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Online publiziert: 27.10.2020 Leserbrief Leserbrief zum Beitrag: Kappstein I. Mund-Nasen-Schutz in der Öffentlichkeit: Keine Hinweise für eine Wirksamkeit Krankenhaushygiene up2date 2020; 15: 279–297 Sehr geehrte Frau Kappstein, te zur Reduktion der Übertragungen von chen werden sollen, dass der MNB ein COVID-19“ [10]: „Eine teilweise Redukti- Baustein sein könnte, um Übertragun- mit Interesse habe ich Ihre Übersichtsar- on dieser unbemerkten Übertragung von gen zu reduzieren, nicht aber dies als beit „Mund-Nasen-Schutz in der Öffent- infektiösen Tröpfchen durch das Tragen Tatsache zu formulieren“ [1] (Seite 288). Dieses Dokument wurde zum persönlichen Gebrauch heruntergeladen. Vervielfältigung nur mit Zustimmung des Verlages. lichkeit: Keine Hinweise für eine Wirk- von MNB könnte auf Populationsebene samkeit“ im aktuellen Heft 3 von „Kran- zu einer weiteren Verlangsamung der So löblich es ist, über die Empfehlungen kenhaushygiene up2date“ vom Septem- Ausbreitung beitragen“ [10] und kritisie- des BfArM zum Umgang mit Masken ber 2020 [1] gelesen. Ich kenne Ihre be- ren die „könnte“-Formulierung als „eine [13] hinaus ausführlich auf Nachteile gründeten Auseinandersetzungen mit Formulierung, die im wissenschaftlichen und den korrekten Umgang mit Masken Empfehlungen der Kommission für Kran- Diskurs wegen offensichtlich fehlender hinzuweisen, für die Vielzahl der von Ih- kenhaushygiene und Infektionspräven- Belege für eine Empfehlung mit weitrei- nen aufgeführten möglichen Nachteile tion (KRINKO) am Robert Koch-Institut chenden Folgen eigentlich nicht hätte von Masken führen Sie jedoch keine ein- [2], schätze Ihren Sachverstand [3] und verwendet werden dürfen“ [1] (Seite zige Studie an, die den Nachweis einer Ihr kritisches Hinterfragen von Empfeh- 285). Letzteren Satz kann man so nicht Erhöhung der SARS-CoV-2-Übertragung lungen. Auch unter Berücksichtigung stehen lassen. Im wissenschaftlichen Dis- durch Kontaktinfektionen belegt – sei es des mangelnden expliziten Wissens zu kurs werden bei Empfehlungen in Leitli- direkt über Selbstinokulation von virus- SARS-CoV-2 im Frühjahr dieses Jahres nien sowohl Evidenz als auch Grad oder haltigem Material auf Nasenschleimhaut und des schnellen Zuwachses im Laufe Stärke der Empfehlung (GRADE-Klassifi- oder Bindehaut des Auges, sei es indirekt des vergangenen halben Jahres bin ich kation [11] angegeben, kann-Empfeh- über Kontamination von Flächen, von de- über einige Ihrer Statements irritiert lungen sind durchaus erlaubt. nen sich andere Personen via Handkon- und mit Ihren Schlussfolgerungen nicht takt und nachfolgendem Gesichtskon- einverstanden und will begründen, wa- Die RKI-Empfehlung „Mund-Nasen-Be- takt infizieren. Eine Übertragung via rum. deckung im öffentlichen Raum als weite- Kontakt mit kontaminierten Flächen re Komponente zur Reduktion der Über- wird wegen mangelnder Übereinstim- Diskrepanz zwischen tragungen von COVID-19“ mit dem Un- mung experimenteller Daten mit Alltags- tertitel „Strategie-Ergänzung zu empfoh- situationen als überschätztes Risiko an- analytischer Sorgfalt und lenen Infektionsschutzmaßnahmen und gesehen [14]. Inwieweit ihre infektiolo- unausgewogenen bzw. Zielen (3. Update)“ [9] ist im Stil einer gischen Bedenken bezüglich einer theo- partiell apodiktischen kurzen Mitteilung (2,5 Seiten) an interes- retisch möglichen Infektionsübertra- sierte Laien und die breite Öffentlichkeit gung bei falschem Gebrauch von Masken Schlussfolgerungen konzipiert, enthält 9 Literaturzitate und de facto eine Rolle spielen, ist durch kei- Ich teile Ihre Aussagen zur Hongkong- stellt keine mit GRADE-Klassifikation ne Beobachtungsstudie und keinen Studie [4], die an Patienten mit respira- [11] versehene wissenschaftliche Leit- anekdotischen Hinweis belegt, ist also torischen Symptomen unterschiedlicher linie dar. Die WHO nennt ihre Veröffent- völlig offen und ungeklärt. Ihr unter der Infektionen (durch Influenzaviren, Rhi- lichungen vom 6. April und 5. Juni 2020 Überschrift „Schlussfolgerungen für die noviren und saisonale humane Coronavi- [6, 7] „interim guidance“ und ihr Update Anwendung von Masken im öffentlichen ren) durchgeführt wurde und deren frag- vom 9.7.20 zu „Transmission of SARS- Raum“ als Merksatz markiertes State- licher Übertragbarkeit auf die aktuelle CoV-2: implications for infection preven- ment „Der Gebrauch von Masken im öf- SARS-CoV-2-Pandemie. Ihre Erörterun- tion precautions“ einen „scientific brief“ fentlichen Raum ist schon allein auf- gen der WHO-Empfehlungen von 2019 [12]. Auch wenn Titel und Darstellung grund des Fehlens von wissenschaft- zum Schutz der Allgemeinbevölkerung der RKI-Mitteilung vom 14.4.20 [10] auf lichen Daten fragwürdig. Zieht man bei schweren Epi- und Pandemien [5], die MNB klar als „weitere Komponente dazu noch die erforderlichen Vorsichts- der WHO-Empfehlung zu Covid-19 [6, 7] zur Reduktion der Übertragungen von maßnamen in Betracht, müssen (Unter- und der ECDC-Empfehlungen [8] sind COVID-19“ hinweisen, ist Ihre Anmer- streichung OL) nach den aus Kranken- korrekt, auf die in Teilen unterschied- kung richtig: „transparent wäre es gewe- häusern bekannten Regeln im öffentli- lichen Empfehlungen der CDC [9] gehen sen, auf das Fehlen von wissenschaftli- chen Raum sogar als ein Infektionsrisiko Sie jedoch nicht differenzierter ein. chen Daten für den generellen Einsatz betrachtet werden“ [1] (Seite: 292). 2 von MNB im öffentlichen Raum aus- Sätze später dann: „Denn ganz gleich, Sie zitieren aus den RKI-Publikation vom drücklich hinzuweisen. Wenigstens aber ob Pflicht für alle Bürger oder freiwillig 14.4.20 „Mund-Nasen-Bedeckung im öf- hätte im letzten Satz des Artikels, wie getragen von allen Bürgern, die das aus fentlichen Raum als weitere Komponen- überall zuvor im Text, nur davon gespro- welchen Gründen auch immer wollen, Leiß Ottmar. Leserbrief zum Beitrag: … Krankenhaushygiene up2date 2020; 15: 327–332 | © 2020. Thieme. All rights reserved. 327
Leserbrief bleibt es ein Faktum (Unterstreichung stärken sich gegenseitig. Wissenschaft legen die Wirksamkeit von Masken ge- OL), dass Masken in der Öffentlichkeit ist ein komplexes Zusammenspiel vieler gen Infektionsübertragungen durch mehr Schaden als Nutzen bringen kön- Subdisziplinen mit ihren speziellen Me- Tröpfchen und Aerosole [27 – 30]. Einzel- nen“ [1] (Seite 292). Ein Faktum? Eine thodiken, ein mäanderndes Zusammen- beobachtungen unter Alltagsbedingun- Tatsache? Ohne Belege ist dies kein Fak- fügen aus unterschiedlich großen und gen zeigen die Effektivität von Masken tum, sondern eine Behauptung, die im unterschiedlich wichtigen Befunden zu in der Verhinderung einer SARS-CoV-2- Widerspruch zu Empfehlungen interna- einer plausiblen Hypothese, ein Testen Übertragung [31]. tionaler Experten steht [15 – 17]. Ich und Überprüfen von Modellen hin zu ei- kann Sie nur mit Ihrer oben zitierten ei- nem kohärenten Gesamtbild [18 – 20]. Beim derzeitigen Kenntnisstand zu Co- genen Aussage konfrontieren: „Transpa- Zu den mentalen Taktiken einer wissen- vid-19 benötigen wir zur Lösung des Puz- Dieses Dokument wurde zum persönlichen Gebrauch heruntergeladen. Vervielfältigung nur mit Zustimmung des Verlages. rent wäre es gewesen, auf das Fehlen schaftlichen Herangehensweise zählt G. zles und zur vollständigeren Klärung des von wissenschaftlichen Daten …(hier: N. Derry das Modellieren von Modellen Krankheitsbilds alle Arten von Baustei- dass Masken im öffentlichen Raum als In- hin zu sukzessiver Approximation und nen einer Evidenz, nicht nur die in der fektionsrisiko betrachtet werden müssen die gedankliche Stringenz bei der Klä- Evidenz-Hierarchie weit obenstehenden und dass Masken in der Öffentlichkeit rung von Evidenz, Gründen und kriti- Bausteine [32]. Wissend, dass „absence mehr Schaden als Nutzen bringen kön- scher Evaluation [20]. of evidence is not evidence of absence“ nen [Einfügung OL]) … ausdrücklich hin- plädiere ich statt engem Fokus auf ran- zuweisen. Wenigstens aber hätte … nur In wissenschaftstheoretischer Sicht ist in domisierte klinische Studien für eine davon gesprochen werden sollen, dass meinen Augen Ihre Abwertung von theo- breitere Sicht mit Einbeziehung aus Er- … sein könnte, … nicht aber dies als Tat- retischen Modellierungsstudien nicht be- gebnissen anderer Fachdisziplinen und sache zu formulieren“ [1] (Seite 288). rechtigt. Modellierungsstudien sind für für eine intensive interdisziplinäre Zu- Hier hätte ich mir mehr Ausgewogenheit Epidemiologen und Public Health-Exper- sammenarbeit. und Sorgfalt in der Wortwahl gewünscht. ten notwendige Hilfen bei schwierigen gesundheitspolitischen Entscheidungen Infektiologisch-patho- Auch wenn Ihre Anfang Juli entstandene zur Pandemieeindämmung. Aus dem Übersichtsarbeit den damaligen Wissen- Vergleich von Modellrechnungen, die physiologische Aspekte: stand reflektiert, einige Monate später ein Bündel an präventiven Maßnahmen Dosis-Wirkungsbeziehungen sieht manches (z. B. Aerosolübertra- berücksichtigen [15, 21 – 22], mit ande- und die „Variolation“- gung) etwas anders aus, was mit kleinen ren Modellrechnungen, die lediglich Korrekturen bei Sichtung der Druckfah- eine Maßnahme wie Abstandhalten [23 – Hypothese nen oder einem Addendum-Hinweis hät- 25], z. T. unter Einbeziehung situations- Sie weisen mit Recht darauf hin, dass mit te relativiert werden können. und altersabhängiger Kontakte [23], dif- SARS-CoV-2-infizierte Personen bereits ferenziert analysieren, lassen sich durch- vor Auftreten von Symptomen (poten- aus Rückschlüsse auf eine mögliche Rolle ziell) infektiös sind und dass dies von an- Wissenschaftstheoretische dieser Maßnahme hinsichtlich der Aus- deren Viruserkrankungen wie z. B. Influ- Aspekte: Wie Wissenschaft- breitung der Infektion ziehen. In Modell- enza und Masern schon lange bekannt rechnungen aus 15 unterschiedlichen ist. Infektiologisch schon lange bekannt ler Krankheiten erklären amerikanischen Staaten und Washing- sind auch tierexperimentelle Befunde zu Ihr Fokus auf evidenzbasierte Fakten wird ton, in denen ein Tragen von Masken im Dosis-Wirkungs-Beziehungen zwischen in meinen Augen der komplexen Situati- öffentlichen Raum (z. B. Innenräumen Anzahl infizierender Viren und Krank- on des Auftretens einer neuen Infekti- von Einzelhandelsgeschäften, Ein- u. heits- bzw. Mortalitätsverlauf. Das Kon- onskrankheit, die sich von einer Epide- Durchgangsbereich in Restaurants, Au- zept der letalen Dosis 50, d. h. der Virus- mie zu einer Pandemie ausgeweitet hat, ßenräumen wie Wartezonen vor Ge- dosis, bei der 50 % der infizierten Tiere der Klärung ihrer Pathogenese und der schäften, Bus- und S-Bahnhaltestellen, sterben, gilt auch für Coronaviren, die Erarbeitung von wirksamen Präventions- geschlossenen Räumen wie öffentlichen das Middle East Respiratory Syndrome und Therapiemaßnahmen nicht gerecht. Verkehrsmitteln, Taxis u. a. m.) angeord- (MERS) verursachen [33]. Im Rahmen ei- Wie der Kognitionswissenschaftler und net wurde, wurde für den untersuchten ner Impfstoffentwicklung haben gesun- Philosoph Paul Thagard in seinem Buch Zeitraum (8. April und 15. Mai 2020) ein de Freiwillige, die unterschiedlichen Do- „How scientists explain disease“ [18] am die Infektionsausbreitung verlangsa- sen eines Wildtyp Influenza A-Virus aus- Beispiel der (Wieder-) Entdeckung von mender Effekt gegenüber der Vorperi- gesetzt waren, stärkere Symptome bei Helicobacter pylori und der Klärung der ode beschrieben. Eine Hochrechnung er- höheren Virus-Inocula entwickelt [34]. Ulkusgenese erläutert, greifen bei der gab, dass durch die Maskenpflicht in den Abklärung einer Krankheit verschiedene betreffenden Staaten der USA vermutlich Derzeit ist unklar, warum zu Beginn der Faktoren wie klinische Beobachtung, pa- 230 000 – 450 000 Covid-19-Fälle hätten Pandemie im April die Anzahl asympto- thophysiologische Überlegungen, expe- vermieden werden können [26]. Physika- matisch mit SARS-CoV-2-Infizierter mit rimentelle Ergebnisse, widerstreitende lisch-aerodynamische Untersuchungen 16 – 20 % angegeben wurde [35], sie An- Hypothesen u. a. m. ineinander und ver- und experimentelle Untersuchungen be- fang Juni bei 31 % lag [36] und jetzt bei 328 Leiß Ottmar. Leserbrief zum Beitrag: … Krankenhaushygiene up2date 2020; 15: 327–332 | © 2020. Thieme. All rights reserved.
jüngerem Durchschnittsalter der Infizier- tors Cholesterin ausführlich erörtert hat konsums, diätetische Maßnahmen zur ten und milderem Verlauf der Krankheit [42, 43], beinhaltet, dass eine Maßnah- Senkung des Serumcholesterins, Vermei- bei 40 – 45 % liegt [37]. Gandhi et al. me, die für den betroffenen Einzelnen dung von Übergewicht und mehr körper- [38] haben epidemiologische und klini- von großem Nutzen ist, der Gesamtbe- liche Aktivität) zwar belegen [44], im sche Befunde zusammengetragen, die völkerung oft wenig nützt und umge- Vergleich zu Meta-Analysen randomisier- dafür sprechen können, dass Masken kehrt, dass eine Maßnahme, die für die ter Studien zur medikamentösen Sen- (über den Schutz anderer (Fremdschutz) Gesamtbevölkerung von großem Nutzen kung des Cholesterinspiegels mit 170 hinaus) das „inoculum“, d. h. die Dosis ist, dem Einzelnen oft wenig hilft. Rose 000 Personen [45] „underpowert“ und des Virus für den Maskenträger reduzie- hat aus diesem Paradox 2 unterschiedli- in der EBM-Pyramide [32] als geringwer- ren (Eigenschutz) und zu milderen und che Präventionsstrategien abgeleitet: tiger erscheinen. Verschwiegen wird da- Dieses Dokument wurde zum persönlichen Gebrauch heruntergeladen. Vervielfältigung nur mit Zustimmung des Verlages. asymptomatischen Verlaufsformen füh- prophylaktische Maßnahmen für die Ge- bei, dass für eine Primärprävention mit ren könnten. Die Hypothese, dass das samtbevölkerung müssen für jedermann Statinen die NNT (number need to treat) Tragen von Masken in der Öffentlichkeit durchführbar und ohne Nebenwirkungen 1:500 beträgt, eine für die individuelle helfen könnte, den Schweregrad der Er- sein. Maßnahmen bei Individuen mit ho- Beratung eines „sick patient“ völlig irre- krankung zu reduzieren und dazu beitra- hem Risiko rechtfertigen – nach indivi- levante Zahl [46]. Verschwiegen wird gen könnte, dass ein größerer Anteil an dueller Risk-Benefit-Abwägung – den auch, dass viele der „Panelisten“ der gro- neuen Infektionen asymptomatisch ver- Einsatz von aggressiveren, mit Neben- ßen Statin-Meta-Analyse ihre Interessen- läuft [38, 39], bedarf dringend weiterer wirkungen behafteten Maßnahmen. konflikte und Verbandelungen mit der Untersuchungen. Keine Frage, die „Va- Industrie nicht offen gelegt haben [47] riolation“-Hypothese ist eine Hypothese, Die beiden Präventionsstrategien, die und durch solche Dinge – wie auch aus aber eine, die deutlich besser begründet Bevölkerungsstrategie und die Hoch-Ri- anderen Studien bekannt [48] – die Evi- ist als Ihre Sorge, Masken „müssen“ … siko-Strategie, fokussieren auf unter- denz-basierte Medizin für andere Zwecke „im öffentlichen Raum sogar als ein In- schiedliche Behandlungsgruppen, auf „gekapert“ und ihre Glaubwürdigkeit un- fektionsrisiko betrachtet werden“ [1] „sick populations“ bzw. „sick patients“ tergraben wird [48]. (Seite 292) und ihre Schlussfolgerung, [43]. Sie schließen einander nicht aus, dass das Tragen von Masken im öffentli- sondern ergänzen sich. Im Falle der Als Ärzte, die wir individuelle Patienten chen Raum „sogar potenziell kontra-pro- SARS-CoV-2-Pandemie beinhaltet die behandeln und keine Populationen, sind duktiv“ ... „ist“ [1] (Seite 293). Beim der- Bevölkerungsstrategie, die auf eine Ver- wir meist blind für den Public-Health- zeitigen Kenntnisstand halte ich vorsich- langsamung der Ausbreitung des Virus Blick auf Populationen und den Gesamt- tigere Formulierungen und eine ergeb- in der Bevölkerung zielt, die für jeder- blick auf die globale SARS-CoV-2-Pande- nisoffenere Einstellung für angebrachter. mann durchführbaren Maßnahmen wie mie. Wissenschaftler des Washingtoner Es ist kein „Faktum, dass Masken in der Verzicht auf Massenveranstaltungen, Institute of Health Metrics and Evalua- Öffentlichkeit mehr Schaden als Nutzen Meiden sozialer Kontakte, Abstand hal- tion (IHME) haben hochgerechnet, dass bringen können“ [1] (Seite 292), im Ge- ten und häufiges Händewaschen, bei po- bei Fortsetzung der aktuellen Trends die genteil, es spricht vieles dafür, dass es tentiell Infizierten auch Quarantäne. Die Gesamtzahl der jetzt 1 Million betragen- eher umgekehrt ist. Hoch-Risiko-Strategie zielt auf den den Covid-19-Todesfälle [49] Anfang Ja- Schutz älterer Menschen (Kontakte mit nuar 2021 weltweit 2, 5 Millionen betra- Auch Ihre zurückhaltende Erörterung Großeltern meiden, Besuchsverbote in gen wird, eine Zahl, die möglicherweise einer möglichen SARS-CoV-2-Übertra- Krankenhäusern und Altenheimen), die auf 1,8 Millionen gesenkt werden könn- gung durch Aerosole wird dem aktuellen Isolierung nachweislich Infizierter und te, wenn jedes Land eine Pflicht zum Tra- Stand der wissenschaftlichen Diskussion die symptomadaptierte ambulante und gen von Masken in der Öffentlichkeit ein- nicht gerecht [40], reproduktionsfähige stationäre Behandlung von Patienten führen würde [50]. Viren ließen sich in der Raumluft von 2 mit hohem Risiko (ältere Menschen mit Covid-19-Patienten in 2 – 4,8 m Entfer- Begleitkrankheiten wie Herzerkrankun- nung nachweisen und anzüchten [41]. gen, hohem Blutdruck, Diabetes mellitus Ethische Aspekte: oder chronischen Lungenerkrankungen), das „precautionary Public Health Aspekte: inklusive – wo nötig – stationärer Be- handlung auf Intensivstation und ggf. principle“ Rose’s Präventionsparadox maschineller Beatmung. Anfang April haben Greenhalgh et al. In einer Zeit, in der aktualisiertes Evi- [16] – ähnlich wie Sie Monate später in denz-basiertes Wissen als Goldstandard Ein wissenschaftstheoretisches Problem Ihrer o. a. Übersichtsarbeit [1] – die wis- für ärztliches Handeln gilt [32], ist es hilf- ist, dass – im Beispiel der koronaren senschaftliche Literatur zu „face masks reich an das Dilemma jeder Prävention zu Herzkrankheit, an dem Rose das Präven- for the public“ hinsichtlich Evidenz und erinnern. Das Präventionsparadox, das tionsparadox erläutert hat [42] – viele interner und externer Validität gesichtet der englische Epidemiologe G. Rose An- Beobachtungsstudien und epidemiologi- und erörtert. Obwohl Trisha Greenhalgh fang der 80er Jahre am Beispiel der koro- sche Studien die Effektivität einer Bevöl- eine leidenschaftliche Kämpferin für naren Herzkrankheit und des Risikofak- kerungsstrategie (Aufgabe des Nikotin- eine Evidenz-basierte Medizin ist [51], Leiß Ottmar. Leserbrief zum Beitrag: … Krankenhaushygiene up2date 2020; 15: 327–332 | © 2020. Thieme. All rights reserved. 329
Leserbrief berücksichtigen sie und ihre Mitautoren Prinzip „The ethical justification for face Korrespondenzadresse in ihrer Analyse nicht nur randomisierte coverings is their utility in preventing kontrollierte Studien, sondern auch transmission of serious disease to com- Prof. Dr. med. Ottmar Leiß „good reasons“ und „substantial indirect munity members“ [57] gilt unverändert. Internist/Gastroenterologe Bodelschwinghstraße 14 evidence“ [16] wie experimentelle Be- Der altruistischen Begründung zum Tra- 65191 Wiesbaden funde zu Aerosolen, hohes Übertra- gen von Masken in der Öffentlichkeit Deutschland gungsrisiko durch asymptomatisch Infi- stellt die o. a. erörterte Variolation-Hy- E-Mail: OLeiss@web.de zierte und „modelling studies“. Bei Ein- pothese einen möglichen individuellen schluss auch solcher, in der EBM-Pyrami- und gesellschaftlichen Nutzen zur Seite. Literatur de der Studien zur Evidenz [32] geringer Dieses Dokument wurde zum persönlichen Gebrauch heruntergeladen. Vervielfältigung nur mit Zustimmung des Verlages. gewichteter Befunde in die Gesamtbe- Handeln in Zeiten fehlenden [1] Kappstein I. Mund-Nasen-Schutz in der Öf- wertung (wie Observationsstudien zu fentlichkeit: Keine Hinweise für eine Wirk- hohen Infektionsraten (und erhöhter expliziten Wissens samkeit. Krankenhaushygiene up2date Mortalität) bei Beschäftigten im Gesund- Zur Gewinnung Evidenz-basierten Wis- 2020; 15: 279–297 heitswesen [52, 53], hoher Infektionsra- sens zur Frage des Tragens von Masken [2] Kappstein I. Empfehlungen der „Richtlinie“ – Was mache ich anders? Krankenhaushy- te bei Singen im Chor [54] u. a. m.) kom- in der Öffentlichkeit benötigen wir Zeit giene up2date 2009; 4: 9–294 men sie jedoch zu erheblich anderen In- und Geduld – Zeit, in der sich die Pande- [3] Kappstein I. Nosokomiale Infektionen. Prä- terpretationen und Schlussfolgerungen mie weiter ausbreiten kann. „In the face vention – Labordiagnostik – antimikrobiel- als Sie. of a pandemic the search for perfect evi- le Therapie. Stuttgart: Georg Thieme Ver- dence may be the enimy of good policy.“ lag; 2009 [4] Leung NHL, Chu DKW, Shiu EYC et al. Re- Um das „precautionary principle“, „a und …“it is time to act without waiting spiratory virus shedding in exhaled breath strategy for approaching issues of poten- for randomised controlled trial evi- and efficacy of face masks. Nature Med tial harm when extensive scientific dence.“ (Greenhalgh et al. [16]). 2020; 26: 676–680 knowledge on the matter is lacking“ [55, [5] World Health Organization. Non-pharma- 56], an einem Alltagsbeispiel zu verdeut- Bleiben Sie gesund, egal ob Sie nur eine ceutical public health measures for mitiga- ting the risk and impact of epidemic and lichen: Brauche ich wirklich statistische Maske im Krankenhaus in Bereichen hö- pandemic influenza. 2019: Verfügbar un- Evidenz, um bei Nebel und regennasser heren Infektionsrisikos zum Eigenschutz ter (Zugriff 05.10.20): https://apps.who. Straße im Gebirge auf ein Überholmanö- tragen oder – trotz fehlender Evidenz int/iris/bitstream/handle/10665/329438/ ver zu verzichten, oder reicht dazu nicht durch randomisierte Studien – auch eine 9789241516839-eng.pdf?ua=1 „gesunder Menschenverstand’? Die ethi- Maske zum Eigenschutz und Fremd- [6] World Health Organization. Advice on the use of masks in the context of COVID-19. sche Frage, vor der ärztliche Gremien schutz in der Öffentlichkeit tragen! Interim guidance. 2020: Verfügbar unter und politische Entscheidungsträger im (Zugriff 05.10.20): https://apps.who.int/ April bei der Diskussion um Lockerungen Mit freundlichen Grüßen iris/bitstream/handle/10665/331693/ des Lockdowns standen, ob mündige Ottmar Leiß WHO-2019-nCov-IPC_Masks-2020.3-eng. Bürger dazu ermutigt werden sollten, Internist und Gastroenterologe pdf?sequence=1&isAllowed=y [7] World Health Organization. Advice on the Masken zu ragen, haben Greenhalgh et Mitglied der KRINKO 1998 – 2016 use of masks in the context of COVID-19. al. [16] im April mit „we believe they Interim guidance. 05.06 2020: Verfügbar should“ beantwortet. Bezüglich des Nut- unter (Zugriff 05.10.20): https://apps. zens präventiver Maßnahmen sei – allen Interessenkonflikt who.int/iris/bitstream/handle/10665/ Einschränkungen zum Trotz, die Sie ge- 331693/WHO-2019-nCov-IPC_Masks- Der Autor gibt an, dass kein Interessen- 2020.3-eng.pdf?sequence=1&isAllowed=y gen einen systematischen Review und konflikt besteht. [8] European Centre for Disease Prevention Meta-Analyse von Observationsstudien and Control (ECDC). Using face masks in (ohne Einbeziehung randomisierter Stu- the community. Reducing COVID-19 dien) vorbringen mögen – auf die Über- Autorinnen/Autoren transmission from potentially asymptoma- sicht von Chu et al. [22] verwiesen. tic or pre-symptomatic people through the use of face masks. 08.04 2020: Verfügbar Ottmar Leiß unter (Zugriff 05.10.20): https://www. Nach den sommerlichen Lockerungen Internist und Gastroenterologe ecdc.europa.eu/sites/default/files/docu- der Maßnahmen zur Pandemieeindäm- ments/COVID-19-use-face-masks-commu- mung in vielen Ländern stellt sich die Fra- nity.pdf ge des Tragens von Masken in der Öffent- [9] Centers for Disease Control and Prevention (CDC). Use of Masks to Help Slow the lichkeit bei seit Wochen wieder z. T. ra- Spread of COVID-19. 28.06 2020: https:// sant steigenden Infektionsraten in den www.cdc.gov/coronavirus/2019-ncov/pre- USA und zahlreichen europäischen Län- vent-getting-sick/diy-cloth-face-cove- dern erneut – wenn auch in anderen Län- rings.html dern mit stärkerer Dringlichkeit als hier- [10] Robert Koch-Institut – RKI. Mund-Nasen- Bedeckung im öffentlichen Raum als wei- zulande. Das einem präventiven Tragen tere Komponente zur Reduktion der Über- von Masken zugrundeliegende ethische 330 Leiß Ottmar. Leserbrief zum Beitrag: … Krankenhaushygiene up2date 2020; 15: 327–332 | © 2020. Thieme. 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