Wissen schafft Akzeptanz. Bundesstiftung Magnus Hirschfeld - Tätigkeitsbericht 2017

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Wissen schafft Akzeptanz. Bundesstiftung Magnus Hirschfeld - Tätigkeitsbericht 2017
Wissen schafft Akzeptanz.
­Bundesstiftung
 Magnus Hirschfeld
 Tätigkeitsbericht 2017
Wissen schafft Akzeptanz. Bundesstiftung Magnus Hirschfeld - Tätigkeitsbericht 2017
Wissen schafft Akzeptanz. Bundesstiftung Magnus Hirschfeld - Tätigkeitsbericht 2017
Inhaltsverzeichnis

Geleitwort der Kuratoriumsvorsitzenden Dr. Barley 2

Geleitwort des Vorsitzenden des Fachbeirats Prof. Dr. Schwartz 4

Einführung des Vorstands 5

Referat Kultur, Geschichte und Erinnerung 7

     Erforschung der Verfolgung und Repression von LSBTTIQ 7

     Archiv der anderen Erinnerungen    10

     Rehabilitierung und Entschädigung der Opfer des Paragrafen 175 StGB 12

	Veranstaltung „NS-Terror gegen Homosexuelle – Forschungskontroversen
  und erinnerungspolitische Positionen“ 12

Referat Gesellschaft, Teilhabe und Antidiskriminierung 13

     Hirschfeld-Lectures   13

     Fachtag „Familie von morgen“ 14

     Refugees & Queers 15

     Hirschfeld-Akademie    16

Fußball für Vielfalt 18

Förderung von externen Projekten 21

Das Stiftungsjahr im Überblick 32

Veröffentlichungen der Bundesstiftung und ihrer Mitarbeiter_innen
sowie Kooperationspartner_innen 36

Tagungsteilnahmen und Vorträge 37

Kommunikation- und Medienarbeit        39

Vermögensanlage 42

Gewinn- und Verlustrechnung 51

Ausblick auf 2018 52

Kuratorium und Fachbeirat 54

Drittmittelförderungen und Spenden     56

Impressum      58

Tätigkeitsbericht 2017
Wissen schafft Akzeptanz. Bundesstiftung Magnus Hirschfeld - Tätigkeitsbericht 2017
2

Geleitwort der
Kuratoriumsvorsitzenden

Mit dem am 22. Juli 2017 in Kraft getrete-              Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Part-
nen Rehabilitierungsgesetz wurden endlich die           nerschaften als Ehen zweiter Klasse ist damit
Verurteilungen wegen einvernehmlicher ho-               endlich beendet.
mosexueller Handlungen zwischen Personen
über 16 Jahren aufgehoben. Die betroffenen              Die Erfolge des Jahres 2017 sind wichtige Mei-
Menschen sollen für ihre Verurteilung, den              lensteine auf dem Weg zu unserem Ziel, dass
damit verbundenen Strafmakel sowie ver-                 es letztlich keine Rolle spielen darf, welche se-
büßte Freiheitsentziehungen                                                xuelle Orientierung jemand hat.
finanziell entschädigt werden.                                             Denn wie wir wissen, gehören
Bisher wurden insgesamt rund                                               Benachteiligungen, Diffa-
330.000 Euro ausgezahlt. Die                                               mierungen und auch tätliche
Entschädigung ist gewiss nicht                                             Angriffe auf Menschen allein
mehr als ein Symbol, aber ein                                              aufgrund ihrer sexuellen Ori-
wichtiger Schritt. Denn für                                                entierung oder Identität leider
Gerechtigkeit ist es nie zu spät!                                          weiterhin zum Alltag.
Ich appelliere an alle Betrof-
fenen, ihr gutes Recht geltend                                           Die Bundesstiftung Magnus
zu machen und bestehende                                                 Hirschfeld engagiert sich
Unterstützungsangebote zu                                                sowohl mit eigenen als auch
nutzen.                                                                  mit von ihr geförderten Projek-
                                  Dr. Katarina Barley
                                                                         ten gegen Diskriminierungen
Als sogenannte Kollektivent-                                             und für Akzeptanz. Ich danke
schädigung zur Rehabilitierung                                           dem Vorstand sowie allen Mit-
der nach Paragraf 175 StGB Verurteilten wurde           arbeiterinnen und Mitarbeitern für ihren Einsatz
ebenfalls im vergangenen Jahr mit der instituti-        und unterstütze sie, weiter für Frieden, Frei-
onellen Förderung der Bundesstiftung Magnus             heit und Gleichberechtigung zu arbeiten und zu
Hirschfeld aus dem Haushalt des Bundesminis-            kämpfen.
teriums der Justiz und für Verbraucherschutz
begonnen. Diese Förderung wird auch 2018                Es gibt noch eine Menge zu tun. Ob lebensge-
fortgesetzt, um die professionelle Arbeit der           schichtliche Interviews nicht-heterosexueller
Stiftung im Bereich der Forschung und Aufklä-           Menschen, die geschichtliche Aufarbeitung ihrer
rung zu stärken und dauerhaft zu sichern.               Verfolgung, ihre Ausgrenzung im Sport, ihre
                                                        komplexe Situation als Geflüchtete oder auch
Das Jahr 2017 stellt auch mit der Einführung            die neue Vielfalt von Familien: Die Bundesstif-
der „Ehe für alle“ einen Wendepunkt im Le-              tung Magnus Hirschfeld stellt sich gesellschafts-
ben vieler Menschen dar. Seit dem 1. Oktober            politisch bedeutsamen Fragen und versucht,
2017 können gleichgeschlechtliche Paare nun             Antworten für ein gutes Zusammenleben in
auch in Deutschland heiraten. Die rechtliche            Vielfalt zu finden.

                                                                                       Bundesstiftung Magnus Hirschfeld
Wissen schafft Akzeptanz. Bundesstiftung Magnus Hirschfeld - Tätigkeitsbericht 2017
G eleitwort   3

Wir werden den Kampf gegen Diskriminie­rungen
und für gleichberechtigte Teilhabe engagiert
fortsetzen. Die Rechte von friedlichen Minder-
heiten sind zu schützen – unabhängig davon,
worauf der Unterschied zur Mehrheitsgesell-
schaft beruht. Gerade am Schutz der Rechte
auch kleinerer Gruppen von Menschen zeigt sich,
wie wir Demokratie und Rechtsstaat als Ganzes
begreifen.

In diesem Sinne wünsche ich der Bundesstiftung
Magnus Hirschfeld weiterhin viel Erfolg und
eine breite gesellschaftliche Unterstützung!

Dr. Katarina Barley
Bundesministerin der Justiz
und für Verbraucherschutz,
Vorsitzende des Kuratoriums der
Bundesstiftung Magnus Hirschfeld

Tätigkeitsbericht 2017
4

Geleitwort
des Vorsitzenden des
Fachbeirates

D
         as Jahr 2017 hat wichtige Ereignisse              persönlichen Einsatz in dieser wichtigen An­
         mit sich gebracht, die wir eindeutig als          gelegenheit noch einmal ganz herzlich danken.
         emanzipative Fortschritte für eine plu-                Was die Forschungs- und Bildungsaktivitä-
ralistische und gendergerechte Gesellschaft be-            ten der Bundesstiftung angeht, möchte ich aus
grüßen können: Im Juli 2017 wurde vom deut-                wissenschaftlicher Sicht vor allem deren konti-
schen Parlament das „Gesetz zur Einführung des nuierlichen Einsatz für Forschungsprojekte über
Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Verfolgung und Diskriminierung homosexueller
Geschlechts“ verabschiedet, das die bisherige              Menschen hervorheben. Die Ergebnisse des ers-
Ungleichbehandlung heirats-                                                  ten diesbezüglichen Projekts,
williger Heterosexueller und                                                 das die Jahre zwischen 1933
lediglich „verpartnerter“ Ho-                                                bis 1945 sowie die Nachkriegs-
mosexueller beendet hat. Und                                                 zeit bis 1969/73 mit Blick auf
im selben Monat des vergange-                                                homosexuelle Männer und
nen Jahres trat das „Gesetz zur                                              Frauen im Lande Rheinland-
strafrechtlichen Rehabilitierung                                             Pfalz fokussierte und von der
der nach dem 8. Mai 1945 we-                                                 Bundesstiftung in Kooperation
gen einvernehmlicher homose-                                                 mit dem Institut für Zeitge-
xueller Handlungen verurteil-                                                schichte München-Berlin (IfZ)
ten Personen“ in Kraft, das die                                              geleitet worden ist, konnte im
nach den zwischen 1949 und                                                   Januar 2017 der Öffentlichkeit
1994 in der Bundesrepublik                                                   vorgestellt werden.
Deutschland und in der DDR
geltenden diskriminierenden          Prof. Dr. Michael Schwartz              Im weiteren Verlauf des Jahres
Strafrechtsbestimmungen ver-                                                 haben Bundesstiftung und IfZ
urteilten homosexuellen Men-                                                 auch die Erarbeitung einer auf
schen nicht nur die juristische Rehabilitierung            diesen Ergebnissen basierenden bildungsorien-
zuspricht, sondern ihnen auch eine (wenngleich             tierten Wanderausstellung beratend begleitet,
geringfügige) finanzielle Entschädigung für erlit-         die mittlerweile im Januar 2018 in Mainz eröff-
tene Haftzeiten gewährt.                                   net worden ist. Fortgesetzt wird die beratende
                                                           Begleitung des weit umfangreicher struktu-
Dieses letztere Gesetz ist in entscheidenden               rierten Projekts der Universität Stuttgart über
Punkten von der im Juni 2016 veröffentlichten              Baden-Württemberg, das von der Weimarer Zeit
„Uracher Erklärung“ fast aller damaligen Mit-              bis in die 1970er Jahre reicht und neben der
glieder_innen unseres Fachbeirats nicht unbeein- Verfolgung und Diskriminierung homosexuel-
flusst geblieben. Dem mittlerweile in ein anderes ler Menschen auch nach Fällen von Trans*- und
Ressort der Bundesregierung gewechselten                   intersexuellen Personen sucht. Im Dezember des
früheren Bundesminister der Justiz und früheren Jahres 2017 haben Bundesstiftung und IfZ mit
Kuratoriumsvorsitzenden der Bundesstiftung                 Hilfe der Landesregierung von Rheinland-Pfalz
Magnus Hirschfeld, Herrn Heiko Maas, möchte                ein weiteres landesspezifisches Forschungs-
ich namens unseres Gremiums für seinen                     projekt begonnen, das sich der Diskriminierung

                                                                                       Bundesstiftung Magnus Hirschfeld
G eleitwort       5

homosexueller Frauen durch Ehe-, Scheidungs-       ist sehr zu begrüßen und wird sich durch das
und Familienrecht widmet.                          Engagement von Beirät_innenen und Mitarbei-
                                                   ter_innen hoffentlich auch in Zukunft fortsetzen.
Einzelne Mitglieder des Fachbeirats und Mit-            Abschließend möchte ich dem hochenga-
arbeiter der Bundesstiftung haben im Jahre         gierten Team der Geschäftsstelle der Bundes-
2017 auch an zwei großen wissenschaftlichen        stiftung für seine wichtige Arbeit sehr herzlich
Tagungen zur Verfolgung und Diskriminierung        danken.
homosexueller Menschen im 20. Jahrhundert
mitgewirkt, die ich als Hochschullehrer der Uni-
versität Münster zum einen mit der Akademie
für Politische Bildung in Tutzing, zum anderen
mit der Justizakademie des Landes Nordrhein-
Westfalen in Recklinghausen mitorganisiert und
im Mai bzw. Dezember 2017 durchgeführt habe.       Prof. Dr. Michael Schwartz
Diese deutliche Präsenz der Bundesstiftung im      Vorsitzender des Fachbeirats
deutschen Forschungs- und Erinnerungsdiskurs       der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld

Tätigkeitsbericht 2017
6

Einführung
des Vorstandes
Wissen schafft Akzeptanz.

Liebe Leser_innen,                                  die Familie(npolitik)“. Die Dokumentation dazu
                                                    erscheint voraussichtlich Ende 2018.
das Jahr 2017 war ein in jeder Hinsicht auf­            Am 14. Mai enthüllten wir zusammen mit
regendes und fruchtbares Jahr: Unsere Stiftung      der Stadt Magdeburg eine Gedenktafel am Ort
wurde aufgrund eines Beschlusses des Deut-          der ersten Arztpraxis von Dr. Magnus Hirschfeld
schen Bundestags erstmals durch eine institu-       in der Magdeburger Innenstadt. Danach began-
tionelle Förderung des Bundesministeriums der       nen in unserer Stiftung die Vorbereitungen für
Justiz und für Verbraucherschutz gefördert. Da-     das Gedenkjahr 2018/2019 „150 Jahre Magnus
durch konnten wir aus allen bisherigen Halbtags-    Hirschfeld“ (14.5.2018) und „100 Jahre Institut
nun Ganztagsstellen machen                                            für Sexualwissenschaft (2019;
und eine Halbtagsstelle – die                                          offizielle Eröffnung: 9.7.1919).
Assistenz der Geschäftsfüh-                                                 Gemeinsam mit Betroffe-
rung/Projektförderungsma-                                              nen der Gesetzgebung durch
nagement – wieder neu einrich-                                         den § 175 StGB, die ihre
ten. Durch die Zuwendung des                                           Lebensgeschichte im Rahmen
Bundes haben wir außerdem                                              unseres Interviewprojektes
unsere externe Fördertätigkeit                                        „Archiv der anderen Erinne-
wieder aufnehmen und knapp                                             rungen“ geteilt haben, und der
133.000 Euro an 34 Projekte in                                        Antidiskriminierungsstelle des
ganz Deutschland ausschütten                                           Bundes freuten wir uns am
können.                                                               22. Juni über den Beschluss
     Beispiele aus unserer ei-                                         des Deutschen Bundestages
genen Projektarbeit: Im Januar                                        für ein Aufhebungsgesetz,
stellten wir gemeinsam mit                                             durch das die Urteile kollektiv
dem Land Rheinland-Pfalz und                                           aufgehoben und eine individu-
dem Institut für Zeitgeschichte Jörg Litwinschuh                       elle Opferentschädigung mög-
München-Berlin (IfZ) die Ergeb-                                       lich wird. In den vergangenen
nisse unserer Kooperationsstudie „Strafrechtli-     Jahren haben wir gemeinsam mit Betroffenen
che Verfolgung und gesellschaftliche Repression     und weiteren Zeitzeugen sehr intensiv hinter den
von Schwulen und Lesben in der Nachkriegszeit“      Kulissen an der Ermöglichung dieses Gesetzes
vor. Ab 2018 wird eine Wanderausstellung des        mitgewirkt. Mit dem hart umkämpften Gesetz
rheinland-pfälzischen Familienministeriums          zur Rehabilitierung und Entschädigung der durch
durch Rathäuser und Schulen in Rheinland-Pfalz      den Paragrafen 175 StGB verurteilten Homose-
ziehen. Im November beauftragte das Ministe-        xuellen wurde ein entscheidender Beitrag dazu
rium das IfZ in Kooperation mit unserer Stiftung,   geleistet, den diskriminierten Opfern ihre Würde
die Diskriminierung und Verfolgung lesbischer       wieder zurückzugeben und deren Leiden anzu-
Mütter durch Kindesentzug zu erforschen und in      erkennen. Die BMH wird das Thema auch weiter
Videos zu dokumentieren.                            intensiv begleiten.
     Im April veranstalteten wir erstmals mit
zahlreichen evangelischen Institutionen den         Am 30. Juni folgte im Deutschen Bundestag
Fachtag „Familie von morgen. Neue Werte für         mit der Ehe für alle ein weiterer historischer

                                                                                    Bundesstiftung Magnus Hirschfeld
E inführung des V orstands                  7

Beschluss zur völligen rechtlichen Gleichstellung der       (75 Prozent der befragten Stiftungen) und der „Arbeit
Homosexuellen. Ich danke allen Politiker_innen, NGOs,       für Toleranz, Vielfalt und gegen Diskriminierung“
Rechtsexpert_innen und homosexuellen Paaren, die            (64 Prozent). Unsere Stiftung wird in den kommenden
Prozesse geführt haben: Durch ihre teils jahrzehnte-        Jahren – mehr denn je – als Akzeptanzförderin und als
langen Anstrengungen haben sie auf dieses Ergebnis          Antidiskriminierungsstiftung gebraucht werden und
hingearbeitet und nie aufgegeben.                           gefragt sein. Dazu braucht es Bildung und Forschung.
     Gefördert durch die Bundeszentrale für politische      Homo- und Transphobie, Rechtsextremismus und reli-
Bildung entwickelt sich unser Modellprojekt „Refu-          giösem Fundamentalismus werden wir selbstbewusst
gees and Queers. Politische Bildung an der Schnitt-         und unaufgeregt entgegentreten helfen. Dazu braucht
stelle von LSBTTIQ und Flucht/Migration/Asyl“ zu            es auch neue Bündnispolitiken, starke LSBTTIQ-Koali-
einem queeren Leuchtturm.                                   tionär_innen und liberale Partner_innen in Kirchen und
     Die kontinuierlich hohe Zahl der Förderanträge wie     Religionsgemeinschaften. Bitte fordern und fördern
auch deren inhaltliche Bandbreite sind nicht nur ein        Sie uns kräftig auf diesem Weg!
Beleg für die Wichtigkeit unserer Stiftung, sondern
auch dafür, welchen Stellenwert und Bedeutung sie in        Zum Schluss bleibt mir der Hinweis auf freudige An-
den wenigen Jahren seit ihrer Gründung erlangt hat.         lässe, um gemeinsam mit Ihnen das Hirschfeld-Jahr
Diesen hohen Erwartungen wollen wir auch weiterhin          einzuleiten: Am 14. Mai gedenken wir den Lebens-
gerecht werden.                                             leistungen von Dr. Magnus Hirschfeld und seinen
    Zu guter Letzt ist es mir an dieser Stelle ein großes   Mitkämpfer_innen in einem großen Festakt in Berlin.
Bedürfnis, mich im Namen der Bundesstiftung Mag-            Am 12. Juli bringt die Deutsche Post anlässlich des
nus Hirschfeld bei unserem früheren Kuratoriumsvor-         150. Geburtstages unseres Namensgebers eine Brief-
sitzenden Bundesjustizminister a. D. Heiko Maas, den        marke heraus, die wir mit einem Festakt im Centrum
weiteren Mitgliedern des Kuratoriums und des wissen-        Judaicum – Stiftung Neue Synagoge Berlin, präsen­
schaftlichen Fachbeirats für ihre Arbeit und den pro-       tieren. Mit vielen weiteren Veranstaltungen und Pro-
duktiven wie bereichernden Austausch zu bedanken.           jekten werden die beiden kommenden Jahre ganz
                                                            im Fokus von Magnus Hirschfeld und seinem Institut
Ein besonderer Dank gilt zudem auch all jenen Men-          für Sexualwissenschaft stehen.
schen und Einrichtungen, die beispielsweise durch
Drittmittelförderungen, Spenden und als Koope-              Berlin, 25. April 2018
rationspartner_innen unsere Arbeit ermöglicht und
unterstützt haben. Last but not least danke ich allen
Mitarbeiter_innen der Stiftung, die erneut Großartiges
geleistet haben: Ohne sie wäre die Stiftung nichts.

 Stiftungen sehen sich als „zentrale Player innerhalb
 der Demokratieförderung in Deutschland“. Dies zeigt
 eine Umfrage des Bundesverbandes Deutscher Stif-
tungen, in welchem wir Mitglied sind. Der Schwer-           Jörg Litwinschuh
 punkt im Einsatz für mehr Demokratie liegt auf der         Geschäftsführender Vorstand
„Förderung des bürgerschaftlichen Engagements“              der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld

Tätigkeitsbericht 2017
8

Referat Kultur,
Geschichte und Erinnerung

                                  Dr. Daniel Baranowski ist seit 2015 wissenschaftlicher
                                  Referent Kultur, Geschichte und Erinnerung. Er war zuvor
                                  wissenschaftlicher Mitarbeiter der Stiftung Denkmal für die
                                  ermordeten Juden Europas.

Forschungsprojekte zur Verfolgung und
Repression von LSBTTIQ in Kooperation mit
anderen Einrichtungen
Die Erforschung der Geschichte der LSBTTIQ         von Lesben, Schwulen und Trans*-Personen
– ihrer Diskriminierungen, Repressionen und        vor, nach und während der Zeit des National-
Verfolgungen wie auch ihrer gesellschaftlichen     sozialismus? Wie konnten LSBTTIQ angesichts
Emanzipationsprozesse – ist einer der zentralen    der Ausgrenzung und staatlichen Verfolgung
Arbeitsschwerpunkte der Bundesstiftung Mag-        Freundschaften und Beziehungen pflegen, sich
nus Hirschfeld.                                    in Gruppen zusammenschließen oder politisch
     In Zusammenarbeit mit dem Institut für        organisieren – zumal fernab der Metropolen mit
Zeitgeschichte München-Berlin (IfZ) konnten in     ihren ausgeprägten subkulturellen Strukturen?
Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg erst-             Fragen wie diese waren bislang gar nicht
mals umfangreiche Projekte zur Aufarbeitung        oder lediglich unzureichend zu beantworten.
der strafrechtlichen Verfolgung und Diskriminie-   Denn nicht nur fehlten entsprechende Forschun-
rung auf den Weg gebracht werden.                  gen zumindest für Flächenländer jenseits der
                                                   Metropolen, und damit insbesondere für Le-
„Lebenswelten und Verfolgungsschicksale ho-        benssituationen in kleineren Städten und ländli-
mosexueller Männer in Baden und Württemberg        chen Regionen, viele entscheidende Materialien
im Nationalsozialismus und in der Bundesrepub-     waren unzureichend archiviert, zum Teil vernich-
lik Deutschland“                                   tet, die raren vorhandenen Quellen wiederum
                                                   oft nicht recherchiert und gesichtet.
Welche Folgen hatten die gesellschaftlichen
und juristischen Repressionen für das Leben

                                                                                 Bundesstiftung Magnus Hirschfeld
R eferat K ultur ,    G eschichte und E rinnerung            9

Mit dem 2016 gestarteten Forschungspro-            Begleitet wird das Forschungsvorhaben durch
jekt „Lebenswelten und Verfolgungsschicksale       ein Public History-Projekt. Geplant sind unter
homosexueller Männer in Baden und Würt-            anderem die bessere Vernetzung von LSBTTIQ-
temberg im Nationalsozialismus und in der          Gruppen, Geschichtswerkstätten, Museen,
Bundesrepublik Deutschland“ setzt das Land         Archiven und politischen Bildungsprojekten.
Baden-Württemberg nicht nur ein wichtiges          Darüber hinaus sollen Workshops und Veran-
gesellschaftspolitisches Zeichen. Es schließt      staltungen zur LSBTTIQ-Geschichte durchge-
zudem auch „einen blinden Fleck in der wissen-     führt werden. Zentrales Werkzeug für diese
schaftlichen Forschung über Strafverfolgung        Aktivitäten ist die Webseite www.lsbttiq-bw.
und gesellschaftliche Ausgrenzung von Homose-      de. Sie fungiert gleichermaßen als Wissensspei-
xuellen“ in der Geschichte des Bundeslandes, so    cher- und Kommunikationsplattform und dient
die baden-württembergische Ministerin Theresia     zum einen dazu, die interessierte Öffentlichkeit
Bauer (Bündnis 90/Die Grünen). Das von ihr ge-     am Stand der Forschungen teilhaben zu lassen.
führte Ministerium für Wissenschaft, Forschung     Zum anderen wird sie dazu genutzt, Geschichts-
und Kunst hat dafür bereits Mittel in Höhe von     zeug_innen zu finden und Bürger_innen zur Mit-
250.000 Euro bereitgestellt, die vollumfäng-       hilfe zu bewegen, um beispielsweise persönliche
lich an die Universität Stuttgart ausgeschüttet    Unterlagen wie Fotos, Briefe, Zeitschriften oder
wurden. Deren Direktor der Abteilung für Neuere    Korrespondenzen mit Behörden den beteiligten
Geschichte am Historischen Institut, Prof. Dr.     Historiker_innen zur Verfügung zu stellen.
Wolfram Pyta, leitet dort die Forschungen in            Ermöglicht wurde die Entwicklung dieses
Kooperation mit der BMH und dem IfZ.               Internetportals 2016 durch die Förderung des
     Das Forschungsdesign dieses Projekts          Sozialministeriums in Baden-Württemberg
umgreift erstmals systematisch die Geschichte      und 2017 durch eine Förderung der BMH; die
lesbischer, schwuler, bisexueller, transgender,    Pflege der Plattform im zweiten Halbjahr 2017
trans- und intersexueller sowie queerer Men-       wurde durch die Universität Stuttgart finanziell
schen in Baden und Württemberg während des         gesichert.
Nationalsozialismus und in der Bundesrepublik
und lässt LSBTTIQ nicht nur als Opfer von Ver-     Zum Jahresende 2017 legte das Forschungs­
folgung und Diskriminierung, sondern ebenso        team der Universität Stuttgart bereits einen
deutlich als Akteur_innen in verschiedenen his-    ersten Zwischenstands-Bericht ihrer Arbeit am
torischen Konstellationen sichtbar werden.         Modul I vor. Neben den grundlegenden Vorar-
                                                   beiten wie der Analyseoptik und Ausführungen
                                                   zum methodischen Vorgehen konnten bereits
Das auf drei Jahre angelegte For­                  die Forschungsergebnisse zu den Lebenswelten
schungsprojekt soll 2019/20 abge­                  in der Weimarer Republik ausformuliert werden.
schlossen sein und ist in drei Module              „Baden ist nicht Berlin und Württemberg nicht
aufgeteilt:                                        Weimar“ haben die Autor_innen dieses Kapitel
                                                   der Studie überschrieben. Damit soll deutlich
•   Modul I untersucht die Lebenswelten und        gemacht werden, dass das lebensweltliche
    Verfolgungsschicksale homosexueller Män-       Gefüge homosexueller Männer in den 1920er
    ner im Nationalsozialismus und nach 1945.      und beginnenden 1930er Jahren im deutschen
    Dieses Teilprojekt konnte 2017 bereits ab-     Südwesten keineswegs etwa mit dem in Berlin
    geschlossen werden.                            vergleichbar war. Dennoch, so die Historikerin
•   Modul II erforscht die staatliche Repression   Dr. Julia Munier, hätten sich – insbesondere in
    und Verfolgung nach § 175 RStGB/StGB.          den Groß- und Universitätsstädten wie Mann-
    Für dieses Teilprojekt wurden die benötigten   heim, Stuttgart und Karlsruhe und befördert
    Mittel beim Ministerium für Wissenschaft,      durch künstlerisch-avantgardistische, wissen-
    Forschung und Kultur beantragt.                schaftlich-liberale und sexualaufklärerische
•   Modul III fokussiert auf die Lebensweisen      Kontexte – Freundschaftsbünde und Aktions-
    und Repression von lesbischen Frauen sowie     gruppen sowie private Netzwerke bilden können.
    intersexueller und Trans*-Personen.            Mit der Machtübernahme der Nationalsozialis-
                                                   ten hatten sich dann allerdings die Bedingungen
                                                   auch im Südwesten dramatisch verändert. Die

Tätigkeitsbericht 2017
10         R eferat K ultur ,    G eschichte und E rinnerung

zunächst in Berlin vollzogenen Maßnahmen zur        Schriftsetzers, haben sich als aufschlussreiche
Zurückdrängung bzw. tendenziellen Zerstörung        Dokumente erwiesen. In diesem genannten
der homosexuellen Lebenswelten wirkten sich         Fall lässt sich exemplarisch die Bedeutung der
auch auf Baden und Württemberg aus.                 Schweiz für Homosexuelle aus (Süd-)Deutsch-
    Das Forscher_innenteam konnte in diesem         land nachvollziehen. Für sie war das an Baden
Zusammenhang nicht nur neu entdeckte Ego-           und Württemberg angrenzende Nachbarland mit
Dokumente auswerten, so etwa jene des als           seiner lebendigen Homosexuellenszene insbe-
„Stuttgarter Originals“ bezeichneten Trans-         sondere in der frühen Phase des Nationalsozia-
vestiten Toni Simon (1887–1979). Auch Akten-        lismus und in den 1950er Jahren ein wichtiger
funde, wie etwa im Staatsarchiv Ludwigsburg         Zufluchtsort.
zum Schicksal eines in Friedrichshafen lebenden

„Verfolgung und Diskriminierung von Homo­
sexualität in Rheinland-Pfalz“
Am 13. Dezember 2012 beschloss der Land-            Herausforderungen gestellt. Nicht nur waren die
tag Rheinland-Pfalz einstimmig den Antrag zur       Aktenfindung und Sichtung erschwert, auch das
„Aufarbeitung der strafrechtlichen Verfolgung       Aufspüren privater und persönlicher Dokumente
und Rehabilitation homosexueller Menschen“          von Betroffenen erwies sich als schwierig. Zu-
in Rheinland-Pfalz. „Die Aufarbeitung ist ein       dem mussten die beiden Historiker_innen die
wichtiger Schritt, um die nachfolgenden Gene-       Erfahrung machen, dass Geschichtszeug_innen
rationen gegenüber homophoben Tendenzen zu          aufgrund der lebensgeschichtlichen Nachwir-
sensibilisieren“, erklärte die zuständige Fami-     kung der erlebten Diskriminierungen nur geringe
lienministerin Anne Spiegel (Bündnis 90/Die         Bereitschaft zu Interviews zeigten.
Grünen). Ihre Vorgängerin, Irene Alt (Bündnis 90/       Dennoch gelang es, die Verfolgungs- und
Die Grünen), hatte nach dem Beschluss die ent-      Diskriminierungsgeschichte von lesbischen
sprechenden Forschungen und damit die erste         Frauen und schwulen Männern zwischen 1946
umfassende Studie zur Repression Homosexu-          und 1973 in Rheinland-Pfalz – und damit in
eller für ein deutsches Flächenland in Auftrag      einem Flächenland der Bundesrepublik Deutsch-
gegeben.                                            land mit starker katholischer Prägung – in einer
     Fünf Jahre später liegt dieses erste große,    382-seitigen Publikation nachzuzeichnen. Der
mit 100.000 Euro staatlich finanzierte For-         Schwerpunkt lag dabei auf der Verfolgung ho-
schungsprojekt vor, das vom IfZ in Zusammen-        mosexueller Handlungen zwischen Männern,
arbeit mit der BMH und mit Unterstützung einer      doch konnten auch neue Sichtweisen auf juris-
Projektgruppe diverser Landesressorts, der          tische und gesellschaftliche Diskriminierungen
Landeszentrale für Politische Bildung sowie des     lesbischer Frauen erarbeitet werden.
im zivilgesellschaftlichen Raum hochengagier-           Im Ergebnis war die strafrechtliche Ver-
ten Verbandes QueerNet Rheinland-Pfalz e.V.         folgung männlicher Homosexualität von der
umgesetzt wurde.                                    Gründung des Landes Rheinland-Pfalz 1946 bis
                                                    zur Reform des Paragrafen 175 StGB im Jahr
Am 23. Januar 2017 präsentierte die Staats-         1969 erheblich: Gegen 5.939 Tatverdächtige
sekretärin im rheinland-pfälzischen Famili-         wurde ermittelt, 2.880 Männer und Jugendliche
enministerium und Landesbeauftragte für             wurden verurteilt. Zusätzlich erlebten noch weit
Gleichgeschlechtliche Lebensweisen und              mehr Betroffene Demütigungen, moralische Ab-
Geschlechtsidentität, Dr. Christiane Rohle-         wertungen und schwere berufliche Nachteile –
der, gemeinsam mit den am Projekt Betei-            nicht zuletzt im Zuge von Ermittlungsverfahren.
ligten auf einer Veranstaltung im Landes-               Neben beispielhaften Fällen wie dem eines
museum Mainz der Öffentlichkeit die zentralen       Koblenzer Polizisten, der nach seiner Verhaftung
Forschungsergebnisse.                               nur noch die Selbsttötung als Ausweg sah, öff-
                                                    net die Studie den Blick dafür, wer auf Ländere-
Bei ihren Forschungen sahen sich Dr. Kirs-          bene für die Durchsetzung des Paragrafen 175
ten Plötz und Dr. Günter Grau vor besondere         StGB verantwortlich zeichnete. So profilierten

                                                                                  Bundesstiftung Magnus Hirschfeld
R eferat K ultur ,     G eschichte und E rinnerung            11

sich rheinland-pfälzische Gründungsväter wie         ihr Kind entzogen, weil sie nunmehr eine lesbi-
Justizminister Dr. Adolf Süsterhenn, Minister-       sche Beziehung führte. Ein solches gerichtliches
präsident Peter Altmeier und der aus der regio-      Vorgehen war möglicherweise weiterverbreitet
nalen CDU stammende Bundesfamilienminister           und mit der vorliegenden Studie bekommt diese
Dr. Franz-Josef Wuermeling als rigide Wächter        schwerwiegende Repression gegenüber lesbi-
einer christlich-konservativ verstandenen „Sitt-     schen Müttern endlich historische Aufmerksam-
lichkeit“, die sie als Leitlinie der Landesverfas-   keit. Zurzeit fördern das rheinland-pfälzische
sung und -politik einsetzten. Besonders Süster-      Familienministerium und die BMH hierzu eine
henn und Wuermeling agierten in diesem Sinne         neue Studie: „Juristische Diskriminierung lesbi-
weit über Rheinland-Pfalz hinaus; Grundgesetz        scher Frauen. Der Entzug des Sorgerechts bzw.
und Bundespolitik tragen ihre Spuren. Erhebli-       der elterlichen Gewalt in Rheinland-Pfalz“. Diese
chen Einfluss hatten zudem Institutionen wie         beim IfZ in Auftrag gegebene Studie hat das
der Volkswartbund – eine katholische Laienorga-      Ziel zu erforschen, ob die bisher rekonstruier-
nisation mit enger Anbindung an den Erzbischof       ten Einzelfälle tatsächlich relativ selten waren
von Köln – im Kampf gegen öffentliche Unsitt-        oder sie lediglich die bekannt gewordene „Spitze
lichkeit, der „Homosexualität als akute öffentli-    eines Eisbergs“ darstellen und sehr viel weiter
che Gefahr“ ansah.                                   reichende Wirkungen solcher Diskriminierungen
     Eine weitere weitreichende Erkenntnis der       stattgefunden haben.
Studie ist es, dass lesbische Liebe nach 1945
nachweislich bewusst diskriminiert wurde. So         Eine 47-seitige Kurzzusammenfassung der Stu-
setzte sich das Land Rheinland-Pfalz für eine        die ist unter http://mh-stiftung.de/wp-content/
Zensur ein, die positive Beschreibungen lesbi-       uploads/Kurzfassung.pdf abrufbar, die Langfas-
scher Beziehungen der Öffentlichkeit entzog.         sung unter https://mffjiv.rlp.de/fileadmin/MFF-
Einer Mutter wurde von einem Gericht in Mainz        JIV/Familie/8_Gesamtdokument_final_2.pdf.

Archiv der anderen Erinnerungen
Mit dem 2013 gestarteten Projekt „Archiv der         von Einzelnen, deren persönliche Sichtweise
anderen Erinnerungen“ trägt die BMH dazu bei,        auf vergangene Ereignisse und ihr Leben, die
durch lebensgeschichtliche Videointerviews mit       das Spektrum von LSBTTIQ-Geschichte erhellen
LSBTTIQ individuelle Erfahrungen zu sammeln,         und erweitern.
zu archivieren und mittelfristig für Wissenschaft         2017 konnten acht Videointerviews durch-
und Forschung zugänglich zu machen. Das Pro-         geführt werden: fünf mit Frauen sowie drei mit
jekt umfasst die Vorbereitung, Durchführung,         Männern. Insgesamt umfasst das „Archiv der
Sicherung, Nachbereitung und Erschließung            anderen Erinnerungen“ nunmehr 42 lebens-
der Interviews und möchte die Lebenswelten           geschichtliche Interviews (davon 20 Männer-,
von LSBTTIQ insbesondere von den 1950er bis          20 Frauen- und 2 Trans*-Interviews) mit einer
1980er Jahren bewahren und sichtbar machen.          Gesamtlänge von nahezu 150 Stunden.
Im Mittelpunkt steht die Frage, wie die persön-           Auf Basis der bisherigen Erfahrungen und
liche Lebensgeschichte – ob sie von Diskrimi-        unter Einbeziehung der Rückmeldungen der
nierungen und Ausgrenzungen geprägt ist oder         Interviewten wurde 2017 eine Handreichung
nicht – mit der Frage nach der sexuellen Orien-      erarbeitet. Mit dieser ca. 60-seitigen Verfah-
tierung und/oder geschlechtlichen Identität ver-     renserläuterung wird ein einheitliches organisa-
knüpft ist. Es geht weniger um eine historische      torisches und methodisches Vorgehen sicher-
Dokumentation der LSBTTIQ-Geschichte als sol-        gestellt. Sie ist verbindliche Grundlage aller
cher, als vielmehr um die konkreten Erfahrungen      Arbeiten im Rahmen des Videoarchivs.
und die vielen, durchaus heterogenen Stimmen

Tätigkeitsbericht 2017
12          R eferat K ultur ,     G eschichte und E rinnerung

Rehabilitierung und Entschädigung der Opfer
des Paragrafen 175 StGB
     Am 22. Juni 2017 beschloss der Bundestag         schließlich die Tatsache, dass der Gesetzestext
einstimmig, alle Personen die nach dem 8. Mai         kurz vor der abschließenden Abstimmung noch
1945 nach § 175 StGB bzw. § 151 StGB-DDR              einmal geändert wurde. Nunmehr sind Betrof-
verurteilt wurden, zu rehabilitieren. Die gegen sie   fene von der Rehabilitierung ausgeschlossen,
ergangenen Urteile sind kraft Gesetzes aufgeho-       wenn ihre Urteile auf sexuellen Handlungen
ben und die Betroffenen können auf Antrag eine        mit unter 16-Jährigen basieren. Die ursprüng-
Entschädigung erlangen.                               lich vorgesehene Altersgrenze von 14 Jahren
     Für die BMH wie auch für die Antidiskrimi-       (entsprechend des allgemeinen Schutzalters für
nierungsstelle des Bundes, die sich gemeinsam         sexuelle Handlungen) war auf Druck der CDU/
für eine Aufhebung der Urteile eingesetzt hat-        CSU-Fraktion angehoben worden.
ten, war dies ein Tag der Freude. Betroffen wa-            Die BMH hat nach Inkrafttreten des Auf-
ren davon auch einzelne Interviewte des „Archiv       hebungsgesetzes alle Betroffenen aus dem
der anderen Erinnerungen“.                            Interviewprojekt bei der Antragstellung für
     Fünf von ihnen hat die BMH zur ersten Le-        Entschädigung unterstützen können. Weiteren
sung des Gesetzentwurfes und zu einem Treffen         Personen, die die BMH wegen Hilfestellung kon-
mit dem damaligen Bundesjustizminister Heiko          taktiert hatten, konnte durch Vermittlung an die
Maas begleitet.                                       Bundesinteressenvertretung schwuler Senioren
     Enttäuschend für alle Beteiligten war            e.V. (BISS) weitergeholfen werden.

„NS-Terror gegen Homosexuelle – Forschungs­
kontroversen und erinnerungspolitische
Positionen“
     Die Verfolgung und Ermordung von Homo-           Konzentrationslager besucht. „Unsere Blumen
sexuellen zwischen 1933 und 1945 war über             mit Schleife, mit denen wir an die Rosa-Winkel-
Jahrzehnte aus dem kollektiven Gedenken an            Häftlinge erinnern wollten, waren noch am Tag
die Verbrechen des Nationalsozialismus ausge-         unserer Abfahrt bereits in einem Müllcontainer
klammert. Eine differenzierte Aufarbeitung hat        gelandet“, schildert Lutz van Dijk den ernüch-
erst sehr spät und auf Druck der homosexuellen        ternden Abschluss dieser Reise. Inzwischen aber
Emanzipationsbewegung begonnen.                       werde auch in Polen zum Schicksal Homosexu-
     Über deren Stand informierte am 25. April        eller in der NS-Zeit geforscht, wie van Dijk an
2017 eine gemeinsame Veranstaltung der Stif-          einigen erfreulichen Beispielen darlegte. „Um die
tung Denkmal für die ermordeten Juden Euro-           Nazi-Ideologie umfassend zu begreifen, müssen
pas, der Aktion Sühnezeichen Friedensdienste          wir die ganze Wahrheit zulassen“, begründete
e.V. und der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld         van Dijk die Wichtigkeit, gerade auch der Häft-
im Berliner Dokumentationszentrum Topogra-            linge in Auschwitz weiterhin zu gedenken.
phie des Terrors. Prof. Dr. Michael Schwartz vom            „So sehr alle Geschichtsschreibung sich
Institut für Zeitgeschichte München – Berlin          immer auch an aktuellen Interessen und politi-
skizzierte in seinem Vortrag die Entwicklung der      schen und anderen Widersprüchen reiben wird,
Erinnerungskultur in Deutschland und den aktu-        so sehr darf der Anspruch nach wahrhaftiger
ellen Forschungsstand.                                und vollständiger Erforschung nicht aufgegeben
     Der Historiker und Schriftsteller Dr. Lutz       werden – über alle möglicherweise trennen-
van Dijk beleuchtete das Erinnern an die Häft-        den politischen, weltanschaulichen und religi-
linge mit dem Rosa Winkel in der Gedenk-              ösen Grenzen und Meinungsverschiedenheiten
stätte Auschwitz. 1989 hatte er gemeinsam             hinweg.“
mit anderen schwulen Männern, darunter
auch einem Überlebenden, das ehemalige

                                                                                     Bundesstiftung Magnus Hirschfeld
13

Referat Gesellschaft,
Teilhabe und
Anti­diskriminierung

                                   Dr. Carolin Küppers ist seit 2015 wissenschaftliche Referentin
                                   Gesellschaft, Teilhabe und Antidiskriminierung. Sie forscht
                                   zu medialen Diskursen über queere Fluchtmigration und
                                   leitet Bildungsworkshops zu Gendersensibilisierung, Homo-
                                   und Transfeindlichkeit sowie zur Situation von LSBTTIQ in
                                   Deutschland.

12. Hirschfeld-Lecture
Substanzgebrauch stellt in queeren Commu-            Debatten darüber würden vielmehr polarisiert
nities sowohl eine gängige Praxis als auch ein       geführt. Auf der einen Seite werden die Folgen,
Gesundheitsrisiko dar. Erfahrungen gesellschaft-     die Substanzkonsum für die Betroffenen und
licher Stigmatisierung und Diskriminierung spie-     ihr Umfeld haben können, klein geredet oder gar
len dabei eine nicht zu unterschätzende Rolle.       nicht erst thematisiert; auf der anderen Seite
Diesem Thema widmete sich am 25. Oktober             werden die positiven Aspekte von und Motive
2017 in Berlin die 12. Hirschfeld-Lecture, zu der    für den Rausch, wie beispielsweise Neugier und
die BMH gemeinsam mit den Kooperationspart-          Lust, wenig wahrgenommen. Zwischen diesen
nern Deutsche AIDS-Hilfe und Schwulenbera-           Positionen ist es für Menschen, die beim Sub-
tung Berlin ins Wilde Oscar/Lebensort Vielfalt       stanzkonsum die Kontrolle verlieren, wie auch
eingeladen hatte.                                    für deren Umfeld schwierig, einen solidarischen
     Unter dem Titel „Queers und Substanzge-         Umgang zu finden. Dazu kommt, dass sie in der
brauch – Dauerthema und Tabu“ stellte Dipl.          Gesundheitsfürsorge zudem häufig auf trans*-
Psych. Dr. Gisela Wolf Daten aus der aktuellen       und homofeindliche Vorannahmen treffen. Wie
Forschung über Sucht und Substanzkonsum              also solidarisch über Substanzkonsum disku-
bei queeren Personen vor und zeichnete Com-          tieren? Wie die Folgen von Substanzgebrauch in
munity-Diskussionen zum Thema exemplarisch           der Community thematisieren, ohne das Verhal-
nach.                                                ten Einzelner zu problematisieren, aber doch den
     Aktuellen Studien zufolge konsumieren           gesellschaftlichen Kontext im Blick behalten, in
queere Menschen häufiger riskante psychotrope        dem dies stattfindet?
Substanzen. Eine offene, wertungsfreie und                Auf diese Fragen versuchte Gisela Wolf
diskriminierungssensible Diskussion darüber          mit ihrem Vortrag Anregungen und Antworten
finde leider nur selten statt, so Gisela Wolf. Die   zu geben. Im Anschluss vertiefte Moderator

Tätigkeitsbericht 2017
14          R eferat G esellschaft , T eilhabe und A nti­diskriminierung

Richard Lemke (Universität Mainz) die Thematik         Deutschland bzw. in Berlin im Besonderen.
im Gespräch mit den Gästen Dr. Pum Kom-                    Gisela Wolfs Vortrag „Queers und Subs-
mattam (Psychologischer Psychotherapeut/               tanzgebrauch – Dauerthema und Tabu“ wurde
Lesbenberatung LesMigraS), Tanya Dolis (Psy-           im Dezember 2017 als Band 12 der Hirschfeld-
chologische Psychotherapeutin), Arnd Bächler           Lecture-Reihe im Wallstein Verlag Göttingen
(Schwulenberatung), Dr. Dirk Sander (DAH), Timo        veröffentlicht.
Koch (Teilnehmer 12 Schritte Programm) und Dr.
Martin Viehweger (Veranstalter „Let’s talk about       Seit Mai 2017 liegt mit „Koalitionen des Über­
sex and drugs“). Die Diskussionsrunde erörterte        lebens. Queere Bündnispolitiken im 21. Jahr-
die Prävalenzzahlen von riskantem Substanzge-          hundert“ auch die 11. Hirschfeld Lecture in
brauch in der LSBTTIQ-Community und beleuch-           Buchform vor, die am 20. November 2016 von
tete die Versorgungssituation z.B. im Bereich          Prof. Dr. Sabine Hark im Rahmen der 3. Hirsch-
Prävention und psychologische Beratung in              feld-Tage in Leipzig gehalten wurde.

Fachtag „Familie von morgen.
Neue Werte für die Familie(npolitik)“
Welche Familie ist gemeint, wenn es in Artikel 6            Aufgeteilt war die Tagung in drei große
des Grundgesetzes heißt: „Ehe und Familie ste-         thematische Bereiche: Im ersten Block mit der
hen unter dem besonderen Schutze der staatli-          Überschrift „Die gelebte Vielfalt von Familie –
chen Ordnung“? Der Fachtag „Familie von mor-           gestern und heute“ wurde nachgezeichnet, wie
gen. Neue Werte für die Familie(npolitik)“ vom 5.      sich das Bild der Familie im Laufe der Zeit von
bis 7. April 2017 in Berlin sollte Orientierung bie-   der christlich-bürgerlichen Familie im Kaiserreich
ten, wie ein gutes Zusammenleben der verschie-         bis zu vielfältigen aktuellen Lebensgemeinschaf-
denen Familienformen weiterhin gestärkt wer-           ten ausdifferenziert hat.
den kann, und die Chancen einer Familienvielfalt            Die thematischen Einheiten am zweiten Tag
aufzeigen. Zu der Veranstaltung im Tagungswerk         beschäftigten sich vor allem mit den Bedingun-
Jerusalemkirche in Berlin-Kreuzberg eingeladen         gen unter denen Kinder in vielfältigen Familien
hatten die BMH und die Evangelische Akademie           mit erwerbstätigen Eltern aufwachsen und wel-
zu Berlin und der Evangelische Kirchenkreis Ber-       chen Einfluss Bildung auf vielfältige Formen von
lin Stadtmitte als Kooperationspartner.                Familien hat.
     Um das Potenzial und die Herausforderun-               In drei parallelen Sektionen standen außer-
gen der gelebten Vielfalt von Familie für Politik      dem die Themen Partnerschaft, intergenera-
und Ethik näher zu fassen, wurden deskriptive          tionale Beziehungen sowie Geschlechterrollen
Zugänge (historisch, soziologisch) mit normati-        und familiäre Beziehungen im Mittelpunkt. Hier
ven Zugängen (ethisch, rechtlich, politisch) mit       wurden sehr unterschiedliche Aspekte betrach-
ihren unterschiedlichen Wertvorstellungen und          tet: von verschiedenen Fürsorgebeziehungen
Leitbildern ins Gespräch gebracht. Darunter wa-        in Familien über Regenbogenfamilien bis hin zu
ren Menschen mit Verantwortung in der Famili-          polyamoren Familienkonstellationen.
enpolitik, Multiplikator_innen in der Sozialarbeit          Der dritte, auf ethisch-theologische Aspekte
und in der kirchlichen Gemeindearbeit, aus den         ausgerichtete Block des Fachtags, griff die Frage
Bereichen Gender Studies, Diversity und Regen-         auf, welche Kriterien es für das Zusammenleben
bogenfamilien. Darüber hinaus nahmen kirchli-          verschiedener Familienformen gibt. Die abschlie-
che Fachbeauftragte für die Arbeit mit Familien,       ßende Podiumsdiskussion schlug schließlich
Kindern und Jugendlichen, Wissenschaftler_in-          den Bogen von alten Bildern zu neuen Rollen
nen und Studierende aus den Bereichen Päda-            in Familie und Gesellschaft. Zentral war dabei
gogik, Soziologie, Geschichtswissenschaften,           unter anderem die Forderung, künftig in der
Kulturwissenschaften, Theologie und Religi-            institutionellen Familienpolitik verstärkt auch
onspädagogik und Medienvertreter_innen am              plurale Familienformen zu berücksichtigen und
Fachtag teil.                                          damit auch vielfältigen Geschlechtsidentitäten

                                                                                      Bundesstiftung Magnus Hirschfeld
R eferat G esellschaft , T eilhabe und A nti­diskriminierung                    15

und sexuellen Orientierungen einen – rechtlich      Aufgrund der sehr guten Zusammenarbeit und
abgesicherten –Rahmen zu geben.                     der vielen positiven Rückmeldungen zum Fach-
                                                    tag plant die BMH weitere Kooperationsprojekte
Die Vorträge des Fachtags „Familie von morgen.      mit der Evangelischen Akademie zu Berlin.
Neue Werte für die Familie(npolitik)“ werden            Für die finanzielle Förderung danken wir
voraus­sichtlich Ende 2018 in einem gleichnami-     dem Bundesministerium für Familie, Senioren,
gen Tagungsband publiziert.                         Frauen und Jugend (BMFSFJ) und der Diakonie
                                                    Deutschland (Bundesverband).

Refugees & Queers – Politische Bildungsarbeit
an der Schnittstelle LSBTTIQ und
Flucht / Migration / Asyl
Nach dem erfolgreichen Fachtag „Refugees and        sich auszutauschen und sich zu vernetzen. Die
Queers“ im November 2016 wird das durch die         BMH kooperierte für diese Veranstaltung mit
Bundeszentrale für politische Bildung geförderte    dem rubicon e.V. und der Fachstelle „Queere
Projekt „Refugees & Queers. Politische Bildung      Jugend NRW – Projekt Geflüchtete Queere
an der Schnittstelle von LSBTTIQ und Flucht /       Jugendliche“.
Migration / Asyl“ dank der erneuten Förderung            Das Projektseminar der Hochschule Esslin-
seit April 2017 in der BMH weitergeführt. Das       gen stellte einen Erklärfilm zur Situation queerer
Projekt hat zum Ziel, Akteur_innen, die in diesem   Geflüchteter vor. Katja Schröder (rubicon e.V.)
Themenbereich arbeiten, bundesweit zu ver-          und Patrick Dörr (LSVD e.V.) tauschten sich mit
netzen, fachlichen Austausch zu fördern und zu      den Teilnehmenden über ihre Erfahrungen zu
Synergien beizutragen.                              Schulungen und Sensibilisierungen zum Thema
                                                    LSBTTIQ-Geflüchteter in Unterkünften, Ämtern,
                                                    Sprachmittlung und Willkommensinitiativen
Vernetzungstreffen in Berlin und Köln               aus. Ibrahim Mokdad (rubicon e.V./sofra colo-
                                                    gne), Ichraf Ouhtit (Rosa Strippe e.V.), Alia Khan-
Das erste “Refugees & Queers“-Vernetzungs-          num (LSVD e.V.) und Ajay Sathyan diskutierten
treffen, zu dem die BMH am 9. Juni 2017 ins         ihre Situation und Erfahrungen als Queer Refu-
„Aquarium“ in Berlin-Kreuzberg Akteur_innen         gee Aktivist_innen. Zum Abschluss gaben Pouya
und Aktivist_innen eingeladen hatte, stieß auf      Arastoo (rubicon e.V./baraka), Fadi Saleh (Uni-
breites Interesse: Über 40 Teilnehmende, darun-     versität Göttingen) und Raphael Bak (SCHLAU
ter Vertreter_innen von migrantischen Selbst-       NRW) Einblicke in ihre Arbeit und diskutierten
organisationen, von LSBTTIQ-Bildungs- und           Konzepte zu geschlechtlicher Identität und se-
Beratungseinrichtungen wie aus dem Gesund-          xueller Orientierung jenseits westlicher Deu-
heitsbereich, hatten die Möglichkeit genutzt, um    tungsmacht. Nach dem Vernetzungstreffen gab
neben der Vernetzung auch vertiefend Sachfra-       es einen gemeinsamen Ausklang mit Essen und
gen zu diskutieren. Erörtert wurden beispiels-      Musik in den Räumen des rubicon e.V. mit ba-
weise bildungs- und sozialpolitische Forderun-      raka, der Kölner Selbstorganisationsgruppe für
gen, die Notwendigkeit der Anerkennung von          LSBTTIQ mit Migrations- und Fluchthintergrund.
Bildungs- und beruflichen Abschlüssen von
Geflüchteten sowie die Unterstützung der Selb-
storganisierung queerer Geflüchteter und die        Fortbildungen
Stärkung bestehender Netzwerke.
                                                    Mit zwei Weiterbildungsseminaren wurden 2017
Das 2. Vernetzungstreffen des Jahres fand am        gezielt Angebote zur spezifischen Qualifizierung
24. November 2017 in Köln statt. Hier waren         von ehren- und hauptamtlichen Akteur_innen,
rund 50 Personen der Einladung in den Solution      die an der Schnittstelle LSBTTIQ und Flucht ar-
Space gefolgt, um gemeinsam zu diskutieren,         beiten, angeboten.

Tätigkeitsbericht 2017
16         R eferat G esellschaft , T eilhabe und A nti­diskriminierung

                                                  finden oder nur sehr einseitig dargestellt werden
Fortbildung 1: „Wie konzipiere ich
                                                  und ihnen aber die Fähigkeiten fehlen, hierzu
eine Behördenfortbildung?“
                                                  eine gute und zielgerichtete Pressearbeit zu
                                                  machen. Den Teilnehmenden wurden daher bei
Das erste Fortbildungsseminar richtete sich an
                                                  dieser Fortbildung praktisches Handwerkszeug
Trainer_innen und Multiplikator_innen, die mit
                                                  und Strategien nahegebracht, welche es ihnen
Behördenmitarbeiter_innen arbeiten oder dies
                                                  ermöglichen sollen, sich in der deutschen Me-
anstreben. Das Seminar fand vom 13. bis 15.
                                                  dien- und Presselandschaft mit ihren Themen
Oktober 2017 in Hütten (Thüringen) in Koope-
                                                  besser zu platzieren. Dadurch sollen langfristig
ration mit Kadir Özdemir, Landeskoordinator
                                                  neue und diversere Sichtbarkeiten von queerer
der Niedersächsischen Vernetzungsstelle für die
                                                  Fluchtmigration hergestellt und die Möglichkeit
Belange von LSBTI-Flüchtlingen (NVBF), statt.
                                                  zur Selbstrepräsentation gestärkt werden.
     Ziel des Seminars war, Multiplikator_innen
dazu zu befähigen, Behörden-Mitarbeiter_innen
für die Belange von (queeren) Geflüchteten zu
                                                  Kooperation mit der Hochschule
sensibilisieren und eigenständig dazu Fortbil-
                                                  Esslingen
dung durchzuführen. Längerfristig soll dadurch
erreicht werden, dass sexuelle Orientierung
                                                  Um insbesondere Fachkräfte, Ehrenamtliche
und geschlechtliche Identität als Fluchtgründe
                                                  und Mitarbeiter_innen der Security in Geflüch-
stärker bekannt gemacht und in behördlichen
                                                  tetenunterkünften für die Situation von queeren
Abläufen besser verankert werden.
                                                  Geflüchteten zu sensibilisieren, kooperiert „Re-
                                                  fugees & Queers“ mit Prof. Dr. Gabriele Fischer
                                                  und einem Projektseminar der Hochschule Ess-
Fortbildung 2: “Leaving the
                                                  lingen. Im Rahmen dieser Kooperation wurde ein
queer bubble” – PR und Medien­
                                                  Erklärfilm produziert sowie eine Bildungsmappe
training
                                                  entwickelt, die in der Bildungsarbeit in Geflüch-
                                                  tetenunterkünften eingesetzt werden können.
     Die 2. Fortbildung fand vom 27.-29. Okto-
ber in Bad Sachsa (Niedersachsen) statt. Damit
                                                  Der Erklärfilm wie auch die Bildungsmappe
wurde das Anliegen vieler Akteur_innen auf-
                                                  stehen kostenfrei zum Download zur Verfügung:
gegriffen, die bemängelten, dass die Themen
                                                  https://queerrefugees.wordpress.com/
LSBTTIQ und Flucht/Migration/Asyl in der brei-
ten Öffentlichkeit bislang zu wenig Beachtung

Hirschfeld-Akademie
Die in Reinhausen bei Göttingen ansässige Stif-   Räume“ zu schaffen. Räume, die der Konstitu-
tung Akademie Waldschlösschen und die Bun-        ierung und internen Selbstdefinition der Gruppe
desstiftung Magnus Hirschfeld (BMH) kooperie-     wie auch als Symbol ihrer Außendarstellung
ren bei der Entwicklung und Durchführung von      dienen. In den verschiedenen Phasen der Bewe-
Bildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen sowie      gungen haben diese Räume eine entscheidende
der LSBTTIQ-Bildungsvernetzung.                   Rolle gespielt: sei es das Institut für Sexualwis-
                                                  senschaft von Magnus Hirschfeld, die Bar- und
Im Rahmen dieser Zusammenarbeit fand vom          Clubkultur als Ort der Selbsterprobung und
1. bis 3. Dezember 2017 die Tagung „Orte der      -behauptung für Trans*-Personen oder örtliche
Begegnung – Orte des Widerstands“ zur Ge-         Zentren der Selbstorganisation, des politischen
schichte homosexueller, trans*geschlechtlicher    Widerstands und der Selbsthilfe.
und queerer Räume statt.                              Unter anderem referierte Prof_in. Dr_in.
     Emanzipationsbestrebungen von Lesben,        Yvonne P. Doderer zur historischen und aktuel-
Schwulen und Trans*menschen können auch           len Bedeutung der Raumfrage für homosexuelle,
als Prozesse beschrieben werden, sich „eigene     transgeschlechtliche und queere Bewegungen.

                                                                                 Bundesstiftung Magnus Hirschfeld
R eferat G esellschaft , T eilhabe und A nti­diskriminierung   17

Karl-Heinz Steinle stellte einige Treffpunkte und
andere Freiräume für LSBTTIQ in der frühen
Bundesrepublik vor. Dr. Michael Bochow disku-
tierte die Frage, ob Klappen eher kommerzfreie
Szenenparadiese oder Zuflucht des verklemm-
ten gewöhnlichen Homosexuellen darstellen
und Marion Thuswald präsentierte verschiedene
Konzeptionen queerer feministischer Schutz-
räume und fragte danach, ob solche Räume eher
als safere oder als brave spaces zu verstehen
sind.

Die Vorträge der Dezembertagung 2016 mit
dem Titel „Communities, Camp und Camouf-
lage. Bewegung in Kunst und Kultur“ sind im
Oktober 2017 als Band 6 der Reihe „Geschichte
der Homosexuellen in Deutschland nach 1945“
im Verlag Männerschwarm erschienen. Heraus-
gegeben wurde der Tagungsband von Carolin
Küppers (BMH) und Rainer Marbach (Akademie
Waldschlösschen).

Tätigkeitsbericht 2017
18

Fußball für Vielfalt –
Fußball gegen Homophobie
und gegen Sexismus

D
         as 2013 gestartete Projekt „Fußball für   Amateur- und Profi-Vereinen sowie in den Ver-
         Vielfalt - Fußball gegen Homophobie und   bänden an. Die Bildungsmaßnahmen sollen die
         gegen Sexismus“ ist eines der „Leucht-    Akteur_innen für die Thematik sensibilisieren,
turm-Projekte“ der Bundesstiftung Magnus           ein kritisches Problembewusstsein stärken
Hirschfeld (BMH). Zentrale Ziele sind, zum Abbau   und zielführende Handlungsstrategien für den
von Homo- und Transfeindlichkeit und Sexismus      Umgang mit Diskriminierungen vermitteln.
im Sport beizutragen und zugleich die Akzeptanz         Dies kann angesichts der hohen Vor-
gegenüber sexueller und geschlechtlicher Viel-     bildfunktion des Fußballsports zugleich der
falt zu fördern.                                   Ausgangspunkt für einen gesellschaftlichen
     In Kooperation mit der sportpsychologi-       Wandel sein: Wer akzeptiert, dass sportliche
schen Beratungsstelle „Challenges“ unter der       Höchstleistungen nichts mit sexueller oder
wissenschaftlichen Leitung von Prof. Dr. Mar-      geschlechtlicher Identität zu tun haben, der
tin Schweer an der Universität Vechta setzt die    wird auch außerhalb des Stadions Respekt und
BMH in diesem Themenfeld darauf, über die          Toleranz zeigen. Botschafter der Bildungs- und
Forcierung von Bildung und empirischer For-        Forschungsinitiative ist der ehemalige Fußball­-
schung einen fundierten Einblick vor allem in      Nationalspieler Thomas Hitzlsperger.
den organisierten Sport zu gewinnen und diese           Das Projekt „Fußball für Vielfalt“ kooperiert
Erkenntnisse für anwendungsbezogene Maß-           mit dem Deutschen Fußball-Bund und der
nahmen unmittelbar nutzen zu können.               DFL-Stiftung/Bundesliga sowie den Organisati-
     Bildungsmodule (Workshops) und Beratung       onen „Queer Football Fanclubs“ (QFF), „Fußball-
sprechen als Zielgruppen etwa Sportler_innen,      fans gegen Homophobie“ (FfgH) und „Fußball-
Trainer_innen, Schiedsrichter_innen, Fanbe-        Fans gegen rechts“ (FFGR).
auftragte und andere Funktionär_innen in den

                                 Prof. Dr. Martin Schweer ist Leiter des Arbeitsbereichs
                                 Pädagogische Psychologie an der Universität Vechta. Er führt
                                 dort die sportpsychologische Arbeitsstelle „Challenges“
                                 und ist wissenschaftlicher Leiter unserer gemeinsamen Bildungs-
                                 und Forschungsinitiative „Fußball für Vielfalt“.

                                                                                   Bundesstiftung Magnus Hirschfeld
��������������������� � ��������������������������������������� � �����                         19

                                                    und Vereinen differiert. So scheint Homophobie
Aktivitäten im Bereich                              im Männerfußball stärker wahrgenommen zu

der Bildung                                         werden, während gleichzeitig der Frauenfußball
                                                    (immer noch) in hohem Maße als „Lesbensport“
                                                    betrachtet wird.
Im Bereich der Bildung wurde die Reihe der
Workshops, die in Kooperation mit der Bundes-
                                                         Hinsichtlich der Workshop-Evaluation zeich-
liga-Stiftung veranstaltet werden, in vier Verei-
                                                    net sich ein recht klares Bild. Die Beteiligten
nen fortgesetzt:
                                                    sind fast einhellig der Ansicht, dass das Thema
                                                    in den Verbänden und Vereinen in der Zukunft
•   FC Nürnberg (27. Januar 2017)
                                                    intensiver angesprochen werden muss. Zugleich
•   VfL Wolfsburg (22. Februar 2017)
                                                    wird offensichtlich, dass die Vereine im Einzel-
•   DFL Frankfurt (20. Juni 2017)
                                                    nen aktuell noch sehr unterschiedlich für Fragen
•   DFL Köln (6. Juli 2017)
                                                    des Sexismus und der Homophobie sensibilisiert
                                                    sind. Die mittlerweile stabilen Kooperationen,
     In den Workshops waren relevante Bereiche
                                                    die seit Projektbeginn mit dem organisierten
der Vereine vertreten, dazu gehören insbeson-
                                                    Fußball aufgebaut wurden, stellen vor diesen
dere der Bereich Corporate Social Responsibility,
                                                    Hintergrund jedoch ein solides Fundament für
die Nachwuchsförderung und die Fanbetreu-
                                                    weitere kontinuierlich nachhaltige, zielgruppen-
ung, aber auch der Verwaltungsbereich mit dem
                                                    spezifische Maßnahmen sowohl im Amateur-
Personalwesen.
                                                    wie Profibereich dar.
     Die Erfahrungen aus den Workshops lassen
insgesamt erkennen, dass die sexuelle Orientie-
                                                    „Das Projekt kann aber nur gelingen, wenn die
rung als Facette der Diskriminierung (wie auch
                                                    Akteur_innen des Fußballsports tatsächlich
Gender) gegenüber der kulturellen Herkunft
                                                    erreicht werden. Dafür ist die Stiftung auf die
vergleichsweise deutlich geringer thematisiert
                                                    Zusammenarbeit mit den großen Fußballver-
wird, teils auch für den eigenen Verein als nicht
                                                    bänden angewiesen“, betonte Bundesminister
existent betrachtet wird. So werden in der Regel
                                                    und BMH-Kuratoriumsvorsitzender Heiko Maas
keine konkreten Erfahrungen mit homosexuellen
                                                    bei einem Gespräch mit DFB-Präsident Reinhard
Spieler_innen oder etwa Ausgrenzungserlebnisse
                                                    Grindel am 30. August 2017. Die Akzeptanz se-
angesprochen. Ein wesentlicher Aspekt der ge-
                                                    xueller Vielfalt müsse daher in der Vereins- und
meinsamen Reflexion ist insofern die Frage nach
                                                    Verbandsarbeit des Fußballs fest verankert wer-
einer offenen Vereinskultur, die es grundsätzlich
                                                    den, so Heiko Maas bei diesem Informationsaus-
ermöglicht, diesbezügliche Anliegen einbringen
                                                    tausch über das Projekt „Fußball für Vielfalt“:
zu können. In diesem Zusammenhang ist jedoch
                                                    „Klar ist: Es geht uns alle an, dafür zu sorgen,
augenfällig, dass vielmals keine explizit ausge-
                                                    dass Homophobie abgebaut wird, im Sport wie
wiesenen Anlaufstellen zur Verfügung stehen.
                                                    im sonstigen Alltag.“ Neben BMH-Vorstand
Als eine zentrale Herausforderung wird ferner
                                                    Jörg Litwinschuh nahm auch Bundesministe-
angesprochen, wie man in unterschiedlichen
                                                    rin a.D. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Situationen des (Arbeits-)Alltags angemessen(er)
                                                    als Förderkreisvorsitzende der Stiftung an dem
mit sexistischen bzw. homophoben Äußerun-
                                                    Gespräch in den Räumen der Bundesstiftung
gen umgehen kann und sollte. Als besonders
                                                    Magnus Hirschfeld teil. In seiner Kurzpräsen-
sensible Handlungsfelder stellen sich dabei der
                                                    tation und einem Zwischenfazit des Projektes
Nachwuchsbereich mitsamt der Elternarbeit
                                                    skizzierte Prof. Dr. Martin Schweer die aktuellen
sowie der Fanbereich (insbesondere auf den Tri-
                                                    Herausforderungen und daraus resultierenden
bünen) heraus. Für beide Bereiche werden mehr-
                                                    künftigen Arbeitsschwerpunkte. So sollen Nach-
fach die fehlenden Vorbilder genannt, hilfreich
                                                    wuchssportler_innen als besonders relevante
wären also etwa aktive Spieler_innen, die sich
                                                    Zielgruppe in den Fokus rücken und verstärkt für
(vereins-)öffentlich gegen Sexismus und Homo-
                                                    den Zusammenhang von Sexismus und Homo-
phobie engagieren. Deutlich wurde allerdings
                                                    phobie im Männer- und Frauenfußball sensibili-
auch, dass die Notwendigkeit der Veränderung
                                                    siert werden.
je nach Problembewusstsein bei Verbänden

Tätigkeitsbericht 2017
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