Mittagstisch - Journal - Mittagstisch St. Michael
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Mittagstisch – Journal Ausgabe 2020/2021 Editorial Liebe Fördernde und liebe Mitglieder des För- dervereins Mittagstisch St. Michael e.V., liebe Freundinnen und Freunde des Mittagsti- sches St. Michael, in diesem Winter war es für kurze Zeit mal wie- der möglich in Göttingen, denn wir hatten mal wieder einen „echten“ Winter mit viel Schnee und eisigem Frost! So konnte man sich ein Haus aus Schnee, ein Obdach aus Eis, also ein Iglu bauen, innen gemütlich ausstatten und sich ein paar Tage daran erfreuen! ein Dauerbrenner in den Schlagzeilen und in diesen Tagen der Corona-Pandemie erfährt es zusätzliche Dringlichkeit. Gerade für solche Menschen, denen „ein Dach über dem Kopf“ fehlt oder die in einer schwe- ren Lebenslage, die arm und auf tätige Hilfe an- gewiesen sind – gerade für solche Menschen ist der Mittagstisch St. Michael da. Für diese Men- schen ist er eine Anlaufstelle, ein Treffpunkt und bietet neben dem warmen Mittagessen für Eiskalte Aktion: Sebastian hat ein Iglu gebaut… 2 Stunden das Dach über dem Kopf, eine Mög- lichkeit zum Aufwärmen und zur Gemeinschaft. Die weitaus meisten Menschen in unserer Und so kommen unsere Gäste mit dieser mit- Stadt bzw. unserer Region wohnen komfortab- täglichen Stunde besser über den Tag, schaffen ler und können ihre Wohnung zurecht ihr Zu- ihr Leben an diesem Tag. hause nennen, fühlen sich sogar beheimatet – Gott sei Dank! Doch nicht alle können sich eine Warum erwähne ich dies? Wozu beginne ich Wohnung leisten, einige wollen es auch gar mit einem Iglu? Nun, in diesem Winter hat ein nicht – das Thema „bezahlbarer Wohnraum“ ist junger Mann in Göttingen ein Iglu gebaut; er
Mittagstisch - Journal Ausgabe 2020/2021 Vereine und Clubs haben ihr Weihnachtsessen hat es geöffnet, für die Besichtigung um Spen- bzw. den Geldbetrag, den sie dafür ausgegeben den gebeten und diesen Betrag direkt an die Leiterin des Mittagstischs gespendet, immer- hätten, zur Verfügung gestellt; die Jugendab- hin 169,70€! teilung eines Sportvereins hat fleißig mitgear- beitet; aus der Schülerschaft des Otto-Hahn- Und wenn Sie sich das Bild des Inneren dieses Gymnasiums kamen unzählige Weihnachtspa- Iglus ansehen, bemerken Sie sofort die gemüt- kete für die Gäste des Mittagstisches. Und liche Ausstattung mit Lammfellen, ja es sprin- selbstverständlich haben unsere Mitglieder gen Ihnen die leuchtenden Kerzen in die Augen. durch ihre Spenden und Mitarbeit weiter den Grundstein fürs Überleben des Mittagstisches gelegt und haben zusammen mit den Dauer- Fördernden die Basis für das Weiterbestehen des Vereins und des Mittagstisches geschaffen, denn ca. 75% der Einnahmen kommen aus Ein- zel- und Mehrfachspenden! Schauen Sie sich daher bitte auf den folgenden Seiten die Bilder, die Berichte und die Zahlen zu diesem „merk- und denk-würdigen“ Jahr an. Mein Fazit lautet: Wir können stolz sein, dass der Mittagstisch und der Förderverein von so vielen Personen, Firmen und Institutionen mit- getragen wird und wir somit diese „not-wen- dige“ Arbeit leisten können: den Bedürftigen zeitweise ein Dach über dem Kopf und eine warme Mittagsstube zum Essen anzubieten. „Wir haben das geschafft!“, möchte ich sagen … dabei sind rund 170 Euro Spendengelder – und erfreulicherweise ist unser „Wir“ noch zusammengekommen. Tolle Sache! stärker geworden, denn wir hatten einen Mit- gliederzuwachs von über 22%! Diese Aktion steht stellvertretend für viele: Im vergangenen Jahr, das von der Corona beding- Ich wünsche mir, dass „Wir schaffen das!“ auch ten Sondersituation beim Mittagstisch geprägt weiterhin gilt, und ich bin ermutigt vom Glau- war, haben wir vielfältige Unterstützung und ben und von der Tatkraft der vielen Helfenden! Hilfe erfahren dürfen! Oft aus unvermuteten – Freuen Sie sich also auf das Schmökern in die- Ecken der Göttinger Zivilgesellschaft wurden sem Heft. Blättern Sie um!! uns Geld- oder Sachspenden zuteil. Daher konnte der Mittagstisch das ganze Jahr über of- fen bleiben und daher konnte unser Verein Georg Bartelt, viele laufende Tätigkeiten und nötige Investiti- Vorsitzender Förderverein onen großzügig unterstützen. Lesen Sie bitte „Mittagstisch St. Michael e.V. hierzu die Berichte der Leiterin und des Trä- gers! 2
Mittagstisch - Journal Ausgabe 2020/2021 1. „Es ist eine Herausforderung, aber wir packen das gemeinsam“ Bericht der Leiterin des Mittagstisches für Während dieser Arbeiten konnte die Küche das Jahr 2020 nicht genutzt werden was für uns Improvisati- onsgeschick erforderte. Neben den Küchen, die Das Jahr 2020 stand unter dem Damokles- uns schon vorher an zwei bis drei Tagen in der schwert der Corona Pandemie. Die ersten Ein- Woche mit Essen beliefert hatten, bekamen schränkungen für die Gäste begannen im Früh- wir auch Essen von der Restaurantküche Buller- jahr 2020. Die Tische wurden vereinzelt, nur jahn und der Ausbildungsküche der BBS 3. Das eine Person am Tisch. Ein allgemeines Rauch- Kochen am Wochenende fand auf vier E-Herd verbot in den Räumlichkeiten wurde ausge- Platten im Gastraum statt und um zu viel Ab- sprochen. Wir begannen Stoffmasken zu ver- wasch zu vermeiden, musste in dieser Zeit auf teilen, die uns von Bürgern der Stadt geschenkt Plastikgeschirr zurückgegriffen werden. wurden. Nachdem alle Gaststätten und Restau- rants schließen mussten, kam es auch zur Dank Corona fielen fast alle Wochenendteams Schließung unserer Gasträume und die Essens- aus und wir mussten das Kochen unter unser ausgabe am Personal Eingang begann. Dank kleines Team aufteilen. Es ist eine Herausfor- der Leihgabe des Studentenwerks konnten wir derung, aber wir packen das gemeinsam. Ein das Essen hinter zwei beweglichen Tresen her- Ende ist ja noch nicht abzusehen. ausgeben. Für die Gäste bedeutete dies, Essen Ein positiver Effekt dieses Ausnahmezustandes am Bordstein oder auf den Knien auf den be- war und ist die große Spendenbereitschaft der reitgestellten Stühlen. Die Gäste begannen ver- Bevölkerung. Viele Sach- und Geldspenden gin- mehrt Essen mitnehmen zu wollen. Es wurden gen bei uns ein. Einzelpersonen und Organisa- Gefäße benötigt, die uns nach einigen Aufrufen tionen spendeten dringend benötigte Winter- von Privatpersonen und Organisationen ge- kleidung, Schlafsäcke, Isomatten oder haltbare schenkt wurden und wir immer noch geschenkt Lebensmittel. Zur Weihnachtszeit schenkte uns bekommen. die Schülervertretung des OHG über 100 Weih- Zu Beginn der kalten Jahreszeit erhob sich nun nachtspakete für die Gäste. die Frage, ob wir nicht unter bestimmten Vo- Ein Ereignis ist mir besonders nahe gegangen: raussetzungen den Gästen das Essen wieder in Irgendwann im Dezember stand ein junger den Räumlichkeiten ausgeben könnten. Nach Mann vor mir und übergab mir einen Briefum- einem Besuch von der Sozialdezernentin Frau schlag mit den Worten: „Ihr habt mir vor eini- Broistedt begannen die Vorbereitungen für ger Zeit sehr geholfen. Ich habe unter meinen eine fast normale Essensausgabe, wie sie bis Arbeitskollegen gesammelt und das ist euer heute stattfindet. Weihnachtsgeschenk. 100 € ist für die Mitar- In der Zeit der geschlossenen Räumlichkeiten beiter im Team und 400 € für den Mittags- wurden schon lange angedachte Renovierungs- tisch.“ arbeiten vorgenommen. Die Küche und eine Speisekammer wurden von Handwerkern ge- Anna Werner-Parker, fliest, die Räume wurden von Ehrenamtlichen Leiterin des Mittagstisches gestrichen und alles wieder eingeräumt. 3
Mittagstisch - Journal Ausgabe 2020/2021 2. Bericht aus dem Förderverein herzlich zu danken. Neben den Spenden, die den weitaus größten Teil ausmachen, fördern die Milde Stiftung der Stadt Göttingen und der Gesamtverband des Dekanats mit beträchtli- chen Beträgen. Strafzahlungen, die von der Staatsanwaltschaft weitergereicht werden und ein Sponsoring-Vertrag mit den Stadtwer- ken füllen den Rest. Der Vorstand des Fördervereins: (v. l.) Thomas Maxellon, Die Ausgaben lagen in 2020 mit 90.900 € deut- Pfarrer Ludger Joos, Beatrix Merkel und Georg Bartelt. lich über dem Vorjahresniveau. Die Überwei- sungen an den Trägern für den laufenden Be- . trieb blieben dabei nahezu unverändert. Hin- zugekommen ist nur eine Corona-Gratifikation Mitgliederentwicklung 2020-21 (+22,64%) für die Mitarbeiter, die unter diesen immens erschwerten Bedingungen den Betrieb naht- und klaglos aufrechterhalten haben. Es waren aber auch dringende Investitionen in die Kü- che zu tätigen, an denen sich der Verein mit einem Betrag von 14.200 € beteiligt hat. Da hier das Bonifatiuswerk mitfinanziert hat, musste er nicht die Gesamtlast tragen. Eine Zahlung von 10.000 € an die Straßensozialar- beit der Diakonie, die regelmäßig präsent ist und eine unbedingt notwendige Arbeit in her- vorragender Zugewandtheit und Kollegialität macht, war erforderlich, um dort Haushaltslö- cher aus den Jahren 2018 und 2019 zu stop- Zur Finanzsituation des Fördervereins Mit- tagstisch St. Michael e.V. – 2020 fen. Der Förderverein hatte im zurückliegenden Schließlich hat der Verein, dessen eigene Ver- Jahr zwar etwas weniger Einnahmen als im waltungskosten in der Vergangenheit immer Vorjahr, sie befinden sich jedoch immer noch nahe bei null lagen, im Berichtsjahr mit 3.700 auf einem auskömmlichen Niveau. Von den € einmal kräftig in die Öffentlichkeitsarbeit in- 96.700 € wurden 90.900 € wieder ausgege- vestiert – eine Investition, die sich jetzt schon ben, so dass die Rücklagen „nur“ um 5.800 € als rentierlich erweist. Darin enthalten sind erhöht werden konnten. Da diese aber mitt- auch die Kosten für dieses – d.h. natürlich für lerweile eine Höhe erreicht haben, die es er- das letzte – Mittagstisch-Journal. möglichen, auch eine beachtliche Durststrecke zu überwinden, bleibt hier nur – ohne jedes Wehklagen – den Spendern und Förderern 4
Mittagstisch - Journal Ausgabe 2020/2021 Diese setzen sich im Detail wie folgt zusam- men: 3. „Keine Pause im Corona-Jahr 2020“ Der Blick aus dem Pfarramt Um die Kontakte auch in der Küche und im Per- Als im vergangenen Jahr im ersten Lockdown sonalbereich zu reduzieren, stellten wir auf ein ab Mitte März selbst das Feiern von Gottes- Kernteam um, das bis nach den Sommerferien diensten untersagt wurde, war Kreativität ge- den Betrieb am Leben hielt. Die Hauptlast fragt. In der Kirche legten wir tägliche Impulse wurde von unseren Hauptamtlichen und zwei im Eingangsbereich aus und im Internet gab es sehr engagierten Ehrenamtlichen getragen. bis Pfingsten regelmäßig Livestreams. Auch am Mittagstisch musste improvisiert wer- den. Zunächst dachten wir, eine Plexiglas- scheibe bei der Essensausgabe würde genügen. Aber dann wurde uns die Öffnung der eigenen Räume verboten. Auch fiel das Studentenwerk als Lieferant aus, weil auch die Mensen ge- schlossen wurden. Wir mussten von heute auf morgen umstellen auf Essensausgabe am Personaleingang. Be- sonders hilfreich war dabei, dass uns das Stu- Mittagstisch in Corona-Zeiten: Die Ausgabe dentenwerk zwei Wärmewagen kostenlos zur musste in kürzester Zeit umgestellt werden. Foto: Beatrix Merkel Verfügung stellte, mit denen das Essen im Treppenhaus gut ausgegeben werden konnte. 5
Mittagstisch - Journal Ausgabe 2020/2021 Da nun der Speisesaal als Stauraum genutzt Lösung: Nicht zuletzt aufgrund ihres persönli- werden konnte, nutzten wir die Gelegenheit chen Engagements wurde dem Mittagstisch zur Sanierung der Küche. Ein neuer Fliesenbo- unbürokratisch und schnell vom Bauhof ein den wurde gelegt, die Wände gestrichen, Re- weiterer Unterstand in die Turmstraße ge- gale in den Stauräumen wurden neu sortiert bracht und mit einem Holzdach mit der schon und eine neue Spülstraße eingerichtet. Nach bestehenden Bushaltestelle verbunden. Da- den Investitionen in eine bessere Belüftung der runter können sich jetzt bis zu 15 Personen vor Küche 2019 waren das noch einmal große In- Regen oder auch praller Sonne schützen. Auch vestitionen, die wir mit Hilfe unserer Wohltäter wurden aus dem Corona-Hilfsfond der Stadt in Göttingen aber auch eines Zuschusses vom Mittel zur Finanzierung eines Empfangsdiens- Bonifatiuswerk finanzieren konnten. Die tes für die Winterzeit freigegeben. Dieser Coronakrise hat – das muss man auch sagen – Dienst an der Speisesaaltüre ermöglicht im zu einer Welle von freundlichen Hilfsangebo- Rahmen eines sorgfältig erstellten Hygiene- ten geführt. Wir bekamen jede Menge Masken plans einen geordneten „Schichtbetrieb“: Im- (z.T. handgenäht, später mit FFP2-Qualität), merhin 12 Gäste können seit Mitte November aber auch Desinfektionsmittel und viele Le- gleichzeitig im Mittagstisch an Einzeltischen es- bensmittel geschenkt. Erwähnenswert ist auch sen, derzeit im Schnitt 36 Gäste am Tag. Sie die Investition der Pfarrgemeinde in eine 37,5 müssen am Eingang zum Speisesaal lediglich – kWh - Photovoltaikanlage auf dem Dach der ihre Kontaktdaten hinterlassen und nach etwa Turmstraße 5. Seit November 2020 fließt selbst 25 Minuten den vor der Türe wartenden Gäs- produzierter Strom ins Hausnetz. ten Platz machen. Auch wird seit November wieder ein Kostendeckungsbeitrag von 50 Die für den 27. September geplante Jubiläums- Cent pro Person verlangt. feier zum 30. Geburtstag des Mittagstisches fand in sehr kleinem Rahmen statt. Nach einem Kurz nach der Wiedereröffnung der Speise- Open-Air-Gottesdienst der Kirchengemeinde räume hat Eberhard Walter dafür gesorgt, dass auf dem Parkplatz am Rosengarten organi- auch wieder Kunstwerke die Wände zieren. sierte der Fördervereinsvorstand einen 20- Seit Dezember erfreuen sich unsere Gäste und minütigen Stehempfangs im Innenhof des Mi- Mitarbeiter an den Fotografien von Sabine chaelsviertels. Dort galt es, Dankesworte für 30 Sgonina. Jahre Engagement für Menschen in Not auszu- sprechen und auf das weitere Gedeihen des Die Investitionen in Küchenausstattung und Mittagstischs anzustoßen. Anschließend wur- zusätzliches Personal schlagen sich deutlich im den Geburtstagstorten aufgeschnitten und zu Gesamtbudget des Mittagstisches nieder. Es ist unseren Gästen auf die Turmstraße hinausge- 2020 von 76 000 um 46% auf 110 000 € ange- bracht. wachsen. Der Förderverein des Mittagstisches ist zum Glück sehr gut aufgestellt und konnte Sorge bereitete die Frage, wie in der anstehen- helfen, die Zusatzbelastungen des Trägers ab- den Winterzeit die Verpflegung der Gäste auf- zufedern. An dieser Stelle möchte ich mich rechterhalten werden könnte. Eine Essensaus- ganz herzlich bei Marion Kuß bedanken, die gabe an der Straße wäre bei Minustemperatu- seit vielen Jahren die Buchführung für den Mit- ren für alle Beteiligten eine Zumutung gewe- tagstisch stemmt. Auch für 2020 hat sie die Ge- sen. Da unter den Ehrengästen am Jubiläums- winn- und Verlustrechnung mit großer Präzi- tag auch Kultur- und Sozialdezernentin Petra sion und einigen Nachschichten pünktlich zur Broistedt anwesend war, fand sich eine gute Jahreshauptversammlung vorgelegt. Ab dem nächsten Jahr werden wir sie hier entlasten und einen „Sonderhaushalt Mittagstisch“ über 6
Mittagstisch - Journal Ausgabe 2020/2021 die Rendantur in der Heinrichstraße erstellen beitragen, dass der Mittagstisch auch unter lassen. schwierigsten Rahmenbedingungen ein ver- lässlicher Ort ist für Menschen in Not. Im Namen der Kirchengemeinde Sankt Michael bedanke ich mich herzlich auch bei allen ande- ren haupt- und ehrenamtlich Engagierten. Ebenso ein großes Dankeschön all jenen, die Pfarrer Ludger Joos SJ von außen und nicht selten sehr diskret dazu 4. 30 Jahre Mittagstisch – Großes Jubiläum in kleiner Runde 2020 war ein wichtiges Jahr für den Mittags- für Hilfebedürftige darstellt, nun schon. Grund tisch, alle ehren- und hauptamtlichen Mitarbei- zum Feiern gibt es zwar ausreichend, doch im terinnen und Mitarbeiter, alle Gäste, Freunde Corona-Jahr ist alles anders und so musste das und Förderer: Seit 30 Jahren gibt es diese Ein- große Jubiläum im kleinen Rahmen stattfinden. richtung, die täglich eine wichtige Anlaufstelle Zum Festakt im kleinen Rahmen begrüßte Göttingens City-Seelsorger Ludger Joos (links) nur wenige geladene Gäste. Foto: Per Schröter/HNA Sozialdezernentin Petra Broistedt (rechts) half dabei, die Mittagstisch-Geburts- tagstorte anzuschneiden. Foto: Per Schrö- ter/HNA 7
Mittagstisch - Journal Ausgabe 2020/2021 „Eine warme Mahlzeit für alle“ – Extra Tip, Sonntag 17. Oktober 2020 „Treffpunkt an der Turmstraße: 30 Jahre Mittagstisch St. Michael in Göttingen“, Göttinger Tageblatt, 27.09.2020 8
Mittagstisch - Journal Ausgabe 2020/2021 5. Was macht eigentlich…. „Geschenk des Himmels“, das ich gerne ange- nommen habe – zumal Hildesheim auch die Fi- nanzierung von Herrichtung und Ausstattung der Räume für einen eigenen Mittagstisch weit- gehend und sehr großzügig übernahm. Den- noch blieb für uns und konkret vor allem für mich selbst eine Menge von Arbeit: Wer wird Träger der Einrichtung - die Caritas oder Sankt Michael? Was muss im Einzelnen mit der Stadt Göttingen abgeklärt werden? Welche Geneh- migungen sind erforderlich? Wer leitet den Be- … Mittagstisch-Gründer Pater Graab? trieb des Mittagstisches? Wie gewinnen wir eh- Pater Heribert Graab, geboren 1933, hat sich in renamtliche Mitarbeiter*innen? Wie ist das seiner Göttinger Zeit (1986 bis 2008) sehr ver- Wohlwollen der Geschäftsleute auf der Kurzen dient um die St. Michael Kirchengemeinde ge- Straße für dieses Projekt zu gewinnen? Und, macht. Er war Pfarrer am St. Michael und City- und, und… All das machte eine Fülle von Ge- seelsorger und hat vor dreißig Jahren den Mit- sprächen, Konferenzen und Bittgängen erfor- tagstisch ins Leben gerufen. Der gebürtige Kre- derlich. Und all das gelang vor allem mit der felder lebt seit 2008 in Köln, ist ein engagiertes Unterstützung des Pfarrgemeinderates und von Mitglied der Jesuitenkirche St. Peter und arbei- engagierten Gemeindemitgliedern. Strukturen tet auch in der Pax-Christi-Gruppe mit, der in- und Zuständigkeiten entwickelten sich erst ternationalen katholischen Friedensbewegung, langsam. Ein großer Schritt vorwärts wurde ge- deren Motto „Frieden schaffen ohne Waffen“ tan, als Ralf Reinke die Leitung des Mittagsti- Pater Graab sehr persönlich antreibt. In der ak- sches übernahm. Ihm verdankt der Mittags- tuellen Pandemiesituation lernt dieser die sozi- tisch vieles von dem, was schließlich daraus alen Medien schätzen, insbesondere die Kom- wurde. munikation über Meeting-Plattformen und On- line-Gottesdienste. Können sie sich an den ersten Tag, der Essens- Für uns erinnert sich Pater Graab an die An- ausgabe erinnern? fänge des Mittagstischs. Auf dem Hintergrund der Herausforderungen vor dem Start des Mittagstisches muss ich ge- Im Zeitraum, bevor der Mittagstisch initiiert stehen, daß ich mich an Einzelheiten seiner Er- wurde, haben Sie den Menschen Geld oder Es- öffnung und an die erste Essensausgabe kaum sens-Gutscheine ausgehändigt. Welche Vor- noch erinnere. teile haben Sie gesehen, wenn die Gäste eine feste Anlaufstelle wie den Mittagstisch ha- Der Mittagstisch ist im September 30 Jahre alt ben? geworden und fest etabliert in Göttingen. Sind Die Essens-Gutscheine waren wohl eher eine sie stolz, wenn Sie dieses lesen? Was macht Notlösung. Ein kleines Imbiss-Lokal in der Nach- das mit Ihnen? barschaft war dabei unser Partner. Als der dann Um ehrlich zu sein, hätte ich zu Beginn kaum zu aus Altersgründen aufgab, bot uns das Bistum hoffen gewagt, dass es überhaupt zu einem Hildesheim etwa gleichzeitig die Nutzung der dreißigjährigen „Jubiläum“ kommen würde. Räume auf der Turmstraße an. Das war ein Dass es dazu kam, erfüllt mich mit Freude. Dar- über hinaus bin ich vor allem all denen dank 9
Mittagstisch - Journal Ausgabe 2020/2021 bar, die sich in den vielen Jahren für diese sozi- schon etliche gibt - z.B. mit Drogenhilfe, Stra- ale Einrichtung engagiert haben, die sie geför- ßensozialarbeit und Diakonie. dert, weiterentwickelt und finanziell abgesi- chert haben. Auch meinen Nachfolgern bin ich Wünschenswert wäre es in meinen Augen, dankbar, dass sie sich als Pfarrer ganz hinter wenn die Gemeinde Sankt Michael hier und da den Mittagstisch stellten und dafür ihren Teil die Gäste des Mittagstisches zu Festen oder der Verantwortung übernahmen. sonst geeigneten Veranstaltungen einladen würde. Dazu wäre eine engere Zusammenar- Durchschnittlich gibt der Mittagstisch täglich beit zwischen Gemeindemitgliedern und Enga- an 37 Personen Essen aus. Durch die Lebens- gierten der Gemeinde einerseits, sowie Mitar- mittelspenden und Foodsharing können die beiter*innen und Gästen des Mittagstischs an- Kosten für das Essen gesenkt werden. Zuletzt dererseits erforderlich. Gelingen könnte so et- hat ein Ortsansässiger Fleischer 40 Kilogramm was, wenn die Initiative dazu jeweils aus dem Fleisch gespendet. Die Rotarier Sternwarte Kreis der Beteiligten auf beiden Seiten käme. hatte das traditionelle Weihnachtsessen an Ein typisch „kölsches“ Beispiel fällt mir dazu ein, den Mittagstisch gespendet. Hätten Sie mit so das natürlich nicht auf Göttingen zu übertragen einem Zuspruch gerechnet? ist: In Köln gibt es seit etlichen Jahren eine Kar- Von Anfang an lebt der Mittagstisch von dem nevalssitzung für Obdachlose. Auch die lebt von persönlichen und auch finanziellen Einsatz sehr, denen, die sich immer wieder dafür engagieren, sehr vieler Menschen und auch von dem politi- und sie stirbt möglicherweise auch wieder, schen Rückhalt im Bistum und in der Stadt. wenn es diese Leute nicht mehr gibt. Sehen sie den Bedarf weiterer Unterstützung Was wünschen Sie dem Mittagstisch? für die Gäste? Sollte das Angebot des Mittags- Natürlich wünsche ich vor allem den Gästen des tisches ausgeweitet werden? Was würden sie Mittagstisches und überhaupt den Bedürftigen sich wünschen? in Göttingen, dass es dieses soziale Angebot Eine Einrichtung wie der Mittagstisch kann nie- „von unten“ auch in Zukunft noch möglichst mals auf eigenen Füßen stehen. Insofern wird lange gibt. Schön wäre, wenn vor allem jene er immer auf Unterstützung und persönliches Ansätze weiterentwickelt würden, die auch den Engagement angewiesen sein. Je mehr Men- Gästen selbst Möglichkeiten des Engagements schen engagiert sind, um so mehr bringen sie ermöglichen. Und allen Beteiligten wünsche ich eigene Ideen, Anregungen und auch ihre per- eine möglichst lebendige Phantasie, viel Kreati- sönlichen Fähigkeiten mit ein. Bereits bisher vität und ein feines Gespür für das, was jeweils wurde viel Hilfreiches realisiert – u.a. auch notwendig, was jeweils machbar, und was je- schon eine Art „Winterhilfe“ mit Schlafsäcken weils der Würde von Menschen dienlich ist. In und Isomatten, sowie eine Zeit lang sogar ein- der Gemeinde Sankt Michael bleibt hoffentlich mal wöchentlich eine ärztliche Sprechstunde, auch in zukünftigen Generationen das Wissen für die sich damals ein Arzt von „Neu-Maria- um die Einladung Jesu lebendig: „Was ihr für ei- Hilf“ ehrenamtlich zur Verfügung stellte. Aber nen meiner geringsten (Schwestern und) Brü- selbstverständlich wäre es nicht hilfreich, wenn der getan habt, das habt ihr mir getan.“ (Mt. die Verantwortlichen den Mittagstisch und des- 25, 40) sen Möglichkeiten überforderten. Wichtiger sind vielmehr Kooperationen, von denen es Dieses Interview führte Thomas Maxellon im März 2021 10
Mittagstisch - Journal Ausgabe 2020/2021 6. „2020 war ein Ausnahmejahr“ Gruß aus der Stadtverwaltung Liebe Leserinnen und Leser, 2020 war ein echtes Ausnahmejahr! Es stand im Zeichen der Pandemie. Wir alle haben große Veränderungen im Alltag erfahren: Schließung des Einzelhandels, der Hotels –und Gaststät- ten, der Kultureinrichtungen, vieler Sport- und Freizeitangebote haben unser Leben geprägt. Gemeinsam sind wir durch verschiedene Stu- fen des Lockdowns gegangen, haben gelernt, Es grüßen: Petra Broistedt und Christian Abstand zu halten und mit Mund-Nasen-Bede- Schmetz. Foto: Stadtverwaltung Göttingen ckungen zu leben. Unser Gesundheits- und Ordnungsamt haben Während viele Arbeitnehmer*innen im Home- in dieser Zeit großartige Arbeit geleistet. Die office arbeiten konnten, haben die Mitarbei- Mitarbeiter*innen waren an sieben Tagen in ter*innen und Freiwilligen des Mittagstisches – der Woche im Einsatz, um Corona-Ausbrüche sicher unter Einhaltung von Abstandsregeln lokal zu begrenzen und eine Ausbreitung des und unter Berücksichtigung von Hygienevor- Virus zu verhindern. Das ist in der Summe gut schriften – einfach weitergearbeitet und an gelungen! Göttingen hatte mit Ausnahme we- 365 Tagen im Jahr Menschen mit wenig Aus- niger Tage im Juni, als es zu Ausbrüchen in Göt- kommen eine warme und günstige Mahlzeit zu- tinger Hochhauskomplexen kam, geringere In- bereitet und angeboten. Eine Leistung, die so zidenzen als der Bundesdurchschnitt. bemerkenswert ist, dass sie an dieser Stelle un- sere besondere Anerkennung und unseren Rückblickend ist festzustellen, dass die Pande- Dank verdient! mie besonders harte Auswirkungen auf Men- schen mit sehr geringem Einkommen hatte. Sie Diesen Einsatz hat die Stadt Göttingen gern un- leben häufig in engen, wenn nicht gar prekären terstützt, und zwar auf zweifachem Wege: Da- Wohnsituationen, was die Verbreitung des Vi- mit die Kund*innen des Mittagstisches sich in rus begünstigt. Zusätzliche Ausgaben für Mas- der Pandemie unter Wahrung von Abstandsre- ken und Hygieneartikel sind grundsätzlich geln draußen auch bei Regen trockenen Fußes schwer zu schultern, wenn das Portemonnaie aufhalten können, hat der Bauhof der Stadt klein ist. Und Homeschooling der Kinder war Göttingen eine zweite überdachte Unterstell- für viele eine Herausforderung, auch weil das möglichkeit errichtet. Und damit der Speisesaal tägliche Mittagessen in der Schule wegfiel. coronagerecht genutzt werden kann, wurden neben der regulären Förderung aus der Göttin- Gut, dass der Mittagstisch St. Michael für seine ger Milde Stiftung in 2020 und 2021 zusätzliche Kund*innen da war und DURCHGÄNGIG seinen Mittel aus dem Hilfsfonds der Stadt Göttingen Betrieb aufrechterhalten hat! bewilligt – gut angelegtes Geld, wie wir mei- nen. 11
Mittagstisch - Journal Ausgabe 2020/2021 Im Namen der Stadt Göttingen danken wir al- sich also impfen, wenn sie „dran“ sind. Impfen len Beteiligten herzlich für den geleisteten Ein- ist der wirkungsvollste Schutz vor dem Virus. satz. Noch sind wir in Sachen Virus nicht über den Berg. Auch in 2021 heißt es: Abstand halten und Masken tragen. Aber ein Lichtblick ist da: wir können uns impfen lassen. Die Stadt Göt- tingen hat auf der Siekhöhe im Auftrag des Lan- des ein Impfzentrum eingerichtet und bietet im Laufe diesen Jahres allen Impfwilligen ein Impf- angebot an. Bitte haben Sie Geduld. Termine sind abhängig von der Verfügbarkeit von Impf- Bleiben Sie gesund. stoff. Weil es aktuell noch zu wenig Impfstoff gibt, wird nach vorgegebenen Prioritäten ge- impft: Menschen mit hohem Risiko auf Petra Broistedt, Dezernentin für Kultur und So- schwere oder tödliche Krankheitsverläufe zu- ziales und erst. Eines können wir dabei sagen: Alle einge- Christian Schmetz, Erster Stadtrat Göttingen setzten Impfstoffe haben eine hohe Wirksam- keit und eine gute Verträglichkeit. Lassen Sie 7. Spendenaktionen Spülstraße -eine tolle Errungenschaft Im Jahr des 30. Geburtstages wurde die alte Spüle durch eine moderne Spülstraße ersetzt. Das Abspülen wird in einer Küche häufig unter- schätzt und doch ist es eine Schlüsselstelle. Ge- Was zuvor von mühseliger Handarbeit und schirr, Tassen, Töpfe, Besteck und weiteres Zu- Platzmangel geprägt war…. behör muss während des Kochens oder der Ausgabe teilweise mehrfach gereinigt werden. Der Ablauf dieser Tätigkeit wurde durch die Neuerwerbung perfektioniert. Das schmutzige Geschirr kann nun von links nach rechts durch sie Spülstraße wandern, unnötiges hin und her räumen sind nun passé. Die neue Spüle ist hö- her und ergonomischer dadurch haben die Be- nutzer weniger Rückenschmerzen. Bei der al- ten Spülmaschine würde bei jedem Öffnen der Spülmaschinenklappe warme und feuchte Luft …wird nun zu einem wahren Spül-Erlebnis. 12
Mittagstisch - Journal Ausgabe 2020/2021 in den Küchenraum abgegeben. Dieses sorgte Geschenktes Essen am Ende eines Tages nicht selten für tropische Am 21. Oktober spendete „Best of Döner Lie- anmutende Temperaturen und eine sehr hohe ferservice“ den Gästen des Mittagstisches Luftfeuchtigkeit in der Küche. Die neue Spül- ein komplettes Menü. Es gab Pizza, Döner- maschine pumpt jetzt diese feuchte Wärme ab, fleisch, Salat, Krautsalat und Soßen. schickt diese durch einen Wärmetauscher, wärmt kaltes Wasser damit auf und sorgt für eine angenehmere Arbeitsumgebung. Zusätz- lich kann nun eine Person allein diese Aufgabe übernehmen. Gerade in Hinblick auf die redu- zierte Personalstruktur zu „Coronazeiten“ war diese Anschaffung sehr gut. Auch die Umwelt wird profitieren, da das Spülgut nur noch kalt vorbehandelt werden muss, der Wärmetau- scher in der Maschine die Restwärme nutzt und der Strom und Wasserverbrauch gesenkt wurde. Die Investitionen für diese neue Ma- schine betrug insgesamt ca. 12.000 Euro. Das Bonifatius Werk subventionierte die Anschaf- fung mit 5.000 Euro und so brauchte der För- derverein nur den Restbetrag von 7.000 Euro übernehmen. Durch den Verkauf der alten Spülmaschine und auch der alten Spüle konn- ten 2.300 Euro erzielt werden. Edelstahlbleche im Vorratsraum Geldspende Die Metallbaufirma Fricke aus Harste erstellte und montierte zwei Edelstahlbleche für den Am 21. Oktober klingelt ein ehemaliger Gast Vorratsraum. Das Foto zeigt die beiden Bleche. des Mittagstisches an der Tür und übergab das Ein Blech dient als Wandabschluss für den Geld (siehe Bild) an Anna Werner Parker. Es Tisch. Das andere Blech verbirgt Wasserleitun- sagte er war vor Jahren selbst Gast und wollte gen am Boden. sich für die damalige Unterstützung bedanken. 13
Mittagstisch - Journal Ausgabe 2020/2021 Regalschienen im Vorratsraum Iglu Nach einem Facebook Aufruf meldete sich Sebastian hat aus Schnee ein Iglu gebaut. An- der Metallbauer Jens-Uwe Nielsen und half schließend durften sich Göttinger*innen das nach der Renovierung des Vorratsraumes, Iglu gegen eine Spende anschauen. Hierbei ka- diesen wieder einzurichten. Das wurden men 169,70 Euro zusammen. Regalschienen gekürzt und montiert. Leisten gegen Mäuse Hausmeisterservice Oberdiek installierte Leis- Wärmeschutz-Rollos im Gastraum ten unter allen Türen des Mittagstisches, damit die Mäuse nicht mehr unter den Türen durch- Kai Thielen von der Firma Garten- und Land- huschen können. schaftsbau Thielen montierte Wärmeschutz- Rollos im Gastraum des Mittagstisches. Herzlichen Dank all jenen, die die Arbeit des Mit- tagstischs mit Zeit- und Geldspenden, handwerkli- chem Know-how oder Lebensmitteln unterstüt- zen. Nur durch die zahlreichen helfenden Hände können täglich viele Menschen versorgt werden! 14
Mittagstisch - Journal Ausgabe 2020/2021 8. Politiker zu Gast beim Mittagstisch Jürgen Trittin war am 1. September 2020 beim Mittagstisch zu Gast. Stadtrat Marcel Riethig sieht sich in der Küche des Mittagstischs um. 15
Mittagstisch - Journal Ausgabe 2020/2021 9. Neues von der Straßensozialarbeit Unter besonderen Umständen – Street- work während der Pandemie Das Jahr 2020 startete wie gewohnt. Business as usual. Die Streetworker*innen des Diakonie- verbandes, genauer, der Straßensozialarbeit und des Drogenberatungszentrums, suchten neben diversen anderen Plätzen in Göttingen auch die Gäste beim St. Michael Mittagstisch auf, um mit ihnen in Kontakt zu kommen und Beratung anzubieten. Das grundsätzliche Ziel ist dabei immer, die Lebenslagen der Gäste zu verbessern, sollte dies erforderlich und ge- wünscht sein. Die Herangehensweisen beider Institutionen sind im Grundsatz ähnlich. Von Seiten der Straßensozialarbeit sahen die Hilfsangebote wie folgt aus: Die Streetworker*innen boten bis März 2020 Wächst mit seinen Aufgaben: Mike Wacker regelmäßig drei Mal die Woche eine Bera- spricht über Streetwork in der Pandemie. tungsstunde in den Räumlichkeiten des St. Mi- Foto: Diakonie chael Mittagstisches an. Dieses Angebot gab es bereits seit November 2018. Beratung nicht eingestellt werden musste, son- Die Mitarbeitenden des Drogenberatungszent- dern „auf der Straße“ oder anders: „unter rums suchen die Gäste hauptsächlich direkt in freiem Himmel“, stattfinden konnte. der Turmstraße auf, um Unterstützungsleistun- Nicht nur die Gäste, sondern auch die Mitarbei- gen anzubieten. Die Angebote wurden durch- tenden mussten sich auf die neue Situation ein- gängig intensiv und rege von etlichen Gästen stellen. Mit Hilfe der „Task-Force“ des Diako- genutzt. nieverbandes Göttingen wurden Handlungs- leitlinien von den jeweiligen Institutionen zum Mit dem Ausbruch des Coronavirus veränderte Streetwork in Coronazeiten erarbeitet, welche sich ab März 2020 jedoch vieles grundlegend. den Akteuren Handlungssicherheiten boten, Es mussten betriebliche und organisatorische Veränderungen vorgenommen werden, die na- um risikofreie Kontakte zu den Gästen zu ha- türlich den Mittagstisch, aber auch die Mitar- ben. Dazu gehörten die eigene Maskenpflicht beitenden des Diakonieverbandes betrafen. Ab der Mitarbeitenden, die Einhaltung der AHA- März 2020 konnte die Beratungszeit in den Regeln, immer ein Desinfektionsmittelfläsch- Räumlichkeiten des Mittagstisches nicht mehr chen dabei zu haben und vieles andere. angeboten werden. Um den Menschen weiter- Die Aufgaben der Streetworker*innen wurden hin Unterstützung anzubieten, wurden Hygie- durch die neuen Umstände nochmal vielfälti- nekonzepte erarbeitet, damit das Angebot der ger. Einige der neuen Aufgaben waren die Auf- klärung über das Coronavirus, das Verteilen 16
Mittagstisch - Journal Ausgabe 2020/2021 von Informationsblättern zum Umgang mit zu den Usern kann auch der Wunsch einer Ver- dem Coronavirus (in verschiedenen Sprachen), änderung vom Leben mit der Sucht geäußert ebenso wurden anfangs kostenlos selbstge- werden. So können die Gäste des Mittagsti- nähte Stoffmasken ausgegeben, später dann sches gezielt in spezielle Angebote der Drogen- OP-Masken. beratung vermittelt werden. Die altbewährte Arbeit lief parallel dazu, diese Im vergangenen Jahr wurden vermehrt, im Ver- bestand und besteht darin, das weitergehende gleich zum Vor-Corona-Jahr, drogengebrau- Unterstützungsleistungen wie zum Beispiel chende Gäste des Mittagstischs an substituti- Hilfe beim Ausfüllen eines Sozialleistungsan- onsbehandelnde Ärzte vermittelt. Eine Ursache trags gegeben werden, die Vermittlung in ei- für den Anstieg der Vermittlung war laut Anga- gene und weiterführende Dienste wie die ben der Streetworker*innen des Drogenbera- Wohnraumvermittlung oder das Angebot, eine tungszentrums, dass durch die Lockdowns die Posterreichbarkeitsadresse in der Straßensozi- Einnahmen vom Pfandflaschensammeln und alarbeit einzurichten. Betteln merklich zurückgingen, da einfach we- Die Streetworker*innen des Drogenberatungs- niger Passanten unterwegs waren, und somit zentrums haben, wie oben schon erwähnt, Drogen schlechter finanzierbar waren. Des grundsätzlich eine ähnliche Arbeitsweise. Sie Weiteren wurden einige Personen zur Entzugs- bieten aber zusätzlich eine niedrigschwellige behandlung in das Asklepios Fachklinikum und Vermittlung in abstinenzorientierte Behand- zu Fachgesprächen an die höherschwellig ar- lungsangebote im Drogenberatungszentrum beitenden Kolleg*innen des Drogenberatungs- an, vermitteln an Substitutionsärzte, geben In- zentrums vermittelt, um mit ihnen gemeinsam formationen zu einem sicheren Umgang mit an einem Weg Richtung Abstinenz zu erarbei- Konsumbesteck für harte Drogen („Safer-Use“) ten. und bieten Hilfestellungen in Sozialrechtsange- Im letzten Jahr kamen trotz Corona sehr viele legenheiten. Ebenso verteilen sie kostenlose Kontakte von Seiten der Straso und dem Dro- abgepackte Konsumbestecke („Safer-Use-Ma- genberatungszentrum zu diversen Gästen des terialien“, auch „Care-Packs“ genannt), an Ge- Mittagstisches zustande, um die Lebenslagen braucher*innen von harten Drogen wie Heroin kurzfristig, aber auch an der ein oder anderen oder Flex. Diese „Safer-Use-Materialien“ sind Stelle nachhaltig und langfristig zu verbessern. hauptsächlich zur Gesundheitsprophylaxe und Dabei konnten wir durchgängig auf die überaus zum Infektionsschutz gedacht, noch genauer, gute und von gegenseitiger Wertschätzung und zum Schutz vor ansteckenden Krankheiten wie Respekt getragene Zusammenarbeit mit allen zum Beispiel AIDS oder Hepatitis. Dabei wur- Mitarbeitenden des Mittagstischs zurückgrei- den u. a. saubere Spritzen ausgegeben, damit fen. In diesem Zusammenhang sind vor allem Konsumutensilien nicht geteilt werden müs- Pater Ludger Joos und Anna Werner Parker zu sen. Nach Angaben der Mitarbeitenden des benennen. Drogenberatungszentrums wurden wöchent- Die Kooperation zwischen dem katholisch ge- lich mehrere Dutzende solcher „Safer-Use- tragenen St. Michael Mittagstisch und dem Packs“ verteilt. evangelisch-lutherischen getragenen Diakonie- Eine Anmerkung am Rande: Diese Konsumu- verband Göttingen ist gelebte und gelungene tensilien wurden dankenswerterweise von der Zusammenarbeit und Ökumene, um Menschen AIDS Hilfe Göttingen kostenlos zur Verfügung in Göttingen bei Bedarf und Wunsch ihre Not gestellt. Das Austeilen der „Safer-Use-Materi- zu lindern. Gemeinsam mit Jörg Mannigel, un- alien“ hat einen weiteren tieferen Sinn: Über serem Geschäftsführer des Diakonieverban- den Kontakt des, sind wir für das gemeinsame Wirken sehr 17
Mittagstisch - Journal Ausgabe 2020/2021 dankbar. Für ihn ist die sich gegenseitig stüt- mäßig wiederkehrenden Fortführung des An- zende Zusammenarbeit zwischen dem Mittags- gebots geäußert, um für das Thema weiter zu tisch, dem Drogenberatungszentrum und der sensibilisieren und auch allen Mitarbeitenden Straso auch ein ganz wichtiges gesellschaftli- des Mittagstischs das Angebot dieser Schulung ches Signal der gelebten Barmherzigkeit – nicht zu machen. Leider konnte bisher keine zweite nur in der Pandemie, sondern weit darüber hin- Schulung durchgeführt werden, da Corona aus. diesbezüglich einen Strich durch die Rechnung machte. Sollten Angebote wieder möglich sein, Schulung für haupt- und ehrenamtliche wird es mit Sicherheit auch Weitere geben. Mitarbeiter*innen des St. Michael Mit- tagstischs zum Thema „Professionelles Handeln in Gewaltsituationen“ Mike Wacker, Abteilungsleiter Straßensozial- Im Januar 2020 gab es ein erstmaliges Angebot arbeit des Diakonieverbandes Göttingen seitens eines sozialpädagogischen Mitarbeiters der Straßensozialarbeit des Diakonieverbandes Göttingen für die haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeiter*innen des St. Michael Mittags- tischs. Das Thema der Schulung war „Professi- onelles Handeln in Gewalt-Situationen“, wobei der Vortragende kein explizit ausgebildeter De- eskalationstrainer ist, sondern seinen Wissens- fundus aus seiner über 10-jährigen Berufser- fahrung in der niedrigschwelligen Sozialarbeit schöpft. Pater Ludger Joos sah für die Thematik einen dringenden Handlungsbedarf, da es im- mer wieder Konfliktsituationen innerhalb der Gästeschaft des St. Michel Mittagstischs gab und dabei auch Mitarbeiter*innen zum Teil zwangsläufig involviert werden. Dabei wurde bei der Schulung der Fokus auf den Eigenschutz der Mitarbeiter*innen gelegt, auf ein grund- sätzlich deeskalierendes Verhalten und dies mit einem abwechselnden Input von fachlichen und wissenschaftlichen Hintergrundinformati- onen von Seiten des Vortragenden und in ei- nem gemeinsamen Reflexionsaustausch aller Teilnehmer*innen. Es gab circa 12 Teilneh- mer*innen, die Schulung ging über 1,5 Stunden In einer Reihe: Durch Corona wird auch die Es- und war für die meisten Teilnehmer*innen sensausgabe etwas mühseliger – für Helfer sehr lehrreich, laut der Rückmeldungen der Gäste. Mitwirkenden. Dabei wurde der Wunsch von Pater Ludger Joos, Anna Werner Parker und einigen Teilneh- mer*innen nach einer kontinuierlichen regel 18
Mittagstisch - Journal Ausgabe 2020/2021 10. Blick über den Tellerrand und Vorurteile über Bord werfen Ein Erfahrungsbericht Zugegeben, als ich im vergangenen Jahr von meinem Freund Thomas Maxellon gefragt wurde, ob ich die redaktionelle Arbeit für das diesjährige Mittagstisch-Journal übernehmen möchte, habe ich dies nicht ganz ohne Vorur- teile gemacht. Freude mir die Mitarbeit bei der Zubereitung und Ausgabe des Essens gemacht hat und wie nachdrücklich die Erfahrung sich bei mir gefes- tigt hat. Die Zusammenarbeit mit den anderen ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern und der Leiterin Anna war wirklich schön für mich, von der ersten Minute an wurde ich voll einge- Thomas Maxellon hat ein überzeugendes bunden, war stundenlang beschäftigt und kom- Wesen und damit schon einige Helfer zum plett raus aus meinem Alltag. Ich bin insgesamt Mittagstisch gebracht. ein sehr engagierter Mensch, aber selten hatte ich das Gefühl, dass meine Hilfe genau dort ge- braucht wird, wo ich sie eingebracht habe. Viel Zwar kannte ich die Einrichtung des Mittags- gelernt habe ich auch, zum Beispiel, dass ich die tischs nur oberflächlich, eher vom Vermeiden, Kartoffelschalen immer zu dick schneide! die Turmstraße entlangzugehen als dass ich Und auch jetzt, während ich dieses Journals zu- mich mit diesem Angebot jemals ernsthaft be- sammenstelle und die Beiträge von allen ande- fasst hätte. Umso schöner dann, wenn man die ren Mitstreitern lese, redigiere und zusammen- Gelegenheit bekommt, sprichwörtlich über sei- füge, bestätigt sich in mir das Gefühl: Der Mit- nen eigenen Tellerrand hinauszuschauen. Und tagstisch ist eine wirklich gute Sache und greift die habe ich genutzt, einerseits aus Neugierde, genau an der Stelle , wo der Magen knurrt. aber auch, damit ich mir einen authentischen Eindruck vom Geschehen machen kann, im- merhin muss ich ja wissen, worüber ich Maren Schimkowiak, Helferin und Redakeurin schreibe. Und ich sage an dieser Stelle ganz des MT-Journals ausdrücklich: Ich war selbst überrascht, welche 19
Mittagstisch - Journal Ausgabe 2020/2021 11. „Das Leben ist eine Prüfung“ Der Mittagstisch aus Sicht von Gästen Was macht dich glücklich ? Auf den letzten Seiten wurde viel darüber Glücklich... Was ist überhaupt der Sinn des erzählt, wie sich der Mittagstisch entwickelt – Lebens? - Glücklich zu sein! Man muss gerade jetzt in Hinblick auf Corona, aber auch versuchen, das beste aus dem Leben zu in den vergangenen Jahren etabliert hat. Nun machen. Man muss mit allem umgehen ist es an der Zeit, die zu fragen, für die der können. Ob es mit Drogen ist, mit Beziehungen, Mittagstisch eine regelmäßige Anlaufstelle ist. ob es Schicksalsschläge sind. Im Interview erzählen eine 49-jährige Frau und Magst du die Menschen, die mit dir zum eine Person, die lieber anonym bleiben Mittagstisch gehen? möchte, warum sie hierherkommen. Manchmal. Wenn ich mein Bewusstsein erweitere, kann ich mich besser in sie Interview 1 hineinversetzen. Wie geht es dir und wie fühlst du dich gerade ? Wie kommt es dazu, dass du hier zum Eigentlich ganz gut. Man muss sich halt mit den Mittagstisch kommst? Umständen abfinden. Wenn du das schaffen Zum Beispiel um Leute wiederzusehen. willst, müssen Körper und Geist vereint sein. Ich war 11 Jahre lang mit meiner Frau zusammen Wie sieht dein Alltag aus? und wir haben uns getrennt. Man muss die Ich stehe auf, trinke Kaffee und wenn ich fit bin, Dinge so nehmen wie sie sind. Man muss lernen mache ich Sport. Ansonsten habe ich eine mit dem Leben umzugehen. Dann schafft man Beziehung hinter mit und muss schauen, wie es auch alles. Auch Menschen, die Drogen weitergeht. Ja und die Wohnungssuche. Das ist nehmen. Dabei sind die Menschen die ich kenne sehr schwierig wenn man nicht so viel Geld hat sind auch alle intelligent. Ich bin der Meinung, und nicht in den Hagenweg, Maschmühlenweg dass es in Deutschland noch immer keine und Kreuzbergring möchte, Das ist Demokratie gibt. Wir haben die größte Menschenunwürdig. Da sagen dir die Waffenindustrie. Wir zahlen immer noch Kakerlaken guten Morgen und guten Abend. Reparationen an die Alliierten. Damit bin ich Wie soll man denn da leben? Da traut man sich unzufrieden. Der Euro ist für mich ein nicht mal mehr, den Leuten die Hand zu geben. Inflationsdollar. Wenn man z.B. die hohen Es wird immer schlimmer hier. Sogar RTL war Preise der Busfahrkarten in DM umrechnet. Das schon hier. Das ist einfach eine Konsum- und Volk wird nicht gefragt. Eine Demokratie wird Egogesellschaft. Ich kann mich auch eigentlich es hier niemals geben. Ich bin nicht mehr nur noch mit den alten Leuten unterhalten. politisch aktiv, aber ich kann in den Spiegel Was wünscht du dir für die Zukunft und was schauen, und sagen, ich habe etwas gemacht. für Pläne hast du? Ich bin auf die Straße gegangen und habe mich Mehr Menschlichkeit. Das ist sehr wichtig für Menschenrechte eingesetzt. Die heute. Überhaupt im Leben. Denk darüber Technisierung (Digitalisierung) finde ich auch nach, was du machst. Das ist schon ein nicht gut. Wo gibt es denn so was, dass man Pluspunkt. sich über das Internet kennenlernt ? 20
Mittagstisch - Journal Ausgabe 2020/2021 Hast du Pläne für deine Zukunft? es ist einfach so, dass du von der Gesellschaft Ich lasse die Dinge auf mich zukommen, und im Stich gelassen wirst. Auch weil es keine freie versuche das Beste daraus zu machen. Du weißt Meinungsäußerung gibt. In der Schweiz gibt es ja nicht, was kommt. Du kannst ja nicht Abstimmungen, das würde mehr helfen. Hier ist hellsehen. ja auch alles so teuer geworden... Hilft dir der Mittagstisch? Ich bin ja so selten hier. Ich esse hier auch nichts. Ich habe Zuhause genug, also überlasse ich das Essen denen, die es brauchen. Hast du studiert und/ oder eine Ausbildung gemacht? Nein. Ich denke, das Leben ist Studium genug. Das Leben ist eine Prüfung. Hast du wünsche, was sich in der Gesellschaft ändern soll? Ich wünsche mir, dass die Leute mehr nachdenken. Es passen sich zu viele an. Früher sind hier mehr Punks rumgelaufen. Außerdem sollen die Menschen mehr auf die Straße gehen wenn sie unglücklich sind, und das nicht an anderen Menschen auslassen oder Ausländer beschimpfen. Das geht gar nicht. Mir ist das auch schon passiert. Ich habe neulich jemanden Der Mittagstisch Sankt Michael: Seit dreißig im Maschmühlenweg besucht wurde da von Jahren eine feste Größe in Göttingens Innen- einer schwarzen Frau beschimpft,dass ich stadt. Foto: Maren Schimkowiak putzen gehen soll und dass ich ein deutsches Stück Scheiße bin, nur weil ich ein Punk bin. Aber ich glaube nicht, dass sich da noch groß Gibt es etwas, das du dir vom Mittagstisch etwas verändern kann. Wenn sich nur mehr wünscht? Jugendliche politisieren würden. Das ist immer Vielleicht kann es ja in der Woche auch mal der monotone Alltag. Man geht zur Schule. etwas Besonderes zu essen geben. Aber das Schule Lehrer, Arbeit, Bundeswehr. Da gehen zu kommt ja auch darauf an, wie viel gespendet viele dran ab. Die sollten sich mit dem wird. Ich gebe den Leuten ja auch gerne mal Allgemeinen beschäftigen. Auch andere Leute etwas Geld für Essen. Ich habe ja selber genug. kennenlernen. Und das nicht übers Internet. Aber das Essen hier finde ich gut. Vielleicht kann Fühlst du dich von der Gesellschaft in Stich der Mittagstisch auch etwas länger aufhaben, gelassen? weil sich die Leute hier wohlfühlen. Hier Sagen wir es mal so, das sind Hohlköpfe da kommen sie ins Gespräch und letztens war hier oben in der Politik. Es geht schon so weit, dass sogar eine Arbeitsvermittlung. Das würde ich Ausländer zu Ausländerfeindlichen werden. Ja, 21
Mittagstisch - Journal Ausgabe 2020/2021 mir wünschen. Dass die Leute hier mehr Zeit Ich komme hier her, um mal rauszukommen und haben. die Leute zu sehen. Wenn ich dann hier bin, esse ich hier auch. Dann gebe ich auch gerne mal ein paar Euro. Ich finde das gut. Manche haben gar Interview 2 nichts. Wie geht es dir und wie fühlst du dich? Oder dass man hier dann noch mit ein paar Leuten etwas zusammen macht. Es wäre toll, Also im Moment geht es mir nicht gut. Ich bin könnte man hier Tischtennis spielen, aber sonst enttäuscht. Auch wie es mittlerweile in mag ich es auch, etwas mit den anderen zu Deutschland läuft. Das Haus in dem ich gerade machen. mit meiner Familie wohne, sollte zwangsversteigert werden und wurde an Wie sieht dein Alltag aus? Rumänen verkauft. Vielleicht bin ich zu primitiv, Im Moment bin ich sehr viel auf der Suche nach aber man kann doch nicht ein Haus mit den einem Haus oder so. Ich stehe früh auf, trinke Leuten die da wohnen verkaufen. Und da habe einen Kaffee, je nachdem wie ich drauf bin, lauf ich jetzt ziemlich viel Stress. Meine Freundin hat ich ne Runde. Oder auch nicht. Manchmal mit vier Kinder und es ist schwer, ein neues Zuhause einem Joint. Das ist in letzter Zeit öfters so, weil zu finden, das groß genug ist. Jetzt haben sie ich so gestresst bin. Wenn das Gras legalisiert uns auch schon die Heizung ausgemacht. So werden würde, würde sogar der Staat dran Kinderkram halt. Das nervt. verdienen und die Kriminalitätsrate sinken. Es Gibt es denn gerade Dinge, die dich glücklich muss sich etwas ändern. Ich versuche auch, die machen? Leute zu motivieren, Sport zu machen, aber sie halten es auch nicht aus bis abends mit den Ja. Mein Sohn. Wenn wir zusammen rausgehen. Drogen. Mit meiner Freundin klappt das Da kann ich sagen, dass mich das glücklich momentan auch nicht so. Ab und zu gehe ich macht. Und wenn ich viel Sport mache und auch mit den kleinen raus, koche etwas zu Essen und so was alles. Ich habe schon immer essen... irgendwie hänge ich im Moment ein viel Sport gemacht. Auch trotz dass ich bisschen durch. gelegentlich gerne Drogen nehme. Was wünscht du dir für die Zukunft und was Magst du die Menschen, die mit dir zum für Zukunftspläne hast du? Mittagstisch gehen? Ich will aussteigen aus diesem gesamten Ja, naja klar. Die Drogenkonsumenten ziehen System hier. Ich habe keinen Bock mehr auf den sich ja gegenseitig irgendwie an. Ich mag nicht ganzen Blödsinn. Wie man gezwungen wird, in alle, aber im Großen und Ganzen schon. dieses System reinzupassen. Ich habe zwei Wie kommt es dazu, dass du hier her zum abgeschlossene Bildungsaufträge. Auch Abitur. Mittagstisch kommst? Ich will einfach weg hier und mehr im Einklang Also eine Zeitlang habe ich selbstständig mit der Natur leben und mich selber versorgen. gearbeitet und bin dann von Nürnberg in ein Ganz weit weg. Nicht so viel Müll produzieren. Dorf bei Göttingen gezogen. Ich lebe seit 3 Das beschäftigt mich viel. Auch die ganzen Jahren hier. In Nürnberg habe ich 20 Jahre lang Intrigen... am liebsten würde ich mir eine Insel gelebt. Hier habe ich dann auch meine Freundin kaufen. Und keinen Briefkasten haben. Es kennengelernt. würde mich glücklich machen, wenn man 22
Mittagstisch - Journal Ausgabe 2020/2021 genug Geld für die Arbeit kriegen würde. Ich arbeite gerne und gut, aber es reicht nicht. Schämen die sich nicht, z.B. den Rentnern die 40 Jahre gearbeitet haben nur 600 Euro im Monat zu geben? Ich habe mal gehört, dass die Menschenwürde unantastbar ist... Hilft dir der Mittagstisch wenn du hier bist? Ich komme gerne hier her. Das ist schon eine Konstante für mich. Du hast gesagt, dass du schon zwei Ausbildungen gemacht hast. Welche denn? Ich war bei der Polizei. Ursprünglich komme ich aus der Tschechei. Ich war da bei einer Spezialeinheit, aber die haben gesagt, dass ich zu weit in der Ausbildung war. 4 Jahre war ich da, dann wurde ich rausgeschmissen. Maurer Mehr als nur eine warme Mahlzeit… und Koch war ich auch. Wünscht du dir, dass sich in der Gesellschaft etwas ändert, bzw., was wünscht du dir was sich ändern soll? Es ist schwierig für mich, mir Ziele zu setzen. Ich kann mich nicht entscheiden. Fühlst du dich von der Gesellschaft im Stich gelassen ? Nein. Ich bin ja selber Schuld. Ich bin ja auch nicht mehr krankenversichert. Das ist alles privat. Vor 3 Wochen habe ich gesagt, dass ich ein Haus suche, bis zu 1000 Euro monatlich. Aber da kommt nichts. Wünscht du dir etwas Bestimmtes vom Mittagstisch? Hm. Vielleicht, dass das hier länger aufhat, aber das ist ja ehrenamtlich hier. … beim Mittagstisch können sich die Gäste auch mit Schlafsäcken und Produkten des tägli- Die Interviews führten Emma und Emmilie, chen Gebrauchs eindecken. Das Geld hierfür Schülerinnen des Hainberg-Gymnasiums stammt aus Spenden. Göttingen. Beide engagieren sich in ihrer Freizeit ehrenamtlich für den Mittagstisch. 23
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