Lynch-Syndrom Hereditäres nicht-polypöses Kolon-Karzinom HNPCC - Fachinformation für Ärzte - genetikum
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Lynch-Syndrom Hereditäres nicht-polypöses Kolon-Karzinom HNPCC Fachinformation für Ärzte Neu-Ulm I Stuttgart I München I Singen I Prien I Künzelsau
Darmkrebs stellt bei Frauen die am (MSI) eine entscheidende Rolle zu. zweithäufigsten und bei Männern HNPCC ist das häufigste vererbte, für die am dritthäufigsten diagnostizier- kolorektale Karzinome prädisponierende te Krebserkrankung dar. Etwa jede 18. Tumorsyndrom mit einer Häufigkeit von Frau und jeder 15. Mann erkranken 3 % bezogen auf alle neu diagnostizier- im Laufe ihres Lebens an Darmkrebs. ten kolorektalen Karzinome. Gebärmutterkrebs ist wiederum die viert-häufigste Krebserkrankung bei Frauen. Etwa jede 50. Frau erkrankt Genetische Ursache hieran. Die meisten dieser Krebs-Fäl- des HNPCC le treten sporadisch auf. Jedoch fin- det sich bei 20 % der an Darmkrebs Ursächlich bei HNPCC sind Mutatio- Erkrankten eine familiäre Häufung. nen in den Genen MLH1 (37 %), MSH2 Typisch für familiär bedingten Darm- (41 %), MSH6 (13 %) und PMS2 (9 %). Diese krebs ist das Auftreten in jungen Jahren Gene kodieren für DNA-Reparatursys- oder wenn bei mehreren Familienmit- teme, die das Einschleichen repetitiver gliedern Darmkrebs oder auch andere Sequenzen in das Genom verhindern Tumore wie z. B. der Gebärmutter oder bzw. korrigieren. Ein ungesunder Le- des Magens aufgetreten sind. bensstil (u. a. Rauchen) und eine unge- sunde Ernährung (u. a. viel rotes Fleisch, Bei den hereditären Syndromen mit Alkohol) begünstigen solche DNA-Schä- Prädisposition für kolorektale Karzino- digungen. Die entsprechenden Gene me werden Polyposis-Syndrome von liegen in doppelter Ausführung vor. dem hereditären nicht-polypösen Ko- Dementsprechend kann – normaler- lon-Karzinom (HNPCC, Lynch-Syndrom) weise – trotz Veränderung einer der unterschieden. Bei familiärer adeno- beiden Genkopien durch karzinogene matöser Polyposis (FAP) und MUTYH- Substanzen die Funktion der DNA- assoziierter Polyposis liegen vorwiegend Reparatur-Proteine aufrecht erhalten adenomatöse Polypen vor, bei Peutz- werden. Bei HNPCC-Mutationsträgern Jeghers-Syndrom, Cowden-Syndrom oder liegt allerdings nur eine intakte Genko- familiärer juveniler Polyposis hamarto- pie vor, sodass hier bereits eine einzelne matöse Polypen. Bei HPNCC finden sich DNA-Schädigung für die Karzinogenese dagegen in der Regel keine gehäuften ausreichen kann (siehe Abbildung). Darmpolypen. Hier kommt der histolo- gischen Untersuchung des Darmkrebs- gewebes auf Mikrosatelliteninstabilität
Two-Hit-Hypothese Sporadische Tumorentstehung Normales 1. Mutation 2. Mutation Zellwachstum Wachstumsvorteil Vollständiger Erbliche Tumorentstehung der Tumorzellen Tumor 1. Mutation in allen 2. Mutation Zellen enthalten Quelle: Zirn B, Mehnert K. Handbuch für die Genetische Sprechstunde. Springer-Verlag Deutschland 2018. Erkrankungsrisiken 30 - 75 %. Frauen bekommen zu 40 - 50 % ein Endometriumkarzinom. Das Risiko Patienten mit Mutationen in den für Magen-, Ovar-, Pankreas-, Urothel-, HNPCC-Genen MLH1, MSH2, MSH6 und Gallengangs-, oder Dünndarmkarzinome PMS2 entwickeln (gemittelt für alle Mu- und ebenso für Glioblastome ist leicht er- tationen) beinahe zu 80 % in ihrem Leben höht. Zusätzlich können Talgdrüsenade- mindestens ein Karzinom. Sie haben eine nome und Keratoakanthome auftreten. Lebenszeit-Prävalenz für Darmkrebs von
HNPCC: Tumorspektrum und Lebenszeitrisiken Pauschalangaben für alle HNPCC-Gene (Daten des Deutschen HNPCC-Konsortiums) Tumor Risiko 30 - 60 % (Frauen), Kolorektales Karzinom 35 - 75 % (Männer) Endometriumkarzinom 40 - 50 % (Frauen) Ovarialkarzinom 7 - 8 % (Frauen) Magenkarzinom 1-6 % Karzinom Nierenbecken/Harnleiter 2-8 % Gallengangskarzinom 1-4 % Dünndarmkarzinom 1-4 % ZNS-Tumoren 2% Pankreaskarzinom 4% Talgdrüsentumoren Abhängig vom betroffenen Gen (Muir-Torre-Syndrom)
Genotyp-Phänotyp-Korrelation Das Krankheitsbild wird autosomal- dominant vererbt. Dementsprechend Die spezifischen Risiken für die unter- geben Mutationsträger die entspre- schiedlichen HNPCC-assoziierten Karzi- chende Mutation zu 50 % an ihre Nach- nome unterscheiden sich entsprechend kommen weiter. Verwandten von Mu- des betroffenen Gens: tationsträgern wird eine Genetische Beratung und ggf. eine genetische Dia- MLH1 und MSH2 haben ähnlich gnostik angeboten. hohe Prävalenzen in Bezug auf kolorektale und Endometrium- Karzinome Genetische Diagnostik MSH2-Mutationsträger erkranken häufiger an Urothel-Karzinomen Wenn bei der molekulargenetischen und Talgdrüsenadenomen Keimbahnmutationsanalyse eine be- MSH6- und PMS2-Mutationen kannte pathogene Mutation in einem scheinen seltener und zu einem der HNPCC-Gene festgestellt wird, späteren Erstdiagnose-Alter ist davon auszugehen, dass damit die HNPCC-Karzinome zu verursachen krankheitsversursachende Genverände- (das trifft allerdings nicht auf rung gefunden worden ist. Jedoch kann Endometriumkarzinome zu) trotz eindeutiger familiärer Häufung nicht immer eine Mutation nachgewie- Die spezifischen Risiken, die bei einzel- sen werden. Dann ist entweder ein rein nen Mutationen in den unterschied- zufälliges Auftreten – ohne oder mit lichen DNA-Reparaturgenen bestehen, nur geringer genetischer Komponente – überschneiden sich jedoch für die je- denkbar, ursächlich könnte dann aber weiligen Karzinome. Aus diesem Grund auch eine nicht untersuchte bzw. bis- werden die Früherkennungsmaßnah- lang nicht bekannte Mutation sein. Des men nicht an die jeweilige Mismatch- Weiteren finden sich manchmal VUS Repair-Mutation angepasst, sondern (Variants of Uncertain Significance), gelten einheitlich für alle Lynch-Syn- also Varianten ohne bislang beschrie- drome. bene Krankheitsassoziation oder ohne bestätigte Signifikanz für das Auftreten HNPCC-assoziierte Karzinome treten von HNPCC-Tumoren. bereits bei Mutation eines Allels des entsprechenden DNA-Reparaturgens auf.
Indikationskriterien für eine Amsterdam-II-Kriterien – Alle genetische Diagnostik Kriterien müssen erfüllt sein: Eine genetische Diagnostik auf Vorlie- Mindestens drei Familienmit- gen einer Keimbahnmutation soll dann glieder mit HNPCC-assoziiertem bei Darmkrebspatienten erfolgen, wenn Karzinom (Kolon/Rektum, entweder positive Amsterdam II-Kriterien Endometrium, Dünndarm, (siehe unten) vorliegen oder wenn bei Nierenbecken/Ureter) positiven revidierten Bethesda-Kriterien Ein Betroffener ist Verwandter (siehe unten) ein Mikrosatelliten-instabi- ersten Grades der beiden anderen les Karzinom vorliegt. Betroffenen Positive Amsterdam-/Bethesda-Kriterien + nachgewiesene MSI V.a. HNPCC/LYNCH-SYNDROM Aufklärung gemäß GenDG oder Genetische Beratung Keimbahnmutationsanalyse Ergebnismitteilung im Rahmen einer Genetischen Beratung Nachweis einer Kein Nachweis einer pathogenen MMR-Gen-Mutation pathogenen MMR-Gen-Mutation Diagnose Lynch-Syndrom Diagnose HNPCC-Syndrom Prädiktive Testung weiterer Prädiktive Testung weiterer Familienmitglieder nach Genetischer Familienmitglieder nicht möglich Beratung Ausschluss der Nachweis der pathogenen pathogenen Mutation Mutation Vorsorge HNPCC – Vorsorge entsprechend asympt. Bevölkerung Quelle: S3-Leitlinie Kolorektales Karzinom 2019.
Erkrankungen in mindestens Synchrone/metachrone Kolon-/ zwei aufeinanderfolgenden Rektumkarzinome oder HNPCC- Generationen assoziierte Karzinomerkrankungen Mindestens ein Betroffener mit (Endometrium, Nierenbecken/ der Diagnose eines Karzinoms vor Ureter, Dünndarm, Magen, Pankreas, dem 50. Lebensjahr Gallengang, Ovar, hepatobiliäres Ausschluss einer Familiären System und Gehirn – üblicherweise Adenomatösen Polyposis (FAP) Glioblastome, Talgdrüsenadenome und Keratoakanthome), unabhängig Wenn alle Amsterdam-II-Kriterien zutref- vom Alter fen, wird zum einen die Keimbahnmuta- Kolorektales Karzinom mit MSI-H tionsanalyse empfohlen, zum anderen typischer Morphologie (lympozytäre kann unabhängig vom genetischen Test- Infiltration, muzinöse und/oder ergebnis die klinische Diagnose HNPCC Siegelring-Differenzierung bzw. gestellt werden. noduläres Wachstum), diagnostiziert vor dem 60. Lebensjahr Aus den revidierten Bethesda-Kriterien Patient mit kolorektalem Karzinom ergibt sich dagegen nur der Verdacht, und mindestens einem erstgradig dass bei einem an Darmkrebs erkrank- Verwandten mit einem HNPCC- ten Patienten eine erbliche Form vor- assoziierten Tumor, dessen Erst- liegen könnte. Hier muss zunächst noch diagnose vor dem 50. Lebensjahr die Untersuchung des Tumorgewebes gestellt wurde auf Mikrosatelliteninstabilität erfolgen. Patient mit kolorektalem Karzinom Liegt eine solche vor, kann die Diagnose und mindestens zwei erst- oder durch den Gentest bestätigt werden. zweitgradig Verwandten mit HNPCC-assoziierten Tumoren (s. o.) Nach den revidierten Bethesda-Kriterien unabhängig vom Alter muss mindestens ein Kriterium erfüllt sein: Die deutsche S3-Leitlinie zum kolorekta- len Karzinom empfiehlt ein diagnosti- Kolorektales Karzinom, Erstdiagnose sches Vorgehen entsprechend dem Algo- vor dem 50. Lebensjahr rithmus (Abbildung siehe links).
Konsequenzen und Vorsorge 1. Verwandte ersten Grades von Patien- ten mit kolorektalem Karzinom sollten Vorgehen bei Nachweis einer krank- in einem Lebensalter, das 10 Jahre vor heitsauslösenden Mutation dem Alterszeitpunkt des Auftretens des Karzinoms beim Indexpatienten liegt, Wenn eine krankheitsauslösende Muta- erstmals komplett koloskopiert werden tion in einem Risikogen nachgewiesen (spätestens im Alter von 40 - 45 Jahren). wird, ist die intensivierte Früherkennung Die Koloskopie sollte bei polypenfreiem bzw. Nachsorge entscheidend. Darm in der ersten Koloskopie mindes- tens alle 10 Jahre wiederholt werden. Ab dem 25. Lebensjahr: Jährliche körperliche Untersuchung, 2. Erstgradig Verwandte von Patienten Koloskopie, Bauch-Ultraschall-Unter- aus Familien, die die Amsterdam II-Kri- suchung, bei Frauen gynäkologische terien (s. o.) erfüllen und gleichzeitig Untersuchung. eine Mikrosatelliten-Stabilität im Karzi- nom aufweisen, sollten engmaschiger Ab dem 35. Lebensjahr: (als alle 10 Jahre) überwacht werden: Zusätzlich jährlich eine ergänzende Gas- Zeigen mindestens zwei unabhängige troskopie, bei Frauen Probenentnahmen Karzinome aus der Familie eine Mikro- aus der Gebärmutter. satelliten-Stabilität, sollte ab dem 25. Lebensjahr in Intervallen von 3 - 5 Jahren Aktuell gibt es weder eine ursächliche koloskopiert werden. Ist nur ein Karzi- Therapie für das HNPCC-Syndrom noch nom aus der Familie untersucht worden eine Prophylaxe, die über die Empfehlung und weist eine Mikrosatelliten-Stabili- eines gesunden Lebensstils hinausgeht. tät auf, sollten zusätzlich Früherken- Die Leitlinie zum kolorektalen Karzinom nungsuntersuchungen auf Endome- sieht sowohl von einer Vorsorge-Kolekto- triumkarzinom und Magenkarzinom mie als auch von der Einnahme von ASS ebenfalls in Intervallen von 3 - 5 Jahren zur Karzinomprophylaxe ab. durchgeführt werden. Vorgehen bei familiärer Darmkrebs- 3. Bei erstgradig Verwandten von Pa- häufung ohne Nachweis einer krank- tienten mit kolorektalem Karzinom aus heitsauslösenden Mutation Familien, in denen die Bethesda-Krite- rien, nicht aber die Amsterdam-Krite- Nach der Darmkrebs-Leitlinie gibt es fol- rien erfüllt sind, sollte in kürzeren Inter- gende Empfehlungen: vallen koloskopiert werden: Wenn kein
Tumorgewebe zur Untersuchung auf HNPCC-typische Auffälligkeiten zur Ver- fügung steht, sollte das Intervall 3 Jahre nicht überschreiten. Wenn das Tumor- gewebe eine Mikrosatelliten-Stabilität oder eine niedrige Mikrosatelliten- Instabilität zeigt, sollte das Intervall 3 - 5 Jahre betragen. Unterschiede zwischen HNPCC- assoziierten und sporadischen kolorektalen Karzinomen Kolorektale Karzinome im Rahmen eines HNPCC-Syndroms entstehen vornehm- lich rechts-kolisch. Die Adenom-Karzi- nom-Sequenz scheint schneller voranzu- schreiten als bei sporadischen Tumoren, zudem liegen HNPCC-assoziierte Tumo- ren bei Erstdiagnose häufiger in höheren UICC-Stadien vor. Trotzdem haben Mikro- satelliten-instabile, kolorektale Karzino- me eine signifikant bessere Prognose als Mikrosatelliten-stabile Tumore. Es wird vermutet, dass die von den DNA-Repeats (entspricht der Mikrosatelliteninstabili- tät) kodierten Proteine ein höheres immu- nogenes Potential tragen und dass daher HNPCC-assoziierte Darmkrebszellen bes- ser vom Immunsystem erkannt wer- den. Darüber hinaus kann sich auch die Therapie bei HNPCC von der bei spora- dischen Tumoren unterscheiden, da hier bisweilen eine Immun-Checkpoint-Inhi- bitor-Therapie (mit Nivolumab, Pembro- lizumab) möglich ist.
Quellen Møller P et al. Cancer risk and survival in path_MMR carriers by gene and gender Krebs in Deutschland für 2013/2014, Ro- up to 75 years of age: a report from the bert-Koch-Institut, Berlin 2017. Prospective Lynch Syndrome Database. Gut. 2017;67(7):1306-1316. S3-Leitlinie Kolorektales Karzinom 2019. Zirn B, Mehnert K. Handbuch für die Ge- netische Sprechstunde. Springer-Verlag Deutschland 2018. Moreira L et al. Identification of Lynch syndrome among patients with colorec- tal cancer. EPICOLON Consortium, JAMA. 2012 Oct 17;308(15):1555-65. Win AK et al. Prevalence and Penetrance of Major Genes and Polygenes for Colo- rectal Cancer. Cancer Epidemiol Biomar- kers Prev. 2017 Mar;26(3):404-412. Drescher KM et al. Current hypothe- ses on how microsatellite instability leads to enhanced survival of Lynch Syndrome patients. Clin Dev Immunol. 2010;2010:170432. Popat S et al. Systematic Review of Mi- crosatellite Instability and Colorectal Cancer Prognosis. J Clin Oncol. 2005 Jan 20;23(3):609-18.
Unsere Ärzte, Ihre Ansprechpartner für familiären Darmkrebs Dr. med. Karl Mehnert Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Birgit Zirn Dr. med. Gabriele du Bois Dr. med. Silke Hartmann Helena Böhrer-Rabel Dr. med. Maren Wenzel Dr. med. Guntram Borck PD Dr. med. Wolfram Klein Dr. med. Anna Lena Burgemeister Dr. med. Ina Ulrich Dr. med. Laura von der Heyden Dr. med. Alina Henn Dr. med. Cord-Christian Becker Dr. med. Hans-Martin Büttel Dr. med. univ. Veronika Bach Dr. med. Verena Pfaff-Sommer Ann-Kathrin Tschürtz Unser Diagnostik- Support ist täglich von 9.00 bis 16.00 Uhr Kontaktdaten für die Genetische für Sie erreichbar Sprechstunde am genetikum 0731 – 98 49 05 0 Neu-Ulm: Telefon 0731-98 49 00 Stuttgart: Telefon 0711-22 00 92 30 München: Telefon 089-24 20 76 70 info@genetikum.de www.genetikum.de
V2 / 2020-07 Die gen.ial Informationen aus der Humangenetik für Ärzte Die gen.ial informiert regelmäßig über spannende Themen aus der Humangenetik, Fallbeispiele aus dem Praxisalltag und Aktuelles aus dem genetikum. Sie können die gen.ial kostenfrei unter www.genetikum.de/genial abonnieren oder uns eine E-Mail senden an genial@genetikum.de. ͲD>ͲϭϯϮϱϬͲϬϭͲϬϬ www.genetikum.de
Sie können auch lesen