MIETER ECHO Irgendwas bauen - Neue Regierende, alte Wohnungskrise - Berliner MieterGemeinschaft eV
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MIETERECHO Zeitung der Berliner MieterGemeinschaft e.V. www.bmgev.de Nr. 422 Februar 2022 Irgendwas bauen Neue Regierende, alte Wohnungskrise
IMPRESSUM GESCHÄFTSSTELLE Herausgeberin: Berliner MieterGemeinschaft e.V. Berliner MieterGemeinschaft e.V. Möckernstraße 92 (Ecke Yorckstraße), 10963 Berlin Redaktion MieterEcho: Joachim Oellerich (V.i.S.d.P./ Chefredaktion), Telefon: 030 - 2168001, Telefax: 030 - 2168515 Jutta Blume (Schlussredaktion/ CvD), Andreas Hüttner, Rainer Balcerowiak, www.bmgev.de Hermann Werle, Philipp Möller, Matthias Coers (Bildredaktion), G. Jahn (Mietrecht) ÖFFNUNGSZEITEN Montag, Dienstag, Donnerstag 10 bis 13 Uhr und 14 bis 17 Uhr Kontakt: Telefon: 030 - 21002584, E-Mail: me@bmgev.de Mittwoch 10 bis 13 Uhr Grafik: nmp (Gestaltung/ Satz/ Bildredaktion) Freitag 10 bis 13 Uhr und 14 bis 16 Uhr Titelbild: Bwag/Wikipedia Fahrverbindung: Belichtung und Druck: Königsdruck Berlin u Möckernbrücke, Mehringdamm, Yorckstraße, i Yorckstraße, ; M19 Redaktionsschluss: 17.01.2022 Bankverbindung: Postbank Berlin, IBAN: DE62 1001 0010 0083 0711 09, BIC: PBNKDEFF © Berliner MieterGemeinschaft e.V. Nachdruck nur nach vorheriger Rücksprache. Der Bezugspreis ist durch den Die Berliner MieterGemeinschaft bietet ihren Mitgliedern persönliche Mitgliedsbeitrag abgegolten. Namentlich gekennzeichnete Beiträge stimmen Mietrechtsberatung an (siehe Seite 31 und hintere Umschlagseite). nicht notwendigerweise mit der Meinung der Redaktion überein. Für unverlangt Die rollstuhlgerechten Beratungsstellen sind durch - gekennzeichnet. eingesandte Manuskripte oder Fotos wird keine Haftung übernommen. Achtung! In unserer Geschäftsstelle und in den Vor-Ort-Büros findet während der Öffnungszeiten keine Rechtsberatung statt. PROBLEME MIT DEM VERMIETER? Bei der Berliner MieterGemeinschaft können Ratsuchende kostenlos Bitte ankreuzen und mit Briefmarken im Wert von 1,00 € einfach an folgende Informationsblätter bestellen: folgende Adresse schicken: B ERLINER M IETERG EMEINSCHAFT E. V. Möckernstraße 92 · 10963 Berlin · Telefon 216 80 01 Berliner MieterGemeinschaft e.V. Betriebskostenabrechnung Mietvertrag Möckernstraße 92 Eigentümerwechsel Modernisierung 10963 Berlin Heizkostenabrechnung Schönheitsreparaturen NAME Kündigung durch den Umwandlung und Vermieter Wohnungsverkauf VORNAME Mängelbeseitigung Untermiete STRASSE Mieterhöhung Wohnfläche PLZ ORT Mietpreisbremse Wohnungsbewerbung Mietsicherheit/Kaution Zutritt und Besichtigung BEZIRKSGRUPPENTREFFEN Marzahn Jeden letzten Montag im Monat, 19 Uhr Bei den Bezirksgruppentreffen findet keine Rechtsberatung statt. Lebensnähe e.V. Begegnungsstätte, Alt-Marzahn 30 Rechtsberatung erfolgt ausschließlich durch Rechtsberater/innen in den i Marzahn Ee M6, M8, 18 ; X54, 154, 192, 195 dafür ausgewiesenen Beratungsstellen (siehe 3. und 4. Umschlagseite). Neukölln Jeden letzten Montag im Monat, 19 Uhr Friedrichshain Jeden 3. Donnerstag im Monat, 20 Uhr Beratungsstelle, Sonnenallee 101 Stadtteilbüro, Warschauer Straße 23, - u Rathaus Neukölln ; M41, 104, 167 u Frankfurter Tor Ee M10 E-Mail: neukoelln@bmgev.de E-Mail: friedrichshain@bmgev.de Prenzlauer Berg Jeden 2. Mittwoch im Monat, 20 Uhr, in virtueller Form als Kreuzberg Jeden 1. Donnerstag im Monat, 19 Uhr Video- und Telefonkonferenz; Zugangsdaten bitte erfragen via E-Mail an Geschäftsstelle der Berliner MieterGemeinschaft, Möckernstraße 92 prenzlauerberg@bmgev.de u Möckernbrücke, Mehringdamm, Yorckstraße i Yorckstraße ; M19 E-Mail: kreuzberg@bmgev.de Wedding Jeden 2. Donnerstag im Monat, 19 Uhr Tageszentrum Wiese 30, Wiesenstraße 30 Lichtenberg Jeden 1. Montag im Monat, 18 Uhr u und i Wedding u Nauener Platz i Humboldthain Café Wostok, Weitlingstraße 97 E-Mail: wedding@bmgev.de i Nöldnerplatz ; 240, 194 E-Mail: lichtenberg@bmgev.de Folgende Bezirksgruppen treffen sich unregelmäßig: Schöneberg, Spandau, Tempelhof Ort und Termin der Treffen bitte erfragen unter 030 - 21002584. Aktuelle Termine unter: www.bmgev.de/verein/bezirksgruppen.html
INHALT Liebe Leserinnen und Leser, TITEL Delta hin, Omikron her, die Transaktionsumsätze der Immobi- lienwirtschaft in Deutschland im Jahr 2021 wurden durch Co- 4 Neue Gesichter und alte Probleme Das Personaltableau des neuen Berliner Senats rona nicht geschwächt. Ganz im Gegenteil! Die gut infor- Rainer Balcerowiak mierte Immobilien Zeitung drückt das so aus: „2021 war ein goldenes Investmentjahr.“ Ob trotz oder wegen der Pandemie 6 Wenn Bauen zum Selbstzweck wird kümmert die Investoren wenig, denn es waren vor allem die Wohnungspolitische Sackgassen von Rot-Grün-Rot Mega-Deals, die zu dem Rekord führten. „Mit einem ge- Andrej Holm schätzten Volumen von 23,5 Milliarden Euro war die Über- nahme der Deutschen Wohnen nicht nur die größte Transakti- 9 „Aktivist im Parlament“ Interview mit Ferat Koçak on des Jahres, sondern auch die größte Immobilientransaktion Rainer Balcerowiak auf dem deutschen Wohninvestmentmarkt überhaupt. Als eu- ropäischer Immobiliengigant verfügt Vonovia nun über rund 10 Mit Schattenhaushalten aus der Krise? 568.000 Wohnungen“, stellt Michael Bender von Jones Lang Koalitionsvertrag bietet Spielräume für eine Investitionsoffensive Lasalle fest. Marcel Schneider Doch damit nicht genug, zwei weitere Mega-Deals trieben die Umsatzbilanz in die Höhe. Zum einen verkaufte das schwe- 12 Handschrift der FDP Mietenregulierung für Bundesregierung kein Thema dische Immobilienunternehmen Akelius sein gesamtes Portfo- Rainer Balcerowiak lio in Deutschland mit 14.050 Wohnungen in Berlin und 3.590 Wohnungen in Hamburg für einen geschätzten Kauf- 14 Waterkant in Investorenhand preis von mehr als 5 Milliarden Euro an den ebenfalls in Was in Hamburg nicht funktioniert, soll in Berlin Vorbild werden Schweden ansässigen Immobilienkonzern Heimstaden. Und Philipp Möller zum anderen kaufte das Land Berlin von den börsennotierten BERLIN Wohnungsunternehmen Deutsche Wohnen und Vonovia für rund 2,5 Milliarden Euro Wohnungen zurück. 16 Unterstützen statt privatisieren Wenn auch solche Mega-Deals nicht in jedem Jahr zustande Pandemie wirkt sich auf die Situation der Landesunternehmen aus kommen, die Immobilienbranche befürchtet auch für 2022 Benedict Ugarte Chacón keinen Einbruch. Sie vertraut auf das steigende Geldvermö- gen der besserverdienenden Mittelschicht in der Hoffnung, 18 Auf dem Weg ins Wettbewerbsdesaster? dass es von deutschen Kapitalsammelstellen in die Immobili- Die Ausschreibung des Berliner S-Bahnbetriebs hat begonnen Jorinde Schulz und Carl Waßmuth enfonds gelenkt wird. Gleichzeitig wird die Stimmung durch die Inflation angeheizt, von der sich die Investmentmakler 20 Rolle rückwärts beim Mieterschutz ebenfalls eine steigende Nachfrage nach Sachwerten erwar- Reinickendorf: „Ampel“ will keine weiteren Milieuschutzgebiete ten. Nicht zuletzt richtet sich das Vertrauen der Immobilien- Felix Lederle händler daneben auf das Freiwerden deutscher Staatsanleihen in Höhe von einer Billion Euro in den nächsten Jahren und 21 „Hände weg vom Wedding“ deren teilweiser Verwandlung in Betongold. Alles in allem er- Die Stadtteilinitiative verbindet Mietenpolitik und Arbeitskämpfe scheint der Wohninvestmentmarkt in einer fortgeschrittenen Peter Nowak Boomphase. 22 „Die Werkzeuge der Herrschenden“ Die Aussichten der Mieter/innen sind dagegen weniger rosig. Großprojekt am Hermannplatz soll durchgesetzt werden In den Wohnungsmarkt fließendes Geldkapital sucht seine Niloufar Tajeri Rendite und die kann es nur in Form von Mieten generieren. Das heißt, je mehr Kapital sich in diesem Bereich anhäuft, de- 23 Quadratisch, praktisch und gar nicht gut sto größer wird der Druck auf die Mieten. Eine Enteignung Wohnen in der Europacity ist teuer aber nicht attraktiv großer Wohnungskonzerne ist daher eine Maßnahme, durch Susanne Torka die den zu erwartenden Mietsteigerungen am wirksamsten MIETRECHT AKTUELL Grenzen gesetzt werden könnte. Doch die Immobilienbranche zeigt sich durch solche Aussichten wenig beunruhigt. Dazu 24 Mieter/innen fragen – wir antworten scheint auch angesichts des widerwilligen politischen Um- Koalitionsvertrag 2021 der neuen rot-grün-roten Landesregierung gangs mit dem Volksbegehren wenig Grund zu bestehen. Rechtsanwalt Marek Schauer 27 RECHT UND RECHTSPRECHUNG IHR MIETERECHO 31 SERVICE 32 RECHTSBERATUNG MieterEcho 422 Februar 2022 3
TITEL Neue Gesichter und alte Probleme Das Personaltableau des neuen Berliner Senats ist zum Teil überraschend Von Rainer Balcerowiak es eine Mehrheit von 74,9%. Die Linke hatte bereits in den Ver- handlungen die Weichen für eine Neuauflage der rot-rot-grünen Am 21. Dezember wählte das Berliner Abgeordnetenhaus Koalition gestellt, indem sie signalisierte, dass sie sehr billig zu die SPD-Spitzenkandidatin Franziska Giffey zur neuen Re- haben sein würde. Das betraf den Verzicht auf das bisher gelei- gierenden Bürgermeisterin der Hauptstadt. Giffey erhielt tete Ressort für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen und vor im ersten Wahlgang 84 der 139 abgegebenen Stimmen, allem auf die Umsetzung des erfolgreichen Volksentscheids mindestens zwei der anwesenden Abgeordneten aus dem zur Enteignung großer Immobilienkonzerne, was immerhin der Lager der rot-grün-roten Koalition verweigerten Giffey die wichtigste Wahlkampfschlager der Partei war. Das Thema wird Stimme. Anschließend wurden die zehn Mitglieder ihres jetzt in eine Kommission zwecks „Prüfung“ ausgelagert, wäh- Senats ernannt, sechs Frauen und vier Männer. Nur zwei rend die neue Senatschefin Nägel mit Köpfen macht und auf davon, Andreas Geisel (SPD) und Klaus Lederer (Die Lin- ein „Bündnis für bezahlbares Wohnen“ setzt – mit jenen Kon- ke), gehörten bereits dem vorherigen Senat an. Der Wahl zernen, deren Enteignung man angeblich „prüft“. vorangegangen waren Entscheidungen der Parteigremien über den Koalitionsvertrag. SPD: Giffeys erstaunliches Comeback Für Giffey ist diese von ihr geführte Landesregierung auf alle Bei Landesparteitagen der SPD und der Grünen stimmten 91,5 Fälle eine weiche Landung nach schweren Turbulenzen. Ihre bzw. 96,4% der Delegierten für die Vereinbarung. Deutlich Traumkarriere von der Neuköllner Kommunalpolitik bis zur schwerer taten sich die Linken, bei denen ein Mitgliederent- Berufung zur Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen scheid entscheiden sollte. Einige Parteigliederungen und auch und Jugend im März 2018 – nebst dem Status als „SPD-Hoff- einzelne Abgeordnete riefen zur Ablehnung auf, vor allem we- nungsträgerin“ für die nächsten Bundestagswahlen – schien gen der Mieten- und Wohnungspolitik. Doch letztendlich gab abrupt zu enden, als aufgrund erheblicher Plagiate in ihrer Dis- sertation ein Verfahren zur Überprüfung ihres 2009 erworbenen Doktortitels eingeleitet wurde, das im Juni 2021 mit der Aber- kennung abgeschlossen wurde. Kurz vor der Entscheidung trat sie von ihrem Ministeramt zurück und startete umgehend eine neue Karriere als Frontfrau der Berliner SPD, die sie mit fast 100%iger Zustimmung erst zur Landesvorsitzenden und spä- ter zur Spitzenkandidatin kürte. Weder die Plagiatsaffäre noch die Betrugsvorwürfe gegen ihren Ehemann, der seiner bevor- stehenden Entlassung aus dem Beamtenverhältnis durch seine „freiwillige“ Entpflichtung zuvorkam, spielten im Wahlkampf eine Rolle. Und so gelang es Giffey, die in Umfragen lange bei 15% dümpelnde SPD zu stabilisieren und schließlich sogar noch die zeitweise scheinbar uneinholbar führenden Grünen zu überflügeln. Auch die Besetzung der SPD-Senatsposten trägt Giffeys Hand- schrift. Das wichtige Stadtentwicklungsressort übernimmt der bisherige Innensenator Andreas Geisel. Fachlich ist das durch- aus nachvollziehbar, denn Geisel hatte dieses Amt bereits von 2014 bis 2016 in der rot-schwarzen Koalition inne und war zuvor viele Jahre als Bezirksstadtrat in Lichtenberg für die- sen Bereich verantwortlich. In seine Senatorenzeit fallen unter anderem die Ausweisung von 12 neuen Stadtentwicklungs- gebieten und das erste „Mietenbündnis“ mit den städtischen Wohnungsbaugesellschaften. Geisel hatte auch stets auf den Schulterschluss mit der privaten Immobilienwirtschaft gesetzt und kann daran jetzt nahtlos anknüpfen. Wie Giffey gilt auch Geisel als vehementer Gegner der Enteignung großer Immo- bilienkonzerne und setzt vor allem auf eine Neubauoffensive. Franziska Giffey: weiche Landung nach schweren Turbulenzen. Für diesen Senatsposten gehandelt wurde im Vorfeld auch die Fotos: Matthias Coers bisherige baupolitische Sprecherin der SPD im Abgeordneten- 4 MieterEcho 422 Februar 2022
TITEL Enteignungen stoßen in Berlin auf große Zustimmung, aber nicht beim neuen Senat. haus, Iris Spranger. Doch in der Partei gab es erheblichen Wi- geführt, der in der vergangenen Legislaturperiode als Frakti- derstand gegen diese Personalie. Spranger gilt als wenig kom- onsgeschäftsführer und haushaltspolitischer Sprecher agierte. petent und durchsetzungsstark. Aber für die Genderarithmetik An seiner fachlichen Qualifikation für dieses Amt bestehen und den Regionalproporz bei der Senatsbildung war Spranger parteiübergreifend wenig Zweifel. Ein in Berlin bisher kom- als „Frau aus dem Osten“ dennoch unverzichtbar, zumal sie in plett unbeschriebenes Blatt ist dagegen Ulrike Gote, die für der Partei als stellvertretende Landes- und langjährige Kreis- die Grünen lange im bayerischen Landtag saß und seit 2019 vorsitzende von Marzahn-Hellerdorf sehr gut vernetzt ist. Sie in Kassel als Dezernentin für Jugend, Frauen, Gesundheit und darf jetzt als Nachfolgerin von Geisel das Innenressort leiten. Bildung tätig war. Sie wurde zur Senatorin für Gesundheit und Bei den beiden verbleibenden SPD-Senatsposten setzt Giffey auf Wissenschaft ernannt. politische Quereinsteiger/innen mit fachlichem Background. Bildungssenatorin wird Astrid-Sabine Busse, Leiterin einer Die Linke: Glamourfaktor Katja Kipping Neuköllner Grundschule und Vorsitzende des Interessenver- Für Die Linke behält Klaus Lederer die Ämter als stellvertre- bands Berliner Schulleitungen. Ein Verein, der sich ausdrücklich tender Bürgermeister und als Kultursenator. Der seit Jahren be- nicht als gewerkschaftliche Interessenvertretung begreift und bil- liebteste linke Landespolitiker steht für einen „realpolitischen“ dungspolitisch eher konservative Positionen vertritt. Kurs seiner Partei und beschwor die erneute Regierungsbeteili- Als Wirtschaftssenator wurde der parteilose Stephan Schwarz gung in der innerparteilichen Debatte als „alternativlos“. berufen. Schwarz war von 2003 bis 2019 Präsident der Berliner Die Juristin und Hochschulprofessorin Lena Kreck wird Sena- Handwerkskammer und leitet in dritter Generation ein großes torin für Justiz, Vielfalt und Antidiskriminierung. Für die bür- Familienunternehmen für Gebäudereinigung. Verbandspoli- gerliche Opposition ist Kreck ein rotes Tuch, vor zwei Jahren tisch trat er vor allem als vehementer Gegner von Rekommu- verhinderten CDU und FDP mit ihrer Sperrminorität die Beru- nalisierungen im Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge in fung Krecks in das Landesverfassungsgericht. Sie repräsentiert Erscheinung. Entsprechend zufrieden zeigten sich die Opposi- vor allem den „postmodernen“ Flügel der Partei und war lange tionsparteien CDU und FDP mit seiner Ernennung. Zeit in der LGBTI-Community aktiv. Die spektakulärste Personalie der Linken ist zweifellos deren Grüne: Wahlziel verfehlt ehemalige Bundesvorsitzende Katja Kipping, die als Nach- Die Grünen haben bei der Wahl am 26. September zwar zu- folgerin der wenig erfolgreichen und amtsmüden Elke Brei- gelegt und die Linke überflügelt, aber ihr eigentliches Wahl- tenbach das Amt der Sozialsenatorin übernimmt. Auch hier ziel – eine Landesregierung unter ihrer Führung – deutlich sei die Frage erlaubt, was die über keinerlei Berufserfahrung verfehlt. Die bisherige Fraktionsvorsitzende und gescheiterte außerhalb der politischen Blase verfügende Kipping für diese Spitzenkandidatin Bettina Jarasch übernimmt das für die Par- äußerst komplexe und anspruchsvolle Aufgabe prädestiniert. tei wichtigste Ressort und wird Senatorin für Umwelt, Verkehr Kipping soll schon länger im Gespräch gewesen sein, doch und Klimaschutz. Was sie für das Amt fachlich prädestiniert, sie wollte laut Parteiinsidern erst ihre mögliche künftige Rolle erschließt sich nicht so richtig. In der Vita stehen ein Magister- in der neuen Bundestagsfraktion ausloten, wo sie aber wohl studium in Philosophie, Politik- und Literaturwissenschaften kaum über den Status einer Hinterbänklerin hinausgekommen und eine zielstrebige Parteikarriere vom Referentenjob über wäre. den Landes- bis zum Fraktionsvorsitz zu Buche. Fachpolitisch Der neue Senat steht vor gewaltigen Problemen, vor allem in trat sie vor allem in Familien- und Religionsfragen in Erschei- der Wohnungspolitik, der Infrastruktur und der Sozialpolitik. nung, untermauert durch ihr Engagement in Gremien der ka- Bislang hat Franziska Giffey alle Fäden in der Hand, obwohl tholischen Kirche. sich erste Konflikte abzeichnen. Ob und in welcher Form je- Erstmals übernehmen die Grünen in einer Landesregierung mand aus der Riege der neuen Senator/innen eigene Akzente auch das Finanzressort. Es wird künftig von Daniel Wesener setzen kann, bleibt abzuwarten. h MieterEcho 422 Februar 2022 5
TITEL Im Gegensatz zu den privaten bauen die lan- deseigenen Wohnungsunternehmen dauerhaft bezahlbare Wohnungen – aber viel zu wenig. Foto: Matthias Coers Wenn Bauen zum Selbstzweck wird Wohnungspolitische Sackgassen von Rot-Grün-Rot Von Andrej Holm und Die Linke wollte nach leichten Stimmverlusten vor allem zeigen, dass ihre Unterstützung für den Volksentscheid zur Eigentlich ist es ganz einfach: Soziale Wohnversorgung Vergesellschaftung großer Immobilienkonzerne auch nach der setzt einen Neubau von leistbaren Wohnungen, möglichst Wahl noch gilt. In der Konsequenz verhandelten die drei alten viele Belegungsbindungen und einen effektiven Schutz und neuen Koalitionsparteien vor allem auf eigene Rechnung. von Bestandsmieter/innen voraus. Nichts davon ist im neu- Ein übergreifendes Konzept ist dem Koalitionsvertrag der Be- en Koalitionsvertrag zu finden. Dem privaten Neubau wird kenntnisse und Formelkompromisse nicht anzumerken. der rote Teppich ausgerollt, während der kommunale Woh- nungsbau den sechs Wohnungsunternehmen überlassen Baubekenntnis ohne Substanz wird, die schon in der Vergangenheit an der Erfüllung ihrer Auf den ersten Blick ist in den wohnungspolitischen Abschnit- Neubauaufgaben scheiterten. ten des Koalitionsvertrages vor allem die Handschrift der SPD zu erkennen. Der Wahlkampfschlager von den 200.000 Neu- Der neue Koalitionsvertrag war eine schwere Geburt. Die bauwohnungen bis 2030 durchzieht den Koalitionsvertrag und SPD und ihre Regierende Bürgermeisterin wollten eigentlich die Priorisierung des Wohnungsneubaus wird allen wohnungs- mit der FDP regieren und hatte zum Thema Wohnungspolitik politischen Überlegungen als Bekenntnis vorangestellt: „Die nur das Neubau-Mantra zu bieten. Die trotz Stimmenzuwachs Koalition bekennt sich dazu, den Wohnungsneu- und Umbau in enttäuschten Grünen mussten beweisen, dass sie einen Umbau der Stadt mit höchster Priorität voranzubringen“ (Koalitions- zu mehr Klimagerechtigkeit auch praktisch umsetzen können vertrag 2021, S. 8). Zum offensichtlichen Glaubensbekenntnis 6 MieterEcho 422 Februar 2022
TITEL ohne reales Fundament gerät die im Koalitionsvertrag fixierte und bezahlbares Wohnen“ mit landeseigenen Wohnungsunter- Zielzahl angesichts der Ankündigung, dass der konkrete Be- nehmen (LWU), Genossenschaften und privaten Wohnungsun- darf an zusätzlichem Wohnraum im Zuge einer Fortschreibung ternehmen. Da über die Kooperationsvereinbarungen mit den des Stadtentwicklungsplans Wohnen bis 2023 erst noch ermit- landeseigenen Wohnungsunternehmen bereits jetzt Möglich- telt werden soll (S. 13). keiten bestehen, Zielvorgaben abzustimmen, ist der Mehrwert Bemerkenswert ist auch, dass im Koalitionsvertrag ganz of- des angekündigten Bündnisses die Einbeziehung von genos- fensichtlich zwischen den Wohnversorgungseffekten und dem senschaftlichen und privaten Bauherren. Wohnungsbau selbst unterschieden wird und die Neubauziele Doch am freifinanzierten Wohnungsbau gab es auch in den als Selbstzweck ohne Funktion angesehen werden. So wird vergangenen Jahren keinen Mangel. In den Jahren von 2017 den neuen Stadtquartieren, deren Entwicklung vorangetrieben bis 2020 wurden im Durchschnitt pro Jahr über 14.500 Woh- werden soll, für die „Schaffung von ausreichendem, bedarfsge- nungen fertiggestellt. Knapp drei Viertel dieser Wohnungen rechtem und bezahlbarem Wohnraum sowie zur Erreichung der waren freifinanzierte Wohnungen von privaten und genossen- Wohnungsbauziele“ eine hohe Bedeutung zugemessen. Dass schaftlichen Wohnungsunternehmen – also Wohnungen ohne der Wohnungsneubau gar nicht vorrangig auf die Schaffung jede Sozialbindung. Im Schnitt der letzten Jahre waren das von bedarfsgerechten und bezahlbaren Wohnungen ausgerich- über 10.500 Wohnungen pro Jahr. Für den frei finanzierten tet ist, wird auch an anderen Stellen deutlich. So verabschiedet Wohnungsbau würde in den kommenden Jahren eine Neubau- sich der Koalitionsvertrag schon mal vorsichtig aus den bishe- leistung auf dem bisherigen Niveau ausreichen, um die Ziele rigen Selbstverpflichtungen des Stadtentwicklungsplans Woh- der Koalition zu erreichen. Da braucht es keine zusätzlichen nen 2030. In dem erst 2019 beschlossenen Planungsdokument Anreize aus einem Wohnungsbaubündnis. hieß es noch: Ganz anders sieht es im Bereich der gemeinwohlorientierten „Der gemeinwohlorientierte Wohnungsneubau ist eine ent- Neubauten aus. Als gemeinwohlorientiert gelten in Berlin scheidende Voraussetzung für bezahlbare Mieten. Die Hälfte Wohnungen, die von den landeseigenen Wohnungsunterneh- des erforderlichen Neubaus soll als gemeinwohlorientierter men errichtet werden oder im Rahmen der Wohnraumförde- Wohnungsbau entstehen.“ rungen bestimmte Mietpreisbindungen aufweisen. Die Zahl Im Koalitionsvertrag hingegen verpflichtet sich die Koalition der jährlich fertiggestellten Wohnungen lag im Durchschnitt zu dem Ziel, „den Wohnungsneubau und die dazugehörige In- der letzten Jahre bei knapp über 4.000 Wohnungen. Nachhol- frastruktur in der Stadt mit höchster Priorität voranzubringen bedarf im Bereich des Neubaus gibt es demnach vor allem im (…). Das Ziel dabei ist, möglichst die Hälfte davon in dieser Bereich des geförderten und kommunalen Wohnungsbaus. Ob Legislatur im gemeinwohlorientierten und bezahlbaren Seg- ein großangelegtes Bündnis mit privaten Bauunternehmen da- ment zu errichten“ (S. 12). bei helfen wird, darf bezweifelt werden. Bisher wurden gerade Während das allgemeine Neubauziel nicht verhandelbar ist einmal 7% der Fördergelder von privaten und genossenschaft- und mit „höchster Priorität voranzubringen“ sei, sollen die Ge- lichen Wohnungsbauprojekten abgerufen. Die mit Abstand meinwohlaspekte „möglichst“ erreicht werden. Auch die ein- meisten geförderten Wohnungen wurden von den landeseige- geschobene Präzisierung „in dieser Legislatur“ verheißt nichts nen Wohnungsunternehmen gebaut. Gutes und kann auch als eine langfristige Abkehr von der bis- herigen Gemeinwohlquote interpretiert werden. Kommunaler Wohnungsbau wird den LWU überlassen Zwar müssen kleine semantische Verschiebungen nicht auf die Obwohl die Neubauzahlen der letzten Jahre zeigen, dass es Goldwaage der politischen Bewertung gelegt werden, doch vor allem an den kommunalen Baukapazitäten mangelt, fin- auch das Programm des Koalitionsvertrages hat vor allem den sich im Koalitionsvertrag von Rot-Grün-Rot nur wenige den privaten Wohnungsbau im Blick. Mit „Maßnahmen zur Hinweise darauf, wie das öffentliche Bauen vorangetrieben Beschleunigung der Planungs-, Genehmigungs- und Bauab- werden kann. Der Koalitionsvertrag räumt zwar ein, dass für läufe“ will die Koalition vor allem „Entwicklungshemmnisse die „ehrgeizigen Neubauziele (…) die Neubaufähigkeit der beim Wohnungsbau konsequent abbauen“ (S. 13). Der zweite landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften verbessert wer- große Baustein zur Umsetzung der Neubauziele ist das bereits den“ muss (S. 15) – konkret angeregt wird jedoch nur ein Prüf- im Wahlkampf angekündigte „Bündnis für Wohnungsneubau auftrag für die Bildung einer „gemeinsamen Planungs- und Freifinanzierter und gemeinwohlorientierter Neubau 2017 bis 2020 2017 2018 2019 2020 pro Jahr Fertigstellung gesamt 12.785 14.327 16.769 14.707 14.647 Freifinanziert 9.774 11.004 12.716 8.728 10.556 Gemeinwohlorientiert 3.011 3.323 4.053 5.979 4.092 davon LWU ohne Förderung 2.148 2.287 2.113 4.117 2.666 davon LWU mit Förderung 863 991 1.913 1.552 1.330 davon sonstige Bauherren mit 0 45 27 310 96 Förderung Quellen: Amt für Statistik Berlin-Brandenburg 2021: Baufertigstellungen; WVB 2021: Bericht zur Kooperationsvereinbarung SenSW 2021: Mitteilung zu Daten des IBB-Wohnungsmarktberichts MieterEcho 422 Februar 2022 7
TITEL Erste Konturen der wohnungspolitischen Kehrtwende Mit dem Ringtausch der Zuständigkeiten für die verschiede- nen Senatsverwaltungen ist das Ressort Stadtentwicklung und Wohnen zurück an die SPD gegangen. Andreas Geisel beerbt sich damit selbst als Vor-Vorgänger und kann an die Zeit von 2014 bis 2016 anknüpfen. In diesen Jahren wurden nur 10.000 Wohnungen pro Jahr fertiggestellt – unter der Zuständigkeit von Katrin Lompscher und Sebastian Scheel waren es immer- hin 15.000 pro Jahr. Die höchste Bauleistung der landesei- genen Wohnungsunternehmen lag in der ersten Amtszeit von Andreas Geisel als Senator für Stadtentwicklung bei gerade einmal 1.250 Wohnungen im Jahr 2016 – in der letzten Legis- latur (2017-2021) lag die durchschnittliche Zahl der kommu- nalen Neubauwohnungen bei immerhin 4.000 Fertigstellungen pro Jahr. Notwendig wären zwischen 8.000 und 10.000 Woh- nungen pro Jahr. Auch wenn Andreas Geisel, der seit 1995 in verschiedenen Funktionen des Berliner Politikbetriebes verankert ist, als Diplom-Ökonom des Nachrichtenwesens keine gesonderte Baukompetenz mitbringt, kann sich die Wohnungswirtschaft auf ihn verlassen. Als eine der ersten Amtshandlungen in neu- er bzw. alter Verantwortung darf er die Mieterhöhungen für 200.000 Mieter/innen begleiten, mit denen die „Verluste“ aus dem Mietenstopp des Berliner Mietendeckels aufgeholt wer- den sollen. Katrin Lompscher hatte sich vor fünf Jahren mit der Aussetzung von Mieterhöhungen bei den Sozialwohnungen ins Amt eingeführt. Die Schwerpunktsetzungen im 100-Tage-Programm von Rot- Grün-Rot sind als klares Zeichen zu verstehen. Das Programm haben die Koalitionsparteien auf einer Klausurtagung Mitte Januar beschlossen. Neben der Gründung des Bündnisses für den Wohnungsbau und der Einrichtung einer Senatskommissi- Ein effektiver Schutz vor weiter steigenden Mieten ist bisher weder auf Bundes- on Wohnungsneubau (beide Themen sind bei der Regierenden noch auf Landesebene in Planung. Foto: Matthias Coers Bürgermeisterin angesiedelt) wird eine Änderung der Bau- ordnung zur Beschleunigung des Wohnungsbaus und ein be- schleunigter Abschluss der sogenannten Grundlagenermittlung Neubaueinheit“ der LWU. Der eigentlich seit Jahren fällige für das B-Planverfahren des umstrittenen Karstadt-Umbaus am Umbau der sechs privatwirtschaftlich organisierten Wohnungs- Hermannplatz angekündigt (vgl. S. 22 in diesem Heft). Dazu unternehmen im Landesbesitz kann damit nicht gemeint sein. kommt in den ersten 100 Tagen noch ein „Bericht zu laufen- Statt klarer politischer Vorgaben werden die landeseigenen den Wohnungsbauvorhaben“ – der, wie sollte es anders sein, Wohnungsunternehmen wieder einmal sich selbst überlassen. als „Grundlage für Maßnahmen zur Beschleunigung des Woh- Die Klärung zur Zusammenarbeit bei Planung und Neubau soll nungsbaus“ dienen soll. Bei anderen Themen setzt der neue „in Absprache mit den Landeswohnungsunternehmen (LWU)“ Senat eher auf Entschleunigung: Die Passage zur Einrichtung erfolgen (S. 15). Da sich die LWU bereits in der Vergangenheit der Expertenkommission zur Enteignung großer Immobilien- den meisten Versuchen einer gemeinsamen Planung entzogen unternehmen wurde ohne weitere Bearbeitung aus dem Koa- haben und bisher mit der Degewo auch nur eine einzige Woh- litionsvertrag übernommen. Die Koalition wollte sich die gute nungsbaugesellschaft überhaupt eine eigene Planungsabtei- Stimmung der ersten Klausurtagung vermutlich nicht mit ver- lung eingerichtet hat, sind die zu erwartenden Synergieeffekte tiefenden Diskussionen zur Vergesellschaftung verderben und eher begrenzt. Sechs lahmende Gäule ergeben auch zusammen hat das Thema aufgeschoben. kein Rennpferd. Ohne strukturelle Veränderungen der kom- Der Koalitionsvertrag und auch das 100-Tage-Programm von munalen Wohnungswirtschaft werden sich die Neubauzahlen Rot-Grün-Rot zeigen, dass bau- und wohnungspolitisch in den durch öffentliche Wohnungsunternehmen nicht deutlich stei- kommenden Jahren eine Rolle rückwärts zu erwarten ist. Die gern lassen. Statt den kommunalen Wohnungsbau zur Chefin- sozialen Fragen der Wohnversorgung – so ist zu befürchten nensache zur erklären, werden ausgerechnet die landeseigenen – werden dabei wieder auf der Strecke bleiben und allenfalls Wohnungsunternehmen mal wieder sich selbst überlassen. als Nebeneffekt des privaten Geschäfts mit Grundstücken und In den letzten Jahren wurden bei den Grünen und Linken um- Wohnungen eingeplant. h fassende Konzepte zum Umbau der landeseigenen Wohnungs- unternehmen diskutiert und Vorschläge zum Aufbau von öf- fentlichen Baukapazitäten unterbreitet. Bis auf die Einrichtung einer Berliner Holz-Bauhütte als Pilotprojekt beim Umbau des Der Koalitionsvertrag Berlin 2021 und das 100-Tage-Programm zum Download: ehemaligen Flughafens Tegel hat es keine dieser Ideen in den berlin.de/rbmskzl/regierende-buergermeisterin/senat/koalitionsvertrag/ Koalitionsvertrag geschafft. berlin.de/rbmskzl/aktuelles/pressemitteilungen/pressemitteilung.1167780.php 8 MieterEcho 422 Februar 2022
TITEL „Aktivist im Parlament“ Die Linke sollte sich an die Seite der sozialen Bewegungen stellen Interview mit Ferat Koçak Die Mitglieder haben mit 74,9% für den Koalitionsvertrag und den Eintritt in die Regierung mit SPD und Grünen ge- MieterEcho: Sie sind als Vertreter des Bezirksverbands stimmt. Welche Konsequenzen hat dieses Ergebnis für Sie? Neukölln über die Landesliste der Linken erstmals ins Ab- Es haben ja nur 50% der Mitglieder abgestimmt, und von de- geordnetenhaus gewählt worden. Anschließend haben Sie nen rund ein Viertel gegen den Vertrag und die Regierungs- Ihr Selbstverständnis mit den Worten „Ich bin Aktivist im beteiligung. Das zeigt, dass es eine große Verunsicherung Parlament“ beschrieben. Was heißt das konkret? an der Basis gibt. Jetzt müssen wir vor allem sehen, wie wir Ferat Koçak: Das bedeutet, dass für mich die sozialen im Vertrag benannte Punkte wie die Überwindung der Woh- Bewegungen und die Kämpfe auf der Straße oberste nungslosigkeit, eine humane Migrationspolitik und mehr Par- Priorität haben. Ich bin seit vielen Jahren in solchen Bewegungen tizipation durchsetzen können. Und natürlich muss der Volks- aktiv, gegen Rassismus, gegen Nazis, gegen Verdrängung entscheid umgesetzt werden. aus dem Kiez. Das will ich ins Parlament tragen, um diese Bewegungen zu stärken. Vor dem Mitgliederentscheid haben Sie gewarnt, dass die Linke sich von den sozialen Bewegungen der Stadt Sie haben nach dem Abschluss der Kapitulationsver- entfremden würde, wenn sie mit diesem Vertrag in die handlungen vehement dafür geworben, beim Mitglieder- Regierung eintritt. entscheid der Linken mit „Nein“ zu stimmen und in Natürlich ist diese Gefahr nach wie vor gegeben. Wir müssen die Opposition zu gehen. Was sind denn Ihre Haupt- uns als Fraktion jetzt ganz klar an die Seite der Bewegungen kritikpunkte an dem Koalitionsvertrag? stellen, wenn es etwa um Räumungen und Abschiebungen Das ist vor allem das Thema Wohnen und die gesamte Stadt- oder auch um den Volksentscheid geht. Da müssen wir im planung. Die SPD übernimmt jetzt diesen Bereich, um im en- Parlament Flagge zeigen und gegebenenfalls auch den Koaliti- gen Schulterschluss mit der Immobilienwirtschaft unter der onspartner kritisieren und unter Druck setzen. Losung „Bauen, bauen, bauen“ zu agieren. Natürlich wollen wir als Linke auch neue Wohnungen bauen, aber vor allem in Fühlen Sie sich als Mitglied einer Regierungsfraktion an kommunaler Trägerschaft. Und wir müssen Wege finden, die die Fraktionsdisziplin gebunden? Mieten gering zu halten. Schließlich gab es den erfolgreichen Für mich als Linker ist es problematisch, in diesem Zusammen- Volksentscheid zur Vergesellschaftung großer Wohnungskon- hang von Disziplin zu reden. Ich habe schon als Kind gelernt, zerne, der jetzt umgesetzt werden muss. Doch das ist im Ko- dass ich mich gegen übermäßigen Druck zu Wehr setzen muss. alitionsvertrag nicht enthalten und mit dieser SPD auch nicht Ich bin seit über 20 Jahren auf der Straße aktiv und zusam- zu machen. Aber auch in Bereichen wie Antirassismus, Kri- men mit vielen anderen für meine Anliegen eingetreten. Ich minalisierung und Repression ist dieser Koalitionsvertrag für würde mich unglaubwürdig machen, wenn ich im Parlament mich keine Grundlage für eine progressive Politik. Wir sollten dann plötzlich Sachen vertrete, die dem total widersprechen. weniger in die Aufrüstung der Polizei, dafür aber deutlich mehr Natürlich will ich auch kein „Störfaktor“ in der Fraktion sein, in die soziale Prävention investieren. sondern vor allem für meine Positionen werben. Einen Frak- tionszwang gibt es nicht, wir brauchen eine politische Kultur, in der andere Meinungen auch akzeptiert werden, wenn es zu keiner Einigung kommt. Die Diversität und Vielfalt der Partei macht eigentlich den Kern der Linken aus. Wo sind denn für Sie mögliche rote Linien? Ich bin ja neu im Parlament und muss mich in die ganzen Pro- zesse erst einarbeiten, etwa auch als Sprecher für Klimapoli- Foto: linksfraktion.de tik. Einige Sachen würde ich aber auf keinen Fall mitmachen. Das wären zum Beispiel Entscheidungen gegen ein Vergesell- schaftungsgesetz, für den Ausbau der Polizeikontrolle im öf- fentlichen Raum oder für die immer noch laufende S-Bahn- Ausschreibung. Da will ich dann auch in der Öffentlichkeit Ferat Koçak ist Diplom-Volkswirt und Spezialist für Marketing und klarmachen, dass ich eine andere Position vertrete. Öffentlichkeitsarbeit. Seit vielen Jahren ist er vor allem in Neukölln in antirassistischen und antifaschistischen Initiativen aktiv. Er ist Vielen Dank für das Gespräch. Abgeordneter der Linken im Berliner Abgeordnetenhaus. Das Interview führte Rainer Balcerowiak. MieterEcho 422 Februar 2022 9
Fotos: Matthias Coers TITEL Der neue Koalitionsvertrag erlaubt Extra- haushalte für Investitionen, insbesondere in xx Klimaschutz, Digitalisierung und Verkehrswende. Fotos: Matthias Coers Die Koalition stützt die Landesunternehmen mit Corona-Krediten über 2023 hinaus, und das zweifelsohne rechtskonform. Foto: Matthias Coers Mit Schattenhaushalten aus der Krise? Der rot-grün-rote Koalitionsvertrag bietet Spielräume für eine Investitionsoffensive Von Marcel Schneider geben. Stattdessen sollen die „rechtlichen und fiskalischen Spielräume konsequent genutzt (…) werden“. Gemeint ist Noch 2016 verschrieb sich die rot-rot-grüne Koalition aus- damit vor allem die Kreditaufnahme von rechtlich selbststän- weislich des damaligen Koalitionsvertrags einer vermeint- digen Extrahaushalten des privaten oder öffentlichen Rechts lich „soliden Finanzpolitik“ durch „Investieren und Konso- (Landesunternehmen). Ebenso kann diesen Eigenkapital zu- lidieren“ . Zwar wurden keine Schulden mehr getilgt, aber geführt werden oder an sie Darlehen vergeben werden. Mög- die damals im Rahmen der Konsolidierungshilfevereinba- lich wurden diese Spielräume, da Berlin die grundgesetzliche rung mit dem Bund vorhandenen Verschuldungsspielräu- Schuldenbremse verhalten umgesetzt hat. Ursprünglich plan- me bis 2019 von über 3 Milliarden Euro wurden nicht ge- te der nach der Wahl ausgeschiedene Finanzsenator Matthias nutzt. Berlin war ein Musterschüler der „Schwarzen Null“ . Kollatz (SPD) ohne Not eine scharfe Landesschuldenbremse. Durch die Zuführung an ein Sondervermögen hätte Berlin Diese sollte alle Extrahaushalte einbeziehen und zudem in der diese Mittel für zukünftige Investitionen sichern können. Landesverfassung verankert werden. Nur der Widerstand aus Das Land Brandenburg ist diesen Weg gegangen und hat den Reihen der SPD und der Linken hat das verhindert. Zu- 2019 eine Milliarde Euro kreditfinanziert einem Sonderver- sätzlich soll die Verschuldung im Rahmen der Corona-Notlage mögen zugeführt – gegen den erbitterten Widerstand der genutzt werden, die ebenso bei der Landesschuldenbremse un- dortigen Linksfraktion. Nun erlaubt auch der Berliner Koa- berücksichtigt bleibt, dafür aber getilgt werden muss. litionsvertrag Investitionen über Extrahaushalte. Ausgleich coronabedingter Verluste Der neue Koalitionsvertrag fokussiert auf die nötigen Inves- Der Berliner Koalitionsvertrag enthält wie der Vertrag auf titionen insbesondere für Klimaschutz, Digitalisierung und Bundesebene kein Finanztableau. Stattdessen definiert er eine Verkehrswende. Ein Heraussparen aus der Krise soll es nicht Vielzahl von durchaus kostspieligen Einzelmaßnahmen, die 10 MieterEcho 422 Februar 2022
TITEL durch Nutzung der Spielräume der Schuldenbremse gegenfi- nanziert werden sollen. So wird die Tilgung der Corona-Kredite gestreckt, die im Jahr 2020 im Umfang von 7,3 Milliarden Euro aufgenommen und der Pandemie-Rücklage zugeführt wurden. Ende 2021 wa- ren hiervon aufgrund höherer Steuereinnahmen und geringe- rer Pandemiekosten noch über 3,5 Milliarden verfügbar. Ur- sprünglich war geplant, ab 2023 in 27 Jahresraten zu tilgen. Nunmehr soll die Tilgung frühestens 2027 beginnen. Die hieraus resultierenden Minderausgaben liegen bei bis zu 270 Millionen Euro jährlich. Offen ist, was mit nicht verbrauchten Rücklagen mitteln Ende 2023 geschehen soll. Die Koalition erwägt hier eine Sondertilgung. Zugleich plant sie jedoch im Die Koalition stützt die Landesunternehmen mit Corona-Krediten über 2023 Doppelhaushalt 2022/23 eine weitere Rücklagenzuführung hinaus und das zweifelsohne rechtskonform. über Notlagenkredite, um die coronabedingten Verluste der Landesunternehmen auszugleichen. Mit dieser zweckgebun- näre eine Differenzierung nach Nutzungsart und Eigentumsart denen Rücklage können die Flughafengesellschaft, die BVG erfolgen. Dagegen ist nichts einzuwenden, wichtiger und13,4nahe- oder die Messe so lange unterstützt werden, bis das Einnahme- liegender wäre es jedoch, den Tarif zukünftig durch die Länder niveau der Vorkrisenzeit erreicht ist. Die Koalition stützt damit progressiv auszugestalten. Wie die Ampel auf Bundesebene ist die Landesunternehmen mit Corona-Krediten weit über das auch der Berliner Senat nicht bereit, Umverteilung von oben Jahr 2023 hinaus. Dies ist zweifelsohne rechtskonform, da die nach unten zu organisieren. Zusatzausgaben im Kausalzusammenhang mit der Pandemie stehen. Auch weitere Darlehen an Landesunternehmen werden Kostensteigerungen nicht abgebildet erwogen. Zugleich sollen die Unternehmen Investitionen auch Ausgabenseitig werden neue Stellen und eine Erhöhung der über verstärkte Kreditaufnahmen schultern. Analog zum Bo- konsumtiven Sachausgaben um 450 Millionen Euro jährlich denfonds, der für den Aufbau einer strategischen Grundstücks- versprochen. Im Kernhaushalt, also ohne Sondervermögen reserve bereits eine Kreditermächtigung von bis zu 250 Milli- und Extrahaushalte, wird eine Investitionsquote von ca. 8% onen Euro erhalten hat, soll eine neue Investitionsgesellschaft angestrebt. 2022 und 2023 sollen mindestens 3 Milliarden gegründet werden. Euro investiert werden. Die in der Planung genannten, maß- Es ist zu hoffen, dass diese in der Rechtsform einer Anstalt öf- nahmenscharf belegten Investitionen für die Jahre 2022 bis fentlichen Rechts gegründet wird, da so die Kreditkosten signi- 2025 liegen jedoch deutlich über den anvisierten Werten. Es ist fikant gesenkt werden können. Berlin verwirklicht damit eine daher mehr als zweifelhaft, ob die geplanten Investitionen aus- zentrale Forderung fortschrittlicher Ökonom/innen zur Ermög- reichend sind, zumal das Bauhauptgewerbe von massiven Kos- lichung von Investitionen, wie die Mitglieder des Sachverstän- tensteigerungen betroffen ist. Die Preise für Rohbauarbeiten digenrats Monika Schnitzler und Achim Truger im aktuellen an Wohngebäuden stiegen von August 2020 bis August 2021 Jahresbericht exemplarisch ausführen: „Eine zweite Option der um 14,5%. Eine wesentliche Ursache liegt in den begrenzten Kreditfinanzierung unter der Schuldenbremse besteht in der Kapazitäten der Bauindustrie. Diese waren nach dem Ende des Nutzung rechtlich selbständiger Extrahaushalte (…). Dies kön- Wiedervereinigungsbooms auch aufgrund fehlender öffent- nen [bestehende] privatrechtlich verfasste Unternehmen in öf- licher Investitionen strukturell heruntergefahren worden. Die fentlichem Besitz oder Anstalten öffentlichen Rechts sein (…). Koalition verspricht zwar die „Entwicklung von Strategien im Andere Vorschläge sehen die Nutzung rechtlich selbständiger Umgang mit begrenzten Baukapazitäten etwa über eine Stär- Investitionsgesellschaften vor, die öffentliche Investitionen im kung der Bauwirtschaft und eine Ausbildungsoffensive“, doch Auftrag des öffentlichen Sektors kreditfinanzieren könnten.“ die bisherigen Erfahrungen mit dem Wohnungs- und Schulbau Im Koalitionsvertrag auf Bundesebene fehlt hingegen die Op- des Landes sind eher ernüchternd. Benötigt wird vielmehr eine tion der Gründung neuer Investitionsgesellschaften. klare und belastbare Selbstbindung des Senats gegenüber der Die Möglichkeit, auf Landesebene die Steuereinnahmen zu Bauwirtschaft, die öffentlichen Investitionen kontinuierlich zu steigern, wird erneut nicht genutzt. Der Hebesatz der Gewer- erhöhen. Dabei bietet der Koalitionsvertrag hierfür alle Voraus- besteuer, der in Berlin mit 410% deutlich unter Potsdamer setzungen. Im Kernhaushalt führt die aktuelle Steuerschätzung Niveau (455%) liegt, soll unverändert bleiben. Stattdessen – neben den geringeren Abflüssen aus der Pandemie-Rücklage soll der Hebesatz mit den Brandenburger Umlandgemeinden und der späteren Tilgung des Notlagenkredits – zu einer spür- über einen Mindesthebesatz von 300% harmonisiert werden. baren Entlastung des Haushalts. Gegenüber der Finanzplanung Mit dieser unsinnigen Initiative soll wohl die nach dem Wirt- summieren sich die Steuermehreinnahmen von 2022 bis 2025 schaftsaufschwung in Berlin überfällige Erhöhung vermieden auf 5 Milliarden Euro. werden. Auch der Grunderwerbsteuersatz soll mit Branden- Die geplante Kreditaufnahme in den Extrahaushalten kann den burg synchronisiert und dabei sollen mögliche bundesgesetz- Kernhaushalt weiter entlasten. Ein Jahrzehnt der Investitionen liche Änderungen für Freibeträge bei selbstgenutztem Wohnei- im „Failed State Berlin“ wäre daher trotz Schuldenbremse und gentum berücksichtigt werden. Offenkundig soll eine relevante unterlassener Steuererhöhungen auf Bundesebene möglich. Erhöhung des Steuersatzes in Berlin verhindert werden, da der Auch eine Klage der Opposition gegen die vollständige Ver- Satz in Brandenburg um 0,5 Prozentpunkte höher liegt. Mit der ausgabung der Pandemie-Rücklage in den kommenden Jahren gewünschten Förderung des Wohneigentums knüpft der neue muss der Senat im Unterschied zum Bund und zu anderen Län- Senat nahtlos an die Lieblingsforderung der FDP an. Bei einer dern nicht fürchten. Da die Landesschuldenbremse nicht in der Reform der Grunderwerbsteuer soll nach Wunsch der Koalitio- Landesverfassung steht, gibt es kein Klagerecht. h MieterEcho 422 Februar 2022 11
TITEL Auch von der neuen Bundesregierung haben Mieter/innen wenig zu erwarten – außerparlamentarischer Widerstand bleibt notwendig. Foto: Peter Homann Handschrift der FDP Die Mietenregulierung ist im Koalitionsvertrag der Bundesregierung kein Thema Von Rainer Balcerowiak Besonders in Groß- und vielen Mittelstädten sowie den entspre- chenden Ballungsräumen hat vor allem der Mangel an bezahl- Die Wohnungspolitik hat nicht nur in Berlin, sondern auch baren Wohnungen und die weitgehend ungebremste Mieten- beim Wahlkampf für den neuen Bundestag eine wichtige explosion zu großen sozialen Verwerfungen geführt. Die von Rolle gespielt. Im Wahlkampf haben SPD, Grüne und Die der alten Bundesregierung auf den Weg gebrachten, halbherzi- Linke in ihren Programmen ein Umsteuern in der Woh- gen Regulierungen haben kaum Wirkung gezeigt, das betrifft nungspolitik und auch weitergehende Mietenregulierun- besonders die Mietpreisbremse bei Neuvermietungen. Der gen skizziert. Zwei dieser drei Parteien sind jetzt auch in Wohnungsneubau im bezahlbaren Segment blieb weit hinter der neuen Bundesregierung vertreten, doch der mieten- den Ankündigungen zurück. Zudem haben zwei höchstrich- und wohnungspolitische Teil des Koalitionsvertrages trägt terliche Urteile zum Berliner Mietendeckel und zum kommu- ziemlich deutlich die Handschrift des dritten Partners – der nalen Vorkaufsrecht in Milieuschutzgebieten die Eingriffs- FDP, die stets als radikale Lobbypartei der Immobilienwirt- möglichkeiten der Länder und der Kommunen weiter einge- schaft positioniert war und ist. schränkt. 12 MieterEcho 422 Februar 2022
TITEL Mietpreisstopp nicht in Sicht das ist für Lay eine Mogelpackung. „Aufhorchen lässt die Hatten SPD und Grüne im Wahlkampf noch eine Verschär- Ankündigung, die ‚etablierte Wohnungswirtschaft‘ durch die fung der Mietpreisbremse gefordert, ist nun davon im Koali- Einführung einer neuen Wohngemeinnützigkeit nicht zu be- tionsvertrag keine Rede mehr. Auch ein nur zeitlich befristeter nachteiligen. Dabei wäre eine Bevorteilung der gemeinnützi- Mietenstopp oder Mietendeckel in Gebieten mit angespannter gen Wohnungswirtschaft, etwa bei der Vergabe der Gelder des Wohnungsmarktlage ist kein Thema mehr. Vielmehr einigten sozialen Wohnungsbaus und von Grundstücken, ein wichtiger sich die Koalitionäre darauf, „die geltenden Mieterschutzrege- Anreiz, damit Wohnungsunternehmen sich unter den Schirm lungen zu evaluieren und zu verlängern“. Als kleine Fortschrit- der Gemeinnützigkeit stellen. Zudem ist weder eine Begren- te aus Sicht von Mieter/innen können lediglich die vereinbarte zung auf die Kostenmiete noch die Höhe der Gewinndecke- Absenkung der Kappungsgrenze für Kaltmietenerhöhungen lung im Rahmen der Wohngemeinnützigkeit Teil des Koali- von 15 auf 11% in drei Jahren und die Verbreiterung der Bemes- tionsvertrags. Beides waren jedoch die Kernbestandteile der sungsgrundlage für Mietspiegel gewertet werden. Diese sollen alten Gemeinnützigkeit. Es bleibt zu befürchten, dass die neue künftig auf Mietverträgen der letzten sieben Jahre basieren. Wohngemeinnützigkeit eine wirkungslose Randerscheinung Doch diese Trippelschritte können die erheblichen Mehrkos- in der Wohnungspolitik bleiben wird“, so Lay. ten, die auf viele Mieter/innen durch die Umlagen von energe- tischen Modernisierungen und die erhöhten Preise für CO2- Sprechblasen statt Maßnahmen Emissionen zukommen, nicht mal ansatzweise kompensieren. Weitere, nicht weiter spezifizierte Förderprogramme soll es Konsequenzen aus den beiden erwähnten Urteilen, die in Form „für studentisches Wohnen, für junges Wohnen und Wohnen von Gesetzesänderungen gezogen werden müssten, sind eben- für Auszubildende“ geben. Subsumiert werden diese weitge- falls nicht zu erwarten. Der an der fehlenden Länderkompe- hend substanzlosen Ankündigungen, die zudem unter dem tenz gescheiterte Berliner „Mietendeckel“ wird mit keinem allgemeinen „Finanzierungsvorbehalt“ stehen, in einer fulmi- Wort erwähnt. Derart durchgreifende Regulierungen wird nanten Sprechblase: „Wir werden eine Bau- und Investitions- es vor allem mit der FDP nicht geben, obwohl – etwa durch offensive starten, die die Voraussetzungen schafft schnell und eine Ermächtigungsklausel für die Länder im Baugesetzbuch günstig zusätzlichen Wohnraum zu schaffen und zu erhalten, – durchaus verfassungskonforme Wege existieren. Und zur und dadurch sowohl der Bau- und Immobilienwirtschaft lang- gerichtlichen Aushebelung des Vorkaufsrechts der Kommunen fristige Planungsperspektive als auch den Mieterinnen und heißt es lediglich: „Wir werden prüfen, ob sich aus dem Urteil Mietern Sicherheit gibt. (...) Wir werden ein ‚Bündnis bezahl- des Bundesverwaltungsgerichts vom 9. November 2021 zum barer Wohnraum‘ mit allen wichtigen Akteuren schließen. Wir gemeindlichen Vorkaufsrecht in Gebieten einer Erhaltungssat- werden zeitnah eine neue Wohngemeinnützigkeit mit steuerli- zung (Milieuschutzsatzung) gesetzgeberischer Handlungsbe- cher Förderung und Investitionszulagen auf den Weg bringen darf ergibt“. Das heißt von Politsprech ins Deutsche übersetzt: und so eine neue Dynamik (…) erzeugen“. Sehr konkret ist Wir beerdigen die Angelegenheit. dagegen ein Geschenk an die Immobilienwirtschaft: Die Steu- Herzstück des wohnungspolitischen Teils des Koalitionsver- erabschreibung bei Neubauten wird von zwei auf drei Prozent trags ist der Neubau. Die Ziele klingen zunächst einigermaßen pro Jahr angehoben. In der letzten Legislaturperiode hatten ambitioniert. „Unser Ziel ist der Bau von 400.000 neuen Woh- sich SPD und Grüne noch vehement dagegen ausgesprochen. nungen pro Jahr, davon 100.000 öffentlich geförderte Wohnun- Interessant ist auch, was alles nicht im Koalitionsvertrag steht. gen. Dafür werden wir die finanzielle Unterstützung des Bun- Das betrifft zum einen den Mieterschutz. Es sind keinerlei des für den sozialen Wohnungsbau fortführen und die Mittel konkrete Einschränkungen bei Eigenbedarfskündigungen und erhöhen.“ Allerdings fehlt jegliche Unterfütterung mit konkre- keine Maßnahmen gegen Zwangsräumungen aufgeführt. Doch ten Zahlen, zumal bereits die letzte Bundesregierung mit ihren das wäre eine der Grundvoraussetzungen, um den Plan zur vollmundigen Neubauankündigungen grandios gescheitert ist, „Überwindung der Wohnungslosigkeit“ umsetzen zu können. besonders im Bereich der geförderten, bezahlbaren Wohnun- Das Gewerbemietrecht, dessen Funktion als Verdrängungstrei- gen. Außerdem soll ein Teil dieser Fördermittel für die „so- ber in Innenstädten hinlänglich bekannt ist, bleibt im Koaliti- ziale Eigenheimförderung“ verwendet werden. Wie sich die onsvertrag gänzlich unerwähnt. Und als „völlig unzureichend“ 100.000 geförderten Wohnungen zwischen Sozialwohnungen bewertet Lay den Vertrag auch in Sachen Bodenpolitik: „Er und Eigenheimen aufteilen, lässt der Koalitionsvertrag offen. enthält keinerlei Maßnahmen gegen die Bodenpreisexplosi- In der letzten Legislaturperiode wurden Eigenheime dreimal on. Spekulative Gewinne oder generelle Bodenwertzuwächse stärker gefördert als Sozialwohnungen. sollen nicht der Allgemeinheit zugeführt werden, sondern ver- Offensichtlich ist auch, dass das alte, aus wohnungspolitischer bleiben in privater Hand. Auch weitere wichtige Forderungen, Sicht gescheiterte Fördersystem für den sozialen Wohnungs- wie zum Beispiel einen Bodenfonds, die Erleichterung von bau nicht angetastet werden soll. „Im alten Fördersystem zu Erbpacht oder wenigstens eine Enquetekommission zur Bo- verharren bedeutet jedoch, das Problem auslaufender Bin- denpolitik werden im Koalitionsvertrag gänzlich außen vor dungen auch zukünftig fortzusetzen. Eine Möglichkeit zur gelassen.“ Zudem konnten sich die Ampelparteien nicht über Änderung des Fördersystems hätte darin bestanden, die För- eine Streichung der Spekulationsfrist bei privaten Immobili- dergelder für den sozialen Wohnungsbau nur noch gemein- enverkäufen einigen. Hier bleibt der Verkauf nach zehn Jahren nützigen Wohnungsunternehmen zu geben. Jedoch ist davon steuerfrei. im Koalitionsvertrag keine Rede“, bewertet Caren Lay, Spre- Angesichts der Regierungskonstellation war allerdings auch cherin des Linksfraktion im Bundestag für Mieten-, Bau- und kaum etwas anderes zu erwarten. Im Bundestag sitzt mit den Wohnungspolitik, die Pläne. Scheinbar ein Zugeständnis der Linken nur noch eine deutlich gerupfte Oppositionspartei, die FDP ist die vereinbarte „Prüfung“ der Einführung einer neu- Forderungen der Mieterbewegung teilweise vertritt. Umso en Wohnungsgemeinnützigkeit, was von der wirtschaftslibe- mehr kommt es in den kommenden Jahren auf den außerparla- ralen Partei bislang kategorisch abgelehnt wurde. Doch auch mentarischen Widerstand an. h MieterEcho 422 Februar 2022 13
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