CLAIMING COMMON SPACES - KUNST UND URBANE PRAXIS EIN PROJEKT DES BÜNDNISSES INTERNATIONALER PRODUKTIONSHÄUSER

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CLAIMING COMMON SPACES - KUNST UND URBANE PRAXIS EIN PROJEKT DES BÜNDNISSES INTERNATIONALER PRODUKTIONSHÄUSER
CLAIMING
COMMON
SPACES
        KUNST
          UND
      URBANE
       PRAXIS
EIN PROJEKT DES BÜNDNISSES
INTERNATIONALER PRODUKTIONSHÄUSER
CLAIMING COMMON SPACES - KUNST UND URBANE PRAXIS EIN PROJEKT DES BÜNDNISSES INTERNATIONALER PRODUKTIONSHÄUSER
INHALT
THEMENSCHWERPUNKT IN BERLIN

                              2                                   46
                              Grußwort                            Bündnis internationaler
                                                                  Produktionshäuser

                              4                                   FFT Düsseldorf
                                                                  HAU Hebbel am Ufer Berlin
                                                                  HELLERAU – Europäisches Zentrum
                              Vorwort
                                                                  der Künste Dresden
                                                                  Kampnagel Hamburg

                              6                                   Künstlerhaus Mousonturm Frankfurt
                                                                  PACT Zollverein Essen
                                                                  tanzhaus nrw Düsseldorf
                              Das Programm in
                              sechs Städten
                              Stadt als Fabrik
                              Detroit – Berlin: One Circle
                              #minaret
                                                                  64
                                                                  Impressum
                              Live Art Festival #8: Superspaces
                              European Thinkbelt
                              1/2/8 – Urban Frictions
                              Residenzen im Realen

                              22
                              Die Stadt als
                              Spekulationsobjekt
                              Klaus Ronneberger

                              26
                              Themenschwerpunkt
                              in Berlin
                              Panels
                              Labore
                              Interventionen im Stadtraum
                              Installationen
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GRUSSWORT
                                                                                                            3                                                     GREETING

Think global, act local – global denken, lokal han-   Ergebnisse dieser schönen Zusammenarbeit              become a part of our artistic output. Such an
deln: Was mittlerweile zum Credo verantwor-           sind jetzt erstmals in einer gemeinsamen Prä-         exchange allows the participating institutions to
tungsbewussten Handels und Konsums im Zeit-           sentation in Berlin zu sehen, flankiert von Labo-     think outside the box, to reformulate questions,
alter der Digitalisierung geworden ist, haben sich    ren und Panels, in denen die bisherige Arbeit in      and perhaps also to find new and unusual an-
auch sieben der wichtigsten Produktionsstätten        neuer Umgebung weitergeführt und reflektiert          swers. Because after all, and with due respect
des Freien Theaters in Deutschland zur Devise         wird. Ich wünsche dem Bündnis viel Aufmerk-           to the importance of local anchors, the world
gemacht und 2016 ein Bündnis der Internatio-          samkeit für das Festivalprogramm und ein be-          should also be taken into consideration. “Think
nalen Produktionshäuser gegründet. Auf diese          geistertes Publikum, das sich von neuen ästhe-        global.”
Weise wollen sie lokale Kompetenzen bündeln,          tischen Erfahrungen inspirieren lässt!                For the first time, the results of this great coop-
Formen der gemeinsamen Arbeit und des Aus-                                                                  eration can now be seen in a joint presentation
tauschs erproben und sich künstlerisch weiter-        Think global, act local: what has by now become       in Berlin, accompanied by laboratories and pan-
entwickeln. Mit dabei sind das HAU Hebbel am          the credo of responsible action and consump-          els, in which previous work is developed further
Ufer in Berlin, das FFT Düsseldorf, das tanzhaus      tion in our digital age has also been chosen as a     and reflected upon in a new environment. I hope
nrw in Düsseldorf, das Europäische Zentrum der        motto by seven of the most influential produc-        that the alliance’s festival program will attract a
Künste HELLERAU in Dresden, PACT Zollverein in        tion houses of independent theater in Germa-          lot of interest and an enthusiastic audience that
Essen, das Künstlerhaus Mousonturm in Frank-          ny, who founded the International Production          will feel inspired by new aesthetic experiences!
furt am Main sowie das Theater Kampnagel in           Houses Alliance in 2016. In this way, they aim
Hamburg. Es freut mich sehr, mit einer Förde-         to bundle their expertise, test out new forms of
rung in Höhe von 12 Millionen Euro aus meinem         collaboration and exchange, and artistically grow
Etat dazu beitragen zu können, dass das Bündnis       together. The institutions involved are HAU Heb-
diese neue Form der Zusammenarbeit nun über           bel am Ufer (Berlin), FFT Düsseldorf, tanzhaus
drei Jahre mit konkreten Projekten erproben und       nrw (Düsseldorf), the European Center of the
ihren Mehrwert erfahrbar machen kann.                 Arts HELLERAU (Dresden), PACT Zollverein (Es-
An sieben Standorten wird in sechs Städten            sen), Künstlerhaus Mousonturm (Frankfurt am           Prof. Monika Grütters MdB
Deutschlands zu übergeordneten Themen ge-             Main), and Kampnagel Theater (Hamburg). It is         Staatsministerin für Kultur und Medien
forscht und mit theatralen Mitteln experimen-         my great pleasure that a funding of 12 million        Federal Government Commissioner
tiert und produziert – im Austausch der Produk-       Euros from my budget can contribute to the alli-      for Culture and the Media
tionsstätten untereinander sowie mit zahlreichen      ance and support them over the next three years
Partnern im In- und Ausland.                          in their aim to explore new forms of cooperation,
„Act local“: So lädt das aktuelle Thema „KUNST        test out individual projects, and make their add-
UND STADT“ dazu ein, spürbaren Veränderun-            ed value tangible.
gen in der eigenen Nachbarschaft, sich wan-           At seven locations in six German cities, the alli-
delnden gesellschaftlichen Strukturen wie auch        ance of production houses will not only research
sozialen und stadträumlichen Fragen der Zeit auf      overarching topics, but will also experiment and
den Grund zu gehen und diese in künstlerisches        produce with theatrical means – in exchange
Schaffen einfließen zu lassen. Im Austausch mit-      with one another as well as with numerous oth-
einander geht der Blick über den eigenen Teller-      er partners in and beyond Germany. “Act local”:
rand hinaus, werden Fragen neu formuliert und         with this motto, the current topic “ART AND THE
führen womöglich zu anderen als den gewohn-           CITY” invites us to explore significant changes
ten Antworten. Denn die Welt will – bei aller         in our own neighborhoods, in our transforming
notwendigen lokalen Verankerung – mitgedacht          societal structures. It asks us to not simply raise
werden. „Think global“.                               social and urban questions, but also to let them
CLAIMING COMMON SPACES - KUNST UND URBANE PRAXIS EIN PROJEKT DES BÜNDNISSES INTERNATIONALER PRODUKTIONSHÄUSER
EIN BÜNDNIS FÜR DEN
                                                                                                         5                                                                                               PREFACE

WIDERSPRUCH
Hinterfragen, Widersprechen, Streiten – das sind   zustande kommen. Städte sind laut, dreckig,           tivists who engage in current debates. Who              by self-determined social and cultural practices
Grundlagen für jeden Austausch. Und auch für       voll – aber auch unser Zuhause, unsere Bühne,         test the possibilities of different worlds, play-       oriented towards the common good that must
die Kunst. Widersprüche auszuhalten ist zur He-    unser Werk. Sie sind voller Widersprüche. Und         fully, fearlessly, reflectively, celebratory, or full   be continuously redeveloped.
rausforderung geworden. Das gilt im Privaten       sie geben den Rhythmus vor, die Art und Weise,        of anger. Who question alleged truths in their          Based on this thematic spectrum, the alliance
und in der Öffentlichkeit. Einfache und polari-    wie wir über Raum und Zeit verfügen.                  work and dismantle prerogatives of interpreta-          has, over the course of many months, developed
sierende Meinungen haben Konjunktur, obwohl        Einmal mehr erleben wir heute, wie die Städ­          tion. To pursue this goal, we provide structures        a broad, intensive program, both in the individ-
die Komplexität unserer Gegenwart nach ande-       te unter Druck geraten. Verknappung bezahl-           and spaces, offer contexts, resources, and our          ual production houses and in the cooperating
ren Formen der Auseinandersetzung verlangt.        baren Wohnraums, Gentrifizierung und Über-            networks. We create laboratories for experimen-         cities. Excerpts and central aspects of these
Als internationale Produktionshäuser arbeiten      wachungsstrategien im öffentlichen Raum,              tation and a public forum, also for unsecured           local activities will now be brought together, in
wir daher mit Künstler*innen, Theoretiker*in-      So­zialabbau und Prekarisierung als Folge von         and controversial positions. In encounters with         a three-day focus, hosted by all of us, at HAU
nen und Aktivist*innen zusammen, die sich in       Kommerzialisierung und Privatisierung stellen         audiences and other agents, we negotiate the            Hebbel am Ufer and in the city of Berlin.
aktuelle Debatten einmischen. Die spielerisch,     die Stadtentwicklungspolitik vor neue Heraus-         global within the local – and vice versa. This is       From June 21 to 23, we will present and discuss
furchtlos, reflexiv, feiernd oder voller Wut die   forderungen.                                          our mission, which we have been following for           our work progress in the context of “Claiming
Möglichkeiten anderer Welten erproben, in          Um das spezifisch „Städtische“ – die Begegnung        a long time – also collaboratively, and, since          Common Spaces” – in and with numerous talks,
ihren Arbeiten vermeintliche Wahrheiten hin-       zwischen Unterschiedlichem – wird weiter ge-          2016, officially as the International Production        laboratories, installations, and performances.
terfragen und Deutungshoheiten demontieren.        rungen: in immer wieder neu zu entwickelnden,         House Alliance. The alliance grants our audience        We look forward to seeing you there!
Hierfür stellen wir Strukturen und Räume, Kon-     gemeinwohlorientierten und selbstbestimmten           and the artists and groups who work with us
texte, Produktionsmittel und unsere Netzwerke      sozialen und kulturellen Praxen.                      a greater scope of action, more freedom, more           Amelie Deuflhard
zur Verfügung, schaffen Labore zur Erprobung       Basierend auf diesem Themenspektrum erar­             profound critical debates and, above all, syner-        Kampnagel Hamburg
und eine Öffentlichkeit auch für unabgesicher-     beitete das Bündnis in den einzelnen Produk-          gies, which allow us to benefit from one another,
te, angreifbare Positionen. In den Begegnungen     tionshäusern und beteiligten Städten über viele       to build on one another, and to move forward            Stefan Hilterhaus
mit Zuschauer*innen und anderen Akteur*innen       Monate ein breites, intensives Programm. Aus-         together.                                               PACT Zollverein Essen
ver­handeln wir im Lokalen das Globale – und       schnitte und zentrale Aspekte dieser Aktivitäten      Without the support of Monika Grütters, Federal
umgekehrt. Das ist unser Auftrag, den wir seit     vor Ort werden nun in einem von uns allen ge-         Government Commissioner for Culture and the             Dieter Jaenicke
Langem verfolgen – auch gemeinsam und seit         meinsam ausgerichteten, dreitägigen Fokus im          Media, this alliance would not have been possi-         HELLERAU – Europäisches
2016 offiziell als Bündnis internationaler Pro-    HAU Hebbel am Ufer und im Berliner Stadtraum          ble. We extend our heartfelt gratitude.                 Zentrum der Künste Dresden
duktionshäuser. Das Bündnis ermöglicht uns,        zusammengeführt: Vom 21. bis 23. Juni wollen          Only because of this funding, our joint thematic
unserem Publikum und den mit uns arbeitenden       wir im Rahmen von „Claiming Common Spaces“            focus “Claiming Common Spaces – art and urban           Bettina Masuch
Künstler*innen und Gruppen größere Hand-           in und mit zahlreichen Gesprächen, Laboren, In-       practice” could come into existence. Cities are         tanzhaus nrw Düsseldorf
lungsspielräume, mehr Freiheit, tiefgreifendere    stallationen und Performances unseren Arbeits-        loud, dirty, and crowded – but they are also our
kritische Auseinandersetzungen und vor allem       stand präsentieren und diskutieren.                   home, our stage, and our work. They are full of         Matthias Pees
Synergien, durch die wir voneinander profitie-     Wir freuen uns auf Ihre Teilnahme!                    contradictions. And they dictate the rhythm, the        Künstlerhaus Mousonturm
ren, aufeinander aufbauen und miteinander                                                                way we command time and space.                          Frankfurt am Main
weiter kommen.                                     To question, to dissent, to argue – these are fun­-   Today, we once again experience how cities
Ohne die Förderung des Bündnisses internatio-      damentals of any exchange, in the arts as every-      come under pressure. A shortage of afforda-             Kathrin Tiedemann
naler Produktionshäuser durch die Beauftragte      where else. To endure dissent has become a            ble housing, gentrification, and strategies of          FFT Düsseldorf
der Bundesregierung für Kultur und Medien,         challenge, both in private and public life. Sim-      surveillance in the public sphere, cuts in social
Staatsministerin Monika Grütters, wäre dies so     ple and polarizing opinions are in great demand,      services, and precarity as a result of commercial-      Annemie Vanackere
nicht möglich. Dafür danken wir ihr herzlich!      although the complexity of our present moment         ization and privatization pose new challenges to        HAU Hebbel am Ufer Berlin
Nur aufgrund dieser Unterstützung konnte auch      demands different forms of debate.                    policies of urban development.
unser gemeinsamer Themenschwerpunkt „Clai-         As international production houses, we there-         There is an ongoing struggle over the specifi-
ming Common Spaces – Kunst und urbane Praxis“      fore collaborate with artists, theorists, and ac-     cally “urban” – the encounter of differences –
CLAIMING COMMON SPACES - KUNST UND URBANE PRAXIS EIN PROJEKT DES BÜNDNISSES INTERNATIONALER PRODUKTIONSHÄUSER
DAS
PROGRAMM

                IN
             SECHS
           STÄDTEN
CLAIMING COMMON SPACES - KUNST UND URBANE PRAXIS EIN PROJEKT DES BÜNDNISSES INTERNATIONALER PRODUKTIONSHÄUSER
DAS PROGRAMM IN SECHS STÄDTEN                                                                         8   9                                                                               PROGRAM IN SIX CITIES

STADT ALS FABRIK                                                                                FFT

Wie Logistik und Masterpläne das Leben
in der Stadt verändern

Zu allen Zeiten haben Verkehrswege und Han-         menarbeit mit den Stadtforschern Klaus Ron-
delsströme die Städte geprägt. Heute regeln         neberger, Jochen Becker und Jan Lemitz ent-
komplexe logistische Netzwerke den Transport        stehende „Case Study Düsseldorf“ ergänzen wir
von Waren, Menschen und Daten. Das Erkun-           durch weiterführende Gespräche, unter anderem
dungsprojekt „Stadt als Fabrik“ untersucht die      mit Christoph Schäfer und Renée Tribble, die
Dynamiken aktueller Stadtentwicklungsprozes-        mit der „PlanBude Hamburg“ eines der derzeit
se: Ausgangspunkt ist die ehemalige Hauptpost       spannendsten Beispiele für Beteiligungsprozesse
am Düsseldorfer Hauptbahnhof.                       im Bereich der Stadtentwicklung vorstellen.
Das Gebäude wurde als logistischer Knoten-          Ein vielstimmiger Diskurs lädt alle Stadtbewoh-
punkt für die Verteilung von Briefen entworfen.     ner*innen ein, sich mit Urbanist*innen, Künstler*­
Allerdings verlegte die Post im Zuge von Refor-     innen und Aktivisten*innen über aktuelle urbane
men und Privatisierung ihren Transport von der      Handlungsfelder auszutauschen. Die Veranstal-
Schiene auf die Straße. Und so war die Funktion     tung versteht sich zugleich als Auftakt einer den
des Gebäudes in Teilen schon bei seiner Einwei-     bevorstehenden Umzug des FFT begleitenden
hung 1991 obsolet. Jetzt soll es zu einem Kultur-   Untersuchung, die weitere Aspekte der zukünfti-
zentrum umgebaut werden. Neben der Stadt-           gen Rolle des Theaterbetriebs in der Stadtgesell-
bibliothek, dem Theatermuseum und weiteren          schaft erkunden und diskutieren wird.
städtischen Nutzern wird dort auch das Forum                                                              dynamics that can be observed here as exem-           ing examples currently dealing with participatory
Freies Theater (FFT Düsseldorf) ab 2021 mit ei-     Traffic routes and trade flows have always shaped     plary for the reconfiguration of our cities. Sergio   processes in city development.
ner neuen Spielstätte einziehen.                    cities. Today, complex logistic networks structure    Bologna, one of the leading intellectuals of the      A multi-voiced discourse invites all city inhab-
In einem dreitägigen Programmschwerpunkt            the transportation of goods, people, and data.        Italian Workerism, analyzes the meaning of logis-     itants to engage in dialog with urbanologists,
erkunden wir das Düsseldorfer Bahnhofsvier-         The exploratory project “city as factory” exam-       tics for global capitalism. The Chicago-based         artists, and activists amd speak about our cur-
tel und die hier zu beobachtenden Vorgänge          ines the dynamics of city development processes       architect Clare Lyster looks at the effects that      rent scope of action. The event also initiates a
als beispielhaft für die Neukonfiguration unse-     based on the former main post office at Düssel-       urban logistics have on city life.                    survey that will accompany the relocation of the
rer Städte. Sergio Bologna, einer der führen-       dorf’s central station.                               A one-day excursion into the logistic landscapes      FFT and which will explore and discuss further
den Intellektuellen des italienischen Operais-      The building was designed to become a logistic        around Düsseldorf brings us to the end of the         aspects of the future role of the theatre within
mus, analysiert die Bedeutung der Logistik für      hub for the disseminations of letters. But then       “new silk road” in Duisburg-Rheinhausen as well       the urban society.
den globalen Kapitalismus. Die in Chicago an-       the German post was reformed and privatized,          as to the “bridge of solidarity” that is reminis-
sässige Architektin Clare Lyster betrachtet die     which led to major changes: it moved its trans-       cent of the workers strike against the closure of     7. – 9.6.2018, FFT Düsseldorf
Auswirkungen urbaner Logistik auf das Leben in      portation network from the railway to the street.     the Krupp steel mill in 1987/88. We will here also
der Stadt.                                          It was for this reason that the building’s function   focus on the transference processes that be-
Ein Tagesausflug in die logistischen Landschaf­     had already become obsolete in the moment of          come apparent in the photographic works and
ten um Düsseldorf führt unter anderem an das        its completion in 1991. Now, it is remodeled into     installations created by Jan Lemitz. In collabo-
Ende der „neuen Seidenstraße“ in Duisburg-          a cultural center. Besides the public library, the    ration with urbanologists Klaus Ronneberger,
Rheinhausen und zur „Brücke der Solidarität“, die   theatre museum, and several other public ser-         Jochen Becker, and Jan Lemitz we will develop
an den Streik der Arbeiter gegen die Schließung     vices that will settle here, it will become the new   the “Case Study” Düsseldorf, which will be com-
des Krupp-Hüttenwerks 1987/88 erinnert. Dabei       venue of the Forum Freies Theater (FFT Düssel-        plemented by talks that further expand on the
geht es um Spuren von Überschreibungen, die         dorf) in 2021.                                        subject: for this, we will be joined by Christoph
Jan Lemitz in seinen fotografischen Arbeiten        In a three-day thematic focus, we will explore the    Schäfer and Renée Tribble, who will present
und Installationen sichtbar macht. Die in Zusam-    area around Düsseldorf’s main station and the         “PlanBude Hamburg,” one of the most fascinat-
CLAIMING COMMON SPACES - KUNST UND URBANE PRAXIS EIN PROJEKT DES BÜNDNISSES INTERNATIONALER PRODUKTIONSHÄUSER
DAS PROGRAMM IN SECHS STÄDTEN                                                                    10    11                                                                                PROGRAM IN SIX CITIES

DETROIT – BERLIN:
                                                                                                       zent*innen und Städteforscher*innen wird über        portance continues to exert influences today,
                                                                                             HAU
                                                                                                       Möglichkeitsräume für Kulturschaffende in der        through a club night in Berlin’s Tresor club and

ONE CIRCLE
                                                                                                       postindustriellen Stadt nachgedacht. Im direk-       many live concerts. Cultural producers from
                                                                                                       ten Städtevergleich werden einerseits durch          both cities explore the question of how techno
                                                                                                       eine Kritik an politischen und privatwirtschaftli-   came to Europe—and also take a look at Berlin’s
                                                                                                       chen Akteur*innen Themen der Gentrifizierung,        nightlife culture to envision a future scenario for
                                                                                                       Vertreibung und Austerität aufgeworfen und           the city of Detroit.
                                                                                                       die bekannten Folgen des „urban boosterism“          Roundtables examine how individual radio shows
                                                                                                       analysiert, der im Stadtleben in erster Linie eine   can make a difference. Cultural producers team
                                                                                                       ökonomische Ressource sieht.                         up with urbanologists from Berlin and Detroit
                                                                                                       Wie der Diskurs über die „kreative Stadt“ als Wi­    to think about the possibilities that emerge in a
                                                                                                       derspruchsbeziehung artikuliert werden kann,         post-industrial city. A comparison of both cities
                                                                                                       steht im Zentrum der Performance der interdis-       on the one hand reflects on themes like gentrifi-
                                                                                                       ziplinären Künstlerin Tiff Massey, die sie spe-      cation, displacement, and austerity while on the
                                                                                                       ziell für das Festival neu entwickelt hat. Nguyê�n   other hand it analyzes common consequences of
                                                                                                       Baly, die Gruppe SDW e. V. sowie der Kotti-          an “urban boosterism” that regards city life pre-
                                                                                                       Shop sind im Vorfeld des Festivals aus Berlin        dominantly as an economical resource.
                                                                                                       nach Detroit gereist. Sowohl im HAU3 als auch        The interdisciplinary artist Tiff Massey has cre­-
                                                                                                       in einer Outdoor-Installation wird Material aus      ated a singular performance for the festival,
                                                                                                       ihren Künstler*innen-Residenzen präsentiert.         which will take up the discourse on “creative
                                                                                                       Das Festival „Detroit – Berlin: One Circle“ er-      cities” and discuss its paradoxical relationality.
                                                                                                       öffnet so eine breite Palette von unterschied-       In preparation for the festival, Baly Nguyê� n,
                                                                                                       lichsten Aspekten, die in spezifischen Formaten      the SDW e.V. group, and Kotti Shop traveled
                                                                                                       vorgestellt werden und die durch die intensive       to Detroit in preparation for the festival: they
                                                                                                       Kooperation zwischen Akteur*innen aus beiden         will present the results of their artist residencies
                                                                                                       Städten nicht nur für den Augenblick sondern         at HAU3 as well as in an outdoor installation.
                                                                                                       weit darüber hinaus Synergien wecken sollen.         The festival “Detroit – Berlin: One Circle” opens
                                                                                                                                                            up a range of aspects, which are presented in
                                                                                                       “Detroit-Berlin: One Circle” traces the intimate     specific formats and which create, through in-
                                                                                                       relationship between two repeatedly written          tense collaborations between agents from both
                                                                                                       off and yet symbolically over-determined plac-       cities, synergies that will long outlast the festival.
Das Festival „Detroit – Berlin: One Circle“ geht   Die Rezeption und Distribution des in den 1980er-   es. The image of a civilization in ruins that has
der intensiven Beziehung zweier Orte nach, die     Jahren in Detroit entstandenen Techno führte        been associated with both cities evokes an al-       Mit / With Mike Banks (Underground Resistance), Mark
immer wieder abgeschrieben und gleichzeitig        dazu, dass auch Berlin sich zu einer Metropole      most mythological anti-glamorous austerity.          Ernestus (Hard Wax), Adrian Tonon (City of Detroit),
                                                                                                                                                            John E. Collins (Underground Resistance), Lisa Blanning,
symbolisch überfrachtet wurden. Die spon-          für elektronische Musik entwickeln konnte. Die-     At the same time, both cities have been, in the      Mike Huckaby, Richard Zepezauer (n s y d e), Olad
tan mit den beiden Zentren assoziierten Bilder     sem nicht nur historisch, sondern auch aktuell      pop-cultural consciousness since the 1980s,          Aden (Gangway e.V.), Joshua Akers, Ingrid LaFleur,
brachliegender Zivilisationsruinen versprühen      bedeutsamen Umstand trägt das HAU Hebbel            invariably connected to the rapid development        Dimitri Hegemann (Tresor Berlin), Lucas Pohl, Miz
                                                                                                                                                            Korona & The Korona Effect, Ché & Dj Stacyé J, Bryce
einen fast mythologischen Austeritäts-(Anti-)      am Ufer im Zuge einer Clubnacht im Tresor Ber-      and dissemination of techno music. The festi-        Detroit (Detroit Recordings Company), Cornelius
Glamour. Die zwei Städte sind vor allem im pop-    lin und Live-Konzerten im HAU Rechnung. Kul-        val does, however, not only focus on these rich      Harris (Underground Resistance), Halima Cassells, Zoe
kulturellen Bewusstsein seit den 1980er-Jahren     turproduzent*innen aus beiden Städten gehen         musical exchanges, but also acknowledges the         Claire Miller, Diana McCarty (Reboot.fm) uvm.
untrennbar durch die rasante Entwicklung und       in einem Gespräch der Frage nach, wie Techno        productive fields of artistic and urban policy
Verbreitung von Techno miteinander verbun-         nach Europa kam – und entwerfen in Anlehnung        debate.                                              30.5. – 2.6.2018, HAU Hebbel am Ufer Berlin
den. Das Festival beschränkt sich jedoch nicht     an die Berliner Nachtkultur Zukunftsszenarien       The reception and distribution of the kind of
auf den reichen musikalischen Austausch, son-      für Detroit.                                        techno music that emerged in Detroit in the
dern bezieht darüber hinaus die ebenso produk-     Eine weitere Gesprächsrunde eruiert die Rele-       1980s also paved the way for Berlin to become
tiven Felder künstlerischer sowie städtepoliti-    vanz einzelner Radiosendungen. In Gesprächen        a metropolis for electronic music. HAU Hebbel
scher Debatten mit ein.                            zwischen Detroiter und Berliner Kulturprodu-        am Ufer honors this fact, whose historical im-
CLAIMING COMMON SPACES - KUNST UND URBANE PRAXIS EIN PROJEKT DES BÜNDNISSES INTERNATIONALER PRODUKTIONSHÄUSER
DAS PROGRAMM IN SECHS STÄDTEN                                                                     12   13                                                                             PROGRAM IN SIX CITIES

#MINARET
                                                                                                       Omar Rajeh verbindet in „#minaret“ zeitgenös-
                                                                                      HELLERAU
                                                                                                       sischen Tanz mit bildender Kunst und Livemusik,

OMAR RAJEH / MAQAMAT
                                                                                                       inspiriert von der musikalischen Tradition Alep-
                                                                                                       pos. Die abstrakte Formensprache des Tanzes

DANCE THEATRE
                                                                                                       ist es, die Rajeh fasziniert. Bewegungen, die von
                                                                                                       gesprochener Sprache losgelöst und unabhän-
                                                                                                       gig von Worten universell verständlich sind. Be-
                                                                                                       wegungen, die gleichzeitig auch zu den Brauch-
So wie in einzelnen Projekten immer wieder auf     Teile einer Stadt komplett zerstört werden? Und     tümern und Traditionen einer Kultur gehören.
historische Vorläufer verwiesen wird, so konkret   mit ihr die Werte, Ideale, Prinzipien, Geschichte   „#minaret“ war im Mai 2018 auch Teil des Fes-
politisch zeigt sich der Komplex von Geschichte    und Kultur, die sie ausmachten? Was passiert        tivas B-Europe, einem Projekt über die Vielfalt,
in einem Vorhaben von HELLERAU – Europäi-          mit den Erinnerungen an diese Orte? Mit den         die Visionen und den Plan B von Europa: Was
sches Zentrum der Künste Dresden. Kulturelle       Menschen, die dort gewohnt haben?                   bedeutet Europa, was verstehen wir heute unter
und soziale Transformationsprozesse werden         Fast 1000 Jahre lang erhob sich das Minarett        dieser Staatengemeinschaft? Ist Europa nur eine
dort mit Blick auf ein aktuelles und immer wie-    der Omajjaden-Moschee von Aleppo über die           riesige Institution, die aus Brüssel und Straß-
der heiß umkämpftes Feld der identitätspoliti-     gesamte Stadt. 2013 hielt der Minarett-Turm         burg gesteuert wird – oder sehr viel mehr?
schen Debatte Dresdens untersucht: die Stadt       dem anhaltenden Bombenhagel nicht mehr
als Ort der Erinnerung.                            stand und fiel in sich zusammen. Große Teile der    Just as single projects tend to always refer back
Der libanesische Regisseur und Choreograf          historischen Altstadt, die zum UNESCO-Welt-         to their historical predecessors, the concrete
Omar Rajeh beschäftigt sich in seinem neuen        kulturerbe gehört, liegen mittlerweile in Trüm-     political meaning of history’s complexity also
Projekt „#minaret“ mit der Zerstörung der Stadt    mern. Es sind eben diese Bomben auf Syrien, die     emerges in a project realized by HELLERAU –
Aleppo und spiegelt darin den Erinnerungs-         die Flüchtlingsströme mit ausgelöst und auch        European Center for the Arts Dresden. Cultural
und Identitätsdiskurs der Dresdner Stadtgesell-    Europa in jüngster Zeit in seinen Grundfesten       and social transformation processes are exam-
schaft. Was bedeutet es, wenn eine Stadt oder      erschüttert haben.                                  ined, with emphasis on a currently and intensely    rope to its foundations. in “#minaret,” Omar Ra-
                                                                                                       debated field within the debate on identity pol-    jeh connects contemporary dance with visual art
                                                                                                       itics in Dresden: the city as a space of memory.    and live music, a combination inspired by Alep-
                                                                                                       In his new project “#minaret,” the Lebanese di-     po’s musical traditions. It is the abstract formal
                                                                                                       rector and choreographer Omar Rajeh deals           language of dance that Rajeh finds particularly
                                                                                                       with the destruction of the city of Aleppo and      fascinating. Movements that are disconnected
                                                                                                       mirrors it through the discourse on memory and      from spoken language and become universally
                                                                                                       identity that has shaped Dresden’s urban so-        accessible in their independence from words.
                                                                                                       ciety. What does it mean when a city or parts       Movements that at the same time belong to the
                                                                                                       of it are completely destroyed? What do we do       customs and traditions of a culture.
                                                                                                       when the values, ideals, principles, the history    In May 2018, “#minaret” was part of the B-Eu-
                                                                                                       and culture that shaped it vanish with this de-     rope festival, which dealt with the diversity, vi-
                                                                                                       struction? What happens with the memories of        sions, and a plan b for Europe: what does Eu-
                                                                                                       these places? What happens to the people who        rope mean, how do we perceive this community
                                                                                                       once brought them to life?                          of states today? Is Europe just a giant institution,
                                                                                                       For almost 1000 years, the minaret of the Omaj-     governed in Brussels and Strasbourg – or does
                                                                                                       jaden mosque could be seen over the roofs of        it still amount to much more?
                                                                                                       Aleppo. In 2013 the tower of the minaret could
                                                                                                       no longer withstand the heavy bombings and          17. – 18.5.2018, HELLERAU – Europäisches
                                                                                                       collapsed. Large parts of the historical center     Zentrum des Künste Dresden
                                                                                                       of the city, a UNESCO world cultural heritage
                                                                                                       site, now lie in ruins. At the same time, these
                                                                                                       bombings in Syria are responsible for the influx
                                                                                                       of refugees that have recently also shaken Eu-
CLAIMING COMMON SPACES - KUNST UND URBANE PRAXIS EIN PROJEKT DES BÜNDNISSES INTERNATIONALER PRODUKTIONSHÄUSER
DAS PROGRAMM IN SECHS STÄDTEN                                                                    14    15                                                                               PROGRAM IN SIX CITIES

LIVE ART FESTIVAL #8:
                                                                                                       Nachbarschaft versammeln – gemeinsam mit             center stage here: it is at once a new venue und
                                                                                   KAMPNAGEL
                                                                                                       ihren zur temporären Kunst-Leihgabe erklärten        an architectural (counter)design to the factory

SUPERSPACES
                                                                                                       Pflanzen.                                            halls. In the first festival week, the curator and
                                                                                                       Daneben wird die „partizipative Institution“ auf     artist collectives Bubblegum Club and CUSS
                                                                                                       verschiedene andere Weise probiert: als Rave-        from Johannesburg will present a program that
                                                                                                       Oper von und mit Teenagern, als Dating-App für       will use scripted reality formats to deal with ur-
                                                                                                       einen Tanzbesuch, als Konfrontation mit Fuß-         ban transformations in South Africa. In the sec-
                                                                                                       ball-Fankultur in Mohamed El Khatibs spek-           ond week of the festival, the international group
                                                                                                       takulärem Theaterstück „Stadium“, in dem über        Mamaza will join artists from Hamburg. Together
                                                                                                       50 Mitglieder des nordfranzösischen Fußball-         they will open up the “Garden State*Hamburg,”
                                                                                                       vereins Racing Club de Lens die k6-Bühne be-         where residents of the Kampnagel neighbor-
                                                                                                       spielen. Für „Stadium“ wurde sogar ein eige-         hood will gather with the plotted plants, which
                                                                                                       nes Diskursprogramm zusammengestellt, mit            they offered to the project as a temporary ar-
                                                                                                       Fan-Statist*innen der Hamburger Zweitliga-Ver-       tistic loan.
                                                                                                       eine FC St. Pauli und Hamburger SV.                  Yet the “participatory institution” will also be
                                                                                                       „It’s not Really a Place. It’s More a Feeling“ war   probed in various other ways: as a rave opera
                                                                                                       der Slogan, unter dem Kampnagel über die             with and by teenagers, as a dating app for a
                                                                                                       Spiel­zeit 2017/18 hinweg eine halb fiktionale,      dance event, as a confrontation with soccer fan
                                                                                                       halb reale Kampagne zur eigenen „Marke“ als In-      culture in Mohamed El Khatib’s spectacular
                                                                                                       stitution durchführte – diese Überschreibungen       piece “Stadium.” Here, more than 50 members
                                                                                                       von Realität mit zukünftigen Visionen wird wäh-      of the soccer club Racing Club de Lens from
                                                                                                       rend „Live Art Festival #8: Superspaces“ nicht       Northern France will ender the k6 stage. A team
                                                                                                       nur auf der Ebene der Kunst, sondern auch auf        at Kampnagel conceptualized a discursive pro-
                                                                                                       der Ebene der Institution durchgeführt.              gram just for them, with extras playing fans of
                                                                                                                                                            Hamburg’s two second league clubs FC St. Pauli
                                                                                                       As the season’s finale is in sight, the common fo-   and Hamburger SV.
                                                                                                       cal point of the International Production House      “It’s not Really a Place. It’s More a Feeling” was
                                                                                                       Alliance will culminate in the “Live Art Festival    the slogan that led a campaign, half fictional and
                                                                                                       #8: Superspaces,” which focuses on the institu-      half real, that Kampnagel used in the 2017/18
                                                                                                       tion of the theatre as it opens up into a utopian    season to create its own “brand” as an institu-
Zum Spielzeitende mündet das gemeinsame            und Publikum und laden zur Versammlung so           scenario. Inspired by “Fun Palace,” the never re-    tion. Such transference processes, in which re-
Fokusthema des Bündnisses internationaler          unterschiedlicher Communities wie Fußballfans,      alized concept of a cultural temple designed by      ality is overwritten with visions of the future, will
Produktionshäuser für Kampnagel ins „Live Art      Pflanzen, Anwohner*innen oder Teenagern ein.        British architect Cedric Price in the 1960s, “Su-    be expanded during the “Live Art Festival #8:
Festival #8: Superspaces“, das sich mit der Öff-   Im Zentrum steht die temporäre Festivalarchi-       perspaces” offers new and different approach-        Superspaces” – not just on the artistic level, but
nung der Theaterinstitution als ein utopisches     tektur der Hamburger Künstler we are visual,        es to the theatre – ranging from the traditional     also on that of the institution at large.
Szenario beschäftigt. Inspiriert vom „Fun Pala-    die gleichzeitig neue Spielstätte und architekto-   visit to events that last entire days or nights.
ce“, dem nie realisierten Kulturtempel-Entwurf     nischer Gegen/Entwurf zu den Fabrikhallen ist.      In the halls, but also at newly established ven-     7. – 16.6.2018, Kampnagel Hamburg
des britischen Architekten Cedric Price aus den    Bespielt wird diese in der ersten Festivalwoche     ues on the Kampnagel grounds, they will raise
1960er-Jahren, bietet „Superspaces“ Platz für      mit einem Programm von Bubblegum Club und           questions about the conditions that govern our
verschiedene Zugänge zum Theater, vom klas-        CUSS, einem Kurator*innen- und Künstler*in-         leisure activities and artistic productions. The
sischen Theaterbesuch bis hin zum tage- oder       nen-Kollektiv aus Johannesburg, das sich an-        works that are presented here create their own
nächtelangen Ereignis. In den Hallen, aber auch    hand von Scripted-Reality-Formaten mit urba-        alliances between art, space, and the audience
an neu geschaffenen Orten auf dem Kampna-          nen Prozessen in Südafrika auseinandersetzt. In     and, in doing so, invite an assembly of vastly
gel-Gelände werden Fragen zu den Bedingun-         der zweiten Woche eröffnet die internationale       different communities – ranging from soccer
gen von Freizeitgestaltung und künstlerischer      Gruppe Mamaza zusammen mit Hamburger                fans and plants to local residents and teenagers.
Produktion gestellt. Dafür bilden die einzelnen    Künstler*innen den „Garden State*Hamburg“,          The temporary festival architecture, designed by
Arbeiten eigene Allianzen zwischen Kunst, Raum     in dem sich Bewohner*innen der Kampnagel-           the Hamburg-based artists we are visual, takes
CLAIMING COMMON SPACES - KUNST UND URBANE PRAXIS EIN PROJEKT DES BÜNDNISSES INTERNATIONALER PRODUKTIONSHÄUSER
DAS PROGRAMM IN SECHS STÄDTEN                                                                        16    17                                                                             PROGRAM IN SIX CITIES

EUROPEAN THINKBELT                                                                MOUSONTURM

Der britische Architekt Cedric Price veröffent-     Thinkbelt“ ins Verhältnis setzende Ausstellung.
lichte 1966 sein „Potteries Thinkbelt Project“:     Seine Analyse: „Theater und Museen sprechen
einen visionären Plan für eine mobile Univer-       sich immer lauter für Geflüchtete aus, während
sität in der nordenglischen Industrieregion um      bei McDonald’s bereits viele Kulturen und Eth-
Staffordshire, die sich im Niedergang befand. Er    nien zusammenleben.“
wollte das lokale Eisenbahnnetz umwandeln, um       Für „Claiming Common Spaces“ hat Takayama
für die Berufspendler*innen Seminarräume auf        nun begonnen, mit seinen Frankfurter Profes-
Schienen, Bibliotheken in Bahnhöfen und Labore      sor*innen – mit denen er zwar schon seit meh-
in Lokomotiven zu schaffen.                         reren Jahren zusammenarbeitet, die aber wegen
Der japanische Theatermacher Akira Takayama,        ihres Status als Geflüchtete oft nicht angemes-
seit 2014 „associated artist“ des Mousonturms,      sen entlohnt werden können – neue Geschäfts-
erarbeitet in Frankfurt am Main innerhalb der       modelle und Start-up-Business-Ideen zu entwi-
Aktivitäten des Bündnisses internationaler Pro-     ckeln. Seit Januar 2018 führt er mit Expert*innen
duktionshäuser derzeit das mehrjährige künstle-     und Interessierten in regelmäßigen Abständen
rische Forschungsprojekt „European Thinkbelt“,      sogenannte „McDonald’s Radio University Busi-
dem das einflussreiche Konzept von Cedric Price     ness Lunches“ an verschiedenen Orten der Stadt
zugrunde liegt. Takayama überträgt Prices Idee      durch. Um das Problem der ökonomischen Dis-            Cedric Price’s influential concept. Takayama         “Theatres and museums speak more and more
einer flüchtigen Universität in das Europa von      kriminierung zu lösen, plant er für 2019 sogar die     adapts Price’s ideas of a transient university to    in favor of refugees, while McDonald’s already
heute, durch das Geflüchtete aus anderen Teilen     Einführung einer eigenen Währung („McCash“),           today’s Europe, traversed by refugees from other     provides a space in which many cultures and
der Welt ziehen, die entweder abgewiesen oder       die zunächst im Mousonturm und dann in immer           parts of the world, who have either been turned      ethnicities live together.”
im Zuge ihrer notwendigen „Integration“ zum Er-     mehr Institutionen, Unternehmen und Geschäf-           away, or have been requested to learn local or       Together with his Frankfurt-based professors –
lernen örtlicher oder nationaler Standards, Ste-    ten Frankfurts und der Welt (und am Ende so-           national standards, stereotypes and other codes      with whom he has worked for many years now,
reotype und sonstiger Verhaltensnormen auf­-        gar bei McDonald’s) Geltung erlangen soll, und         of conduct in the course of their necessary “in-     but who, due to their status as refugees, are not
gefordert werden.                                   für die ganz eigene, innovative, stärker emotio-       tegration.”                                          paid adequately – Takayama has begun to de-
Eigentlich könnten aber eher die Einheimischen      nal denn monetär orientierte Zahlungskriterien         Yet it is rather the other way around: the lo-       velop new business models and start-up busi-
Neues und Ungewohntes von den Neuankom-             entwickelt werden, die auf zivilgesellschaftlicher     cals could learn something new and unusual           ness ideas for “Claiming Common Space.” Since
menden lernen. Deshalb rief Takayama im März        Relevanz und solidargemeinschaftlichem Wert            from the newcomers. In March 2017, therefore,        January, he has periodically held so-called “Mc-
2017 die „McDonald’s Radio University“ ins Le-      basieren könnten.                                      Takayama called into being the “McDonald’s Ra-       Donald’s Radio University Business Lunches”
ben, in der Geflüchtete als Professor*innen klan-                                                          dio University,” where refugees gave clandes-        with experts and interested people in different
destine Vorlesungen über kleine Sendermikro-        In 1966, British architect Cedric Price published      tine lectures via small transmitter microphones      locations around the city. In order to solve the
fone in Frankfurter McDonald’s-Filialen hielten.    his “Potteries Thinkbelt Project,” a visionary plan    in several McDonald’s restaurants in Frankfurt.      problem of economic discrimination, he even
Die Restaurantkette mit dem maximalen Wieder-       for a mobile university in the declining industrial    For his “theatre that hides away” (Hans-Thies Le-    plans to introduce a new currency (“McCash”),
erkennungswert hatte Takayama für sein „Thea-       region around Staffordshire in North England.          hmann), Takayama identified the franchise with       which shall gain validity first at Mousonturm, and
ter, das sich versteckt“ (Hans-Thies Lehmann) als   He wanted to transform the local railroad net-         its maximum recognition value as a worldwide         then at more and more institutions, companies,
weltweiten und hyperdiversen Treffpunkt und         work in order to create seminar rooms on rails,        and hyper-diverse meeting point and emergency        and stores in Frankfurt and the world (and, ulti-
Zufluchtsort identifiziert, in dem für jede*n ein   libraries in train stations and laboratories in lo-    shelter, in which anyone can stay for hours, even    mately, even at McDonald’s). For this currency,
stundenlanger Aufenthalt, notfalls auch über        comotives for commuters.                               overnight if necessary, with free Wi-Fi. Accord-     he will develop unique, innovative, and emotion-
Nacht, möglich sei, bei freiem WLAN. Takaya-        As part of the activities of the International Pro­-   ingly, Takayama’s “European Thinkbelt” will one      al rather than monetary payment criteria, which
mas „European Thinkbelt“ bespielt dementspre-       duction House Alliance, Japanese theatre pro-          day ideally be played out at each and every Mc-      could be based on civic relevance and on values
chend idealerweise eines Tages sämtliche Mc-        ducer Akira Takayama, who has been an asso-            Donald’s franchise along the Balkan route: The       of solidarity and community.
Donald’s-Filialen entlang der Balkanroute: Der      ciated artist at Mousonturm since 2014, is cur-        artist has mapped them in minute detail for his
Künstler hat sie minutiös kartografiert für eine    rently developing the perennial artistic research      exhibition, which accompanies the project and        2016 – 2018, Künstlerhaus Mousonturm
das Projekt begleitende und sie zum „Potteries      project “European Thinkbelt,” which is based on        relates it to “Potteries Thinkbelt.” His analysis:   Frankfurt
DAS PROGRAMM IN SECHS STÄDTEN                                                                       18    19                                                                               PROGRAM IN SIX CITIES

1/2/8 – URBAN FRICTIONS
                                                                                                          With its transdisciplinary research festival 1/2/8,   Over the course of the festival period of “1/2/8
                                                                                               PACT
                                                                                                          PACT provides since the spring of 2017, a fu-         – Urban Frictions,” the artistic research project
                                                                                                          ture-orientated international platform, that gives    Playful Commons developed a “Genehmigungs-
                                                                                                          time and space to the conjunction of various ar-      werkstatt” (“authorization workshop”), which
                                                     teil und Gravitationsfeld einer Reihe von PACT       tistic and academic disciplines. The third edition    documents successful, absurd, and failed ap-
                                                     initiierter und langfristig angelegter Aktivitäten   “1/2/8 – Urban Frictions” focused on urban pro-       proval processes for creative activities in urban
                                                     im Stadtraum. Als unabhängiger Satellit agie-        cesses and the fragile, dynamic fabric of urban       spaces, and which provides simplified assis-
                                                     rend, dient sie als Ort, an dem Kulturtechni-        societies: Where does friction take place in the      tance for future proposals at the same time. In
                                                     ken ausgetauscht und Ressourcen im Stadtteil         urban space? How can complex interactions and         a workshop series accompanying a documenta-
                                                     zu gemeinsamen Lösungsansätzen verknüpft             structures of a city be exposed and influenced        ry, Canadian video artist Roberto Santaguida
                                                     werden.                                              through art?                                          developed individual portraits of cities in col-
                                                     Während des Festivalzeitraums von „1/2/8 – Ur-       During four-week research residencies, seven          laboration with people suffering from mental
                                                     ban Frictions“ ließ das künstlerische Forschungs-    local and international artist groups analyzed        illnesses. The group HEFT constructs mobile
                                                     projekt „Playful Commons“ hier eine „Ge­neh­         public and private spaces as spheres of political,    ad-hoc architecture made from wood, fabric,
                                                     migungswerkstatt“ entstehen, die gelungene,          social, and cultural participation from different     and other materials. These transformable mi-
                                                     absurde und gescheiterte Genehmigungspro-            perspectives. In so doing, they developed prac-       ni-parliaments invited visitors to join in public
                                                     zesse für kreative Aktivitäten im urbanen Raum       tices which create free spaces and open up sov-       debates. In installations that create alternative
                                                     dokumentiert und zugleich vereinfachende             ereign courses of action. Next to “1/2/8 – Urban      forms of cartography, the artist group h-artlab
                                                     Hilfestellungen für zukünftige Anträge leistet.      Frictions,” the “WerkStadt” is the gravitational      posed questions about territorial concepts and
                                                     In einer Workshop-Reihe zum Dokumentar-              center and an integral part of a number of activi-    the demarcation of borders.
                                                     film entwickelte der kanadische Videokünstler        ties in the city space, initiated and planned long-   Namik Mackic’s geopolitical research centers
                                                     Roberto Santaguida gemeinsam mit Menschen            term by PACT. Acting as an independent satellite,     around the idea of landscape as an object of
                                                     mit psychischen Erkrankungen individuelle Por-       the WerkStadt serves as a place in which cultur-      technocratic urbanization. Sound artist Yotam
                                                     traits ihrer Städte. Die Gruppe HEFT konstruier-     al techniques are exchanged and resources are         Schlezinger recorded the city’s tensions and
                                                     te mobile Ad-hoc-Architekturen aus Holz, Stoff       brought together to joint approaches to ques-         acoustic contradictions and composed them
Mit dem transdisziplinären Forschungsfesti­          und anderen Materialien als transformierbare         tions in the city district.                           without dissolving them. In her search for pos-
val 1/2/8 bietet PACT Zollverein seit dem Früh-      Mini-Parlamente, die zu öffentlichen Debatten                                                              sibilities of transfer of individual practices, over
jahr 2017 eine zukunftsweisende internationale       einluden. Fragen nach territorialen Konzepten                                                              the next eight months, Greek choreographer
Plattf­orm, die Raum und Zeit schafft für die Ver-   und Grenzsetzungen stellte die Künstler*innen-                                                             Lenio Kaklea will interview local city residents
knüpfung unterschiedlicher künstlerischer und        gruppe h-artlab mit ihren Installationen, die al-                                                          about their daily practices, customs, and rituals
wissenschaftlicher Disziplinen. Die dritte Ausga-    ternative Formen der Kartografie entwarfen.                                                                and bring her results together in a literary pub-
be „1/2/8 – Urban Frictions“ stellte im Mai 2018     Die Landschaft als Gegenstand technokratischer                                                             lication and a choreography – what emerges is
urbane Pro­zesse und die fragilen, dynamischen       Urbanisierung rückte ins Zentrum von Namik                                                                 an encyclopedia of urban practices.
Gefüge von Stadtgesellschaften in den Fokus:         Mackics geopolitischer Forschung. Der Klang-
Wo findet Reibung im urbanen Raum statt? Wie         künstler Yotam Schlezinger hörte die Stadt auf                                                             7.5. – 2.6.2018 PACT Zollverein Essen
lassen sich die Wirkungsgefüge und Strukturen        ihre Spannungen und akustischen Widersprüche
einer Stadt freilegen und mit den Mitteln der        ab und komponierte diese, ohne sie aufzulösen.
Kunst beeinflussen?                                  Ausgehend von der Suche nach Möglichkeiten
Während vierwöchiger Forschungsaufenthalte           zur Übertragung individueller Praxen wird darü-
untersuchten sieben lokale und internationa-         ber hinaus die griechischen Choreografin Lenio
le Künstler*innen-Gruppen aus unterschiedli-         Kaklea in einer achtmonatigen Forschungspe-
chen Perspektiven den öffentlichen und priva-        riode die Bewohner*innen eines Stadtteils zu
ten Raum als Sphären der politischen, sozialen       ihren alltäglichen Praktiken, Bräuchen und Ri-
und kulturellen Teilhabe. Dabei entwickelten sie     tualen befragen und diese in einer literarischen
Praxen, die Freiräume erzeugen und souveräne         Publikation und einer Choreografie zusammen-
Handlungsoptionen eröffnen. Neben „1/2/8 –           führen – es entsteht eine Enzyklopädie urbaner
Urban Frictions“ ist die „WerkStadt“ Bestand-        Praktiken.
DAS PROGRAMM IN SECHS STÄDTEN                                                                   20    21                                                                            PROGRAM IN SIX CITIES

RESIDENZEN IM REALEN                                                          TANZHAUS NRW

Das tanzhaus nrw verlässt die eigenen vier Wän-    sind im weitesten Sinne Orte, die sich der Sorge
de und betritt neues Terrain: Statt das Publikum   um den Menschen widmen. So verhandelt die
in den Theatersaal und in Tanzstudios einzula-     Kunst aktuelle gesellschaftliche Fragen, etwa:
den, entern verschiedene Künstler*innen Orte       Wie sehen „care work“ und „affective work“ heute
der Sorgearbeit und Selbstsorge in Düsseldorf.     aus? Welche Rolle übernehmen die Künste darin?
Künstlerische Praktiken und Reflexionsprozesse     Wie und von wem lernen wir? Und wie transfor-
wurden einem Reality-Check unterzogen: Das         mieren diese Prozesse künstlerische Praktiken,
Pflegeheim der Diakonie Flingern in unmittelba-    die Kunstinstitutionen und ihre Kooperations-
rer Nachbarschaft des tanzhaus nrw beherberg-      modelle?
te Liz Rosenfeld und Rodrigo García Alves mit      Neben den „Residenzen im Realen“, die das Herz-
ihrer Recherche zu queeren Hospiz-Konzepten        stück des Projekts „Claiming Common Spaces“
(April/Mai 2018). Das Zentrum Plus Friedrich-      im tanzhaus nrw bilden, wurden und werden mit
stadt, eine Begegnungsstätte in der Düsseldor-     Gastspielen weitere Außenräume in Düsseldorf
fer Innenstadt, lud Katja Heitmann ein, Kör-       erkundet: Die norwegische Choreografin Ingri
per-Algorithmen zu erforschen (April/Mai 2018)     Fiksdal beschwor in „Night Tripper“ die Wald-
und bei Fitness Unlimited trainierte das Kollek-   geister an einem geheimen Ort (Mai 2018), der
tiv ZOO aktive Selbstsorge (Mai/Juni 2018).        Berliner Choreograf Sebastian Matthias be-
Diese Orte sind Anlaufstellen für Menschen auf     wegte sich mit dem Publikum durch die Grooves
der Suche nach Gemeinschaft, nach Pflege und       unterschiedlichster öffentlicher Orte und Ins-
Zuwendung oder Gestaltung von Freizeit. Es         titutionen im Zentrum Düsseldorfs (Juni 2018)      und die französisch-marokkanische Choreogra-        places that are devoted to the dignity and care
                                                                                                      fin Bouchra Ouizguen reklamiert mit „Corbeaux“      of human beings. In this way, art negotiates cur-
                                                                                                      gemeinsam mit ihrem ausschließlich weiblichen       rent social questions, like: how does “care work”
                                                                                                      Ensemble Räume als Freiräume (Juni 2018).           and “affective work” look like today? And how do
                                                                                                                                                          these processes transform artistic practices, in-
                                                                                                      tanzhaus nrw is leaving its own four walls and      stitutions of art and their models of cooperation?
                                                                                                      is breaking new ground: instead of inviting the     Next to the “residencies in the real,” which rep-
                                                                                                      audience into the auditorium into dance studios,    resent the heart of the project “Claiming Com-
                                                                                                      various artists are boarding sites of care work     mon Spaces” at tanzhaus nrw, further outside
                                                                                                      and self-care in Düsseldorf. Artistic practices     spaces in Düsseldorf were and are currently ex-
                                                                                                      and reflection processes underwent a reality-       plored: Norwegian choreographer Ingri Fiksdal
                                                                                                      check: the nursing home of the Diakonie Fling-      summoned forest spirits at a secret location (May
                                                                                                      ern, located in direct proximity of tanzhaus nrw,   2018), Sebastian Matthias, a choreographer
                                                                                                      hosted Liz Rosenfeld and Rodrigo García             from Berlin, moved through the grooves of most
                                                                                                      Alves with their research on queer concepts of      varied public spaces and institutions in Düssel­
                                                                                                      hospice (April/May 2018). The Zentrum Plus          dorf’s center with his audience (June 2018),
                                                                                                      Friedrichsstadt, a meeting point in Düsseldorf’s    and Franco-Moroccan choreographer Bouchra
                                                                                                      inner city, welcomed Katja Heitmann to explore      Ouizguen, together with her exclusively female
                                                                                                      body algorithms (April/May 2018), and at Fitness    ensemble, reclaimed spaces as free spaces in
                                                                                                      Unlimited, the collective ZOO exercised active      her project “Corbeaux” (June 2018).
                                                                                                      self-care (May/June 2018).
                                                                                                      These places are contact points for people in       April – Juni 2018, tanzhaus nrw Düsseldorf
                                                                                                      search of community, care, service, or recrea-
                                                                                                      tional activity. They are, in the broadest sense,
DIE STADT ALS
                                                                                                        23                                                            DIE STADT ALS SPEKULATIONSOBJEKT

SPEKULATIONSOBJEKT
KLAUS RONNEBERGER
Stadtentwicklung in Zeiten des globalen Finanzkapitalismus

Die globale Finanzialisierung des                    schleunigung des Stadtumbaus, da die Anleger       pflichtung gründeten die Bahn und der Bund        Unübersichtlichkeit der Eigentümerverhältnisse
Grundeigentums                                       die Immobilien stets der höchstmöglichen Ver-      die Eisenbahnimmobilien Management GmbH           und unterschiedlicher Nutzungsinteressen als
                                                     wertung zuführen möchten. Vor allem die Me-        (EIM ). Daneben verwaltete und vermarktete        ausgesprochen schwierig. Schließlich wurden
Bis zum Ausbruch des weltweiten Crashs im            tropolen geraten damit in den Sog eines hoch-      eine weitere Tochtergesellschaft, die Deutsche    die Immobiliengesellschaften der Bahn AG und
Jahre 2008, nicht zuletzt ausgelöst durch die        mobilen Geldkapitals.                              Bahn-Immobiliengesellschaft GmbH (DBImm),         des Bundes mitsamt ihren Arealen von interna-
Krise US -amerikanischer „Subprime“-Hypo-            Als ein wesentlicher Motor für den beschleunig-    die Flächen der Bahn AG . Da der Verkauf der      tionalen Konzernen aufgekauft. 2007 erwarb der
theken (Immobilienhypotheken für Kreditneh-          ten Stadtumbau in Deutschland erweisen sich        Liegenschaften durch die EIM nur schleppend       Baukonzern Hochtief die Bahntochter Aurelis für
mer*innen mit geringer Bonität), zeichnete sich      dabei die Umwandlung der ehemaligen Staats-        voranging und nur wenig zur Schuldentilgung       1,6 Milliarden Euro. Der Konzern erhielt damit
die Dynamik des internationalen Kapitalismus         betriebe Deutsche Bahn und Deutsche Bundes-        beitrug, versuchte das Finanzministerium das      den Zugriff auf rund 1.500 Liegenschaften, die
durch Auf- und Abwärtsbewegungen aus. Vor            post in Aktiengesellschaften.                      Problem mit Hilfe einer Property Company zu       sich größtenteils in den Großstädten befanden.
allem nach dem Platzen der Hightech-Blase und                                                           lösen. Ein spezielles Immobilienunternehmen       Ebenfalls 2007 übernahm die Wiener Holding
dem Börsencrash von 2001, fließt ein Großteil        Die Bahn als Immobilienakteur                      sollte den Wert der Flächen durch eigene In-      CA Immo für eine Milliarde Euro die vormals
des überschüssigen Kapitals in neue Bauprojek-                                                          vestitionen erhöhen und damit dem Bund als        bundeseigene Immobiliengesellschaft Vivico. Zu
te. Von einer Welle leichtfertiger Hypothekenfi-     Um der Bahn einen erfolgreichen Start in die       Eigentümer mehr Einnahmen bescheren. Des-         deren Liegenschaften zählten u.a. das Europa-
nanzierungen zu historisch niedrigen Zinssätzen      Marktwirtschaft zu ermöglichen, hatte der Bund     halb wurde im Frühjahr 2001 die Vivico Real Es-   viertel in Frankfurt, das Lehrter Stadtquartier in
angetrieben, erfährt der Weltmarkt zumindest         1993 die Einrichtung Bundeseisenbahnvermö-         tate gegründet, deren Aufgabe vor allem in der    Berlin und der Arnulfpark in München.
teilweise durch die urbane Expansion und die         gen (BEV) gegründet, welche die 70 Milliarden      Entwicklung und Vermarktung innerstädtischer      In ähnlicher Weise verläuft auch das „Aus-
Immobilienspekulation in den USA eine Stabili-       Mark Altschulden der ehemaligen Staatsbahnen       Bahngrundstücke bestand.                          weiden“ der Postflächen. Basierte vormals die
sierung. Gleichzeitig globalisiert sich nach David   übernahm. Als Kompensation sollte das BEV da-      In vielen Städten begann die Bahn AG mit dem      Verteilerorganisation des Postwesens auf dem
Harvey der Maßstab urbaner Prozesse: Immo-           für alle bahneigenen Liegenschaften erhalten,      Recyceln ehemaliger Betriebsflächen. Auf den      kombinierten Verkehr von Schiene und Stra-
bilienbooms in China, England, Irland, Spanien       die nicht unmittelbar für den Verkehrsbetrieb      freiwerdenden Arealen entstanden neue Stadt-      ße, so setzt sich nach der Privatisierung der
und vielen anderen Ländern haben jeweils die         erforderlich waren und sich grundsätzlich für      viertel, Büro- und Unterhaltungskomplexe.         LKW -Straßengüterverkehr durch. Mit der Er-
kapitalistische Dynamik auf ähnliche Weise           einen Immobilienverkauf und damit für eine         Hatte es sich bislang bei den Bahnanlagen um      richtung von neuen Frachtzentren auf der „grü-
angetrieben, wie man sie aus den Vereinigten         Schuldentilgung des Bundes eigneten. Doch die      gleichsam exterritoriale Gebiete gehandelt, so    nen Wiese“ werden Standorte um die Bahnhöfe
Staaten kennt. Als wesentlichen Grund für die-       Umsetzung dieser Zielvorgabe verlief gänzlich      strebte nun das Verkehrsunternehmen ein en-       aufgegeben, die damit in den Fokus von Inves-
se Entwicklung führt der Geograf die weltweite       anders: Der Haushaltsausschuss und die Bun-        ges Kooperationsverhältnis mit den Kommunen       toren und Immobilienunternehmen geraten.
Integration der Finanzmärkte an, die ihre Flexi-     desregierung verzichteten darauf, die bahn-        an. Nach Bekunden des damaligen Aufsichts-
bilität dazu nutzen, in den Metropolen städte-       notwendigen Liegenschaften exakt aufzulisten.      ratsvorsitzenden Heinz Dürr wollte die Bahn mit
bauliche Projekte durch Kredite zu finanzieren.      Alle Bahnflächen blieben vorerst bei der Bahn      ihrem Flächenmanagement auch einen wichti-        Bahn und Post als Global Player
Die internationalen Immobilienmärkte haben           AG, die damit Eigentümerin von riesigen Area-      gen Beitrag zur Revitalisierung der Innenstädte   der Logistik
sich inzwischen in eine Anlagesphäre von dis-        len wurde. Viele dieser Liegenschaften waren       leisten. Auf jeden Fall verfügte Ende der neun-
poniblem Kapital verwandelt, in der Grund und        bereits seit Jahren nicht mehr als „betriebsnot-   ziger Jahre die DB Station & Services AG, eine    Ein Grund für dieses Immobilien-Monopoly ver-
Boden wie Aktien oder Wertpapiere gehandelt          wendig“ eingestuft.                                Tochtergesellschaft der Bahn AG, über eines der   dankt sich auch der neuen marktstrategischen
werden. Überall schießen Bürotürme, Gewer-           Durch eine Rahmenvereinbarung zwischen der         größten Immobilienportfolios in Deutschland.      Ausrichtung von Post und Bahn. Die vormali-
beparks, Malls, Geschäfts- und Wohnkomple-           Bahn und dem Bund wurde lediglich ein Immo-        Wiederholt zogen die politisch Verantwortli-      gen Staatsbetriebe haben in den letzten Jahren
xe empor, deren Bau sich weniger am lokalen          bilienpaket mit einem potentiellen Verkaufswert    chen und das Bahnmanagement einen Börsen-         international eine Vielzahl von Unternehmen
Bedarf orientiert, sondern primär an Renditeer-      von ca. vierzehn Milliarden Mark zusammenge-       gang in Erwägung, doch spätestens seit der Fi-    bzw. Unternehmensanteile übernommen, die im
wartungen oder steuerlichen Abschreibungen.          stellt, dessen Veräußerung in einem Zeitraum       nanzkrise 2008 scheint diese Option keine Rolle   Logistikbereich tätig sind. Übergreifend kann
Die vollständige Integration von Kapital- und        von fünfzehn Jahren zur Altschuldentilgung         mehr zu spielen. Indes gestaltete sich die Ver-   man feststellen, dass sich der Logistiksektor
Grundstücksverwertung führt zu einer Be-             beitragen sollte. Für die Abwicklung dieser Ver-   äußerung der Bahngrundstücke angesichts der       in Deutschland zu einem wichtigen Element
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