LITERATURSERVICE PÄDIATRIE - HIPP FACHKREISE
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April 2019 Literaturservice PÄDIATRIE Neue Erkenntnisse für Sie gelesen und kommentiert von J. Spranger, Universitäts-Kinderklinik Mainz (JS) und E. Harms, Universitäts-Kinderklinik Münster (EH) M olekulare Korrektur des mutierten Phenylketonurie-Gens U nklares Fieber beim jungen Säugling Die Behandlung der durch Mutationen des Gens Im Verlauf von 15 Jahren wurden in einer Notfallam- PAH bedingten Phenylketonurie erfordert eine auf- bulanz 2479 junge Säuglinge (38,0°C) vorgestellt und nach vorgegebe- Wie schön wäre es, an Adenoviren gekoppelte nem Protokoll mit Blutbild, Urin, CRP, Procalcitonin, Gen-Scheren – CRISPR/Cas9 – zu injizieren, die Blut- und Urinkulturen untersucht [1]. Bei 13 Säug- beim Patienten mutierte DNA-Sequenz zu korrigie- lingen fanden sich klinische Hinweise auf eine Sep- ren und damit ausreichende Mengen von Phenylhy- sis, die sich bakteriell bestätigte. Alle anderen Säug- droxylase zu produzieren – mit anderen Worten den linge waren in gutem Allgemeinzustand und ein Patienten zu heilen. Jetzt ist es Schweizer Forschern Viertel von ihnen hatte zum Zeitpunkt der Unter- gelungen, ein zentrales Problem auf dem Weg dahin suchung eine normale Körpertemperatur. In dieser zu überwinden [1]. Sie reduzierten die CRISPR/Cas9 Gruppe von afebrilen, asymptomatischen Säuglin- Schere auf eine Größe, die an das kleine, apathoge- gen wurde 16-mal eine Bakteriämie nachgewiesen. ne Adenovirus noch angekoppelt werden kann. Das Weitere 43 Säuglinge hatten zum Zeitpunkt der Virus wurde Phenylketonurie-kranken Mäusen in- Klinikaufnahme noch Fieber, aber keinerlei klinische jiziert. Die an die Viren gekoppelte Schere, ein Cy- Sepsiszeichen. Das relative Risiko einer bakteriellen tidin-Deaminase Basen Editor, verwandelte in der Infektion war 4,9% beim noch fiebernden Säugling DNA der Mäusezellen Cytosin-Guanin zu Thymi- ohne klinische Verdachtsmomente und 2,12% beim din-Adenin Paaren. Im Serum der Mäuse stieg die gesund erscheinenden, afebrilen Säugling, der aus- Phenylhydroxylase-Aktivität auf Werte bis zu 68% schließlich zu Hause Fieber gehabt hatte. des Normalwerts an, Phenylalanin fiel auf physiolo- gische Werte ab, das depigmentierte Fell nahm die Kommentar: Die Schlussfolgerung für die Praxis ist, dunkle Färbung gesunder Tiere an. dass Fieber unklarer Genese beim jungen Säugling immer Zeichen einer bakteriellen Sepsis sein kann, Kommentar: Das Ergebnis wurde bei Mäusen mit egal ob das Kind bei der Erstuntersuchung klinische einer speziellen Mutation des PAH Gens (T835G) Symptome oder Fieber hat. Die Suche nach der Infek- erzielt. Gen-Scheren kann man jedoch auch für an- tionsquelle wird sich entsprechend dem gegebenen dere Mutationen konstruieren, letztendlich in der Untersuchungsprotokoll in erster Linie auf die Harn- Hoffnung, den Ansatz prä- und postnatal auf den wege konzentrieren und eine Lumbalpunktion nur Menschen zu übertragen [2]. Erwähnt sei an die- bei Vorliegen meningealer Reizsymptome vorsehen. ser Stelle eine weitere, aktuelle Bereicherung der Referenz: [1] Mintegi S, Gomez B, Carro A et al. (2018) Invasi- PKU-Behandlung: Pegvaliase, eine Phenylalanin ve bacterial infections in young afebrile infants with a history of spaltende Ammoniumlyase zur Senkung des Phe- fever. Arch Dis Child 103:665-669. nylaninspiegels, die soeben in den USA zur Behand- lung Erwachsener zugelassen wurde [3,4]. Referenzen: [1] Villiger L, Grisch-Chan H, Lindsy H, Ringnal- da F (2018) Treatment of a metabolic liver disease by in vivo genome base editing in adult mice. Nature Medicine 24:1519- L actobacillus reuteri fördert Schädelwachs- tum sehr kleiner Frühgeborener 1525. [2] Nelson R (2019) Gene editing successfully corrects Nach früheren Berichten fördern Milchsäurebakte- 2 amino acid disorders. Am J Med Genet 179A:5-6. [3] Longo rien der Gattung Lactobazillus reuteri die Magen- N, Zori R, Wasserstein MP (2018) Long-term safety and effi- cacy of pegvaliase for the treatment of phentylketonuria in entleerung und Nahrungstoleranz frühgeborener adults: combined phase 2 outcomes through PAL-003 exten- Säuglinge. In einer randomisierten Blindstudien er- sion study. Orphanet J Rare Dis 13:108 doi:10.1186/s13023- hielten nun 141 sehr kleine Frühgeborene (23.–27. 018-0858-7 [4] Longo N, Dimmock D, Levy H et al. (2018) Evidence- and-consensus-based recommendations for the use SSW; Geburtsgewicht
Literaturservice pädiatrie ter Muttermilch [1]. Probiotika und Placebo wurden einer validierten Depressionsskala ein. Der erste über 9 bis 13 Wochen (jeweils zur Entsprechung der Test erfolgte im letzten Schwangerschaftsdrittel, 36. Schwangerschaftswoche) verabreicht. Unter die folgenden im Alter von 6, 12 und 36 Monate dieser Behandlung erhöhte sich der mittlere Schä- ihres Kindes [1]. Zu den letztgenannten Terminen delumfang in der Gruppe der probiotisch ernährten wurde der Entwicklungsstand der Kinder nach Bai- Frühgeborenen bis zum 28. Lebenstag um 2,3 cm, ley geprüft und in Beziehung zu Schlafprotokollen in der Placebo-behandelten Gruppe um 1,8 cm – gesetzt. Im Alter von 6 Monaten schliefen nur 62% ein signifikanter Unterschied. Aus der bekannten der Säuglinge mehr als 6 Stunden an einem Stück. Korrelation zwischen Schädelumfang und neurolo- Im Alter von 12 Monaten waren es 72%. Statistisch gischer Entwicklung frühgeborener Kinder [2,3] er- fand sich kein Zusammenhang zwischen Schlafver- hoffen sich die Autoren eine bessere neurologische halten, psychomotorischer Entwicklung der Kinder Entwicklung der probiotisch behandelten Frühge- und Gemütszustand der Mütter. Gestillte Säuglinge borenen. Keinen Einfluss hatte die Behandlung auf wachten allerdings signifikant (p150 ml/kg/ was häufiger als Mädchen. die) und anderen Kriterien sowie aus Hinweisen auf gastrointestinale Motilität. Längen- und Gewichts- Kommentar: Anders als bei älteren Kindern und Ju- entwicklung waren ebenfalls identisch. gendlichen [2] scheint Schlafinsuffizienz die physische und mentale Entwicklung von Säuglingen und Klein- Kommentar: Das verbesserte Wachstum des kindern nicht zu beeinträchtigen. Da auch die Mütter Schädels, nicht aber des gesamten Organismus dieser Untersuchungsgruppe offenbar nicht sonder- lässt in der Tat daran denken, dass ihm eine speziel- lich gestresst waren, sollte man sich um den Schlaf le Ursache zugrunde liegt, nämlich ein in den ersten von Säugling und Kleinkind keine Sorgen machen. Lebenstagen sich besser entwickelndes Gehirn. Ob Referenzen: [1] Pennesri MH, Laganiere C, Bouvette-Turcot hierfür das Probiotikum oder ein anderer, in den Stu- AA et al. (2018) Uninterrupted infant sleep, development, and dien nicht berücksichtigter Mechanismus verant- maternal mood. Pediatrics 142/6/e20174330. [2] Chaput JP, wortlich ist, steht dahin. Beispielsweise scheint al- Gray CE,Poitras VJ et al. (2016) Systematic review of the re- lein die Rückenlagerung sehr kleiner Frühgeborener lationships between sleep duration and health indicators in school-aged children and youth, Appl Physiol Nutr Metab 41(6 die zerebrale Durchblutung zu verbessern [3]. Und suppl: 266-282). das eigentliche Ziel der Behandlung, eine bessere neurokognitive Entwicklung sehr kleiner Frühgebo- rener durch Probiotika, wurde in anderen Untersu- chungen nicht erreicht [4]. Referenzen: [1] Wejry D, Marchini G, Frimmel V et al. (2019) R etrospektive Analyse postvakzinaler Symp- tome betätigt Sicherheit der DTaP Impfung Probiotics promoted head growth in extremely low birthweight In den 25 Jahren zwischen 1991 und 2016 wurden infants in a double-blind placebo-controlled trial. Acta Paedi- der zentralen Meldestelle VAERS der USA 50157 at 108 62-69. [2] Franz AR. Pohlandt F, Bode H et al. (2009) unerwünschte Nebenwirkungen nach DTaP-Imp- Intrauterine, early neonatal and postdischarge growth and neurodevelopmental outcome at 5.4 years in extremely pre- fung gemeldet [1]. Etwa 10% von ihnen wurden term infants after intensive neonatal nutritional support. Pedi- als ernsthaft klassifiziert: Fieber, Erbrechen, Un- atrics 123:e101109. [3] Shepherd KL, Yiallourou SR, Odoi A et ruhezustand, Krampfanfall, Invagination u.a. Der al. (2019) Effects of prone sleeping on cerebral oxygenation in Rest, wie erhöhte Temperatur, Rötung, Schwellung, preterm infants. J Pediat 204:103-110. [4] Slykerman RF, Kan J, van Zyl N et al. (2018) Effect of early probiotic supplementa- Überwärmung der Infektionsstelle, wurde als leicht tion on childhood cognition, behavior and mood; a randomized, eingestuft. In den digitalisierten Daten wurden mit placebo-controlled trial. Acta Paediat 2172-2178. einer Data-mining Software nach überzufällig auf- tretenden Mustern gesucht. Es ergab sich kein Hin- weis auf bislang unbekannte Impfkomplikationen. S chlaftraining im Säuglingsalter überflüssig Anaphylaktoide Reaktionen waren 163-mal gemel- det worden (0,003%). Die Krankenakten von 725 im zeitlichen Zusammenhang mit der Impfung auf- Schläft ein 6 oder 12 Monate alter gesunder Säug- getretenen Todesfällen wurden einzeln überprüft. ling nachts weniger als etwa 6 Stunden ohne Unter- Bei 86,5% der Todesfälle wurde eine spezifische brechung, wird dies gelegentlich als Zeichen einer Todesursache gefunden, zu denen neben Pneu- verzögerten Entwicklung gewertet und ein Schlaf- monien, Asphyxien, Fehlbildungen auch SIDS, das training empfohlen, etwa durch längeres Wach- plötzliche Kindstod-Syndrom, gehörte, das bei fast halten oder eine späte Mahlzeit. Erhofft werden der Hälfte der Todesfälle vorlag. Entwicklungsförderung des Kindes und Entlastung der gestressten Mutter. Zur Objektivierung dieser Kommentar: Die Nachricht ist zunächst gut. Ver- emotionalen Belastung willigten über 350 Schwan- blüffend ist freilich, dass der ‚plötzliche Kindstod’ gere in eine Messung ihres Gemütszustands mittels in 350 Fällen als spezifische Todesursache genannt 2 April 2019
Literaturservice pädiatrie wird. Der Tod ist keine Ursache, sondern ein Ereig- d.h. verschiedene Schweregrade der Akne vulgaris. nis. Und zwar ein Ereignis, dessen Ursache nicht Unter vielen Faktoren sollen fettreiche Nahrungs- gefunden wurde und einen Zusammenhang mit der mittel ihre Ausprägung begünstigen. Im Rahmen Impfung zunächst nicht ausschließt. Die Autoren einer allgemeinen Gesundheitsuntersuchung zu zitieren jedoch mehrere Untersuchungen, die keine Studienbeginn wurde bei mehr als 8000 Jugend- Häufung von plötzlichem Kindestod nach Impfun- lichen die Ausprägung der akneartigen Hautver- gen fanden [2,3 u.a.]. änderungen durch Dermatologen ermittelt, regis- Referenzen: [1] Moro PL, Perez-Vilar S, Lewis P (2018) Safe- triert und in Beziehung gesetzt zum persönlichen ty surveillance of diphtheria and tetanus toxoids and acellular Konsum von karbonisierten Süßgetränken (Cola pertussis (DTaP) vaccines Pediatrics 142 (1)e20174171. [2] u.a.), Fruchtsaftgetränken und gesüßtem Tee [1]. Huang WT; Chen RT YC, Glasser JW, Rhodes PH (2017) Vac- Konsum und mehr als 80 Einflussvariable – ein- cination and unexplained sudden death risk in Taiwanese in- fants. Pharmacoepidemiol Drug Saf 26: 17-25; [3] Venneman schließlich Alter, Gewicht, soziale Umstände, Al- MM, Butterfass-Bahloul T, Jorch G et al. Sudden infant death koholkonsum, Kosmetika, Duschgewohnheiten – syndrome: No increased risk after immunization. Vaccine 25: wurden mittels Fragebogen erfasst. Mittelschwere 336-340. bis schwere Akne-Formen waren hochsignifikant mit dem Konsum von Fruchtsaftgetränken (Rel. Ri- siko 1,9; p
Literaturservice pädiatrie Reaktion mit respiratorischer und gastrointesti- bekanntes Trauma auftreten? Diese Frage suchten naler Symptomatik. Anamnestische Hinweise auf amerikanische Kinderradiologen durch retrospek- eine erhöhte Gefährdung waren bei diesen Kindern tive Analyse von Thoraxaufnahmen zu beantwor- ein Asthma bronchiale und die bis dato komplette ten, die aus verschiedensten Gründen, nicht aber Vermeidung von Kuhmilch in der Ernährungsanam- aufgrund eines vorausgegangenen Traumas, ange- nese. Verlässlichste Gefährdungsparameter waren fertigt worden waren [1]. In über 9720 Aufnahmen jedoch erhöhte Kuhmilch-spezifische IgE-Werte bei von 7350 Säuglingen und Kleinkindern fanden sich Kindern mit anaphylaktoiden Reaktionen vergli- 5 Rippenfrakturen bei jeweils einem Säugling. Dies chen mit Kindern ohne Reaktion (Median 28,3 UA/ entspricht einer Häufigkeit von ca. 0,05%. Vier der ml bei Anaphylaxie vs. 7,7 UA/ml ohne Anaphyla- fünf betroffenen Säuglinge waren ehemalige Früh- xie; p15 Gebilde. Fistel und Teratom wurden komplikations- min, Diarrhoe, Epilepsie und anderen Vorerkrankun- los entfernt. Sie erinnern, dass sich ein inkompletter gen waren sorgfältig von der Studie ausgeschlossen. Verschluss des Neuralrohrs nicht nur als Myelo- Im Verlauf der Fieberepisode erlitten 20 (9,1%) Pro- meningocele manifestieren muss. banden mit Paracetamol einen weiteren Krampfan- fall, gegenüber 40 (23,5%) Probanden ohne Parace- Kommentar: Bezeichnenderweise erscheint diese tamol. Mit anderen Worten verhinderte Paracetamol Mitteilung in der Zeitungsrubrik “Recovering the me- mehr als die Hälfte nachfolgender Anfälle. dical exam“ – zurück zur klinischen Untersuchung. Kommentar: Nach der letzten neuropädiatrischen Referenz: [1] Yamageo SP, Ghedira K (2019) Occipital dermal sinus: the tip of the iceberg. J Pediat 204:314. Leitlinie (AWMF 022/005) ist eine Anfalls-pro- phylaktische Wirkung von Antipyretica nicht nach- gewiesen. Die japanische Studie gibt zumindest ei- nen Hinweis, dass dem doch so ist. Jedenfalls spricht S pontane Rippenfrakturen im frühen Kindesalter sehr selten in der Praxis nichts gegen das gute alte Treupelzäpf- chen (aut simile) nach einem Fieberkrampf. Eine Rippenfraktur bei einem sonst gesunden Säug- Referenz: Murata S, Okasora K, Tanabe T et al.(2018) Aceta- ling oder Kleinkind weckt Verdacht auf Misshand- minophen and febrile seizure recurrence during the same fever lung. Können Rippenfrakturen auch spontan, ohne episode. Pediatrics 142:e20081009. 4 April 2019
Literaturservice pädiatrie B ei schweren Gastroenteritiden an Hypoglykämie denken vorwiegend obstruierende Darmwand-Verdickun- gen, die nicht selten operative Eingriffe erforderten. Im Verlauf von drei Jahren wurden 659 Kleinkinder Kommentar: Die Ursache der Kawasaki Vaskulitis mit Gastroenteritiden in vier Kinderkrankenhäu- ist unbekannt, die Diagnose rein klinisch zu stellen ser eingewiesen [1]. Die Krankheitsschwere wurde aus dem syndromalen Auftreten von 4-5 charakte- mit Vesikari-Punkten in leicht (1-6 Punkte), mittel- ristischen Symptomen, jetzt ergänzt durch obstru- schwer (7-10 Punkte) und schwer (>10 Punkte) ein- ierende Darmveränderungen. Wie im Berichtsfall geteilt. Die Vesikari-Skala berücksichtigt Dauer der können hohes Fieber und Ileus-verdächtige Darm- Erkrankung, Zahl der Stühle und Erbrechen, Kör- veränderungen zunächst allein auftreten. pertemperatur, Notwendigkeit der stationären Be- Referenz: [1] Colomba, C, La Placa S, Saporito L (2018) Intesti- handlung und Dehydratationsgrad [2]. Von 392 Pa- nal involvement in Kawasaki Disease J Pediat 202:186-193. tienten mit schwerer Erkrankung lagen komplette Laborergebnisse vor. Wie erwartet hatten fast alle F ein Basendefizit, 70% erniedrigte Bikarbonatspie- ehlender Infliximab-Erfolg bei chronisch- gel, 56% erhöhte oder niedere Harnstoffspiegel. entzündlichen Darmerkrankungen Eine Hyper- oder Hyponatriämie hatten 19% der Patienten, Kalium war fast immer normal. Hypogly- Nicht alle Patienten mit Mb.Crohn und Colitis ul- kämisch (
Literaturservice pädiatrie che und geistige Leistungsfähigkeit verbessern. In ei- Mutter und Kind in Art, Häufigkeit, Lokalisation der ner prospektiven 3-Jahresstudie hielten sich 116/269 Beschwerde überein, sind entsprechende diagnos- (43%) spanische Jugendliche weitgehend an diese tische und ggf. therapeutische Maßnahmen selbst- Diät, 139 weniger gut, 14 nicht. [1]. Ihr Schlafverhal- verständlich. Wird das Symptom vom Kind vage oder ten wurde mit validierten Fragebögen und Bewe- nicht bestätigt, könnte dagegen eine von den Autoren gungsmeldern dokumentiert, ihre intellektuellen Fä- als ‚komplex’ beschriebene Situation vorliegen, in der higkeiten anhand von Zeugnisnoten und mit einem das Symptom von Mutter oder Vater angenommen, standardisierten Eignungstest (Scholar Aptitudes vom Kind selbst jedoch nicht wahrgenommen wird. Test) geprüft. Statistisch schnitten Jugendliche, die Weitere Hinweise auf ein Schein-Symptom sind • feh- sich eng an die mediterranen Diätvorschriften hiel- lender Bezug auf die tatsächliche Krankheit, • keiner- ten, in sprachlichen Fähigkeiten und den schulischen lei objektive klinische oder Laborbefunde, • Wunsch Kernfächern signifikant besser ab als Jugendliche, der Eltern nach immer neuen Untersuchungen, • feh- die der mediterranen Ernährung weniger zugeneigt lendes Ansprechen auf therapeutische Maßnahmen, waren. Diese statistische Korrelation verschwand • Auftreten neuer unklarer Beschwerden, • fehlende jedoch nach Berücksichtigung des Schlafverhal- Umsetzung von Behandlungsvorschlägen, • Rund- tens. Daraus war zu schließen, dass nicht die Diät, um-Konsultation anderer Ärzte, • aus dem Symptom sondern der Beziehungsfaktor ‚Schlaf’ zu besseren nicht begründbare Einschränkung des kindlichen Ta- intellektuellen Leistungen führte. gesablaufs. Die Schein-Symptome können sich bei Sorgeberechtigten zur Überzeugung einer Krankheit Kommentar: A priori ist es wahrscheinlicher, dass verdichten, die de facto beim Kind nicht vorliegt, d.h. ausreichender Schlaf für die zerebrale Leistungsfä- zu einer Pseudo-Krankheit. Die englischen Autoren higkeit wichtiger ist als irgendein Ernährungsfaktor. detaillieren das schrittweise Vorgehen in diesen Si- Und offensichtlich schläft man mit der mediterranen tuationen beginnend mit beruhigenden Hinweisen Diät besser als mit anderen Kostformen. Davon ab- („ja, das Symptom mag da sein, ist aber harmlos’), gesehen ist die mediterrane Diät das Wundermittel über den Einbezug anderer Familienmitglieder in den schlechthin mit derzeit mehr als 6000 in pubmed ein- Überzeugungsprozess, bis zur stationären Beobach- getragenen Veröffentlichungen zur segensreichen tung des Kindes, eingehenden Analysen der häusli- Wirkung, z.B. [2]. Erwähnt sei eine spanische pros- chen Situation und Familientherapie. pektive Untersuchung von mehr als 1500 Schwan- geren. Je strikter sie eine mediterrane Diät einhielten, Kommentar: Wer solch eine Situation in der Praxis desto besser verlief die Schwangerschaft mit erwar- hat, sollte diese vierseitige Arbeit im Original lesen. tungsgemäß weniger Diabetes, doch auch weniger Ein gesundes Kind krank zu reden ist eine seelische Harnwegsinfektionen, Präeklampsie, Frühgeburt- Misshandlung, die im Gegensatz zu körperlichen lichkeit oder verzögerter intrauteriner Entwicklung sehr viel schwieriger zu objektivieren ist. Mögliche des Föten [3]. Ursachen des elterlichen Fehlverhaltens sind in Teil 1 des Überblicks ausführlich besprochen [2]. Referenzen: [1] Adelantado-Renau M, Beltran-Valls MR, Este- ban-Cornejo I et al. (2019) The influence of adherence to the Referenzen: [1] Glaser D, Davis P (2019) For debate: Forty Mediterranean diet on academic performance is mediated by years of fabricated or induced illness (FII): where next for pe- sleep quality in adolescents. Acta Paediat. 108:339-346. [2] diatricians? Paper 2: Management of perplexing presentations Ahmad S, Moorthy MV, Demler OV; et al (2018) Assessment including FII. Arch Dis Child 104:7-11. [2] Davis P, Murtagh U, of risk factors and biomarkers associated with risk of cardiovas- Glaser D (2019) 40 years of fabricated or induced illness (FII): cular disease among women consuming a Mediterranean diet. where next for pediatricians. Paper 1: Epidemiology and Defini- J Am Med Aassoc Netw Open 1(2):e186708. [3] Assaf-Balut C, tion. Arch Dis Child 104:110-114. Barcia de la Torre N, Fuentes M, et al. (2018) A high adherence to six food targents of the Mediterranean diet in the late first I trimester is associated with a reduction in the risk of mater- no-foetal outcomes, Nutrients 11. doi: 10.3390/nu11010066. nformationen in einem Satz Eine große neuseeländische Studie ergab keine Häu- S chein-Symptom, Pseudo-Krankheit ‚Münchhausen by Proxy’ fung von IgA Vasculitiden (Mb Schönlein-Henoch) nach Impfungen. [Pyram M (2018) Pediatrics 142: e20180841]. In einer Erörterung aus dem Great Ormond Hos- pital wird das seit 40 Jahren unter der Bezeichnung Folsäure in der Schwangerschaft nicht nur zur ‚Münchhausen by Proxy’ bekannte Phänomen be- Verhütung von Neuralrohrdefekten, sondern sprochen: das Kind mit einem von Mutter oder Va- möglicherweise auch zur Prophylaxe geistiger ter beschriebenen, beim Kind auch nach gründlicher Behinderung infolge von Anomalien des Folsäure- Anamnese und Untersuchung nicht verifizierbaren stoffwechsels bei der Mutter. Lintas C (2019) Clin Symptom – Beispiel Bauchschmerzen [1]. Stimmen Genet 95:241. 6 April 2019
Literaturservice Ernährung Neue Erkenntnisse für Sie gelesen und kommentiert von Dr. J. Hower, Pädiater aus Mülheim an der Ruhr R isiko fürs Kind: mütterliches Übergewicht Fazit: Diese Studie lässt erstmals einen Zusammen- hang zwischen Geburtsmodus und der Besiedlung mit Firmicutes-Arten, insbesondere mit Lachnos- Mütterliches Übergewicht, das oft zu einer Kai- piraceae, bei der generationsübergreifenden Über- serschnittgeburt führt, ist ein starker Risikofaktor tragung von Übergewicht und Adipositas erkennen. für Übergewicht bei Kindern. Über eine mögliche Verbindung zwischen Geburtsmodus und Säug- Referenzen: Tun, H.M. et al. Roles of Birth Mode and Infant lings-Mikrobiota und zwischen mütterlichem Gut Microbiota in Intergenerational Transmission of Over- weight and Obesity from Mother to Offspring. Jama Pediatr Übergewicht vor der Schwangerschaft und kind- 2018 Apr 1; 172(4): 368-377 lichem Übergewicht ist nur wenig bekannt. Dieser Frage sind die Studienautoren jetzt nachgegangen. Kommentar: Aus übergewichtigen Kindern werden übergewichtige Erwachsene. Adipositas im Kindes- Studiendesign: Mit 935 Reifgeborenen (Geburts- alter erhöht das spätere Blutdruck-, Schlaganfall-, kohorte der Canadian Healthy Infant Longitudinal Krebs- und Typ-2-Diabetes-Risiko und verkürzt die Development – CHILD – Studie) wurde eine obser- Lebenserwartung. vationale Studie durchgeführt. Der Body-Mass-In- dex (BMI) vor der Schwangerschaft wurde aus der Zu den vielen Faktoren, die das kindliche Überge- Krankenakte festgehalten. Die Säuglingsdarm-Mi- wichts- und Adipositas-Risiko beeinflussen, schei- krobiota wurde mit 16S ribosomaler RNA-Sequen- nen generationsübergreifende obesogene, here- zierung in Stuhlproben ermittelt. Im Alter von 1 und ditäre, mikrobielle mütterliche Faktoren und der 3 Jahren wurden die an Alter und Geschlecht ange- Geburtsmodus zu gehören, wie die aktuelle Studie passten BMI-z-Werte nach den Kriterien der Welt- von Tun et al. zeigt. Lachnospiraceae-Bakterien gesundheitsorganisation bestimmt. (Stamm der Firmicutes) waren bei den Kindern von Ergebnis: Von den 935 in die Studie aufgenom- übergewichtigen und adipösen Müttern im Alter menen Mutter-Kind-Paaren (mittleres mütterli- von 4 Monaten im kindlichen Stuhl erhöht. Mehre- ches Alter 32,5 [± 4,5 SD] Jahre) trat Übergewicht re andere Studien wie die Singapore Study (GUSTI) bei 40,9 % der Mütter, 7,5 % der Säuglinge mit und die Boston Birth Cohort Study haben diesen 1 Jahr und 10,4 % der Säuglinge mit 3 Jahren auf. Zusammenhang bereits vermuten lassen. Im Vergleich zur vaginalen Geburt einer normalge- Die Studie von Tun et al. stützt die Vermutung, wichtigen Mutter waren Säuglinge, die vaginal von dass nicht nur der mütterliche BMI (Body-Mass-In- übergewichtigen oder adipösen Müttern geboren dex) und der Kaiserschnitt, sondern auch die müt- worden waren, im Alter von 1 Jahr dreimal häufiger terliche Mikrobiota als eine von vielen Faktoren übergewichtig. Durch Kaiserschnitt entbundene Säuglinge von übergewichtigen Müttern im Alter einen modulierenden Einfluss auf die Entwicklung von 1 Jahr wiesen ein fünffach erhöhtes Überge- der kindlichen Adipositas besitzt. wichtsrisiko auf, was auch dem Übergewichtsrisiko Referenzen: 1. James, P.T., Obesity: the worldwide epidemic. im Alter von 3 Jahren entsprach. Die Modellierung Clin Dermatol, 2004. 22(4): p. 276-80 mehrerer Mediatoren zeigte, dass der Geburtsmo- 2. Azais-Braesco, V., et al., A review of total & added sugar in- takes and dietary sources in Europe. Nutr J, 2017. 16(1): p. 6 dus und die kindliche Darmmikrobiota (Firmicu- 3. Louie, J.C.Y. and A.M. Rangan, Patterns of added sugars tes-Artenreichtum, insbesondere der Familie der intake by eating occasion among a nationally representative Lachnospiraceae) den Zusammenhang zwischen sample of Australians. Eur J Nutr, 2018. 57(1): p. 137-154 mütterlichem Übergewicht vor der Schwanger- 4. Geserick, M., et al., Acceleration of BMI in Early Childhood schaft und dem kindlichen Übergewicht im Alter and Risk of Sustained Obesity. N Engl J Med, 2018. 379(14): p. 1303-1312 von 1 bis 3 Jahren vermittelte. Bakteriengattungen 5. Tun, H.M. et al. Roles of Birth Mode and Infant Gut Microbiota in der Familie der Lachnospiraceae waren bei Säuglin- Intergenerational Transmission of Overweight and Obesity from gen übergewichtiger Mütter häufiger anzutreffen. Mother to Offspring. JAMA Pediatr 2018 Apr 1; 172(4): 368-377 April 2019 7
Literaturservice ERNÄHRUNG K aries bei Kindern: Kann Vitamin D schützen? chronischen Infektionskrankheiten im Kindesalter, ist schwierig zu kontrollieren und kann mit der kind- lichen Dentition beginnen. Vitamin D-Mangel ist ein globales Gesundheits- problem, von dem weltweit mehr als eine Milliarde Mehrere Faktoren spielen in der Karies-Genese Kinder und Erwachsene betroffen sind. Die Folgen eine Rolle: Mikroorganismen, Ernährung, Mundhy- eines Vitamin D-Mangels sollten nicht verkannt giene, die medizinische Versorgung und Mangel werden. Als Health Claims wurden der Einfluss auf an wichtigen Nährstoffen. Vitamin D und Kalzium die Knochenmineralisation und die Immunregulati- spielen eine entscheidende Rolle bei der Knochen- on von der EFSA (European Food Safety Authority) mineralisation. bestätigt. Mit ihrer aktuellen Studie haben die Au- Vitamin D fördert aber nicht nur die Knochenmi- toren den Vitamin D-Serumspiegel von Kindern mit neralisation, sondern beeinflusst auch die Immun- einer schweren frühkindlichen Karies mit dem von regulation der Mundschleimhaut, indem es die Bil- Kindern ohne Karies verglichen. dung antimikrobieller Peptide wie Cathelicidin und Studiendesign: Insgesamt wurden 30 Kinder jeweils Defensine induziert. Vitamin D-Serumspiegel von aus der Fallgruppe (mit Karies) und der Kontroll- 16 ng/ml (40 nmol/l) decken den Vitamin D-Be- gruppe (ohne Karies) im Alter zwischen 3 und 6 Jah- darf etwa der Hälfte der Bevölkerung, 20 ng/ml ren (Universität Gurugram, Indien) ausgewählt. Der (50 nmol/l) etwa von 97,5 % der Bevölkerung ab. Karieszustand der Kinder wurde mit Hilfe des Inde- Höhere Vitamin D-Serumspiegel (≥ 20 ng/ml) sind xes für kariöse, extrahierte und gefüllte Zähne (deft) mit einer besseren allgemeinen oralen Gesundheit erfasst. Jedem Kind wurden Blutproben zur Bestim- und vielleicht auch besseren allgemeinen Gesund- mung des Serum-25(OH)D-Status entnommen. heit verbunden, wie Studien vermuten lassen. Der Ergebnisse: Die Fallgruppe wies einen mittleren optimale Vitamin D-Serumspiegel wird aber immer Serum-25(OH)-Vitamin D-Spiegel von 12,19 ng/ noch kontrovers diskutiert. ml ± 4,37 Standardabweichung (SD) (95 % Konfi- Referenzen: Chhonkar A, Gupta A, Arya V. Comparison of denzintervall [KI] 10,513,8) und die Kontrollgruppe Vitamin D Level of Children with Severe Early Childhood Ca- von 20,11 ng/ml ±4,12 SD (95% [KI] 18,56–21,65) ries and Children with No Caries. Int J Clin Pediatr Dent 2018; 11(3):199-204 auf. Der Vergleich der mittleren Konzentrationen Frencken JE et al. Global epidemiology of dental caries and se- von Serum-25(OH)-Vitamin D zwischen Fall- und vere periodontitis – a comprehensive review. J Clin Periodontol Kontrollgruppen zeigte einen statistisch signifikan- 2017 Mar; 44 Suppl 18: S94-S105 ten Unterschied (p-Wert
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