Mieter echo - Wohnungs- und mietenpolitisches Versagen Was die große Koalition gebracht hat und was von der Wahl zu erwarten ist - Berliner ...
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Mieterecho Zeitung der Berliner MieterGemeinschaft e.V. www.bmgev.de Nr. 390 September 2017 Wohnungs- und mietenpolitisches Versagen Was die große Koalition gebracht hat und was von der Wahl zu erwarten ist
IMPRESSUM Geschäftsstelle Herausgeberin: Berliner MieterGemeinschaft e.V. Berliner MieterGemeinschaft e.V. Möckernstraße 92 (Ecke Yorckstraße), 10963 Berlin Redaktion MieterEcho: Joachim Oellerich (V.i.S.d.P./ Chefredaktion), Telefon: 030 - 2168001, Telefax: 030 - 2168515 Philipp Mattern (Titelthema), R. Berg (Schlussredaktion/ CvD), www.bmgev.de Matthias Coers (Bildredaktion), Hermann Werle, Philipp Möller, G. Jahn (Mietrecht) Öffnungszeiten Kontakt: Telefon: 030 - 21002584, E-Mail: me@bmgev.de Mo, Di, Do 10 – 13 Uhr und 14 – 17 Uhr Mi 10 – 13 Uhr Grafik: undaunted (Gestaltung/ Satz/ Bildredaktion) Fr 10 – 13 Uhr und 14 – 16 Uhr Titelbild: Matthias Coers Fahrverbindung: Belichtung und Druck: Königsdruck Berlin u Möckernbrücke, Mehringdamm, Yorckstraße, i Yorckstraße, ; M19 Redaktionsschluss: 10.07.2017 Bankverbindung: Postbank Berlin, IBAN: DE62 1001 0010 0083 0711 09, BIC: PBNKDEFF © Berliner MieterGemeinschaft e.V. Die Berliner MieterGemeinschaft bietet ihren Mitgliedern persönliche Nachdruck nur nach vorheriger Rücksprache. Der Bezugspreis ist durch den Mietrechtsberatung an (siehe Seite 31 und hintere Umschlagseite). Mitgliedsbeitrag abgegolten. Namentlich gekennzeichnete Beiträge stimmen Die rollstuhlgerechten Beratungsstellen sind durch - gekennzeichnet. nicht notwendigerweise mit der Meinung der Redaktion überein. Für unverlangt Achtung! In unserer Geschäftsstelle und in den Vor-Ort-Büros findet eingesandte Manuskripte oder Fotos wird keine Haftung übernommen. während der Ö ffnungszeiten keine Rechtsberatung statt. Probleme mit dem Vermieter? Bei der Berliner MieterGemeinschaft können Ratsuchende kostenlos Bitte ankreuzen und mit Briefmarken im Wert von 0,95 € einfach an folgende Informationsblätter bestellen: folgende Adresse schicken: B ERLINER M IETERG EMEINSCHAFT E. V. Möckernstraße 92 · 10963 Berlin · Telefon 216 80 01 Berliner MieterGemeinschaft e.V. j Mietvertrag j Schönheitsreparaturen Möckernstraße 92 10963 Berlin j Betriebskostenabrechnung j Mängelbeseitigung j Heizkostenabrechnung j Mieterhöhung Name j Eigentümerwechsel j Wohnungsbewerbung Vorname j Umwandlung und Wohnungsverkauf j Modernisierung StraSSe j Zutritt und j Untermiete Besichtigung j Wohnfläche PLZ Ort j Kündigung durch den Vermieter j Mietsicherheit/Kaution Beitrittserklärung Der Jahresbeitrag inkl. Mietrechtsschutzversicherung beträgt 75 €. Der Kostenanteil für den Mietrechtsschutz-Gruppenversicherungsvertrag in Höhe von 32,04 € wird an die ALLRECHT Rechtsschutzversicherungen abgeführt. Hiermit erkläre ich meinen Beitritt zur Berliner MieterGemeinschaft e.V. Die Aufnahmegebühr beträgt 8 €. Sie entfällt, wenn ein Lastschriftmandat erteilt wird. Ich beantrage eine Mitgliedschaft ohne Rechtsschutz zum Jahresbeitrag von 43 €, da ich bereits über eine bestehende Mietrechtsschutzversicherung verfüge. Name, Vorname Den entsprechenden Nachweis habe ich in Kopie beigelegt. B ERLINER M IETERG EMEINSCHAFT E. V. Möckernstraße 92 · 10963 Berlin · Telefon 216 80 01 StraSSe, Nr. PLZ Berlin Ich beantrage eine Mitgliedschaft zum ermäßigten Jahresbeitrag von 51 €, da ich Arbeitslosengeld II (SGB II), Sozialhilfe oder Grundsicherungsgeld Telefon geb. am (SGB XII) beziehe. Den entsprechenden Bescheid habe ich als Einkommens- nachweis in Kopie beigelegt. HausEigentümer/in Sepa-Lastschriftmandat Ich ermächtige die Berliner MieterGemeinschaft e.V. (Gläubiger-ID: HausVerwaltung DE56BMG00001024542), Zahlungen von meinem Konto mittels Lastschrift einzu- ziehen. Zugleich weise ich mein Kreditinstitut an, die von der Berliner MieterGemein- Die Satzung erkenne ich hiermit an und verpflichte mich, den Jahresbeitrag bei schaft e.V. auf mein Konto gezogene Lastschrift einzulösen. Fälligkeit zu bezahlen. Ich bin damit einverstanden, dass meine Daten mittels Hinweis: Ich kann innerhalb von acht Wochen, beginnend mit dem Belastungsdatum, EDV gespeichert werden und zur Abwicklung der Rechtsschutzversicherung an die Erstattung des belasteten Betrags verlangen. Es gelten dabei die mit meinem Kreditinstitut vereinbarten Bedingungen. die ALLRECHT Rechtsschutzversicherungen übermittelt werden. Geldinstitut BIC Berlin, den Unterschrift IBAN DE Bitte zahlen Sie den Jahresbeitrag zzgl. der Aufnahmegebühr von 8 € auf unser Konto: Kontoinhaber/in Postbank Berlin, IBAN: DE62 1001 0010 0083 0711 09, BIC: PBNKDEFF oder erteilen Sie uns ein Lastschriftmandat (ohne Aufnahmegebühr). Berlin, den Unterschrift
Inhalt Liebe Leserinnen und Leser, TITEL die Erfolgsmeldungen häufen sich: „Bezirk kauft Wohnhaus und lässt Briefkastenfirma abblitzen“, überschreibt die Berli- 4 Der lange Arm der Immobilienlobby ner Zeitung ihren Bericht über den Erwerb des Wohngebäudes In der Wohnungspolitik hat die große Koalition komplett versagt Zossener Straße 18 durch den Bezirk Friedrichshain-Kreuz- Rainer Balcerowiak berg. „Mit der Ausübung des Vorkaufsrechtes im Milieu- schutzgebiet senden wir ein wichtiges Signal, das möglicher- 7 Die Parteien zur Bundestagswahl weise auch dazu führt, dass dem einen oder anderen die Lust Als erstes die Investoren, als zweites die Häuslebauer am Spekulieren vergeht“, wird Bau-Staatssekretär Sebastian Philipp Mattern Scheel (Die Linke) in dem Beitrag zitiert. Was veranlasst den Staatssekretär zu dieser optimistischen BERLIN Einschätzung? Die Berliner Zeitung weist – vielleicht als Ant- wort – darauf hin, dass der Verkauf des Hauses Zossener Stra- 9 Börsennotierte Unternehmen am Wohnungsmarkt ße 18 gerade mal der vierte Fall seit Start der rot-rot-grünen Einladung der Berliner MieterGemeinschaft zur Gründung des Koalition sei, in dem ein Bezirk sein Vorkaufsrecht nutzt. Arbeitsausschusses Immobilien-Aktiengesellschaften Das ist auch für den Stadtrat Florian Schmidt (Bündnis90/Die Grünen) ein Grund zur Freude. „Wir kaufen unseren Kiez zu- 10 Tegeler Scheindebatte rück“, lautet das Projekt, mit dem er Mieter/innen befähigen Offenhaltung von TXL birgt Risiken und vergibt Potenzial will, sich zu Hausgruppen zu formieren und ihre Häuser Mathias Behnis selbst zu kaufen. Der Baustadtrat scheint sich dabei nicht be- wusst zu sein, dass das dergestalt zugunsten seiner Wählerkli- 12 Dem Markt ausgeliefert entel gewendete Vorkaufsrecht nicht den geringsten Einfluss Kiezladen Friedel54 ist weiteres Opfer der Wohnungspolitik auf die Behebung des Wohnungsmangels in dieser Stadt hat. Ralf Hutter Denn insgesamt wurden im letzten Jahr (ohne Paketverkäufe) mehr als 516 Mietshäuser (ohne Gewebe) und 567 Wohn- und 14 Schutz vor Umwandlung unzureichend Geschäftshäuser gehandelt und dies bis zum Preis in Höhe ALW und BOW setzen trotz Milieuschutz auf Umwandlung des 30-fachen der Jahreseinnahmen. Jutta Blume Ihr MieterEcho 16 Zum Höchstpreis Bima verkauft auch in Berlin weiterhin an Meistbietende Arbeitsausschuss Elisabeth Voß Immobilien-Aktiengesellschaften Erstes Treffen zur Gründung eines Arbeitsausschusses 18 Bürgerbeteiligung als Zauberformel der Berliner MieterGemeinschaft zum Thema Grüne und Linke werden die Geister nicht mehr los Immobilien-Aktiengesellschaften Rainer Balcerowiak Termin: Donnerstag, 7. September 2017, 18.30 Uhr Ort: Beratungsstelle, Sonnenallee 101, 12045 Berlin 20 Pfusch am Bau Unbewohnbare Wohnungen durch Modernisierungsalbtraum (weitere Informationen siehe Seite 9) Susanne Torka Mitgliederversammlungen 21 Zwischen Protest und Selbsthilfe Das Bündnis „Zwangsräumung verhindern“ ist seit 5 Jahren aktiv Mitgliederversammlung im Wedding Karin Baumert Termin: Mittwoch, 13. September 2017, 19 Uhr Ort: SprengelHaus Wedding, Sprengelstraße 15, Mietrecht Aktuell 13353 Berlin TOPs: - Vorstellung und Bericht der Bezirksgruppe - Bericht des Vorstands 22 Mietzuschuss im Sozialen Wohnungsbau - Wohnungs- und Mietenpolitik: 1 Jahr Rot-Rot-Grün Vorschaltgesetz bringt Entlastung für Sozialmieter/innen - Wahl der Delegierten und der Stellvertreter/innen Rechtsanwalt Wilhelm Lodde Ausklang mit Getränken und Snacks 24 Mieter/innen fragen – wir antworten Mitgliederversammlung in Friedrichshain Fragen und Antworten zu Ehe und Lebenspartnerschaft Termin: Montag, 25. September 2017, 20 Uhr Rechtsanwalt Wolfgang Enders Ort: Mieterladen, Kreutzigerstraße 23, 10247 Berlin TOPs: - Vorstellung und Bericht der Bezirksgruppe - Diskussion mit Initiativen und Partnern aus dem 27 RECHT UND RECHTSPRECHUNG Bezirk: Situation und Probleme der Friedrichs- hainer Mieter/innen und Perspektiven der 31 SERVICE Gegenwehr 32 RECHTSBERATUNG - Absprachen für gemeinsame Aktionen Ausklang mit Getränken und Snacks MieterEcho 390 September 2017 3
Foto: Matthias Coers TITEL Der lange Arm der Immobilienlobby Von „Mietpreisbremse“ bis „Neubauoffensive“: In der Wohnungspolitik hat die große Koalition komplett versagt Von Rainer Balcerowiak Dabei sollten vor allem – in der Regel vergleichsweise güns- tige – ältere Bestandsmieten stärker als bisher berücksichtigt An Ankündigungen hat es wahrlich nicht gemangelt, als werden. Zudem sollte per Gesetz festgelegt werden, dass Mak- die große Koalition aus CDU/CSU und SPD am 13. Dezem- lerkosten und -provisionen nicht mehr auf die Mieter/innen ber 2013 ihren Koalitionsvertrag vorstellte. Um „dem wei- abgewälzt werden dürfen, wenn die Beauftragung der Vermitt- ter wachsenden Wohnungsbedarf in den Ballungszentren ler durch den Vermieter erfolgte. Weitere Abschnitte widme- und vielen Groß- und Hochschulstädten, dem notwendigen ten sich der Energieeffizienz, dem Baurecht und den Förder- energetischen Umbau sowie den demografischen und so- instrumenten zur Stadt-und Regionalentwicklung, allerdings zialen Herausforderungen zu entsprechen“, setze die Koa- ohne fassbare Konkretisierungen. lition auf „einen wohnungspolitischen Dreiklang aus einer Die Legislaturperiode neigt sich nun dem Ende zu, die Poli- Stärkung der Investitionstätigkeit, einer Wiederbelebung tiker sind längst im Wahlkampfmodus. Zeit für eine Bilanz – des Sozialen Wohnungsbaus und einer ausgewogenen und die fällt wahrlich ernüchternd aus. Denn abgesehen von mietrechtlichen und sozialpolitischen Flankierung“. der Streichung der Maklergebühren für Mieter/innen hat die Bundesregierung keine ihrer Ankündigungen umgesetzt. Angekündigt wurde im Koalitionsvertrag nicht nur die „Wieder- belebung des Sozialen Wohnungsbaus“, sondern auch dass die Wirkungslose Mietpreisbremse Bundesländer für Städte mit „angespannten Wohnungsmärk- Die vollmundig angekündigte „Mietpreisbremse“ für Neuver- ten“ die Möglichkeit erhalten sollten, „bei Wiedervermietung mietungen wurde zu einem lächerlichen Konstrukt, das bis von Wohnraum die Mieterhöhungsmöglichkeiten auf maximal zum heutigen Tag keinerlei Wirkung entfaltet. Ursächlich für 10% über der ortsüblichen Vergleichsmiete zu beschränken“. ihre Wirkungslosigkeit sind zum einen die zahlreichen Ausnah- Bei Modernisierungen sollte die von Mieter/innen zu zahlen- men. Wenn bereits Vormieter/innen überhöhte Mieten gezahlt de Umlage bei 10% der Kosten gedeckelt werden und auf die haben, unterliegen diese Mieten nicht der von der Mietpreis- Dauer der Amortisation der Investition begrenzt werden. Fer- bremse vorgesehenen Kappungsgrenze in Höhe von 10% über ner sollte durch eine Anpassung der Härtefallklausel im der ortsüblichen Vergleichsmiete. Ebenso ausgenommen sind Mietrecht (§ 559 Absatz 4 BGB) „ein wirksamer Schutz der Neuvermietungen nach „umfangreichen Modernisierungen“ Mieter/innen vor finanzieller Überforderung bei Sanierungen sowie Wohnungen in Neubauten. Viel gravierender ist jedoch gewährleistet“ werden. Weitere Ankündigungen betrafen eine der Vollzug oder besser Nichtvollzug des Gesetzes. Denn zum neue Berechnungsmethode der ortsüblichen Vergleichsmiete, anderen sind Vermieter nicht verpflichtet, neuen Mieter/innen die auf eine breitere Bemessungsbasis gestellt werden sollte. bei Vertragsabschluss die zuvor verlangte Miete mitzuteilen. 4 MieterEcho 390 September 2017
TITEL TITEL Wenn der Vermieter die Auskunft verweigert, können Mieter/ zentren und Universitätsstädten gerecht zu werden, müssten innen diese Information nur auf dem Mahn- und Klageweg er- allerdings mindestens 400.000 Wohnungen pro Jahr gebaut halten, um eine mögliche Mietpreisüberhöhung festzustellen werden. – ein Procedere, das aus verständlichen Gründen kaum Betrof- Es geht aber nicht nur um die Quantität. Denn gebaut wur- fene auf sich nehmen wollen. Und falls es – was äußerst selten den in den vergangenen Jahren vor allem Ein- und Zweifami- vorkommt – dennoch zu entsprechenden Verfahren kommt, lienhäuser, sowie teure Eigentumswohnungen. Von den 2016 muss der Vermieter lediglich die über die Kappungsgrenze hi- fertig gestellten Objekten waren lediglich 53.000 „normale“ nausgehende zu viel gezahlte Miete zurückzahlen und das auch Mietwohnungen, davon wiederum nur 24.500 Wohnungen im nur für den Zeitraum seit der Rüge der Mieter/innen. Ein Ord- Sozialen Wohnungsbau – obwohl die Angebotslücke in diesem nungs- oder Bußgeld wegen Verstößen gegen die Mietpreis- Segment am größten ist. Nach Schätzungen von Mieterorgani- bremse sieht das Gesetz nicht vor. Das heißt, ein Vermieter sationen müsste dieser Anteil zeitnah auf 80.000 bis 100.000 kann vollkommen risikolos gegen das Gesetz verstoßen und Wohnungen pro Jahr erhöht werden, um eine drastische Ver- verlangen, was der Markt eben hergibt. schärfung der Wohnungsnot in wachsenden Ballungsgebieten Kommunen, Immobilienverbände und Mieterorganisationen zu verhindern. Deutlich wird dies auch durch eine andere Zahl. konstatierten daher in diesem Frühjahr in seltener Einmütig- Laut einer Antwort der Bundesregierung auf eine große Anfra- keit, dass die im Juni 2015 in Kraft getretene „Mietpreis- ge der Fraktion Die Linke ist der Bestand an Sozialwohnungen bremse“ keinerlei dämpfende Wirkung auf die rasante Preis- zwischen 1992 und 2013 von drei auf 1,4 Millionen gesun- entwicklung bei Neuvermietungen entfaltet habe. Die Miet- ken. Auch danach sind pro Jahr 40.000 bis 50.000 Wohnungen preisbremse erweist sich also als Papiertiger. Und die anderen aus der Sozialbindung gefallen und für die kommenden Jahre im Koalitionsvertrag formulierten Ziele wurden im Laufe der sind Rückgänge in ähnlicher Größenordnung zu erwarten. Das Legislaturperiode klammheimlich beerdigt. Das gilt sowohl heißt, dass die Neubauzahlen in diesem Bereich noch nicht für die Begrenzung von Modernisierungsumlagen auf den einmal annähernd auch nur den Schwund decken, von einer Zeitraum ihrer Amortisation als auch für eine erweiterte Härte- Ausweitung ganz zu schweigen. fallklausel für Mieter/innen. Zwar hat der Bund seine jährlichen Aufwendungen für die sozi- Bundesländer und Kommunen haben außerhalb der deutlich ale Wohnraumförderung zwischen 2015 und 2017 auf 1,5 Mil- geschrumpften Bestände der kommunalen Wohnungsbauge- liarden Euro verdreifacht, doch diese Mittel werden von den sellschaften und des sozialen Wohnungsbaus kaum Instru- mente, mietrechtlich in die Bestandspreise einzugreifen. Nur minimale Möglichkeiten für einzelne Wohnquartiere bietet der Erlass von Milieuschutzsatzungen, die dem „Erhalt der sozialen Zusammensetzung der Wohnbevölkerung“ dienen sollen. Doch die ursprünglich für solche Gebiete vorgesehe- nen Möglichkeiten zum Erlass von Mietobergrenzen – auch nach Modernisierungen – sind längst durch Bundesrecht und höchstrichterliche Rechtsprechung ausgehebelt worden. Selbst für die in solchen Milieuschutzgebieten eigentlich vorgesehe- ne Untersagung der Umwandlung von Miet- in Eigentums- wohnungen gibt es Schlupflöcher. So wird die Umwandlung beispielsweise genehmigt, wenn sich der Hauseigentümer ver- pflichtet, innerhalb von sieben Jahren ab der Begründung von Wohnungseigentum Wohnungen nur an die Mieter/innen zu veräußern. Das Instrumentarium in Milieuschutzgebieten re- duziert sich im Wesentlichen auf Restriktionen für bestimmte Luxusmodernisierungen und ein Vorkaufsrecht der Kommu- ne bei spekulativen Verkäufen von Mietshäusern, aber auch das nur in einem sehr eng gesteckten Rahmen. Mit sozialer Wohnraumversorgung hat dieses marktkonforme und eher auf „alternative Mittelschichten“ zugeschnittene Instrument des kommunalen Vorkaufsrechts kaum etwas zu tun. Für die Mie- tenpolitik lässt sich also konstatieren, dass die große Koaliti- on so gut wie nichts unternommen hat, um die Situation für Mieter/innen zu verbessern. Und entsprechende Bundesratsin- itiativen einiger Länder, darunter auch Berlin, verpufften ohne Erfolg. Mehr Wohnungsbau – aber für wen? Was die versprochene Ankurbelung des Wohnungsbaus be- trifft, hat die Regierung allerdings auf den ersten Blick etwas Selbst der Erlass von Milieuschutzgebieten bietet keine ausreichende Möglichkeit, geleistet. Die Zahl der fertiggestellten Wohnungen stieg von Umwandlungen und Luxusmodernisierungen zu verhindern. Auch das in Milieu- 2013 bis 2016 um 29% auf rund 277.000 Wohnungen pro Jahr. schutzgebieten anwendbare kommunale Vorkaufsrecht ist kein praktikables Um den Fehlbestand von einer Million Wohnungen mittelfris- Instrument zur Wohnraumversorgung. Foto: Matthias Coers tig auszugleichen und der Nachfrage besonders in Ballungs- MieterEcho 390 September 2017 5
TITEL Postulaten eher vorsichtige Bundesbank vor einer Überhitzung des Markts und der Gefahr einer „Blasenbildung“ in einigen Städten warnt, weil die von Investoren kalkulierten Verkaufs- oder Vermietungspreise nicht mehr realisierbar sind. Marktradikalität versus Gemeinwohl Bei der dritten Richtung, die auch große Teile der Partei Die Linke verfolgen, wird der Schwerpunkt auf gemeinwirtschaft- liche Instrumente gesetzt, ohne am Privateigentum an Immobi- lien im Mietwohnungssektor etwas ändern zu wollen. In einer Anfang Juni 2017 veröffentlichten Studie der Rosa-Luxem- burg-Stiftung wird das Modell einer „neuen Gemeinnützig- keit“ als Alternative zum bisherigen Fördersystem des Sozi- alen Wohnungsbaus skizziert. Diese soll an den Instrumenten der 1990 vom Deutschen Bundestag abgeschafften „alten“ Gemeinnützigkeit anknüpfen. Durch Steuerbefreiungen, den Erlass von Grundstückskosten, zinsfreie Baudarlehen und den Verzicht auf eine Eigenkapitalverzinsung ließen sich demnach die Kostenmieten bei Neubauten von derzeit im Durchschnitt 10,30 Euro/m² erheblich senken. Zusätzlich wäre der entste- hende Wohnraum auch dauerhaft für soziale Zwecke gesichert Im letzten Jahr wurden 277.000 Wohnungen fertig gestellt. Um den Wohnungs- und würde nicht wie bisher nach Rückzahlung der Förderdarle- mangel auszugleichen, müssten jedoch jedes Jahr 400.000 Wohnungen neu hen dem „freien Markt“ übergeben werden. Das Konzept einer gebaut werden. Bisher konnte der Bund noch durch Kompensationszahlungen in neuen Wohnungsgemeinnützigkeit wird in leicht abgewandel- die Wohnraumförderung eingreifen, 2019 ist damit Schluss, wenn nicht das ter Form auch von Bündnis90/Die Grünen und Teilen der SPD Grundgesetz geändert wird. Foto: undaunted unterstützt, während sich die Gewerkschaften eher bedeckt halten. Letzteres ist allerdings nicht verwunderlich, schließlich dafür zuständigen Ländern ganz unterschiedlich eingesetzt. So liegt eine boomende und möglichst profitable private Bau- und haben Länder wie Bayern und Baden-Württemberg vor allem Immobilienwirtschaft im ureigenen Interesse vieler Mitglieder die Eigentumsbildung von Mittelstandsfamilien gefördert. und Funktionäre von ver.di und der IG BAU. Die Forderung In der Debatte über die Lösung der deutschen Wohnungskrise der Branche nach mehr Steuergeschenken wird dann auch von lassen sich grob gerastert drei Lager identifizieren. Die Markt- der IG BAU unterstützt. radikalen lehnen staatliche Regulierungen weitgehend ab und Das Gemeinnützigkeitskonzept geht anderen allerdings nicht setzten auf die Stimulierung des Wohnungsbaus durch steuer- weit genug. Die 2014 im Umfeld des MieterEchos gegründe- liche Anreize. Der Markt würde sich auf diese Weise quasi von te „Initiative neuer kommunaler Wohnungsbau“ (INKW) will allein beruhigen, lautet die Kernthese. Mögliche soziale Härten eine Abkehr von der klassischen Wohnungsbauförderung und für finanzschwache Mieter/innen sollen nicht durch Eingriffe stattdessen Wohnungsneubau und dessen Bewirtschaftung in die Preisbildung – wie zum Beispiel Mietpreisbremsen –, in unmittelbarer Trägerschaft der öffentlichen Hand. Nur so sondern durch individuelle Alimentation in Form von Wohn- könnten Wohnungen dauerhaft der Marktlogik entzogen wer- geld ausgeglichen werden. Was letztendlich bedeutet, dass der den, heißt es im Positionspapier der INKW. Staat den Hauseigentümern ihre enormen Renditen finanzieren Weder für eine neue Gemeinnützigkeit noch für einen groß soll. angelegten kommunalen Wohnungsbau sind jedoch politische Die Verfechter der „sozialen Marktwirtschaft“ – allen voran die Mehrheiten auf Bundes- und Länderebene in Sichtweite. Im SPD – setzen auf einen Mix aus Anreizen für Investoren und Gegenteil: Eine durchaus mögliche CDU/FDP-Bundesregie- sozialer Wohnraumförderung, um mittelfristig nicht nur mehr rung würde wohl ein ziemliches Rollback bei der sozialen Neubau im Allgemeinen, sondern auch ein bedarfsgerechtes Wohnraumförderung und beim Mieterschutz einläuten. Umso Segment an mietpreis- und belegungsgebundenen Wohnungen wichtiger ist der Kampf auf lokaler Ebene, vor allem gegen zu schaffen. Aber eben nicht als Wohnraum in öffentlichem die Vertreibung von Mieter/innen aus Wohnungen durch ren- Besitz, sondern als klassische Wirtschaftsförderung mit sozial diteorientierte Immobilienverwerter. Bei entsprechender Ver- gebundener Zwischennutzung. Auf Länderebene gehören dazu netzung und Mobilisierung können dabei mitunter durchaus auch Instrumente wie die „kooperative Baulandentwicklung“, kleine Erfolge erzielt werden. Mehr aber auch nicht. bei der die Vergabe von Grundstücken an private Investoren In ihrer Gesamtheit ist die Wohnungsfrage jedenfalls ein sehr an ein bestimmtes Quorum von Sozialwohnungen gekoppelt dickes Brett, das es zu bohren gilt. Schließlich ist der Privatbe- wird. Die Profitlogik des Immobilienmarkts wird dabei aber sitz an Grund und Boden – egal ob bebaut oder unbebaut – und ebenfalls nicht angetastet. Außerdem haben viele Investoren die entsprechende Verfügungsgewalt über dessen Verwertung an Fördermitteln, wie beispielsweise zinslosen oder zinsverbil- einer der Grundpfeiler der kapitalistischen Wirtschafts- und ligten Darlehen für die Schaffung von Sozialwohnungen über- Gesellschaftsordnung. Zwar scheint die Phase der Verschleu- haupt kein Interesse, da die Finanzierung auch großer Projekte derung öffentlicher Liegenschaften an private Immobilienver- aufgrund der seit Jahren anhaltenden Nullzinspolitik der Eu- werter mittlerweile vorbei zu sein, doch selbst „gutwillige“ ropäischen Zentralbank ohnehin extrem billig ist. Der Run auf Bundesländer und Kommunen haben oftmals kaum noch Mög- das „Betongold“ als Alternative zu herkömmlichen Geldanla- lichkeiten, weitreichend in das Marktgeschehen bei Neubauten gen hat inzwischen dazu geführt, dass selbst die mit solchen einzugreifen. h 6 MieterEcho 390 September 2017
TITEL Die Parteien zur Bundestagswahl Foto: Matthias Coers Als erstes kommen die Investoren, als zweites die Häuslebauer, aber wo bleiben die Interessen der Mieter/innen? Von Philipp Mattern schärfung. Jedoch ist zu beachten, dass die aus dem Hause ih- res Justizministers Heiko Maas angestrebte zweite Mietrechts- Das Thema Wohnen darf im Wahlkampf nicht fehlen. Statt novelle bereits im Herbst vergangenen Jahres auf Eis gelegt auf Verbesserungen beim Mieterschutz und eine Wieder- wurde, da die Parteien der großen Koalition keine Einigung herstellung bundesrechtlicher Kompetenzen beim Sozialen erzielen konnten. Ob und in welcher Form eine weitere Novel- Wohnungsbau zielen die Programme der Parteien in erster lierung des Mietrechts auf die Agenda der kommenden Bun- Linie auf Steuerbegünstigungen für Investoren und die desregierung gelangen wird, steht in den Sternen. Damit ist Förderung von Wohneigentum ab. Programmatische Vor- auch ungewiss, wie es mit der Mietpreisbremse und den Plänen stöße, die geeignet wären, die Probleme der Mieter/innen für weitere, in den vergangenen Jahren zumindest andiskutierte in den Großstädten und Ballungszentren substanziell zu Änderungen zugunsten der Mieter/innen weitergeht. Die CDU beheben, sucht man vergebens. Wer auch immer mit wem hält sich bedeckt und die FDP stand Instrumenten wie der nach der Bundestagswahl regieren wird – ein konsequen- Mietpreisbremse schon immer feindlich gegenüber. Bündnis tes Vorgehen gegen Wohnungsmangel und explodierende 90/Die Grünen bekennen sich nach wie vor programmatisch Mietpreise ist nicht vorgesehen. zur Mietpreisbremse. Ebenso wie die Partei Die Linke setzten sie sich im Bundestag für eine Verschärfung ein – aus der Op- Was Veränderungen beim Mietrecht angeht, so ist sehr frag- position heraus, wohlgemerkt. Die Beteiligung der Grünen an lich, worauf sich Mieter/innen nach der Wahl einstellen müs- der „Jamaika-Koalition“ in Schleswig-Holstein hinterlässt an- sen. Große Erwartungen sollten sie vermeiden. Selbst die Zu- gesichts zu erwartender Koalitionsbildungen im Bund gerade kunft der in der aktuellen Legislaturperiode erst eingeführten in diesem Punkt einen bitteren Nach- bzw. Vorgeschmack. Mietpreisbremse ist ungewiss. Statt einer Verbesserung ist nun gar ihr rasches Ende nicht mehr auszuschließen. Die von der Rückkehr der Eigenheimzulage CDU geführten neuen Landesregierungen in Nordrhein-West- Während parlamentarische Mehrheiten für zukünftige Ver- falen und Schleswig-Holstein kündigten bereits an, sie in Zu- besserungen beim Mieterschutz nicht abzusehen sind, stehen kunft nicht weiter anwenden zu wollen. Begründet wird die Maßnahmen zur Förderung des Wohneigentums hoch im Kurs. Abschaffung der Mietpreisbremse mit ihrer Wirkungslosigkeit. Sowohl die CDU als auch die SPD plädieren nachdrücklich Das Argument, das für eine Verschärfung spricht, wird nun für die Einführung eines Kinder- bzw. Familienbaugelds. umgedreht. Diese Verschiebung muss auch auf Bundesebene Eine solche Neuauflage der Eigenheimzulage würde regio- befürchtet werden. Zwar hält die SPD in ihrem Wahlprogramm nal völlig undifferenziert wirken, keineswegs zielgerichtet sein weiter an der Mietpreisbremse fest und plädiert für eine Ver- und – auch das zeigen Erfahrungen der Vergangenheit – mit MieterEcho 390 September 2017 7
TITEL jegliche Möglichkeit, Mittel für die soziale Wohnraumförde- rung bereitzustellen und Einfluss auf die Förderbedingungen zu nehmen. Das wäre in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland ein Novum, dessen Folgen verheerend sein dürf- ten. Schon heute kommen die meisten Bundesländer ihrer Verantwortung für den Sozialen Wohnungsbau nicht nach und sie machen auch kaum Anstalten, dies in Zukunft zu ändern. Für die Wiederherstellung der Bundeskompetenz im Sozialen Wohnungsbau wäre eine abermalige Änderung des Grundge- setzes nötig. Zwar wirbt neben der Partei Die Linke vor allem die SPD in ihrem Wahlkampf nach wie vor für eine solche. Ob dafür in den nächsten Jahren eine realistische Chance be- steht, darf angesichts der hohen formalen Hürden bezweifelt werden, und zwar nicht nur mit Blick auf die mögliche Zu- sammensetzung des neuen Bundestags, sondern auch auf den Bundesrat. Zudem ist zu beachten, dass erst im Sommer dieses Jahres eine Neuregelung für die Gestaltung der Bund-Länder- Finanzen ab 2020 getroffen wurde, die im Bundestag mit den Stimmen der Regierungsmehrheit aus CDU und SPD beschlos- sen wurde. Die Bundesländer werden demnach in Zukunft zu- sätzliche Mittel aus der Umsatzsteuer erhalten, aber ihre allei- nige Verantwortung für Sozialen Wohnungsbau kann vorerst als zementiert gelten. Die Wahlkampfrhetorik der SPD ist in diesem Punkt daher nur bedingt glaubwürdig. Selbst bei Fort- Wie es mit der Mietpreisbremse und dem Schutz von kleinen Gewerbetrei- führung ihrer Regierungsverantwortung in einer großen Koali- benden weitergeht, ist kurz vor der Bundestagswahl offen. Der Mietpreisbremse tion müssen sowohl der politische Wille als auch die Durchset- zum Schutz der Mieter/innen vor Verdrängung droht bereits auf Bundesebene zungskraft für eine Wiederherstellung der Verantwortung des das Aus. Die CDU-geführten Länder Schleswig-Holstein und Nordrhein- Bundes beim Sozialen Wohnungsbau stark in Zweifel gezogen Westfalen kündigten an, sie nicht mehr anwenden zu wollen. Foto: Peter Homann werden. Steuervergünstigungen für Investoren hohen Mitnahmeeffekten verbunden sein. Zudem ist sie aller- An die Stelle einer zielgerichteten sozialen Wohnungsbauför- höchstens eine Option für den ländlichen und vorstädtischen derung dürften in Zukunft vermehrt Steuergeschenke für Inves- Raum. In Großstädten und Ballungszentren mit angespannten toren treten. Mit einer Erhöhung der steuerlichen Absetzung Wohnungsmärkten wird sie angesichts heutiger Immobilien- für Abnutzung (AfA) für Wohngebäude oder der Einführung preise kaum praktikabel sein. Und wenn überhaupt, dann nur einer Sonder-AfA für die energetische Gebäudesanierung für Besserverdienende. Umso erschreckender ist es, dass die können sich so gut wie alle Parteien anfreunden – die einen SPD darin einen geeigneten Weg sieht, gerade auch Famili- mehr, die anderen weniger. Wie auch immer eine zukünftige en mit niedrigen und mittleren Einkommen zu befähigen, sich Regierungskonstellation gestrickt sein wird, ist die Verteilung den „Traum von den eigenen vier Wänden“ zu erfüllen. Die von Steuergeschenken an Investoren vorprogrammiert, wäh- SPD setzt damit auf ein klassisch konservatives Programm. rend es beim Mieterschutz bescheiden aussieht. Dabei wäre Sowohl im Wahlprogramm als auch in einem von Kanzlerkan- eine Sonderabschreibung für die energetische Modernisierung didat Martin Schulz im Juli vorgestellten „Zukunftsplan“ dient ohne eine gleichzeitige Abschaffung – oder zumindest eine das Familienbaugeld als Zugpferd beim Thema Wohnen. Die starke Einschränkung – der Modernisierungsumlage gemäß „kleinen Leute“, von denen Schulz so gern spricht, werden als § 559 BGB für die Immobilienwirtschaft wie Geburtstag und Eigentümer/innen adressiert, nicht als Mieter/innen. Eine be- Weihnachten zugleich. Der Schutz der Mieter/innen, etwa vor denkliche Tendenz. solchen energetischen Verdrängungsmodernisierungen, ist in- In die Legislaturperiode des nächsten Bundestags wird eine dessen kein großes Anliegen der Politik. einschneidende Änderung fallen, nämlich die möglicherweise Parteiübergreifender Konsens besteht dagegen für eine Er- endgültige Aufgabe jeglicher Gestaltungsmöglichkeiten des höhung des Wohngelds. Zum Nutzen der Mieter/innen Bundes beim Sozialen Wohnungsbau. Mit der Föderalismus- womöglich? Dies ließe sich unterstellen, aber dass durch reform 2006 wurde die Zuständigkeit für den Sozialen Woh- Investitionsanreize und durch Subventionierung von Immobi- nungsbau in die alleinige Verantwortung der Länder übertra- lieneigentümern der dringend benötigte – und vor allem auch gen. Als Ausgleich dafür erhalten sie für eine Übergangszeit bezahlbare – Wohnraum bereitgestellt wird, ist inzwischen bis zum Ende des Jahres 2019 Kompensationszahlungen vom vielfach widerlegt. Wenn diese Vorstellung auch in den heu- Bund. Diese wurden in den vergangenen Jahren von ursprüng- tigen Wahlprogrammen noch leitend ist, so darf das nicht als lich rund einer halben Milliarde Euro jährlich auf inzwischen Trugschluss interpretiert werden, sondern als eine Interessen- gut 1,5 Milliarden Euro verdreifacht, um den Bundesländern bekundung und klare Prioritätensetzung. Das Wohl der Inves- angesichts des erhöhten Wohnungsbedarfs aufgrund der ho- toren steht unangefochten an erster Stelle. Gefolgt von dem der hen Anzahl von Geflüchteten unter die Arme zu greifen. Die- Eigenheimbesitzer. Die Interessen der Mieter/innen bleiben se Interventionsmöglichkeit wird der Bund ab dem Jahr 2020 auf der Strecke. Auch dieser Konsens herrscht leider immer nicht mehr haben. Nach der aktuellen Gesetzeslage verlöre er noch parteiübergreifend. h 8 MieterEcho 390 September 2017
BERLIN TITEL Börsennotierte Unternehmen am Wohnungsmarkt Einladung der Berliner MieterGemeinschaft zur Gründung des Arbeitsausschusses Immobilien-Aktiengesellschaften Es ist mittlerweile unübersehbar: Der Markt für Immobilienkonzerne wächst stetig und konzentriert sich dabei spürbar. Ein wahrer Boom beim Im- mobilienhandel war in den letzten Jah- ren festzustellen. Diese relativ neue Entwicklung wird durch eine Studie des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) von Anfang des Jahres bestätigt – dass sich nämlich einzelne börsennotierte Wohnungsunternehmen vornehmlich regional und in Ballungszentren konti- nuierlich zu marktmächtigen Akteuren entwickeln. Den vorläufigen Höhepunkt bildete vor zwei Jahren der vorerst gescheiterte Versuch des Branchenersten Vonovia, seinen Hauptkonkurrenten Deutsche In Berlin sind bereits 12% des Mietwohnungsmarkts in der Hand von Immobilien-Aktiengesellschaften. Vor allem die Deutsche Wohnen und Vonovia üben zunehmend negativen Einfluss aus. Foto: Peter Homann Wohnen AG zu schlucken. Ein Gigant mit einem Wohnungsbestand von über 500.000 Einheiten wäre entstanden. In investiert wird, dann nicht, um die Woh- Auseinandersetzungen mit den Konzer- Berlin befinden sich bereits über 200.000 nungen und Gebäude im Interesse der nen informieren und stärken zu können, Wohnungen mit einem Anteil von 12% Mieterschaft aufzuwerten, sondern aus werden wir uns mit den jeweiligen Ge- des gesamten Mietwohnungsmarkts im Gründen der Verwertung. schäftspraktiken und bisherigen Erfah- Eigentum der Immobilien-Aktiengesell- In Berlin sind deshalb bereits einige Initi- rungen von Mieter/innen beschäftigen. schaften (siehe MieterEcho Nrn. 388 ativen und Bündnisse gegen das operative Wohnen Sie also in einer Wohnung der und 389). Ein entscheidender Grund da- Vorgehen von Deutsche Wohnen & Co. Vonovia (inklusive Conwert), TAG, Deut- für ist, dass immer mehr Finanzanlagen aktiv geworden. Eine hartnäckige, aber sche Wohnen, Grand City, Buwog, Akeli- in den Wohnungssektor gelenkt werden. auch geduldige Auseinandersetzung mit us, Adler, ADO-Properties oder auch de- Denn internationale Investoren haben die der aggressiven Geschäftspolitik der pro- ren Tochtergesellschaften, berichten Sie Metropole Berlin bereits vor Jahren als fessionellen Großvermieter ist offenkun- uns von Ihren Erfahrungen. h Immobilienmekka entdeckt und machen dig auch notwendig. ihren Einfluss auf die Geschäftsstrategien Mit dem Ausschuss Immobilien-Aktien- Das erste Treffen zur Gründung eines der Unternehmen nachhaltig geltend. gesellschaften wollen wir nicht nur die Arbeitsausschusses der Berliner Dieser Prozess wirkt sich für die Mieter/ einzelnen Wohnungskonzerne, sondern MieterGemeinschaft zum Thema innen klar nachteilig aus. Börsennotier- den Themenkomplex in seiner Gesamt- Immobilien-Aktiengesellschaften te Wohnungsunternehmen optimieren heit genauer unter die Lupe nehmen. Und findet statt: ihre Einnahmen, Kosten, Geschäftspro- da die Immobilien-Aktiengesellschaften Termin: zesse und Wohnungsbestände. Mit dem keine kurzfristige Erscheinung darstellen, Donnerstag, 7. September 2017, 18.30 Uhr Resultat, dass der Fokus auf Rendite- ist ein dauerhafter Arbeitszusammenhang Ort: orientierung seit Jahren zu vielfältigen angestrebt. Beratungsstelle der Berliner MieterGemeinschaft, Beschwerden über vernachlässigte In- Zu den Arbeitsfeldern gehört unter ande- Sonnenallee 101 (Neukölln) standhaltungen, ungewünschte – weil rem die Recherche zu den Beständen der Alle Interessierten sind herzlich eingeladen. mietpreissteigernde – Modernisierungen Immobilien-Aktiengesellschaften, die häu- Rückfragen bitte per E-Mail an die (erzwungene Umzüge inbegriffen) und fig ehemals landes- oder bundeseigene MieterEcho-Redaktion: me@bmgev.de fehlende Serviceleistungen führt. Wenn Wohnungen waren. Um Mieter/innen in MieterEcho 390 September 2017 9
BERLIN Foto: Matti Blume MB-one/Wikipedia Tegeler Scheindebatte Offenhaltung des Flughafens würde unkalkulierbare Risiken bergen und enormes Potenzial verschenken Von Mathias Behnis Nachdem der Senat dem hauptsächlich eine Abrechnung mit dem Senat handeln von der FDP initiierten Volksbegehren im wird, ist naheliegend. Ebenso nahelie- Eins steht fest: Wäre der Flughafen Mai letzten Jahres nicht nachgekommen gend ist, dass die massiven Defizite beim Berlin Brandenburg (BER) wie geplant war (MieterEcho Nr. 382/ August 2016), Bau des BER und dessen immer wieder vor Jahren in Betrieb genommen wor- kommt es nun am 24. September zum verschobener Inbetriebnahmetermin die den, gäbe es die seit mehr als einem Volksentscheid. Parallel zur Bundestags- Debatte um den Flughafen Tegel vehe- Jahr immer wieder auflodernde und wahl sind alle wahlberechtigten Berliner/ ment befeuern. sich inzwischen zuspitzende Debatte innen dazu aufgerufen, ihre Meinung zur um die Offenhaltung des Flughafens Offenhaltung Tegels kundzutun. Dass es Für sechs Millionen Passagiere Tegel nicht. Nachdem die Berliner sich hier tatsächlich nur um eine Mei- konzipiert FDP dessen Erhalt zu ihrem einzig nungsäußerung handelt, muss ausdrück- Der Flughafen Berlin-Tegel „Otto Lilien- wahrnehmbaren Wahlkampfthema aus- lich hervorgehoben werden. Denn mit thal“, wie er vollständig heißt, wurde im erkor und damit den Sprung ins Ab- dem Volksentscheid wird kein Gesetzes- Jahr 1974 in Betrieb genommen. Konzi- geordnetenhaus schaffte, vollführte text, der bei Erfolg bindend für den Senat piert war er für jährlich sechs Millionen die seit 2016 oppositionelle CDU eine wäre, zur Abstimmung gestellt. Es wird Passagiere. Seine enorme Überlastung 180-Grad-Wende und tritt neuerdings vielmehr nebulös verlangt, dass der Senat zeigt sich bei der Betrachtung der zuletzt ebenfalls für eine Offenhaltung ein. sich für die Offenhaltung des Flughafens stetig gestiegenen Passagierzahlen. Im Schützenhilfe bekommt sie dabei vom einsetzen möge. Wie er das machen soll, Jahr 2016 starteten und landeten 21,25 irrlichternden Bundesverkehrsminister bleibt dem Senat überlassen. So zu tun, Millionen Fluggäste und damit 1,2% Alexander Dobrindt (CSU). Diesen wie- als würde mit dem Volksentscheid ver- mehr als im Vorjahr. 1991 waren es noch derum pfiff die Bundesregierung als- bindlich über Schließung oder Offen- 6,47 Millionen. Insgesamt wurden nach bald zurück. Die AfD wiederum macht haltung abgestimmt, grenzt an Betrug. Angaben der Flughafengesellschaft im alles mit, Hauptsache es ist primitiv, Volksverdummung ist es allemal. Dass vergangenen Jahr auf den beiden Ber- laut und gegen „die da oben“ gerichtet. es sich bei der Abstimmung vor allem um liner Flughäfen Tegel und Schönefeld 10 MieterEcho 390 September 2017
BERLIN knapp 33 Millionen Fluggäste abgefertigt. damals vom Regierenden Bürgermeis- Flughafengesellschaft mbH, einer 100%- Und genau diese Zahl dient den Tegel- ter Eberhard Diepgen (CDU) geführte igen Tochtergesellschaft der Flughafen Befürwortern als Argument für dessen große Koalition einigte sich nach einem Berlin Brandenburg GmbH, bereits im dauerhafte Offenhaltung. Denn der BER jahrelangen Diskussionsprozess mit dem Jahr 2001 eingereicht und 2004 konkre- sei lediglich für 27 Millionen Fluggäste Land Brandenburg (SPD-Landesregie- tisiert wurde, sieht die Schließung spä- pro Jahr geplant. Zuletzt präsentierte die rung) und dem Bundesverkehrsministe- testens sechs Monate nach vollständiger Flughafengesellschaft die Möglichkeit, rium (CDU-FDP-Koalition) am 28. Mai Inbetriebnahme des BER vor. Gleiches dass der BER mittels modularer Neubau- 1996 mit einem „Konsensbeschluss“ auf besagt auch der gemeinsam von Berlin ten sukzessiv bis zum Jahr 2040 für bis zu den Standort Schönefeld als Berliner und Brandenburg beschlossene „Landes- 55 Millionen Passagiere pro Jahr erwei- „Single-Standort“. Im Beschluss enthal- entwicklungsplan Flughafenstandortent- tert werden kann – vorausgesetzt, dass ten ist auch die Schließung der Flughä- wicklung“ in der momentanen Fassung es mit den enormen Steigerungsraten fen Tempelhof und Tegel. Die damaligen von 2006. Ein Widerruf des Widerrufs bei den Fluggastzahlen weitergeht. Vor Oppositionsfraktionen von Bündnis 90/ der Tegel-Betriebsgenehmigung wie auch dem Hintergrund dieser Erweiterungs- Die Grünen und der PDS befürworteten eine Änderung des Landesentwicklungs- planungen für den BER erscheint das ebenfalls diesen Standort bei mittelfristi- plans wären aufwendig und langwierig, von den Tegel-Befürwortern gebräuchli- ger Schließung von Tempelhof und Tegel, die rechtlichen Folgen sind zudem un- che Hauptargument, dass Tegel dringend wobei sich aber beide Fraktionen eher absehbar. Wie sich eine Offenhaltung notwendig zur Bewältigung der aufkom- für einen moderaten Ausbau des beste- von Tegel auf den gerichtlich bestätigten menden Fluggastzahlen sei, eher vorge- henden Flughafens Schönefeld ausspra- Planfeststellungsbeschluss des BER aus- schoben. Vielmehr scheinen nostalgische chen. Der rechtliche Rahmen, der nun wirken könnte, der unter dem Vorbehalt Gründe im Vordergrund zu stehen, wenn vorgegeben ist, gestaltet sich komplex der Schließung von Tegel und Tempelhof vornehmlich von einem potenziellen Ver- – weswegen FDP und Tegel-Freunde steht, ist ebenfalls offen. lust von Tegel als Identifikationspunkt so- wohlweislich keinen Gesetzentwurf zum wie von seiner guten Erreichbarkeit und Volksentscheid vorgelegt haben. Mit der Kostenfrage nicht geklärt den kurzen Wegen im Terminal zu lesen Eröffnung des BER, so wurde festge- Worüber die Tegel-Befürworter/innen eben- ist. Dass dies zu kurz gedacht ist, wird bei legt, soll letztlich auch die vorhandene falls keine handfesten Angaben machen genauerer Betrachtung deutlich. Bei der Betriebsgenehmigung für den Flughafen können, sind die Kosten, die im Fall eines Hervorhebung der guten Erreichbarkeit Tegel erlöschen. Dieser Widerruf der Be- Weiterbetriebs von Tegel anfallen wür- offenbart sich die Klientelpolitik der Of- triebsgenehmigung, welcher von der den den. Laut Flughafenchef Engelbert Lütke fenhaltungsbefürworter. Bei der Samm- Flughafen Tegel betreibenden Berliner Daldrup würde ein paralleler Weiterbe- lung im Rahmen des Volksbegehrens trieb von Tegel die Flughafengesellschaft waren die meisten Stimmen in den west- jährlich zwischen 100 und 200 Millionen lichen Stadtbezirken zusammengekom- Euro kosten. Dieses Geld hat das Unter- men, allen voran mit großem Abstand nehmen nicht und die Anteilseigner – Charlottenburg-Wilmersdorf. Dass Rei- Bund, Berlin und Brandenburg – müss- nickendorf nicht an erster Stelle lag, ist ten Mittel hinzuschießen. Hinzu kommt, wohl auf die von Fluglärm und Emissio- darauf wies auch Finanzsenator Matthias nen betroffenen Bewohner/innen zurück- Kollatz-Ahnen (SPD) hin, dass Flugha- zuführen. Und dass der Flughafen Tegel fengebäude und Landebahnen in Tegel lediglich per Auto oder Bus durch ein aufwändig saniert werden müssten. Der enges Nadelöhr angefahren werden kann, wohl größte finanzielle Brocken würde ist alles andere als ein Beleg für seine für zukünftige Lärmschutzmaßnahmen „Zukunftsfähigkeit“. Weshalb es nach der betroffener Tegel-Anwohner/innen ent- Schließung Tegels ausgerechnet am BER stehen. Hier kursieren Zahlen zwischen mit seiner Anbindung an die Autobahn, 400 Millionen und zwei Milliarden Euro. das ÖPNV-Netz und an die Deutsche Auch diese Kosten müsste die Flughafen- Bahn zu einem Verkehrskollaps kommen gesellschaft tragen, die durch die BER- soll, konnten die Tegel-Befürworter bis- Finanzierung bereits immens belastet ist. lang nicht schlüssig erklären – auch wenn Dass populistische Parteien wie FDP und sie dieses Schreckgespenst immer wieder AfD von einer Kosten-Nutzen-Abwä- an die Wand malen. Es scheint eher so, als gung oder einer Bewertung rechtlicher wäre manchen Wilmersdorfer/innen der und finanzieller Risiken nichts wissen Weg nach Schönefeld zu weit, weshalb wollen, liegt in ihrer Natur. Dass sie mit sie an Tegel festhalten. Doch provinzielle der längst entschiedenen Tegel-Frage Nostalgie ersetzt keine Verkehrspolitik. eine monatelange Scheindebatte anzet- Dass vor über 20 Jahren die Entschei- telten und das enorme Potenzial des frei- dung für Schönefeld als Standort des Die stetig steigenden Passagierzahlen – knapp 33 werdenden Geländes für Wohnungsbau, neuen Hauptstadtflughafens partei- und Millionen Fluggäste in 2016 – dienen den Befür- Naherholungsflächen, Wirtschafts- und fraktionsübergreifend getroffen wurde worter/innen als Argument für den Weiterbetrieb des Forschungsstandorte aus nostalgischem Flughafens TXL. Welche Kosten damit verbunden und sich daraus weitgehende Konse- Provinzialismus einfach vom Tisch wi- sind, verschweigen sie. quenzen ergeben, wollen FDP, CDU und Foto: Günter Wicker/Flughafen Berlin Brandenburg GmbH schen, sollten sich die Berliner/innen am AfD heute nicht (mehr) akzeptieren. Die 24. September nicht bieten lassen. h MieterEcho 390 September 2017 11
BERLIN Dem Markt ausgeliefert Der Kiezladen Friedel54 wurde geräumt und damit zu einem weiteren Opfer der jahrelangen verdrängungsfördernden Wohnungspolitik der SPD Von Ralf Hutter blocks von Kreuzberg entfernt 13 Jah- Verkauf des Hauses bereit. Im Frühjahr re lang Raum für – vor allem politische und Sommer 2016 entwickelte die aus Das Ladenlokal in der Nordneuköll- und kulturelle – Veranstaltungen bot. Den 16 Haushalten bestehende Hausgemein- ner Friedelstraße 54 bietet noch in der Kiezladen, meist „Friedel54“ oder auch schaft mithilfe der Mietshäuser Syndikat zweiten Julihälfte einen ungewöhnli- „F54“ genannt, verwalteten und gestalte- GmbH und einer Stiftung ein Konzept für chen Anblick. Auf dem Absatz von Tür ten mehrere Gruppen, die unkommerziel- den Kauf. An einem runden Tisch bei der und Schaufenster stehen zahlreiche le Kneipenabende mit Vorträgen, Volks- Bezirksbürgermeisterin Franziska Giffey Grablichter und einige Blumensträuße küchen und Filmvorführungen anboten (SPD) verhandelte die Hausgemeinschaft in Flaschen. An den Rollläden kleben sowie die Räume für Treffen nutzten. mit Citec über den Kaufpreis und bot ein handgeschriebenes Plakat, das Auch eine Siebdruckwerkstatt zum Be- zuerst 1,4 Millionen Euro, dann 1,6 Mil- über die Zwangsräumung vom 29. Juni drucken von Textilien gab es. lionen, was bereits für etliche der Haus- 2017 informiert, und einige ebenfalls Doch Immobilien im Reuterkiez erfuh- halte eine beträchtliche Mietsteigerung handgeschriebene Zettel, auf denen ren in den letzten Jahren eine immense bedeutet hätte. Doch Citec war das nicht zu lesen ist: „Neukölln ohne Friedel Wertsteigerung und im Dezember 2013 genug. Noch während die Verhandlungen ist Scheiße“, „Friedel kommt bald wie- wurde dieses Haus von der Wiener Im- vermeintlich liefen, verkaufte Citec das der“, und „Ich werde dich vermissen“. mobilienspekulationsfirma Citec Immo Haus an die Luxemburger Briefkasten- Invest gekauft, die dem Kiezladen zum firma Pinehill. Der mittlerweile bekannte Die Friedhofsstimmung gilt dem „Kiez- 30. April 2016 kündigte. Gegen die Kün- Kaufpreis betrug 2 Millionen Euro. Die laden Friedel54 – Soziales Zentrum in digung begann eine große Kampagne und Kündigung des Kiezladens blieb bestehen. Nordneukölln“, der wenige Straßen- irgendwann war Citec tatsächlich zum Vorkaufsrecht im Milieuschutzgebiet Da kurz vorher die soziale Erhaltungssat- zung zur Einrichtung eines Milieuschutz- gebiets im Reuterkiez in Kraft getreten war, hatte der Bezirk ein Vorkaufsrecht, auch zugunsten Dritter. Deshalb bat die Hausgemeinschaft der Friedelstraße 54 am 19. Juli 2016 Bezirksbürgermeisterin Giffey, das Vorkaufsrecht anzuwenden und den im Kaufvertrag – der dem Be- zirk vorlag – fixierten Kaufpreis mitzu- teilen, damit die beteiligte Stiftung prüfen konnte, ob und wie der Ankauf für sie in Frage kam. Bereits zwei Tage später kam die Antwort in Form eines zweiseitigen Briefs von Baustadtrat Thomas Blesing (SPD). Darin stand neben viel Allgemei- nem, dass der von Citec verlangte Preis von 2 Millionen Euro „nicht signifikant überhöht erscheint“, also auch vom Be- zirk oder der Stiftung bezahlt werden müsse. Dafür sei allerdings kein Geld da. Dass 2 Millionen der tatsächliche Ver- kaufspreis war, teilte Blesing nicht mit. Das bis zuletzt weitergenutzte, also be- setzte, Lokal wurde am 29. Juni 2017 von 770 Polizeikräfte gingen am 29. Juni 2017 teilweise brutal gegen zwei friedliche Sitzblockaden vor dem Kiezladen Friedel54 vor und räumten das seit 13 Jahren bestehende Ladenlokal. Foto: Peter Homann einem riesigen Polizeiaufgebot mit ins- gesamt 770 Einsatzkräften, das zum Teil 12 MieterEcho 390 September 2017
BERLIN brutal gegen zwei Sitzblockaden vorging, geräumt. Am selben Tag sagte Giffey in der RBB-Abendschau, das Vorkaufsrecht sei nicht angewendet worden, weil weder der Bezirk noch die Hausgemeinschaft die nötigen 2 Millionen Euro gehabt hät- ten. Deshalb wirft das Kiezladenkollektiv dem Bezirksamt bis heute vor, nicht ein- mal versucht zu haben, den Hausverkauf an Pinehill auf formalem Weg zu verhin- dern und den Preis zu drücken. Der aktuelle Baustadtrat Jochen Bieder- mann (B90/Grüne) teilt diese Kritik nicht. Er meint, dass der Bezirk den Verkauf damals wohl wirklich nicht hätte verhin- dern können und zeigt die Vorgeschichte auf. So habe erst er in der Verwaltung in Sachen Milieuschutz „das nötige Know- how aufgebaut“. Das im September 2015 beschlossene Milieuschutzgebiet trat Ende Bis zuletzt versuchten Aktivist/innen, die Räumung des Kiezladens Friedel54 zu verhindern. Den Verkauf des Juni 2016 in Kraft, weil erst dann das nö- Hauses an die Luxemburger Briefkastenfirma Pinehill hat das Neuköllner Bezirksamt durch seine Blockade- tige Personal eingestellt war. „Ich hätte haltung gegenüber dem Milieuschutz und seinen Instrumenten mitzuverantworten. Foto: Matthias Coers mich früher um Personal gekümmert“, sagt Biedermann im Gespräch mit dem MieterEcho. „Es wäre früher möglich wären. Möglicherweise war gerade das liche Hand nicht mehr mithalten. Strengt gewesen, denn der politische Wille für in der SPD gewünscht. Eine Politik des sie im Einzelfall einen Gerichtsprozess ein Milieuschutzgebiet war früher er- Bevölkerungsaustauschs zur Aufwertung gegen einen Verkaufspreis an, läuft sie kennbar.“ Der Baustadtrat weist auf die von „armen“ Vierteln hatte sie zuvor jah- angesichts der hohen Streitwerte Gefahr, „Schmöckwitzer Erklärung“ der Neuköll- relang unter dem Regierenden Bürger- im Fall einer Niederlage erhebliche Ge- ner SPD hin. Nach einer internen Tagung meister Klaus Wowereit und unter Be- richtskosten tragen zu müssen, wie Bie- in Berlin-Schmöckwitz hatte die Bezirks- zirksbürgermeister Heinz Buschkowsky dermann festhält. SPD festgehalten: „Die Vor-Voruntersu- verfolgt. Aufgrund der jahrelangen verdrängungs- chung zum Einsatz einer sozialen Erhal- fördernden Wohnungspolitik des Bezirks tungssatzung im Reuterkiez hat gezeigt, Erhebliche Rechtsunsicherheit Neukölln waren der Kiezladen und die dass dort ein hoher Aufwertungsdruck Unter diesen Voraussetzungen war wohl Hausgemeinschaft der Friedelstraße 54 sowie die Gefahr der Verdrängung von im Juli 2016 nichts gegen den Verkauf der also dem Markt ausgeliefert. Wegen der Teilen der Gebietsbevölkerung bestehen. Friedelstraße 54 zu machen. Baustadtrat allgemeinen Marktdynamik gilt das auch Die SPD Neukölln spricht sich deshalb Biedermann hält fest, das Vorkaufsrecht für die öffentliche Hand, denn der Ver- dafür aus, zügig die notwendigen Vorun- des Bezirks geltend zu machen, sei „kein kehrswert bezieht die Marktentwicklung tersuchungen zu beginnen.“ Das Doku- einfacher Verwaltungsakt“ und in der ge- ein. „Die Armen können den Reichen ment trägt das Datum 7. September 2014. setzlich vorgegebenen Frist von zwei Mo- nicht ständig die Häuser abkaufen“, sagte Marlis Fuhrmann, stellvertretende Vor- naten generell schwierig, unter anderem, ein Sprecher des Kiezladens am Vorabend sitzende der Fraktion Die Linke in der weil der Verkaufspreis und die Finanzie- der Räumung bei der Vorführung des Bezirksverordnetenversammlung (BVV), rung geklärt werden müssten (Mieter- Films „Mietrebellen“ vor der Friedelstra- meint gegenüber dem MieterEcho: „Spä- Echo Nr. 389/ Juli 2017). Es bestehe ße 54, zu der rund 400 Menschen gekom- testens 2013 hat der Quartiersrat Reuter- „erhebliche Rechtsunsicherheit“ über die men waren. Solange die Regierungen von kiez auf die Vertreibung von Mieter/innen Festlegung eines angemessenen Kauf- Land und Bezirken nicht ihr Ausgelie- aufmerksam gemacht und vom damali- preises. Prinzipiell muss die öffentliche fertsein an den Markt bekennen, kann ihr gen SPD-Baustadtrat Gegenmaßnahmen Hand nämlich den Preis zahlen, den der mit vielen Beschwichtigungen versetzter gefordert. Auf die Brandbriefe wurde mit im Vertrag vorgesehene Käufer zu zahlen wohnungspolitischer Aktionismus nur als Spott reagiert bzw. der Kontakt seitens bereit ist. Das Land Berlin geht derzeit Politiksimulation gewertet werden. der Verwaltung abgebrochen.“ gegen ein Gerichtsurteil in Berufung, Wie das Friedel54-Kollektiv nun weiter- Das Bezirksamt blockierte das Milieu- wonach ein Verkaufspreis, der 23% über macht, ist unklar. Ein Teil der Gruppen schutzgebiet also jahrelang. Der Mi- dem liegt, was ein Verkehrswertgutachten sucht oder hat bereits neue Räumlichkei- lieuschutz kam erst, als ihn neben der ermittelte, nicht überhöht sei. Auch dabei ten. Eine Option ist, die Kampagne um BVV-Opposition über 3.000 Menschen geht es um einen Fall in einem Milieu- das geräumte Lokal weiterzuführen und forderten, die einen Einwohnerantrag zur schutzgebiet. jegliche kommerzielle Nutzung zu stören, Einrichtung mehrerer Schutzgebiete un- Kurz: Wenn der Markt explodiert und Ge- um Pinehill mürbe zu machen. Stadtent- terschrieben hatten. Bis dahin erfolgten richte das für normal erklären – obwohl wicklungssenatorin Katrin Lompscher viele mietsteigernde Modernisierungen solche Preise mit den Mieten gar nicht (Die Linke) hat sowohl vor als auch nach und Umwandlungen in Eigentumswoh- refinanziert werden können und es daher der Räumung Hilfe bei der Suche nach nungen, die heute genehmigungspflichtig um Spekulation geht –, kann die öffent- einem Ersatzraum zugesagt. h MieterEcho 390 September 2017 13
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