Managementstrategien für die FFH-Tagfalterart Moor-Wiesenvögelchen in Bayern - Teil II: Stützungsmaßnahmen und Wiederansiedelung
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Artenschutz Abbildung 1 Das europaweit bedrohte Moor-Wiesenvögelchen hat in Deutsch- land nur noch ein Vorkommen. Daher wurde ein mehrjähriges Forschungsprojekt durchgeführt, um dieses durch gezielte Maßnahmen zu stützen und die Basis für Wiederansiedelungsversuche zu liefern (alle Fotos: Markus Bräu). Markus Bräu, Robert Völkl und Christian Stettmer Managementstrategien für die FFH-Tagfalterart Moor-Wiesenvögelchen in Bayern – Teil II: Stützungsmaßnahmen und Wiederansiedelung Das Moor-Wiesenvögelchen (Coenonympha oedippus) gehört zu den am stärksten bedrohten Tagfalter arten Europas. Bayern beherbergt das letzte deutsche Vorkommen der Art. Seit seiner Wiederentde ckung im Jahre 1996 wurden verschiedenste Maßnahmen ergriffen, um die Habitate wiederherzustellen beziehungsweise zu vergrößern und das ursprünglich individuenschwache und verwundbare Vorkom men zu stabilisieren. Das begleitende Monitoring zeigte zunächst jedoch keinen ausreichenden Erfolg. Erst die Umsetzung der in einem Forschungsprojekt der Bayerischen Akademie für Naturschutz und Landschaftspflege (ANL) gewonnenen Erkenntnisse führten zu einer Stabilisierung und Vergrößerung der Population: Mehrere geeignete Wiesenbereiche mit reichem Vorkommen der dort essenziellen Wirtspflanze (Hirse-Segge/Carex panicea) wurden wegen der Empfindlichkeit gegenüber Mahd fortan davon ausgenommen. Dadurch wurde eine Streuanreicherung begünstigt und die Entwicklung einer heterogenen Vegetationsstruktur ermöglicht. Beide Faktoren hatten sich als substanziell für diese Art erwiesen. Auf Flächen mit hohem Schilfdruck wirkte sich hohe Mahd während der Flugzeit positiv aus, da sie die Schilfdichte reduzierte, ohne die Entwicklung der Präimaginalstadien zu gefährden. Ein großer Erfolg des Projekts ist die effiziente Ex Situ-Zucht mit ihrem hohen Output an Individuen. Mit diesen Zuchttieren konnte die nach mehreren Anläufen geglückte Wiederbegründung einer Po- pulation in einem ehemaligen Vorkommensgebiet erreicht werden. ANLIEGEN NATUR 40(1), 2018 5
M. Bräu et al.: Managementstrategien für die Tagfalterart Artenschutz Moor-Wiesenvögelchen in Bayern – Teil II 1. Einleitung 2. Stützung des bestehenden Das Moor-Wiesenvögelchen hat in Bayern bezie- Vorkommens hungsweise Deutschland nur in einem Gebiet 2.1_ Ausgangssituation und Habitatpflege überlebt. Aus Gründen des Schutzes vor mögli Das Vorkommen verteilte sich zum Zeitpunkt sei- chen Sammelaktivitäten können keine genaueren ner Wiederentdeckung auf drei nah beieinander- Ortsangaben gemacht werden. liegende Habitatflächen geringer Größe. Sie wer- Coenonympha oedippus ist nicht nur die seltenste den im Folgenden als HA, HB und HC bezeichnet. Tagfalterart Deutschlands, sondern auch europa- Die mit zirka 0,27 ha kleinste Fläche ist HA. weit gefährdet (van Swaay et al. 2010). Sie wurde Die höher gelegenen Teile des kleinreliefierten daher in die Anhänge II und IV der Fauna-Flora- ehemaligen Torfstichs zeigen eine starke Tendenz Habitat-Richtlinie (92/43/EEC, European Commu- zur Verbuschung. Zur Offenhaltung waren Entbu- nities 1992) aufgenommen. Für das einzige ver- schungsaktionen notwendig, die aber stets nur bliebene deutsche Vorkommen wird seit dessen auf Teilflächen nach Bedarf erfolgten. Wiederentdeckung im Jahre 1996 im Auftrag der Regierung von Oberbayern die Bestandsgröße Auf den ursprünglich bereits besiedelten Berei regelmäßig erhoben. Isolierte und kleine Popula- chen der Habitatflächen HB und HC des Vorkom- tionen wie die von C. oedippus unterliegen schon mens wurden bis heute keinerlei Maßnahmen alleine durch natürliche Einflüsse wie Witterungs- durchgeführt, da die hier vorhandene Streufilz extreme (wie zum Beispiel Hagelschlag) prinzi decke stärkere Verbuschung weitgehend verhin- piell einem hohen Aussterberisiko. Deshalb sind dert und seit 1996 keine wesentliche Veränderung aktive Schutzmaßnahmen für diese Art dringend erkennbar ist. nötig. Die Fläche HB umfasst zirka 0,49 ha und ist im In diesem Beitrag stellen wir vor, wie die in einem Südteil nur locker mit Büschen durchsetzt, wäh- Forschungsprojekt gewonnenen Erkenntnisse zur rend zirka ein Drittel der Fläche im Norden stärker Ökologie des Moor-Wiesenvögelchens (Bräu et al. verbuscht ist. Da dieser Bereich im Frühjahr regel- 2016) zur Stützung des anfangs individuenschwa- mäßig überstaut wird, ist er als Habitat von unter- Abbildung 2 Typischer chen Vorkommens erfolgreich genutzt wurden. geordneter Bedeutung und es wurde auch dort Habitatausschnitt (Flä- Weiterhin berichten wir über die Versuche zur auf Entbuschungsmaßnahmen verzichtet. che HB) mit teils abge- Wiederansiedelung der Art in weiteren Gebieten. Die Habitatfläche HC ist mit 0,42 ha ähnlich groß storbenen Büschen zur wie HB, jedoch vor allem im Ostteil deutlich tro- Flugzeit. ckener und am Rand dichter verschilft. 2.2 Erweiterung der Habitate Bereits unmittelbar nach der Wiederentdeckung der Art wurden erste Maßnahmen zur Habitat erweiterung eingeleitet. Gemäß dem Habitatma- nagementkonzept von Bräu & Schwibinger (1998) wurden verbuschte Bereiche im direkten Zusam- menhang zu den besiedelten Flächen durch Gehölzentnahme geöffnet (Erweiterungsbereiche der Haupthabitatflächen). Neophyten wie Goldrute und Indisches Springkraut wurden in den Folge- jahren durch selektive zweimalige Mahd bekämpft. In einem durch Düngung degradierten Streifen am Westrand der Fläche HB erfolgte eine jährliche Herbstmahd zur Aushagerung. Weiterhin wurden drei in geringer Entfernung zu den Habitaten liegende verbuschte Streuwiesen- relikte entbuscht und einer jährlichen Mahd un- terzogen. Eine Zuwanderung zu diesen sollte durch die Schaffung von Lücken in den dazwi- schenliegenden, geschlossenen Gebüschriegeln ermöglicht werden. Zwischen HB und HC befand sich eine Brachfläche mit reichem Vorkommen von Hirse-Segge, die zur Aushagerung und 6 ANLIEGEN NATUR 40(1), 2018
M. Bräu et al.: Managementstrategien für die Tagfalterart Moor-Wiesenvögelchen in Bayern – Teil II Artenschutz Schilfrückdrängung zweischürig gemäht wurde. auf als unbehandelte Flächen. Hinzu kommt, dass Zwei weitere, zwischen den Habitaten liegende durch die Schilfmahd während der Flugperiode Feuchtgrünlandparzellen, wurden extensiviert. auch die Altschilfhalme entfernt werden und die Falter, wie im Zuge des Monitorings zu beobach- Nachdem erste wichtige Ergebnisse des Forschungs ten, ungehindert und bereitwillig in die Mahdver- projektes zu den Ansprüchen von C. oedippus vor- suchsflächen einfliegen. lagen (Bräu et al. 2010), wurden gezielt Teilbereiche der potenziellen Habitate mit nur mäßiger Verschil 2.4_ Monitoring fung brachgelegt. So sollten sich eine heterogene Bereits 1997 wurde im Auftrag der Regierung von Struktur der Krautschicht und eine Streuschicht als Oberbayern mit Monitoring-Untersuchungen zur wesentliche Elemente der Entwicklungshabitate Überwachung der Bestandsentwicklung und des des Moor-Wiesenvögelchen entwickeln (Bräu et al. Erfolges ergriffener Maßnahmen und Habitat 2016). Da die Raupen lange aktiv bleiben, können erweiterungen begonnen. Seither wurden min- auch bei einer Mahd im Herbst Verluste auftreten. destens dreimal jährlich entlang von Schleifen- Je nach Bedarf werden die Habitaterweiterungs- transekten alle Falter gezählt. Durch die mehrfache flächen daher rotierend beziehungsweise in mehr Begehung sollte versucht werden, das jeweilige jährigen Intervallen gemäht. Flugmaximum möglichst gut zu treffen, um maxi- male Vergleichbarkeit zu erzielen. 2.3_ Mahdversuche In Teilbereichen der potenziellen Habitate mit 2.5_ Erfolg der Habitatpflege starker Verschilfungstendenz musste ein anderer und -erweiterung/ Weg gefunden werden, da zu dichtes Schilf eine Populationsentwicklung Besiedelung verhindert. Dazu wurden seit 2009 Im Entdeckungsjahr 1996 wurden maximal 39 versuchsweise Flächen mit verschiedenen Mahd- Falter gezählt. 1999 waren es sogar nur zwischen varianten eingerichtet und wissenschaftlich be- 20 und 29 Falter. Die Populationsentwicklung gleitet. zeigte zunächst bei mehr oder weniger starken Um die Dichte des Schilfes zu reduzieren, wurde Schwankungen nur einen mäßigen Positivtrend. es nach der von Marschalek et al. (2008) beschrie Niedrige Falterzahlen können durch Starkregen benen Methode zur Flugzeit Ende Juni/Anfang oder anhaltende Schlechtwetterphasen in der Juli kniehoch gemäht. Durch den hohen Schnitt kritischen Zeit des Falterschlupfs (zum Beispiel in (zirka 30–40 cm über Flur) mit einem Freischnei- den Jahren 2004, 2011 und 2015) erklärt werden. der mit Messerblatt wird die Fläche für eiablage- Während dieser Phasen zieht sich die Flugzeit willige Weibchen besser zugänglich. Zugleich auseinander: Die zuerst schlüpfenden Männchen können durch den hohen Schnitt eventuell be- sterben bereits wieder ab, bevor der Großteil der reits abgelegte Eier, die meist in 20–30 cm Höhe Weibchen geschlüpft ist. Damit ist es methodisch an Pflanzen geheftet werden, weitgehend ge- schwierig, die maximale Anzahl der Falter zu er- schont werden. mitteln. Negativen Einfluss dürften in einigen Fäl- len auch ungünstige Witterungsverhältnisse im Zwischen den Haupthabitatflächen HB und HC Frühjahr sowie eine längere Schlechtwetter sowie in den zuvor durch jährliche Mahd rückent- periode zur Eiablagezeit im Jahr davor genommen wickelten Streifen westlich HB und östlich HC haben. wurden jeweils eine Parzelle mit Sommermahd zur Flugzeit sowie eine angrenzende Referenz- Langanhaltende, warm-sonnige Witterung wie parzelle ohne Mahd eingerichtet. Im erstgenann- 2003 und von 2005 bis 2007 führten dagegen zu ten Bereich wurde eine zusätzliche Parzelle ein deutlich höheren Falterzahlen. zweites Mal im Herbst gemäht, um zu testen, ob Erst nachdem sich durch die auf Basis der For diese zusätzlich durchgeführte, kniehohe Mahd schungsergebnisse seit 2009 eingeleiteten Maß- das Schilf noch effektiver zurückdrängt. nahmen der Brachlegung und hohen Schilfmahd Die Untersuchungen sind noch nicht abgeschlos- auf zusätzlichen Flächen geeignete Habitate ent- sen, ihre Ergebnisse in Bezug auf die Schilfschwä- wickelten, stellte sich ein durchschlagender Erfolg chung sollen daher gegebenenfalls an anderer ein. Auch 2015 lag trotz schlechter Witterungsver- Stelle ausführlicher präsentiert werden. Es zeigt hältnisse das Zählergebnis noch auf dem Niveau sich jedoch bereits, dass durch eine Sommer- früherer Spitzenwerte. mahd die Schilfdichte wirksam reduziert werden Die Zunahme zeigt deutlich den Erfolg der Maß- kann. Gemähte Probeflächen wiesen eine ge nahmen, zumal schon seit 2011 stets Individuen ringere Halmdichte und Wuchshöhe des Schilfs von C. oedippus in den ab 2009 zusätzlich entwi- ANLIEGEN NATUR 40(1), 2018 7
M. Bräu et al.: Managementstrategien für die Tagfalterart Artenschutz Moor-Wiesenvögelchen in Bayern – Teil II Abbildung 3 Entwick- lung der Falterzahlen während des 21-jährigen Monitoringzeitraums. Der Wert für das Gesamt gebiet enthält zusätzlich die außerhalb der drei Haupthabitatflächen (HA, HB, HC) gesichteten Indi- viduen. ckelten potenziellen Habitaten (Mahdversuchsflä- sammen mit den bereits zu Anfang entbuschten chen und brachgelegte Flächen) beobachtet Erweiterungsbereichen der Haupthabitatflächen wurden. In den Jahren 2016 und 2017 waren es (in Abbildung 3 nicht separat bilanziert), die Ge- dann sogar 43 beziehungsweise 51 Falter, die auf samtpopulation ganz wesentlich. Flächen außerhalb der drei Haupthabitatbereiche Abbildung 4 flogen. Darunter auch frische, sehr wahrscheinlich 3. Wiederansiedelungsversuche Stäbchen mit daran be- dort geschlüpfte Falter. Diese stützen damit, zu- 3.1_ Suche nach festigter, gut getarnter Wiederansiedelungsgebieten und Puppe. Ausbringung von Zuchttieren Trotz der erfolgreichen Stabilisierung der ursprüng lichen Population schien es zur Risikostreuung sehr wichtig, weitere Vorkommen zu begründen. 2009 wurde daher mit der Recherche nach po- tenziellen Wiederansiedelungsgebieten (mit his torisch belegten Vorkommen) begonnen. Es wurden Feuchtgebiete gesucht, in denen mög lichst großflächig beziehungsweise auf eng be- nachbarten Teilflächen eine hohe Dichte winter- grüner Raupennahrungspflanzen als Grundvoraus setzung vorhanden war. Weitere Aspekte waren Windschutz (um Verluste durch Verdriften oder Abwanderung zu minimieren), geringe Verschil- fungstendenz und die Möglichkeit, durch Mahd- verzicht den Aufbau der notwendigen Streuschicht zu ermöglichen. Potenziell geeignete Flächen wurden nur in zwei von fünf Zielgebieten gefunden, in denen teils zahlreiche Einzelflächen begutachtet wurden. Da der Versuch der Ansiedelung in einem Gebiet fehlschlug (wohl auch aufgrund hoher Präda- torendichte) wurden hier keine weiteren Bemü- hungen zur Wiederansiedelung durchgeführt. Zur Ausbringung wurden in Ex Situ-Freilandzuch- ten (detaillierte Beschreibung siehe Bräu et al. 2016) Tiere in größerer Menge herangezogen (ver gleiche Tabelle 1). Stängel oder Grasblätter mit 8 ANLIEGEN NATUR 40(1), 2018
M. Bräu et al.: Managementstrategien für die Tagfalterart Moor-Wiesenvögelchen in Bayern – Teil II Artenschutz Abbildungen 5 und 6 Es wurden Flugkäfige angehefteten Puppen aus der Zucht wurden mit schon im Herkunftsgebiet Eiablageverhalten errichtet, um die Eier dünnem, plastikummanteltem Draht an hölzernen und sollten den restlichen Eivorrat im Zielge- legenden Weibchen Grillstäbchen befestigt. Diese wurden in geeig- biet ablegen. 2014 und 2017 wurden auch gezielt in optimal ge große Raupen ausgebracht (sowie einzelne in eigneten Teilen der Flä neten Flächen gut verborgen und in geschützter der Zucht bereits geschlüpfte Männchen), um che zu konze ntrieren. Position in Grashorste gesteckt. eine stärkere Ortsbindung zu erreichen. 2011 zeigte sich, dass Flugkäfige als Methode zur Ausbringung am besten geeignet sind, um die 3.2_ Ergebnis der Geschlechterfindung und Paarung zu erhöhen Wiederansiedelungsversuche und Diskussion und die Weibchen zur Eiablage in besonders güns tige Teilbereiche der Flächen zu bringen. Die Flug Beim ersten Wiederansiedelungsversuch 2010 schlüpfte ein großer Teil der insgesamt 57 ausge- käfige aus feiner Gaze wurden bodenschlüssig brachten Puppen (Bräu & Völkl 2010). Bei einer über vertäute Pfosten gespannt. Kontrolle wurden später 11 Falter gefunden, davon Zusätzlich wurden 2013 zwei Weibchen in das Wie 4 Weibchen. Im Folgejahr konnten aber keine deransiedelungsgebiet transferiert. Diese zeigten Falter von C. oedippus mehr gefunden werden. Jahr Gebiet Ausgebracht Methode Maximale Anzahl Falter Tabelle 1 Übersicht (Nachkommen) über Wiederansiede- 2010 Zielgebiet 1 57 Puppen Freie Ausbringung lungsversuche und deren Ergebnisse. 2011 Zielgebiet 1 41 Puppen Flugkäfige (20 Puppen) 0 Freie Ausbringung (21 Puppen) 2012 Zielgebiet 1 15 Puppen Flugkäfige 11 Zielgebiet 2 65 Puppen 0 2013 Zielgebiet 1 2 Weibchen Freie Ausbringung 1 2014 Zielgebiet 1 20 Raupen Flugkäfige 2 69 Puppen 3 Falter 2015 Zielgebiet 1 keine 9 2016 Zielgebiet 1 keine 25 2017 Zielgebiet 1 30 Raupen Flugkäfige 35 67 Puppen 1 Falter ANLIEGEN NATUR 40(1), 2018 9
M. Bräu et al.: Managementstrategien für die Tagfalterart Artenschutz Moor-Wiesenvögelchen in Bayern – Teil II Vorkommen war begründet und damit die Wie- dereinbürgerung von C. oedippus im Zielgebiet geglückt! Um die nun zweite bundesdeutsche Population zu stützen und genetisch zu stabilisieren, wurde 2016 die Zucht wiederaufgenommen. Aus den Eiern von zwei, dem Ursprungsgebiet entnomme nen Weibchen konnten 97 Puppen und Raupen gezüchtet werden. Diese sowie ein bereits ge- schlüpfter Falter wurden in insgesamt drei Flug käfigen ausgebracht. Ein weiteres Monitoring der Entwicklung ist geplant. 4. Fazit und Ausblick Die besondere naturschutzfachliche Priorität und Schutzverantwortung erfordert besondere Bemü- hungen um den Erhalt der Art. Das hier vorgestellte ANL-Forschungsprojekt legte die Grundlage für die erfolgreiche Stützung des letzten deutschen Vorkommens des Moor-Wiesen vögelchens. Weitere Habitaterweiterungen gestal ten sich jedoch schwierig, da die meisten Flächen Abbildung 7 Erfolg! im Umfeld zu trocken sind und vielfach irreversi- Jungraupe von C. oedip bel verändert wurden. Wo die hydrologischen pus an Davall-Segge (Ca Die nachfolgende Ausbringung 2011 mit geänder Verhältnisse die Wiederherstellung geeigneter rex davalliana) im Wie- ter Methode in einem Flugkäfig war erfolgreich: Vegetation erlauben, sind lange Zeiträume der deransiedelungsgebiet. Nach dem Abbau des Flugkäfigs konnte vor der Aushagerung erforderlich. Durch Mahd mit aus- Überwinterung eine Jungraupe an der wie C. pa reichend hohem Schnitthorizont können aber nicea wintergrünen Davall-Segge (Carex davallia Bereiche mit starker Verschilfungstendenz wieder na) fressend gefunden werden (siehe Abbildung 7). für C. oedippus nutzbar gemacht werden. Weitere Kontrollen Anfang April nach der Über- Inwieweit damit ausreichend stabile Vegetations- winterung und Mitte Mai vor der Verpuppungs- bestände geschaffen werden können, die struktu- phase erbrachten ebenfalls Raupenfunde. rell und hinsichtlich der Artenkomposition eine Zur Flugperiode 2012 wurden insgesamt 11 Falter Habitateignung für das Moor-Wiesenvögelchen von C. oedippus gefunden, die im Wiederansiede besitzen, bedarf weiterer Beobachtung. lungsgebiet ihre gesamte Entwicklung durchlaufen Ein bedeutender Schritt für die langfristige Si- hatten. cherung von C. oedippus war die nach einigen 2013 dann ein Rückschlag. Es konnte nur ein ein- Anläufen erfolgreiche Wiederbegründung einer ziger Falter beobachtet werden. Deshalb wurden Population. Dadurch ergibt sich eine wichtige zwei weibliche Falter als potenzielle „Kolonisato Risikostreuung. Ein Problem sind möglicherweise ren“ freigesetzt. 2014 konnten jedoch auch nur die nicht ganz optimalen (weil zu trockenen) zwei Falter gefunden werden, die sich offenbar Lebensraumbedingungen im Wiederansiede- aus deren Eiern entwickelt hatten. lungsgebiet, die sich im gleichzeitigen Vorkom- men des weniger feuchtigkeitsliebenden Schorn- Im selben Jahr wurden dann alle Kräfte gebündelt, steinfegers (Aphantopus hyperantus) zeigen (im um mit einer möglichst großen Zahl von Zucht- Unterschied zum ursprünglichen Vorkommen). tieren im Folgejahr ausreichende Falterdichten für Es besteht derzeit jedoch große Hoffnung, dass Partnerfindung und Paarung zu erzielen. 69 Pup- eine dauerhafte Etablierung gelingt. pen, 20 Raupen und zwei bereits geschlüpfte Fal- ter wurden in vier Flugkäfigen ausgebracht. Damit Für die Wiederansiedelungserfolge von Tagfaltern gelang der Durchbruch: Während der Flugzeit liegen sehr unterschiedliche Erfahrungen vor. 2015 wurden im Maximum immerhin neun Falter Beispiele für erfolgreiche Wiedereinbürgerungs- gefunden. 2016 waren es ohne weitere Freisetzung projekte betreffen etwa den Thymian-Ameisen- im Vorjahr 25 Falter, die gezählt werden konnten bläuling (Phengaris arion) in England (Thomas 1995) und im Jahr 2017 sogar 35. Ein selbsterhaltendes sowie den Hellen und Dunklen Wiesenknopf- 10 ANLIEGEN NATUR 40(1), 2018
M. Bräu et al.: Managementstrategien für die Tagfalterart Moor-Wiesenvögelchen in Bayern – Teil II Artenschutz Ameisenbläuling (P. teleius beziehungsweise Ebenso danken wir der für das Wiedereinbürgerungs P. nausithous) in den Niederlanden (Wynhoff 2001). gebiet zuständigen unteren Naturschutzbehörde für Die Wiederansiedelungen des Apollofalters (Par die stete Bereitschaft zur Kooperation. nasius apollo) in Tschechien (Kudrna et al. 1994) Ohne die finanzielle Unterstützung durch die Baye- sowie des Hochmoorgelblings (Colias palaeno) in rische Akademie für Naturschutz und Landschafts- der hessischen Rhön (Kudrna 1992) scheiterten pflege (ANL) und die Regierung von Oberbayern wä- dagegen. Gemischt ist bislang auch die Bilanz der ren Forschung und Monitoring nie möglich gewesen. Wiederansiedelungsversuche von Tagfalterarten im Besonderer Dank gebührt den Vertretern dieser In stitutionen, Herrn Dieter Pasch sowie Herrn Roland Bundesland Brandenburg. Beim Abbiss-Schecken- Weid und Frau Stefanie Federl. Der Regierung von falter (Euphydryas aurinia) sind nach Kretschmer et Oberbayern sei auch für die unkomplizierte Erteilung al. (2016) zehn Jahre nach der Erstansiedelung zwei der erforderlichen Genehmigungen für die Entnahme stabile Populationen vorhanden, zwei Versuche von Faltern beziehungsweise die Ausbringung von blieben von vorneherein erfolglos. In drei der sie- Individuen bei den Wiederansiedelungsversuchen ben Gebiete hielten sich die wieder angesiedelten gedankt. Vorkommen fünf bis sechs Jahre, dann gelang aber Dr. Matthias Dolek übernahm dankenswerterweise die kein Nachweis mehr. Vom Hellen Wiesenknopf- kritische Durchsicht des Manuskripts. Ameisenbläuling gibt es laut Kretschmer nach sechs Jahren eine stabile Population (URL 1). Literatur Generell stellt sich immer die Frage nach der lang Bräu, M. & Schwibinger, M. (1998): Habitatmanage- fristigen Überlebensfähigkeit von neu gegründe- mentkonzept – Ergebnisse 1997 und 1998 – Unver- ten Populationen. öffentl. Gutachten des Büros ifuplan i. A. der Regie Oates & Warren (1990) zeigten für Großbritannien, rung von Oberbayern: 40 S. dass dort die meisten neu begründeten Populati- Bräu, M. & Völkl, R. (2010): Wiedereinbürgerungsver- onen verschiedener Tagfalterarten innerhalb von such des Verschollenen Wiesenvögelchens (Coeno fünf Jahren wieder erloschen sind. Wiederansie- nympha oedippus). – Unveröffentl. Gutachten des delungsversuche sind nur dann erfolgreich, wenn Büros für ökologische Gutachten Dipl.-Ing. Markus sämtliche Habitatanforderungen auf ausreichen Bräu i. A. der Regierung von Oberbayern: 12 S. der Fläche erfüllt sind. Beim extrem spezialisierten Bräu, M., Dolek, M. & Stettmer, C. (2010): Habitat re Moor-Wiesenvögelchen kommt erschwerend quirements, larval development and food prefe- hinzu, dass die Eiablage relativ unselektiv auch in rences of the German population of the False Ring- Bereichen erfolgt, in denen eine erfolgreiche Ent- let Coenonympha oedippus (Fabricius, 1787) (Lepi- wicklung nicht möglich ist. Ob für die besonders doptera: Nymphalidae). – Research on the ecologi- standortkonservative Art C. oedippus noch weite cal needs to develop management tools, Oedippus 26: 41–51. re Gebiete für Wiederansiedelungsversuche ge- eignet sind, ist fraglich. Das im Rahmen des Pro- Bräu, M., Völkl, R. & Stettmer, C. (2016): Forschung zur jekts gewonnene „Know-how“ zur Zucht von Entwicklung von Managementstrategien für die C. oedippus kann aber auch weiterhin zur Bestands FFH-Tagfalterart Moor-Wiesenvögelchen (Coeno stützung der rezenten Populationen bei extre- nympha oedippus) in Bayern – Teil I – Forschungsre- sultate zur Ökologie. – ANLiegen Natur 38/1; men stochastischen Ereignissen genutzt werden. www.anl.bayern.de/publikationen/anliegen/doc/ Die entwickelten Methoden zur Zucht und Aus- an38107braeu_et_al_2016_moorwiesenvoegel bringung machen es darüber hinaus möglich, chen.pdf. weitere Wiederansiedelungsversuche zu unter- nehmen, sollten geeignete Gebiete gefunden Kretschmer, H., Salpeter, H. & Gelbrecht, J. (2016): Ergebnisse zur Wiederansiedelung des Goldenen werden. Scheckenfalters (Euphydryas aurinia Rottemburg, 1775) in Brandenburg – eine Bilanz nach zehn Jah- Danksagung ren. – Märkische Ent. Nachr. 17(2): 219–238. Für die Umsetzung von Pflegemaßnahmen im ur- Kudrna, O. (1992): Ein Plan für die Wiederherstellung sprünglichen Vorkommensgebiet sei den zuständi- der Rhopalozönose des NSG Rotes Moor in der gen Mitarbeitern der lokalen unteren Naturschutz hessischen Rhön. – oedippus 5: 1–32. behörde herzlich gedankt, sie hatten stets ein offenes Ohr für Modifikationen und spezielle Wünsche. Kudrna, O., Lukasek, J. & Slavik, B. (1994): Zur erfolg- Sie nehmen sich alljährlich Zeit für Absprachen vor reichen Wiederansiedelung von Parnassius apollo Ort und setzen diese um. (Linnaeus, 1758) in Tschechien – oedippus 9: 1–37. ANLIEGEN NATUR 40(1), 2018 11
M. Bräu et al.: Managementstrategien für die Tagfalterart Artenschutz Moor-Wiesenvögelchen in Bayern – Teil II Marschalek, H., Neugebauer, K. & Sturm, P. (2008): Thomas, J. A. (1995): The ecology and conservation of Schilffrühmahd als Pflegemaßnahme zur Wieder- Maculinea arion and other European species of lar- herstellung verbrachter Streuwiesen. – Natur und ge blue butterfly. – In: Pullin, A. S. (ed.): Ecology Landschaft 83(6): 273–279. and Conservation of Butterflies, London, UK, Chap- man & Hall: 180–197. Oates, M. R. & Warren, M. S. (1990): A review of butter- fly introductions in Britain an Ireland. – Report of URL 1: www.orion-berlin.de/verein/protokolle/ the Joint Committee for the Conservation of British 130611.htm, Protokoll der gemeinsamen Versamm- Insects, Hants, Higher Ansty. lung von FG Entomologie Berlin und ORION im Na- turkundemuseum vom 11.06.2013. Van Swaay, C. A. M., Cuttelod, A., Collins, S., Maes, D., Munguira López, M., Šašič, M., Settele, J., Verovnik, R., Verstrael, T., Warren, M., Wiemers, M. & Wynhoff, I. (2010): European Red List of Butterflies. – Publica- Autoren tions Office of the European Union, Luxembourg. Markus Bräu, Wynhoff, I. (2001): At home on foreign meadows – Jahrgang 1961. the reintroduction of two Maculinea butterfly spe- Studium der Landespflege an der Technischen Uni- cies. – Doctoral Thesis, Department of Environ- versität München-Weihenstephan mit Schwerpunkt mental Sciences, Tropical Nature Conservation and Landschaftsökologie. Von 1988–1990 Projektbear Vertebrate Ecology Group, Wageningen Agricultu- beiter und Projektleiter beim Alpeninstitut München. ral University: 236 pp. 1993–2006 gutachterliche Tätigkeit als Gesellschaf- ter des Planungsbüros ifuplan sowie anschließend bis heute als „Büro für ökologische Gutachten Dipl.-Ing. Markus Bräu“ mit tierökologischem Ar beitsschwerpunkt. Seit 1996 zusätzlich Angestellter der Landeshauptstadt München, Referat für Gesund heit und Umwelt, Hauptabteilung Umwelt, Abtei- lung Umweltvorsorge, Aufgabenbereich Biodiversi- tätsschutz. Büro für ökologische Gutachten +49 89 14904788 markus.braeu@freenet.de Robert Völkl (Freiberufliche Nebentätigkeit) + 49 8093 904397 Zitiervorschlag r.voelkl@yahoo.de Bräu, M., Völkl, R. & Stettmer, C. (2018): Entwicklung Dr. Christian Stettmer von Managementstrategien für die FFH-Tagfalter Bayerische Akademie für Naturschutz art Moor-Wiesenvögelchen in Bayern – Teil II: und Landschaftspflege (ANL) Stützungsmaßnahmen und Wiederansiedelung – +49 8682 8963-50 ANLiegen Natur 40(1): 5–12, Laufen; www.anl. christian.stettmer@anl.bayern.de bayern.de/publikationen. 12 ANLIEGEN NATUR 40(1), 2018
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