Mieter echo - Wohnungs- und mietenpolitisches Versagen Was die große Koalition gebracht hat und was von der Wahl zu erwarten ist - Berliner ...

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Mieter echo - Wohnungs- und mietenpolitisches Versagen Was die große Koalition gebracht hat und was von der Wahl zu erwarten ist - Berliner ...
Mieterecho
   Zeitung der Berliner MieterGemeinschaft e.V.   www.bmgev.de   Nr. 390 September 2017

  Wohnungs- und
  mietenpolitisches
      Versagen
Was die große Koalition gebracht hat
und was von der Wahl zu erwarten ist
Mieter echo - Wohnungs- und mietenpolitisches Versagen Was die große Koalition gebracht hat und was von der Wahl zu erwarten ist - Berliner ...
IMPRESSUM                                                                                      Geschäftsstelle
Herausgeberin: Berliner MieterGemeinschaft e.V.		                                              Berliner MieterGemeinschaft e.V.
                                                                                               Möckernstraße 92 (Ecke Yorckstraße), 10963 Berlin
Redaktion MieterEcho: Joachim Oellerich (V.i.S.d.P./ Chefredaktion),                           Telefon: 030 - 2168001, Telefax: 030 - 2168515
Philipp Mattern (Titelthema), R. Berg (Schlussredaktion/ CvD), 		                              www.bmgev.de
Matthias Coers (Bildredaktion), Hermann Werle, Philipp Möller,
G. Jahn (Mietrecht)		                                                                          Öffnungszeiten
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Grafik: undaunted (Gestaltung/ Satz/ Bildredaktion)                                            Fr 10 – 13 Uhr und 14 – 16 Uhr

Titelbild: Matthias Coers                                                                      Fahrverbindung:
Belichtung und Druck: Königsdruck Berlin                                                       u Möckernbrücke, Mehring­damm, Yorckstraße, i Yorckstraße, ; M19
Redaktionsschluss: 10.07.2017                                                                  Bankverbindung:
                                                                                               Postbank Berlin, IBAN: DE62 1001 0010 0083 0711 09, BIC: PBNKDEFF

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                                                                                                                                                                                                                    Möckernstraße 92 · 10963 Berlin · Telefon 216 80 01
                                                                                           Berliner MieterGemeinschaft e.V.
j Mietvertrag                              j Schönheitsreparaturen                  Möckernstraße 92
                                                                                           10963 Berlin
j Betriebskostenabrechnung                    j Mängelbeseitigung
j Heizkosten­abrechnung                       j Mieterhöhung                           Name
j Eigentümerwechsel
                                                j Wohnungsbewerbung
                                                                                           Vorname
j Umwandlung und
  Wohnungsverkauf                               j Modernisierung
                                                                                           StraSSe
j Zutritt und                             j Untermiete
  Besichtigung
                                                j Wohnfläche                             PLZ                                    Ort
j Kündigung durch den
  Vermieter                                     j Mietsicherheit/Kaution

Beitrittserklärung                                                                         Der Jahresbeitrag inkl. Mietrechtsschutzversicherung beträgt 75 €.
                                                                                           Der Kostenanteil für den Mietrechtsschutz-Gruppenversicherungsvertrag in Höhe
                                                                                           von 32,04 € wird an die ALLRECHT Rechtsschutzversicherungen abgeführt.
Hiermit erkläre ich meinen Beitritt zur Berliner MieterGemeinschaft e.V.                   Die Aufnahmegebühr beträgt 8 €. Sie entfällt, wenn ein Lastschriftmandat erteilt wird.

                                                                                                 Ich beantrage eine Mitgliedschaft ohne Rechtsschutz zum Jahresbeitrag von
                                                                                                 43 €, da ich bereits über eine bestehende Mietrechtsschutzversicherung verfüge.
Name, Vorname
                                                                                                 Den entsprechenden Nachweis habe ich in Kopie beigelegt.
                                                                                                                                                                                    B ERLINER M IETERG EMEINSCHAFT E. V.
                                                                                                                                                                                                                    Möckernstraße 92 · 10963 Berlin · Telefon 216 80 01

StraSSe, Nr.                                        PLZ                    Berlin               Ich beantrage eine Mitgliedschaft zum ermäßigten Jahresbeitrag von 51 €,
                                                                                                 da ich Arbeitslosengeld II (SGB II), Sozialhilfe oder Grundsicherungsgeld
Telefon                                             geb. am                                      (SGB XII) beziehe. Den entsprechenden Bescheid habe ich als Einkommens-
                                                                                                 nachweis in Kopie beigelegt.
HausEigentümer/in                                                                          Sepa-Lastschriftmandat
                                                                                           Ich ermächtige die Berliner MieterGemeinschaft e.V. (Gläubiger-ID:
HausVerwaltung                                                                             DE56BMG00001024542), Zahlungen von meinem Konto mittels Lastschrift einzu-
                                                                                           ziehen. Zugleich weise ich mein Kreditinstitut an, die von der Berliner MieterGemein-
Die Satzung erkenne ich hiermit an und verpflichte mich, den Jahresbeitrag bei             schaft e.V. auf mein Konto gezogene Lastschrift einzulösen.
Fälligkeit zu bezahlen. Ich bin damit einverstanden, dass meine Daten mittels              Hinweis: Ich kann innerhalb von acht Wochen, beginnend mit dem Belastungsdatum,
EDV gespeichert werden und zur Abwicklung der Rechtsschutzversicherung an                  die Erstattung des belasteten Betrags verlangen. Es gelten dabei die mit meinem
                                                                                           Kreditinstitut vereinbarten Bedingungen.
die ALLRECHT Rechtsschutzversicherungen übermittelt werden.
                                                                                           Geldinstitut		                                          BIC

Berlin, den                           Unterschrift                                          IBAN  DE

Bitte zahlen Sie den Jahresbeitrag zzgl. der Aufnahmegebühr von 8 € auf unser Konto:       Kontoinhaber/in
Postbank Berlin, IBAN: DE62 1001 0010 0083 0711 09, BIC: PBNKDEFF                      
oder erteilen Sie uns ein Lastschriftmandat (ohne Aufnahmegebühr).                         Berlin, den	Unterschrift
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Inhalt                                                                     Liebe Leserinnen und Leser,
TITEL                                                                      die Erfolgsmeldungen häufen sich: „Bezirk kauft Wohnhaus
                                                                           und lässt Briefkastenfirma abblitzen“, überschreibt die Berli-
4        Der lange Arm der Immobilienlobby                                 ner Zeitung ihren Bericht über den Erwerb des Wohngebäudes
         In der Wohnungspolitik hat die große Koalition komplett versagt   Zossener Straße 18 durch den Bezirk Friedrichshain-Kreuz-
         Rainer Balcerowiak                                                berg. „Mit der Ausübung des Vorkaufsrechtes im Milieu-
                                                                           schutzgebiet senden wir ein wichtiges Signal, das möglicher-
7        Die Parteien zur Bundestagswahl               		                  weise auch dazu führt, dass dem einen oder anderen die Lust
         Als erstes die Investoren, als zweites die Häuslebauer		          am Spekulieren vergeht“, wird Bau-Staatssekretär Sebastian
         Philipp Mattern                                                   Scheel (Die Linke) in dem Beitrag zitiert.
                                                                           Was veranlasst den Staatssekretär zu dieser optimistischen
 BERLIN                                                                    Einschätzung? Die Berliner Zeitung weist – vielleicht als Ant-
                                                                           wort – darauf hin, dass der Verkauf des Hauses Zossener Stra-
9        Börsennotierte Unternehmen am Wohnungsmarkt		                     ße 18 gerade mal der vierte Fall seit Start der rot-rot-grünen
         Einladung der Berliner MieterGemeinschaft zur Gründung des        Koalition sei, in dem ein Bezirk sein Vorkaufsrecht nutzt.
         Arbeitsausschusses Immobilien-Aktiengesellschaften                Das ist auch für den Stadtrat Florian Schmidt (Bündnis90/Die
                                                                           Grünen) ein Grund zur Freude. „Wir kaufen unseren Kiez zu-
10       Tegeler Scheindebatte				                                         rück“, lautet das Projekt, mit dem er Mieter/innen befähigen
         Offenhaltung von TXL birgt Risiken und vergibt Potenzial		        will, sich zu Hausgruppen zu formieren und ihre Häuser
         Mathias Behnis					                                               selbst zu kaufen. Der Baustadtrat scheint sich dabei nicht be-
								                                                                   wusst zu sein, dass das dergestalt zugunsten seiner Wählerkli-
12 Dem Markt ausgeliefert                                                  entel gewendete Vorkaufsrecht nicht den geringsten Einfluss
         Kiezladen Friedel54 ist weiteres Opfer der Wohnungspolitik        auf die Behebung des Wohnungsmangels in dieser Stadt hat.
         Ralf Hutter
                                                                           Denn insgesamt wurden im letzten Jahr (ohne Paketverkäufe)
                                                                           mehr als 516 Mietshäuser (ohne Gewebe) und 567 Wohn- und
14       Schutz vor Umwandlung unzureichend                                Geschäftshäuser gehandelt und dies bis zum Preis in Höhe
         ALW und BOW setzen trotz Milieuschutz auf Umwandlung
                                                                           des 30-fachen der Jahreseinnahmen.
         Jutta Blume
                                                                                                                       Ihr MieterEcho
16       Zum Höchstpreis
         Bima verkauft auch in Berlin weiterhin an Meistbietende 		                        Arbeitsausschuss
         Elisabeth Voß                                                              Immobilien-Aktiengesellschaften
                                                                                Erstes Treffen zur Gründung eines Arbeitsausschusses
18       Bürgerbeteiligung als Zauberformel
                                                                                     der Berliner MieterGemeinschaft zum Thema
         Grüne und Linke werden die Geister nicht mehr los		                                Immobilien-Aktiengesellschaften
         Rainer Balcerowiak
                                                                            Termin:	Donnerstag, 7. September 2017, 18.30 Uhr
                                                                            Ort:    Beratungsstelle, Sonnenallee 101, 12045 Berlin
20       Pfusch am Bau
         Unbewohnbare Wohnungen durch Modernisierungsalbtraum                        (weitere Informationen siehe Seite 9)
         Susanne Torka

                                                                                         Mitgliederversammlungen
21	Zwischen Protest und Selbsthilfe
    Das Bündnis „Zwangsräumung verhindern“ ist seit 5 Jahren aktiv           Mitgliederversammlung im Wedding
    Karin Baumert                                                            Termin:	Mittwoch, 13. September 2017, 19 Uhr
                                                                             Ort:	SprengelHaus Wedding, Sprengelstraße 15,
 Mietrecht Aktuell                                                                   13353 Berlin
                                                                             TOPs: - Vorstellung und Bericht der Bezirksgruppe
                                                                                     - Bericht des Vorstands
22       Mietzuschuss im Sozialen Wohnungsbau
                                                                                     - Wohnungs- und Mietenpolitik: 1 Jahr Rot-Rot-Grün
         Vorschaltgesetz bringt Entlastung für Sozialmieter/innen		                  - Wahl der Delegierten und der Stellvertreter/innen
         Rechtsanwalt Wilhelm Lodde                                                   Ausklang mit Getränken und Snacks

24       Mieter/innen fragen – wir antworten			                              Mitgliederversammlung in Friedrichshain
         Fragen und Antworten zu Ehe und Lebenspartnerschaft		               Termin:	Montag, 25. September 2017, 20 Uhr
         Rechtsanwalt Wolfgang Enders                                        Ort:	Mieterladen, Kreutzigerstraße 23, 10247 Berlin
                                                                             TOPs: - Vorstellung und Bericht der Bezirksgruppe
                                                                                     - Diskussion mit Initiativen und Partnern aus dem
27       RECHT UND RECHTSPRECHUNG			                                                   Bezirk: Situation und Probleme der Friedrichs-
                                                                                       hainer Mieter/innen und Perspektiven der
31       SERVICE
                                                                                       Gegenwehr
32       RECHTSBERATUNG                                                              - Absprachen für gemeinsame Aktionen
                                                                                     Ausklang mit Getränken und Snacks

MieterEcho 390 September 2017                                                                                                              3
Mieter echo - Wohnungs- und mietenpolitisches Versagen Was die große Koalition gebracht hat und was von der Wahl zu erwarten ist - Berliner ...
Foto: Matthias Coers
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        Der lange Arm der Immobilienlobby
                         Von „Mietpreisbremse“ bis „Neubauoffensive“: In der Wohnungspolitik
                                       hat die große Koalition komplett versagt

        Von Rainer Balcerowiak                                          Dabei sollten vor allem – in der Regel vergleichsweise güns-
                                                                        tige – ältere Bestandsmieten stärker als bisher berücksichtigt
        An Ankündigungen hat es wahrlich nicht gemangelt, als           werden. Zudem sollte per Gesetz festgelegt werden, dass Mak-
        die große Koalition aus CDU/CSU und SPD am 13. Dezem-           lerkosten und -provisionen nicht mehr auf die Mieter/innen
        ber 2013 ihren Koalitionsvertrag vorstellte. Um „dem wei-       abgewälzt werden dürfen, wenn die Beauftragung der Vermitt-
        ter wachsenden Wohnungsbedarf in den Ballungszentren            ler durch den Vermieter erfolgte. Weitere Abschnitte widme-
        und vielen Groß- und Hochschulstädten, dem notwendigen          ten sich der Energieeffizienz, dem Baurecht und den Förder-
        energetischen Umbau sowie den demografischen und so-            instrumenten zur Stadt-und Regionalentwicklung, allerdings
        zialen Herausforderungen zu entsprechen“, setze die Koa-        ohne fassbare Konkretisierungen.
        lition auf „einen wohnungspolitischen Dreiklang aus einer       Die Legislaturperiode neigt sich nun dem Ende zu, die Poli-
        Stärkung der Investitionstätigkeit, einer Wiederbelebung        tiker sind längst im Wahlkampfmodus. Zeit für eine Bilanz –
        des Sozialen Wohnungsbaus und einer ausgewogenen                und die fällt wahrlich ernüchternd aus. Denn abgesehen von
        mietrechtlichen und sozialpolitischen Flankierung“.             der Streichung der Maklergebühren für Mieter/innen hat die
        							                                                         Bundesregierung keine ihrer Ankündigungen umgesetzt.
        Angekündigt wurde im Koalitionsvertrag nicht nur die „Wieder-
        belebung des Sozialen Wohnungsbaus“, sondern auch dass die      Wirkungslose Mietpreisbremse
        Bundesländer für Städte mit „angespannten Wohnungsmärk-         Die vollmundig angekündigte „Mietpreisbremse“ für Neuver-
        ten“ die Möglichkeit erhalten sollten, „bei Wiedervermietung    mietungen wurde zu einem lächerlichen Konstrukt, das bis
        von Wohnraum die Mieterhöhungsmöglichkeiten auf maximal         zum heutigen Tag keinerlei Wirkung entfaltet. Ursächlich für
        10% über der ortsüblichen Vergleichsmiete zu beschränken“.      ihre Wirkungslosigkeit sind zum einen die zahlreichen Ausnah-
        Bei Modernisierungen sollte die von Mieter/innen zu zahlen-     men. Wenn bereits Vormieter/innen überhöhte Mieten gezahlt
        de Umlage bei 10% der Kosten gedeckelt werden und auf die       haben, unterliegen diese Mieten nicht der von der Mietpreis-
        Dauer der Amortisation der Investition begrenzt werden. Fer-    bremse vorgesehenen Kappungsgrenze in Höhe von 10% über
        ner sollte durch eine Anpassung der Härtefallklausel im         der ortsüblichen Vergleichsmiete. Ebenso ausgenommen sind
        Mietrecht (§ 559 Absatz 4 BGB) „ein wirksamer Schutz der        Neuvermietungen nach „umfangreichen Modernisierungen“
        Mieter/innen vor finanzieller Überforderung bei Sanierungen     sowie Wohnungen in Neubauten. Viel gravierender ist jedoch
        gewährleistet“ werden. Weitere Ankündigungen betrafen eine      der Vollzug oder besser Nichtvollzug des Gesetzes. Denn zum
        neue Berechnungsmethode der ortsüblichen Vergleichsmiete,       anderen sind Vermieter nicht verpflichtet, neuen Mieter/innen
        die auf eine breitere Bemessungsbasis gestellt werden sollte.   bei Vertragsabschluss die zuvor verlangte Miete mitzuteilen.

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Mieter echo - Wohnungs- und mietenpolitisches Versagen Was die große Koalition gebracht hat und was von der Wahl zu erwarten ist - Berliner ...
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                                                                                                                                                       TITEL

Wenn der Vermieter die Auskunft verweigert, können Mieter/         zentren und Universitätsstädten gerecht zu werden, müssten
innen diese Information nur auf dem Mahn- und Klageweg er-         allerdings mindestens 400.000 Wohnungen pro Jahr gebaut
halten, um eine mögliche Mietpreisüberhöhung festzustellen         werden.
– ein Procedere, das aus verständlichen Gründen kaum Betrof-       Es geht aber nicht nur um die Quantität. Denn gebaut wur-
fene auf sich nehmen wollen. Und falls es – was äußerst selten     den in den vergangenen Jahren vor allem Ein- und Zweifami-
vorkommt – dennoch zu entsprechenden Verfahren kommt,              lienhäuser, sowie teure Eigentumswohnungen. Von den 2016
muss der Vermieter lediglich die über die Kappungsgrenze hi-       fertig gestellten Objekten waren lediglich 53.000 „normale“
nausgehende zu viel gezahlte Miete zurückzahlen und das auch       Mietwohnungen, davon wiederum nur 24.500 Wohnungen im
nur für den Zeitraum seit der Rüge der Mieter/innen. Ein Ord-      Sozialen Wohnungsbau – obwohl die Angebotslücke in diesem
nungs- oder Bußgeld wegen Verstößen gegen die Mietpreis-           Segment am größten ist. Nach Schätzungen von Mieterorgani-
bremse sieht das Gesetz nicht vor. Das heißt, ein Vermieter        sationen müsste dieser Anteil zeitnah auf 80.000 bis 100.000
kann vollkommen risikolos gegen das Gesetz verstoßen und           Wohnungen pro Jahr erhöht werden, um eine drastische Ver-
verlangen, was der Markt eben hergibt.                             schärfung der Wohnungsnot in wachsenden Ballungsgebieten
Kommunen, Immobilienverbände und Mieterorganisationen              zu verhindern. Deutlich wird dies auch durch eine andere Zahl.
konstatierten daher in diesem Frühjahr in seltener Einmütig-       Laut einer Antwort der Bundesregierung auf eine große Anfra-
keit, dass die im Juni 2015 in Kraft getretene „Mietpreis-         ge der Fraktion Die Linke ist der Bestand an Sozialwohnungen
bremse“ keinerlei dämpfende Wirkung auf die rasante Preis-         zwischen 1992 und 2013 von drei auf 1,4 Millionen gesun-
entwicklung bei Neuvermietungen entfaltet habe. Die Miet-          ken. Auch danach sind pro Jahr 40.000 bis 50.000 Wohnungen
preisbremse erweist sich also als Papiertiger. Und die anderen     aus der Sozialbindung gefallen und für die kommenden Jahre
im Koalitionsvertrag formulierten Ziele wurden im Laufe der        sind Rückgänge in ähnlicher Größenordnung zu erwarten. Das
Legislaturperiode klammheimlich beerdigt. Das gilt sowohl          heißt, dass die Neubauzahlen in diesem Bereich noch nicht
für die Begrenzung von Modernisierungsumlagen auf den              einmal annähernd auch nur den Schwund decken, von einer
Zeitraum ihrer Amortisation als auch für eine erweiterte Härte-    Ausweitung ganz zu schweigen.
fallklausel für Mieter/innen.                                      Zwar hat der Bund seine jährlichen Aufwendungen für die sozi-
Bundesländer und Kommunen haben außerhalb der deutlich             ale Wohnraumförderung zwischen 2015 und 2017 auf 1,5 Mil-
geschrumpften Bestände der kommunalen Wohnungsbauge-               liarden Euro verdreifacht, doch diese Mittel werden von den
sellschaften und des sozialen Wohnungsbaus kaum Instru-
mente, mietrechtlich in die Bestandspreise einzugreifen. Nur
minimale Möglichkeiten für einzelne Wohnquartiere bietet
der Erlass von Milieuschutzsatzungen, die dem „Erhalt der
sozialen Zusammensetzung der Wohnbevölkerung“ dienen
sollen. Doch die ursprünglich für solche Gebiete vorgesehe-
nen Möglichkeiten zum Erlass von Mietobergrenzen – auch
nach Modernisierungen – sind längst durch Bundesrecht und
höchstrichterliche Rechtsprechung ausgehebelt worden. Selbst
für die in solchen Milieuschutzgebieten eigentlich vorgesehe-
ne Untersagung der Umwandlung von Miet- in Eigentums-
wohnungen gibt es Schlupflöcher. So wird die Umwandlung
beispielsweise genehmigt, wenn sich der Hauseigentümer ver-
pflichtet, innerhalb von sieben Jahren ab der Begründung von
Wohnungseigentum Wohnungen nur an die Mieter/innen zu
veräußern. Das Instrumentarium in Milieuschutzgebieten re-
duziert sich im Wesentlichen auf Restriktionen für bestimmte
Luxusmodernisierungen und ein Vorkaufsrecht der Kommu-
ne bei spekulativen Verkäufen von Mietshäusern, aber auch
das nur in einem sehr eng gesteckten Rahmen. Mit sozialer
Wohnraumversorgung hat dieses marktkonforme und eher auf
„alternative Mittelschichten“ zugeschnittene Instrument des
kommunalen Vorkaufsrechts kaum etwas zu tun. Für die Mie-
tenpolitik lässt sich also konstatieren, dass die große Koaliti-
on so gut wie nichts unternommen hat, um die Situation für
Mieter/innen zu verbessern. Und entsprechende Bundesratsin-
itiativen einiger Länder, darunter auch Berlin, verpufften ohne
Erfolg.

Mehr Wohnungsbau – aber für wen?
Was die versprochene Ankurbelung des Wohnungsbaus be-
trifft, hat die Regierung allerdings auf den ersten Blick etwas    Selbst der Erlass von Milieuschutzgebieten bietet keine ausreichende Möglichkeit,
geleistet. Die Zahl der fertiggestellten Wohnungen stieg von       Umwandlungen und Luxusmodernisierungen zu verhindern. Auch das in Milieu-
2013 bis 2016 um 29% auf rund 277.000 Wohnungen pro Jahr.          schutzgebieten anwendbare kommunale Vorkaufsrecht ist kein praktikables
Um den Fehlbestand von einer Million Wohnungen mittelfris-         Instrument zur Wohnraumversorgung. Foto: Matthias Coers
tig auszugleichen und der Nachfrage besonders in Ballungs-

MieterEcho 390 September 2017                                                                                                                    5
Mieter echo - Wohnungs- und mietenpolitisches Versagen Was die große Koalition gebracht hat und was von der Wahl zu erwarten ist - Berliner ...
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                                                                                     des Markts und der Gefahr einer „Blasenbildung“ in einigen
                                                                                     Städten warnt, weil die von Investoren kalkulierten Verkaufs-
                                                                                     oder Vermietungspreise nicht mehr realisierbar sind.

                                                                                     Marktradikalität versus Gemeinwohl
                                                                                     Bei der dritten Richtung, die auch große Teile der Partei Die
                                                                                     Linke verfolgen, wird der Schwerpunkt auf gemeinwirtschaft-
                                                                                     liche Instrumente gesetzt, ohne am Privateigentum an Immobi-
                                                                                     lien im Mietwohnungssektor etwas ändern zu wollen. In einer
                                                                                     Anfang Juni 2017 veröffentlichten Studie der Rosa-Luxem-
                                                                                     burg-Stiftung wird das Modell einer „neuen Gemeinnützig-
                                                                                     keit“ als Alternative zum bisherigen Fördersystem des Sozi-
                                                                                     alen Wohnungsbaus skizziert. Diese soll an den Instrumenten
                                                                                     der 1990 vom Deutschen Bundestag abgeschafften „alten“
                                                                                     Gemeinnützigkeit anknüpfen. Durch Steuerbefreiungen, den
                                                                                     Erlass von Grundstückskosten, zinsfreie Baudarlehen und den
                                                                                     Verzicht auf eine Eigenkapitalverzinsung ließen sich demnach
                                                                                     die Kostenmieten bei Neubauten von derzeit im Durchschnitt
                                                                                     10,30 Euro/m² erheblich senken. Zusätzlich wäre der entste-
                                                                                     hende Wohnraum auch dauerhaft für soziale Zwecke gesichert
        Im letzten Jahr wurden 277.000 Wohnungen fertig gestellt. Um den Wohnungs-
                                                                                     und würde nicht wie bisher nach Rückzahlung der Förderdarle-
        mangel auszugleichen, müssten jedoch jedes Jahr 400.000 Wohnungen neu        hen dem „freien Markt“ übergeben werden. Das Konzept einer
        gebaut werden. Bisher konnte der Bund noch durch Kompensationszahlungen in   neuen Wohnungsgemeinnützigkeit wird in leicht abgewandel-
        die Wohnraumförderung eingreifen, 2019 ist damit Schluss, wenn nicht das     ter Form auch von Bündnis90/Die Grünen und Teilen der SPD
        Grundgesetz geändert wird. Foto: undaunted                                   unterstützt, während sich die Gewerkschaften eher bedeckt
                                                                                     halten. Letzteres ist allerdings nicht verwunderlich, schließlich
        dafür zuständigen Ländern ganz unterschiedlich eingesetzt. So                liegt eine boomende und möglichst profitable private Bau- und
        haben Länder wie Bayern und Baden-Württemberg vor allem                      Immobilienwirtschaft im ureigenen Interesse vieler Mitglieder
        die Eigentumsbildung von Mittelstandsfamilien gefördert.                     und Funktionäre von ver.di und der IG BAU. Die Forderung
        In der Debatte über die Lösung der deutschen Wohnungskrise                   der Branche nach mehr Steuergeschenken wird dann auch von
        lassen sich grob gerastert drei Lager identifizieren. Die Markt-             der IG BAU unterstützt.
        radikalen lehnen staatliche Regulierungen weitgehend ab und                  Das Gemeinnützigkeitskonzept geht anderen allerdings nicht
        setzten auf die Stimulierung des Wohnungsbaus durch steuer-                  weit genug. Die 2014 im Umfeld des MieterEchos gegründe-
        liche Anreize. Der Markt würde sich auf diese Weise quasi von                te „Initiative neuer kommunaler Wohnungsbau“ (INKW) will
        allein beruhigen, lautet die Kernthese. Mögliche soziale Härten              eine Abkehr von der klassischen Wohnungsbauförderung und
        für finanzschwache Mieter/innen sollen nicht durch Eingriffe                 stattdessen Wohnungsneubau und dessen Bewirtschaftung
        in die Preisbildung – wie zum Beispiel Mietpreisbremsen –,                   in unmittelbarer Trägerschaft der öffentlichen Hand. Nur so
        sondern durch individuelle Alimentation in Form von Wohn-                    könnten Wohnungen dauerhaft der Marktlogik entzogen wer-
        geld ausgeglichen werden. Was letztendlich bedeutet, dass der                den, heißt es im Positionspapier der INKW.
        Staat den Hauseigentümern ihre enormen Renditen finanzieren                  Weder für eine neue Gemeinnützigkeit noch für einen groß
        soll.                                                                        angelegten kommunalen Wohnungsbau sind jedoch politische
        Die Verfechter der „sozialen Marktwirtschaft“ – allen voran die              Mehrheiten auf Bundes- und Länderebene in Sichtweite. Im
        SPD – setzen auf einen Mix aus Anreizen für Investoren und                   Gegenteil: Eine durchaus mögliche CDU/FDP-Bundesregie-
        sozialer Wohnraumförderung, um mittelfristig nicht nur mehr                  rung würde wohl ein ziemliches Rollback bei der sozialen
        Neubau im Allgemeinen, sondern auch ein bedarfsgerechtes                     Wohnraumförderung und beim Mieterschutz einläuten. Umso
        Segment an mietpreis- und belegungsgebundenen Wohnungen                      wichtiger ist der Kampf auf lokaler Ebene, vor allem gegen
        zu schaffen. Aber eben nicht als Wohnraum in öffentlichem                    die Vertreibung von Mieter/innen aus Wohnungen durch ren-
        Besitz, sondern als klassische Wirtschaftsförderung mit sozial               diteorientierte Immobilienverwerter. Bei entsprechender Ver-
        gebundener Zwischennutzung. Auf Länderebene gehören dazu                     netzung und Mobilisierung können dabei mitunter durchaus
        auch Instrumente wie die „kooperative Baulandentwicklung“,                   kleine Erfolge erzielt werden. Mehr aber auch nicht.
        bei der die Vergabe von Grundstücken an private Investoren                   In ihrer Gesamtheit ist die Wohnungsfrage jedenfalls ein sehr
        an ein bestimmtes Quorum von Sozialwohnungen gekoppelt                       dickes Brett, das es zu bohren gilt. Schließlich ist der Privatbe-
        wird. Die Profitlogik des Immobilienmarkts wird dabei aber                   sitz an Grund und Boden – egal ob bebaut oder unbebaut – und
        ebenfalls nicht angetastet. Außerdem haben viele Investoren                  die entsprechende Verfügungsgewalt über dessen Verwertung
        an Fördermitteln, wie beispielsweise zinslosen oder zinsverbil-              einer der Grundpfeiler der kapitalistischen Wirtschafts- und
        ligten Darlehen für die Schaffung von Sozialwohnungen über-                  Gesellschaftsordnung. Zwar scheint die Phase der Verschleu-
        haupt kein Interesse, da die Finanzierung auch großer Projekte               derung öffentlicher Liegenschaften an private Immobilienver-
        aufgrund der seit Jahren anhaltenden Nullzinspolitik der Eu-                 werter mittlerweile vorbei zu sein, doch selbst „gutwillige“
        ropäischen Zentralbank ohnehin extrem billig ist. Der Run auf                Bundesländer und Kommunen haben oftmals kaum noch Mög-
        das „Betongold“ als Alternative zu herkömmlichen Geldanla-                   lichkeiten, weitreichend in das Marktgeschehen bei Neubauten
        gen hat inzwischen dazu geführt, dass selbst die mit solchen                 einzugreifen. 					                                             h

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Mieter echo - Wohnungs- und mietenpolitisches Versagen Was die große Koalition gebracht hat und was von der Wahl zu erwarten ist - Berliner ...
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                              Die Parteien zur Bundestagswahl
Foto: Matthias Coers

                                                 Als erstes kommen die Investoren, als zweites die Häuslebauer,
                                                         aber wo bleiben die Interessen der Mieter/innen?

                       Von Philipp Mattern                                              schärfung. Jedoch ist zu beachten, dass die aus dem Hause ih-
                                                                                        res Justizministers Heiko Maas angestrebte zweite Mietrechts-
                       Das Thema Wohnen darf im Wahlkampf nicht fehlen. Statt           novelle bereits im Herbst vergangenen Jahres auf Eis gelegt
                       auf Verbesserungen beim Mieterschutz und eine Wieder-            wurde, da die Parteien der großen Koalition keine Einigung
                       herstellung bundesrechtlicher Kompetenzen beim Sozialen          erzielen konnten. Ob und in welcher Form eine weitere Novel-
                       Wohnungsbau zielen die Programme der Parteien in erster          lierung des Mietrechts auf die Agenda der kommenden Bun-
                       Linie auf Steuerbegünstigungen für Investoren und die            desregierung gelangen wird, steht in den Sternen. Damit ist
                       Förderung von Wohneigentum ab. Programmatische Vor-              auch ungewiss, wie es mit der Mietpreisbremse und den Plänen
                       stöße, die geeignet wären, die Probleme der Mieter/innen         für weitere, in den vergangenen Jahren zumindest andiskutierte
                       in den Großstädten und Ballungszentren substanziell zu           Änderungen zugunsten der Mieter/innen weitergeht. Die CDU
                       beheben, sucht man vergebens. Wer auch immer mit wem             hält sich bedeckt und die FDP stand Instrumenten wie der
                       nach der Bundestagswahl regieren wird – ein konsequen-           Mietpreisbremse schon immer feindlich gegenüber. Bündnis
                       tes Vorgehen gegen Wohnungsmangel und explodierende              90/Die Grünen bekennen sich nach wie vor programmatisch
                       Mietpreise ist nicht vorgesehen. 				                            zur Mietpreisbremse. Ebenso wie die Partei Die Linke setzten
                       						                                                           sie sich im Bundestag für eine Verschärfung ein – aus der Op-
                       Was Veränderungen beim Mietrecht angeht, so ist sehr frag-       position heraus, wohlgemerkt. Die Beteiligung der Grünen an
                       lich, worauf sich Mieter/innen nach der Wahl einstellen müs-     der „Jamaika-Koalition“ in Schleswig-Holstein hinterlässt an-
                       sen. Große Erwartungen sollten sie vermeiden. Selbst die Zu-     gesichts zu erwartender Koalitionsbildungen im Bund gerade
                       kunft der in der aktuellen Legislaturperiode erst eingeführten   in diesem Punkt einen bitteren Nach- bzw. Vorgeschmack.
                       Mietpreisbremse ist ungewiss. Statt einer Verbesserung ist nun
                       gar ihr rasches Ende nicht mehr auszuschließen. Die von der      Rückkehr der Eigenheimzulage
                       CDU geführten neuen Landesregierungen in Nordrhein-West-         Während parlamentarische Mehrheiten für zukünftige Ver-
                       falen und Schleswig-Holstein kündigten bereits an, sie in Zu-    besserungen beim Mieterschutz nicht abzusehen sind, stehen
                       kunft nicht weiter anwenden zu wollen. Begründet wird die        Maßnahmen zur Förderung des Wohneigentums hoch im Kurs.
                       Abschaffung der Mietpreisbremse mit ihrer Wirkungslosigkeit.     Sowohl die CDU als auch die SPD plädieren nachdrücklich
                       Das Argument, das für eine Verschärfung spricht, wird nun        für die Einführung eines Kinder- bzw. Familienbaugelds.
                       umgedreht. Diese Verschiebung muss auch auf Bundesebene          Eine solche Neuauflage der Eigenheimzulage würde regio-
                       befürchtet werden. Zwar hält die SPD in ihrem Wahlprogramm       nal völlig undifferenziert wirken, keineswegs zielgerichtet sein
                       weiter an der Mietpreisbremse fest und plädiert für eine Ver-    und – auch das zeigen Erfahrungen der Vergangenheit – mit

                       MieterEcho 390 September 2017                                                                                                  7
Mieter echo - Wohnungs- und mietenpolitisches Versagen Was die große Koalition gebracht hat und was von der Wahl zu erwarten ist - Berliner ...
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                                                                                        rung bereitzustellen und Einfluss auf die Förderbedingungen
                                                                                        zu nehmen. Das wäre in der Geschichte der Bundesrepublik
                                                                                        Deutschland ein Novum, dessen Folgen verheerend sein dürf-
                                                                                        ten. Schon heute kommen die meisten Bundesländer ihrer
                                                                                        Verantwortung für den Sozialen Wohnungsbau nicht nach und
                                                                                        sie machen auch kaum Anstalten, dies in Zukunft zu ändern.
                                                                                        Für die Wiederherstellung der Bundeskompetenz im Sozialen
                                                                                        Wohnungsbau wäre eine abermalige Änderung des Grundge-
                                                                                        setzes nötig. Zwar wirbt neben der Partei Die Linke vor allem
                                                                                        die SPD in ihrem Wahlkampf nach wie vor für eine solche.
                                                                                        Ob dafür in den nächsten Jahren eine realistische Chance be-
                                                                                        steht, darf angesichts der hohen formalen Hürden bezweifelt
                                                                                        werden, und zwar nicht nur mit Blick auf die mögliche Zu-
                                                                                        sammensetzung des neuen Bundestags, sondern auch auf den
                                                                                        Bundesrat. Zudem ist zu beachten, dass erst im Sommer dieses
                                                                                        Jahres eine Neuregelung für die Gestaltung der Bund-Länder-
                                                                                        Finanzen ab 2020 getroffen wurde, die im Bundestag mit den
                                                                                        Stimmen der Regierungsmehrheit aus CDU und SPD beschlos-
                                                                                        sen wurde. Die Bundesländer werden demnach in Zukunft zu-
                                                                                        sätzliche Mittel aus der Umsatzsteuer erhalten, aber ihre allei-
                                                                                        nige Verantwortung für Sozialen Wohnungsbau kann vorerst
                                                                                        als zementiert gelten. Die Wahlkampfrhetorik der SPD ist in
                                                                                        diesem Punkt daher nur bedingt glaubwürdig. Selbst bei Fort-
        Wie es mit der Mietpreisbremse und dem Schutz von kleinen Gewerbetrei-          führung ihrer Regierungsverantwortung in einer großen Koali-
        benden weitergeht, ist kurz vor der Bundestagswahl offen. Der Mietpreisbremse   tion müssen sowohl der politische Wille als auch die Durchset-
        zum Schutz der Mieter/innen vor Verdrängung droht bereits auf Bundesebene       zungskraft für eine Wiederherstellung der Verantwortung des
        das Aus. Die CDU-geführten Länder Schleswig-Holstein und Nordrhein-             Bundes beim Sozialen Wohnungsbau stark in Zweifel gezogen
        Westfalen kündigten an, sie nicht mehr anwenden zu wollen. Foto: Peter Homann   werden.

                                                                                        Steuervergünstigungen für Investoren
        hohen Mitnahmeeffekten verbunden sein. Zudem ist sie aller-                     An die Stelle einer zielgerichteten sozialen Wohnungsbauför-
        höchstens eine Option für den ländlichen und vorstädtischen                     derung dürften in Zukunft vermehrt Steuergeschenke für Inves-
        Raum. In Großstädten und Ballungszentren mit angespannten                       toren treten. Mit einer Erhöhung der steuerlichen Absetzung
        Wohnungsmärkten wird sie angesichts heutiger Immobilien-                        für Abnutzung (AfA) für Wohngebäude oder der Einführung
        preise kaum praktikabel sein. Und wenn überhaupt, dann nur                      einer Sonder-AfA für die energetische Gebäudesanierung
        für Besserverdienende. Umso erschreckender ist es, dass die                     können sich so gut wie alle Parteien anfreunden – die einen
        SPD darin einen geeigneten Weg sieht, gerade auch Famili-                       mehr, die anderen weniger. Wie auch immer eine zukünftige
        en mit niedrigen und mittleren Einkommen zu befähigen, sich                     Regierungskonstellation gestrickt sein wird, ist die Verteilung
        den „Traum von den eigenen vier Wänden“ zu erfüllen. Die                        von Steuergeschenken an Investoren vorprogrammiert, wäh-
        SPD setzt damit auf ein klassisch konservatives Programm.                       rend es beim Mieterschutz bescheiden aussieht. Dabei wäre
        Sowohl im Wahlprogramm als auch in einem von Kanzlerkan-                        eine Sonderabschreibung für die energetische Modernisierung
        didat Martin Schulz im Juli vorgestellten „Zukunftsplan“ dient                  ohne eine gleichzeitige Abschaffung – oder zumindest eine
        das Familienbaugeld als Zugpferd beim Thema Wohnen. Die                         starke Einschränkung – der Modernisierungsumlage gemäß
        „kleinen Leute“, von denen Schulz so gern spricht, werden als                   § 559 BGB für die Immobilienwirtschaft wie Geburtstag und
        Eigentümer/innen adressiert, nicht als Mieter/innen. Eine be-                   Weihnachten zugleich. Der Schutz der Mieter/innen, etwa vor
        denkliche Tendenz.                                                              solchen energetischen Verdrängungsmodernisierungen, ist in-
        In die Legislaturperiode des nächsten Bundestags wird eine                      dessen kein großes Anliegen der Politik.
        einschneidende Änderung fallen, nämlich die möglicherweise                      Parteiübergreifender Konsens besteht dagegen für eine Er-
        endgültige Aufgabe jeglicher Gestaltungsmöglichkeiten des                       höhung des Wohngelds. Zum Nutzen der Mieter/innen
        Bundes beim Sozialen Wohnungsbau. Mit der Föderalismus-                         womöglich? Dies ließe sich unterstellen, aber dass durch
        reform 2006 wurde die Zuständigkeit für den Sozialen Woh-                       Investitionsanreize und durch Subventionierung von Immobi-
        nungsbau in die alleinige Verantwortung der Länder übertra-                     lieneigentümern der dringend benötigte – und vor allem auch
        gen. Als Ausgleich dafür erhalten sie für eine Übergangszeit                    bezahlbare – Wohnraum bereitgestellt wird, ist inzwischen
        bis zum Ende des Jahres 2019 Kompensationszahlungen vom                         vielfach widerlegt. Wenn diese Vorstellung auch in den heu-
        Bund. Diese wurden in den vergangenen Jahren von ursprüng-                      tigen Wahlprogrammen noch leitend ist, so darf das nicht als
        lich rund einer halben Milliarde Euro jährlich auf inzwischen                   Trugschluss interpretiert werden, sondern als eine Interessen-
        gut 1,5 Milliarden Euro verdreifacht, um den Bundesländern                      bekundung und klare Prioritätensetzung. Das Wohl der Inves-
        angesichts des erhöhten Wohnungsbedarfs aufgrund der ho-                        toren steht unangefochten an erster Stelle. Gefolgt von dem der
        hen Anzahl von Geflüchteten unter die Arme zu greifen. Die-                     Eigenheimbesitzer. Die Interessen der Mieter/innen bleiben
        se Interventionsmöglichkeit wird der Bund ab dem Jahr 2020                      auf der Strecke. Auch dieser Konsens herrscht leider immer
        nicht mehr haben. Nach der aktuellen Gesetzeslage verlöre er                    noch parteiübergreifend.				                                 h

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Mieter echo - Wohnungs- und mietenpolitisches Versagen Was die große Koalition gebracht hat und was von der Wahl zu erwarten ist - Berliner ...
BERLIN
                                                                                                                                                          TITEL

               Börsennotierte Unternehmen
                   am Wohnungsmarkt
                           Einladung der Berliner MieterGemeinschaft zur Gründung des
                                Arbeitsausschusses Immobilien-Aktiengesellschaften

Es ist mittlerweile unübersehbar: Der
Markt für Immobilienkonzerne wächst
stetig und konzentriert sich dabei
spürbar. Ein wahrer Boom beim Im-
mobilienhandel war in den letzten Jah-
ren festzustellen. Diese relativ neue
Entwicklung wird durch eine Studie
des Bundesinstituts für Bau-, Stadt-
und Raumforschung (BBSR) von
Anfang des Jahres bestätigt – dass
sich nämlich einzelne börsennotierte
Wohnungsunternehmen vornehmlich
regional und in Ballungszentren konti-
nuierlich zu marktmächtigen Akteuren
entwickeln.

Den vorläufigen Höhepunkt bildete vor
zwei Jahren der vorerst gescheiterte
Versuch des Branchenersten Vonovia,
seinen Hauptkonkurrenten Deutsche            In Berlin sind bereits 12% des Mietwohnungsmarkts in der Hand von Immobilien-Aktiengesellschaften. Vor
                                             allem die Deutsche Wohnen und Vonovia üben zunehmend negativen Einfluss aus. Foto: Peter Homann
Wohnen AG zu schlucken. Ein Gigant
mit einem Wohnungsbestand von über
500.000 Einheiten wäre entstanden. In        investiert wird, dann nicht, um die Woh-               Auseinandersetzungen mit den Konzer-
Berlin befinden sich bereits über 200.000    nungen und Gebäude im Interesse der                    nen informieren und stärken zu können,
Wohnungen mit einem Anteil von 12%           Mieterschaft aufzuwerten, sondern aus                  werden wir uns mit den jeweiligen Ge-
des gesamten Mietwohnungsmarkts im           Gründen der Verwertung.                                schäftspraktiken und bisherigen Erfah-
Eigentum der Immobilien-Aktiengesell-        In Berlin sind deshalb bereits einige Initi-           rungen von Mieter/innen beschäftigen.
schaften (siehe MieterEcho Nrn. 388          ativen und Bündnisse gegen das operative               Wohnen Sie also in einer Wohnung der
und 389). Ein entscheidender Grund da-       Vorgehen von Deutsche Wohnen & Co.                     Vonovia (inklusive Conwert), TAG, Deut-
für ist, dass immer mehr Finanzanlagen       aktiv geworden. Eine hartnäckige, aber                 sche Wohnen, Grand City, Buwog, Akeli-
in den Wohnungssektor gelenkt werden.        auch geduldige Auseinandersetzung mit                  us, Adler, ADO-Properties oder auch de-
Denn internationale Investoren haben die     der aggressiven Geschäftspolitik der pro-              ren Tochtergesellschaften, berichten Sie
Metropole Berlin bereits vor Jahren als      fessionellen Großvermieter ist offenkun-               uns von Ihren Erfahrungen.            h
Immobilienmekka entdeckt und machen          dig auch notwendig.
ihren Einfluss auf die Geschäftsstrategien   Mit dem Ausschuss Immobilien-Aktien-                        Das erste Treffen zur Gründung eines
der Unternehmen nachhaltig geltend.          gesellschaften wollen wir nicht nur die                       Arbeitsausschusses der Berliner
Dieser Prozess wirkt sich für die Mieter/    einzelnen Wohnungskonzerne, sondern                            MieterGemeinschaft zum Thema
innen klar nachteilig aus. Börsennotier-     den Themenkomplex in seiner Gesamt-                           Immobilien-Aktiengesellschaften
te Wohnungsunternehmen optimieren            heit genauer unter die Lupe nehmen. Und                                  findet statt:
ihre Einnahmen, Kosten, Geschäftspro-        da die Immobilien-Aktiengesellschaften                                       Termin:
zesse und Wohnungsbestände. Mit dem          keine kurzfristige Erscheinung darstellen,                  Donnerstag, 7. September 2017, 18.30 Uhr
Resultat, dass der Fokus auf Rendite-        ist ein dauerhafter Arbeitszusammenhang                                        Ort:
orientierung seit Jahren zu vielfältigen     angestrebt.                                              Beratungsstelle der Berliner MieterGemeinschaft,
Beschwerden über vernachlässigte In-         Zu den Arbeitsfeldern gehört unter ande-                          Sonnenallee 101 (Neukölln)
standhaltungen, ungewünschte – weil          rem die Recherche zu den Beständen der                     Alle Interessierten sind herzlich eingeladen.
mietpreissteigernde – Modernisierungen       Immobilien-Aktiengesellschaften, die häu-                       Rückfragen bitte per E-Mail an die
(erzwungene Umzüge inbegriffen) und          fig ehemals landes- oder bundeseigene                         MieterEcho-Redaktion: me@bmgev.de
fehlende Serviceleistungen führt. Wenn       Wohnungen waren. Um Mieter/innen in

MieterEcho 390 September 2017                                                                                                                            9
Mieter echo - Wohnungs- und mietenpolitisches Versagen Was die große Koalition gebracht hat und was von der Wahl zu erwarten ist - Berliner ...
BERLIN

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                            Tegeler Scheindebatte
                            Offenhaltung des Flughafens würde unkalkulierbare Risiken
                                   bergen und enormes Potenzial verschenken

     Von Mathias Behnis                        Nachdem der Senat dem hauptsächlich          eine Abrechnung mit dem Senat handeln
                                               von der FDP initiierten Volksbegehren im     wird, ist naheliegend. Ebenso nahelie-
     Eins steht fest: Wäre der Flughafen       Mai letzten Jahres nicht nachgekommen        gend ist, dass die massiven Defizite beim
     Berlin Brandenburg (BER) wie geplant      war (MieterEcho Nr. 382/ August 2016),       Bau des BER und dessen immer wieder
     vor Jahren in Betrieb genommen wor-       kommt es nun am 24. September zum            verschobener Inbetriebnahmetermin die
     den, gäbe es die seit mehr als einem      Volksentscheid. Parallel zur Bundestags-     Debatte um den Flughafen Tegel vehe-
     Jahr immer wieder auflodernde und         wahl sind alle wahlberechtigten Berliner/    ment befeuern.
     sich inzwischen zuspitzende Debatte       innen dazu aufgerufen, ihre Meinung zur
     um die Offenhaltung des Flughafens        Offenhaltung Tegels kundzutun. Dass es       Für sechs Millionen Passagiere
     Tegel nicht. Nachdem die Berliner         sich hier tatsächlich nur um eine Mei-       konzipiert
     FDP dessen Erhalt zu ihrem einzig         nungsäußerung handelt, muss ausdrück-        Der Flughafen Berlin-Tegel „Otto Lilien-
     wahrnehmbaren Wahlkampfthema aus-         lich hervorgehoben werden. Denn mit          thal“, wie er vollständig heißt, wurde im
     erkor und damit den Sprung ins Ab-        dem Volksentscheid wird kein Gesetzes-       Jahr 1974 in Betrieb genommen. Konzi-
     geordnetenhaus schaffte, vollführte       text, der bei Erfolg bindend für den Senat   piert war er für jährlich sechs Millionen
     die seit 2016 oppositionelle CDU eine     wäre, zur Abstimmung gestellt. Es wird       Passagiere. Seine enorme Überlastung
     180-Grad-Wende und tritt neuerdings       vielmehr nebulös verlangt, dass der Senat    zeigt sich bei der Betrachtung der zuletzt
     ebenfalls für eine Offenhaltung ein.      sich für die Offenhaltung des Flughafens     stetig gestiegenen Passagierzahlen. Im
     Schützenhilfe bekommt sie dabei vom       einsetzen möge. Wie er das machen soll,      Jahr 2016 starteten und landeten 21,25
     irrlichternden Bundesverkehrsminister     bleibt dem Senat überlassen. So zu tun,      Millionen Fluggäste und damit 1,2%
     Alexander Dobrindt (CSU). Diesen wie-     als würde mit dem Volksentscheid ver-        mehr als im Vorjahr. 1991 waren es noch
     derum pfiff die Bundesregierung als-      bindlich über Schließung oder Offen-         6,47 Millionen. Insgesamt wurden nach
     bald zurück. Die AfD wiederum macht       haltung abgestimmt, grenzt an Betrug.        Angaben der Flughafengesellschaft im
     alles mit, Hauptsache es ist primitiv,    Volksverdummung ist es allemal. Dass         vergangenen Jahr auf den beiden Ber-
     laut und gegen „die da oben“ gerichtet.   es sich bei der Abstimmung vor allem um      liner Flughäfen Tegel und Schönefeld

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BERLIN

knapp 33 Millionen Fluggäste abgefertigt.      damals vom Regierenden Bürgermeis-                      Flughafengesellschaft mbH, einer 100%-
Und genau diese Zahl dient den Tegel-          ter Eberhard Diepgen (CDU) geführte                     igen Tochtergesellschaft der Flughafen
Befürwortern als Argument für dessen           große Koalition einigte sich nach einem                 Berlin Brandenburg GmbH, bereits im
dauerhafte Offenhaltung. Denn der BER          jahrelangen Diskussionsprozess mit dem                  Jahr 2001 eingereicht und 2004 konkre-
sei lediglich für 27 Millionen Fluggäste       Land Brandenburg (SPD-Landesregie-                      tisiert wurde, sieht die Schließung spä-
pro Jahr geplant. Zuletzt präsentierte die     rung) und dem Bundesverkehrsministe-                    testens sechs Monate nach vollständiger
Flughafengesellschaft die Möglichkeit,         rium (CDU-FDP-Koalition) am 28. Mai                     Inbetriebnahme des BER vor. Gleiches
dass der BER mittels modularer Neubau-         1996 mit einem „Konsensbeschluss“ auf                   besagt auch der gemeinsam von Berlin
ten sukzessiv bis zum Jahr 2040 für bis zu     den Standort Schönefeld als Berliner                    und Brandenburg beschlossene „Landes-
55 Millionen Passagiere pro Jahr erwei-        „Single-Standort“. Im Beschluss enthal-                 entwicklungsplan Flughafenstandortent-
tert werden kann – vorausgesetzt, dass         ten ist auch die Schließung der Flughä-                 wicklung“ in der momentanen Fassung
es mit den enormen Steigerungsraten            fen Tempelhof und Tegel. Die damaligen                  von 2006. Ein Widerruf des Widerrufs
bei den Fluggastzahlen weitergeht. Vor         Oppositionsfraktionen von Bündnis 90/                   der Tegel-Betriebsgenehmigung wie auch
dem Hintergrund dieser Erweiterungs-           Die Grünen und der PDS befürworteten                    eine Änderung des Landesentwicklungs-
planungen für den BER erscheint das            ebenfalls diesen Standort bei mittelfristi-             plans wären aufwendig und langwierig,
von den Tegel-Befürwortern gebräuchli-         ger Schließung von Tempelhof und Tegel,                 die rechtlichen Folgen sind zudem un-
che Hauptargument, dass Tegel dringend         wobei sich aber beide Fraktionen eher                   absehbar. Wie sich eine Offenhaltung
notwendig zur Bewältigung der aufkom-          für einen moderaten Ausbau des beste-                   von Tegel auf den gerichtlich bestätigten
menden Fluggastzahlen sei, eher vorge-         henden Flughafens Schönefeld ausspra-                   Planfeststellungsbeschluss des BER aus-
schoben. Vielmehr scheinen nostalgische        chen. Der rechtliche Rahmen, der nun                    wirken könnte, der unter dem Vorbehalt
Gründe im Vordergrund zu stehen, wenn          vorgegeben ist, gestaltet sich komplex                  der Schließung von Tegel und Tempelhof
vornehmlich von einem potenziellen Ver-        – weswegen FDP und Tegel-Freunde                        steht, ist ebenfalls offen.
lust von Tegel als Identifikationspunkt so-    wohlweislich keinen Gesetzentwurf zum
wie von seiner guten Erreichbarkeit und        Volksentscheid vorgelegt haben. Mit der                 Kostenfrage nicht geklärt
den kurzen Wegen im Terminal zu lesen          Eröffnung des BER, so wurde festge-                     Worüber die Tegel-Befürworter/innen eben-
ist. Dass dies zu kurz gedacht ist, wird bei   legt, soll letztlich auch die vorhandene                falls keine handfesten Angaben machen
genauerer Betrachtung deutlich. Bei der        Betriebsgenehmigung für den Flughafen                   können, sind die Kosten, die im Fall eines
Hervorhebung der guten Erreichbarkeit          Tegel erlöschen. Dieser Widerruf der Be-                Weiterbetriebs von Tegel anfallen wür-
offenbart sich die Klientelpolitik der Of-     triebsgenehmigung, welcher von der den                  den. Laut Flughafenchef Engelbert Lütke
fenhaltungsbefürworter. Bei der Samm-          Flughafen Tegel betreibenden Berliner                   Daldrup würde ein paralleler Weiterbe-
lung im Rahmen des Volksbegehrens                                                                      trieb von Tegel die Flughafengesellschaft
waren die meisten Stimmen in den west-                                                                 jährlich zwischen 100 und 200 Millionen
lichen Stadtbezirken zusammengekom-                                                                    Euro kosten. Dieses Geld hat das Unter-
men, allen voran mit großem Abstand                                                                    nehmen nicht und die Anteilseigner –
Charlottenburg-Wilmersdorf. Dass Rei-                                                                  Bund, Berlin und Brandenburg – müss-
nickendorf nicht an erster Stelle lag, ist                                                             ten Mittel hinzuschießen. Hinzu kommt,
wohl auf die von Fluglärm und Emissio-                                                                 darauf wies auch Finanzsenator Matthias
nen betroffenen Bewohner/innen zurück-                                                                 Kollatz-Ahnen (SPD) hin, dass Flugha-
zuführen. Und dass der Flughafen Tegel                                                                 fengebäude und Landebahnen in Tegel
lediglich per Auto oder Bus durch ein                                                                  aufwändig saniert werden müssten. Der
enges Nadelöhr angefahren werden kann,                                                                 wohl größte finanzielle Brocken würde
ist alles andere als ein Beleg für seine                                                               für zukünftige Lärmschutzmaßnahmen
„Zukunftsfähigkeit“. Weshalb es nach der                                                               betroffener Tegel-Anwohner/innen ent-
Schließung Tegels ausgerechnet am BER                                                                  stehen. Hier kursieren Zahlen zwischen
mit seiner Anbindung an die Autobahn,                                                                  400 Millionen und zwei Milliarden Euro.
das ÖPNV-Netz und an die Deutsche                                                                      Auch diese Kosten müsste die Flughafen-
Bahn zu einem Verkehrskollaps kommen                                                                   gesellschaft tragen, die durch die BER-
soll, konnten die Tegel-Befürworter bis-                                                               Finanzierung bereits immens belastet ist.
lang nicht schlüssig erklären – auch wenn                                                              Dass populistische Parteien wie FDP und
sie dieses Schreckgespenst immer wieder                                                                AfD von einer Kosten-Nutzen-Abwä-
an die Wand malen. Es scheint eher so, als                                                             gung oder einer Bewertung rechtlicher
wäre manchen Wilmersdorfer/innen der                                                                   und finanzieller Risiken nichts wissen
Weg nach Schönefeld zu weit, weshalb                                                                   wollen, liegt in ihrer Natur. Dass sie mit
sie an Tegel festhalten. Doch provinzielle                                                             der längst entschiedenen Tegel-Frage
Nostalgie ersetzt keine Verkehrspolitik.                                                               eine monatelange Scheindebatte anzet-
Dass vor über 20 Jahren die Entschei-                                                                  telten und das enorme Potenzial des frei-
dung für Schönefeld als Standort des           Die stetig steigenden Passagierzahlen – knapp 33        werdenden Geländes für Wohnungsbau,
neuen Hauptstadtflughafens partei- und         Millionen Fluggäste in 2016 – dienen den Befür-         Naherholungsflächen, Wirtschafts- und
fraktionsübergreifend getroffen wurde          worter/innen als Argument für den Weiterbetrieb des     Forschungsstandorte aus nostalgischem
                                               Flughafens TXL. Welche Kosten damit verbunden
und sich daraus weitgehende Konse-                                                                     Provinzialismus einfach vom Tisch wi-
                                               sind, verschweigen sie.
quenzen ergeben, wollen FDP, CDU und           Foto: Günter Wicker/Flughafen Berlin Brandenburg GmbH
                                                                                                       schen, sollten sich die Berliner/innen am
AfD heute nicht (mehr) akzeptieren. Die                                                                24. September nicht bieten lassen.      h

MieterEcho 390 September 2017                                                                                                                 11
BERLIN

                                   Dem Markt ausgeliefert
                        Der Kiezladen Friedel54 wurde geräumt und damit zu einem weiteren Opfer
                            der jahrelangen verdrängungsfördernden Wohnungspolitik der SPD

     Von Ralf Hutter                                          blocks von Kreuzberg entfernt 13 Jah-           Verkauf des Hauses bereit. Im Frühjahr
                                                              re lang Raum für – vor allem politische         und Sommer 2016 entwickelte die aus
     Das Ladenlokal in der Nordneuköll-                       und kulturelle – Veranstaltungen bot. Den       16 Haushalten bestehende Hausgemein-
     ner Friedelstraße 54 bietet noch in der                  Kiezladen, meist „Friedel54“ oder auch          schaft mithilfe der Mietshäuser Syndikat
     zweiten Julihälfte einen ungewöhnli-                     „F54“ genannt, verwalteten und gestalte-        GmbH und einer Stiftung ein Konzept für
     chen Anblick. Auf dem Absatz von Tür                     ten mehrere Gruppen, die unkommerziel-          den Kauf. An einem runden Tisch bei der
     und Schaufenster stehen zahlreiche                       le Kneipenabende mit Vorträgen, Volks-          Bezirksbürgermeisterin Franziska Giffey
     Grablichter und einige Blumensträuße                     küchen und Filmvorführungen anboten             (SPD) verhandelte die Hausgemeinschaft
     in Flaschen. An den Rollläden kleben                     sowie die Räume für Treffen nutzten.            mit Citec über den Kaufpreis und bot
     ein handgeschriebenes Plakat, das                        Auch eine Siebdruckwerkstatt zum Be-            zuerst 1,4 Millionen Euro, dann 1,6 Mil-
     über die Zwangsräumung vom 29. Juni                      drucken von Textilien gab es.                   lionen, was bereits für etliche der Haus-
     2017 informiert, und einige ebenfalls                    Doch Immobilien im Reuterkiez erfuh-            halte eine beträchtliche Mietsteigerung
     handgeschriebene Zettel, auf denen                       ren in den letzten Jahren eine immense          bedeutet hätte. Doch Citec war das nicht
     zu lesen ist: „Neukölln ohne Friedel                     Wertsteigerung und im Dezember 2013             genug. Noch während die Verhandlungen
     ist Scheiße“, „Friedel kommt bald wie-                   wurde dieses Haus von der Wiener Im-            vermeintlich liefen, verkaufte Citec das
     der“, und „Ich werde dich vermissen“.                    mobilienspekulationsfirma Citec Immo            Haus an die Luxemburger Briefkasten-
     					                                                    Invest gekauft, die dem Kiezladen zum           firma Pinehill. Der mittlerweile bekannte
     Die Friedhofsstimmung gilt dem „Kiez-                    30. April 2016 kündigte. Gegen die Kün-         Kaufpreis betrug 2 Millionen Euro. Die
     laden Friedel54 – Soziales Zentrum in                    digung begann eine große Kampagne und           Kündigung des Kiezladens blieb bestehen.
     Nordneukölln“, der wenige Straßen-                       irgendwann war Citec tatsächlich zum
                                                                                                              Vorkaufsrecht im Milieuschutzgebiet
                                                                                                              Da kurz vorher die soziale Erhaltungssat-
                                                                                                              zung zur Einrichtung eines Milieuschutz-
                                                                                                              gebiets im Reuterkiez in Kraft getreten
                                                                                                              war, hatte der Bezirk ein Vorkaufsrecht,
                                                                                                              auch zugunsten Dritter. Deshalb bat die
                                                                                                              Hausgemeinschaft der Friedelstraße 54
                                                                                                              am 19. Juli 2016 Bezirksbürgermeisterin
                                                                                                              Giffey, das Vorkaufsrecht anzuwenden
                                                                                                              und den im Kaufvertrag – der dem Be-
                                                                                                              zirk vorlag – fixierten Kaufpreis mitzu-
                                                                                                              teilen, damit die beteiligte Stiftung prüfen
                                                                                                              konnte, ob und wie der Ankauf für sie in
                                                                                                              Frage kam. Bereits zwei Tage später kam
                                                                                                              die Antwort in Form eines zweiseitigen
                                                                                                              Briefs von Baustadtrat Thomas Blesing
                                                                                                              (SPD). Darin stand neben viel Allgemei-
                                                                                                              nem, dass der von Citec verlangte Preis
                                                                                                              von 2 Millionen Euro „nicht signifikant
                                                                                                              überhöht erscheint“, also auch vom Be-
                                                                                                              zirk oder der Stiftung bezahlt werden
                                                                                                              müsse. Dafür sei allerdings kein Geld da.
                                                                                                              Dass 2 Millionen der tatsächliche Ver-
                                                                                                              kaufspreis war, teilte Blesing nicht mit.
                                                                                                              Das bis zuletzt weitergenutzte, also be-
                                                                                                              setzte, Lokal wurde am 29. Juni 2017 von
     770 Polizeikräfte gingen am 29. Juni 2017 teilweise brutal gegen zwei friedliche Sitzblockaden vor dem
     Kiezladen Friedel54 vor und räumten das seit 13 Jahren bestehende Ladenlokal. Foto: Peter Homann
                                                                                                              einem riesigen Polizeiaufgebot mit ins-
                                                                                                              gesamt 770 Einsatzkräften, das zum Teil

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BERLIN

brutal gegen zwei Sitzblockaden vorging,
geräumt. Am selben Tag sagte Giffey in
der RBB-Abendschau, das Vorkaufsrecht
sei nicht angewendet worden, weil weder
der Bezirk noch die Hausgemeinschaft
die nötigen 2 Millionen Euro gehabt hät-
ten. Deshalb wirft das Kiezladenkollektiv
dem Bezirksamt bis heute vor, nicht ein-
mal versucht zu haben, den Hausverkauf
an Pinehill auf formalem Weg zu verhin-
dern und den Preis zu drücken.
Der aktuelle Baustadtrat Jochen Bieder-
mann (B90/Grüne) teilt diese Kritik nicht.
Er meint, dass der Bezirk den Verkauf
damals wohl wirklich nicht hätte verhin-
dern können und zeigt die Vorgeschichte
auf. So habe erst er in der Verwaltung in
Sachen Milieuschutz „das nötige Know-
how aufgebaut“. Das im September 2015
beschlossene Milieuschutzgebiet trat Ende    Bis zuletzt versuchten Aktivist/innen, die Räumung des Kiezladens Friedel54 zu verhindern. Den Verkauf des
Juni 2016 in Kraft, weil erst dann das nö-   Hauses an die Luxemburger Briefkastenfirma Pinehill hat das Neuköllner Bezirksamt durch seine Blockade-
tige Personal eingestellt war. „Ich hätte    haltung gegenüber dem Milieuschutz und seinen Instrumenten mitzuverantworten. Foto: Matthias Coers
mich früher um Personal gekümmert“,
sagt Biedermann im Gespräch mit dem
MieterEcho. „Es wäre früher möglich          wären. Möglicherweise war gerade das                   liche Hand nicht mehr mithalten. Strengt
gewesen, denn der politische Wille für       in der SPD gewünscht. Eine Politik des                 sie im Einzelfall einen Gerichtsprozess
ein Milieuschutzgebiet war früher er-        Bevölkerungsaustauschs zur Aufwertung                  gegen einen Verkaufspreis an, läuft sie
kennbar.“ Der Baustadtrat weist auf die      von „armen“ Vierteln hatte sie zuvor jah-              angesichts der hohen Streitwerte Gefahr,
„Schmöckwitzer Erklärung“ der Neuköll-       relang unter dem Regierenden Bürger-                   im Fall einer Niederlage erhebliche Ge-
ner SPD hin. Nach einer internen Tagung      meister Klaus Wowereit und unter Be-                   richtskosten tragen zu müssen, wie Bie-
in Berlin-Schmöckwitz hatte die Bezirks-     zirksbürgermeister Heinz Buschkowsky                   dermann festhält.
SPD festgehalten: „Die Vor-Voruntersu-       verfolgt.		                                            Aufgrund der jahrelangen verdrängungs-
chung zum Einsatz einer sozialen Erhal-                                                             fördernden Wohnungspolitik des Bezirks
tungssatzung im Reuterkiez hat gezeigt,      Erhebliche Rechtsunsicherheit		                        Neukölln waren der Kiezladen und die
dass dort ein hoher Aufwertungsdruck         Unter diesen Voraussetzungen war wohl                  Hausgemeinschaft der Friedelstraße 54
sowie die Gefahr der Verdrängung von         im Juli 2016 nichts gegen den Verkauf der              also dem Markt ausgeliefert. Wegen der
Teilen der Gebietsbevölkerung bestehen.      Friedelstraße 54 zu machen. Baustadtrat                allgemeinen Marktdynamik gilt das auch
Die SPD Neukölln spricht sich deshalb        Biedermann hält fest, das Vorkaufsrecht                für die öffentliche Hand, denn der Ver-
dafür aus, zügig die notwendigen Vorun-      des Bezirks geltend zu machen, sei „kein               kehrswert bezieht die Marktentwicklung
tersuchungen zu beginnen.“ Das Doku-         einfacher Verwaltungsakt“ und in der ge-               ein. „Die Armen können den Reichen
ment trägt das Datum 7. September 2014.      setzlich vorgegebenen Frist von zwei Mo-               nicht ständig die Häuser abkaufen“, sagte
Marlis Fuhrmann, stellvertretende Vor-       naten generell schwierig, unter anderem,               ein Sprecher des Kiezladens am Vorabend
sitzende der Fraktion Die Linke in der       weil der Verkaufspreis und die Finanzie-               der Räumung bei der Vorführung des
Bezirksverordnetenversammlung (BVV),         rung geklärt werden müssten (Mieter-                   Films „Mietrebellen“ vor der Friedelstra-
meint gegenüber dem MieterEcho: „Spä-        Echo Nr. 389/ Juli 2017). Es bestehe                   ße 54, zu der rund 400 Menschen gekom-
testens 2013 hat der Quartiersrat Reuter-    „erhebliche Rechtsunsicherheit“ über die               men waren. Solange die Regierungen von
kiez auf die Vertreibung von Mieter/innen    Festlegung eines angemessenen Kauf-                    Land und Bezirken nicht ihr Ausgelie-
aufmerksam gemacht und vom damali-           preises. Prinzipiell muss die öffentliche              fertsein an den Markt bekennen, kann ihr
gen SPD-Baustadtrat Gegenmaßnahmen           Hand nämlich den Preis zahlen, den der                 mit vielen Beschwichtigungen versetzter
gefordert. Auf die Brandbriefe wurde mit     im Vertrag vorgesehene Käufer zu zahlen                wohnungspolitischer Aktionismus nur als
Spott reagiert bzw. der Kontakt seitens      bereit ist. Das Land Berlin geht derzeit               Politiksimulation gewertet werden.
der Verwaltung abgebrochen.“                 gegen ein Gerichtsurteil in Berufung,                  Wie das Friedel54-Kollektiv nun weiter-
Das Bezirksamt blockierte das Milieu-        wonach ein Verkaufspreis, der 23% über                 macht, ist unklar. Ein Teil der Gruppen
schutzgebiet also jahrelang. Der Mi-         dem liegt, was ein Verkehrswertgutachten               sucht oder hat bereits neue Räumlichkei-
lieuschutz kam erst, als ihn neben der       ermittelte, nicht überhöht sei. Auch dabei             ten. Eine Option ist, die Kampagne um
BVV-Opposition über 3.000 Menschen           geht es um einen Fall in einem Milieu-                 das geräumte Lokal weiterzuführen und
forderten, die einen Einwohnerantrag zur     schutzgebiet.                                          jegliche kommerzielle Nutzung zu stören,
Einrichtung mehrerer Schutzgebiete un-       Kurz: Wenn der Markt explodiert und Ge-                um Pinehill mürbe zu machen. Stadtent-
terschrieben hatten. Bis dahin erfolgten     richte das für normal erklären – obwohl                wicklungssenatorin Katrin Lompscher
viele mietsteigernde Modernisierungen        solche Preise mit den Mieten gar nicht                 (Die Linke) hat sowohl vor als auch nach
und Umwandlungen in Eigentumswoh-            refinanziert werden können und es daher                der Räumung Hilfe bei der Suche nach
nungen, die heute genehmigungspflichtig      um Spekulation geht –, kann die öffent-                einem Ersatzraum zugesagt.             h

MieterEcho 390 September 2017                                                                                                                         13
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