Mein Schmerz trägt deinen Namen - Hanife Gashi Leseprobe aus
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Leseprobe aus: Hanife Gashi Mein Schmerz trägt deinen Namen (Seite 9 - 17) © 2005 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg.
Vorwort Meine Tochter Ulerika ist tot. Ihr Vater hat sie ermordet. Sie war erst sechzehn Jahre alt und starb mitten in Deutschland, in einer Märznacht vor knapp zwei Jahren. Die älteste meiner vier Töchter musste ihr Leben lassen, weil sie so sein wollte wie ihre deutschen Mitschülerinnen. Sie wollte ausgehen und sich mit ihren Freundin- nen treffen, sie wollte sich ein wenig schminken und auch nach der neuesten Mode kleiden. Und sie hat einen Jungen geliebt, der ihrem Vater nicht «albanisch» genug war. Ja, nicht nur in fernen Ländern, auch mitten in Deutschland werden Frauen und Mädchen aus Gründen der Ehre getötet. Und viele Menschen fragen sich, wie es dazu kommen kann. Deshalb erzähle ich Ulerikas Geschichte. Es ist auch die Geschichte mei- ner Ehe. Sie begann mit einer Zwangsheirat im Kosovo. Vor rund zwanzig Jahren wurde ich als Siebzehnjährige mit einem Mann verheiratet, den ich am Hochzeitstag zum ersten Mal gesehen habe. Ich musste zu meinen Schwiegereltern ziehen. Auf ihrem Bauernhof wurden die Traditionen sehr viel strenger gelebt, als ich es aus meinem Dorf und Elternhaus kannte. Mit Schlägen bläute mir mein Ehemann Disziplin ein, zwang mich zu bedingungsloser Unterordnung. Nach unserer Flucht nach Deutschland versuchten wir mit un- serer zweijährigen Tochter Ulerika in einem fremden Land Fuß zu fassen. Ich lernte eine neue Kultur kennen und wollte sie leben. Meine Liebe zum Kosovo und zu unserem Volk bewahrte ich in meinem Herzen. Ulerikas Schwestern sind in der Gegend von Tü- 9
bingen geboren. Dort lebten wir all die Jahre. Die Mädchen sagen, sie sind «Albanerinnen mit deutscher Kultur». Ulerikas Vater aber versuchte, die alten Traditionen seines Dorfes in unserer Familie aufrechtzuerhalten. Für ihn musste alles bleiben, wie es in alten Zeiten war. Er schlug uns, missbilligte meinen Deutschkurs und später meine Ausbildung, er wollte mich nicht als Altenpflegerin arbeiten sehen. Besonders drangsalierte er seine älteste Tochter Ulerika, seit sie in die Pubertät kam. Mein geschiedener Mann verstand nicht, dass wir in Deutschland nicht anders leben konnten. Er kontrollierte uns, nannte uns «Huren». «Niemand weiß, wie wir leben», sagte Ulerika oft. Wir hatten ein Haus gekauft, ich lächelte viel, Ulerika war Schulsprecherin – die Fassade war perfekt. Denn bei uns ist es nicht üblich, Familien- probleme nach außen zu tragen. Vor allem wir Frauen schweigen. Und wir haben uns geschämt. Erst nach und nach habe ich mich gegen die Gewalt und dieses Leben gewehrt und Hilfe gesucht. Zu zögerlich, wie ich heute weiß. Immer wieder habe ich gehofft, alles würde sich einrenken. Jetzt ist Ulerika tot, ihr Vater hat sie getötet. Mein Buch – es entstand mit Hilfe des Rowohlt Verlages, der Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes und der Journalistin Sylvia Rizvi, die meine Geschichte nie- dergeschrieben hat – soll alle Frauen warnen. Verbergt eure blauen Flecken nicht unter langärmeligen Blusen oder Schminke, heuchelt nicht vor der Haustür Harmonie, wenn dahinter eine Hölle lodert! Das ist Ulerikas Vermächtnis. In ihrem Namen kämpfe ich gegen Männer, die ihre Töchter wegen der Ehre umbringen. Ich hoffe, dass die Menschen mehr miteinander reden, zum Beispiel wir Kosovo-Albaner über unsere Traditionen. Es gilt, das Gute zu bewahren und das Menschenver- achtende zu verdammen – was viele meiner Landsleute im Übrigen schon lange tun. Doch es gibt noch viele Täter wie meinen geschie- denen Mann, die im Gefängnis sitzen, und viele, die ihre Familien terrorisieren und ihre Frauen und Töchter schlagen. Und sie aus Gründen der Ehre töten. Wir Migrantinnen und Migranten sollten 10
gemeinsam mit Deutschen gegen Ehr-Verbrechen kämpfen – hier und auf der ganzen Welt. Wir müssen zusammenstehen und Frauen nicht nur ermutigen, sich zu wehren, sondern ihnen noch viel mehr Hilfe anbieten. Hanife Gashi
Eine Kindheit am Weißen Drin Der Wind weht mir die langen Haare ins Gesicht. Sanft streichelt er meine Wangen. Ich wische meine Tränen nicht fort. Mir ist, als würde ich den See mit ihnen wärmen. Sachte Wellen plätschern ans Ufer. Doch der Hirschauer See bleibt stumm und spiegelt nichts als Grau. Ich fühle Leere. Willst du mich nicht trösten? Damals vor zwei Jahren – wie wartete ich auf Ulerika. Ihren Anruf, ihre Stimme und ihr Lachen. Dann gabst du die Leiche meiner Tochter frei. Du, der See, wo sonst im Sommer Mädchen baden. Polizeitaucher legten Ulerikas toten Körper ins noch win- terblasse Ufergras. Das Gras zu meinen Füßen ist durchsetzt von kahlen Stellen blanker Erde. Hierher legten sie meine älteste Tochter. Spannten grelle Absperrungen. Männer und Frauen befassten sich mit ihrem Leichnam. Taten ihre Arbeit und besprachen, wer mir die Nach- richt bringen würde. Weißt du, See, warum sie sterben musste? Mit erst sechzehn Jahren? Warum antwortest du nicht? Fühlst du dich schuldig, weil du die Leiche eines unschuldigen Mädchens umschlangst? Bin ich die Einzige, die zu dir kommt und mit dir spricht? Hast du sie behütet vor deinem Strauchwerk? Hat dein ruhiges Wasser ihr Haar be- wegt, so wie mich jetzt der Wind streichelt? Hast du ihr das Blut abgewaschen? Wir sind nicht schuldig, weder du noch ich. Ich wer- de ihren Vater, ihren Mörder, ein Leben lang hassen. Der Wind bringt warme Luft und treibt die Wolken auseinan- der. Ein Stück blauer Himmel zittert auf deiner Oberfläche. Kleine 13
Wellen kräuseln sich, als bewegten dich die Worte, die ich spre- che. Soll ich dir erzählen von Ulerika? Ein Fisch springt hoch, und seine Kreise verlieren sich im Sonnenwasser. Unversehens scheint es mir, als wäre ich am Weißen Drin. Wie gerne habe ich in die- sem Fluss gebadet, wie gerne dort geangelt, als ich so alt war wie Ulerika. Dort, in Krusha Madhe, in meiner Heimat Kosovo, in meiner Kindheit, hat unsere Geschichte begonnen. A n heißen Sommertagen fließt der Weiße Drin schwer und lang- sam. Dort kamen wir Freundinnen und Freunde, Cousins und Cousinen zusammen. Kein Wölkchen trübte das leuchtende Blau des Himmels, unter dem wir badeten und Fische fingen. Wer näher kam, konnte unser Lachen hören. Ich war fünfzehn Jahre alt. Mein Bikinioberteil passte nicht zum Unterteil, gelbe Rauten auf blauem Grund bissen sich mit Hellrot. Mich störte es nicht. Hauptsache, ich hatte etwas, womit ich baden konnte. Meine Freundin badete im Turnhemd. Glucksend vor Vergnügen schwamm sie hin und her, die anderen Mädchen waren im Unterhemd und genossen das auf- geheizte Wasser des Flusses. Wie stolz waren wir Mädchen, dass wir mehr Fische fingen als die Jungen. Doch waren sie uns nicht gram. Einige von ihnen sag- ten bewundernd, die Mädchen in Krusha Madhe seien Frauen ge- worden, gescheit, schön und fleißig. Kichernd schürte ich mit den Mädchen das Feuer. Wir brieten die Fische und kühlten die mitgebrachten Melonen im Fluss. Die Jungen lagen im heißen Sand des Drin-Ufers und erwarteten uns schon ungeduldig, als wir ihnen lachend die gebratenen Fische brachten. Zwanglos ließen wir uns zum Essen nieder. Wir hatten reichlich, und es duftete herrlich. Das Wasser tranken wir der Reihe nach aus einem Napf. Es war von der Hitze ganz warm. «Jetzt wollen wir die Melone essen, holst du sie?», sagte mein Cousin Shpend* und zeigte auf die Frucht im Fluss. 14
«Geh doch selber», antwortete ich feixend, «weshalb sollen wir Mädchen euch bedienen?» Er grinste. «Warum nicht? Ihr seid Mädchen; und wenn du heiratest, bedienst du die Familie deines Mannes noch viel mehr als uns.» Und wieder lachte Shpend. «Der ganzen Familie wirst du die Füße waschen, vom Herrn des Hauses bis hin zum kleinsten Kind.» – «Ah! Na warte!», rief ich und warf ein Handtuch nach dem frechen Burschen. Er duckte sich und wollte weiterlästern. Selbstbewusst schnitt ich ihm das Wort ab: «Vielleicht nehme ich einen Burschen aus unserem Dorf.» Ich lächelte siegessicher: «Bei uns in Krusha Madhe ist es nicht Sitte, der ganzen Familie die Füße zu waschen.» «Oh, ihr armen Mädchen», flötete er weiter, «ihr habt es schwer. Ihr müsst in Familien mit anderen Sitten und Gebräuchen heira- ten.» «Genug.» Ich ließ ihn nicht weiterreden. «Lass uns Fische fangen für zu Hause.» Mich überlief ein Schauer, denn was wäre, wenn ich tatsächlich in eine solche Familie heiraten würde? Schnell verjagte ich die Gedanken, ich wollte mir die Stimmung nicht vermiesen lassen. Für mich kam das ja gar nicht infrage. Ich warf die Angel aus und blickte über den Fluss. Die Mücken schwärmten im Licht des Nachmittags. Ich blinzelte in die Son- ne, die tief über den schneebedeckten Gipfeln des Berges Pasvtrik stand. Ich saß zu Füßen einer Welt, in der die verschiedensten Völ- ker und Religionen zusammen lebten. Meine Familie und ich, wir waren Muslime. Der Vater meines Vaters war katholisch gewesen. Wie seine Brüder hatte er eine mus- limische Frau geheiratet. In der Folge lebten wir unseren Glauben tolerant, im täglichen Leben spielte er kaum eine Rolle. Ich ließ die Blicke schweifen. Rechts vor dem Pasvtrik lag ein kleiner Gebirgs- zug, in dem die Hasjanen leben. Die Bewohnerinnen und Bewoh- * Alle Vor- und Zunamen in diesem Buch sind geändert, mit Ausnahme von Hanife Gashi, Ulerika und Hanife Gashis Schwester Ruka sowie der Mitarbeiterinnen von Terre des Femmes. 15
ner der Region Has waren Muslime wie wir. Die Frauen trugen mit Glasperlen und Perlmutt bestickte Korsagen, darunter weiße Blusen mit weiten Ärmeln. Aufsehen erregten ihre ausgestellten, langen Röcke. Gerne wurden die Hasjanen-Frauen für Reisefüh- rer abgelichtet. Ihre langen, schwarzen Haare trugen sie mit einem gerade geschnittenen Pony. Blonde Frauen mussten die Haare schwarz färben. Den kleinen Gebirgszug überragt ein hoher Berg. Dort siedelten katholische Albaner. Sie waren sehr gläubig. Das osmanische Re- gime hatte sie nicht zum Islam bekehren können, und nicht einmal unsere kommunistische Regierung brachte sie von ihrer Religion ab. Sie sind sicher stolz darauf, dachte ich unvermittelt. Ein Fisch biss an. Ich zog ihn aus dem Wasser. Die Stimmen der Jungs und Mädchen hallten zu mir herüber. Noch einmal warf ich die Angel aus. Der Köder tauchte leise platschend ins Wasser. Ich wartete. Meine Blicke schweiften wieder zum Pasvtrik-Gebirge. Auf der anderen Seite der Berge war Albanien, mein Mutterland. Ob dort auch Hasjanen wohnten? Oder andere Stämme? Wir Ko- sovo-Albaner konnten nicht nach Albanien reisen, die Grenzen wa- ren dicht. Wie sehr wünschte ich zu wissen, wie es dort war. War es auf der anderen Seite wie bei uns? Gab es dort genauso schöne Obstbäume wie am Drin, wo Äpfel, Birnen, Zwetschgen und Pfir- siche gediehen? Und dann fiel mir mein Onkel väterlicherseits ein, der im Zweiten Weltkrieg im Pasvtrik-Gebirge getötet worden war. Ich wusste: Es hatte viele Kriege bei uns gegeben. Wie lebten die Menschen in Albanien heute zusammen? Wir in Krusha Madhe waren fast alle albanischer Abstammung und mus- limisch. Aber es gab auch serbische Familien christlich-orthodoxen Glaubens. Meine Mutter war mit einigen befreundet, ab und zu besuchten sich die Frauen gegenseitig. Der Islam bestimmte den Alltag meiner Familie kaum, genauso wenig wie den der meisten Dorfbewohnerinnen und -bewohner. Ein paar Ältere gingen in die Moschee. Und in den Nachbardörfern wohnten viele Katholiken. Auch sie praktizierten einen toleranten Glauben. Eine Stimme un- terbrach meine Gedanken: «Hanni!» Ein Junge rief mich bei mei- 16
nem Kosenamen. «Hanni, wir wollen gehen. Es ist spät geworden, unsere Eltern warten.» Hastig packte ich mein Zeug zusammen und rannte zu den an- deren. Mit den auf Ästen gespießten Fischen machten wir uns auf den zwei Kilometer langen Weg in unser Dorf. Fröhlich lachend grüßten wir die Bäuerinnen und Bauern in den Paprikafeldern. Bald würde die Ernte reif sein, Krusha Madhe war bekannt für seine leckere Paprika. Wir verabschiedeten uns vor der Tankstelle. Ich winkte. Die Abendsonne warf ihr warmes Licht über die Straßen des 5000-Ein- wohner-Dorfes. Bald würden die drei Lebensmittelgeschäfte und das kleine Einkaufszentrum schließen. Auf der geteerten Haupt- straße, die noch weich von der Sonne war, ließ ich das Rathaus hinter mir, die große Ärzte-Ambulanz, die Bibliothek und die Kon- zerthalle mit dem Jugendzentrum. Weil ich mich beeilen musste, konnte ich keinen Blick mehr in die Eisdiele werfen, in der ich mich oft mit Freundinnen traf. Ich hastete die gepflasterte Seitenstraße hinauf und bog um die letzte Ecke. Die Straße war aus Erde. Als ich das gewölbte, schwarze Ziegeldach unseres 300 Jahre alten Hauses sah, beschleunigte ich meine Schritte noch. Es war in den Hang ge- baut und hatte zwei Geschosse. Vor der Haustür wuchsen Blumen. Eilig riss ich die Tür auf, meine Mutter wartete bereits. «Na, das war ja mal wieder im letzten Augenblick», sagte sie. Meine Familie: Von fünf Schwestern und drei Brüdern war ich das fünfte Kind. Die kräftigen schwarzen Haare und den dunklen Teint hatte ich von meiner Mutter. Deshalb nannten mich die Kinder manchmal neckend «die Zigeunerin» oder «die Schwarze». Man sagte, ich hätte auch ihr Lächeln und ihre dunklen Au- gen geerbt. Mit ihren fünfundvierzig Jahren war sie zupackend und bodenständig. Sie war Herr und Frau im Haus. Sie entschied und organisierte, wachte über die Finanzen und erzog uns Kinder. In der Erziehung hatte sie Prinzipien und legte Wert auf eine klare Li- nie. Zum Beispiel auf Pünktlichkeit. Aber trotz ihrer gelegentlichen Strenge erzog sie uns offen und tolerant. 17
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