Lost in time | Studien zu Zeit und Funktion in der Keramik
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lost in time | Studien zu Zeit und Funktion in der Keramik Dokumentation Masterthesis praktischer Teil Hochschule Luzern Design & Kunst | Major Product and Design Management 2012/2013 Erika Fankhauser Schürch | Betreuung praktischer Teil Christoph Zellweger | Luzern Januar 2013
Während der Arbeit an der praktischen MA-Thesis In der schriftlichen Thesis habe ich untersucht, wie Einleitung hat sich mein Blickwinkel verändert. Weg von der Ver- Gestalter die Vergänglichkeit in ihrer Arbeit thematisieren, gänglichkeit der Materialität als primäres Thema, hin zur wie sie darauf reagieren und wie die Vergänglichkeit als Vergänglichkeit der Funktion. Gestaltungsmittel eingesetzt wird. Dabei klammerte ich die soziokulturelle Vergänglichkeit bewusst aus. In der prakti- schen Thesis wollte ich anschliessend aus dem Katalog der gesammelten Ausdrucksformen der Vergänglichkeit ein Als Keramikerin arbeite ich mit einem Material, das neues Produkt entwickeln. normalerweise nicht zerfällt, sich nicht kompostieren lässt, nicht verrottet. Keramik gilt als archäologisches Leitfossil Nach einer relativ langen Phase des Experimentie- im Gegensatz zu Holz, Papier, Textilien, Metallen, welche rens mit keramischen Materialien, die mich unter anderem sich alle mehr oder weniger rasch zersetzen. Zu Beginn lag zu archäologischen Fundmaterialien führte, stellte sich die mein Fokus auf diesem Gegensatz. Frage nach der ideellen Vergänglichkeit. Woher und wohin Je dünner ich das an sich nicht zerstörbare Material ver- gehen die Dinge? Wie verändern sie sich, wenn sie zwar arbeite, desto bewusster wird man seiner Fragilität. Und noch vorhanden sind, aber nicht mehr gebraucht werden? doch lässt es sich nicht mehr auflösen. Wenn eine Tasse Wie entwickeln sie sich weiter? nur noch aus Scherben besteht, lassen sich diese weder in ihre ursprüngliche Materialität noch in eine neue Mate- Aus dieser Fokussierung auf einen Aspekt der rialität transformieren. Damit sich die Bestandteile von Vergänglichkeit ergab sich die Untersuchung zu Zeit und gebranntem Porzellan, Feldspat, Quarz und Kaolin wieder Funktion in der Keramik, exemplarisch durchgespielt an- trennen, bräuchte es eine Kernschmelze wie bei einem hand des Porzellan-Kaffeefilters. Reaktorunfall in einem Atomkraftwerk, oder die Hitze des Erdinnern, das Magma.
1. Vergänglichkeit in der Keramik 1 Inhaltsverzeichnis Was will ich von der Vergänglichkeit ? 2. Recherche zur Vergänglichkeit der Materialität Materialversuche Frühling 2012 2 Materialversuche Herbst 2012 und daraus realisierte Prototypen 3 Frühere Arbeiten von mir zum Thema 6 Positionen anderer Gestalter mit keramischem Material zum Thema 7 Themenfindung, Projekt in hundert Worten 8 Fünf verworfene Unterthemen 9 3. Eingrenzung Vergänglichkeit der Funktion, das sechste Unterthema 10 Wohin gehen die Dinge? 12 Keramik als Träger von Kulturgeschichte 13 4. Der Kaffeefilter als exemplarisches Beispiel Konzept 14 Soziokulturelle Bedeutung des Kaffeefilters, Verwendung heute 15 Versuche und Entscheid Material 16 Versuche und Entscheid Formgebung 17 Realisation 18 5. Studien zu Zeit und Funktion in der Keramik Bilder 22 Beschrieb 25 Bilder gross 26
Zu Beginn des Studiums stand das Thema der 1. Vergänglichkeit Zeit emotionalen Bindung zwischen Objekt und Nutzer im in der Keramik Vordergrund meines Interesses. Jedes Objekt erzählt Prozess Geschichten. Der Nutzer verbindet vielfältige Erin- Was will ich von der Ver- nerungen mit dem Objekt, was dann die emotionale gänglichkeit ? Bindung ergibt. Bei meinen Untersuchungen stellte Transforma- ich fest, dass ich als Gestalterin auf die emotionale tion Bindung zwischen Objekt und Nutzer einen margina- Vergänglichkeit len Einfluss habe. In der Annahme, dass der teilweise oder voll- emotionale Verbin- dung zwischen Objekt ständige Zerfall eines Objekts die emotionale Bindung Geschichten und Nutzer stärkt, habe ich mich in der schriftlichen Thesis mit Emotionen der Vergänglichkeit als Gestaltungsmittel beschäftigt. Empathie Die These, dass eine emotionale Bindung zum Objekt Freude Einfluss hat auf den Verbrauch von Gütern, hat sich bestätigt. Insofern ist die Absicht, die Bindung zwi- Achtung, Respekt, schen Objekt und Nutzer zu stärken auch ein Beitrag Sorgfalt, Aufmerksam- zu nachhaltigerem Konsum. keit, Nachhaltigkeit Bewusstsein für Prozesse der Vergänglich- keit Mit meiner praktischen Arbeit will ich Be- wusstsein schaffen für Prozesse der Vergänglichkeit. 1
Abrieb in der Trommelmühle 2. Recherche zur - entspricht einem beschleu- Vergänglichkeit nigten Bachbett - oder durch Sandstrahlen. der Materialität Die Objekte waren alle ge- brannt bei rund 1000°C und Materialversuche Herbst somit relativ weich. Hochge- 2012 brannte Scherben zeigten auch Abrieb und Sandstrahlen nach langem Mahlen fast keine Abriebspuren. 3
Steingutmasse (graubeige) 2. Recherche zur und Porzellan (cremeweiss) in Vergänglichkeit Kombination. Steingutstücke mit Porzellan- der Materialität haut überzogen (engobiert). Beim Trocknen und beim Brand Materialversuche Herbst rissen sie auf. 2012 - Deformation im Porzellanversuche mit Stein- Brand bei 1250°C gutmasse als durchgehender Zwischenschicht versehen. 4
sandstrahlen transluszenter Bone China- Porzellan 2. Recherche zur Vergänglichkeit der Materialität Materialversuche Herbst 2012, daraus realisiserte Prototypen Steingut mit Porzellan verbinden und bei 1250°C brennen. Steingut schmilzt und dehnt sich aus. 5
Adventskalenderkranz 2012 2. Recherche zur Vergänglichkeit der Materialität entre les deux 2008 dingding 2012 Frühere Arbeiten von mir zum Thema Gebse 2012 Lichtbecher 2002 Installation Schlachthof Schötz 2012 Kostbare Welten 2009 6
2. Recherche zur Vergänglichkeit der Materialität Positionen anderer Ge- stalter mit keramischem Material zum Thema Joan Serra Makiko Nakamura Daniel Wehrli Arnold Annen Claudia Biehne Elisabetta Gendre Marek Cecula 7
Von den Versuchen mit dem Steingutkern und Mein Fazit: Eine Fülle von Experimenten, faszi- 2. Recherche zur Porzellanmantel hatte ich mir mehr versprochen. Beim ers- niert und abgelenkt von der keramischen Materialität, Vergänglichkeit ten Brand waren sie sehr unberechenbar und lebendig im aber kein Thema, keine Aussage. Ofen. Beim zweiten Brand mit kleinen Hohlkörpern hat sich Ich versuche, meine Absichten in Worte zu fassen und des Materials der Steingut nur wenig verformt (Bild S. 4 unten Mitte). Die beschreibe mögliche Unterthemen: Versuche mit Steingut in der Porzellanmasse zeigten bei Themenfindung den Prototypen, dass dies nur funktioniert, wenn die Ob- Mein Projekt in hundert Worten, Stand November 12 Projekt in hundert Worten jekte direkt hochgebrannt werden. Sonst entsteht zu viel Auf einer grossen Fläche, regelmässig aber scheinbar zu- Spannung im Material, die Objekte reissen (Bild S. 5 unten fällig verteilt, liegen unzählige, handgrosse Dinge. Die Ga- links). leriebesucher treten neugierig näher, haben den Wunsch, Fasziniert bin ich von der Oberfläche und dem Spiel mit die Objekte anzufassen, zu berühren. der Wandstärke durch das Sandstrahlen. Die Becher aus Jedes Objekt ist ein Unikat. Sind es kostbare Scherben aus Knochenporzellan würde ich für die Produktion giessen, archäologischen Ausgrabungen? Sind es Fundstücke, ge- da Bone China sehr anspruchsvoll zu drehen ist. Zudem sammelt am Strand, in Baugruben und Waldwegen? Oder lenken die fein wahrnehmbaren Drehrillen von den Licht- sind es gar Teile eines Meteoriten? punkten ab. Wenn ein Becher beim Sandstrahlen zu starke Die Bedeutung wird nicht ganz klar, doch die Faszination Spannung erhält, zerreist er im Hochbrand (Bild S. 5 oben bleibt. Krustige Oberflächen, abgeschabte Stellen, par- links). tiell erkennbare Formen regen die Fantasie an, über das Woher und Wohin zu rätseln. Die Betrachter dürfen die Gruppenbesprechung in Luzern am 8. Novem- Objekte berühren und werden durch sie berührt. Erinne- ber 2012 mit den Fragen: Was siehst du? Welche Fragen rungen an alte Formen und an eigene Sammeltätigkeit beantwortet diese Arbeit? Was ist die primäre, was die werden wach, Parallelen zur eigenen Vergänglichkeit sekundäre Aussage? klingen an. Zwischen Stein, der zu Staub wird, liegen die Welches Objekt trifft den Kern meiner Aussage? Dinge. 8
2. Recherche zur Vergänglichkeit der Materialität Themenfindung Fünf verschiedene Unterthemen stehen gebliebene Zeit poetisch erzählende An- verkrustete Zeit abgerieben schön erstarrte Bewegung sammlung Suppentopf Strandgut Ausgrabung Schmucke Scherben verformte Flaschen Zu alten Deckeln aus Por- In grosser Menge liegen Scherben, Bruchstücke von Keramische Gefässe aus Colaflaschen haben eine zellan, Fabrikat Langenthal Objekte auf einer begrenz- unkenntlichen Objekten, dem Brockenhaus werden Form, welche weltweit der 1920er bis 40er Jahre ten Fläche, wie zufällig im Gefässüberreste liegen in in unterschiedlich grosse jedes Kind kennt. Abgüsse werden neue Gefässe aus Sand liegen gebliebenes, präziser Anordnung auf ei- Scherben zerschlagen und davon werden mit Steingut keramisch fragilen, sich angespühltes Strandgut. nem Tisch. Dies erinnert an anschliessend in der Trom- gegossen und mit Porzellan auflösenden Materialien Einige Objekte erinnern an eine archäologische Samm- melmühle gemahlen und / engobiert. produziert. Stein, andere an deformier- lung. Einige Objekte wirken oder in der Sandstrahlan- Anschliessend wird für Es entsteht eine Spannung te, abgeschabte Abfälle der wie aufgeblasen, andere lage bearbeitet. Es entste- Steingut zu hoch gebrannt, auf verschiedenen Ebenen: Konsumgesellschaft. verschmolzen, verkrustet hen Scherben von hohem bei 1250°C. Dadurch ver- - Zeit - alte verzierte Griffe Materialien und Formen oder einfach zerbrochen ästhertischen Wert, die nur biegt sich der Steingutkör- zu aktuellen Formen. sind vielfältig. Die Ästhetik und abgeschabt. Die teils er- noch vage an die Herkunft per. Die Porzellanhaut stützt - Materialität - hartes, der Objekte ist anspre- kenntlichen, teils fragmen- erinnern. ungleich, je nach Dicke der solides Industrieporzellan chend. Die Objekte wecken tarischen Artefakte lassen Schicht. Die Flaschen verbie- zu zarten, zerbrechlichen, Erinnerungen und laden ein, Fragen über die Entwicklung gen sich individuell. Porzellanen, welche eventu- eigene Geschichten dazu zu der Menschheit, über Zeit Die deformierten Körper ell mit Glas versetzt sind. erfinden. und Veränderung aufkom- stehen in grosser Anzahl im - Funktion - statt Essen nur men. Raum und erinnern an die Installation menschliche Figur. Erlebte Geschichte Erzählungen Archäologie Dekonstruktion Kontrolle / Kontrollverlust 9
Ich will Vergänglichkeit bewusst machen. Präziser, ins Museum, ins Brockenhaus oder auf die Schutthalde. 3. Eingrenzung ich will Bewusstsein schaffen für Prozesse der Vergänglich- keit. Denn diese kann an sich gar nicht gesehen werden. Viele solcher Objekte kommen mir in den Sinn: Vergänglichkeit der So wie die Gegenwart nicht festgehalten werden kann, • der Milchkrug, ersetzt durch Tetrapack und Plastikbeu- Funktion weil sie sich nur aus der Vergangenheit und der Zukunft tel Das sechste Unterthema erklärt, so lässt sich auch die Vergänglichkeit nicht genau • die Kaffeekanne, da alle den Kaffee aus der Maschine bestimmen. Sie ist, genau wie die Zeit, immer in Bewe- direkt in die Tasse laufen lassen gung. Vergänglichkeit ist ein Prozess und kein fixer Zustand. • der Kaffeefilter, weil es nun Kaffemaschinen aller Sor- Folgedessen brauche ich ein Vehikel, das diesen ten gibt Prozess zeigt. Etwas, das viele Menschen kennen, das im • de Suppentopf, weil die Haushalte kleiner wurden und kollektiven Bewusstsein verankert ist. Objekte mit verlore- die Suppe meist in der Pfanne auf den Tisch kommt nener Geschichte. Objekte, denen ihre Funktion abhanden • die Sauerkrautstande gekommen ist. • die Milchgebse zum Milchaufrahmen • der Nachthafen und die Waschschüssel • die Öllampe und der Fidibus (Schwefelholzanzünder) Formen-Kabinett (Arbeitstitel, das sechste Unterthe- • das Nest-Ei, weil die Hühner heute mit Hormonen zum ma, vgl. S. 9) Legen gebracht werden, statt mit Nest-Ei und Gockel Alte, nicht mehr im Alltag verwendete Gebrauchsobjekte • die Puddingform, ist heute aus Silikon aus keramischen Materialien. Die Formen nachgebaut mit • die Schnapsflasche zum ehemaligen Inhalt passendem keramisch verfremde- • die Bettflasche tem Material. • der Wärmestein Formen und Materialien entwickeln sich. Durch gesell- • schaftliche Veränderungen wird die Funktion und/oder die Materialität überflüssig, aufgehoben. Die Dinge gelangen 10
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3. Eingrenzung Wohin gehen die Dinge? rowelle und Backofen und vielleicht eine Salatschüssel und Keramische Gefässe werden seit jeher verwen- eine Fruchtplatte. det. Ihre Funktionen und ihre Formen verändern sich Vergänglichkeit der Nebst der Funktionalität hat sich die Formenspra- entsprechend den Veränderungen in der Gesellschaft. Funktion che verändert. Der Zeitgeist von heute lässt die geblümte Einige alte keramische Gegenstände sind heute aus dem Wohin gehen die Dinge? Suppenschüssel von 1920 alt aussehen, auch wenn die Alltag verschwunden. Nachthafen, Waschschüssel und Salbentiegel, Schmalztopf, Senftopf und Sauerkrautstande, Schüssel ihre Funktion noch tadellos erfüllen könnte. Die Milchgebse, Fidibus (Schwefelholz-Anzünder) und Nesteier einst kostbare Schüssel aus der Aussteuer ist heute ein Ob- braucht wahrscheinlich niemand mehr. Ähnlich geht es jekt für Nostalgiker, wird vielleicht im Museum bewundert dem Kaffeefilter, der Schnabeltasse und dem Bierhum- oder verstaubt in der Brockenstube. pen. Auch die Kaffeekanne und der Milchkrug sind meist nicht mehr in der ursprünglich beabsichtigten Funktion in Gebrauch, sondern werden nun vielleicht als Blumenvase oder Wasserkrug verwendet. Puddingformen, früher aus braun glasiertem Töpferton, sind heute meist aus Silikon – und wer macht noch selber Pudding oder gar Griessköpfli? Vor 40 Jahren war es üblich, in Haushalt und Küche vieles selbst zuzubereiten und zu konservieren. Das bedingte eine Vielzahl verschiedener Gefässe und Geräte. Heute werden oft Halbfertig- und Fertigprodukte konsu- miert, wenn überhaupt zu Hause gegessen wird. Dafür genügen flache und tiefe Teller, Bowls, Tassen, Teeschalen, Gläser und Besteck. Dazu kommen wenige Pfannen, Mik- 12
Keramik ist ein wichtiger Kulturträger, einerseits Theorien und Gedankenwelten entwickeln können. Alles 3. Eingrenzung weil das Material so dauerhaft ist und dadurch lange als was jetzt besteht, baut auf dem früheren Wissen und den Beobachtungsobjekt zur Verfügung steht. Andererseits früheren Artefakten auf. Das Neue ist zwingend auf Altes Keramik als Träger von weil Keramik ein weit verbreiteter Alltagsbegleiter ist. Das angewiesen und wird nach gewisser Zeit selbst zum Nähr- Kulturgeschichte Material eignet sich sehr, um hygienische, kostengünstige boden für Neues. Gebrauchsobjekte für Küche und Bad herzustellen. Und drittens, weil vor allem Porzellan immer auch für Reprä- sentationsobjekte verwendet wird. Keramik ist in vielen Bereichen so banal, dass sie gar nicht wahrgenommen wird. Wie sieht die Tasse aus, aus der ich heute den Kaffee getrunken habe? Wie ist die Form der Teller in der Mensa? Die Formen verändern sich in kleinen Variationen. Die Tasse wird schlanker, bauchiger oder konisch, der Griff dynamischer und ergonomischer. Das Material wird feiner, die Wandung dünner. Sie passt neu unter alle Kaffeema- schinentypen. Entsprechend den sich wandelnden Bedürf- nissen und dem Zeitgeist verändern sich die Formen. Die alten Formen sind die Basis, damit Neues entstehen kann. So wie auch die alten Ideen, Gedanken und Theorien Voraussetzung sind, damit sich daraus neue 13
Konzept 4. Der Kaffeefilter Den alten Formen und Funktionen erweist meine Arbeit Die Referenz an alte Gebrauchsobjekte stellt die Frage, als exemplarisches Ehre. Es sind Objekte, welche gelebte Geschichten erzäh- wann etwas alt wird, unbrauchbar, unbenutzbar. Sie regt len. Sie erinnern an Handlungen und damit verbundene an über Konsum und Gesellschaft nachzudenken. Es ist Beispiel Funktionen bei Gebrauchsgütern, die in unserer Kultur eine Arbeit, die nach dem Woher und Wohin keramischer heute nicht mehr in dieser Form benötigt werden. Erinne- Dinge fragt. Formen, Funktionen und Materialien werden Konzept rungen werden berührt, mit den Gebrauchsgütern ver- überflüssig, verändern sich, entwickeln sich weiter. Sie sind bundene Geschichten werden wach. Sie erinnern an ihre Spiegel der gesellschaftlichen Veränderungen. unzählig oft verwendeten Vorfahren, sie erinnern an ihre ehemalige Funktion, an frühere Tätigkeiten und Verwen- Ich entscheide mich, ausschliesslich die Form des Kaffee- dungsweisen. Und sie erinnern an Situationen und vor al- filters als Ausgangslage für die Objekte zu verwenden. Ex- lem an die Menschen, welche die Gefässe benutzt haben. emplarisch mit der Form des breit bekannten Gebrauchs- objekts, schaffe ich eine Sammlung nur „scheinbar“ Die Objekte in meiner Installation tragen die formalen bekannter Objekte. Informationen in sich und erinnern uns an deren Ursprung. Funktional sind sie nicht mehr. Das Porzellan ist porös. Flüssigkeit würde durch die Wandung rinnen. Werden die Objekte längere Zeit der Vegetation ausgesetzt, werden sie sich teilweise zersetzen. In ihren Rillen und Poren wird sich Moos festsetzen und langsam die Objekte überwuchern. Einige der Gefässe sehen zwar noch aus wie ihre Vorbilder, aber sie sind nur noch Erinnerungsträger. Einige Objekte zeigen, wie sich die Dinge weiterentwickeln könnten, wenn sie zu neuem Leben erwachen. 14
Der Kaffeefilter aus Porzellan wurde 4. Der Kaffeefilter 1928 durch die Firma Melitta patentiert. als exemplarisches Danach hat Melitta die Form mehrmals leicht verändert und durch verschiedene Beispiel Porzellanfirmen produzieren lassen. Seit 60 Jahren ist der Filter Melitta 102 in unver- Soziokulturelle Bedeutung änderter Form erhältlich, nach wie vor des Kaffeefilters für ca Fr 25.- in Haushaltwarengeschäften Verwendung heute oder direkt bei Melitta. In einem Geschäft in Burgdorf verkaufen sie etwa einen Filter pro Monat. Die Grosshändler verkaufen nur Plastikfilter und Goldfilter. Entgegen meiner Erwartung wird der Filter wieder zunehmend verwendet. Eine Benutzergruppe sind ältere Menschen, Juroren bei Kaffeewettbewerben welche immer Filterkaffee getrunken ha- verwenden den Goldfilter. Dieser ist eine ben. Neu sind junge Kaffeetrinker wieder Weiterentwicklung des Porzellanobjekts, zum Porzellanfilter gekommen, weil dieser bestehend aus einem feinen Metallsieb eine ökologisch und ökonomisch günstige und Kunststoff. (Auskunft Christine Schürch, Alternative bietet zu Alu-Kapsel-Kaffee. Spezialitätenrösterei, www.derkaffee.ch) 15
Versuche mit Porzellan: 4. Der Kaffeefilter - unterschiedliche Brand- als exemplarisches temperaturen: 500°C, 600°C, 1000°C und 1250°C Beispiel - unterschiedliche Zuschlag- stoffe: Perlit (mineralischer Versuche und Entscheid Rohstoff), Rosshaar aus der Material Sattlerei, Kokosfasern (Blumen- erde-Ersatz) und Moos 16
Entscheid für Limoges-Porzel- lan, gemischt mit Kokosfasern, gebrannt bei 1000°C. Erste Form von Hand gedreht: (Bilder ganz rechts), zu wenig präzis und das Porzellan mit Fa- sern lässt sich schlecht drehen. Entscheid: Gipskerne giessen und mit der Überformtechnik arbeiten. Prototype überformt und Versuche mit Lochung gedreht, roh, unten glasiert, gebrannt bei 1250°C 4. Der Kaffeefilter als exemplarisches Beispiel Versuche und Entscheid Formgebung Bone China, der weisseste Porzellan hat bei 1000°C die gleich Farbe wie Limoges-Porzellan mit Perlit mit Kokosfasern 17
4. Der Kaffeefilter als exemplarisches Beispiel Realisation 18
4. Der Kaffeefilter als exemplarisches Beispiel Realisation 19
4. Der Kaffeefilter als exemplarisches Beispiel Realisation 20
4. Der Kaffeefilter als exemplarisches Beispiel Realisation 21
5. Studien zu Zeit und Funktion in der Keramik Bilder der fertigen Objekte 22
5. Studien zu Zeit und Funktion in der Keramik Bilder der fertigen Objekte 23
5. Studien zu Zeit und Funktion in der Keramik Bilder der fertigen Objekte 24
Die Arbeit ist eine Momentaufnahme. Sie unter- zende Oberflächen von hochgebranntem Porzellan wären 5. Studien zu Zeit sucht exemplarisch einen bekannten, keramischen Ge- dieser Diskussion hinderlich. Das Porzellan nur auf 1000°C und Funktion in genstand in Bezug auf dessen Funktionalität und dessen zu brennen, war zwingend, da so seine Fragilität und Entwicklung. Gleichzeitig ist sie eine Beobachtung über Körperhaftigkeit deutlicher wird. Diese Materialität wirkt der Keramik Zeit und Form, da Funktionalität immer in Abhängigkeit zu warm und organisch. Das gleiche Porzellan bei 1250°C Zeit steht. Veränderung wird dank der Erfahrung von Zeit gebrannt wirkt kalt und abweisend, wie ein Laborutensil. Beschrieb wahrgenommen. Dafür braucht es die Gedächtnisleistung des Erinnerns und die Gegenüberstellung von Früher und Die Arbeit ist eine Untersuchung zum Stand der Heute. Die Objekte werden zu Erinnerungsträgern. Dinge anhand des Kaffeefilters. Dieser steht stellvertretend für alle Artefakte. Die einzelnen Objekte erzählen immer Durch kleinere oder grössere Eingriffe an der neue Geschichten, wecken Assoziationen. Sie bestätigen Form des Objekts entstehen veränderte Funktionen. Diese nicht das Wissen, wie ein Kaffeefilter zu sein hat, sondern Interventionen bei den Griffen und Henkeln, bei der Anzahl stellen gewohnte Sichtweisen in Frage. Historische Funk- und der Lokalisation der Löcher, bei Standfuss und Rand tionen und neue Funktionen stehen nebeneinander. Es ist variieren von Objekt zu Objekt. Dadurch wird die bekannte eine Spielerei. Es ist weder Design noch Kunst, könnte aber industrielle Form individualisiert. Die Form der Massenwa- als Ausgangslage sowohl für das eine wie für das andere re bewegt sich zum autonomen Objekt. Das Bekannte löst genutzt werden. Also eine gestalterische Fingerübung? Ja, sich auf und entwickelt sich weiter. Daraus entsteht eine und gleichzeitig viel mehr. Die Installation ist ein Statement neue Wertschätzung gegenüber den weiterentwickelten mit designgeschichtlichem Ansatz, der sich mit dem Woher Objekten und auch gegenüber den altbekannten Formen. und dem Wohin, mit Werden und Vergehen von Produkten und deren Lebenszyklen beschäftigt. Der Bedeutungswan- Die Materialität wurde, bei allen Objekten gleich, del eines Kulturgegenstandes wird dabei sichtbar. Damit verändert zu „unbrauchbarem“ Porzellan. Dies mit der eng verknüpft ist die Auseinandersetzung mit soziokul- Absicht, zu einer Diskussion um Veränderung und Vergäng- turellen Veränderungen und deren Auswirkungen. Die lichkeit von Funktionalität anzuregen. Makellose, glattglän- Objekte widerspiegeln in ihrer Vielfalt unsere Zeit. 25
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