MAGAZIN - DIE RENTEN STEIGEN MIT RECHT SOVD BEGRÜßT DIE RENTENERHÖHUNG ALS GEBOT DER GENERATIONENGERECHTIGKEIT - SOZIALVERBAND DEUTSCHLAND
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Juli + August 2020 Magazin Herausgegeben vom Sozialverband Deutschland Die Renten steigen mit Recht SoVD begrüßt die Rentenerhöhung als Gebot der Generationengerechtigkeit
2 Über uns Inhalt 3 Eine starke Gemeinschaft Armut europäisch lösen Forderungen des SoVD zur deutschen Der Sozialverband Deutschland (SoVD) Sicherungssysteme ein. Der Sozialstaat EU-Ratspräsidentschaft ab dem 1. Juli. vertritt die Interessen der Rentner*innen, ist ein wichtiges Auffangnetz für die Men- der Patient*innen und gesetzlich Kran- schen – das zeigt sich gerade in Zeiten kenversicherten sowie der pflegebedürf- wirtschaftlicher Krisen. Uns geht es auch Seite 4 – 13 tigen und behinderten Menschen. Wir set- um Chancengleichheit, zum Beispiel um zen uns für Ihre Rechte ein die Bildung und Ausbil- Renten steigen mit Recht und bieten unseren Mit- dung, die unsere Gesell- SoVD begrüßt die Rentenerhöhung als gliedern Beratungsstel- schaft behinderten und Gebot der Generationengerechtigkeit. len in ganz Deutschland. benachteiligten Kindern Dort erhalten sie Hilfe bei und Jugendlichen bietet. Fragen zur gesetzlichen Der SoVD ist eine starke Seite 14 – 25 Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung Gemeinschaft mit rund 600.000 Mitglie- oder in behindertenrechtlichen Dingen. dern. Bei uns können Sie sich engagieren Mit voller Kraft aus der Krise Soziale Gerechtigkeit steht im Mittel- und mit anderen gemeinsam aktiv wer- punkt unserer Arbeit. Wir setzen uns für den. Einer von über 2.000 Ortsverbänden Konjunkturpaket sieht Bonuszahlungen den Ausbau und den Erhalt der sozialen befindet sich bestimmt auch in Ihrer Nähe. für Familien und Steuersenkungen vor. Seite 26 – 31 Für morgen weiterdenken SoVD-Diskussion: Die Corona-Krise legt Probleme im Gesundheitwesen offen. Seite 38 – 45 Obdachlose zeigen ihre Stadt Beim Verein „querstadtein“ erhalten Kinder und Jugendliche ungewohnte Einblicke. Seite 52 – 55 Die bundesweit über 600.000 Mitglieder des SoVD bilden eine starke Gemeinschaft. Titelbild: wavebreak3 / Adobe Stock
4 Sozialpolitik Sozialpolitik 5 Für ein Europa mit Zukunft: Forderungen des SoVD zur deutschen EU-Ratspräsidentschaft ab dem 1. Juli Armut und andere Probleme europäisch lösen Die Bundesrepublik Deutschland Die EU erhielt 2012 den Friedens- übernimmt zum 1. Juli von Kroa- nobelpreis. Längst ist sie nicht nur tien den Vorsitz im Rat der Euro- eine wirtschaftliche, sondern auch päischen Union, die „EU-Ratsprä- eine politische Union – mit dem sidentschaft“. Diese wechselt alle größten Binnenmarkt der Welt sechs Monate nach einer festge- und gemeinsamen Werten. Doch legten Reihenfolge gleichberech- zur echten Solidargemeinschaft tigt zwischen allen Mitgliedstaa- ist es noch ein weiter Weg. ten. Zum Antritt dieses wichtigen Wichtige Schritte formulierte der Amtes fordert der SoVD die Bun- SoVD unter dem Titel „Für ein Eu- desregierung auf, sich besonders ropa mit Zukunft. Forderungen um sozialpolitische Themen zu des SoVD zur deutschen EU-Rats- kümmern. präsidentschaft 2020“. Das Papier schickte er an Verantwortliche in der Bundespolitik und Europäi- schen Kommission. Darin fordert der SoVD, die sozi- ale Dimension der EU zu stärken. Sie müsse sich zu einem sozialen Foto: Prostock Studio / Adobe Stock Beim Geld darf die Freundschaft nicht länger aufhören, meint der SoVD. Seine Vision ist ein soziales und solidarisches Europa.
6 Sozialpolitik Sozialpolitik 7 Europa entwickeln, mit solida- Pandemie verstärkt Probleme „Große Herausforderungen brau- entschieden bekämpft und wirt- rischen Krisenlösungen und Zu- Die EU muss nun die Folgen der chen mutige Lösungen“, sagte schaftliche Ungleichgewichte ab- kunftsprogrammen. In der Sozi- Coronavirus-Pandemie abfedern. SoVD-Präsident Adolf Bauer zur gebaut werden.“ alpolitik kann die EU zwar nur Aber die Forderungen des SoVD deutschen Regierungserklärung. Das Vertrauen in die EU war begrenzt Gesetze erlassen, verant- gelten darüber hinaus. Schon lan- „Die Erwartungen an die deutsche schon vor Corona erschüttert und wortlich sind zunächst die Natio- ge weist er auf soziale Schiefla- EU-Ratspräsidentschaft sind hoch: droht jetzt weiter zu sinken. „Alle nalstaaten (Subsidiaritätsprinzip). gen hin – sie verschärfen sich in Die Europäische Union muss so- EU-Bürgerinnen und Bürger müs- Doch diese müssten sich auf Min- Krisenzeiten. Die Arbeitslosenzahl zial gerechter werden. Armut und sen erleben können, dass das ge- deststandards und gegenseitige etwa stieg dramatisch. Arbeitslosigkeit müssen endlich meinsame Wirken in der EU ihre Sicherung einigen. Ungleichheit individuelle Lebenssituation ver- und soziale Kälte können sie nur bessert“, erklärte Bauer. gemeinsam bekämpfen. Sozialpolitische Strategien Darum appelliert der Verband an die Bundesregierung, nicht nur auf nationaler, sondern auch auf euro- päischer Ebene soziale Fragen an- zugehen: Armut, Wohnen, Gleich- stellung, Inklusion von Menschen mit Behinderungen und Pflege. Solidarität dürfe nicht an Länder- grenzen enden. So schlägt der SoVD etwa eine Ar- mutsstrategie vor. Sie beinhaltet Mindestlöhne, Maßnahmen gegen Arbeitslosigkeit und prekäre Be- schäftigung sowie bessere Absi- Foto: kopitinphoto / Adobe Stock cherung, auch im Alter. Die Wohnungsmieten sind für immer mehr Menschen unbezahlbar. Viele lan- den auf der Straße. Obdachlosigkeit ist in Europa ein wachsendes Problem.
8 Sozialpolitik Sozialpolitik 9 SURE gegen Arbeitslosigkeit Arbeitslosenrückversicherung Aktuell liegt der Fokus darauf, Doch ist es damit getan? Nur zum dass die Mitgliedstaaten einander Teil. „Das SURE-Paket ist ein wich- beim Bewältigen der Krise hel- tiges Signal: Europa steht in der fen – und vor allem Arbeitsplätze Corona-Pandemie zusammen“, so retten. Eines von drei Sicherungs- Bauer dazu. „Wir brauchen aber ein netzen ist das Programm SURE dauerhaftes Instrument, damit wir („Support to mitigate Unemploy- auch bei künftigen Krisen schnell ment Risks in an Emergency“, und solidarisch reagieren können.“ deutsch: „Unterstützung zur Min- Nötig ist aus SoVD-Sicht eine euro- derung von Arbeitslosigkeitsri- päische Arbeitslosenrückversiche- siken in einer Krise“). SURE-Dar- rung. Sie federt Konjunktureinbrü- lehen finanzieren Kurzarbeit. So che ab, verhindert Arbeitslosigkeit können Staaten Unternehmen und stärkt den Binnenmarkt: In helfen, Menschen weiterzube- Krisen stabilisieren EU-Länder schäftigen. Auch für Selbstständi- so ihre Sicherungssysteme durch ge gibt es Möglichkeiten. Kredite. Rückwirkend ab 1. Februar kön- Wichtig ist zudem langfristiger nen die Länder vorübergehend Schutz vor Arbeitsverlust, schlech- zu günstigen Bedingungen insge- ten und unfairen Löhnen und Ar- samt bis zu 100 Milliarden Euro beitsbedingungen oder Änderun- beantragen, die die EU als inter- gen am Arbeitsmarkt. Auch eine nationale Kredite aufnimmt. Das gute Grundsicherung in allen am 19. Mai beschlossene Paket Staaten ist unabdingbar. wird nun auf nationaler Ebene umgesetzt. In Deutschland berie- ten schon Bundestag und -rat zum SURE-Gewährleistungsgesetz. Foto: alotofpeople / Adobe Stock Auch im „reichen“ Europa gibt es Probleme wie Armut und Arbeitslosig- keit. Krisen verschärfen sie noch.
10 Sozialpolitik Sozialpolitik 11 Armut bei Kindern Erwachsenenarmut bedeutet im- mer auch Kinderarmut. Denn wenn Eltern schlecht bezahlt, ar- beitslos oder schlecht abgesichert sind, wirkt sich das auf ihre Kinder aus. Diese sind besonders schüt- zenswert. Deshalb unterstützt der SoVD eine schon diskutierte „Europäische Kindergarantie“. Sie soll den Zugang zu Bildung, Ge- sundheitsversorgung, Betreuung, Wohnraum und guter Ernährung sichern. Veranstaltung über Armut Armut rückt der SoVD im ganzen Halbjahr der deutschen EU-Rats- präsidentschaft in den Blick. Für den 12. Oktober laden er und die AWO Verbände, Organisationen und Politik zur Veranstaltung „Eu- ropäische Strategien zur Armuts- bekämpfung – Perspektiven für ein Europa von morgen“ ein. Foto: Pixel-Shot / Adobe Stock Wenn die Eltern arm sind, leiden auch ihre Kinder. Der SoVD unterstützt die „Europäische Kindergarantie“.
12 Sozialpolitik Sozialpolitik 13 Was genau ist „der Rat?“ Der Rat der Europäischen Union, dem die Bundesrepublik jetzt vorsitzt, wird auch „Ministerrat“ oder einfach nur „Rat“ genannt. Er sitzt in Brüssel und ist die Länderkam- mer der EU, ähnlich dem Bundesrat auf nationaler Ebene. Zusammen mit dem EU-Par- lament beschließt er Gesetze und koordiniert die Politik. Er besteht aus den Minister*innen, die in den – nach dem Brexit noch 27 – EU-Staaten das jeweilige Politikfeld leiten. Denn einmal geht es um Umwelt, ein anderes Mal um Wirtschaft, dann um Kultur und so weiter. Gibt es für ein Thema kein eigenes Ressort, sind die Außenminister*innen zuständig. Weil also die Mitglieder wechseln, ist keine Einzelperson Ratspräsident*in. Doch der Rat für Allgemeine Angelegenheiten, in dem die Außenminister*innen tagen, koordiniert alles – darum bezeichnet man oft den*- die Außenminister*in des vorsitzenden Landes als Ratspräsident*in. Für die nächsten sechs Monate ist das Heiko Maas (SPD). Der Vorsitz rotiert laut Art. 16 Abs. 9 EU-Vertrag halbjährlich und gleichberechtigt un- ter allen Mitgliedstaaten. Die Reihenfolge steht schon bis 2030 fest. Für eine gewisse Beständigkeit erstellen immer drei Länder, die nacheinander im Amt sind (sogenannte Troika-, Trio- oder Team-Präsidentschaft), zusammen ein Achtzehnmonatsprogramm. Nun arbeitet Deutschland mit Portugal und Slowenien (nächste amtierende Länder) daran. Das SoVD-Forderungspapier Nicht zu verwechseln ist der Rat der Europäischen Union mit zwei Institutionen, die ähnlich heißen: erstens mit dem Europäischen Rat; das sind die Staats- und Regie- Alle Forderungen im Detail stehen im Papier rungschefs*innen aller Länder plus deren Präsident (derzeit Charles Michel, Belgien) „Für ein Europa mit Zukunft. Forderungen und die Präsidentin der Kommission, also der „EU-Regierung“ (derzeit Ursula von der des SoVD zur deutschen EU-Ratspräsident- Leyen, Deutschland). Dieser sogenannte Gipfel legt die Ziele der EU fest, beschließt schaft 2020“. Dieses gibt es im Internet un- aber keine Gesetze. Zweitens zu unterscheiden ist der Europarat. Die Menschenrechts- ter: www. sovd.de/unsere-themen/europa. organisation mit Sitz in Straßburg ist ein Debattenforum, das über die EU hinausgeht. Es umfasst momentan 47 Staaten. Foto: denisismagilov / Adobe Stock
14 Titelthema Titelthema 15 SoVD begrüßt die Rentenerhöhung als Gebot der Generationengerechtigkeit Die Renten steigen mit Recht Gute Nachrichten für die 21 Millio- nen Rentner*innen: Zum 1. Juli stei- gen in Deutschland die Altersbezüge, im Westen um 3,45 Prozent, im Os- ten um 4,20 Prozent. Der Renten- wert West erhöht sich von 33,05 auf 34,19 Euro, der Ostwert von 31,89 auf 33,23 Euro. Das Rentenniveau beträgt 48,81 Prozent. Der SoVD be- Foto: jackfrog / Adobe Stock wertet die Erhöhung als positives Si- Der SoVD setzt sich dafür ein, das gnal in unsicherer Zeit, mit dem sich Vertrauen in die gesetzliche Rente – die gesetzliche Rentenversicherung als einen Stabilitätsanker für Jung und erneut als Stabilitätsanker erweist. Alt – wieder zu stärken.
16 Titelthema Titelthema 17 Die aktuelle Rentensteigerung entwicklung im kommenden Jahr basiert auf einem seit 1957 gel- auswirken. Die Pandemie bringt tenden Prinzip, nach dem in ers- Kurzarbeit, Arbeitslosigkeit und ter Linie die Lohnentwicklung des sinkende Löhne mit sich. Viele Be- Vorjahres die Berechnungsgrund- schäftigte sind davon schwer ge- lage für die jeweilige Rentenan- troffen. passung bildet. Die aktuelle Er- Niedrigere Löhne ziehen gerin- höhung ist also vor allem auf die gere Beitragszahlungen in die gute Lohnentwicklung des Jahres Sozialkassen beziehungsweise 2019 zurückzuführen. in die Rentenversicherung nach Der SoVD begrüßt die Anpassung sich. Und weil die Löhne wieder- zum 1. Juli ausdrücklich: „Die Erhö- um die Berechnungsgrundlage für hung erfolgt sachgerecht und aus die Rentenanpassung 2021 bil- gutem Grund. Die Rentner*innen den, gehen erste Prognosen schon partizipieren hierdurch – wenn jetzt vorsichtig von stagnierenden auch zeitversetzt – an der allge- Altersbezügen aus, sogenannten meinen Einkommensentwicklung. Nullrunden. Das kann passieren, Das bedeutet nichts anderes als muss aber nicht, weil die Entwick- Teilhabe am Lebensstandard“, er- lung noch offen ist und zudem klärt SoVD-Präsident Adolf Bau- andere komplexe Anpassungsme- er. „Gerade jetzt, wo milliarden- chanismen – wie sie zum Beispiel schwere Konjunkturprogramme infolge von verstärkter Kurzarbeit die Wirtschaft ankurbeln sollen, ist notwendig würden – ebenfalls es zudem wichtig, auch die Kauf- noch nicht absehbar sind. kraft älterer Menschen zu stärken. Sie können auf diese Weise dazu beitragen, den Binnenmarkt zu stabilisieren.“ Aufgrund ihrer gravierenden Fol- Foto: eyewave / Adobe Stock gen für den Arbeitsmarkt wird sich Wenn die Löhne sinken, heißt das nicht die Corona-Krise jedoch mögli- automatisch, dass auch die Rentner*in- cherweise negativ auf die Renten nen weniger bekommen.
18 Titelthema Titelthema 19 Das Rentenniveau ist keine die Deutsche Rentenversicherung wenn die Löhne im Vorjahr gesun- ten jedoch stagnieren, wird das individuelle Größe im Bedarfsfall finanziell zu unter- ken sind. Rentenniveau im kommenden Jahr So kompliziert wie die Rentenan- stützen. Aus dieser gesetzlichen Vereinba- steigen. passungsformeln ist für die meis- rung und der doppelten Haltelinie Vermeintliche Widersprüche wie ten auch der Begriff des „Renten- Schutzklausel bewahrt die ergibt sich eine Entwicklung, die eine „Rentenerhöhung in wirt- niveaus“ zu verstehen, wenngleich Renten vor Kürzung auf den ersten Blick paradox er- schaftlich angespannter Lage“ er in jeder Debatte zum Thema Schon vor der Haltelinie gab es scheinen mag, die aber lediglich (2020) oder ein „steigendes Ren- vorkommt. im Übrigen eine Gesetzesvor- eine logische Konsequenz dar- tenniveau trotz gesunkener Löh- Viele Beschäftigte gehen davon gabe, nach der die Renten auch stellt: Wenn die Durchschnittslöh- ne“ (2021) sind somit bei genau- aus, dass das Rentenniveau je- dann nicht gekürzt werden dürfen, ne 2020 sinken, die Standard-ren- erer Betrachtung schnell und weils den Anteil vom letzten Lohn sachgerecht aufgeklärt. oder Gehalt widerspiegelt, der demnach jetzt bei gut 48 Prozent Scheinargumente schüren läge. Dies ist ein Irrtum. Denn das vermeidbare Konflikte Rentenniveau ist keine individuel- Dennoch wird seitens einzel- le Größe. Es drückt vielmehr aus, ner politischer Interessengrup- wie sich die Standardrenten mit pen derzeit gerne der Eindruck ihren vorausgesetzten 45 Jahren erweckt, dass die Rentner*innen Beitragszahlung zu den Durch- durch die Erhöhung einen unbe- schnittseinkommen verhalten. rechtigten Vorteil auf Kosten jün- Dieses Verhältnis wird einmal gerer Menschen erhielten – und jährlich als allgemeiner Messwert das in einer Zeit, wo die meisten festgelegt. den Gürtel enger schnallen müs- Eine im Koalitionsvertrag veran- sen. kerte und 2018 beschlossene dop- pelte Haltelinie sorgt bis zum Jahr 2025 dafür, dass das Rentenniveau nicht weiter und damit unter 48 Prozent absackt und die Beitrags- Foto: Ngampol / Adobe Stock sätze wiederum nicht über 20 Pro- Die Berechnung der Rente ist eine zent steigen können. Dafür bürgt komplizierte Angelegenheit und hängt der Staat mit dem Versprechen, von vielen Faktoren ab.
20 Titelthema Titelthema 21 Es sind vor allem diejenigen vorgeschobene Generationende- Gesetzliche Rente zeigt sich Selbstständige, Beamt*innen und Stimmen, die sich schon vor der batte anzufachen. verlässlich in der Krise Abgeordnete einzahlen. Das Ren- Corona-Krise für ein sinkendes „Wenn im Kontext der Rentener- Der SoVD macht sich seit Lan- tenniveau ist nach Überzeugung Rentenniveau und für steigende höhung überhaupt über Gerech- gem für die Rückkehr zur lebens- des Verbandes dabei schrittweise Altersgrenzen ausgesprochen ha- tigkeit debattiert wird, dann soll- standardsichernden gesetzlichen wieder auf 53 Prozent anzuhe- ben. Nun füttern sie ihre Forde- te die Auseinandersetzung nicht Rente stark. Ziel ist eine Erwerbs- ben. Die Grundlage der Finanzie- rungen mit vermeintlichen „Kri- zwischen Alt und Jung geführt tätigenversicherung, in die auch rung sollte nach Auffassung des senargumenten“. werden, sondern zwischen Arm Verbandes ein Umlagesystem mit und Reich, zwischen Benachteiligt Steuerzuschüssen sein. Gute Renten helfen auch den und Privilegiert“, sagt SoVD-Präsi- „Die gesetzliche Rente ist ein sozi- heute Jungen dent Adolf Bauer. alpolitischer Stabilitätsanker. Sie Leider wird dabei übersehen, dass Eine ebenso klare Haltung vertritt hat Krisen und zwei Weltkriege geringere Beitragszahlungen, die der Verband zur Finanzierbarkeit überdauert“, betont der SoVD-Prä- den Jüngeren zu mehr „Gerechtig- der Renten: „Es geht im Kern nicht sident. „Jetzt zeigt sich, wie bei keit“ verhelfen sollen, in erster Li- darum, ob die Rente für künfti- den anderen Sozialversicherungs- nie deren Arbeitgeber erleichtern. ge Generationen bezahlt werden systemen auch, ihre Verlässlich- Leistungskürzungen im System kann, sondern wer sie bezahlt.“ keit. Es ist falsch, sie ausgerechnet der gesetzlichen Rente verlagern jetzt kleinzureden.“ Probleme allenfalls in die Zukunft. Und das hilft den Jüngeren nicht – vor allem jenen nicht, die sich private Altersvorsorge aufgrund geringer Löhne gar nicht leisten können. Die mit niedrigen Beitragssätzen verbundenen privaten Risiken werden die (heute noch) Jungen einholen, wenn sie älter geworden Foto: MAK / Adobe Stock sind. Die Stabilität der gesetzlichen Rente wird auch durch die Art der Finanzie- Der SoVD warnt deshalb davor, rung gesichert. Der SoVD plädiert dafür, ausgerechnet in der Krise eine dass alle Berufstätigen einzahlen.
22 Titelthema Titelthema 23 Was ist das Rentenniveau? Das Rentenniveau misst das Verhältnis zwischen Rente und Lohn – und zwar nicht individuell betrachtet, sondern als eine Art statistischen Durchschnittswert. Genauer gesagt geht es hierbei um das Verhältnis des mittleren Einkommens aller Sozialversicherten zur Stan- dardrente. Das wird in Prozent gemessen. Ausgewiesen wird das Rentenniveau als Nettogröße, das heißt: vor Abzug von Steuern. Abzüge durch Sozialabgaben werden hingegen berücksichtigt. Bis 2025 ist das Rentenniveau durch eine doppelte Halteli- nie gesichert. Indem beschlossen wurde, den sogenannten Nachholfaktor auszusetzen, ist außerdem sichergestellt, dass auch alle künftigen Generationen mit einem höheren Rentenniveau rechnen können, als es ohne Schutzklausel der Fall wäre. Für die Jahre ab 2026 hat die von der Bundesregierung eingesetzte Rentenkommission „Verlässlicher Generatio- nenvertrag“ vor Kurzem erste Vorschläge unterbreitet. Foto: Stockfotos-MG / Adobe Stock
24 Titelthema Titelthema 25 Interview Prinzip von Verlässlichkeit und Stabilität tenversicherung dem bewährten Prinzip cherung besteht darin, dass eben auch in ___Was sind die größten Baustellen in folgt, dass die Entwicklung der Löhne zeit- der Krise die ältere Generation an der Ent- der gesetzlichen Rentenversicherung? versetzt nachgeholt werden. Die Rentner*in- wicklung des Lebensstandards im vorver- Die größte Baustelle ist nach wie vor die nen sollen und werden an der allgemeinen gangenen Jahr absolut teilnimmt. Dass also Frage der Grundrente, zu deren Einfüh- Einkommensentwicklung partizipieren, und Sicherheit und Stabilität garantiert sind und rung der SoVD sich vielfach geäußert hat. die war im letzten Jahr eben gut. Dies muss dass die Kaufkraft erhalten bleibt und ge- Der zweite große Punkt ist die mittel- und zeitversetzt erfolgen, weil sonst die statisti- stärkt wird. Das kommt dann der gesamten längerfristige Entwicklung der Rentenversi- schen Daten nicht zur Verfügung stehen. Im Bevölkerung, der gesamten Volkswirtschaft cherung. Die Rentenkommission hat vor gut nächsten Jahr wird es entsprechend anders zugute. Entscheidend sind Verlässlichkeit, einem Monat einen Bericht vorgelegt, und aussehen, weil dann die Löhne wegen Coro- Sicherheit und Stabilität. Es sind unsichere es wird darauf ankommen, ob es gelingt, na auch gering angepasst worden sind. Das Zeiten, in denen gute Rahmenbedingungen die Rente auch in schwierigen Zeiten – in Foto: Christine Neumann ist das Prinzip einer Teilhabe am Lebens- gesetzt werden, auf die sich die Menschen coronaschwierigen Zeiten, aber auch in de- Prof. Gerhard Bäcker standard, dass es seit 1957 in dieser Form verlassen können. mografisch schwierigen Zeiten – langfristig unverändert so gibt und das auch beibehal- stabil zu halten und das Leistungsniveau ten werden sollte. ___Die sind bei der privaten der Renten oben zu halten. Also nicht dem Die Rentenerhöhung ist in Zeiten von Altersvorsorge nicht gegeben. Entwicklungstrend zu folgen, bei dem ja Corona für viele Menschen ein Thema. ___Stichwort Kaufkrafterhöhung ... Bei der privaten Altersversicherung hängt eigentlich vorgegeben wäre, das Renten- Wir sprachen darüber mit Professor Ger- Wenn die Renten in diesem Jahr steigen, deren Entwicklung zentral davon ab, wie die niveau zu senken. Das ist eine wesentliche hard Bäcker, Senior Professor am Institut dann stärkt das auch die Konsumnachfrage Renditen sich auf den Kapitalmärkten ent- Aufgabe. Arbeit und Qualifikation (IAQ) der Uni- und stabilisiert die Konjunktur. Es ist also wickeln. Und diejenigen Rentner*innen, die Und natürlich ist es eine immerwährende versität Duisburg-Essen und Mitglied im gewissermaßen ein doppelter Gewinn für heute auf ihre Anlagen angewiesen sind, Aufgabe, dafür zu sorgen, dass besonders Sozialpolitischen Ausschuss des SoVD. die Rentner*innen als solche und für die müssen damit rechnen, dass die Kurse im benachteiligte Personengruppen in der Volkswirtschaft insgesamt. Rahmen der Krise auch stark gefallen sind. Rente – wie zum Beispiel Erwerbsminde- Da sind also eher Unsicherheit und wenig rungsrentner*innen oder Rentner*innen mit ___Ist die hohe Rentenanpassung in ___Worin liegt – insbesondere Verlässlichkeit das Prinzip. Insofern können schlechten Versicherungsbiografien – nicht diesem Jahr zu rechtfertigen? angesichts der Krise – die Stärke der wir froh sein, in Deutschland eine starke in die Grundsicherung fallen. Aber genau Die Rentenanpassung ist in jedem Falle gesetzlichen Altersversicherung? umlagefinanzierte Rentenversicherung zu das ist das Thema der Grundrente. gerechtfertigt und notwendig, weil die Ren- Der Vorteil der gesetzlichen Rentenversi- haben. Interview: Veronica Sina
26 Sozialpolitik Sozialpolitik 27 Konjunkturpaket sieht Bonuszahlungen für Familien und Steuersenkungen vor Mit voller Kraft heraus aus der Krise Das Kabinett beschloss im Juni wichtige Teile eines milliarden- schweren Konjunkturprogramms. Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) zeigte sich zuversichtlich: „Wir wollen aus der Krise raus mit voller Kraft.“ Vorgesehen ist unter anderem mehr Geld für Fa- milien. Zudem soll bereits ab Juli die Mehrwertsteuer bis Jahresen- de nur noch 16 statt 19 Prozent betragen. SoVD-Präsident Adolf Bauer begrüßte die Maßnahmen und forderte, die Bedürfnisse be- nachteiligter Menschen in beson- derer Weise zu berücksichtigen. Foto: imago images / Bildgehege „Unsere Maßnahmen haben Wumms“, sagte Bundesfinanzminister Olaf Scholz bei einer Pressekonferenz.
28 Sozialpolitik Sozialpolitik 29 Das Bundeskabinett brachte erste Teile des geplanten 130-Milliar- den-Programms zur Konjunkturer- holung auf den Weg. Dabei ging es neben einer befristeten Senkung der Mehrwertsteuer auch um ei- nen 300-Euro-Kinderbonus sowie um die steuerliche Entlastung von Unternehmen. Sowohl Bundesfi- nanzminister Olaf Scholz (SPD) als auch Bundeswirtschaftsminis- ter Peter Altmaier (CDU) erklärten, hier gehe es überdies um die wirt- schaftliche Basis für einen Wie- deraufschwung in ganz Europa. Weniger Mehrwertsteuer für die zweite Jahreshälfte Befristet bis zum Ende dieses Jah- res sinkt die Mehrwertsteuer be- reits ab dem 1. Juli von derzeit 19 auf 16 Prozent. Der ermäßigte Satz, der für viele Lebensmittel und an- dere Waren des täglichen Bedarfs gilt, beträgt dann statt sieben nur noch fünf Prozent. Dadurch sollen Foto: astrosystem / Adobe Stock Um den Konsum anzukurbeln, wurde die Mehrwertsteuer vorübergehend ge- senkt.
30 Sozialpolitik Sozialpolitik 31 Einkäufe billiger und die Konjunk- SoVD: Konjunkturpaket muss für tur entsprechend belebt werden. alle zünden! Ausgenommen von der Senkung In einer Pressemitteilung begrüß- bleibt allerdings die Tabaksteuer. te der SoVD das geplante Kon- Das hatte die Drogenbeauftrag- junkturpaket. Es sei wichtig, dass te der Bundesregierung, Daniela alle Menschen wieder zuversicht- Ludwig, gefordert. Um die Länder lich nach vorne blicken können, und Kommunen in der Krise zu- sagte SoVD-Präsident Adolf Bauer. dem nicht zusätzlich zu belasten, Er betonte, das Konjunkturpaket trägt Bundesfinanzminister Scholz müsse für alle zünden; benachtei- zufolge allein der Bund die Steu- ligte Menschen sollten daher noch erausfälle. konsequenter mitgedacht werden. Entscheidend werde es Bauer zu- Eltern profitieren von Bonus und folge sein, dabei auch wirklich alle höheren Freibeträgen Personengruppen mitzunehmen. Familien erhalten einen Zuschuss Denn wo keine Kaufkraft ist, so von 300 Euro pro Kind. Dieser soll der SoVD-Präsident, verpuffe der in mehreren Raten über das Kin- „Wumms“ zur Knallerbse. dergeld ausgezahlt werden. Die- ser Bonus muss zwar versteuert werden, wird jedoch nicht auf So- zialleistungen angerechnet. Da- her profitieren vor allem Eltern mit geringem Einkommen von der Leistung. Im laufenden und im nächsten Jahr soll zudem der Steuerfreibetrag für Alleinerzie- hende von derzeit 1.908 Euro auf 4.008 Euro angehoben werden. Foto: JackF / Adobe Stock Ein staatlicher Zuschuss von 300 Euro pro Kind soll die durch Corona entstan- denen finanziellen Härten lindern.
32 Sozialpolitik Sozialpolitik 33 Initiative „Stärker als Gewalt“ des Bundesfrauenministeriums startet Posteraktion Zuhause nicht sicher? Die Corona-Krise schränkt das tägliche Leben stark ein. In die- ser schwierigen Situation steigt das Risiko der Zunahme häusli- cher Gewalt. Gleichzeitig wird es für Betroffene schwieriger, Hilfe in Anspruch zu nehmen. Auch Fa- milie, Freund*innen und Nachbar- schaft sind in dieser herausfor- dernden Zeit unsicher, an wen sie sich wenden können. Um Betroffe- nen zu helfen und das Umfeld zu sensibilisieren, hat die Initiative „Stärker als Gewalt“ die Poster- aktion „Zuhause nicht sicher?“ ins Leben gerufen. SoVD-Bundesfrauensprecherin Jutta König mit dem Plakat zur Aktion. Foto: thodonal / Adobe Stock Der SoVD hilft mit, die Aufklärungs- poster zur Kampagne gegen häusliche Gewalt zu verbreiten.
34 Sozialpolitik Sozialpolitik 35 In der Corona-Krise wird häusliche Als Kooperationspartner der Ak- Gewalt noch stärker zum Thema tion konnten große Supermarkt- als ohnehin schon. Bundesfrau- ketten gewonnen werden. Über ensprecherin Jutta König weiß: 26.000 Filialen verbreiten die „Geschlechtsspezifische Gewalt ist Informationen bundesweit, zum ein großes gesellschaftliches Pro- Beispiel durch den Aushang von blem, das uns alle angeht. Häus- Postern und den Abdruck auf Kas- liche Gewalt kann jede*n treffen. senbon-Rückseiten und Produk- Allerdings sind gerade Frauen und ten. Kinder davon überproportional oft Auch die Frauen im SoVD beteili- betroffen. Jede dritte Frau erfährt gen sich an der Aktion „Zuhause laut Statistik mindestens einmal nicht sicher?“. SoVD-Bundesfrau- im Leben Gewalt.“ ensprecherin Jutta König appel- Die Aktion „Zuhause nicht sicher?“ liert: „Jede*r kann mitmachen und will mit Plakaten auf bestehende das Poster aufhängen, zum Bei- Hilfsangebote aufmerksam ma- spiel im Hausflur, im eigenen Ge- chen. Die Posteraktion ist Teil der schäft, in Praxen. Verteilen Sie die Initiative „Stärker als Gewalt“ des Poster selbst oder leiten Sie die Bundesministeriums für Fami- Informationen in Ihrem Landes- lie, Senioren, Frauen und Jugend verband, Ihren Kreis- und / oder (BMFSFJ). Auf der Webseite zur Ortsverbänden weiter. Durch Ihre Aktion (siehe Infokasten) werden Unterstützung setzen auch Sie ein Informationen sowie Hilfs- und starkes Zeichen gegen häusliche Beratungsangebote vorgestellt – Gewalt!“ für Betroffene und Menschen, die helfen wollen. Foto: Ermolaev Alexandr / Adobe Stock In Krisenzeiten liegen die Nerven blank. Frauen werden noch häufiger als ohne- hin schon zu Opfern von Aggression.
36 Sozialpolitik Sozialpolitik 37 Info Das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ bietet kostenlose Bera- tung rund um die Uhr unter Tel.: 08000 / 116 016, anonym, barri- erefrei und in 17 Fremdsprachen. Auf der Internetseite: https:// staerker-als-gewalt.de/initiative/ poster-aktion-haeusliche-gewalt gibt es die Poster-Vorlage in verschiedenen Formaten und ein Infoblatt mit allem Wissenswer- ten rund um „Stärker als Gewalt“ direkt zum Download. Foto: Syda Productions / Adobe Stock Per Telefon können sich misshandel- te Frauen anonym beraten lassen und Schutzadressen erfragen.
38 Sozialpolitik Sozialpolitik 39 Corona-Krise legt Probleme im Gesundheitswesen offen – SoVD diskutiert über nötige Veränderungen Gesundheitssystem für morgen weiterdenken Diskutierten und beantworteten Fragen (von links): Prof. Felix Welti, Klaus Wicher und Fabian Müller-Zetzsche. Der SoVD Hamburg veranstaltete Ende Mai einen Online-Talk zum Thema „Pflege- und Krankenversicherung auf dem Prüf- stand: Wie sieht die Zukunft unseres Gesundheitssystems nach Corona aus?“. Landesvorsitzender Klaus Wicher diskutierte mit Fabian Müller-Zetzsche und Prof. Felix Welti. Auch ohne per- sönlichen Kontakt ergab sich eine lehrreiche Gesprächsrunde. Foto: Coolpicture / Adobe Stock Auch in Deutschland war das Gesund- heitssystem auf Corona schlecht vorbe- reitet. Nach der Krise ist die Chance für Reformen.
40 Sozialpolitik Sozialpolitik 41 Die Diskussion fand über das In- Corona-Krise zeigt Mängel im ternet statt, Interessierte konnten System auf sich anmelden, das Gespräch ver- Die Reaktion auf die Infektions- folgen und über den Chat eigene welle habe deutlich gemacht, Fragen einbringen Zu dem Ge- dass Personal und Sachmittel spräch verabredete sich der Ham- fehlten und die Testkapazitäten burger Landesvorsitzende Klaus anfangs nicht ausreichten. Außer- Wicher mit Fabian Müller-Zetz- dem habe es zu wenige Kapazitä- sche, dem Leiter der Abteilung ten für Notfälle gegeben. Das Sys- Sozialpolitik im SoVD-Bundesver- tem der Krankenhausfinanzierung band, und Felix Welti, Professor nach abgerechneten Leistungen für Sozial- und Gesundheitsrecht, sei für solche Notlagen nicht ge- Recht der Rehabilitation und Be- eignet. hinderung an der Uni Kassel. Das Infektionsschutzgesetz sieht Das Auftaktreferat übernahm Prof. vor, im März 2021 die Pandemie- Welti. Er wies darauf hin, dass das bekämpfung zu bilanzieren. Prof. deutsche Sozial- und Gesundheits- Welti ermutigte den SoVD, dann wesen in Krisen- und Katastro- eine bessere Ausstattung des Ge- phenfällen wesentlich weiterent- sundheitssystems anzumahnen. wickelt worden sei. Beispielhaft Daran anknüpfend bezeichnete nannte er die Cholera-Pandemie Fabian Müller-Zetzsche die Coro- 1892 in Hamburg. Diese habe na-Krise als „Brennglas“, das Aus- dafür gesorgt, die Wasserversor- wirkungen früherer politischer gung auszubauen und die Bedeu- Entscheidungen – wie die Priva- tung von öffentlicher Hygiene zu tisierung im Gesundheits- und begreifen. Auch heute lasse sich Pflegebereich – sichtbar mache. aus der Pandemie lernen. Eine wesentliche Lehre aus der Coro- na-Krise sei es, den öffentlichen Foto: W PRODUCTION / Adobe Stock Gesundheitsdienst zu stärken. Durch die Corona-Krise hat die Teleme- dizin als Konzept für die Zukunft noch einmal einen Schub bekommen.
42 Sozialpolitik Sozialpolitik 43 Ein streng nach Marktprinzipien geregeltes System, in dem nach Fallpauschalen abgerechnet wird und „blutige Entlassungen“ kurz nach Operationen zum Alltag ge- hören, komme in Krisenszenarien an seine Grenzen. So zeige sich in der Corona-Zeit auch, wie der Markt die Versorgungsstruktur bestimmt und nicht überall alle notwendigen medizinischen Leis- tungen bereitstehen. Ähnliches konstatierte er für die Pflege. Die Branche sei als Wachstumsmarkt für Investoren attraktiv. Dadurch würden Einrichtungen öfter mit wenig medizinischem Sachver- stand betrieben, aber eine hohe Rendite abwerfen. SoVD kann sich als Experte vor Ort einbringen Die aktuelle Situation habe auch noch einmal den Blick für die Pflege als dreifaches Armutsrisi- ko geschärft. Die Pflegekräfte, die Pflegebedürftigen sowie deren Angehörige müssten große Belas- tungen – nicht nur finanzieller Art Foto: WavebreakMediaMicro / Adobe Stock – stemmen. Wenn Profit im Vordergrund steht, wird Für den SoVD ist die Corona-Pan- gewöhnlich auf Kosten des Personals demie ein deutliches Signal, Ge- und der Patient*innen gespart.
44 Sozialpolitik Sozialpolitik 45 sundheit und Pflege nicht dem gen zu knapp bemessen seien und Markt zu überlassen, sondern die nicht für einen gesunden Lebens- staatliche Verantwortung zu stär- stil reichten. ken. Aber auch Kommunen und Eine Lehre aus der Corona-Krise Länder hätten teilweise unzurei- sei, dass die Abstimmung vor Ort chend geplant. besser werden müsse und die Ge- Die nötigen Reformen würden sundheitspolitik kommunal zu we- Geld kosten und hart umkämpft nig Gewicht habe. Hier könne sich sein, so Müller-Zetzsche. Er wün- auch der SoVD als Experte vor Ort sche sich eine gesellschaftliche einbringen, so Prof. Welti. Insge- Debatte über den Wert der Pflege. samt müsse der Gesundheits- und Daran werde sich auch der SoVD Pflegebereich eine Aufwertung mit seinen Konzepten zur Bürger- erfahren, speziell die Gesund- versicherung beteiligen. heitsämter müssten zudem als Durch die anschließende Diskus- Arbeitgeber attraktiver werden. sion führten Klaus Wicher und Su- Ein Umdenken in der Politik habe sanne Rahlf, Pressesprecherin des bereits begonnen. Der SoVD bear- SoVD Hamburg. beitet dieses Thema schon lange Prof. Welti wies darauf hin, dass und hat dazu Konzepte vorgelegt. die Gesellschaft zum Schutz von Die fruchtbare Diskussion im Digi- Risikogruppen auf biologische talen ist ein interessantes Modell, Voraussetzungen wie Alter oder auch für den zukünftigen Aus- Krankheit Rücksicht nehmen müs- tausch. Ein Mitschnitt des Talks se. Fabian Müller-Zetzsche merkte wird demnächst online veröffent- an, dass Grundsicherungsleistun- licht. Foto: Konstantin Yuganov / Adobe Stock Die Missstände im Pflegesektor beste- hen schon lange. Sie haben sich durch die Pandemie noch verschärft.
46 Service Service 47 Die Corona-Pandemie macht das Reisen in Deutschland in diesem Sommer komplizierter Wenn der Urlaub zur Herausforderung wird Die Planung des Sommerurlaubs warnung für Nicht-EU-Staaten bis kann für viele Menschen zur Ge- zum 31. August. Was liegt nun also duldsprobe werden, weil derzeit näher, als das eigene Land zu be- viele unterschiedliche Beschrän- reisen? kungen in den 16 Bundesländern Deutschland ist sehr facetten- gelten. Worauf müssen Verbrau- reich: Die Alpen im Süden, die cher*innen jetzt achten? Was sind waldreichen Mittelgebirge sowie die Trends für den diesjährigen die Küstenlandschaften an Ost- Sommer? Ein kleiner Überblick und Nordsee laden zum Verweilen zwischen „Balkonien“, Bayern und ein. Derzeit sind Reisen mit dem Borkum. Wohnmobil sehr beliebt, weil die Camper den nötigen Abstand zum Mitmenschen garantieren und zudem ausreichend Platz bieten. Wenngleich für viele „Balkonien“ Bei steigenden Temperaturen ist die einzige Alternative in diesem es vielerorts wieder zu beobach- Sommer darstellt, gibt es dennoch ten – das Fernweh, das die innere interessante Ziele vor der Haustür, Reiselust beflügelt und zum spon- die man auch barrierefrei errei- tanen Nachdenken anregt: „Wo verbringe ich dieses Jahr meinen Sommerurlaub?“. In der gegen- wärtigen Pandemie ist das Planen Foto: Tropical studio / Adobe Stock Urlaubsreisen sind derzeit mit vielen Be- von Fernreisen allerdings schwie- schränkungen verbunden. Reisende soll- rig. Es gilt eine allgemeine Reise- ten sich deshalb vorab informieren.
48 Service Service 49 chen kann. Reisende sollten sich tourist*innen sollten zudem die Hotels, Pensionen, Campingplät- wieder Busreisen. Allerdings gel- jedoch vorab informieren, wel- Zugangsbestimmungen der Kom- ze und Ferienhäuser sind in der ten auch hier die jeweiligen Hygie- che Bestimmungen im jeweiligen munen an Nord- und Ostsee ken- Regel überall in Deutschland ge- neauflagen. In Schleswig-Holstein Bundesland gelten. nen. Behörden können beliebte öffnet. Für Cafés, Kneipen und dürfen Ausflugsschiffe wieder ab- Urlaubsorte nämlich bei Überfül- Restaurants gelten jedoch Aufla- legen und Strandkorbvermieter Bundesländer bestimmen lung kurzfristig schließen. So be- gen. Beispielsweise müssen sich Tourist*innen empfangen. Auch Coronaregeln selbst steht bei Redaktionsschluss etwa Besucher*innen beim Betreten für die Freizeitgestaltung und Bei Reisen innerhalb der Bundes- in Mecklenburg-Vorpommern ein der Gastronomiebetriebe häufig Ausflüge in die Natur gelten un- republik gelten Kontaktbeschrän- Einreiseverbot für Menschen aus in Listen eintragen. Bayern, Nord- terschiedliche Bestimmungen, die kungen und Abstandsregeln von Gebieten mit einer hohen Zahl an rhein-Westfalen, Hamburg und von Bundesland zu Bundesland mindestens 1,5 Metern. Tages- Neuinfektionen. das Saarland erlauben inzwischen abweichen können. Foto: ArTo / Adobe Stock In diesem Jahr entscheiden sich viele Menschen für Urlaub auf „Balkonien“.
50 Service Service 51 Bei Reisebuchung auf Angaben achten Reiseinteressierte, die jetzt in der Corona-Krise eine Reise buchen möchten, sollten zudem vorab das Angebot des Reiseveranstalters genau studieren. Falls es bereits im Spätsommer zu einer zweiten Infektionswelle kommen sollte, können Verbraucher*innen in der Regel von der gebuchten Reise kostenfrei zurücktreten. Treten am Urlaubsort selbst wieder massiv Neuinfektionen auf und kommt es zu entsprechenden Einschränkun- gen, können Reisende wegen der außergewöhnlichen Umstände den unterschriebenen Vertrag mit dem Reiseveranstalter lösen und ihr Geld zurückverlangen. Aller- dings gelten auch hier Beschrän- kungen. Teilt etwa der Reisever- anstalter bereits bei der Buchung mit, mit welchen Einschränkun- gen im gebuchten Hotel gerech- net werden kann, ist die damit verbundene Reiseeinschränkung nicht notwendigerweise ein Rei- semangel. Foto: STEKLO_KRD / Adobe Stock Urlaubsfotos sehen seit Corona anders aus als in den Jahren davor.
52 Vermischtes Vermischtes 53 Beim Verein „querstadtein“ erhalten Kinder und Jugendliche ungewohnte Einblicke Obdachlose zeigen „ihre“ Stadt Die Stadtführungen des Vereins „querstadtein“ bieten eine unge- wohnte Perspektive: Menschen, die früher selbst obdachlos waren, berichten von ihrem Leben auf der Straße. Für diese tolle Idee gab es im vergangenen Jahr völlig zu Recht den Deutschen Engage- mentpreis. Foto: Anna Rozkosny / querstadtein e. V. Dieter Bichler (Mi.) kam 2012 von Thü- ringen nach Berlin. Auf seiner Tour er- zählt er Schülerinnen und Schülern von seinen täglichen Streifzügen mit ande- ren Obdachlosen durch die Hauptstadt.
54 Vermischtes Vermischtes 55 In größeren Städten gehören ob- Dies macht sich der Verein dachlose Menschen längst zum „querstadtein“ zunutze. Bei den an- Alltag. Vom arbeitenden und woh- gebotenen Stadtführungen geht nenden Teil der Bevölkerung wer- es um individuelle Perspektiven. den sie oftmals kaum wahrgenom- Menschen, über die sonst viel und men. Genau das aber ist ein Fehler. gerne geredet wird, ergreifen hier Denn Obdachlose haben ihren selbst das Wort. Sie laden ein zu ganz eigenen Blick auf die Stadt, einem Dialog, bei dem es neben deren Straßen, Parks und Bahnhö- spannenden Geschichten auch ei- fe zu ihren Lebensmittelpunkten niges zu lernen gibt. gehören. Das Leben auf der Straße Das gilt vielleicht besonders für hat seine eigenen Regeln: Alles ist die Führungen, die speziell für öffentlich, nichts ist privat. Schulklassen angeboten werden. Dabei wollen die Kinder und Ju- gendlichen unter anderem wissen, wie man sich nachts bei Minus- graden warm hält oder wie es sich anfühlt, als Obdachloser überse- hen oder ausgegrenzt zu werden. Andere Stadtführungen von „querstadtein“ widmen sich dem Thema Migration. Sie werden von Menschen geleitet, die über ei- gene Erfahrungen berichten und fremden Zuschreibungen ihre Er- zählungen entgegensetzen. Foto: querstadtein e. V. Klaus lebte neun Jahre auf der Straße und vom Flaschensammeln. Auf seiner Tour erklärt er, wo er geschlafen und wie er überlebt hat..
56 Unterhaltung Mit spitzer Feder Aus der Arbeitswelt Impressum Das Online-Magazin erscheint monatlich in Ergänzung zur Mitglie- derzeitung „Soziales im Blick“. Gelesen werden kann es online un- ter www.sovd.de sowie (mit Zusatzfunktionen) über die App „SoVD Maga- zin“. Herausgeber ist der Sozialverband Deutschland e. V. (SoVD), Stralauer Straße 63, 10179 Berlin, E-Mail: redaktion@sovd.de, Telefon: 030 / 72 62 22 – 0. Redaktion: Veronica Sina (verantwortlich), Joachim Baars, Brigitte Grahl, Sebastian Triesch, Denny Brückner, Eva Lebenheim.
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