an der Entwicklung der           Erhebung bezüglich der Umsetzung von § 41a durch-
    Gemeinde mitwirken. Dies setzt einen ständigen Aus-      geführt. Von 1.101 Städten und Gemeinden nahmen
    tausch zwischen Bürgerinnen und Bürgern, Gemeinde-       1.068 an der Studie teil (97 %), erstmals liegt damit ein
    rat und Bürgermeister*in sowie Mitarbeitenden der        landesweiter Überblick vor. 53 % der Kommunen in
    Kommunalverwaltung voraus.                               Baden-Württemberg geben an, dass sie Jugendbetei-
                                                             ligungsformate anbieten, wobei die projektbezogene
                                                             Beteiligung am häufigsten eingesetzt wird.

                                                              Die gesamte Studie ist zu finden unter
                                                              https://www.lpb-bw.de/fileadmin/lpb_hauptportal/pdf/bausteine_
                                                              materialien/studie_jugendbeteiligung_2018.pdf

                                                             Das Sozialgesetzbuch VIII
                                                             (Kinder- und Jugendhilfegesetz)

                                                             Das Sozialgesetzbuch VIII das Kinder- und Jugend-
                                                             hilfegesetz bildet eine wichtige gesetzliche Grundlage
                                                             für die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen. Neben
                                                             der Gemeindeordnung Baden-Württemberg ist für die
                                                             (kommunale) Jugendarbeit das Kinder- und Jugend-
                                                             hilfegesetz (SGB VIII) von großer Bedeutung. In § 1 und
                                                             11 sind wichtige Aspekte und Voraussetzungen für die
                                                             Umsetzung der Jugendarbeit beschrieben. Gleichzeitig
                                                             formuliert das Gesetz auch die „strukturelle Zusam-
Lernort Kommune Schule und kommunale Jugendbeteiligung - Landeszentrale für politische Bildung ...
Jugendbeteiligung weiterdenken: Was ist das Ziel?                7

menarbeit“ (§ 81) mit Organisationen, deren Tätigkeit       Ausgangssituation für eine kommunale Jugendpolitik
sich auf die Lebenssituation junger Menschen auswirkt.
Es spricht somit auch eine Kooperationsempfehlung           Kinder und Jugendliche sind in repräsentativen Demo-
mit Schulen aus.                                            kratien häufig unterrepräsentiert. Dies wird nicht nur
                                                            in den Landtagen und dem Bundestag deutlich, son-
Der Auftrag der Kinder- und Jugendarbeit wird in § 11       dern zeigt sich erst recht und noch viel stärker in un-
konkretisiert: „Jungen Menschen sind die zur Förderung      seren Kommunalparlamenten. Eine Erhebung der
ihrer Entwicklung erforderlichen Angebote der Jugend-       Hochschule für öffentliche Verwaltung Kehl hat erge-
arbeit zur Verfügung zu stellen. Sie sollen an den Inter-   ben, dass die Zahl der bis zu 25-jährigen Gemeinde-
essen junger Menschen anknüpfen und von ihnen               rät*innen in Baden-Württemberg nur verschwindend
mitbestimmt und mitgestaltet werden, sie zur Selbst-        gering ist. Sie liegt gerade mal bei 0,6 %. Hieraus er-
bestimmung befähigen und zu gesellschaftlicher Mit-         geben sich zwei größere Problemfelder, mit denen wir
verantwortung und zu sozialem Engagement anregen            als Gesellschaft umgehen müssen. Zum einen ist
und hinführen.” Weiter heißt es auch, dass zu den           fraglich, ob jugendpolitische Themen bei einer derart
Schwerpunkten der Jugendarbeit „die außerschulische         gravierenden Unterrepräsentation überhaupt Mehr-
Jugendbildung mit allgemeiner, politischer, sozialer,       heiten finden und zum anderen bleibt natürlich offen,
gesundheitlicher, kultureller, naturkundlicher und tech-    ob 18- bis 25-Jährige wirklich die Interessen von
nischer Bildung“ (§ 11, Abs. 1) gehören.                    Kindern und Jugendlichen angemessen repräsentie-
                                                            ren wollen und können.
In § 1 wird als eine zentrale Zielsetzung der Jugendhilfe
und somit auch der Jugendarbeit formuliert, „Bei der        Die Politik in der Kommune wird öfters geringwertig
Umsetzung der im SGB VIII formulierten Maßnahmen,           eingeschätzt und steht im Schatten der s.g. „hohen“
sind positive Lebensbedingungen für junge Menschen und      Politik. Zu Unrecht. Gerade in Kommunen wird das
ihre Familien sowie eine kinder- und familienfreundliche    Politische greifbar, erlebbar und für (Jung-)Bür-
Umwelt zu erhalten oder zu schaffen“ (§ 1, Abs.3, 4).       ger*innen erfahrbar gemacht. Hier werden die großen
                                                            Probleme in ihre Einzelteile zerlegt und müssen prag-
Die Jugendsozialarbeit an Schulen findet ihre rechtliche     matisch gelöst werden. Es ist daher nur konsequent,
Basis in § 13 Jugendsozialarbeit (SGB VIII), zielt ins-     in der politischen Bildungsarbeit dort anzusetzen, wo
besondere auf die Unterstützung junger Menschen mit         junge Menschen unweigerlich ihren Erstkontakt mit
sozialen Benachteiligungen ab. Dies allein ist aber         dem Politischen finden; in der Kommune. Kinder und
nicht nur der Auftrag der Schulsozialarbeit, da sich die    Jugendliche müssen die Kommune und ihr persönli-
Konzepte der Schulsozialarbeit sehr stark ausdifferen-      ches Umfeld als etwas hoch Politisches erleben.
ziert haben und wichtiger Baustein in der kommunalen
Bildungslandschaft geworden ist.                            Die kommunale Jugendbeteiligung löst also zwei Dinge:
                                                            Zum einen bietet die Gemeinde eine Plattform, in der
Die gesetzliche Grundlage der Jugendarbeit (§ 11) und       Interessen, Ideen, Visionen und damit schlussendlich
Jugendsozialarbeit (§ 13) verbunden mit der Koopera-        die zentralen Kernthemen junger Menschen artikuliert
tionsaufforderung von Jugendhilfe mit Schule (§ 81          werden können. Zum anderen gestaltet die Gemeinde
Zusammenarbeit der Jugendhilfe mit Schule), sind            damit, wie im Kinder- und Jugendhilfegesetz vorge-
gerade für die sozialpädagogischen Akteur*innen be-         sehen, das Feld der politischen Bildung mit.
deutsam, um Teil der Umsetzung der Kinder- und
Jugendbeteiligung in Kooperation mit Schulen zu sein.       Eine jugendpolitisch attraktive Gemeinde wird schnell
                                                            für junge Familien interessant. Hier können noch un-
                                                            genutzte Potentiale aktiviert werden. Des Weiteren
                                                            wird sich ein junger Mensch, der in einer für ihn/sie
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    attraktiven Gemeinde lebt, zweimal überlegen, ob sich    Jugendgemeinderat (parlamentarisch):
    ein Umzug nach der Volljährigkeit lohnt. Vor allem für   Der Jugendgemeinderat (JGR) ist ein recht be-
    ländliche Gemeinden ist ein nachhaltiges, auf junge      kanntes Beteiligungsformat mit langer Tradition
    Menschen ausgelegtes Gemeindeentwicklungskon-            in Baden-Württemberg (1985 gründete die Stadt
    zept gewinnbringend. Sie investieren in junge Men-       Weingarten in Oberschwaben den ersten Jugend-
    schen und können dadurch junge Menschen auch als         gemeinderat). In Jugendgemeinderäten werden
    Bürgerinnen und Bürger halten oder im Idealfall sogar    junge Menschen zu einer Art Gemeinderat ge-
    gewinnen.                                                wählt, haben in der Regel ein Antrags- und ein
                                                             Anhörungsrecht und einen festen Sitzungsrhyth-
    Kommunale Jugendbeteiligung in der Praxis                mus. Jugendgemeinderäte sind vergleichbar mit
                                                             dem Gemeinderat, aber für junge Menschen. Es
    Unter kommunaler Jugendbeteiligung versteht man          ist ein institutionalisiertes Verfahren auf der
    grundsätzlich alle Formate und Verfahren, in denen       Basis von Satzungen und Geschäftsordnungen.
    Jugendliche an Gemeindeentwicklungsprozessen teil-       Aus Untersuchungen ist bekannt, dass Jugend-
    haben dürfen. Seit 2015 gibt es hierfür auch eine re-    gemeinderäte in der Regel junge Menschen er-
    formierte Rechtsgrundlage. § 41a schreibt vor: „Die      reichen, die ein positives Verhältnis zu ihrer
    Gemeinde soll Kinder und muss Jugendliche bei Pla-       Kommune und zu Politik haben. Aus der Praxis
    nungen und Vorhaben, die ihre Interessen berühren, in    ist bekannt, dass es mancherorts nicht immer
    angemessener Weise beteiligen. Dafür sind von der Ge-    leicht ist, junge interessierte Kandidatinnen und
    meinde geeignete Beteiligungsverfahren zu entwickeln.“   Kandidaten für eine Wahl zu motivieren.
    Damit sind Gemeinden zwar juristisch angehalten,
    geeignete Beteiligungsverfahren zu entwickeln. Doch       Einen Überblick über Jugendgemeinderäte
    welche Verfahren gibt es und welche eignen sich ins-      findet man unter:
    besondere für die jeweils eigene Kommune? Genauso         https://www.lpb-bw.de/fileadmin/Abteilung_III/
    vielfältig wie unsere 1101 politisch selbstständigen      jugend/pdf/jgr_statistik_juli_2017.pdf.
    Gemeinden in Baden-Württemberg sind auch die Ver-
    fahren und Formate, mit denen wir junge Menschen
    beteiligen können. Die hier vorgestellten Verfahren      Jugendhearing (offen): Das Jugendhearing ist ein
    sind also keine Musterantwort für jede Gemeinde, sie     Verfahren, in dem die Interessen, Positionen und
    sind vielmehr eine kleine Auswahl an sich bereits        Meinungen von Jugendlichen in einer partizipati-
    bewährt habenden Verfahren. Grundsätzlich wird           ven Form einmal punktuell abgefragt und gehört
    zwischen den parlamentarischen, offenen, schulbe-        werden („Hearing“ engl. für „hören“). Jugend-
    zogenen und projektorientierten Formen differenziert.    hearings haben in der Regel keine Satzung und
                                                             sind nicht bzw. wenig institutionell verankert. In
                                                             der Regel werden die Ergebnisse im Anschluss in
                                                             einer Gemeinderatssitzung oder in einem Aus-
                                                             schuss durch die Jugendlichen selbst vorgestellt.
                                                             Dieses Verfahren ist besonders für kleine Gemein-
                                                             den gut geeignet, um mit den am Ort lebenden
                                                             Jugendlichen jugendpolitische Themen aufzu-
                                                             arbeiten.
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Jugendbeteiligung weiterdenken: Was ist das Ziel?              9

Jugendforum (offen): Ein Jugendforum vereint die         Projektbezogene Beteiligung: Projekte sind zeit-
Flexibilität eines Jugendhearings mit dem institu-       lich begrenzte Aktivitäten, die sich in der Regel
tionellen Charakter eines Jugendgemeinderats.            durch einen hohen Grad an Mitwirkung durch be-
In der Regel findet im Rahmen eines Jugend-               stimmte Zielgruppen auszeichnen. Die Klassiker
forums turnusgemäß ein Hearing statt, in welchem         hierbei sind die Planung, Gestaltung und Umset-
Jugendliche, beispielsweise in Form eines World-         zung der Skateranlage, das Anbringen von Basket-
Cafés, kommunalpolitische Themen bearbeiten.             ballkörben, aber auch „Projekte“ der Integration
Hierzu wird öffentlich eingeladen und alle Schü-         geflüchteter Menschen oder die konkrete Gestal-
lerinnen und Schüler in der Gemeinde nehmen              tung eines Schulhofs.
schulübergreifend an dem Verfahren teil. Die Er-
gebnisse werden im Anschluss in einer Gemeinde-          Kinder- und Jugendbüros: Die Kinder- und
ratssitzung vorgestellt. Mit einem offenen Format        Jugendbüros bzw. die Kinder- und Jugendreferate
erreicht man in der Regel eine größere Gruppe            sind häufig die zentralen Koordinierungsstellen
an Kindern und Jugendlichen und erreicht somit           der Beteiligung. Je nach Größe der Kommune
auch politisch Jungbürger*innen, die selbst von          und der Verwaltungen sind diese Fachbereiche
sich sagen, kaum ein Interesse an Politik zu haben.      unterschiedlich personell ausgestattet und unter-
                                                         schiedlich hierarchisch in der Verwaltungsstruktur
Der 8er-Rat (schulbezogen): Im Grunde ist die            eingebunden (bis zur Stabsstelle beim Oberbür-
Idee des 8er-Rates einfach: alle Achtklässler einer      germeister). In der Regel haben Kommunen ab
Stadt kommen in einem großen Arbeitsforum zu-            10.000 Einwohner*innen kommunale Jugend-
sammen. Dort artikulieren sie ihr Lebensgefühl           referate, die über die besten Voraussetzungen
als junge Bewohner*innen der Gemeinde und                für die Koordination der Beteiligung verfügen.
formulieren deren Stärken und Schwächen aus              Dennoch bleibt die Jugendbeteiligung eine Quer-
ihrer Sicht. Sie entwickeln Ideen, wie sie das           schnittsaufgabe aller Bereiche einer Kommunal-
Gemeinwesen zum Positiven verändern wollen.              verwaltung, da viele jugendrelevante Themen
Es werden schulübergreifend Gruppen gebildet,            häufig auch mit baulichen Maßnahmen in Verbin-
in denen die Jugendlichen gemeinsam ihre An-             dung stehen. Wichtig jedoch ist, dass es überhaupt
liegen diskutieren und formulieren, dann werben          eine Kommunikations- und Koordinierungsstelle
sie gegenüber der Politik für diese Anliegen.            hierfür gibt, und wenn es in kleineren Gemeinden
Danach werden die Jugendlichen begleitet, um             der/die Bürgermeister*in selbst organisiert.
ihre Projektideen auch umsetzen zu können. Es
handelt sich also nicht um einen repräsentativen      Manche Begriffe und Formen werden häufig synonym
Rat, in den die Achtklässler gewählt werden, son-     verwendet. Häufig werden auch Elemente aus ver-
dern im Sinne des ursprünglichen Räte-Gedan-          schiedenen Verfahren gemischt (Methodenmix) und
kens um ein Modell, bei dem jede*r, weil er/sie       neue Verfahren gemeindespezifisch entwickelt. Den
Teil der Gemeinschaft ist, auch Teil des Rates ist.   Königsweg in der Jugendbeteiligung gibt es nicht.
Der 8er-Rat funktioniert besonders gut dann,
wenn von möglichst vielen Schulformen (Werk-
realschule, Gemeinschaftsschule, SBBZ, Real-
schule, Gymnasium) eine 8te-Klasse mit dabei ist.
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     b) Demokratiebildungen im                                      Wenn du dich nicht entscheidest,
     Bildungsplan der Schulen in                                    dann verlasse ich dich.
     Baden-Württemberg                                                                  Deine Demokratie

     von Dr. Gerfried Kübler

     Vor welchen Herausforderungen stehen die                    Während – vor allem nach dem Ende des Ost-West-
     Demokratie und die Demokratiebildung?                       Konflikts – von einem weltweiten Siegeszug von demo-
                                                                 kratisch legitimierten politischen Ordnungen gespro-
                                                                 chen wurde, muss sich die Demokratie seit einiger Zeit
                                                                 wieder verstärkt Legitimationsfragen und/oder Fragen,
                                                                 ab wann man überhaupt von einer Demokratie spre-
                                                                 chen kann, stellen. Diesen Fragen muss sie sich sowohl
                                                                 innerhalb der Bundesrepublik Deutschland als auch
                                                                 weltweit stellen. So wird man in der Bundesrepublik
                                                                 Deutschland beispielsweise seit einiger Zeit wieder
                                                                 verstärkt mit einem Demokratieverständnis konfron-
                                                                 tiert, das von einem „einheitlichen Volkswillen“ aus-
                                                                 geht, der mit „gesundem Menschenverstand“ erkenn-
                                                                 bar sei. Ein zentrales Prinzip einer jeden Demokratie,
                                                                 die pluralistische Auseinandersetzung bei Sachthemen
                                                                 im Rahmen eines öffentlichen Diskurs, wird dabei
                                                                 bewusst negiert.

     ZUFRIEDENHEIT MIT DEN FUNKTIONEN                           Die damit einhergehenden zentralen Herausforde-
     DER DEMOKRATIE                                             rungen für politisch-historische Bildung an Schulen
                                                                    bestehen zum einen darin, Demokratiebildung als
                                                                       fortlaufende und kontinuierliche Aufgabe – unab-
                                                 7,8 %
                                     13,5 %                              hängig von den immer wiederkehrenden „Kon-
                                                                          junkturzyklen“ bezüglich der Einstellungen
                                                                           zur Demokratie – zu betrachten. Demokratie
                                                                            braucht den vielbeschworenen „mündigen
                                                                            Bürger“, oder wie es Theodor Eschenburg,
                                                         38,8 %             der erste Lehrstuhlinhaber für Politikwissen-
                                                                            schaft in Deutschland, auch mit Blick auf die
                              39,9 %                                       politisch-historische Bildung formulierte:
                                                                         „Demokraten fallen nicht vom Himmel“. Zum
                                                                        anderen besteht auf der eher analytischen
         sehr zufrieden                                              Ebene eine zentrale Herausforderung in der Klä-
         ziemlich zufrieden                                      rung der Frage, welche Merkmale unabdingbar sind,
         wenig zufrieden
                                                                damit von einer Demokratie gesprochen werden kann.
                                                                Nur dadurch ist es möglich, transparent und nach-
         überhaupt nicht zufrieden
                                                                vollziehbar, unterscheiden zu können, wann bei einer
     n = 2495                                                   existierenden politischen Ordnung von einer Demo-
     Quelle: Umfrage FES/Universität Bonn 2019                  kratie gesprochen werden kann.
Jugendbeteiligung weiterdenken: Was ist das Ziel?              11

Welchen Beitrag kann nun die Schule in diesem Kon-        Empathie: sich in Interessen und Denkweisen
text leisten? Sie kann geeignete Lernangebote und         anderer Menschen hineinversetzen und das
Lernarrangements anbieten, die es den Schülerinnen        eigene Verhalten reflektieren können
und Schülern ermöglichen die relevanten prozess- und      Argumentieren: die Fähigkeit, Positionen sachlich
inhaltsbezogenen Kompetenzen zu erwerben, damit           und überzeugend vertreten und Positionen anderer
sie befähigt werden sich zu „mündigen Bürgern“ ent-       sachlich und kritisch hinterfragen zu können
wickeln zu können.                                        Konfliktlösung: die Erprobung einer produktiven
                                                          Streitkultur und kompromissorientierter Konflikt-
Welches sind Elemente einer nachhaltigen                  lösungsmuster
Demokratiebildung in der Schule?                          Lebensweltbezug: das (Er-)leben demokratischer
                                                          Prozesse durch eigenes Handeln. Damit verbun-
Die bisher vorliegenden evidenzbasierten Befunde          den ist u.a. die Förderung der Motivation zur
über Elemente einer nachhaltigen Demokratiebildung        aktiven Gestaltung des eigenen Umfelds oder die
an Schulen sind noch sehr bruchstückhaft und haben        Entwicklung eines Verständnisses für den hohen
nur einzelne kleinere Teilelemente im Blick. Gemein-      – vor allem auch zeitlichen – Aufwand für demo-
same Grundlage aller Befunde ist aber, dass eine          kratische Prozesse
nachhaltige Demokratiebildung an Schulen zwei
Grunddimensionen im Blick zu behalten hat: Den         Methodenkompetenz
Erwerb von Demokratiekompetenzen und Demokratie           Medienkompetenz: die Fähigkeit Informationen zu
(er)leben. Aus diesen zwei Grunddimensionen, den          gewinnen, zu verarbeiten und zielgruppen-adäquat
zuvor skizzierten Herausforderungen an Demokratien        zu präsentieren; aber auch die gewonnenen In-
und den evidenzbasierten Befunden lassen sich nach-       formationen quellenkritisch zu hinterfragen und
folgende grundlegende Elemente einer nachhaltigen         dabei auch die Zuverlässigkeit unterschiedlicher
Demokratiebildung herauskristallisieren:                  Medien und Quellen einzuschätzen

Analyse- und Urteilskompetenz                          Personale Kompetenz
   Kenntnisse: der Erwerb von Kenntnissen im              Selbstvertrauen: das Erlangen von Selbstver-
   Themenfeld Demokratie durch kognitive Aktivie-         trauen u.a. durch eigenes Handeln und darauf
   rung (u.a. mittels der didaktischen Prinzipien)        aufbauend die Entwicklung der Freude am Ge-
   und konstruktive Unterstützung                         stalten des politischen Umfelds
   Analysieren: die Fähigkeit politische Prozesse         Werteorientierung: Schaffung des Bewusstseins
   und Entscheidungen zielgerichtet zu analysieren        für wertorientiertes Handeln. Wesentlich ist die
   Perspektiven: das Bewusstsein des Vorhanden-           Verinnerlichung demokratischer Grundwerte und
   seins unterschiedlicher Perspektiven, verbunden        Haltungen, die auf den Grund- und Menschen-
   mit der Fähigkeit diese auch einnehmen zu              rechten basieren, wie etwa der Menschenwürde
   können (individuell, öffentlich, systemisch)           als der wichtigsten Werteentscheidung. Grund-
   Urteilen: die Fähigkeit sich eigenständig ein          legend ist die Einsicht, dass Freiheit und Verant-
   kriterienorientiertes Urteil zu bilden                 wortung konstitutive Elemente der freiheitlichen
                                                          demokratischen Grundordnung sind, die es zu
Handlungskompetenz                                        sichern und weiterzuentwickeln gilt.
   Interessenwahrnehmung: die Fähigkeit eigene
   Interessen in schulischen und außerschulischen
   Zusammenhängen wahrnehmen und an demo-
   kratischen Verfahren in Schule und Politik
   mitwirken zu können
12

     Die sich daraus ergebende zentrale Frage für die        Demokratiebildung als verfassungsrechtlicher und
     politisch-historische Bildung an Schulen ist: Mittels   gesetzlicher Auftrag der Schulen
     welcher Konzepte sowie Lernangebote können die
     Schülerinnen und Schüler am effizientesten Kompe-        Die Bedeutung der Schulen wie auch die Verantwor-
     tenzen in diesen Bereichen erwerben?                    tung und die Pflicht der Schulen zur Demokratiebildung
                                                             ist an mehreren Stellen in der Landesverfassung sowie
     Unsere These hierzu ist: Demokratisch kompetentes       eine rechtliche Ebene tiefer, im baden-württembergi-
     Verhalten, die Fähigkeit mitzubestimmen und Verant-     schen Schulgesetz, verankert.
     wortung zu übernehmen, muss man erlernen. Der
     Erwerb demokratischer Kompetenzen gelingt, wenn         Auf Ebene der Landesverfassung Baden-Württembergs
     junge Menschen auf der Grundlage solider Fachkennt-     wird in Artikel 12, Absatz 1 eher allgemein festgehalten:
     nisse in entsprechenden Lern- und Lebenssituationen     „Die Jugend ist in der Ehrfurcht vor Gott, im Geiste der
     Erfahrungen machen können. Entscheidend ist die         christlichen Nächstenliebe, zur Brüderlichkeit aller
     Ermöglichung eines Gelegenheitsraums für gelebte        Menschen und zur Friedensliebe, in der Liebe zu Volk und
     Demokratie. Dies beinhaltet zugleich die nachhaltige    Heimat, zu sittlicher und politischer Verantwortlichkeit,
     Öffnung und Handlungsorientierung des Unterrichts       zu beruflicher und sozialer Bewährung und zu freiheit-
     vor allem auch durch eine Zusammenarbeit der            licher demokratischer Gesinnung zu erziehen.“
     Partner vor Ort.

                                                                                 1 Die im Bildungsplan 2016 in Baden-
                                                                                    Württemberg verankerten Kompetenzen
                                                                                    zur Demokratiebildung sind mit den
                                                                                    bundesweit von der Kultusminister-
                                                                                    konferenz formulierten Kompetenzen
                                                                                    kongruent und differenzieren diese aus.
                                                                                    Vgl. hierzu: Beschluss der Kultus-
                                                                                    ministerkonferenz i.d.F. vom 11.10.2018
                                                                                    „Demokratie als Ziel, Gegenstand und
                                                                                    Praxis historisch-politischer Bildung
                                                                                    und Erziehung in der Schule”.
Jugendbeteiligung weiterdenken: Was ist das Ziel?              13

Auf Ebene des baden-württembergischen Schulgeset-           → auf die Wahrnehmung ihrer verfassungsmäßigen
zes werden die Ausführungen schon etwas konkreter             staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten vorzube-
(Schulgesetz § 1, Absatz 2): „Die Schule hat den in der       reiten und die dazu notwendige Urteils- und Ent-
Landesverfassung verankerten Erziehungs- und Bil-             scheidungsfähigkeit zu vermitteln.”
dungsauftrag zu verwirklichen. Über die Vermittlung
von Wissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten hinaus ist die     Diese in der Landesverfassung und im Schulgesetz
Schule insbesondere gehalten, die Schüler (…)               verankerten allgemeinen Ziele für Demokratiebildung
                                                            werden im Bildungsplan 2016 in den fachübergrei-
→ zur Anerkennung der Wert- und Ordnungsvorstel-            fenden Leitperspektiven aufgegriffen und mehr oder
  lungen der freiheitlich-demokratischen Grundord-          weniger in den Fachplänen konkretisiert1.
  nung zu erziehen, die im Einzelnen eine Auseinan-
  dersetzung mit ihnen nicht ausschließt, wobei jedoch
  die freiheitlich-demokratische Grundordnung, wie
  in Grundgesetz und Landesverfassung verankert,
  nicht in Frage gestellt werden darf,

                                                                       DAS „HAUS DER DEMOKRATIEBILDUNG“
                                                                                            AN SCHULEN

                              Demokratiebildung

                        Landesverfassung und Schulgesetz
                           Einführung in den Bildungsplan

       Leit-                   Leit-                      Leit-                 Leit-
   perspektive             perspektive             perspektive              perspektive
       BNE                      BTV                        PG                    MB

           Inhalts- und prozessbezogene Kompetenzen der Fächer
                               Basiskurs Medienbildung
                            Leitfaden Demokratiebildung
14

     Demokratiekompetenzen und deren Verankerung             Einführung in den Bildungsplan
     im Bildungsplan der Grundschule und den weiter-
     führenden allgemeinbildenden Schulen                    Bereits in der Einführung zum Bildungsplan werden
                                                             in noch allgemeiner Form grundlegende Aspekte zur
     Beim Blick in den Bildungsplan der weiterführenden      Demokratiebildung ausgeführt: „Der Bildungsplan 2016
     allgemeinbildenden Schulen in Baden-Württemberg         ist angelegt auf vernetztes und nachhaltiges Lernen ins-
     wird eine zentrale Herausforderung für eine nachhal-    besondere in den Feldern Demokratieerziehung, Frie-
     tige Demokratiebildung augenscheinlich. Demokratie-     densbildung und kulturelle Bildung. Dabei sollen sich
     kompetenzen oder allgemeinere Bildungsziele mit         schulisches und außerschulisches Lernen verbinden.“
     Blick auf Demokratiebildung sind an unterschiedlichen
     Stellen verbindlich verankert2:                         Mit Blick auf die Felder der Demokratieerziehung und
                                                             der Friedensbildung werden nachfolgende Konkreti-
     1. in der Einführung in den Bildungsplan                sierungen vorgenommen:
     2. in der fächerübergreifenden Leitperspektiven
     3. in unterschiedlichen Umfang in den prozess- und      Demokratieerziehung.
        den inhaltsbezogenen Kompetenzen der Fächer          „Für die Schule der Gegenwart ist die Fähigkeit zu
        (als Leitfach ist hier das Fach Gemeinschafts-       demokratischem Handeln in mehrfacher Hinsicht
        kunde zu identifizieren, welches jedoch erst ab       zentral. Sie ist konstitutiv für partizipativ gestaltete,
        Klasse 7 bzw. 8 einsetzt und im Fächerkanon          nachhaltige Schulentwicklung und gleichzeitig stellt
        eine geringe Anzahl von Kontingentstunden zur        sie ein bedeutsames Lernziel für jeden einzelnen
        Verfügung hat)                                       Schüler und jede einzelne Schülerin dar. (…) Die Schule

     Demzufolge wird eine nachhaltige Demokratiebildung
     nur gelingen können, wenn von den Schulen aber auch
     von den Erstellern von Angeboten die Vernetzung
     dieser drei „Bausteine“ in den Blick genommen wird,
     um so Synergien nutzen zu können. In diesem Zusam-                          2 Die mit dem Leitfaden „Demokratiebil-
     menhang erweist es sich als sehr hilfreich, dass der                           dung“ ab dem SJ 2019/20 den Schulen
     in den drei „Bausteinen Demokratiebildung“ des Bil-                            zur Verfügung stehende Umsetzungs-
     dungsplans erkennbare „rote Faden“ eine weitgehende                            hilfe zur Demokratiebildung beinhaltet
     Übereinstimmung mit den im vorangegangen Ab-                                   keine zusätzlich zu den Bildungsplänen
     schnitt definierten Elementen für eine nachhaltige                              zu vermittelnde Kompetenzen (siehe
     Demokratiebildung zeigt (siehe oben Abschnitt II).                             Kap. 3a, S. 22). Zusätzlich zu den Vor-
                                                                                    gaben des Bildungsplans wird aber die
     Nachfolgend soll deshalb näher darauf eingegangen                              verbindliche Umsetzung der Kompe-
     werden, welche grundlegenden Ansatzpunkte in den                               tenzen in den vier Handlungsfeldern
     drei „Bausteinen der Demokratiebildung“ des Bil-                               (Fachunterricht, fächerverbindender/
     dungsplans mit Blick auf die definierten Elemente für                           -übergreifender Unterricht, Verankerung
     eine nachhaltige Demokratiebildung enthalten sind.                             in der Schulkultur, Zusammenarbeit
                                                                                    mit externen Partnern) sowie die Ab-
                                                                                    stimmung, Koordination und Evaluation
                                                                                    der Umsetzung der Kompetenzen über
                                                                                    die zuständigen Gremien (Fachkonfe-
                                                                                    renzen, Gesamtlehrerkonferenz und
                                                                                    Schulkonferenz) formuliert (Kap. 1, S. 9).
Jugendbeteiligung weiterdenken: Was ist das Ziel?                  15

soll ein Gelegenheitsraum für gelebte Demokratie             Bildung für Toleranz und Akzeptanz von Vielfalt
sein, eine Kultur der Konfliktlösung im schulischen           (BTV) im Sinne der Befähigung zu Toleranz und
Alltag aufweisen und darauf ausgerichtet sein, Lern-         Akzeptanz von Vielfalt sowie zu diskriminierungs-
prozesse partizipativ zu gestalten. (…) Wichtige As-         freiem Umgang mit Vielfalt in personaler,
pekte für die schulische Arbeit sind hierbei, dass de-       religiöser, geschlechtlicher, kultureller, ethnischer
mokratisches Verständnis über persönliche Erfahrung          und sozialer Hinsicht;
und das eigene Handeln entwickelt wird und dass              Prävention und Gesundheitsförderung (PG) im
Demokratieerziehung als Aufgabe aller Fächer ver-            Sinne einer Stärkung der Persönlichkeit durch
standen wird.                                                die Förderung eines sozial kompetenten und
                                                             gesundheitsbewussten Umgangs mit sich selbst
Friedensbildung.                                             und anderen.
Artikel 12 der baden-württembergischen Landesver-
fassung regelt, dass die Jugend zur „Brüderlichkeit      Themenspezifische Leitperspektive
aller Menschen und zur Friedensliebe“ zu erziehen ist.      Medienbildung (MB) im Sinne der Befähigung,
Diese Aufgabe kommt den Schulen des Landes, aber            Medien sinnvoll auszuwählen, das Medienangebot
auch der außerschulischen Jugendbildung sowie der           kritisch zu reflektieren, die Medien verantwortlich
Kinder- und Jugendarbeit zu. Dazu gehört die Sensi-         zu nutzen sowie die eigene mediale Präsenz
bilisierung von Kindern und Jugendlichen für den            selbstbestimmt zu gestalten.
Schutz der Menschenrechte und die Wahrung von Frie-
den und Sicherheit. Dabei kann Friedensbildung nicht     Prozess- und inhaltsbezogene Kompetenzen
nur eine Frage der gedanklich-argumentativen Aus-        der Fächer
einandersetzung mit Unterrichtsgegenständen sein,
sondern hängt auch von der erlebten Kultur der Kon-      Siehe hierzu die in den Bildungsplänen der Fächer
fliktlösung im schulischen Alltag ab. Programme für       formulierten prozess- und inhaltsbezogenen Kompe-
Streitschlichter und Angebote zur Mediation und Bera-    tenzen sowie insbesondere die dort enthaltenen Ver-
tung im schulischen Bereich können sowohl die Prä-       weise auf die Leitperspektiven „Bildung für nachhalti-
vention von Gewalt als auch die Einübung von friedli-    ge Entwicklung (BNE)“ (vor allem die Verweise auf die
cher Konfliktlösung durch die Jugendlichen befördern.“    Begriffe zur Konkretisierung dieser Leitperspektive:
(H. A. Pant, Einführung in den Bildungsplan 2016)        „Werte und Normen in Entscheidungssituationen“,
                                                         „Teilhabe, Mitwirkung, Mitbestimmung“, „Demokratie-
Fächerübergreifende Leitperspektiven                     fähigkeit“, „Friedensstrategien“), „Bildung für Toleranz
                                                         und Akzeptanz von Vielfalt (BTV)“ (die Verweise auf
Der Bildungsplan unterscheidet zwischen allgemeinen      alle Begriffe zur Konkretisierung dieser Leitperspek-
und themenspezifischen Leitperspektiven, womit je-        tive), „Prävention und Gesundheitsförderung (PG)“
doch keine Gewichtung der jeweiligen Leitperspektiven    (vor allem die Verweise auf den Begriff „Selbstregula-
intendiert ist. Mit Blick auf Demokratiebildung sind     tion und Lernen“ zur Konkretisierung dieser Leitper-
vor allem die nachfolgenden fächerübergreifenden         spektive) sowie die Verweise auf die Leitperspektive
Leitperspektiven von Relevanz:                           „Medienbildung (MB)“ (vor allem die Verweise auf die
                                                         Begriffe zur Konkretisierung dieser Leitperspektive:
Allgemeine Leitperspektiven                              „Mediengesellschaft“, „Medienanalyse“, „Information
    Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) im         und Wissen“).
    Sinne der Befähigung durch zivilgesellschaftliches
    Engagement und politisches Handeln einen Beitrag
    zur nachhaltigen Entwicklung leisten zu können.
16

     c) Einbindung der SMV                            „Auch das noch?!”
     Die Mitwirkung bei kommunalen Jugend-
     beteiligungsprojekten ist für SMVen kein Muss,   Ein kurzes Gespräch zwischen einem Verbindungs-
     bietet aber Chancen                              lehrer und einem an der Arbeit der Schülermitverant-
                                                      wortung interessierten Kollegen verläuft in meiner
     Peter Rauls                                      Vorstellung folgendermaßen:

                                                      Auf die Frage, ob er denn zufrieden mit dem Stand der
                                                      SMV-Dinge sei, wird der Verbindungslehrer, so hoffe
                                                      ich, nicken und dann ausführen, dass nach den Wahlen
                                                      zu diversen SMV-Ämtern sich auf den SMV-Planungs-
                                                      tagen verschiedene Themen und Projektgruppen ge-
                                                      funden haben. „Dann kümmert Ihr Euch also wieder um
                                                      die Unterstufenparty und unsere Fastnachtsfeier, um das
                                                      Patensystem für die 5.-Klässler und um den Spenden-
                                                      lauf zugunsten unserer afrikanischen Partnerschule?”,
                                                      fragt der Kollege vielleicht. „Ja, und um die Arbeit am
                                                      Leitbild und um Evaluationsprozesse an unserer Schule
                                                      auch. Ach ja, und am Projekt ‚Schule mit Courage –
                                                      Schule ohne Rassismus’ sind wir auch dran”, ergänzt
                                                      der Verbindungslehrer möglicherweise. Anerkennend
                                                      nickt nun der interessierte Kollege und fragt: „Und
                                                      engagiert sich unsere SMV auch bei einem der Jugend-
                                                      beteiligungsprojekt, die es jetzt in Kooperation der Ge-
                                                      meinden mit den Schulen gibt?” Der Verbindungslehrer
                                                      lässt eine kleine Pause entstehen, bevor er zunächst
                                                      mit einer Gegenfrage antwortet: „Auch das noch?”
                                                                                     S ck
                                                                               Foto: Sto  Sna
                                                                                         kS nap / piixabay
                                                                                            na
Jugendbeteiligung weiterdenken: Was ist das Ziel?               17

Stellen Sie sich beim Lesen dieser Zeilen bitte die       Schon das gemeinsame Nachdenken über diese Frage
beiden Kollegen vor. Fragt der eine hoffnungsvoll und     und das damit einhergehende Bewerten der Chancen,
das Engagement der Schüler bewundernd nach den            die eine eventuelle Mitwirkung der Schülermitverant-
verschiedenen Tätigkeitsbereichen der SMV? Schwingt       wortung im Rahmen der Jugendbeteiligungsprojekte
im Gespräch Anerkennung mit für die umfangreiche          verschiedener Ausprägung bietet, öffnet den „Gelegen-
und wichtige Arbeit des Verbindungslehrers? Und der       heitsraum für gelebte Demokratie” (vgl. H. A. Pant,
Verbindungslehrer, begleitet er seine letzte Gegenfrage   Einführung in den Bildungsplan 2016) und den „Erpro-
mit einem sanften Stöhnen ob der vielen SMV-Projekte,     bungs- und Erfahrungsraum” (vgl. Leitfaden Demokra-
die er engagiert und schon jetzt über das erwartbare      tiebildung, Anhörungsfassung) ein großes Stück weit.
Maß einer Anrechnungsstunde hinaus begleitet?             Diese im Bildungsplan 2016 formulierte und in den
Oder zeigt die Intonation am Satzende bereits jetzt       Leitperspektiven bzw. im Leitfaden Demokratiebildung
Lust am Projekt und nur ein kleines, rhetorisches         konkretisierte zentrale schulische Aufgabe, die Ermög-
Fragezeichen?                                             lichung des Demokratielernens, nimmt die Schule als
                                                          Ganzes, das heißt alle am Schulleben Beteiligten,
Ich bin zunächst einmal um die Fragehaltung beider        auch alle Fächer und natürlich auch die Schülermit-
Kollegen froh. Ein zentraler Grundsatz der SMV-Arbeit     verantwortung, in die Pflicht sich so zu organisieren,
ist, dass die Schülermitverantwortung und ihre Organe     dass der Erwerb demokratischer Handlungskompe-
sich ihre Aufgaben selbst stellen (vgl. SMV-Verordnung    tenzen möglich wird. Das geht besonders gut, wenn
§ 7,2). Entsprechend ist es nicht die Aufgabe der Ver-    junge Menschen in gestalteten Lern- und Lebenssitu-
bindungslehrkraft, die Entscheidung zu treffen, son-      ationen Demokratie erfahren, wenn sie in wirklich
dern diesen Informations-, Diskussions- und Entschei-     interessanten und bedeutsamen Bereichen („den ei-
dungsprozess zu ermöglichen. Hier informiert er also      genen Angelegenheiten”) mit argumentieren, mitbe-
den Schülerrat und gerne auch weitere Schüler (vgl.       stimmen und Verantwortung übernehmen und wenn
SMV-Verordnung § 7,1: Die Schülermitverantwortung         dann diese Erfahrungen gemeinsam reflektiert wer-
ist – unbeschadet der besonderen Aufgabe der Schüler-     den können. Das macht, dieser Gedanke liegt jetzt auf
vertreter – Sache aller Schüler der gesamten Schule.)     der Hand, eine aktive, von allen am Schulleben Be-
über Formen der Jugendbeteiligung und mögliche            teiligten unterstützte (vgl. SMV-Verordnung § 1,2)
Kooperationsprojekte und begleitet die sich ergebende     Schülermitverantwortung für jede Schule so immens
Diskussion des Schülerrates. Sind das, so könnte die      wichtig.
mit Max Frisch und seiner Definition von Demokratie
gestellte Frage lauten, „unsere eigenen Angelegen-
heiten”, in die wir uns „einmischen” wollen, oder sind
andere SMV-Aufgaben hier an unserer Schule vor-
rangig?
18

     Der SMV kommt beim Gestalten des schulischen „Ge-       So gesehen kann die Mitwirkung der Schülermitver-
     legenheitsraum für gelebte Demokratie” also fraglos     antwortung bei kommunalen Jugendbeteiligungspro-
     eine besondere Bedeutung zu. Sie ist – in der Klasse,   jekten, wie sie in dieser Handreichung geschildert
     im Schülerrat, in Projektgruppen – der Ort, an dem      werden, dieses Kompetenzzentrum erweitern und
     Schüler über Gestaltungs- und Regelungsfragen           bereichern. Sowohl das Nachdenken über die Frage,
     nachdenken, Vorschläge entwickeln und realisieren:      in welchen kommunalen Politikfeldern Interessen
     Welche Regeln des Zusammenlebens sollen in unse-        junger Menschen berührt sind, als auch das gemein-
     rer Klasse oder Schule gelten? Wie können wir ge-       same Suchen einer guten und konsensfähigen Orga-
     meinsam Schulleben und Lernen verbessern? Wie           nisationsform, sowohl das erstmalige argumentie-
     gestalten wir die Entscheidungsprozesse an unserer      rende Gespräch mit Vertretern der Kommune als auch
     Schule und wie können wir diese so gestalten, dass      die inhaltliche Ausgestaltung einer sich institutiona-
     mehr Mitbestimmung möglich wird? Für welche Ziele       lisierenden Jugendbeteiligung lässt Demokratie er-
     setzen wir uns gemeinsam ein? Wie können wir denen      lebbar werden und fördert den Erwerb verschiedener
     helfen, die unsere Hilfe brauchen? usw..                sozialer und demokratischer Kompetenzen. Und wenn
                                                             die Schüler auch ihre Kommune als Beteiligungsort
     Die Schülermitverantwortung wird so zu einem „Kom-      erfahren, verstärken sich diese Lerneffekte nochmals
     petenzzentrum”, in dem Schüler Lern- und Lebens-        und zudem auch das Engagement, die Bereitschaft
     situationen so gestalten können, dass sie ihre Ideen    zur Verantwortungsübernahme und insgesamt die
     und Fähigkeiten einbringen und neue Kompetenzen         Identifikation mit dem Gemeinwesen.
     erwerben bzw. ihre im Unterricht erworbenen Kom-
     petenzen weiter einüben und ausbauen können. Die        Im Rahmen des Projektes kann an einem von SMV-
     damit einhergehenden Lernerfahrungen sind in ihrer      Beauftragten gestalteten „Tag der Schülermitverant-
     Bedeutung sowohl für den Einzelnen als auch für die     wortung” für alle Klassensprecher bzw. SMV-aktive
     Schule und die Gesellschaft unverzichtbar und nicht     Schüler der Schulen einer Gemeinde das Kooperati-
     hoch genug zu bewerten.                                 onsprojekt gebündelt erlebbar werden: Da tauschen
                                                             sich SMV-Vertreter der beteiligten Schulen über Schul-
                                                             artgrenzen hinweg über gelingende SMV-Projekte aus,
                                                             artikulieren Interessen und Veränderungswünsche
                                                             der SMV-Aktiven mit Blick auf Schule und Gemeinde,
                                                             gehen ins lebhafte Gespräch mit Vertretern der Ge-
                                                             meinde und thematisieren in Workshops, Vorträgen
                                                             und Diskussionsrunden nach Wahl ihr schulisches
                                                             „Kompetenzzentrum SMV”.
Jugendbeteiligung weiterdenken: Was ist das Ziel?   19

Unabhängig von der Entscheidung einer Schülermit-
verantwortung, sich innerhalb solcher Jugendbeteili-
gungsprojekte zu engagieren oder nicht, gilt dabei
immer: Eine gute Schule kann auf das „Kompetenz-
zentrum SMV” nicht verzichten. Eine aktive SMV-
Arbeit ist eine anstrengende, aber sehr lohnenswerte
Sache für alle Schüler und alle Lehrer. Wenn durch
eine aktive SMV-Arbeit eine Schule zu einem „Gele-
genheitsraum für gelebte Demokratie” wird, wird
auch das gesamte Miteinander besser, die Freude am
Lernen größer und bringt dann sogar steigende Leis-
tungen mit sich. Es gilt: Die demokratiefreundliche
Schule ist die bessere Schule! Deshalb sind alle am
Schulleben Beteiligten gut beraten, der Arbeit der
Schülermitverantwortung Aufmerksamkeit und Inter-
esse, Unterstützung und Mitarbeit zu widmen.

                                                                                                                                        pl
Ob diese oder ähnliche Gedanken den beiden Lehrern

                                                                                                                                     emp
                                                                                                                                ich Tem
                                                                                                                                     e mp
in der kleinen Gesprächspause durch den Kopf gehen?
Vielleicht ist die Frage des Verbindungslehrers „Auch

                                                                                                                              rric
                                                                                                                           Ullri
                                                                                                                          -Ul
das noch?” durchaus von einem kleinen Stöhnen be-

                                                                                                                       rl-U
                                                                                                              o o: © Karl  U
gleitet, denn das Arbeitsvolumen der an der SMV-
Arbeit Beteiligten ist schon jetzt ein großes. In meiner

                                                                                                             Fot
Vorstellung sagt er dann jedoch zu seinem interes-
sierten Kollegen: „Weißt Du, die Schüler sind noch in
der Informationsphase und haben das noch nicht ent-        Workshop Schulzentrum Oberes Elztal
schieden. Wenn der Schülerrat die Entscheidung trifft,
in diesem Jugendbeteiligungsprojekten mitzumischen,
dann unterstütze ich die Arbeit der Schüler natürlich.
Auf Deine Unterstützung und die der Kollegen zähle ich
dabei auch.” Und da ist es der Kollege, der nickt ...
20

3. Gemeinsam Jugendbeteiligung gestalten

     a) Sechs Module für Schule             Modul 1:
     und Gemeinde                          „Darüber möchten wir gerne mit Ihnen reden!“
                                           Gespräche zur Information und Unterstützung der
     Dr. Gerfried Kübler und Peter Rauls   Entscheidungsfindung

                                               Inhalt und Ziele:
                                           Die Teilnehmer/-innen
                                               erhalten Erstinformationen zu den Modulen
                                               erhalten Informationen über die bisherigen
                                               Erfahrungen hinsichtlich der Umsetzung des
                                               Projekts
                                               diskutieren, welche Akteure in Schule und Ge-
                                               meinde bei der Entscheidungsfindung informiert
                                               und einbezogen werden sollten. Grundlegende
                                               Fragen sind in diesem Zusammenhang:
                                               Wurden z. B. die Mitspracherechte der schuli-
                                               schen Gremien in angemessener Weise berück-
                                               sichtigt? Wurden die involvierten Fachschaften
                                               angemessen eingebunden? Wurde der Schülerrat
                                               eingebunden, falls das Projekt auch über dieses
                                               Gremium in der Schule verankert werden soll?

                                              Zielgruppen:
                                              Vertreter interessierter Kommunen (Bürger-
                                              meister, Mitglieder des Stadt- bzw. Gemeinde-
                                              rates, Jugendreferent, Schulsozialarbeiter) und
                                              Schulen (Schulleitungen, (Gemeinschaftskunde-)
                                              Lehrkräfte, Verbindungslehrkräfte, Vertreter der
                                              Schülermitverantwortung)

                                              Zeitlicher Umfang:
                                              je nach Informations- und Abstimmungsbedarf
Gemeinsam Jugendbeteiligung gestalten             21

 Modul 2:                                                 Zielgruppen:
„Jetzt geht’s los!“                                       Schulverwaltung und Schulen: RP/SSÄ-Referen-
Im Auftaktworkshop gemeinsam erfolgreich starten          ten und/oder Fachberater, Schulleitungen,
                                                          (Gemeinschaftskunde)-Lehrkräfte, Verbindungs-
    Inhalt und Ziele:                                     lehrer, Schulsozialarbeiter, Schülerinnen und
Die Teilnehmer/-innen                                     Schüler
    erhalten weiterführende Informationen zu den          Kommune: (Ober)Bürgermeister, Gemeinderäte,
    Modulen                                               Vertreter der Verwaltung, Vertreter der Jugend-
    erhalten die Möglichkeit sich in Foren über we-       beteiligungsformen
    sentliche Fragen der Umsetzung auszutauschen          Lokale Presse
    und erste Abstimmungen vorzunehmen.
    Mögliche Foren und Fragestellungen könnten sein:      Zeitlicher Umfang:
    – Forum für Schulleitungen der beteiligten            90–120 Minuten
        Schulen, RP/SSÄ-Referenten, Bürgermeister
        und entsprechend der lokalen Situation mit
        Vertretern der Verwaltung bzw. des Gemeinde-
        rats, Jugendreferent, Schulsozialarbeiter etc..
    Möglichen Fragestellungen:
    – Wie erfolgen die Kommunikation und Organi-
        sation zwischen den beteiligten Schulen?
        Wer übernimmt die Koordination?
    – Wie erfolgen die Kommunikation und Organi-
        sation mit der Gemeinde? Wer übernimmt
        die Koordination?
    – Welche Grundvariante(n) der Beteiligungs-
        und Arbeitsformate sind denkbar? Welche
        Varianten zu Institutionalisierung in der
        Schule? Was soll schulartübergreifend bzw.
        schulartspezifisch ungesetzt werden?
    Forum für Lehrkräfte der beteiligten Fächer, Ver-
    bindungslehrer, Fachberater des RP/SMV-Beauf-
    tragte, Schulsozialarbeiter, Schülerinnen und
    Schüler, Vertreter der Jugendbeteiligungsformen,
    und nach Bedarf mit Vertretern der Verwaltung
    bzw. des Gemeinderats bzw. wenn vorhanden mit
    dem externen Projektbeauftragten.
    Mögliche Fragestellungen könnten sein:
    – Wie kann die Verknüpfung des Projekts mit
        dem Fachunterricht erfolgen?
    – Welche Rolle kann und will die SMV über-
        nehmen?
    – entwickeln wir einen ersten „Meilensteinplan“
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