Fridays for Future Profil, Entstehung und Perspektiven der Protestbewegung in Deutschland - Institut für Protest- und Bewegungsforschung

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Fridays for Future Profil, Entstehung und Perspektiven der Protestbewegung in Deutschland - Institut für Protest- und Bewegungsforschung
Moritz Sommer, Dieter Rucht, Sebastian Haunss, Sabrina Zajak

Fridays for Future
Profil, Entstehung und Perspektiven der
Protestbewegung in Deutschland

                                      ipb working paper 2/2019
Fridays for Future Profil, Entstehung und Perspektiven der Protestbewegung in Deutschland - Institut für Protest- und Bewegungsforschung
ipb working papers | Berlin, August 2019             Autor*innen
Die ipb working papers werden vom Verein für         Dieses Working Paper ist im Kontext des Insti-
Protest- und Bewegungsforschung e.V. heraus-         tuts für Protest- und Bewegungsforschung (ipb)
gegeben. Sie erscheinen in loser Folge. Der Ver-     entstanden. Alle Autor*innen sind Mitglieder
ein ist Träger des gleichnamigen Instituts. Des-     des Instituts.
sen Aktivitäten sind unter http://protestinsti-
tut.eu dokumentiert. Für die Redaktion der ipb-
working papers sind Jannis Grimm, Dieter Rucht       Moritz Sommer, Freie Universität Berlin, Insti-
und Sabrina Zajak verantwortlich.                    tut für Soziologie.
                                                     E-Mail: sommer.moritz@fu-berlin.de
Alle bisher erschienenen Texte aus der Reihe         Dieter Rucht, Wissenschaftszentrum Berlin für
sind online abrufbar unter:                          Sozialforschung (WZB).
                                                     E-Mail: dieter.rucht@wzb.eu
https://protestinstitut.eu/ipb-working-papers/
                                                     Sebastian Haunss, Universität Bremen,
                                                     SOCIUM Forschungszentrum Ungleichheit und
                                                     Sozialpolitik.
                                                     E-Mail: sebastian.haunss@uni-bremen.de
                                                     Sabrina Zajak, Deutsches Zentrum für Integrati-
„Fridays for Future. Profil, Entstehung und Per-     ons- und Migrationsforschung (DeZIM).
spektiven der Protestbewegung in Deutsch-            E-Mail: zajak@dezim-institut.de
land“ von Moritz Sommer, Dieter Rucht, Sebas-
tian Haunss und Sabrina Zajak ist lizenziert unter
einer Creative Commons Namensnennung In-
ternational Lizenz (CC-BY 4.0).

Die Titelseite wurde unter Verwendung eines          Diese Studie wurde erstellt mit finanzieller Un-
Fotos von Jörg Farys / WWF erstellt. Das Foto ist    terstützung der Heinrich-Böll-Stiftung und der
lizensiert mit einer Creative Commons CC-2 Li-       Otto Brenner Stiftung.
zenz und wurde bereitgestellt auf https://
Flickr.com/.

Sommer, Moritz, Dieter Rucht, Sebastian Haunss und Sabrina Zajak. 2019. Fridays for Future. Profil,
Entstehung und Perspektiven der Protestbewegung in Deutschland, ipb working paper series, 2/2019.
Berlin: ipb.
Fridays for Future Profil, Entstehung und Perspektiven der Protestbewegung in Deutschland - Institut für Protest- und Bewegungsforschung
Abstract                                              Inhaltsverzeichnis

Die Protestkampagne von Fridays for Future            Vorwort                                       1
(FFF) hat es innerhalb kürzester Zeit geschafft, in
Deutschland und darüber hinaus hunderttau-            1. Fridays for Future: Kurzportrait           2
sende Schüler*innen und Jugendliche für eine          2. Organisation und Ablauf der
Wende in der Klimapolitik auf die Straße zu brin-     Demonstrationen am 15. März 2019              5
gen. Um mehr über Profil, Mobilisierungswege
und Motive der Demonstrierenden zu erfahren,          3. Anlage und Ergebnisse der Befragung        6
haben wir als Teil eines europaweiten For-            3.1 Methodik und Repräsentativität            7
schungsprojekts Demonstrationsbefragungen             3.2 Wer sind die Teilnehmer*innen?           11
während der Klimaproteste am 15. März 2019 in         3.3 Anliegen der Protestierenden             14
Berlin und Bremen durchgeführt. Das Working           3.4 Wege der Mobilisierung                   18
Paper präsentiert zentrale Befunde für FFF in         3.5 Politisches Interesse und Engagement     21
Deutschland und ordnet diese ein.                     3.6 Politische Einstellungen                 26
Die FFF-Proteste werden von jungen, gut gebil-        3.7 Befunde des Ländervergleichs             30
deten Menschen und überraschend stark von             3.8 Zusammenfassung                          34
jungen Frauen getragen. Viele der demonstrie-         4. Die Resonanz auf FFF                      35
renden Schüler*innen, von denen sich die Mehr-
heit im linken Spektrum verortet, sind zum ers-       5. Fazit                                     39
ten Mal auf der Straße. Persönliche Kontakte          5.1 Ist FFF eine soziale Bewegung?           39
sind der zentrale Weg der Mobilisierung. Die De-      5.2 Faktoren des (medialen) Erfolgs          40
monstrierenden wollen die Politik unter Druck         Literaturverzeichnis                         43
setzen, klimapolitische Versprechen einzulösen.
Einen wichtigen Weg der Veränderung sehen
insbesondere die Schüler*innen aber auch in der
Veränderung der eigenen Lebens- und Kon-
sumpraxis. Die Demonstrierenden sind keines-
wegs hoffnungslos, sondern vielmehr hand-
lungsbereit, politisiert und zuversichtlich, dass
ihr Protest gesellschaftliche und politische Ver-
änderungen hervorrufen kann.
Im europäischen Vergleich ist die Kampagne            Online-Material auf protestinstitut.eu:
hinsichtlich Altersstruktur, Verteilung der Ge-
schlechter und insbesondere hinsichtlich der Ein-     Deutscher Online-Fragebogen: Link.
schätzung von Lösungswegen heterogener als
der gemeinsame Rahmen vermuten lässt.                 Flyer: Link.
Abschließend blicken wir auf die öffentliche Re-      Kurzfragebogen (Vor-Ort-Interviews): Link.
sonanz und im Fazit auf Faktoren des (medialen)
Erfolgs.                                              ipb-Medienpräsenz zu FFF: Link
Fridays for Future Profil, Entstehung und Perspektiven der Protestbewegung in Deutschland - Institut für Protest- und Bewegungsforschung
Vorwort                                                  Eine erste und selektive Präsentation der
                                                     deutschen Befragungsergebnisse fand bereits am
Der steile Aufstieg der international auftretenden   26. März 2019 im Rahmen eines Pressegesprächs
Bewegung Fridays for Future (im Weiteren FFF)        in der Berliner Zentrale der Heinrich-Böll-Stiftung
hat eine enorme mediale und politische Beach-        statt; sie ist auf der Webseite des ipb1 abrufbar.
tung erfahren. Das rief auch Sozialwissenschaft-     Später erfolgte die Erstellung des deutschen Da-
ler*innen auf den Plan. Einige Wochen vor dem        tenteils für den internationalen Länderbericht,
anstehenden großen Aktionstag am 15. März            der einem rigiden Gliederungsschema folgt, je-
2019 erging von einer schwedischen Forschungs-       doch aufgrund der thematischen Schwerpunkt-
gruppe die Anfrage an das Institut für Protest-      setzung und Längenvorgaben nur knappe Kom-
und Bewegungsforschung (ipb), ob sich Mitglie-       mentierungen enthält (Wahlström et al. 2019a).2
der des Instituts an einer international angeleg-       Der hiermit vorgelegte ausführlichere deut-
ten Befragung der Protestierenden beteiligen         sche Bericht enthält in seinem Kernteil eine um-
würden. Geld dafür war zu diesem Zeitpunkt           fassende Analyse der deutschen Befragungsda-
nicht vorhanden. Die genaue Vorgehensweise           ten sowie eine Darstellung des methodischen
und die Anlage des Fragebogens waren noch of-        Vorgehens. Neben den Ergebnissen der Befragun-
fen. Einige Länderteams hatten den Kolleg*innen      gen in Deutschland liefert der Bericht auch Hin-
aus Schweden schnell zugesagt. Wir waren zu-         weise auf Befragungsergebnisse aus anderen Län-
nächst zögerlich, da wir aufgrund früher durchge-    dern, auf die interne Struktur der FFF-Bewegung
führten Befragungen von Protestierenden zu di-       und deren öffentliche Resonanz.
versen Anlässen den Aufwand kannten, der sich
zumal aufgrund der notwendigen Abstimmung               Allen, die in ganz unterschiedlichen Rollen
zwischen den Länderteams zusätzlich erhöhen          diese Befragung in Deutschland und anderswo
würde. Nachdem die Finanzierungsfrage für Sach-      unterstützt haben, gebührt unser Dank. Das sind
kosten und rudimentäre Personalkosten dank der       insbesondere die Koordinatoren Mattias Wahl-
spontanen Bereitschaft der Heinrich-Böll-Stif-       ström und Joost de Moor sowie Michiel de Vydt,
tung, der Otto Brenner Stiftung und der Stiftung     welche die Koordination der technischen Seite
100 prozent erneuerbar überraschend schnell ge-      der Befragung und die Standardisierung der Da-
klärt war, erging unsere Zusage an die Projektko-    ten übernommen haben.
ordinatoren aus Schweden.                                Weiterhin haben wir den bereits genannten
    Alsbald setzte eine Flut von E-Mails ein, die    drei institutionellen Förderern der Befragungsak-
sich überwiegend auf die Themen, Formulierun-        tion in Deutschland und den beiden finanziellen
gen und Antwortkategorien des Fragebogens,           Förderern des vorliegenden ausführlichen Be-
aber auch das Vorgehen am Demonstrationsort,         richts zu danken. Simon Teune hat bei der Befra-
das Problem der Repräsentativität, die Frage, ab     gungsaktion am 15. März mitgewirkt und zudem
welcher Altersstufe junge Menschen ohne Einwil-      in einer nächtlichen Krisenaktion vor unserem
ligung eines Elternteils befragt werden sollen und   Berliner Pressegespräch eine wichtige Rolle bei
dürfen, auf das auszuwählende Eingabe- und           der inhaltlichen Schwerpunktsetzung und opti-
Analyseprogramm und vieles mehr bezogen. Der         schen Darstellung der Befunde gespielt. Zu dan-
Aufwand für das Gesamtunternehmen war                ken haben wir auch vielen studentischen Hel-
enorm. Neun Länderteams führten an insgesamt         fer*innen. Sie führten die Kurzinterviews vor Ort
13 Orten zeitgleich die Befragung durch – in den     durch und sorgten für die Verteilung der Flyer, auf
Niederlanden aufgrund der dort anders verlau-        denen zur Teilnahme an der Online-Befragung
fenden Mobilisierung allerdings schon am 14.         aufgerufen wurde.
März 2019.                                           Berlin und Bremen, August 2019, die Autor*innen

_____
1                                                    2
  https://protestinstitut.eu/projekte/demonstra-      https://protestinstitut.eu/fridays-for-future-
tionsbefragungen/befragung-fridays-for-future        ergebnisse-einer-demonstrationsbefragung-in-13-eu-
[04.08.2019]                                         ropaeischen-staedten/ [04.08.2019]

                                                                                                      1
Fridays for Future Profil, Entstehung und Perspektiven der Protestbewegung in Deutschland - Institut für Protest- und Bewegungsforschung
1. Fridays for Future:                                Aufmerksamkeit der Kombination einer Reihe
                                                      von Faktoren geschuldet ist: dem kindlich wirken-
   Kurzportrait                                       den Erscheinungsbild Greta Thunbergs, der damit
                                                      kontrastierenden Entschlossenheit und Kompro-
Die mediale Darstellung von FFF in Form von           misslosigkeit ihres zunächst „einsamen“ Streiks,
Nachrichtenmeldungen, Hintergrundberichten,           ihrem ökologisch bewussten Lebensstil, den sie
Interviews mit Beteiligten, Kommentaren, Foto-        auch ihrer gesamten Familie abfordert, aber auch
strecken und Video-Clips bietet eine Fülle von Ein-   der Prominenz ihrer Mutter, die, so die Medien-
zelinformationen, lässt aber kaum die großen          berichte, sogar ihre Tätigkeit als international auf-
Entwicklungslinien hervortreten. Wir wollen des-      tretende Opernsängerin aufgegeben hatte, um
halb ein Kurzportrait von FFF liefern, das unter      Flugreisen zu vermeiden (Ernmann et al. 2019).
anderem erkennen lässt, in welcher Entwick-           Greta Thunberg wurde schnell zum medialen
lungsphase der Bewegung die Befragungsaktion          „Star“. Dadurch wurde auch die Politik auf sie auf-
stattgefunden hat und wie es vor allem mit Blick      merksam, was sich bereits an ihrer Einladung zum
auf den deutschen Ableger der Gruppierung bis         Klimagipfel im Dezember 2018 im polnischen
heute weitergegangen ist.                             Katowice zeigte. Weitere Auftritte auf der inter-
    FFF ist, knapp formuliert, eine Bewegung, de-     nationalen Bühne wie beim Weltwirtschaftsfo-
ren Kernforderung darin besteht, die auf dem Pa-      rum in Davos folgten.
riser Klimagipfel Ende 2015 gesetzten Ziele zur           Die Idee des „Klimastreiks“ bzw. „Schul-
weltweiten Reduktion von CO2-Emmissionen ein-         streiks“, nun allerdings begrenzt auf freitags
zuhalten, um die damit verbundene Erderwär-           stattfindende Straßenproteste, fand schnell in ei-
mung auf einen Anstieg von maximal 1,5 Grad zu        ner Reihe von Ländern Resonanz. Wichtigste Trä-
begrenzen. Das ist für eine Protestbewegung ein       ger*innen der Freitagsproteste waren junge
zunächst sehr bescheidenes, weil völlig system-       Schüler*innen, vorzugsweise an Gymnasien.
immanentes Ziel, zu dem sich die Regierungen          Staunend wurde registriert, was die „Kinder“ da
der Welt, abgesehen vom späteren Exit der USA,        in Gang gesetzt hatten und gefragt, wie es weiter-
im Prinzip bereits ausdrücklich bekannt haben         gehen würde. Einzelne Demonstrationen wie die
und weiterhin bekennen. Zugleich ist es aber          in Brüssel mit 12.000 Teilnehmer*innen am 31.
auch ein ehrgeiziges Ziel, weil seine Umsetzung,      Januar 2019 ließen aufhorchen.
bei der auch Deutschland erheblich hinterher-
hinkt, konkrete Einschnitte in Energiewirtschaft,         In Deutschland setzte der Aufschwung mit ei-
Industrie, Gebäudesektor und Landwirtschaft           ner Reihe kleinerer Demonstrationen in Freiburg,
verlangt – Einschnitte, die Lobbygruppen und die      Göttingen, Berlin, Kiel und Flensburg im Dezem-
ihnen sachlich verbundenen Politikressorts (wohl      ber 2018 ein. Eine frühe Initiatorin war Luisa Neu-
mit Ausnahme des Bundesumweltministeriums)            bauer, eine 22-jährige Studentin, die Greta Thun-
nach Möglichkeit zu vermeiden oder zu verlagern       berg bei der Klimakonferenz in Katowice erstmals
suchen (Rucht 2016). Auch in einem weiteren           begegnet war und dann die Idee des Schulstreiks
Sinne sind die Forderungen von FFF ambitioniert,      in Deutschland verbreiten wollte. Zeitgleich zu
verlangen doch die Akteure von sich selbst, ihrem     Neubauer, aber anfangs unabhängig davon, hatte
unmittelbaren Umfeld und letztlich der Gesamt-        auch der 19-jährige Kieler Gymnasiast Jakob Bla-
bevölkerung einen ökologisch verträglichen Le-        sel einen deutschen Ableger von FFF mit einer
bens- und Konsumstil, der mit erheblichen (frei-      ersten lokalen Demonstration im Dezember 2018
willigen) Einschränkungen verbunden ist.              ins Leben gerufen.

   Den anfänglichen Impuls für die sich dann for-         Am 18. Januar 2019 demonstrierten laut An-
mierende Bewegung setzte die damals 15-jährige        gaben von FFF bereits insgesamt 25.000 Men-
Greta Thunberg mit ihrem dreiwöchigen „Schul-         schen an 50 Orten in Deutschland, darunter 4.000
streik für das Klima“ ab dem 20. August 2018. Es      Beteiligte in Freiburg. Dieses Datum ist rückbli-
war eine Aktion einer einzelnen Person, die durch     ckend als der eigentliche Auftakt der deutschen
entsprechende Medienberichte in Schweden und          FFF-Bewegung zu verstehen. Mitte Februar 2019
dann auch anderen Ländern Aufsehen erregte.           listete FFF bereits 155 Ortsgruppen auf, wobei
Man kann davon ausgehen, dass dieses Maß an

                                                                                                         2
Fridays for Future Profil, Entstehung und Perspektiven der Protestbewegung in Deutschland - Institut für Protest- und Bewegungsforschung
sich die Zahl der Demonstrierenden aber bis da-      Aktionen zivilen Widerstands auf. De facto kam es
hin nicht deutlich erhöht hatte.                     wohl zu Überschneidungen von Anhänger*innen
                                                     dieser beiden und weiterer Gruppen. Erneut
   Der 15. März 2019 wurde von einem interna-
                                                     konnten die Organisator*innen Mobilisierungser-
tional koordinierenden Team als der erste globale
                                                     folge verzeichnen. Im Vorfeld war mit rund
Protesttag der Bewegung ausgerufen. Laut den
                                                     10.000 Teilnehmer*innen bei den Aktionen im
schwer nachvollziehbaren Angaben der Organisa-
                                                     rheinischen Revier gerechnet worden. Am Ende
tor*innen beteiligten sich weltweit 1.789.235
                                                     sprachen die Organisator*innen von FFF von
Menschen an dem Protest – eine Zahl, die in ihrer
                                                     40.000 Demonstrierenden. Die Polizei nannte da-
Höhe und Konkretion bezweifelt werden darf. In
                                                     gegen eine Zahl von 10.000 bis 20.000.
Deutschland waren für diesen Tag 220 Proteste
angekündigt. Die Zahl der Teilnehmer*innen wird          Ab Juli 2019, bedingt auch durch die Schul-
von den Veranstalter*innen auf 300.000 bezif-        und Semesterferien, waren die Teilnehmer*in-
fert. Der globale Protesttag war der bis dato        nenzahlen geringer. Selbst ein erneuter Auftritt
größte Auftritt der Bewegung und ein eindrucks-      Thunbergs in Berlin am 19. Juli blieb mit rund
voller Mobilisierungserfolg.                         3.000 bis 4.000 Teilnehmer*innen weit unter der
                                                     Beteiligung an Thunbergs erstem Berliner Auftritt
    Danach, teilweise bedingt durch die Osterfe-
                                                     Ende März, als mehr als 25.000 Menschen de-
rien, gingen die Zahlen der Teilnehmer*innen in
                                                     monstrierten (jeweils nach Angaben von FFF).
Deutschland deutlich zurück. In Berlin und Mün-
                                                     Gleichwohl vermochte es FFF, durch Einzelaktio-
chen waren es nur noch je 500 Protestierende, so
                                                     nen weiterhin eine starke mediale Präsenz zu er-
dass schon die Frage aufkam, ob und wie die Be-
                                                     reichen. Eine dieser Aktivitäten war ein fünftägi-
wegung ihr Momentum erhalten könne. Der Prä-
                                                     ger Schulstreik in Köln im Juli. Mit einer weiteren
senz der Bewegung in den deutschen Medien tat
                                                     Aktion am 26. Juli im Terminal des Stuttgarter
diese Entwicklung allerdings keinen Abbruch, zu-
                                                     Flughafens suchten rund 350 Demonstrierende
mal einerseits Greta Thunberg, wie schon zuvor
                                                     die Fluggäste auf negativen Klimafolgen von Flug-
an anderen Orten im In- und Ausland, ihre Betei-
                                                     reisen aufmerksam zu machen. Selbst dieser
ligung an der Berliner Demonstration am 29.
                                                     kleine und kurzzeitige Protest bot der ARD-Tages-
März 2019 angekündigt hatte, und andererseits
                                                     schau, Bild und zahlreichen weiteren Medien An-
bereits weitere internationale Aktionstage in Aus-
                                                     lass für eine eigene Berichterstattung.
sicht standen: Am 24. Mai 2019 fanden im Vorfeld
der Europawahlen in vielen europäischen Städten          Mit den Demonstrationen in Aachen und dem
erneute Großdemonstrationen statt.                   Umland hatte es FFF erneut geschafft, gegen di-
                                                     verse Bedenken – nun auch trotz Warnungen der
    Für den 21. Juni 2019 wurde unter dem Motto
                                                     Polizei vor Eskalationen und juristischen Sanktio-
„Climate Justice without Borders – United for a
                                                     nen – einen komplexen, logistisch aufwändige Ak-
Future“ zum ersten zentralen internationalen
                                                     tionsrahmen zu schaffen und zu füllen. Hierbei
Streik in Aachen aufgerufen. Aachen ist nicht nur
                                                     waren die Routine und Ortskenntnis der Akti-
als eine unweit von der französischen und belgi-
                                                     vist*innen von „Ende Gelände“ sicherlich hilf-
schen Grenze liegende Stadt, sondern auch we-
                                                     reich. Auch weitere Gruppen, darunter Teile des
gen des in diesem Raum noch immer stattfinden-
                                                     Umweltverbandes BUND, von Greenpeace, Cam-
den Braunkohlebergbaus für eine Klimaschutzbe-
                                                     pact, den Naturfreunden und der Grünen Jugend
wegung von hoher symbolischer Bedeutung. Ein
                                                     waren, wie schon bei vorausgegangenen Aktio-
Teil dieser Aktionen war ausdrücklich als ziviler
                                                     nen von FFF, unterstützend tätig, vermieden es
Widerstand angekündigt. Als dessen wichtigster
                                                     allerdings, steuernd einzugreifen, um dem Ruf
Träger verstand sich allerdings nicht FFF, sondern
                                                     von FFF als einer unabhängigen, basisdemokra-
die seit ca. 2015 offensiv auftretende Gruppe
                                                     tisch ausgerichteten Bewegung nicht zu schaden.
„Ende Gelände“, die sich vor allem durch den von
wiederholten Besetzungsaktionen begleiteten             In Deutschland hatte sich bis August die Zahl
Kampf gegen den Braunkohleabbau in Deutsch-          der Ortsgruppen von FFF auf 600 erhöht. Damit
land bundesweite Aufmerksamkeit verschafft           gewannen auch Fragen der internen Strukturie-
hatte. FFF erklärte seine Solidarität mit der        rung, der Verantwortlichkeiten, der Finanzierung
Gruppe, rief aber als Gesamtorganisation nicht zu    und der Transparenz nach innen wie nach außen

                                                                                                      3
Fridays for Future Profil, Entstehung und Perspektiven der Protestbewegung in Deutschland - Institut für Protest- und Bewegungsforschung
an Bedeutung. 3 Die Anforderungen an die über-              brachte erstmals Aktivist*innen und Sympathi-
regionale Koordination mittels der wöchentlichen            sant*innen – die sich bis dahin in erster Linie
Telefonkonferenz und an die rund 20 Arbeits-                durch den Austausch per Telefon oder Messen-
gruppen, darunter zu Finanzen, Kampagnen und                ger-Dienste kannten – an einem Ort zu einem län-
politischen Forderungen, wurden immer größer.               geren Informations- und Erfahrungsaustausch so-
Ein umfangreiches, allerdings noch nicht be-                wie in größerem Rahmen durchgeführte Strate-
schlossenes Strukturkonzept soll künftig für mehr           giedebatten zusammen. Anwesend waren vor al-
Klarheit und Verbindlichkeit sorgen.4 Trotz und             lem junge Leute, ausgenommen eine kleine Zahl
vielleicht auch gerade wegen interner und exter-            von Klimawissenschaftler*innen und sonstigen
ner Kritik ist es bislang gelungen, produktiv mit ei-       Expert*innen, die ebenfalls eingeladen waren.
ner Reihe von Herausforderungen (Veränderung
                                                                Von diesem Treffen, das die Organisator*in-
des Zielkatalogs, strategische Umorientierung, in-
                                                            nen in erstaunlich kurzer Vorbereitungszeit,
terne Organisation und Entscheidungsfindung,
                                                            wenngleich mit Unterstützung externer Instituti-
Vertretung gegenüber der Öffentlichkeit) umzu-
                                                            onen6, auf die Beine gestellt hatten, könnte eine
gehen, so dass es in der Summe, zumindest in
                                                            weitere Schubkraft für FFF ausgehen. Insbeson-
Deutschland, weder zu einer starken Demobilisie-
                                                            dere könnten die Diskussionen zu einer inhaltli-
rung noch zu einem nachlassenden medialen und
                                                            chen und strategischen Weiterentwicklung füh-
öffentlichen Wohlwollen kam. Diese Entwicklung,
                                                            ren. Zugleich verdeutlicht dieses Treffen aber
die deutlich von der vieler anderer Protestbewe-
                                                            auch, dass die bei vielen andere Protestbewegun-
gungen abweicht, soll im fünften Abschnitt er-
                                                            gen vorhandenen internen Differenzen, sich auch
klärt werden.
                                                            bei FFF abzuzeichnen beginnen. Dazu gehört die
    Außerordentliche Resonanz erzielte zuletzt              Frage nach internen Entscheidungsprozessen und
der von FFF in den frühen Augusttagen durchge-              die nach der Rolle exponierter Sprecher*innen
führte Sommerkongress in Dortmund, an dem                   der Kampagne. Dazu gehört aber auch die Span-
sich insgesamt rund 1.700 Menschen beteiligten.5            nung zwischen eher moderaten und eher offensi-
In rund 140 Workshops ging es um inhaltliche De-            ven, für zivilen Ungehorsam plädierenden Akti-
batten zur Klima- und Umweltpolitik bis hin zu              vist*innen. Aus Kreisen letzter Fraktion wurde zu-
Grundsatzdiskussionen über Geschlechterge-                  letzt gar die (politisch wenig realistische) Hoff-
rechtigkeit und Post-Wachstum, aber auch um                 nung geäußert, den dritten globalen Klimastreik
Medienarbeit, Diskussionen über Formen des zi-              am 20. September 2019 mit einem umfassenden
vilen Ungehorsams oder die Weiterentwicklung                „Generalstreik“ verbinden zu können.
der internen Organisation. Diese Veranstaltung
_____
3
  Die Finanzierung erfolgt bislang überwiegend durch        https://www.spiegel.de/lebenundler-
Spenden, ergänzt durch den autorisierten Verkauf ei-        nen/schule/fridays-for-future-schuelerproteste-im-vi-
nes Armbands. Die eingehenden Gelder landen aller-          sier-rechter-blogs-a-1263355.html [04.08.2019].
dings nicht direkt bei FFF, sondern bei der „befreunde-     4
                                                                Vgl. Der Spiegel Nr. 31/27.7.2019, S. 24-27.
ten“ Stiftung Plant-for-the-Planet. Das führte zu kriti-    5
                                                              An der Freitagsdemonstration am 3. August waren
schen Nachfragen und später zu Vereinsgründungen
                                                            dem WDR zufolge rund 1.500 Menschen beteiligt.
wie „Donate for Future“ und „Organize Future!“. Die
                                                            Siehe: https://www1.wdr.de/nachrichten/ruhrge-
beiden Vereine repräsentieren jedoch nicht das ge-
                                                            biet/fridays-for-future-demonstration-dortmund-
samte Netzwerk FFF in Deutschland, welches keine
                                                            100.html [04.08.2019].
Rechtsform aufweist, sondern meist als diffuses „Wir“
                                                            6
figuriert. So Jakob Blasel zur Frage nach der Rolle von      Darunter auch die Stiftung Mercator, die 35.000 Euro
Plant-for-the-Planet: „Die Kollegen von ‚Plant for the      zur Finanzierung des Sommerkongresses beisteuerte.
Planet‘ haben für uns bei ihrer Bank ein Unterkonto für     Vgl. Der Spiegel Nr. 31 vom 27.7.2019, S. 27.
die Spenden eingerichtet. Aber auf das Geld auf die-
sem Konto greift ‚Plant for the Planet‘ nicht zu. Wir er-
statten denen nicht einmal ihre Bankgebühren. Alles
Geld, was Menschen an ‚Fridays for Future‘ spenden,
kommt auch ‚Fridays for Future‘ zugute.“ Siehe:

                                                                                                                4
Fridays for Future Profil, Entstehung und Perspektiven der Protestbewegung in Deutschland - Institut für Protest- und Bewegungsforschung
2. Organisation und Ablauf                           Eindruck, pragmatisch und dezidiert unideolo-
                                                     gisch angegangen wird. Ergänzend kommen an-
   der Demonstrationen am                            dere Formate, z. B. Telegram-Gruppen ins Spiel,
   15. März 2019                                     die vor allem für die interne Kommunikation
                                                     wichtig sind, weil damit auch Abstimmungen
Auf die Randbedingungen der Demonstration am         möglich sind.
15. März 2019 gehen wir nur kursorisch ein, da          Basiseinheiten von FFF sind die unabhängigen
sich hier, gemessen an den FFF-Protesten an an-      Ortsgruppen, die in aller Regel „von unten“ ent-
deren Freitagen, wenig Auffälligkeiten zeigen.       stehen. Für die bundesweite Koordination wer-
Insgesamt erfolgte die Mobilisierung auf weitge-     den meist zwei Delegierte pro Ortsgruppe be-
hend dezentraler Basis, d. h. durch die Engagier-    stimmt bzw. gewählt. Ihre Rolle und ihr Status
ten vor Ort. Je nach Ortsgröße und Zahl der Teil-    sind noch nicht abschließend geklärt. Derzeit ist
nehmer*innen ist für eine Demonstration ein un-      ihre Hauptfunktion die Teilnahme an den wö-
terschiedlich großer organisatorischer Aufwand       chentlichen Telefonkonferenzen („Deli-TK“) und
erforderlich. Bei größeren Protesten übernimmt       die Weitergabe von Informationen. Daneben be-
in aller Regel ein lokales Organisations-Team die    stehen aufgabenspezifische Arbeitsgruppen,
Federführung, während andere Teams für spezi-        etwa für Finanzen und Medienkontakte.
ellere Aufgaben zuständig sind (Bühne, Ordner,
Finanzen, etc.). Beim gesamten Informationsfluss        Vieles an dieser Struktur wirkt noch unfertig
und der Protestmobilisierung spielen jenseits der    und improvisiert. Genau dieser Charakter ist es
neu gebildeten Strukturen auch die an allen Schu-    aber, der FFF auch unter strukturellen Gesichts-
len existierenden Strukturen von Klassenspre-        punkten für junge Menschen attraktiv macht und
cher*innen und Organen der Schüler*innenmit-         einen scharfen Kontrast zu Strukturen in etablier-
verwaltung von der lokalen bis zur Ebene der         ten Verbänden und Parteien bildet. Neben Eu-
Bundesländer eine Rolle. Zwar dürfen diese Or-       phorie um die eigenen Mobilisierungserfolge und
gane nicht für politische Zwecke eingesetzt wer-     die starke mediale Aufmerksamkeit war aber
den und respektieren auch formal dieses Gebot,       auch vereinzelt interne Kritik an den führenden
um Konflikte mit Schulleitungen und Kultusbe-        Repräsentant*innen der Bewegung zu hören. Ins-
hörden zu vermeiden. Faktisch waren aber doch        besondere die mediale Präsenz Luisa Neubauers
oft Klassen- und Schulsprecher*innen an der Mo-      wurde nicht nur wohlwollend begrüßt, sondern
bilisierung beteiligt, die ihre Verbindungen und     mitunter als „Personenkult“ abgelehnt.8
Kanäle nutzten und dabei von ihrer Organisati-           In Berlin wie in Bremen, den beiden Orten un-
onserfahrung und ihren Artikulationsfähigkeiten      serer Befragung, folgten die Proteste einem be-
profitierten.7 Direkte Treffen in und außerhalb      reits eingespielten Muster. In Berlin fand die ge-
der Schulen dienen FFF als Rahmen des Erfah-         gen 11:00 Uhr beginnende Auftaktkundgebung
rungs- und Informationsaustauschs. Daneben           an dem leicht zugänglichen Invalidenpark in Nähe
spielt die Kommunikation per WhatsApp und an-        des Hauptbahnhofes statt. Nach ca. einer Stunde
deren Messenger-Dienste eine wichtige Rolle.         formierten sich die Teilnehmer*innen zu einem
WhatsApp begrenzt die Zahl der unmittelbar           Protestzug, der in einer großen Schleife in die
Kommunizierenden auf 256 Personen. Will sich         Nähe des Reichstages und des benachbarten
ein größerer Kreis an der Kommunikation beteili-     Kanzleramtes führte, um dann auf anderem
gen, so wird ein neues Forum, wiederum be-           Wege wieder am Ausgangspunkt anzukommen.
schränkt auf 256 Teilnehmer*innen, eröffnet. In      Der vordere Teil des Protestzugs kam nach einer
der Folge muss es zu Abstimmungsprozessen zwi-       guten Stunde zurück; die hinten Marschierenden
schen diesen Foren kommen, was bislang, so der       erreichten den Ausgangspunkt deutlich später.

_____
7                                                    8
 Siehe auch Ergebnisse der Demonstrationsbefragung    www.welt.de/politik/deutschland/article-
zu bürgerschaftlichem Engagement in Abschnitt 3.5.   192070931/Luisa-Neubauer-und-Fridays-for-Future-
                                                     Unmut-hinter-den-Kulissen.html [04.08.2019].

                                                                                                        5
Dadurch „franste“ die abschließende Kundge-           großer Teil selbstgemalte Pappschilder mit deut-
bung aus; nur teilweise wandten sich die Versam-      schen und englischsprachigen Slogans zum Klima-
melten den Reden und Musikbeiträgen zu. Das           wandel mitgebracht hatte. Die Stimmung auf der
Ende der Veranstaltung markierte ein Tanzen vor       Demonstration war lebhaft. Die Teilnehmer*in-
der Bühne, an dem vor allem die Jüngeren teil-        nen stimmten häufig Sprechchöre an. Die Polizei
nahmen, während sich viele der übrigen De-            beschränkte sich darauf, den Verkehr zu regeln
monstrierenden am Rande des Geschehens in             und war ansonsten zumindest nicht mit einem
Kleingruppen unterhielten oder sich bereits den       sichtbaren Aufgebot vor Ort. Für die Abschluss-
Ort der Kundgebung verließen. Die Stimmung war        kundgebung auf dem Marktplatz galt das Gleiche
insgesamt fröhlich bis euphorisch. Auch die Jour-     wie für die Auftaktkundgebung: Die unterdimen-
nalist*innen waren auf ihre Kosten gekommen,          sionierte Technik führte dazu, dass nur ein sehr
machten Interviews mit einzelnen Teilneh-             kleiner Teil der Menge die dort gehaltenen Reden
mer*innen und schossen serienweise Bilder vom         verstehen konnte. Einsetzender Nieselregen
stationären wie mobilen Protestauftritt, der teil-    sorgte dann dafür, dass sich die Demonstration
weise auch auf kalkulierten Inszenierungen der        gegen 13:00 Uhr langsam auflöste. Der Befragung
Veranstalter*innen beruhte. Zum Beispiel wur-         standen die allermeisten angesprochenen Teil-
den speziell die sehr jungen Teilnehmer*innen         nehmer*innen offen und interessiert gegenüber.
(von ca. 11 bis 14 Jahren) von einem deutlich äl-     Auch hier gab es nur wenig ablehnende Reaktio-
teren Organisator bzw. Ordner mit Megaphon            nen.
hinter dem Fronttransparent platziert. Dort skan-
dierten die Kinder, unterstützt von koordinierten
Hüpfbewegungen, ihre Parolen in ausgelassener         3. Anlage und Ergebnisse
Stimmung. Nachdem sich alle interessierten Foto-
graf*innen vor oder seitlich des Transparents            der Befragung
postiert hatten, setzte sich der Zug, angeführt von
den jubelnden Kindern, in Bewegung.                   Mitglieder des Instituts für Protest- und Bewe-
                                                      gungsforschung sowie Beteiligte aus früheren
    An der Berliner Demonstration nahmen rund         Forschungsgruppen am Wissenschaftszentrum
20.000 (Polizei) bis 25.000 Menschen (laut Veran-     Berlin (WZB) haben bereits mehrfach in der Ver-
stalter*innen) teil, wobei uns erstere Angabe re-     gangenheit Protestierende befragt. Tabelle 1 lie-
alistischer erscheint. Lediglich 5.000 waren bei      fert einige Eckdaten ausgewählter Befragungen
den Anmeldebehörden erwartet worden. Nur              im Vergleich. Es ist erkennbar, dass, nicht zuletzt
wenige der von uns Angesprochenen verweiger-          abhängig von der Größe der Demonstrationen,
ten ein Interview vor Ort bzw. die Annahme des        ganz unterschiedliche Anteile der Protestieren-
Flyers, mit dem zur Teilnahme an der Online-Be-       den durch die Befragung erfasst werden. Daran
fragung aufgerufen wurde.                             sollte allerdings nicht die Aussagekraft der Ergeb-
    In Bremen startete die Demonstration mit ei-      nisse gemessen werden, kommt es doch darauf
ner Auftaktkundgebung um 10:00 Uhr auf dem            an, bei der Auswahl der Protestierenden deutli-
Bahnhofsvorplatz. Die Organisator*innen hatten        che Verzerrungen zu vermeiden, also eine strikte
im Vorfeld mit etwa 1.000 Teilnehmer*innen ge-        Zufallsauswahl der zur Teilnahme an der Befra-
rechnet. Als dann tatsächlich mindestens fünfmal      gung aufgeforderten Personen zu gewährleisten.
so viele erschienen, erwies sich der Lautsprecher-    Dies erfordert unter anderem, dass beim Einsatz
wagen als viel zu klein dimensioniert, so dass nur    der Interviewer*innen bzw. Verteiler*innen von
ein kleiner Teil der Demonstrant*innen etwas          Fragebögen oder Flyern alle Segmente der Men-
von den Statements der Organisator*innen mit-         schenmenge bzw. des Protestmarsches gleicher-
bekommen konnte. Vom Hauptbahnhof zog der             maßen abgedeckt werden. Das ist schwierig im
Demonstrationszug in einer etwa einen Kilometer       Rahmen eines Protestgeschehens, das manchmal
langen Route durch die Innenstadt bis zum histo-      leicht chaotische Züge annimmt, bei dem Leute
rischen Marktplatz mit dem Sitz der Bremischen        kommen und gehen, ein Vordringen zur Bühne
Bürgerschaft. Das Gesamtbild der Demonstration        aufgrund der dicht stehenden Menschen verhin-
war geprägt von Schüler*innen, von denen ein          dert wird oder wenn ein langsamer Umzug plötz-

                                                                                                       6
lich im Laufschritt vorangeht, um eine entstan-            Auch wenn wir bei bisherigen Befragungen
dene Lücke zu schließen. Ein weiterer Faktor für        durchaus unterschiedliche Rücklaufquoten erzielt
mögliche Verzerrungen ist die Art und Quote des         haben, so handelt es sich doch selbst bei den ver-
Rücklaufs. Rein quantitativ verringert sich dieser      gleichsweise niedrigen Werten für die FFF-Befra-
mögliche Verzerrungseffekt mit der Höhe der             gung um Quoten, die weit über denen von reprä-
Quote.                                                  sentativen Bevölkerungsumfragen liegen.

Tabelle 1: Übersicht zu Protestbefragungen in Deutschland 9
                          Teilnehmende,        Verteilte
    Demonstration                                                   Rücklauf          Rücklaufquote; %
                          geschätzt            Fragebögen
    Irakkrieg, 2003        500.000              1.430                  740              51,7

    Hartz IV, 2004          10.700              1.610                  783              48,6

    Stuttgart 21, 2010      17.500              1.500                  814              54,3

    Pegida, 2015            17.000                670                  123              18,4

    Anti-TTIP, 2015        200.000              3.780                  482              14,2

    G20, 2017*              80.000              4.187                1.095              31,0

    FFF, 2019               25.500              2.200                  355              16,1

                Berlin      20.000              1.202                  204              17,0

                Bremen       5.500                998                  151              15,1

                                                        Befragungen von Demonstrierenden ein anderes
3.1 Methodik und Repräsentativität
                                                        Vorgehen geboten. Darauf wird noch einzugehen
Auch wenn methodische Detailfragen als Angele-          sein.
genheit von Expert*innen gesehen werden und                Tabelle 2 zeigt die Eckdaten der europäischen
für das breite Publikum kaum von Interesse sind,        Befragungsaktion zu FFF in neun Ländern. Die
so legen wir doch großen Wert darauf, unser me-         Rücklaufquoten sind insgesamt zufriedenstel-
thodisches Vorgehen eingehend zu beschreiben            lend. Sie schwanken zwischen 12 Prozent (Ams-
und auch dessen Schwächen und Grenzen aufzu-            terdam) und 30 Prozent (Stockholm). Mit unseren
zeigen. Das erscheint uns gerade im Untersu-            Befragungen in Berlin und Bremen (mit 17 % bzw.
chungsfeld der quantitativen Befragung von Pro-         15 %) liegen wir damit im unteren Bereich. Auch
testteilnehmer*innen notwendig – einem Feld,            die von den Berliner Organisator*innen auf der
das erst seit den früher 2000er Jahren Konturen         Bühne ausgesprochene Ermunterung, sich an der
gewonnen hat und in dem noch viel experimen-            Umfrage zu beteiligen, hat offenbar nicht zu einer
tiert wird (siehe z. B. Andretta und della Porta        markanten Steigerung der Rücklaufquote ge-
2014; Teune und Ullrich 2015). Im Unterschied zu        führt, wie der Vergleich mit Bremen zeigt.
repräsentativen Bevölkerungsumfragen ist bei
_____
9
  Tabelle 1 zeigt eine Auswahl der Studien, die unter   * Während des G20-Gipfels in Hamburg wurden zwei
Beteiligung von Wissenschaftler*innen des Instituts     Demonstrationen untersucht. Siehe: Haunss et al.
für Protest- und Bewegungsforschung entstanden sind.    2017.

                                                                                                         7
Tabelle 2: Eckdaten der internationalen Befragung in neun Ländern
                 Teilnehmende,         Kurz-           Verteilte                        Rücklauf-
 Stadt                                                                 Rücklauf
                 geschätzt             interviews      Fragebögen                       quote; %
 Amsterdam        5.500                 118               609           72              12

 Berlin           15.000 - 25.000       257             1.202          204              17

 Bremen           5.000 - 6.000         100               998          151              15

 Brüssel          30.000 - 35.000       140               733          166              23

 Florenz          10.000 - 30.000         0             1.000          195              20

 Genf             5.000 - 6.000         103             1.000          154              15

 Lausanne         12.000 - 15.000       152             1.000          183              18

 Malmö           600 - 650              95               528          114              22

 Manchester       800                    76               398          100              25

 Stockholm        3.000 - 5.000         108               588          174              30

 Truro (UK)       300                    62               260           38              15

 Wien             15.000 - 25.000       180               930          154              17

 Warschau         6.700                 170               916          220              24
Quelle: Wahlström et al. 2019b, übersetzt ins Deutsche

Das Problem der Repräsentativität                     muss versuchen, durch eine Reihe von Vorkeh-
                                                      rungen möglichst nahe an das Repräsentativitäts-
Die Frage der Repräsentativität ist für die quanti-
                                                      kriterium heranzukommen, wobei bestenfalls Re-
fizierende empirische Sozialforschung eine
                                                      präsentativität für die jeweilige Demonstration,
Schlüsselfrage, der wir große Aufmerksamkeit
                                                      nicht aber für ähnliche Veranstaltungen an ande-
und Energie widmen. Nicht immer gelingt es, das
                                                      ren Orten herzustellen ist. Grundprinzip bei der
Ziel der (annähernden) Repräsentativität zu errei-
                                                      Befragung von Protestierenden ist die Sicherung
chen. Zum Beispiel sind wir bei unserer Befragung
                                                      einer Zufallsstichprobe bei der Kontaktierung von
von Teilnehmer*innen an einer Pegida-Demonst-
                                                      Personen vor Ort. Dafür wurden in unserem kon-
ration im Januar 2015 zu dem Schluss gekommen,
                                                      kreten Fall den Befragungsteams (jeweils zwei
dass wir aus einer Reihe von Gründen keinerlei
                                                      Personen) bestimmte Sektoren während der sta-
Repräsentativität beanspruchen können (Daphi
                                                      tionären Kundgebung bzw. Abschnitte innerhalb
et al. 2015b).
                                                      des Demonstrationszuges zugewiesen, um dann
   Im Unterschied zu repräsentativen Bevölke-         nach einer festen Quote jede x-te Person für ein
rungsumfragen sind bei den vor Ort Demonstrie-        Kurzinterview anzusprechen bzw. einen Flyer zu
renden die Merkmale der Grundgesamtheit un-           verteilen. Dabei ist die Arbeitsteilung im Team
bekannt. Man kann also nicht aufgrund bereits         zentral: Während eine Person im Team, der soge-
vorhandener Daten eine relativ kleine und den-        nannte Pointer, die Zielperson nach dem genann-
noch repräsentative Stichprobe ziehen, sondern        ten Schema auswählt, ist die zweite Person für die

                                                                                                      8
Kontaktaufnahme und das Gespräch bzw. Inter-           mindestens 14-Jährige einbezogen, nachdem das
view mit der Zielperson verantwortlich. So sollen      Alter durch eine Eingangsfrage geklärt worden
Verzerrungen (selection bias) vermieden werden,        war. Alle elf Interviewfragen sind auch im Online-
die z. B. durch eine (unbewusste) Auswahl nach         Fragebogen enthalten und somit in ihren Ergeb-
Sympathie, ähnlicher Altersgruppe oder erhoff-         nissen direkt vergleichbar. In Berlin wurden die
ten „Erfolgschancen“ bei der Ansprache der Ziel-       Antworten von den Interviewer*innen in ein Pa-
person entstehen können. Die Interviews und die        pierformular eingetragen, in Bremen dagegen auf
Verteilung der Flyer erfolgen also nach einem an-      einem Tablet registriert, was sich als deutlich ef-
deren Prinzip als die Verteilung von Flugblättern      fizienter erwies. Zweck der Interviews war nicht,
oder Werbezetteln in einer Fußgängerzone, wo           die Rücklaufquote zu erhöhen oder vertiefende
die Verteiler*innen bemüht sind, möglichst             Informationen zu gewinnen. Vielmehr sollte mit
schnell möglichst viele ihre Zettel loszuwerden.       dieser zusätzlichen Erhebung einzig und allein ge-
                                                       prüft werden, ob die nach der Zufallsauswahl er-
   Der von uns verteilte Flyer wurde zunächst in
                                                       haltenen direkten Interviews vor Ort, für die wir
englischer Sprache unter den verschiedenen nati-
                                                       eine annähernde Repräsentativität beanspru-
onalen Teams in seinem Wortlaut abgestimmt
                                                       chen können, mit Blick auf die entsprechenden
und dann ebenso wie der ausführliche Online-
                                                       Fragen des Online-Instruments ähnliche Ergeb-
Fragebogen – in die jeweilige Landessprache
                                                       nisse zeitigen würden. Abweichungen könnten
übersetzt. Er enthält die Aufforderung, sich an
                                                       sich z. B. dadurch ergeben, dass netzaffine und
der Online-Befragung zu beteiligen. Zudem ist auf
                                                       junge Teilnehmer*innen eher als andere Gruppen
jedem Flyer ein individueller ID-Code vermerkt,
                                                       an der Online-Umfrage teilnehmen und damit das
der einmalig den Zugang zum Online-Fragebogen
                                                       Durchschnittsalter der an der Online-Umfrage Be-
ermöglicht, aber danach nicht erneut nutzbar ist.
                                                       teiligten geringer ausfällt als das Durchschnittsal-
Dadurch wird sichergestellt, dass im Prinzip nur
                                                       ter der Demonstrierenden vor Ort.
Teilnehmer*innen an der Demonstration (abge-
sehen von der Möglichkeit, den Flyer an jeman-            Der Vergleich der Antworten aus den direkten
den weiterzureichen), vor allem aber nicht ganze       Interviews und der Online-Befragung förderte ein
Gruppen, zum Beispiel Schulklassen, an der Befra-      Ergebnis zutage, dass wir in dieser Deutlichkeit
gung teilnehmen und damit das Zufallsprinzip der       nicht erwartet hatten. Zusammengefasst: Die
Beteiligung verletzen. Auch aufgrund der positi-       durch beide Instrumente ermittelten Merkmals-
ven Grundstimmung während den Demonstratio-            verteilungen sind annähernd gleich. Das soll
nen war die Ablehnungsquote für die Verteilung         nachfolgend lediglich für einige Fragen belegt
der Flyer sehr gering. Sie betrug in Berlin 5,3 Pro-   werden:
zent und in Bremen 5,4 Prozent. Auch dies ist ein
                                                          Der Frauenanteil betrug bei den direkten In-
wichtiger Indikator dafür, dass nicht bereits bei
                                                       terviews vor Ort 57,6 Prozent, bei der Online-Be-
der Verteilung der Flyer ein möglicher Verzer-
                                                       fragung 59,6 Prozent. Der Anteil von Schüler*in-
rungseffekt entsteht, insofern sich eine größere
                                                       nen und Student*innen betrug bei den direkten
Personengruppe der Beteiligung an der Befra-
                                                       Interviews 76,7 Prozent und war bei den Online-
gung verweigert.
                                                       Interviews mit 71,4 Prozent nur etwas geringer.
   Besondere Aufmerksamkeit widmeten wir der           Auch bei der Altersverteilung der Befragten lie-
Durchführung von direkten Interviews vor Ort,          gen die Werte aus beiden Befragungen in einer
die elf Fragen enthielten und durchschnittlich         ähnlichen Größenordnung (siehe Tabelle 3).
fünf Minuten beanspruchten. Hier und bei der ge-
samten Befragungsaktion wurden aus for-
schungsethischen und juristischen Gründen nur

                                                                                                         9
Tabelle 3: Altersverteilung im Vergleich beider Befragungsmethoden; in %

 Altersgruppe                        Kurzfragebogen                        Online-Survey

 14-19                               58,0                                  51,5

 20-25                               17,0                                  18,9

 26-35                               11,3                                  11,3

 36-45                                7,1                                   5,1

 46-55                                3,6                                   6,5

 56-65                                1,5                                   3,4

 Über 65                              1,5                                   3,4
 Gesamt %                            100,0                                 100,0
 N                                   336                                   355

Tabelle 4: Demonstrationserfahrung im Vergleich beider Befragungsmethoden; in %

Demonstrationserfahrung             Kurzfragebogen                         Online-Survey

Keine Teilnahme                     24,4                                   25,1

1 bis 5 mal                         35,7                                   33,2

6 bis 10 mal                        15,5                                   18,2

11 bis 20 mal                       12,2                                    9,2

Mehr als 20 mal                     12,2                                   14,2
Gesamt %                            100,0                                  100,0
N                                   336                                    346

   Und auch der Vergleich der Antworten auf die        die Direktinterviews erheblich war und naturge-
Frage nach früheren Demonstrationsteilnahmen           mäß auch die Kapazitäten bei der Verteilung der
in Tabelle 4 liefert ein sehr hohes Maß an Über-       Flyer – und damit die Rücklaufquote – reduzierte,
einstimmung.                                           so sehen wir doch diesen rein methodisch moti-
                                                       vierten Aufwand als sinnvoll an. Wir sprechen
    Aufgrund der sehr ähnlichen Ergebnisse bei-
                                                       zum ersten Mal in unserer Serie von Demonstra-
der Befragungsmethoden, können wir davon aus-
                                                       tionsbefragungen von einer annähernden Reprä-
gehen, dass die annähernde Repräsentativität,
                                                       sentativität.
die wir aufgrund der Zufallsauswahl für die 336
Direktinterviews beanspruchen, auch für die On-
line-Befragung gilt, auf die sich alle folgenden
Analysen beziehen. Auch wenn der Aufwand für

                                                                                                     10
3.2 Wer sind die Teilnehmer*innen?                      G20-Gipfel 2017 (Haunss et al. 2017) und gegen
                                                        die Freihandelsabkommen TTIP und CETA 2015
Eine ganze Reihe von Fragen diente der Ermitt-          (Daphi et al. 2015a) war das Verhältnis der Ge-
lung des sozio-demografischen Profils der Protes-       schlechter nahezu ausgeglichen. Im Falle der FFF-
tierenden. Bei der Darstellung der Ergebnisse gilt      Proteste in Berlin und Bremen betrug der Frauen-
es zu beachten, dass die Ausübung von Protest als       anteil zusammengenommen 59,6 Prozent. In der
Artikulationsform von verschiedenen sozio-struk-        Gruppe der Schüler*innen lag er mit 64,6 Prozent
turellen Merkmalen geprägt ist und Demonstrie-          sogar noch höher.
rende in den wenigsten Fällen ein repräsentatives
Abbild der Gesamtbevölkerung darstellen. So zei-            Altersstruktur: Entgegen dem medial gezeich-
gen zahlreiche Studien für Deutschland und viele        neten Bild, FFF würde ganz überwiegend von sehr
andere westeuropäische Länder, dass vor allem           jungen Schüler*innen getragen, zeigt unsere Be-
formal höher Gebildete, Menschen mit über-              fragung ein differenzierteres Bild. Dabei ist zu be-
durchschnittlichem Einkommen und die Altersko-          rücksichtigen, dass unsere Befragung aus juristi-
horte der 30-50-Jährigen auf die Straße gehen (z.       schen und forschungsethischen Gründen nur Teil-
B. van Aelst/Walgrave 2001). Während Demonst-           nehmer*innen ab 14 Jahren einschließt. Unter
rationen lange stark von Männern geprägt waren,         den Befragten ist der Anteil der Schüler*innen
zeigen jüngere Untersuchungen eine annähernd            (49,3 %) und der Gruppe der Erwachsenen, die
paritätische Verteilung der Geschlechter. Im Fol-       nicht mehr zur Schule gehen (50,7 %) nahezu
genden wird das Profil der FFF-Protestierenden          gleich groß. Dieses Verhältnis spiegelt sich auch in
im Hinblick auf einige der genannten Merkmale           der Altersstruktur der Befragten wider (siehe Ab-
genauer in den Blick genommen.                          bildung 1). So ist die Gruppe der 14-19-Jährigen
                                                        mit 51,5 Prozent am stärksten vertreten, gefolgt
   Verteilung der Geschlechter: Auffällig an der        von der Gruppe der 20-25-Jährigen mit knapp 19
Geschlechterverteilung, zumal im Vergleich mit          Prozent und – jetzt in Zehn-Jahres-Schritten – der
den meisten sonstigen Demonstrationen, ist der          Gruppe der 26-35-Jährigen mit 11,3 Prozent. Ab-
hohe Frauenanteil bei den FFF-Protesten. Bei der        bildung 3 zeigt auch, dass die FFF-Demonstrieren-
Befragung von Demonstrierenden gegen Stutt-             den in Bremen mit einem Anteil der 14-19-Jähri-
gart 21 betrug der Frauenanteil 40 Prozent              gen von mehr als 60 Prozent etwas jünger sind als
(Baumgarten und Rucht 2014), unter den Pegida-          in Berlin, wo sich Studierende stärker an den Pro-
Demonstrierenden lag er lediglich bei 18 Prozent        testen beteiligten.
(Daphi et al. 2015b). Bei den Protesten gegen den

Abbildung 1: Altersstruktur der Demonstrierenden in Bremen und Berlin; in %

60

50

40

30

20

10

 0
         14-19         20-25            26-35        36-45         46-55           56-65       über 65

                               Berlin (N=204)   Bremen (N=151)    Gesamt (N=355)

                                                                                                         11
Die Daten verdeutlichen, dass der Protest im            Diesen anderen Demonstrationen – von
Wesentlichen von jungen Menschen getragen               Pegida bis zu den G20-Protesten – werden in ers-
wird, dass sich aber auch Erwachsene und ältere         ter Linie durch die mittleren Alterskategorien ge-
Menschen beteiligen und solidarisch zeigen. Ins-        prägt. Der Mittelwert der Gruppe der unter 25-
gesamt handelt es sich bei FFF aber um eine au-         Jährigen liegt für diese Proteste zusammen bei
ßergewöhnlich junge Protestbewegung, wie der            nur 14 Prozent, während er bei den FFF-Protesten
Vergleich mit anderen von uns untersuchten De-          mehr als 70 Prozent beträgt.
monstrationen zeigt (siehe Abbildung 2).

Abbildung 2: Altersstruktur, Vergleich ausgewählter Demonstrationen; in %

80
                      70,4                                                                      Pegida
70
                                                                                                Stuttgart 21
60
                                                                                                Hartz IV
50
                                                                                                Irakkrieg
40
                                                                                                TTIP
30
                                                                                                G20*
20
                                          13,8                  12,1
                                                                                                FFF
10
                                                                                      3,7

     0
           unter 25               25-39                 40-64               über 64

    Ein beachtlicher Anteil der Befragten bei FFF       werbstätigkeit und der Bildungsgrad der Eltern-
sind Schüler*innen oder Student*innen (71,8 %).         teile herangezogen werden. 39,2 Prozent der
Hinzu kommen kleinere Anteile von Vollzeitbe-           Mütter sind vollerwerbstätig, weitere 31,4 Pro-
schäftigten (21,1 %) und Teilzeitbeschäftigten.         zent sind teilzeitbeschäftigt. Bei den Vätern lie-
Arbeitslose sind, gemessen an der Gesamtbevöl-          gen die entsprechenden Anteile bei 62,9 Prozent
kerung, unterdurchschnittlich vertreten (2,9 %).        und 5,2 Prozent. Bei 57,5 Prozent der erwachse-
Gleiches gilt für Rentner*innen (6,9 %) und Haus-       nen Befragten ab 20 Jahren hat die Mutter einen
frauen bzw. Hausmänner (1,7 %).10                       Hochschulabschluss bei den Vätern sind es 58,8
    Tabelle 5 zum angestrebten bzw. erworbenen          Prozent; bei den Schüler*innen beträgt der Anteil
Ausbildungsgrad signalisiert die starke soziale Se-     45,8 bzw. 49,4 Prozent. Das sind Werte, die etwa
lektion der Demonstrierenden. Diese sind in der         doppelt so hoch sind wie in der Gesamtbevölke-
Gesamttendenz dem Bildungsbürgertum zugehö-             rung.11
rig. Dies zeigt sich noch deutlicher, wenn die Er-

_____
10
  Mehrfachantworten möglich.                           6. September 2018 „verfügten 29 % der 30- bis 34-Jäh-
11
  Die Quote der Personen mit Hochschulabschluss un-     rigen über einen Hochschulabschluss, während der An-
terscheidet sich stark nach Altersgruppen. Laut einer   teil unter den 60- bis 64-Jährigen bei 19 % lag“. Siehe:
Pressemitteilung des Statistischen Bundesamtes vom      https://www.destatis.de/DE/Presse/Presse-mitteilun-
                                                        gen/2018/09/PD18_332_217.html [04.08.2019].

                                                                                                            12
Tabelle 5: Ausbildungsgrad (bei Schüler*innen: angestrebter Abschluss); in %

  Ausbildungsgrad                                                                  Online-Survey

  Keinen Schulabschluss                                                             0,9

  Grundschule                                                                       0,6

  Hauptschulabschluss                                                               0,9

  Realschulabschluss / POS / mittlerer Schulabschluss                               4,5

  Fachhochschulreife / Abitur                                                      55,1

  Abgeschlossenes Studium                                                          32,1

  Doktor / PhD                                                                      4,8

  Sonstiges                                                                         1,2
  Gesamt %                                                                         100,0
  N                                                                                366

Abbildung 3: Schichteinstufung von Schüler*innen und Erwachsenen; in %

70
                                     63,3
60
                                             53,6

50
                                                                       39,1
40

30                                                             27,6

20

10                                                                                          7,1
                                                                                                     4,6
              2,0    2,6
 0
              Oberschicht         Obere Mittelschicht       Untere Mittelschicht           Arbeiterschicht

                                  Schüler*innen (N=98)     Erwachsene (N=151)

   Von Interesse ist auch die subjektive Schicht-        Kategorie mit 4,3 Prozent schwach besetzt,
einstufung der Befragten. Hier wurde die im briti-       würde aber vermutlich auch bei einer anderen
schen Sprachraum und weiteren europäischen               Benennung in Deutschland nicht wesentlich hö-
Ländern durchaus gebräuchliche und wenig                 her ausfallen. Bei den Befragten ist, wie in der Ge-
schambesetzte Kategorie working class im deut-           samtbevölkerung, der Anteil derer, die sich der
schen Fragebogen mit dem Begriff „Arbeiter-              Oberschicht zuordnen, mit 1,8 Prozent ver-
schicht“ übersetzt. Erwartungsgemäß ist diese            schwindend gering. Am stärksten präsent sind die

                                                                                                             13
Obere Mittelschicht mit 43,6 Prozent und die un-                  in Deutschland geboren. Weitere 2,1 Prozent
tere Mittelschicht (26,2 %). Weitere 7,9 Prozent                  kommen aus dem europäischen Ausland und 0,9
wollten sich keiner dieser Kategorien zuordnen.                   Prozent aus Ländern außerhalb Europas. Neben
Insbesondere unter den Schüler*innen ist der An-                  den Angaben zum eigenen Geburtsland wurden
teil derjenigen, die sich keiner Schicht zuordnen                 die Befragten auch gebeten, das Geburtsland ih-
(9,2 %) oder die keine klare Meinung zu dieser                    rer Eltern anzugeben. Daraus lässt sich der indivi-
Frage haben (26,8 %) relativ hoch. Klammern wir                   duelle Migrationshintergrund rekonstruieren und
diese Antworten aus und vergleichen die Gruppe                    mit der Gesamtbevölkerung vergleichen (Abbil-
der Schüler*innen mit der der Erwachsenen, so                     dung 4). Dabei zeigt sich, dass Personen mit eige-
nehmen mehr Schüler*innen als Erwachsene eine                     ner Migrationserfahrung zwar im Vergleich zur
subjektive Schichtzuordnung in der oberen Mit-                    Gesamtbevölkerung unterrepräsentiert sind,
telschicht vor (siehe Abbildung 3).                               aber die Gruppe derjenigen, die mindestens ei-
                                                                  nen im Ausland geborenen Elternteil haben, ins-
    Die Demonstrierenden wurden auch nach ih-
                                                                  besondere in Berlin relativ stark vertreten ist.
ren Herkunftsländern befragt. Das Bild ist eindeu-
tig. Die weitaus meisten Befragten (97,6 %) sind

Abbildung 4: Migrationsgeschichte der Demonstrierenden, im Vergleich; in %

                          0               20                 40                    60             80             100

     FFF Berlin (N=189)                                                        79,9

 FFF Bremen (N=138)                                                         87,7

 FFF Gesamt (N=327)                                                           83,2

          ALLBUS 2016                                                          80,7

                 Direkte Migrationserfahrung / Eigene Geburt im Ausland
                 Mindestens ein Elternteil im Ausland geboren / Eigene Geburt in Deutschland
                 Kein unmittelbarer Migrationshintergrund / Eigene Geburt und Geburt der Eltern in Deutschland

                                                                  worten enthaltenen Schlüsselbegriffe vorgenom-
3.3 Anliegen der Protestierenden
                                                                  men und auch exemplarisch einige Statements im
Ein zentrales Ziel der Umfrage war es, mehr über                  Wortlaut12 herausgegriffen.
die Motive der Demonstrant*innen zu erfahren.                         Aus den optisch quantifizierten Antworten auf
Dafür haben wir sowohl geschlossene Fragen mit                    die offene Frage nach den Gründen für die Teil-
festen Antwortmöglichkeiten als auch drei offene                  nahme an der Demonstration (Abbildung 5) wird
Fragen gestellt. Einige Ergebnisse bezüglich die-                 deutlich, dass insbesondere von den Schüler*in-
ser Fragen sollen im Folgenden dargestellt wer-                   nen Klimawandel und die Sicherung der Zukunft
den. Dabei haben wir eine quantitative und gra-                   als langfristiges und dringendes Problem gesehen
phisch visualisierte Auswertung der in den Ant-                   wird.

_____
12
   Die nachfolgenden Zitate werden im Original inklu-
sive sprachlicher Fehler zitiert.

                                                                                                                  14
Abbildung 5: Zentrale Motive der Demonstrierenden

 Q6: „Bitte sagen Sie uns kurz, warum Sie an diesem Protest teilgenommen haben“

    Aus Statements wie beispielsweise dem fol-           Oder: „Ich finde den Protest der Jugendlichen
genden: „Weil sich in der Politik etwas ändern           großartig und möchte meinen Enkeln eine be-
muss und wenn die das nicht angehen oder mer-            wohnbare Erde hinterlassen. War dort zusammen
ken müssen wir halt für unsere Zukunft kämpfen!          mit meiner Tochter und Enkelin (8).“
Die notwendigen Maßnahmen müssen umgesetzt
                                                             In den Antworten auf die offene Frage nach
werden“ spricht eine Sorge um die eigene Zu-
                                                         den Schuldigen des Klimawandels lassen sich grob
kunft, dem am häufigsten genannten Motiv. Viel-
                                                         zwei Perspektiven unterscheiden (Abbildung 6,
fach wird dabei die besondere Rolle von Jugend-
                                                         nächste Seite). Bei einem Teil der Protestieren-
lichen betont: „Um zu zeigen, dass wir Schüler
                                                         den steht individuelles Handeln im Vordergrund.
eine große Gruppe sind die sich für ihre Zukunft
                                                         Sie betonen, dass alle Menschen durch ihren Kon-
interessiert und auch eine politische Meinung ha-
                                                         sum und Lebensstil die Schuld am Klimawandel
ben“. Oder: „Ich finde es wichtig, dass gerade
                                                         tragen: „der mensch und seine gier nach mehr.“
junge Menschen auf die Straße gehen und für ihre
                                                         Ähnlich die Antwort: „Die Menschheit im Ganzen.
Zukunft eintreten um wirklich etwas zu ändern.“
                                                         Man kann die Schuld nicht einer Person zuschie-
   Vereinzelt werden auch spezifischere Motive           ben, da wir alle unseren Teil dazu beigetragen ha-
genannt: „Um eine Rede zu halten und gegen den           ben, wenn auch manchmal unbewusst. Es ist der
Kapitalismus zu demonstrieren.“ Ein anderer Teil-        Bequemlichkeit zuzutragen, die wir alle so lieben,
nehmer nennt an erster Stelle eine berufsbezo-           und der Profitgier, die meiner Meinung nach doch
gene Motivation: „Mein Arbeitsplatz hängt vom            in jedem steckt.“ In einem Fall wird auch den Ju-
Klima ab (Forstwirtschaft). Außerdem bin ich sehr        gendlichen ausdrücklich eine Mitschuld zugewie-
naturverbunden, das Aussterben von Tier-, Insek-         sen: „Schule (sic! - gemeint ist Schuld) ist Egois-
ten und Pflanzenarten erschreckt mich, ich halte         mus und Kurzsichtigkeit vorrangegangener und
dies für grausam und unnötig. Die Politik tut            teilweise auch der jungen Generation“.
nichts, hält eigene Klimaziele nicht ein, greift nicht
                                                            Zuweilen werden solche Aussagen aber auch
durch“. In manchen Antworten kommt auch der
                                                         weiter differenziert, indem beispielsweise auf die
tragende Einfluss der sozialen Umgebung zum
                                                         Schuldfrage geantwortet wird: „Der unverant-
Ausdruck: „Wir wurden in der Schule darauf auf-
                                                         wortliche Konsum des normalen Bürgers sowie
merksam gemacht und haben uns dann ent-
                                                         die großen Firmen die nichts ändern wollen“.
schlossen teilzunehmen“.
                                                             Eine andere Gruppe der Befragten sieht in ers-
   Ältere Befragte erklären sich solidarisch mit
                                                         ter Linie die Wirtschaft bzw. Industrie oder Unter-
den Jungen: „Ich finde es wichtig, dass gerade
                                                         nehmen und Politik in der Verantwortung. So
junge Menschen auf die Straße gehen und für ihre
                                                         heißt es: „Untätigkeit der Regierungen, dubiose
Zukunft eintreten um wirklich etwas zu ändern.“

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