DIE BRÜCKE - Wir sind da! - DIE BRÜCKE Lübeck

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DIE BRÜCKE - Wir sind da! - DIE BRÜCKE Lübeck
DIE BRÜCKE
Gemeinnützige therapeutische Einrichtungen
                                             MAGAZIN
                                              2020

           Auch in der Coronazeit:
                             Wir sind da!
                                         Schutzgebühr € 2,00
                                         Foto: Nadine Dietrich
DIE BRÜCKE - Wir sind da! - DIE BRÜCKE Lübeck
EDITORIAL

Inhalt                                                                                                                                Liebe Leserinnen und Leser,
Editorial                                                   3       Die Kraft schöner Erinnerungen                               29   auch in dieser so besonderen Zeit
                                                                    FrauenWeGe: 20 Jahre – 10 Statements                         30   wollen wir unser Jahresmagazin für
                                                                    PS: Forderungen bitte mitnehmen!                             32   alle Interessierten herausgeben.
UNSERE GESELLSCHAFTER                                               Glückwünsche zum Jubiläum                                    33
Gemeinsam durch die Krise                                   4       Querweg-Anschluss für junge Leute                            34   Die sozialpsychiatrischen Angebote
Kleine Wünsche – unkomplizierte Hilfe                       5       Mein Umzug in die Vergangenheit!                             34   der BRÜCKE zeichnen sich seit
                                                                    Er ist da: Unser Behinderten-Beirat in Lübeck                34   jeher durch Nähe zu den Betreuten
                                                                    Zwei Erkrankungen – Eine Einrichtung                         35   und ihren Lebenswelten aus. Die
TITEL: WIR IN DER CORONAZEIT                                                                                                          Aufforderung, Abstand zu halten,
Corona-Juni 2020: Ein Tag im Tageszentrum                   6                                                                         führt notgedrungen auch zur sozia-
Verschiedenste Einrichtungen und ein Virus                 10       PRÄVENTION UND FORTBILDUNG                                        len Distanzierung und wird nun
                                                                    Gesundheit fördern und Kosten senken                         36   vielfach zur Herausforderung im
                                                                    Bildung im FoCuS                                             36   Behandlungs- oder Betreuungs-
TEILHABE                                                            Schulprojekt „Verrückt? Na und!“                             37   kontakt.
Wir setzen die dritte Stufe des BTHG um                    12       Gastbeitrag: Warum Rechtspopulist*innen die
Zukunftswerkstatt für besonderes Wohnen                    13       falschen Antworten auf soziale Fragen geben                  38   Die von uns begleiteten Menschen
Vorhang auf: Kultur für alle trotz Corona!                 14                                                                         reagieren auf die corona-bedingten
Auf Gleichstellung hinweisen                               16                                                                         Veränderungen im Miteinander sehr
Veränderungen als Herausforderung                          17       ENGAGEMENT                                                        unterschiedlich. Der Wunsch nach                                                               Foto: Marc-Oliver Kern
                                                                    Engagiert für sich selbst                                    39   Rückkehr zu gewohnten Abläufen
                                                                    Wo BRÜCKE draufsteht, ist auch „Bruhn“ drin                  40   und der damit verbundenen Ver-          funktionieren. Das duale System        Als unerlässlich haben sich auch
GEMEINDEPSYCHIATRIE                                                 Erinnerungen an ein intensives Miteinander                   41   trautheit ist groß. Aber auch neue      der freien Wohlfahrtspflege ist auch   viele unserer BRÜCKE-Angebote in
Ein neues Zuhause für ältere Menschen                      18                                                                         Bedarfe und Anforderungen werden        von einem Anteil ehrenamtlicher        den zurückliegenden Jahren erwie-
Psychisch erkrankt: Wie geht es jetzt weiter?              20                                                                         sichtbar und evident.                   Helfer*innen geprägt. Neben offenen    sen: Wir begehen 2020 eine ganze
Mein Praktikum zur EX-IN Ausbildung                        21       ARBEITEN BEI DER BRÜCKE                                                                                   Angeboten organisieren diese auch      Reihe von Jubiläen. Einige unserer
Es ist normal, verschieden zu sein                         22       Herzlichen Glückwunsch!                                      42   Einmal mehr zeigt sich, wie wichtig     spontane Begegnungen, welche           Einrichtungen werden 30 bzw. 40
1.815 Alltagsmasken gespendet                              23       3 Fragen an Frank Nüsse zur Zertifizierung                   42   eine leistungsfähige und flexible       im Moment nur selten stattfinden       Jahre! Die Nachhaltigkeit unserer
Zehn Umzüge und dazu die Coronakrise                       24       DIE BRÜCKE Lübeck ist “Great Place to Work”                  43   Versorgung von Menschen mit             können. Einige Besucher*innen          Angebote verdeutlicht, dass unsere
„Wo ist mein Team?“                                        25       Mein FSJ                                                     44   psychischen Erkrankungen ist. Mit       dieser Angebote verlieren dadurch      Fachkräfte empathisch und pro-
Das erste Wohnheim wird 30 Jahre alt                       26       Dankeschön                                                   45   ihren Erfahrungen und Möglichkei-       den Kontakt zu Mitmenschen. Hier       fessionell auf Bedarfe eingehen und
Neue Perspektiven für die Fahrradstation                   27       Gemeinsam, aber corona-sicher kochen                         46   ten ist DIE BRÜCKE in der Lage,         müssen wir sehr viel Unterstützung     tragfähige professionelle Beziehun-
Unterstützung beim positiven Denken                        28       Unser Leitbild                                               47   schnell und bedarfsgerecht zu rea-      bei dem Weg zurück in eine neue        gen aufbauen, die dann auch durch
                                                                                                                                      gieren. Das hat sie in der bisherigen   Normalität bieten.                     die Corona-Pandemie tragen.
                                                                                                                                      Zeit der Pandemiekrise bewiesen.
                                                                                                                                                                              Zusätzlich führen die mit der Pan-     Seit bald 50 Jahren begleiten die
                                                                                                                                      Das verdanken wir besonders der         demie einhergehenden Beschrän-         Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
                                                                                                                                      Kreativität, Einsatzbereitschaft und    kungen im täglichen Leben zu           der BRÜCKE Lübeck Menschen in
                                                                                                                                      Kompetenz unserer Mitarbeiter*in-       immer mehr psychischen Belastun-       psychischen Krisen und heraus-
 Impressum                                                                                                                            nen, die trotz der zahlreichen Ein-     gen bei immer mehr Menschen, so        fordernden Lebenssituationen. Wir
 HERAUSGEBER:                                REDAKTION:                                    KONTAKT zur Redaktion:                     schränkungen Wege gefunden ha-          dass ein eher wachsender Bedarf        unterstützen dabei, dass Menschen
 DIE BRÜCKE                                  Frank Nüsse (Leitung, V.i.S.d.P.),            BRÜCKE-Magazin                             ben, für die von ihnen begleiteten      an psychosozialer Beratung und         ihre Stärken (wieder) entdecken
 Gemeinnützige therapeutische                Nadine Dietrich (Organisation,                Schwartauer Allee 10, 23554 Lübeck         Menschen da zu sein.                    Betreuung zu erwarten ist.             und auch immer wieder das Gefühl
 Einrichtungen gGmbH                         Schlussredaktion und Layout)                  n.dietrich@diebruecke-luebeck                                                                                             haben „gerne zu leben“.
 Geschäftsführer: Frank Nüsse (Dipl.-Kfm.)   Karsten Mohr, Medienreferat                                                              Patienten*innen, Klienten, Betreute     Es zeigt sich: Soziale Arbeit und
                                             Matthias Göpfert, Hiltrud Kulwicki, Kathrin   Wir freuen uns über eingesandte            und Ratsuchende sind gemeinsam          soziales Engagement sind system-       In diesem Sinne: Lassen Sie uns
 GESCHÄFTSSTELLE:                            Roßberg, Claudia Kuhlen                       Manuskripte, Fotos und Bilder.             mit uns neue Wege gegangen.             relevant. Für uns von der BRÜCKE       gemeinsam gut durch die Pande-
 Schwartauer Allee 10, 23554 Lübeck                                                        Der Umfang der Zeitschrift ist jedoch      Entweder im wahrsten Sinne des          Lübeck mit unseren täglichen Er-       mie-Zeit kommen!
 Telefon 0451/ 14008-48                      AUTOR*INNEN dieser Ausgabe:                   begrenzt, daher müssen wir manchmal        Wortes, indem wir beim Aufenthalt       fahrungen mit psychisch erkrank-
 Telefax 0451/ 14008-40                      M. Borch-Madsen, P. Bruhn, N. Dietrich,       kürzen, umschreiben oder Manches           im Freien den notwendigen Aus-          ten Menschen ist das keine neue        Herzliche Grüße und allerbeste
 www.diebruecke-luebeck.de                   J. Eichhorn, K. Goddemeyer, M. Göpfert,       unberücksichtigt lassen. Wir bitten um     tausch und die wichtigen Gespräche      Erkenntnis – aber die breite Aner-     Wünsche für Ihre Gesundheit!
                                             M. L. Jespersen, J. Kozian, C. Kuhlen,        Verständnis. Danke!                        führten. Und auch neue technische       kennung tut gut und ist wichtig.
 GESTALTUNG UND SATZ:                        H. Kulwicki, W. Lassen, W. Maaßen,                                                       Kommunikationswege haben wir
 ADiNet DIGITALDRUCK                         T. Mann, P. Mezulat, K. Mohr, F. Nüsse,       © 2020 DIE BRÜCKE gGmbH                    gemeinsam ausprobiert, indem wir        Diese Erkenntnis gilt es, im öffent-
 Frank Przykopanski                          D. Roggenbrodt, K. Roßberg, B. Rudloff,       Das Magazin erscheint jährlich.            neben Telefonieren und Textnach-        lichen Bewusstsein zu behalten, so
 Stefanie Gollon                             B. Sauer, T. Schomerus, G. Stibbe,            Nachdruck ist mit Genehmigung              richten auch Videobegegnungen           dass es eine Selbstverständlichkeit
 Marlistr. 114, 23552 Lübeck                 A. Trentmann, J. Truskawa, D. Wäcken,         erlaubt. Alle Angaben erfolgen nach        realisierten.                           wird, Investitionen für Gesundheit
 Telefon 0451/ 397789-14                     M. Walter, S. Wiedemann                       bestem Wissen, aber ohne Gewähr.           Es gibt aber auch wichtige Aktivi-      und soziales Miteinander als uner-
                                                                                                                                      täten, die derzeit noch nicht wieder    lässlich zu betrachten.                Frank Nüsse

2                                                                                                                                                                                                                                                       3
DIE BRÜCKE - Wir sind da! - DIE BRÜCKE Lübeck
UNSERE GESELLSCHAFTER                                                                                                                                                                                                UNSERE GESELLSCHAFTER

Gemeinsam durch die Krise                                                                                                         Kleine Wünsche – unkomplizierte Hilfe
Was der Paritätische Schleswig-Holstein in der Coronakrise von der Politik fordert                                                DIE BRÜCKE e.V. unterstützt bedürftige Menschen
                                                                                     ger als je zuvor. Sowohl Einrichtun-         Seit 2010 befindet sich im Haus-                                               Brillen und Matratzen mit oder
                                                                                     gen und Mitarbeiter*innen als auch           haltsplan des Vereins der Titel                                                ohne Lattenrost die Renner, aber
                                                                                     ihre Klient*innen wurden von der             „Besucherförderung“. Mit ihm un-                                               auch ein Fahrrad, Sportbekleidung
                                                                                     Politik allzu lange stiefmütterlich          terstützt der BRÜCKE-Vorstand                                                  und andere Bekleidung wurden
                                                                                     behandelt. Nun gilt es, neue Kon-            Personen in unterschiedlichsten                                                erbeten. Zuschüsse zu Umzugskos-
                                                                                     zepte für die Zukunft zu entwi-              finanziellen Notlagen, bzw. erfüllt                                            ten oder zu einer neuen Wohnungs-
                                                                                     ckeln, die endlich berücksichtigen,          Wünsche, die andernfalls nicht rea-                                            einrichtung wurden nachgefragt,
                                                                                     dass nicht nur Banken und Auto-              lisiert werden könnten.                                                        desgleichen ein Zuschuss für eine
                                                                                     hersteller systemrelevant sind, son-                                                                                        Tierarztrechnung sowie die Über-
                                                                                     dern vor allem auch Pflegekräfte,            Antragsberechtigt sind alle, die von                                           nahme der Gebühren für einen
                                                                                     Erzieher*innen, Reinigungskräfte             einer der zahlreichen BRÜCKE-Ein-                                              Schwimmkursus, einen Deutsch-
                                                                                     und viele andere mehr – ebenso wie           richtungen betreut, begleitet oder                                             kursus ebenso die Erstattung der
                                                                                     die Einrichtungen der Sozialen Ar-           behandelt werden. Voraussetzung                                                Kosten für Musikunterricht. Ent-
                                                                                     beit, deren Mitarbeiter*innen wäh-           ist weiter, dass die Betroffenen be-                           Foto: Pixabay   schieden wird über die Anträge in
                                                                                     rend dieser Krise Großes leisten,            dürftig sind. In der Regel formulie-                                           den monatlichen Vorstands-
                                                                                     indem sie sich neben ihrer eigent-           ren die begleitenden Sozialpädago-                                             sitzungen.
                                                                                     lichen Arbeit immer aufs Neue mit            g*innen der Einrichtung die Wün-       tet hat. Dieser Betrag wird meist
                                                                                     Erlassen und Verordnungen ausei-             sche. Diesen Schreiben liegt aber      nicht ausgeschöpft.                                                 Peter Bruhn
                                                                                                                                                                                                                              Schatzmeister BRÜCKE e.V.
                                                                                     nandersetzen und ihre Klient*innen           häufig auch ein Brief der Antrag-
                                                                                     bestmöglich durch diese schwierige           steller*innen bei.                     So wurden z.B. im Jahre 2019 nur
                                                                                     Zeit begleiten.                                                                     rund 5.000 € abgerufen. Bei ent-
Michael Saitner, geschäftsführender Vorstand des PARITÄTISCHEN Schleswig-Holstein*                                                Mehr Anträge sind möglich              sprechender Voraussetzung kann
                                                                                     Unser Ziel: gleiche Chancen                                                         also in noch mehr Fällen Unterstüt-      Kontakt
Die Corona-Krise ist eine Krise,           Kommunen und soziale Träger:              auf ein gutes Leben                          Die Haushaltsposition „Besucher-       zung gegeben werden.                     DIE BRÜCKE – Vereinigung der Freunde
die vor keiner sozialen Klasse Halt        Zusammenarbeit als Partner*in-                                                         förderung“ weist pro Jahr 9.500 €                                               und Förderer psychisch Behinderter in
macht. Doch obwohl sie alle gesell-        nen ist wichtig                           Die Corona-Krise wird noch lange             aus. Sie wird gespeist aus Spenden,    Brillen, Tierarztrechnung,               Lübeck und Umgebung e.V.
schaftlichen Schichten betrifft,                                                     nachhallen, viele ihrer Auswirkun-           den Vereinsmitgliedsbeiträgen und      Schwimmkurse                             Engelsgrube 47, 23552 Lübeck
konnte man bereits früh erkennen,          Die Spätfolgen der Ökonomisierung         gen werden wir erst in den nächs-            den Mieteinnahmen aus zwei be-                                                  Tel.: 0451/ 140 08-0
dass es bei ihrer Bewältigung enor-        der sozialen Infrastruktur müssen         ten Jahren spüren. Als PARITÄTI-             scheidenen Häusern, die der Verein     Wofür wurde bisher Unterstützung         verein@diebruecke-luebeck.de
me Klassenunterschiede gibt. Coro-         vor dem Hintergrund des sich ver-         SCHER Schleswig-Holstein werden              an die gemeinnützige GmbH vermie-      erbeten? Wie in jedem Jahr waren
na wirkt wie ein Beschleuniger auf         änderten Zusammenspiels zwischen          wir unseren Einsatz für und mit
soziale Ungleichheit.                      Staat, Markt und Wohlfahrt nun            unseren Mitgliedsorganisationen
                                           besonders in den Blick genommen           auf kommunaler und landesweiter
Auf der einen Seite gibt es Unter-         werden. Die Bereiche Pflege, Bil-         Ebene fortführen und uns für die
nehmen, die durch die Krise enorm          dung und Gesundheit wurden dem            Gesellschaft stark machen, in der
profitieren, und Arbeitnehmer*in-          freien Spiel des Marktes überlassen,      wir leben möchten: Eine gerechte
nen, für die Homeoffice und even-          wie unter einem Brennglas zeigen          Gesellschaft, die niemanden aus-
tuelles Homeschooling – wenn auch          sich durch die Corona-Krise nun           schließt und in der alle die gleichen
mit großem organisatorischem Auf-          die Probleme in den einzelnen             Chancen auf ein gutes Leben
wand – möglich sind. Auf der ande-         Bereichen. Eine partnerschaftliche        haben. Denn nur in einer solchen
ren Seite jedoch gibt es sehr viele        Zusammenarbeit zwischen Trägern           Gemeinschaft werden Krisen über-
Menschen in ohnehin prekären               und Kommunen ist für eine gelin-          standen.
Lebensverhältnissen, für die der           gende Daseinsvorsorge im sozialen                    www.paritaetische-sh.de
Gang zur Tafel, das tägliche kos-          Bereich ebenso elementar wie deren
tenlose Mittagsessen für die Kinder        auskömmliche Finanzausstattung.           *Der Paritätische Schleswig-Holstein ist
                                                                                     ein Wohlfahrtsverband. Er hat mehr als
oder die Hausaufgabenbetreuung in                                                    500 Mitgliedsorganisationen aus der sozi-
der Schule von einem Tag auf den           Soziale Arbeit ist systemrelevant         alen Arbeit, deren Anliegen er gegenüber
anderen weggebrochen sind. Die                                                       der Politik vertritt. Diese Mitgliedsorga-
wochenlange Isolation in Pflegehei-        Denn die unterschiedlichen Berei-         nisationen arbeiten unter anderem für
                                                                                     Menschen mit Behinderung, Kinder und
men und Einrichtungen der Ein-             che der Sozialen Arbeit sind wäh-         Jugendliche, alte Menschen, Flüchtlinge
gliederungshilfe, der fehlende Blick       rend und nach dieser Krise wichti-        oder helfen Selbsthilfe-Gruppen.
auf die Bedürfnisse von Kindern
und Jugendlichen, die Ausbreitung
von COVID-19 in Geflüchteten- und
Sammelunterkünften werfen viele
ethische Fragen auf, allen voran: In
welcher Gesellschaft möchten wir
leben?

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DIE BRÜCKE - Wir sind da! - DIE BRÜCKE Lübeck
TITEL: WIR IN DER CORONAZEIT                                                                                                                                      TITEL: WIR IN DER CORONAZEIT

Corona-Juni 2020: Ein Tag im Tageszentrum
Mit allen Vorsichtsmaßnahmen, die die Ausbreitung des Coronavirus verhindern sollen
                                           Alle BRÜCKE-Einrichtungen standen in der Corona-            Durch die täglichen Telefonate und
                                           krise vor der Frage: Wie können wir für unsere Besu-
                                           cher*innen, Bewohner*innen, Patient*innen, betreut
                                                                                                       wöchentlichen Spaziergänge habe ich
                                           Beschäftigte und Rehabilitand*innen da sein? Jede           meine Bezugsbetreuten noch intensiver
                                           Einrichtung hat täglich an Lösungen gearbeitet unter        kennengelernt.
                                           Berücksichtigung aller vorgeschriebenen Vorsicht-
                                           maßnahmen. Damit wir da sein können unter den               Sozialpädagogin Lea Spandel
                                           sich mitunter sehr schnell wandelnden politischen
                                           Vorgaben, haben wir von der BRÜCKE Lübeck einen             „Ich hab grad mit einer Besucherin telefoniert. Das
                                           Pandemiestab gegründet, der sich mehrfach pro Woche         mache ich jeden Tag mit allen meinen Bezugsbetreu-
                                           getroffen und die Vorgaben in Handlungsmöglichkeiten        ten. Wir sprechen dann zehn bis 15 Minuten, einfach
                                           übersetzt hat: von sehr starken Einschränkungen zu          zum täglichen Austausch, solange die Gruppen hier
                                           vorsichtigen Lockerungen. Als ein Beispiel von vielen       im Haus nicht stattfinden. Zweimal in der Woche gehe
                                           geben wir hier Einblick in den Corona-Alltag unseres        ich spazieren – je nach Bedarf eine halbe Stunde mit
                                           Tageszentrums.                                              meinen Bezugsbetreuten.

                                           Das Wort “Kohorte” war lange nicht im                       Ich höre sehr unterschiedliches: Manche kommen
                                                                                                       durch die Telefonate und Spaziergänge ganz gut zu-
                                           Sprachgebrauch, jetzt ist es “systemrelevant”.              recht, andere eher nicht. Aber je länger dieser Zustand
                                                                                                       andauert, desto schwieriger wird es, das auszuhalten.
                                           Teambesprechung einer Kohorte im Tageszentrum

                                           09:30 Uhr: Täglich abwechselnd trifft sich die Hälfte       Das Telefonat eben muss ich, so wie alle anderen Ge-
                                           des Tageszentrum-Teams, um mit Abstand zueinander           spräche auch, schriftlich wiedergeben zur Übergabe an
                                           den Tag und die anstehenden Aufgaben zu besprechen.         meinen Bezugsbetreuer-Kollegen.“

                                           Danach gibt es wie üblich Frühstück mit Kaffee und
                                           Brötchen. Es trifft sich nur die Hälfte des Teams, damit    Die Einschränkungen habe ich als sehr
                                           sich nicht zu viele Menschen gleichzeitig in geschlosse-
                                           nen Räumen aufhalten und so die Anzahl der Kontakte
                                                                                                       extrem empfunden.
                                           und damit das Ansteckungsrisiko niedrig gehalten
                                                                                                       Oliver, ein Besucher des Tageszentrums
                                           werden.
                                                                                                       Im Tischlerkeller im Hinterhof bohrt und feilt Oliver an
                                           Nach 12 Wochen: endlich die falsch                          kleinen blauen Holzkästen. Er hat Sortierkästen mit
                                                                                                       kleinen Einzelfächern gebaut. Grade bearbeitet er die
                                           zusammengenähte Naht auftrennen!                            dazugehörigen Deckel, damit sie leichtgängig auf die
                                           11.6.2020, erstes Mal wieder Kreativ-Ergotherapie           Kästen passen.

                                           Ab 10:30 Uhr klingelt es immer wieder mal an der Tür,       „Eigentlich bin ich immer der erste Besucher, der hier
                                           einzelne Besucher*innen kommen in die Tagesstätte,          morgens in die Tagesstätte kommt und der letzte, der
                                           denn heute trifft sich zum ersten Mal seit dem Coro-        geht – also bis vor Corona. Ich bemühe mich, alles mit-
                                           na-Lockdown die Kreativ-Ergotherapiegruppe wieder,          zunehmen, was hier angeboten wird und habe gemerkt,
                                           auch die Holz-Ergotherapie hat wieder begonnen.             dass mir das nachhaltig gut tut.
                                                                                                       Nur Zuhause hocken, wie jetzt die ganze Coronazeit,
                                           Jana Truskawa, Ergotherapeutin, weist die drei Teil-        aus dem Fenster zu gucken, die Wand anzustarren, das
                                           nehmer*innen - mehr können wegen der Abstandsre-            bekommt keinem auf die Dauer. Die Einschränkun-
                                           geln nicht zeitgleich kommen - erst einmal freundlich in    gen hab ich sehr extrem empfunden. Man hat weniger
                                           die Hygieneregeln ein. Zum Glück hat der Kreativraum        soziale Kontakte und neigt mehr zum Grübeln und
                                           zwei Türen: „Im Haus tragt ihr bitte den Mundschutz.        fühlt sich oft depressiv und kraftlos. Deswegen sind
                                           Im Kreativraum mache ich als allererstes die Fenster        diese tagesstrukturierenden Angebote wichtig für mich,
                                           auf. Zu dieser Tür geht ihr bitte nur rein, zu dieser nur   um überhaupt mal einen Grund zu haben aufzuste-
                                           raus. Wenn ihr euren Platz eingenommen habt, könnt          hen. Das ist sehr positiv, dass das hier langsam wieder
                                           ihr eure Schutzmasken gern absetzen“.                       losgeht. Sehr gut ist, dass mir die FSJlerin jeden Tag
                                           Susanne Maier holt sofort jede Menge kuschelige Stoff-      das Mittagessen vorbeibringt. Sonst wäre das finanziell
                                           teile aus ihrem Beutel und stellt ihre Nähmaterialien       nicht zu machen gewesen mit täglich 3,45€, die ich zur
                                           um sich. „Ich nähe einen großen Kuschelhund, aber           Verfügung habe. Und es kam jemand vorbei! Ich hab
                                           wie das so ist, hab ich den erstmal falsch am Bauch         mal wen gesehen und gesprochen! Am Wochenende, tja.
                                           zusammengenäht. Jetzt nach 12 Wochen kann ich end-          Sonntag ist die Tagesstätte bis auf weiteres geschlos-
                                           lich weitermachen und die Naht auftrennen!“                 sen. Aber die Werkstatt hier ist große klasse.“
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DIE BRÜCKE - Wir sind da! - DIE BRÜCKE Lübeck
TITEL: WIR IN DER CORONAZEIT                                                                                                                                     TITEL: WIR IN DER CORONAZEIT

                               Wenigstens Zweien hat die Ruhe                                   Die FSJlerin Lea Bendig bringt
                               im Hinterhof gut gefallen.                                       Tagesstättenbesucher*innen das
                                                                                                Mittagessen aus dem PONS – und damit
                               Langersehnter Nymphensittich-Nachwuchs
                                                                                                auch ein bisschen Tagesstruktur.
                               Seit Jahren warten die Tagesstättenbesucher*innen
                               und die Kolleg*innen in der Engelsgrube 47 auf Nach-             Mittagessen auf Rädern – Coronaservice der
                               wuchs in der großen Voliere im Hinterhof. Die letzten            Tagesstätte und des Restaurant PONS
                               Monate war offensichtlich ausreichend Ruhe.
                                                                                                11:45 Uhr Die FSJlerin Lea Bendig holt mit einem Bus
                               Die FSJ-lerin Lea Bendig versorgt die Sittiche mit Kör-          das Mittagessen vom BRÜCKE-Restaurant PONS an
                               nern und frischem Wasser und leuchtet in den Vogel-              der Untertrave ab: „Jetzt sind es nur noch sieben Leu-
                               kasten: zwei kleine Küken hocken dort, nahezu nackt              te, denn vier können wieder zu Fuß ins PONS gehen.
                               mit ein klein wenig Flaum.                                       Unsere Tagesstättenbesucher*innen, die wegen Corona
                                                                                                drei Monate nicht zu uns kommen konnten, sind sehr
                               Jeden Tag zusammen Kaffee, Klönen,                               sehr dankbar. Ich schnacke auch immer ein bisschen
                                                                                                mit ihnen an der Tür, aber nicht lange, sonst bekommt
                               Rummy Kub. Endlich kann man mal                                  die letzte Person auf der Tour kaltes Essen.“
                               wieder alleine ein Eis essen gehen.
                                                                                                Auch die Mitarbeiter*innen der Tagesstätte essen zu
                               Hinterhof-WG: Zu viel Zeit zu dritt
                                                                                                Mittag. Im Innenhof sitzen die Teilnehmer*innen der
                               Am Ende des Speicher-Hinterhofs wohnen Uwe, Renate               Ergotherapien mit großem Abstand zueinander und re-
                               und Stefan gemeinsam in einer Wohnung. Sie teilen                den. Normalerweise essen Besucher*innen und Mitar-
                               sich die Küche und das Bad. Tageszentrumsleiter Oliver           beiter*innen gemeinsam – ein jahrzehntealtes Ritual.
                               Schulz besucht die WG in der Coronazeit einmal wö-
                               chentlich zum Reden und Zuhören.                                 Tür auf und alle Regeln durchlesen,
                               Uwe: „Wir hatten hier ja noch Glück in der Coronazeit.           das muss leider sein.
                               Wir sind zu dritt und im Hof wohnt noch eine Besuche-
                               rin der Tagesstätte. Wir haben jeden Tag ab 14 Uhr zu            Oliver Schulz, Einrichtungsleitung Tageszentrum
                               viert im Hinterhof Kaffee getrunken und Rummy Kub
                               gespielt. Hin und wieder bin ich Fahrrad gefahren, weil          „Ein Teil unserer Tageszentrumsbesucherinnen und
                               immer zu dritt hier und das drei Monate lang: das wird           –besucher ist sozial relativ isoliert und wenig vernetzt.
                               dann doch mal anstrengend.“                                      Die meisten leben allein. Sie telefonieren auch wenig
                               Renate: „Es geht mir ganz gut, aber Einkaufen gehen              untereinander, auch nicht in der Coronazeit. Ich finde
                               und diesen Abstand halten… diese vielen Regeln im                es persönlich sehr schwer auszuhalten, dass die Men-
                               Alltag, das beschäftigt mich und ist mir zu viel. Manch-         schen allein in ihren Wohnungen sitzen und wir ihnen
                               mal fällt mir auch die Decke auf den Kopf. Ich durfte            nicht die Unterstützung anbieten können, die sie drin-
                               auch ganz lange meinen Enkel nicht sehen. Dann ist es            gend bräuchten – und sei es nur zweimal in der Woche
                               gut, dass wir die BRÜCKE-Mitarbeiter hier jeden Tag              „Mensch-ärgere-dich-nicht“ zu spielen und sich hier zu
                               sehen.“                                                          unterhalten.
                               Stefan: „Die ersten sechs Wochen des Lockdowns waren
                               krass. Ich rechne es Oli und dem Tageszentrum-Team               Innerhalb von zwei Wochen kommen üblicherweise
                               hoch an, dass sie sich so viel Mühe mit uns gegeben              140-150 Menschen in unser Haus. Ein paar haben zu
                               haben. Ich bin mit meinem Betreuer zusammen alles                Hause Stärken entdeckt, aber ich hab auch in vielen
                               abgelaufen: die Obertrave, die Untertrave. Am neuen              Anrufen gehört: ‚Ich werd immer phlegmatischer, es
                               Drehbrückenplatz gibt es Holzbänke, auf die kann man             geht mir wieder so schlecht wie früher, bevor ich in die
                               sich legen und dann in ausreichendem Abstand mitein-             Engelsgrube gekommen bin.‘
                               ander reden.“
                                                                                                Jetzt (Stand 12. Juni 2020, Anm.d.Red.) geht es zum
                                                                                                Glück so langsam wieder los: In Woche Zwölf nach dem
                                                                                                Lockdown können wir täglich vier Gruppen à drei Per-
                                Kontakt                                                         sonen anbieten.“ Bedauerlicherweise können wir coro-
                                DIE BRÜCKE Beratungsstelle                                      nabedingt gerade keine offenen Angebote oder Treff-
                                Engelsgrube 47, 23552 Lübeck                                    punkte in der Begegnungsstätte anbieten. Die Bera-
                                Tel.: 0451/ 140 08-70                                           tungsstelle ist die ganze Zeit telefonisch erreichbar.
                                beratungsstelle@diebruecke-luebeck.de                           Dieses Angebot wurde auch gut genutzt. Mittlerweile
                                Unsere Öffnungszeiten:                                          können wir uns mit Menschen, die Beratungsbedarf
                                montags bis donnerstags 9:30 – 17 Uhr, freitags 9:30 – 16 Uhr   haben, auch wieder persönlich treffen.
                                sowie nach telefonischer Vereinbarung.
                                                                                                                  Texte, Protokolle und Fotos: Nadine Dietrich

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DIE BRÜCKE - Wir sind da! - DIE BRÜCKE Lübeck
TITEL: WIR IN DER CORONAZEIT                                                                                                                                  TITEL: WIR IN DER CORONAZEIT

Verschiedenste Einrichtungen und ein Virus                                                                           In unseren Wohneinrichtungen gab es einschneidende Veränderungen des All-
                                                                                                                     tags durch die verordnete Kohortenbildung und die Abstandsregeln für Bewoh-
Einblicke in die Arbeit der BRÜCKE Lübeck während der Corona-Krise                                                   ner*innen und BRÜCKE-Kolleg*innen. Ein Bewohner der Sozialpsychiatrischen
                                                                                                                     Wohn- und Betreuungseinrichtung im Kurzen Weg 9 hat dieses
Im Jahr begleiten wir bis zu 4.000 Menschen mit            Wir bieten Rehabilitationsmaßnahmen sowie Behand-         Corona-Warn-Plakat während des Lockdowns gestaltet.
psychischen Beeinträchtigungen. Einige wohnen in un-       lungen in der Tagesklinik und den Ambulanten Diens-
seren Einrichtungen und Brücke-eigenen Wohnungen,          ten. Schon diese – nicht vollständige – Aufzählung
andere arbeiten bei uns als betreut Beschäftigte, wieder   unserer Angebote lässt erahnen, wie viele unterschied-
andere werden von unseren Mitarbeiter*innen zu Hause       liche Lösungen gefunden werden mussten, um in der
besucht oder sie kommen zu Gruppenangeboten in             Pandemie weiter für psychisch erkrankte Menschen da
unsere Tagesstätten.                                       zu sein.

                                  Jeder bittet seine Gäste anders um Abstand: Hier Lösungen aus den Zentralen
                                  Diensten und der Sozialpsychiatrischen Institutsambulanz – und eine weitere
                                  (nicht ernstgemeinte!) aus dem PC-Service. Humor ist, wenn man trotzdem
                                  lacht. ;-)

                                                                                                                     Für jede*n einen eigenen Stift – und auch die halten Abstand.
                                                                                                                     Im ersten Lockdown aller Zeiten musste viel gelernt, ausprobiert, ausgehalten,
                                                                                                                     verworfen und zur Kenntnis genommen werden:

                                                           Mundschutz XXL: Das Ambulant Betreute Wohnen
                                                           in der Roeckstraße

                                                           Ein paar Aussagen aus der Lockdown-Zeit von Men-
                                                           schen, die von unseren Kolleg*innen im Ambulant
                                                           Betreuten Wohnen begleitet werden:

                                                           „Danke, dass Sie alle die ganze Zeit so zuverlässig und
                                                           engagiert für uns da sind! Sonst wäre das alles nicht
                                                           auszuhalten.“
                                                                                                                     In der Tagesstätte für ältere psychisch kranke Menschen wurden neue Kom-
                                                           „Alles wird teurer, ich gebe für den gleichen Einkauf     munikationswege ausprobiert. Auf unserer Website und über Facebook infor-
                                                           jetzt immer fast 5 Euro mehr aus als vor Corona! Wie      mierten wir über unseren Umgang mit dem Coronavirus und es gab die erste
                                                           soll ich das denn schaffen mit Grundsicherung!?“          Videobotschaft vom BRÜCKE-Geschäftsführer Frank Nüsse.
                                                                                                                                                        Texte, Protokolle, Fotos und Layout: Nadine Dietrich
                                                           „Ich mag nicht mehr nur spazieren gehen, ich würde
                                                           gern mal einfach wieder einen Kaffee trinken gehen.“

                                                           „Dass Sie das alles für mich machen!“ Zur Erklärung:
                                                           Einkaufen, Einkauf vor die Tür stellen, mehrere Telefo-
                                                           nate die Woche und einen Spaziergang, anstelle eines
                                                           Hausbesuchs pro Woche in normalen Zeiten.

                                                           „Plötzlich kann ich ganz viel telefonieren und rufe von
                                                           mir aus sogar Menschen an!“
                                                           (ein Mensch mit sozialen Ängsten)

                                                           „Ich verrate Ihnen meinen Geheimtipp: Beim Edeka im
                                                           Bahnhof gibt es immer Klopapier!“

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DIE BRÜCKE - Wir sind da! - DIE BRÜCKE Lübeck
TEILHABE                                                                                                                                                                                                                             TEILHABE

Wir setzen die dritte Stufe des BTHG um ...                                                                               die sich in „Einrichtungen“ aufhal-
                                                                                                                          ten (z.B. in Wohnhäusern und
                                                                                                                                                                 und Beschäftigungsprojekte wur-
                                                                                                                                                                 den umgewandelt in viele Telefona-
                                                                                                                                                                                                        und konnten. Fragen, die abge-
                                                                                                                                                                                                        stimmt und geklärt werden müssen,
… soweit die Corona-Pandemie es zulässt                                                                                   -gruppen, Kliniken, Tagestätten,       te, Spaziergänge, Treffen auf Park-    damit an den zum 01.01.2022 gel-
                                                                                                                          Werkstätten und Arbeitsprojekten)      bänken, Bänken in der Stadt, Bus-      tenden neuen Leistungs- und Ver-
Das Bundesteilhabegesetz (BTHG)        und den Wegfall der Heranziehung          eigenverantwortlichen Umgang mit         erfuhren ein Betretungsverbot. In      haltestellen, Notgruppenangebote,      gütungsverträgen gearbeitet werden
tritt in vier Reformstufen in Kraft,   der Angehörigen zu den Kosten der         dem persönlichen Geld. Aber die          einigen Bereichen bestand das Ver-     der Einkauf wurde teilweise für Be-    kann, gerieten in einen Corona-Ab-
beginnend 2017. Die dritte Reform-     Leistungen der Eingliederungshilfe        Mehrzahl unserer Klientel wollte lie-    bot, persönliche Kontakte zu eben-     treute erledigt und nicht mit ihnen.   stimmungsstau. Wieder einmal wird
stufe muss und kann seit Anfang        haben sich bei vielen Menschen po-        ber kein eigenes Konto eröffnen und      falls dort Wohnenden „über ihre                                               die Zeit sehr knapp und die Grund-
des Jahres 2020 umgesetzt werden.      sitiv bemerkbar gemacht. Hierdurch        für das Geld nicht zuständig sein.       Kohorte hinaus“ aufzunehmen. Das       Hoffen auf längere                     lagen (Strukturen, Personal, Ver-
Unter anderem wird die Trennung        ist für zahlreiche Menschen eine                                                   „einfach dabei sein“ ohne beson-       Gesetz-Übergangsphase                  gütung) bleiben sehr ungewiss. Wir
zwischen ambulanten, teilstatio-       unüberwindbare Hürde in der Teil-         Unterstützung bei der ganz               dere Aktivitäten unternehmen zu                                               hoffen nun dringend auf eine Ver-
nären und stationären Leistungen       habemöglichkeit abgebaut worden.          individuellen Lebensgestaltung           müssen, ist in Zeiten der sozialen     Die Kulanzregelung für die Finan-      längerung der Übergangsphase und
aufgegeben.                                                                                                               Distanzierung sehr viel schwe-         zierung der Leistungen in der Coro-    auf ein Ende der Coronawirkungen
                                       Manche wollen, viele nicht:               Bis zum 14. März 2020 haben wir          rer möglich. Die Kontakte in der       na-Phase ermöglicht es uns, unsere     und -auswirkungen.
Die Idee des Bundesteilhabegeset-      ein eigenes Konto                         erste, sehr positive Erfahrungen         Betreuung wurden sehr verändert.       Leistungen so zu verändern, dass
                                                                                                                          Hausbesuche oder das Aufsuchen         wir die Betreuten weiter gut, wenn                               Kathrin Roßberg
zes bedeutet: mehr Selbstbestim-                                                 gemacht mit Ansätzen der Perso-                                                                                                   Fachleitung Eingliederungshilfe
mung und Teilhabe für Menschen,        Die Umstellung der Strukturen für         nenzentrierung: Wohnsituation und        der Tagesstätten und der Arbeits-      auch sehr anders begleiten können
die Hilfen benötigen, ein transpa-     Menschen in besonderen Wohnfor-           Betreuungskontinuität konnten für
rentes, gut verstehbares Verfahren     men (früher Heime) beschäftigt uns        einen Menschen erhalten bleiben,
mit einheitlichen Grundlagen zur       in der Zeit seit Juni 2019 bis der-       obwohl keine Zugehörigkeit zu der
Bedarfsfeststellung, Personenzen-
trierung statt Einrichtungszen-
                                       zeit sehr. Die Bewohnerinnen und
                                       Bewohner müssen nun eigene Kon-
                                                                                 vorherigen Einrichtung mehr be-
                                                                                 stand; ein anderer Mensch behielt        Zukunftswerkstatt für besonderes Wohnen
trierung, weniger bürokratischer       ten haben, da die Gelder für die          die gewünschte Tätigkeit der Tages-      Chancen des BTHG nutzen, Gutes bewahren
Aufwand, eine Stärkung des             Wohnkosten und den Lebensunter-           strukturierung, obwohl sich die
Wunsch-und Wahlrechtes, keine          halt direkt an sie selbst ausgezahlt      zugehörige Wohnsituation änderte.        Wir wollen unsere Konzepte in den      mit allen gegessen wird? Können        •    dass die Erhaltung von Motiva-
Menschen aus dem Leistungsge-          werden. Rechtliche Betreuer*innen,        Dieser Mensch wird nun von einem         besonderen Wohnformen grundle-         wir die Häuser so umgestalten/um-           tion und von Fähigkeiten ein
schehen auszugrenzen, weil sie         die Menschen selber, Angehörige           anderen Leistungserbringer beim          gend überdenken und haben damit        bauen, dass echte WGs entstehen?            Resultat von „selber machen“
neue Kriterien nicht erfüllen kön-     und auch wir als Leistungserbrin-         Thema „Wohnen“ unterstützt und           in einer ersten kleinen Zukunfts-      Welches Personal müsste dann wie            ist,
nen, aber trotzdem Leistungen          ger wurden in ein kompliziertes,          ist ergänzend in einem tagesstruk-       werkstatt begonnen.                    und wo eingesetzt werden? Brau-
                                                                                                                                                                 chen wir tagesstrukturierende          •    dass die Überforderung durch
                                                                                                                                                                 Angebote vor Ort? Oder sind alle            zu viel Alltagsanforderungen in
                                                                                                                                                                 Bewohner*innen in der Lage, das             Kombination mit den Folgen
                                                                                                                                                                 Haus zu verlassen, um im Sozial-            psychischer Erkrankungen zu
                                                                                                                                                                 raum/in der Stadt geeignete Mög-            hohem Stress und Destabilisie-
                                                                                                                                                                 lichkeiten zur Tagesstrukturierung          rung führen kann.
                                                                                                                                                                 zu finden? Wäre es auch möglich,
                                                                                                                                                                 unsere tagesstrukturierenden An-       Das Bundesteilhabegesetz beauf-
                                                                                                                                                                 gebote für den Sozialraum zu öff-      tragt die leistungsberechtigten Men-
                                                                                                                                                                 nen? Wie gestaltet sich Assistenz-     schen, die Kostenträger und uns
                                                                                                                                                                 leistung nachts?                       als Leistungsanbieter und -erbrin-
Die dritte Stufe des BTHG...           ...ermöglicht vielfältigere Wohnformen.                       Fotos: pixabay.com
                                                                                                                                                                                                        ger genau hinzuschauen und die
                                                                                                                                                                 Wo sollen die Menschen in der Zeit     Lebenswaage neu auszuloten nach
brauchen, die Förderung der Eigen-     unübersichtliches Verwaltungshan-         turierenden Angebot eines unserer        Die Veränderungen durch das Bun-       leben, in der umgebaut wird? Wie       den oben angeführten Zielen, die
verantwortlichkeit. Ebenso: die        deln „katapultiert“. Es mussten           Wohnangebote weiterhin mit Freude        desteilhabegesetz ermöglichen uns      finden die Teams und die Leitungen     aus der Behindertenrechtskonven-
Stärkung der Leistungsträger,          neue Verträge für eine zweijährige        dabei- zumindest bis Mitte März.         in den besonderen Wohnformen           die Zeit für all die Überlegungen      tion der Vereinten Nationen in unse-
unabhängige Beratungsmöglichkei-       Übergangszeit erstellt und umge-                                                   (früher Heime) gute Veränderungen.     und Planungen, da die Betreuungs-      re Gesetze übernommen wurden.
ten für Menschen mit Behinderung       setzt werden. Viele Bewohner*in-          Neue Erfahrungen durch                   In diesem Zusammenhang gibt es         arbeit fortlaufend geleistet werden
schaffen, eine Verringerung der        nen wollten keine eigenen Konten          Covid-19-Pandemie                        viele Fragen z.B.: Wäre es sinnvoll,   muss, aber nicht mehr Personal für                               Kathrin Roßberg
                                                                                                                                                                                                                   Fachleitung Eingliederungshilfe
Zuzahlungsverpflichtung durch          und hatten Sorge, dass ihnen nun                                                   in allen besonderen Wohnformen         all die Änderungen zur Verfügung
höhere Einkommens- und Vermö-          weniger Geld zur Verfügung stehen         Dachten wir bis Mitte März, dass         das Zusammenleben in kleineren         steht?
gensgrenzen.                           könnte. Rechtliche Betreuungsper-         die Themen Selbstbestimmung, Per-        Wohngruppen zu organisieren sowie
                                       sonen und wir als Leistungserbrin-        sonenzentrierung und soziale Teil-       Einzelwohnungen in einem zusam-        Oder bleiben wir doch einfach beim
Zwei neue Beratungsstellen zu          ger haben deutlich mehr Verwal-           habe die zentralen Aspekt unserer        mengehörenden WG-Verbund zu            Alten, gestalten kleine Prozesse um,
Teilhabemöglichkeiten                  tungsaufwand – der nicht gesondert        Arbeit seien, die durch das Bundes-      planen?                                weil doch eigentlich vieles gut ist
                                       finanziert wird. Die Betreuungsar-        teilhabegesetz bzw. dessen Umset-                                               und die Bewohner*innen größten-
Angefangen mit den letzten beiden      beit ist damit noch einmal deutlich       zung gestärkt und unverzichtbar          Was bedeutet das für die Arbeit in     teils zufrieden sind?                      Information
Aspekten lässt sich sagen, dass in     „verwaltungslastiger“ geworden und        wären, wurden wir durch die Coro-        WGs und in Einzelwohnungen z.B.                                                   DIE BRÜCKE Lübeck
Lübeck zwei Beratungsstellen zur       bietet weniger Zeit für die persön-       na-Pandemie eines anderen belehrt.       für die Nahrungszubereitung und        Bei Veränderungen müssen wir un-           Kathrin Roßberg
ergänzenden unabhängigen Teilha-       lichen Aktivitäten mit Bewohner*in-       Die gesamte Bevölkerung erfuhr           wo soll dann gegessen werden? Was      sere Erfahrungen berücksichtigen,          Fachleitung Eingliederungshilfe
beberatung nach dem Sozialgesetz-      nen. Einige Bewohner*innen begrü-         Eingriffe in die Persönlichkeitsrech-    machen wir mit den vorhandenen         • dass dem Ruhe- und Schutzbe-             Tel.: 0451/ 140 08-30
buch IX eröffnet wurden. Auch die      ßen die Umstellung auf eigene Kon-        te, bekam Kontaktvermeidungsvor-         größeren Küchen und Speiseräu-             dürfnis entsprochen werden             k.rossberg@diebruecke-luebeck.de
Erhöhung der Zuzahlungsgrenzen         ten und das wachsende Wissen zum          gaben und Regelungen. Menschen,          men, in denen für alle gekocht und         soll,

12                                                                                                                                                                                                                                             13
DIE BRÜCKE - Wir sind da! - DIE BRÜCKE Lübeck
TEILHABE                                                                                                                                                                                                                                    TEILHABE

Vorhang auf: Kultur für alle trotz Corona!
KulturTafel in Lübeck
Lübecks Kulturangebot ist vielfäl-
tig und spannend, doch nicht jeder
kann sich den Besuch einer Veran-
                                                                                                                         nicht jeder kann (oder mag) die Viel-
                                                                                                                         zahl an digitalen Kulturangeboten
                                                                                                                         nutzen.
                                                                                                                                                                                   DIE BRÜCKE
                                                                                                                                                                                    Gemeinnützige therapeutische Einrichtungen
staltung leisten.
                                                                                                                         Deshalb liefert die KulturTafel wäh-
Ob Theater, Konzert oder Museum:                                                                                         rend der Corona-Krise Kultur frei                 Wir sind 420 Mitarbeiter*innen in 25 Einrichtungen und
Die KulturTafel Lübeck vermittelt                                                                                        Haus: Wer möchte, kann einen                             als DIE BRÜCKE in Lübeck fast 50 Jahre alt.
nicht verkaufte Eintrittskarten aus                                                                                      „kulturellen Hausbesuch“ verein-                     In unseren multiprofessionellen Teams pflegen wir
den unterschiedlichsten kulturellen                                                                                      baren. Dabei besuchen zwei Musi-                                   das „DU“ und das „WIR“.
Bereichen kostenlos an Menschen                                                                                          kerinnen des Philharmonischen              Wir sind familienfreundlich, haben ein eigenes Fortbildungsinstitut und
mit knappem Budget. Es werden                                                                                            Orchesters Lübeck den Gast Zu-                        verbinden Expertise mit Freude an unserer Arbeit.
immer zwei Karten vergeben, so                                                                                           hause: vor der Tür, im Garten oder
dass der Besuch in Gesellschaft                                                                                          Vorgarten. Der Gast bleibt dabei in
                                                                                                                                                                               Aufgrund unserer hohen fachlichen Kompetenz
                                                                                                                         der eigenen Wohnung (die Kultur-
                                                                                                                                                                                   sind unsere Angebote stark nachgefragt.
                                                                                                                         Tafel bringt bei Bedarf einen Klapp-
  „Ich bin seit 2015 dabei! Während                                                                                                                                        Deshalb wollen wir unsere Teams verstärken und bieten
                                                                                                                         stuhl mit) und die Musikerinnen
 eines Besuchs bei der Tafel Lü-                                                                                                                                               in folgenden Bereichen laufend die Möglichkeit,
                                                                                                                         spielen ein ca. zehnminütiges Kon-
 beck e.V. hab ich von der KulturTa-                                                                                                                                          in Voll- oder Teilzeit unsere Kolleg*in zu werden:
                                                                                                                         zert im Hausflur – der Mindestab-
 fel gehört und mich gleich ange-                                                                                        stand wird also gewahrt! Die Fuß-
 meldet. Man kann ankreuzen,                                                                                             matte wird so zur Bühne und der
 was einen besonders interessiert                                                                                        Gast genießt ein exklusives „Tür-
                                                                                                                                                                                                   Ärzt*innen
                                         Musikalischer Hausbesuch in Vorgärten, Garageneinfahrten oder auf Balkonen im
 und sobald es Karten gibt, rufen        14. Stock: Katharina Ruf (Klarinette) und Vera Dörmann (Bratsche) vom           schwellenkonzert“.
 die Mitarbeiterinnen an. Mein per-
 sönliches Highlight war ein nieder-
                                         Philharmonischen Orchester Lübeck bei einem „Türschwellenkonzert“.
                                                                                                                                                                                Psychologie und Psychotherapie
                                                                                                                         Ein Zuhörer schrieb der KulturTa-
 deutsches Stück in den Kammer-                                                                                          fel im Nachhinein: „Es war einfach
                                         erfolgen kann, denn: Zu zweit             wie viel den Gästen das Angebot
 spielen im Theater Lübeck. Das
                                         machen Theater, Konzert & Co.             bedeutet.                             wunderschön! Ihr musikalischer                        Sozialarbeit und Sozialpädagogik
 war so aus dem Leben gegriffen!                                                                                         Besuch hat mir seit Wochen endlich
                                         schließlich mehr Spaß!
 Ich war aber auch schon auf dem                                                                                         mal wieder ein Gefühl der Hoffnung
                                                                                   Bei Anruf: 10 Minuten Hausmusik
 Theaterschiff, im Combinale und
                                         Somit öffnet die KulturTafel das                                                gegeben.“                                                               Ergotherapie
 mehrfach im Kino. Es gibt immer                                                                                                            Kristine Goddemeyer
                                         vielfältige Kulturangebot unserer         So schrieb ein Gast: „Der Abend                        KulturTafel Lübeck e.V.
 mindestens zwei Karten und des-
 wegen kann ich immer jemanden
                                         Stadt für alle Lübeckerinnen und          hat mir so viel gegeben. Ich habe
                                                                                                                                                                               Gesundheits- und Krankenpflege
                                         Lübecker und ermöglicht ihnen             richtig wieder am Leben teilgenom-
 mitnehmen. Mir gefällt besonders,
                                         kulturelle genauso wie soziale            men, davon zehre ich immer noch.“
 dass ich zur Kasse gehe und
 sage: „Ich möchte meine reservier-
                                         Teilhabe. Wer sich bei uns anmel-         Ein anderer sagte: „Ich habe seit                                                                           Hauswirtschaft
                                         den möchte, muss einen Einkom-            langer Zeit mal wieder das Gefühl,
 ten Karten abholen“. Keiner weiß,
                                         mensnachweis vorlegen (Jobcen-            am Leben wieder etwas teilnehmen
 dass ich sie über die KulturTafel                                                                                                                                        Worauf Sie sich freuen dürfen:
                                         ter-Bescheid, Grundsicherungsbe-          zu können. Endlich komme ich mal
 geschenkt bekommen habe, weil                                                                                                                                            - eine kollegiale und wertschätzende Arbeitsatmosphäre
                                         scheid o.ä.).                             wieder raus!“
 ich sie mir nicht leisten könnte. Ich                                                                                                                                    - regelmäßige Teamsitzungen und externe Supervisionen
 bin dann eine Besucherin wie jede                                                                                                                                        - geregelte Arbeitszeiten
                                         Immer wieder erreichen das Team           Momentan können wegen der Co-
 andere.“                                                                                                                                                                 - Urlaubsanspruch über dem gesetzlichen Mindesturlaub
                                         der KulturTafel berührende Rück-          rona-Krise leider keine kulturellen
               Angelika Meyenborg                                                                                                                                         - eine leistungsgerechte Vergütung
                                         meldungen, die deutlich machen,           Veranstaltungen stattfinden und
                                                                                                                                                                            mit möglichen zusätzlichen Vergütungsbestandteilen
                                                                                                                                                                           (Arbeitgeberzuschuss zur bAV und Gesundheitspräventionskursen,
                                                                                                                                                                           vermögenswirksame Leistungen, Kinderzuschlag,
                                                                                                                                                                           Kinderbetreuungskostenzuschuss)
                                                                                                                                   Fotos: KulturTafel Lübeck e.V.

                                                                                                                                                                    Aktuelle Stellenangebote finden Sie hier:
                                                                                                                                                                       www.diebruecke-luebeck.de/jobs
                                                                                                                         Kontakt
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                                                                                                                         Wahmstr. 71                                                        das richtige Angebot dabei?
                                                                                                                         23552 Lübeck                                                    Nutzen Sie gerne die Möglichkeit,
                                                                                                                         Tel.: 0451/ 20 22 80 61                                         sich initiativ bei uns zu bewerben.
                                                                                                                         info@kulturtafel-luebeck.de
                                                                                                                         www.kulturtafel-luebeck.de

14                                                                                                                                                                                                                                               15
DIE BRÜCKE - Wir sind da! - DIE BRÜCKE Lübeck
TEILHABE                                                                                                                                                                                                                      TEILHABE

Auf Gleichstellung hinweisen                                                                                          Veränderungen als Herausforderung
Anders, aber erfolgreich: Unser „Erlebnistag Mensch & Selbsthilfetag Lübeck“ 2020                                     Veränderungen positiver bewerten: ein Erfahrungsbericht
                                                                            Demonstration mit vielen                  Im Laufe ihres Lebens erfahren         Verharren in vermeintlicher Sicher-     sonst wohl nie gemacht hätte. Diese
                                                                            Auflagen:                                 Menschen viele, teilweise einschnei-   heit mochte einerseits bequem sein,     zeigte mir, dass doch noch mehr in
                                                                            Hinter den Masken sind ein                dende Veränderungen. Einigen kön-      andererseits nahm ich mir damit         mir steckt, als ich mir vorstellen
                                                                            Teil der Organisator*innen:               nen sie sich kaum oder gar nicht       Selbstständigkeit und viele Chan-       konnte. Ich war aktiv an einer der
                                                                            Kathrin Roßberg,                          entziehen, andere führen sie selbst    cen auf Neues, Aufregendes, Schö-       Eröffnungsreden beteiligt. Tilman
                                                                            Matthias Göpfert sowie                    herbei. Ich habe lange Zeit Verän-     nes … Außerdem ist das Leben zu         Schomerus, Bereichsleiter Arbeit
                                                                            Frank Nüsse, Geschäftsführer,             derungen gehasst und deswegen          unberechenbar, als dass es absolute     bei der BRÜCKE und Rede-Routi-
                                                                            von der BRÜCKE Lübeck.                    möglichst vermieden.                   Sicherheit geben könnte.                nier, hatte mit mir in kurzer Zeit
                                                                            Dr. Kirstin Hartung (KISS),                                                                                              eine Art gegenseitiges Interview
                                                                            Volkert Brammer und                       „Never change a running system.“       2019 brachte für mich viele Verän-      erarbeitet. Für mich war das Ganze
                                                                            Joachim Karschny,                         – Diese Redewendung, die auf den       derungen, die mir von außen abver-      eine Premiere: Ich sprach das erste
                                                                            Geschäftsführer, von                      Ausspruch „ Never change a win-        langt wurden. Nach sechs Jahren         Mal öffentlich, vor vielen und mir
                                                                            Kinderwege e.V. sowie                     ning team.“ des englischen Fußball-    verließ ich die Tagesstätte, ein mir    überwiegend fremden Menschen.
                                                                            als Gastredner Jan Lindenau               trainers Alf Ramsey zurückgeht,        wichtiger ADiNet-Kollege ging in        Trotz meiner Ängste und kleiner
                                                                            (SPD), Lübecks Bürgermeister              kennen wohl viele. Mit etwas Lebens-   Rente, die Druckerei, in der ich        „Texthänger“ brachten wir unseren
                                                                                                                      erfahrung weiß man aber, dass die-     beschäftigt bin, zog an einen neuen     Dialog erfolgreich und sogar unter-
                                                                            Foto: Nadine Dietrich                     se Aussage nur für eine begrenzte      Standort, ich bekam einen Platz         haltsam über die Bühne. Den posi-
                                                                                                                      Zeit gelten kann. Auf Dauer fehlen     beim Ambulant betreuten Wohnen          tiven Rückmeldungen zufolge hal-
 „Was heißt es behindert zu sein,     Gruppen für jeweils kurze Trom-       im Garten des alten Lachswehr-Re-         irgendwann, z. B. auf Computern,       der BRÜCKE … Eine der einschnei-        fen mir dabei Authentizität und ein
wie fühlt sich das an?“ Das war       melsequenzen an, die live in Bild     staurants, heute eine Kindertages-        wichtige und notwendige Neuerun-       densten Veränderungen war, dass         humorvoller und offener Umgang
das Motto, unter dem zum Euro-        und Ton aufgezeichnet wurden.         stätte von der KinderWege gGmbH,          gen, so dass das System dann nicht     meine Hausärztin in Rente ging.         mit meinen Schwächen.
päischen Protesttag zur Gleichstel-   Weitere Gruppen hatten kleine         am Ufer der Trave statt. In seinem        mehr „rund“ läuft.                     Nach über 20 Jahren in ihrer Be
lung behinderter Menschen 2020        Videos nach einer Tonvorlage selbst   persönlichen Grußwort gab Bürger-                                                handlung kam dies einer Katastro-       Ich hoffe, dass mich diese positiven
eine bunte und vielfältige Veran-     produziert und eingeschickt. So       meister Jan Lindenau seiner Hoff-         Ich lebte, ohne dass es mir bewusst    phe nahe. Arztbesuche sind für          Erfahrungen dazu bringen, Ver-
staltung des Aktionsbündnisses        entwickelte sich eine ganz beson-     nung Ausdruck, dass viele Men-            war, viele Jahre nach dieser Maxime.   mich aus verschiedenen Gründen          änderungen zukünftig anders zu
„Gemeinsam Erleben“ in Lübeck         dere Aktion, die den behördlichen     schen durch die Einschränkungen           In vertrauten Abläufen (z. B. Jobs,    mit großem Unwohlsein verbunden         bewerten. Sie nicht mehr als etwas
geplant war. Unser Ziel: das Ver-     Auflagen zur Pandemie entsprach,      des öffentlichen Lebens nun nach-         Beziehungen) fühlte ich mich sicher    und wurden möglichst auf abso-          Unangenehmes zu sehen, das ich so
ständnis zwischen Menschen mit        trotzdem aber öffentlich sicht- und   empfinden könnten, was ein Leben          und hielt so lange wie möglich an      lut nicht vermeidbare beschränkt        lange wie möglich hinausschieben
und ohne Behinderung zu vertiefen.    hörbar wurde: www.gemeinsam-          mit Behinderungen für die Betroffe-       ihnen fest. Selbst wenn mir diese      (z. B. nach Unfällen oder für meine     muss, sondern als Verbesserung
Mit der Corona-Pandemie kam alles     erleben.de                            nen bedeutet.                             nicht mehr gut taten. Manchmal         Medikamente). Meine Ärztin nahm         und/oder Chance.
anders: unser wichtigstes Anliegen,                                                                                   zwang mich ein Ereignis oder ein       mich ernst und hatte Verständnis
der persönliche Austausch zwischen    Die Kontakteinschränkungen und        Wenn auch der Aktionstag unter            anderer Mensch zur nötigen Verän-      – sie war einfach toll. Aber dass ich   Die schwierigste Veränderung ist
Menschen mit verschiedenen Arten      der Zeitdruck machten die Vorberei-   den gegebenen widrigen Umständen          derung. Aber meistens verging bis      nun einen Ersatz brauchte, brachte      aber die meines Denkens und mei-
von Einschränkungen, musste           tungen zum Abenteuer: Es gab          gelungen ist und medial eindrucks-        dahin viel Zeit bis der Leidensdruck   mir im Nachhinein manche Vorteile.      ner Glaubens- und Leitsätze. Dieses
entfallen.                            Videokonferenzen, lebhaften E-Mail-   voll in Szene gesetzt wurde, fehlte       deutlich größer war als die Angst,     Die neue Ärztin ist noch jung, dazu     ist allerdings auch eine Vorausset-
                                      Verkehr und viele Telefonate. Zwei-   doch vor allem das                        eine falsche Entscheidung zu treffen   ebenfalls sehr verständnis- und         zung dafür, dass mir alle anderen
Trotzdem sollte in einer Gemein-      mal wurden projektierte Standorte     „Gemeinsam Erleben“. Nur wenige           oder bei etwas Neuem zu scheitern.     rücksichtsvoll. Außerdem bietet sie     Veränderungen immer besser und
schaftsaktion der beteiligten         für die Aktion gewechselt, da sie     Menschen der an der Vorbereitung          Ein weiteres Hemmnis war das Ge-       in ihrer Praxis einige Untersuchungs    leichter gelingen. Daran arbeite ich
(Selbsthilfe-)Gruppen und Organi-     sich aus unterschiedlichen Grün-      des „Erlebnistag Mensch“ beteilig-        fühl, dann wieder etwas nicht be-      möglichkeiten, die mir manche Be-       noch, bin aber zuversichtlich, dass
sationen in Lübeck ein Zeichen für    den als nicht geeignet erwiesen.      ten Gruppen hatten den Weg zum            endet oder versagt zu haben. Lange     suche bei Fachärzt*innen ersparen.      ich auch das schaffen kann.
die Gleichstellung von Menschen       Viele Menschen wirkten intensiv an    Veranstaltungsort gefunden. Darin         funktionierte mein Leben auf diese
                                                                                                                                                                                                                           Claudia Kuhlen
mit Behinderung gesetzt werden.       dem Vorhaben mit, während andere      spiegeln sich auch die vielfach           Weise – irgendwie. Zufrieden oder      Der Umzug der Druckerei ermög-
                                                                                                                                                                                                                           Digitaldruckerei
Es entstand die Idee, zum Aktions-    sich leider zurückzogen, die vor      unsichtbaren Barrieren wider, die         glücklich war ich damit nicht. Das     lichte mir eine Erfahrung, die ich
tag eine Trommelmanifestation zu      Corona aktiv dabei waren.             der Lockdown für gehandicapte
veranstalten. Helga Reihl, Drum-                                            Menschen bedeutet.
Circle-Coach und der Aktion eng       Die Manifestation fand dann am
verbunden, leitete dazu kleine        9. Mai bei schönstem Sonnenwetter     Der „Erlebnistag Mensch & Selbst-
                                                                            hilfetag Lübeck“ ist eine Gemein-
                                                                            schaftsveranstaltung von KISS
  „In der Coronakrise erleben plötzlich sehr viele Men-
                                                                            Lübeck, EUTB –Ergänzende unab-
  schen, was Menschen mit Behinderungen ihr ganzes                          hängige Teilhabeberatungsstelle
  Leben aushalten müssen: beeinträchtigt zu sein im                         Lübeck I, Treffpunkt Down-Syn-
  Alltag. Ich hoffe, dass durch die Coronakrise mehr                        drom Lübeck, FAIRverEinen e.V.
  Menschen Respekt und Mitgefühl empfinden für Men-                         und der BRÜCKE Lübeck mit Unter-
  schen, die immer eingeschränkt leben müssen, weil sie                     stützung von Helga Reihl, Drum-
  schwer krank sind oder eine Behinderung haben.“                           Circle, gefördert von der Aktion
          Jan Lindenau (SPD), Lübecks Bürgermeister                         Mensch.                Matthias Göpfert
                                                                                      BRÜCKE Qualitätsmanagement

16                                                                                                                                                                                                                                     17
DIE BRÜCKE - Wir sind da! - DIE BRÜCKE Lübeck
GEMEINDEPSYCHIATRIE                                                                                                                                                                                                           GEMEINDEPSYCHIATRIE

Ein neues Zuhause für ältere Menschen
Über die schöne Eröffnungsfeier und das Einleben in Coronzeiten

Das Haus ist eröffnet: Wolfgang Maaßen, Petra Mezulat (Einrich-   Unser Schmuckstück in der Ziegelstraße 41.                 Stimmungsvoller Empfang mit vielen Gästen:                         Endlich eigene vier Wände mit Balkon! Sieglinde Göhner und
tungsleitung), Sven Schindler (Innensenator Hansestadt Lübeck)    Architekt und Bauleiter: Michael Conrath, Bad Schwartau.   Akkordeonist Jens Kettelsen.                                       Wolfgang Maaßen in ihrem neuen Gemeinschaftsraum.
und Frank Nüsse (Geschäftsführer der BRÜCKE Lübeck).                                                                                                                                                                                     Fotos: Nadine Dietrich

Im Januar 2020 war es soweit: die ersten Bewoh-                   70 Gäste und der Sozialsenator von Lübeck bei der          Austausch bei Suppe und Brot
ner*innen konnten in das neue Wohnhaus für ältere                 Eröffnung
Menschen mit psychischen Erkrankungen in der                                                                                 Frank Nüsse und Wolfgang Maaßen durchschnitten
Ziegelstraße 41 einziehen!                                        Am 28.02.2020 hat dann die offizielle Einweihungs-         dann symbolisch das rote Band im Eingangsbereich:
                                                                  feier stattgefunden. Für die Eröffnungsreden, Buffet       Damit war das Haus offiziell eröffnet! Dann wurde zum
Schon Monate zuvor hatten die künftigen Bewohner*in-              und Get-together wurden die Gemeinschaftsräume und         Buffet geladen und die Anwesenden nutzten ausgiebig
nen den Baufortschritt verfolgt und mit Spannung den              die zu diesem Zeitpunkt noch nicht bezogene zweite         die Gelegenheit, die Räumlichkeiten in Augenschein zu
Einzugstermin erwartet. Baustellenbesichtigungen und              Etage genutzt, um trotz Besucherandrangs die Privat-       nehmen. BRÜCKE-Mitarbeiterinnen beantworteten                      Gedanken zum Neuanfang
Belegungsplanungen, bei denen möglichst alle Wünsche              sphäre der Bewohner*innen zu schützen. Der große           viele Fragen und eine Bewohnerin hatte sich bereit
berücksichtigt werden sollten, verkürzten dann aber die           Tag startete um 11 Uhr. Die Bewohner*innen hatten          erklärt, ihr möbliertes Zimmer zu zeigen. Viele nutzten            Die Vorfreude war groß! Endlich ins neue Heim in der
Wartezeit. Die Wohngruppen wurden neu gemischt und                sich frühzeitig ihre Plätze gesichert.                     die Zeit für Gespräche und auch die Bewohner*innen                 Ziegelstraße. Wie habe ich mich nach diesem neuen
nach und nach füllte sich das neue Wohnhaus.                                                                                 genossen die Feier und gaben gerne Auskunft über ihre              und modernen Zuhause gesehnt. Ein großes, helles
                                                                  Zu Beginn begrüßte BRÜCKE-Geschäftsführer                  neue Wohnsituation.                                                Zimmer mit schöner Aussicht und Balkon. So richtig
Das erste Einleben ging dann relativ schnell. Es wurde            Frank Nüsse die rund 70 Gäste und dankte allen an                                                                             zum Wohlfühlen. Zügig hat sich die Wohngruppe zu-
geräumt, gewerkelt und Möbel angeliefert. Jeder war               diesem Bauprojekt beteiligten Personen. Auch               Statt Nähe und Austausch: Corona-Distanz                           sammengefunden. Gruppenübergreifend hat man sich
damit beschäftigt, sich nach seinen Vorstellungen ein-            Sozialsenator Sven Schindler war der Einladung ge-                                                                            zum Frühstück, Würfelspielen oder Spazierengehen
zurichten. Die neu formierten Gruppen haben sich gut              folgt, mit guten Wünschen und lobenden Worten im           Nun sollte das neue Konzept umgesetzt und das Haus                 getroffen.In der Eingewöhnungszeit ab Februar 2020
zusammengefunden. Die Raucher treffen sich nun auf                Gepäck. Die Einrichtungsleiterin Petra Mezulat berich-     mit Leben gefüllt werden. Dazu zählten ein wohngrup-               erschwerte die Coronakrise den Neuanfang. Die ersten
den Balkonen zum Plausch, alle zwei Wochen wird die               tete von den intensiven letzten Vorbereitungen und         penübergreifendes Nachmittagsangebot wie auch die                  Wochen waren für mich und die anderen Mitbewohner
Fahrkunst der Müllabfuhr bewundert, wie sie es durch              Wolfgang Maaßen schilderte als Vertreter der Bewoh-        Treffen und die Kontaktpflege der Bewohner*innen in-               anstrengend. Fast täglich gab es neue Anweisungen
die enge Wachtstraße schafft – und die Blumengrüße                ner*innen eindrucksvoll, mit welchen Gefühlen sie alle     nerhalb ihrer alten Gruppen. Doch dann kam Corona                  zum Umgang mit dem Virus. Trotzdem fühlte ich mich
zum Einzug wurden im Garten eingepflanzt.                         den Bezug des Wohnhauses erlebt hatten.                    und aus dem Haus der Begegnung wurde ein Haus der                  gut aufgehoben und betreut. Dies erforderte viel Kraft
                                                                                                                             Distanz. Mit viel Verständnis gingen alle mit der neuen            und Disziplin. Persönliche Kontakte in diesen Wochen
                                                                                                                             Situation um. Die Kontakte in den Gruppen halfen, der              fehlten. Mir hilft das Gruppenleben, um diese Zeit zu
                                                                                                                             Einsamkeit entgegenzuwirken. Um nicht zu sehr ins                  meistern – auch wenn Spannungen nicht ausbleiben.
                                                                                                                             Grübeln zu geraten, wurde dann doch mal unterein-                  Gemeinsame Mahlzeiten und Gespräche lenken ab.
                                                                                                                             ander angeklopft, geklönt, Kaffee getrunken und sich               Diese Gemeinschaft hat mich gestärkt. Mein Leben hat
      Das sagt das Landesinnenministerium Schleswig-Holstein zu unserem Neubau:
                                                                                                                             abgelenkt. Zum Glück kehrt seit einiger Zeit langsam               sich entschleunigt, ich lebe bewusster, überdenke viele
      „Dieses Bauprojekt der BRÜCKE hat Vorbildcharakter in Schleswig-Holstein. Häuser                                                                                                          Dinge und ordne sie neu ein.
                                                                                                                             wieder Normalität ein. Aber bis zur endgültigen Umset-
      für bedarfsgerechtes Wohnen für ältere Menschen mit Unterstützungsbedarf werden                                        zung des Konzeptes wird es wohl noch etwas dauern.                                                              Wolfgang Maaßen
      langfristig nicht nur in Lübeck benötigt. Das Konzept des begleiteten und unterstützten
      Wohnens mit einer breiten Palette von Diensten und Angeboten für Assistenz, Thera-                                     Bei Interesse können sich Menschen, die chronisch
      pie, Pflege und Ansprechbarkeit ist hervorragend umgesetzt worden. Deshalb haben                                       psychisch krank und älter als 60 Jahre sind, einen
                                                                                                                             Behinderungsgrad von 50 oder höher und einen Wohn-                  Kontakt
      wir als Innenministerium dieses wichtige Projekt gerne mit einem Darlehen und einem                                                                                                        Wohngruppen für ältere Menschen
                                                                                                                             berechtigungsschein haben, an DIE BRÜCKE Lübeck
      Zuschuss unterstützt.“                                                                                                                                                                     Tel.: 0451/ 583 449 80
                                                                                                                             wenden.
                                                                                                                                                                                Petra Mezulat    p.mezulat@diebruecke-luebeck.de
                                                                                                                                                                          Einrichtungsleitung

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