Monat - Menschen mit Behinderungen in der digitalen Welt

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Monat - Menschen mit Behinderungen in der digitalen Welt
Die Zeitschrift
monat
  Ausgabe 3/2021

       Menschen mit Behinderungen
           in der digitalen Welt

      behindertenrat • www.behindertenrat.at • Aboservice Tel.: (01) 513 1 533 • Abo: 24,00 Euro/Ausland + Porto
Monat - Menschen mit Behinderungen in der digitalen Welt
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Monat - Menschen mit Behinderungen in der digitalen Welt
editorial
                                                   Foto: Janousek

            Liebe Leser*innen!

            I
                ch hoffe, Sie hatten einen guten und erholsamen Sommer. Mit der
                Konferenz: "Menschen mit Behinderungen in der digitalen Welt"
                sind wir Mitte September in den Herbst gestartet. Online und offline
            nahmen 165 Personen teil. Immer schneller werden unsere Lebenswelten
            durch die Digitalisierung fundamental umgewälzt. Nur durch Partizipa-
            tion von Expert*innen mit Behinderungen gelingt inklusive Digitalisie-
            rung. Mit unserer Konferenz konnten wir dafür einen wichtigen Meilen-
            stein setzen.

            Nach wie vor arbeiten wir im Österreichischen Behindertenrat auch am
            Nationalen Aktionsplan Behinderung 2022-2030, der immer konkreter
            wird. Vielen Dank an alle Expert*innen, die sich mit uns am Entste-
            hungsprozess dieses Fahrplans zur Inklusion beteiligen.

            In dieser Ausgabe unserer Zeitschrift monat finden Sie einen detaillier-
            ten Nachbericht zu unserer Konferenz (S. 8-11), der Kraftrucksack für
            Frauen mit Behinderungen wird vorgestellt (S. 12-13) und wir zeigen
            die fehlende Barrierefreiheit von E-Ladestationen (S. 16) auf. Über die
            COVID-19 Impfung wird auf den Seiten 18 und 19 informiert - lesen sie
            dazu einen Text in Leichter Sprache. 

                                               Herzliche Grüße und viel Gesundheit
                                                             Mag. Michael Svoboda

                                                                    www.behindertenrat.at   3
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Aus dem Inhalt                                                                                                   Ausgabe 3/2021

Editorial			                          3

Inklusive Digitalisierung             8

Buch und Website
"Kraft-Rucksack"                     12

Wie ich durch Social Media meine
Stimme fand                      14

Mit voller Power in die
Diskriminierung		                    16

"Nicht genügend" für das
Bildungsministerium		                20

Unbehinderter Kulturgenuss           22

"Wert des Lebens. Der Umgang mit
den Unbrauchbaren"               24

Offener Brief zu assistiertem
Suizid		                             27

Hate Crime gegen MmB                 29

Gemeinsam gegen Hass im Netz         30

Bücher                               32
                                                                      Foto: Janousek                                  Foto: Benesch

Neues zum EU-Behindertenpass         34

                                          Z                                            W
                                               wei Jahre hat es gedauert, bis                  arum fällt es niemandem
Veranstaltungen                      35        es wieder möglich wurde, eine                   auf, dass E-Ladestationen für
                                               Konferenz zu veranstalten.                      Autos auch barrierefrei sein
                                          Umso größer war die Motivation               sollten? Menschen mit Behinderun-
     Gefördert aus den Mitteln des        bei allen Teilnehmer*innen sich für          gen können so nicht gleichberechtigt
     Sozialministeriums                   inklusive Digitalisierung einzusetzen.       klimaschonend mobil sein.

                                                               Seiten 8 bis 11                                  Ab Seite 16

IMPRESSUM: Medieninhaber: Österreichischer Behindertenrat · Herausgeber: Michael Svoboda · Redaktion:
Bernhard Bruckner - Heidemarie Egger · Adresse: 1100 Wien, Favoritenstraße 111/11, Tel.: 01 513 1533,
Mail: presse@behindertenrat.at · Website: www.behindertenrat.at · Offenlegung nach dem Mediengesetz:
www.behindertenrat.at/impressum · Gestaltung, Anzeigenverkauf, Layout und Druck: Die Medien-
macher GmbH · 8151 Hitzendorf · Filiale: 4800 Attnang-Puchhheim, 07674 62 900, www.diemedienma-
cher.co.at · Cover: Lukas Ilgner / Janoussek / Eigelsreiter · Nachdruck nur nach ausdrücklicher, schrift-
licher Genehmigung der Redaktion gestattet. · Nicht alle Artikel entsprechen unbedingt der Meinung der
Redaktion. Wir haben das Ziel, eine möglichst breite Diskussionsbasis für behindertenpolitische Themen und Stand-
punkte zu schaffen und die Sichtbarkeit von Menschen mit Behinderungen zu erhöhen. · Bankverbindung: easybank,
IBAN: AT85 1420 0200 1093 0600, BIC: EASYATW1 DVR 08 67594 · ZVR-Zahl: 413797266 · Erscheinungsort Wien.

                                                                                              www.behindertenrat.at             5
Monat - Menschen mit Behinderungen in der digitalen Welt
Aktuell                                                                                                   Ausgabe 3/2021

    KOLUMNE                            We still have a dream!
    Von Bernhard Bruckner              13. Diversity Ball am 11. September 2021
                                                                           Von Heidemarie Egger / Presseaussendung

D
                                       D
       er Österreichischer Be-
                                             ie bunteste und vielfältigste      Rollstuhl - Hauptsache authentisch
       hindertenrat hat sich von
                                             Ballnacht des Jahres fand end-     und einzigartig. Veranstalter des
    Anfang an sehr intensiv in die
                                             lich wieder statt. Der Kursalon    einzigartigen Balls ist das Schu-
    Arbeiten zur Erstellung des
                                       Wien wurde zum spektakulären Ort         lungszentrum equalizent, Institut
    Nationalen Aktionsplans Be-
                                       gelebter Vielfalt. Balltradition traf    für Gehörlosigkeit, Schwerhörigkeit,
    hinderung 2022-2030 (NAP)
                                       auf Partykultur und alle Teilneh-        Gebärdensprache und Diversity
    eingebracht.
                                       mer*innen erlebten ein Fest der          Management, Hauptsponsor war
                                       Lebensfreude.                            magenta Telekom.
    Es wurden zu allen großen
                                       Der Diversity Ball steht für Vielfalt,
    Themen Arbeitsgruppen im
                                       Respekt, Gleichstellung und Barrie-      Auch das Team des Österreichischen
    Behindertenrat eingerichtet.
                                       refreiheit, am Red Carpet ist jede*r     Behindertenrates war auf dem Ball
    Diese Gruppen erarbeiteten
                                       ein Star – ob in High Heels oder im      vertreten und hatte eine tolle Zeit. 
    Vorschläge für den Inhalt des
    neuen NAP. Diese Vorschläge
    wurden mit einigen Ministerien
    diskutiert. Trotz unserer Bemü-
    hungen waren nicht alle Stel-
    len an einer Zusammenarbeit
    interessiert. Jetzt haben alle
    Teams der Ministerien und Bun-
    desländer ihren NAP-Beitrag an
    das Sozialministerium über-
    mittelt. Zeitgleich richtete das
    Sozialministerium eine Redakti-
    onsgruppe ein, in der gemein-
    sam mit dem Österreichischen
    Behindertenrat und anderen
    wesentlichen Stakeholdern aus
    dem Behindertenbereich die
    Beiträge der Bundesländer und
    Ministerium redigiert und zu
    einem Gesamtentwurf zusam-
    mengefügt werden.

    Wir hoffen bei dieser Arbeit
    auch die Möglichkeit zu bekom-
    men, allfällige Widersprüche
    zwischen den vorgeschlagenen
    Maßnahmen und der UN-Kon-
    vention über die Rechte von
    Menschen mit Behinderungen
    beseitigen zu können und freuen
    uns schon auf den fertigen
    NAP 2022-2030. 

6          www.behindertenrat.at
Monat - Menschen mit Behinderungen in der digitalen Welt
Österreichischer Behindertenrat                                                                                 Ausgabe 3/2021

Dr.in Stefanie Lagger-Zach
Neu im Team vom Österreichischen Behindertenrat                                                  Von Stefanie Lagger-Zach

                                            S
                                                 eit 1. Juli unterstützt Stefanie     mit psychischen Krankheiten ein.
                                                 Lagger-Zach den Österreichi-         Neben Ihrer Arbeit engagierte sie sich
                                                 schen Behindertenrat. Sie ist mit    mehrere Jahre als freiwillige Rechts-
                                            Christina Meierschitz für den Bereich     beraterin in der Caritas und konnte
                                            nationales Recht und Sozialpolitik        dort bereits ihr theoretisches Wissen
                                            zuständig.                                praktisch anwenden. „Die Arbeit im
                                                                                      Österreichischen Behindertenrat finde
                                            Stefanie Lagger-Zach arbeitete nach       ich vor allem deswegen spannend und
                                            Abschluss ihres Jusstudiums in Graz       wichtig, weil man sich für Anliegen
                                            als Universitätsassistentin am Institut   einsetzt, die Sinn haben. Ich freue
                                            für Zivilrecht, mit einem Schwerpunkt     mich, mein Wissen für die Interessen
                                            in Familienrecht. Ihre Doktorarbeit       von Menschen für Behinderungen
                                            verfasste sie zum Thema Erwachse-         einsetzen zu können.“ 
                                            nenschutzrecht, wodurch sie viel
                                            Erfahrung in der Anwendung der UN-         Kontakt
                                            BRK sammeln konnte. Durch Vorträge         s.lagger-zach@
                                            und Artikel setzte sie sich für die        behindertenrat.at
Stefanie Lagger-Zach         Foto: Privat   Sicherung der Rechte von Menschen

Festgehaltenes Erinnern
Herbert Pichlers Leben und Wirken				                                                               Von Heidemarie Egger

H
      erbert Pichler verstarb bei           Drei Organisationen taten sich zu-        Interviews. Hinzu kamen eigene
      einem Unfall am frühen Morgen         sammen und gestalteten eine Erin-         Erfahrungen der intensiven Zusam-
      des 03. April 2021, es war der        nerungsschrift. Der Österreichische       menarbeit mit Herbert Pichler, denn
Karsamstag. Ein Autolenker unter            Behindertenrat, der Dachverband           die Öffentlichkeitsarbeit war ein
Drogeneinfluss und ohne Führer-             berufliche Integration dabei-austria      wichtiges Werkzeug für ihn. Es wurde
schein erfasste ihn, als er in seinen       und der ÖZIV Bundesverband stellten       versucht, dem langjährigen, erfolg-
PKW einsteigen wollte.                      sich dieser Herausforderung.              reichen Wirken in unterschiedlichsten
Als Präsident des Österreichischen          Die Öffentlichkeitsarbeiter*innen         Funktionen von Herbert Pichler und
Behindertenrates, Präsident des ÖZIV        der drei Organisationen widmeten          dem Menschen Herbert mit seinen
Bundesverbandes, Vorstandsmitglied          sich diesem Projekt, beginnend im         unterschiedlichen Facetten gerecht
von dabei-austria und Leiter des            Mai 2021.                                 zu werden. Ein Exemplar kann gerne
Chancen-Nutzen Büros im ÖGB setzte                                                    kostenlos beim Österreichischen
sich Herbert Pichler für Menschen mit       Heidemarie Egger (Österreichischer        Behindertenrat bestellt werden. 
Behinderungen ein. Sein tragischer          Behindertenrat), Doris Kreindl (ÖZIV
Tod bewegte weit über die Gemein-           Bundesverband), Hansjörg Nagel-            Infobox
schaft der Menschen mit Behinde-            schmidt (ÖZIV Bundesverband) und           Kostenlose Bestellung
rungen hinaus. Mit 56 Jahren wurde          Monika Thurner (dabei-austria)             dachverband@behindertenrat.at
Herbert am Höhepunkt seiner Karriere        recherchierten in Medienberichten,         Telefon +43 1 5131533
aus dem Leben gerissen.                     Videos, Büchern und führten zwölf

                                                                                             www.behindertenrat.at         7
Monat - Menschen mit Behinderungen in der digitalen Welt
Veranstaltung

Interessierte konnten online und offline an der Konferenz teilnehmen.			                    Alle Fotos: Lukas Ilgner / Janoussek / Eigelsreiter

Inklusive Digitalisierung
Konferenz: Menschen mit Behinderungen in der digitalen Welt
Vom Team des Österreichischen Behindertenrates

A
      m 16. und 17. September 2021 fand die jährliche              und Wolfgang Mückstein (Bundesminister für Soziales,
      Konferenz des Österreichischen Behindertenrates              Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz) sendeten
      im Catamaran des ÖGB statt. Expert*innen in eige-            ihre Eröffnungsworte per Videostatement. In der Keyno-
ner Sache, Wissenschaftler*innen und Vertreter*innen               te von Accessibility Experte Shadi Abu-Zahra wurde auf-
von Mitgliedsorganisationen stellten sich dem Thema                gezeigt, dass sich gerade Menschen mit Behinderungen
Digitalisierung in Bezug auf das Leben mit Behinderun-             mit der Digitalisierung auseinandersetzen müssen.
gen. Ziel der Konferenz war es, Fortschritte aufzuzeigen,
Herausforderungen zu diskutieren und Zukunftsvisionen              Panel 1 Ethik und Partizipation
zu erarbeiten. In Panels und Sessions gab es die Mög-              in der digitalen Welt
lichkeit, sich auszutauschen und sich auf dem gemeinsa-            Unter der Moderation von Miriam Labus diskutierten
men Weg in Richtung Digitalisierung zu unterstützen.               Brigitte Heller (Verein Lichterkette), Katrin Langen-
                                                                   siepen (Europäisches Parlament), Andreas Zehetner
                                                                   (Österreichischer Behindertenrat), Christine Steger
Teilnehmer*innen: 165                                              (Unabhängiger Monitoringausschuss) und Klaus Miesen-
Teilnehmer*innen in Präsenz: 95                                    berger (JKU integriert studieren).
Teilnehmer*innen online: 70                                        Ein großes Problem ist die Unsichtbarkeit von Menschen
                                                                   mit Behinderungen, es ist in Europa leicht als Mensch
Online - Views: 2.398                                              mit Behinderungen „undercover“ zu leben. Deshalb sind
Kommentare: 162                                                    Grundbedürfnisse und Grundrechte von Menschen mit
                                                                   Behinderungen noch immer keine Selbstverständlichkeit,
                                                                   die allen nützen. Sie werden als Extra-Maßnahme, als
Start in die Konferenz                                             Luxusproblem, wahrgenommen. Diese Unsichtbarkeit
Durch die Veranstaltung führte Miriam Labus. Margarete             hat immer noch zur Folge, dass Menschen mit Behinde-
Schramböck (Bundesministerin für Digitalisierung und               rungen in den meisten Entwicklungen von technischen
Wirtschaftsstandort), Korinna Schumann (ÖGB-Vizepräsi-             Produkten und digitalen Angeboten (sowie in der analo-
dentin und Gastgeberin) und Michael Svoboda (Präsident             gen Welt) nicht einbezogen werden. Wenn Menschen mit
des Österreichischen Behindertenrates) eröffneten die              Behinderungen doch in Prozesse inkludiert sind, dann
Konferenz. Martin Kocher (Bundesminister für Arbeit)               handelt es sich meistens nicht um diverse Expert*innen

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Monat - Menschen mit Behinderungen in der digitalen Welt
Ausgabe 3/2021

in eigener Sache, sondern ein „Behinderter“ soll ehren-
amtlich und unbezahlt für die gesamte Gruppe in ihrer
Heterogenität sprechen. So werden z.B.: Menschen mit
Lernschwierigkeiten, Menschen in Institutionen oder
Menschen, die keinen Zugang zu Medienbildung erhalten
haben, oft überhaupt nicht als Zielgruppe mitgedacht.

Das Panel fordert für die Zukunft:
• mehr Sichtbarkeit von Menschen mit Behinderungen
• Sensibilisierung für die Vielfältigkeit der Gruppe von
   Menschen mit Behinderungen
• gesetzliche Normen, die diese Vielfältigkeit wahrneh-
   men und unterstützen
• Umsetzung gesetzlich festgelegter                          In Panel 2 erläuterten die Expert*innen Chancen aber auch
   Selbstbestimmungsrechte                                   Probleme der Digitalisierung
• inklusive Entwicklungsprozesse, in denen
   Expert*innen in eigener Sache bezahlt werden              entscheiden, in welchem Ausmaß technische Errungen-
• Recht auf digitale Bildung schon in der Schule und         schaften ins Leben geholt werden. Individuelle Grenzen
   geförderte, niederschwellige Aus- und Weiterbil-          müssen respektiert werden. Die Angebote müssen aber
   dungsangebote zur Nutzung von digitalen Medien für        für alle so gestaltet sein, dass jede*r diese Wahl auch
   Menschen mit Behinderungen, aber auch für Assis-          selbstbestimmt treffen kann.
   tent*innen, Begleiter*innen und Familienangehörige
• finanzielle Förderung bei der Anschaffung von
   Endgeräten
• verpflichtende Ausbildungsinhalte zu Medien-
   bildung, Digitalisierung, Barrierefreiheit und assisti-
   ven Technologien in Ausbildungen (z.B.: Lehrer*in-
   nen, Informatiker*innen)

Panel 2 Arbeit in der digitalen Welt
Markus Neuherz (Lebenshilfe) moderierte das 2. Panel
und diskutierte mit Julia Moser (myAbility), Martin
Morandell (Smart in Life) und Korinna Schuhmann              Petra Plicka fasst die Inhalte in Leichter Sprache zusammen.
(ÖGB). Mit einem Videoinput von Jasna Puskaric
(WAG-Assistenzgenossenschaft) startete die Diskussion.       Algorithmen und Bias
                                                             Allgemein werden Algorithmen sehr negativ dargestellt.
Wenn man über Inklusion in der Arbeitswelt spricht,          Im Grunde handelt es sich aber nur um Programme,
stellen sich heute noch Probleme, die sich vor 20 Jahren     die gelernt haben, etwas zu tun, was der Mensch ihnen
gestellt haben. Alle Panelist*innen sehen die Ursache        beigebracht hat. Hier muss man sich wiederholt bewusst
dafür darin, dass unser Bildungssystem weiterhin noch        machen, dass jeder Programmiervorgang durch einen
nicht inklusiv gestaltet ist. Viele Arbeitgeber*innen        Bias – also Meinungen und Vorurteilen - beeinflusst
waren noch nie mit Menschen mit Behinderungen in             wird. Menschen mit Behinderungen, Frauen oder Men-
Kontakt und deshalb werden weiterhin Vorurteile be-          schen mit Migrationshintergrund müssen in Zukunft vor
dient. Man ist sich einig, dass neue Bilder von Menschen     solchen Vorurteilen geschützt werden. Die Kriterien für
mit Behinderungen geprägt werden müssen. Digitalisie-        Programme müssen bei Ausschreibungen so gestaltet
rung verschiebt die Grenzen von Privatleben und Arbeits-     werden, dass sie nicht diskriminieren.
welt und es wird zur Gratwanderung. Die Inklusion vor
Ort muss vorangetrieben werden und die Digitalisierung       Die Diskutant*innen formulierten Forderungen:
im Home-Office muss inklusiv gestaltet werden. Jede*r        • Inklusive Bildung – beginnend vom Kindergarten bis
Nutzer*in soll die Chancen bekommen, selbst zu                   ins Erwachsenenalter

                                                                                           www.behindertenrat.at            9
Monat - Menschen mit Behinderungen in der digitalen Welt
Veranstaltung

•    Aufbrechen von Stereotypen – nicht jede Diagnose         Entwicklungen von Dienstleistungen, Produkten und
     ist eine Prognose                                        technischen Innovationen einbezogen werden, damit sie
•    Barrierefreiheit und inklusive Teams als Kriterium für   verwendbar sind. Es braucht eine gesetzliche Verpflich-
     Förderungen von Angeboten und Programmen                 tung Menschen mit Behinderungen kontinuierlich und
•    partizipative Entwicklungsprozesse                       bezahlt als gleichberechtigte Expert*innen einzubinden.
•    bundeseinheitliche Gestaltung von                        Damit die Einbindung von Anfang an funktioniert,
     Persönlicher Assistenz                                   braucht es eine Infoplattform zu aktuellen Projekten und
•    keine Unterscheidung mehr zwischen Persönlicher          direkte Meldungen von Projekten technischer Innovatio-
     Assistenz im Privaten und am Arbeitsplatz                nen seitens der Ministerien.
•    kein Entscheiden mehr zwischen technischen Hilfs-
     mitteln und analoger, menschlicher Unterstützung –
     beides muss gleichberechtigt gefördert werden
•    niederschwellige digitale Aus- und Weiterbildungs-
     angebote für Kinder und Erwachsene

Panel 3 Künstliche Intelligenz (KI) und
Internet of Things (IoT)
Die inhaltliche Gestaltung dieses Panel übernahm die
Hilfsgemeinschaft der Blinden und Sehschwachen. Klaus         Selbstkritisch und offen für Feedback zeigten sich die Session-
Höckner (HG) moderierte die Diskussion. Victor Calise         leiter des digitalen Amts
(New York City Mayor’s Office for People with Disabili-
ties), Nina Cummins (Facebook), und James Thurston            Digitales Amt
(G3ict, Smart Cities Initiative) schickten eine Videobot-     Markus Mayer (Digitalberatung) / Johannes Rund
schaft. Persönlich nahmen Nikola Tanjga (Semantic             (Digitalsierungsministerium)
Competence Center, ELGA GmbH) und Bernhard Wally              Das Projekt „oesterreich.gv.at“ und die App „digitales
(Rat für Forschung und Technologieentwicklung) an der         Amt“ wurden vorgestellt. Diese dienen als Informations-
Diskussion teil. Rolf Feichtenbeiner (Educational Techno-     plattform. Hat man eine Handy-Signatur oder eine ID
logy Lab, KI-I) wurde von Deutschland aus zugeschalten.       Austria, können Amtswege (z.B. Wohnsitzummeldungen)
                                                              über den PC bzw. die App abgewickelt werden. Abschlie-
Bei KI lernt ein System durch viele Daten Inhalte zu          ßend wurde die App live getestet und die Teilnehmer*in-
interpretieren und Vorhersagen zu tätigen. Internet of        nen konnten Vorschläge zur Verbesserung der Barriere-
Things bedeutet, dass Dinge wie z.B.: Haushaltsgeräte         freiheit einbringen.
oder Autos Zugang zum Internet bekommen und die
Nutzenden dadurch das System bedienen können. Das ist         ONLINE: Die große Hoffnung der innovativen,
die Zukunft und für manche schon Realität. Barrierefrei       digitalen und assistiven Hilfsmittel
werden diese Systeme jedoch nur, wenn sie von Anfang          David Hofer (LIFEtool) / Christoph Veigl (FH Technikum
an barrierefrei konzipiert werden. Es braucht dafür die       Wien)
Expertise von Menschen mit Behinderungen.                     Es wurde gezeigt, wie Digitalisierung zum Nutzen von
                                                              Menschen mit Behinderungen eingesetzt werden kann.
Vertiefende Sessions                                          Diese Session wurde auf dem Youtube- und Facebook-Ka-
Im Rahmen der Konferenz wurden acht Sessions in zwei          nal des Österreichischen Behindertenrates veröffentlicht.
Blöcken abgehalten. Zwei davon wurden online gestre-
amt. Die Online-Teilnehmer*innen konnten via Zoom in          Wie nutzen wir als Organisation von und für Menschen
direkten Austausch gehen.                                     mit Behinderungen die Digitalisierung bestmöglich?
                                                              Kerstin Huber-Eibl (Multiple Sklerose Gesellschaft Wien,
Partizipative Gestaltung von technischen                      ÖMSG) / (ÖZIV Bundesverband)
Innovationen                                                  Aufgrund unterschiedlicher Zielgruppen, Organisations-
Emil Benesch (Behindertenrat) / Susanne Buchner-Saba-         größen und Finanzierungskonzepten stehen viele vor
thy (Expertin für digitale Barrierefreiheit)                  der Herausforderung die „richtigen“ Prioritäten bei der
Menschen mit Behinderungen müssen in die                      Nutzung von digitalen Medien zu setzen. Der Ruf nach

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mehr Vernetzung zwischen Organisationen, Wissenschaft
und Anwender*innen und einem Kompetenzteam „Digi-
talisierung“, organisiert vom Österreichischen Behinder-
tenrat, wurde laut.

ONLINE: Online-Aktivismus zum Thema Behinderung.
Wie mache ich mich sichtbar und wozu ist das gut?
Bianca Schönhofer (instagram.com/bianca_rosemarie) /
Andrea Strohriegl (instagram.com/rea.strawhill)              "Was können wir besser machen?" fragten die Sessionlei-
Die zwei Social Media Expert*innen ermöglichten einen        ter*innen die Gruppe
Einblick in die Welt von Instagram und Co. Dieser
Vortrag steht ebenfalls online zur Verfügung.                / Ursula Weismann (Sozialversicherungs-Chipkarten
                                                             Betriebs- und Errichtungsgesellschaft m.b.H.)
                                                             Deutlich wurde, dass digitale Dienste auf barrierefreien
                                                             Angeboten aufbauen müssen. Der Bedarf an barriere-
                                                             freien Arztpraxen und konkreten Informationen zur
                                                             Barrierefreiheit der Primärversorgungszentren ist groß.
                                                             Ergo- und Physiotherapie auf Krankenschein ist ein gro-
                                                             ßer Wunsch. Hinsichtlich der digitalen Angebote wurde
                                                             leichte Sprache und größere Benutzerfreundlichkeit
                                                             gefordert. SV und SVC ersuchten um Verbesserungsvor-
Gewalt gegen Menschen mit Behinderungen findet auch online   schläge via Feedback-Button.
statt, ZARA ist die richtige Anlaufstelle.
                                                             Barrierefreiheit
Hate Crime, Mobbing und Ableism im Internet                  Die Inhalte auf der Bühne und in einzelnen Sessions
Sophie Haidinger (ZARA, Verein für Zivilcourage und          wurden vom Team rund um Marietta Gravogl in Österrei-
Antirassismusarbeit)                                         chische Gebärdensprache übersetzt. Schriftdolmetschung
Der Begriff Hate Crime wurde definiert, dessen straf-        wurde von Gudrun Amtmann und ihrem Team angebo-
rechtlichen Tatbestände und wie ZARA dabei unterstüt-        ten. Nach jedem Panel und in einzelnen Sessions fasste
zen kann. Seit 2021 kann ZARA auch bei Gerichtspro-          Petra Plicka die Inhalte in Leichter Sprache zusammen
zessen gegen Hass im Netz begleiten. Menschen mit            und visualisierte sie. Durch die Komplexität des Themas
Behinderungen sind sehr häufig von Hate Crime betrof-        Digitalisierung war dies für alle Konferenzteilnehmer*in-
fen. Mehr dazu findet ihr auf Seite 29.                      nen von großem Nutzen. Durch ein Flying Buffet der
                                                             geschulten Mitarbeiter*innen von "Die Caterei" war auch
Digital Literacy – Wie lernen wir Menschen mit Behin-        die Essensituation für alle so barrierearm wie möglich.
derungen gut mit der Online-Welt umzugehen?                  Als weitere Barrierefreiheitsfaktoren unterstützten bei
Kurt Feldhofer (Lebenshilfen Soziale Dienste) / Martina      der Konferenz zwei Persönliche Assistentinnen, es gab
Kalcher (Kirchliche pädagogische Hochschule Graz)            einen ruhigen Rückzugsraum und die Pausengestaltung
Das Menschenrechtsbüro der Lebenshilfe wurde vorge-          erfolgte großzügig.
stellt und Mitarbeitende zugeschalten. Die Studie „Die
Nutzung digitaler Medien von Menschen mit Lernschwie-        Side Event UNIKATE
rigkeiten in der Behindertenhilfe“ wurde erläutert. Es       Am Abend des ersten Konferenztages fand die UNIKATE
entstand eine lebhafte Diskussion darüber, wie man           Preisverleihung statt. Was dort passiert ist, erfahren Sie
besonders Menschen mit Lernschwierigkeiten in den Pro-       in Ausgabe 4 des „monat“.
zess der Digitalisierung einbinden kann. Was fehlt, sind
niederschwellige Zugänge sowie Unterstützung sowohl          Fazit
von Betreuungspersonal und Familie als auch von Peers.       Das Thema Digitalisierung beschäftigt alle Organisationen
                                                             unabhängig von ihrer Größe und finanziellem Rahmen.
e-Health und Digitale Services der Sozialversicherung        Mit der Konferenz wurde der Wille und die Lust geweckt,
Barbara Krippl (Dachverband der Sozialversicherungen)        an der inklusiven Digitalisierung mitzugestalten. 

                                                                                          www.behindertenrat.at        11
Frauen mit Behinderungen

Buch & Internet-Seite: Kraft-Rucksack
Für Frauen mit Behinderungen
                                                          Von Expertinnen der Vereine Ninlil und Leicht Lesen

Was ist der "Kraft-Rucksack"?
Der "Kraft-Rucksack" ist ein Buch und eine Inter-
net-Seite für Frauen* mit Behinderung*, die Gewalt
erfahren haben und die auch längere Zeit danach
noch mit den Folgen davon zu tun haben.

Es gibt einen Teil mit Informationen zu Trauma
und Traumafolgen.
Und es gibt drei Teile mit Informationen und
Übungen, die Frauen* in schwierigen Zeiten
helfen sollen.
So können sie zum Beispiel aus den Übungen ihren
persönlichen Kraft-Rucksack gestalten und
diesen öffnen, wenn es ihnen schlecht geht.

Denn vielen Frauen* mit Gewalterfahrung geht
es trotz Beratung, fachlicher Begleitung und
Therapie immer wieder schlecht. Hier kann der
Kraft-Rucksack zum Einsatz kommen.

Wie kam es zu dem Titel
„Kraft-Rucksack“?
Zu Beginn war der Titel des Buches „Kraft-Paket“.
Dieser wurde jedoch von der Prüfgruppe in
„Kraft-Rucksack“ umbenannt.
                                                                                 Grafik: Barbara Hoffmann, thegraphicsociety.at
Dazu ein paar Gedanken der Gruppe:
Ein Paket verschicke ich oder hole es ab.
Wenn es da ist, wird es ausgepackt und in seltenen Fällen wieder eingepackt.
Einen Rucksack packe ich ein und nehme ihn mit. Wenn ich etwas brauche, öffne ich ihn,
hole etwas heraus, und verschließe ihn wieder - er ist mobil, transportabel und immer für mich bereit.

Für wen ist der „Kraft-Rucksack"?
Für Frauen*, die Gewalt erfahren haben – insbesondere für Frauen* mit Behinderung*.
Für alle Menschen, die zu diesem Thema arbeiten oder damit in Berührung kommen.

Was macht den „Kraft-Rucksack“ besonders?
Er ist barrierefrei.
• Das Buch ist in Leichter Sprache.

12      www.behindertenrat.at
Ausgabe 3/2021

• Alle Texte und Übungen aus dem Buch sind auch auf der Internet-Seite.
  Das ist wichtig für Personen, die mit Sprachausgabeprogrammen lesen wollen.
• Zu allen Texten gibt es Videos in Österreichischer Gebärdensprache.

Wer hat den „Kraft-Rucksack“ gemacht?
Der Verein Ninlil - Empowerment für Frauen mit Behinderung und der Verein Leicht Lesen - Texte besser
verstehen. Die Zeichnungen und das Layout hat The Graphic Society gemacht.

Standardtext
Der Standardtext, der dem Buch zugrunde liegt, wurde von der Psychologin Marie-Theres Holzner
gemeinsam mit Frauen* vom Verein Ninlil geschrieben.

Prüfgruppe: Iris Kopera, Luise Jäger und Lucia Vock
Die Prüfgruppe sind Expert*innen in eigener Sache und haben den Text auf Verständlichkeit geprüft.
Das ist ein wichtiges Qualitätskriterium von Leichte-Sprache-Texten.
Leichte Sprache macht Texte einfacher lesbar und verständlicher
und ist ein spezielles Angebot für bestimmte Zielgruppen,
wie zum Beispiel Menschen mit Lernschwierigkeiten, Menschen mit Deutsch als Fremd- oder Zweitsprache
oder Lese- und Schreibschwäche.
Erfahrungen haben gezeigt, dass mehr als nur diese Zielgruppen von Leichte-Sprache-Texten profitieren.

Barrierefreie Internet-Seite:
Gugler brand and digital hat die barrierefreie Internet-Seite gemacht.
Eine barrierefreie Internet-Seite orientiert sich an Leitlinien für Barrierefreiheit im Internet,
damit zum Beispiel auch Menschen mit Gehörbeeinträchtigungen*
oder eingeschränkter Bewegungsfähigkeit Internet-Seiten benutzen können.

Gebärdensprache: Lena Schramek von duooo hat die Gebärdensprach-Videos gemacht.

Wer hat den „Kraft-Rucksack" finanziert?
Projektförderung der Frauenministerin sowie Fördergeber*innen des Vereins Ninlil.

Die laufende Arbeit vom Verein Ninlil wird finanziert von:
• Frauenservice der Stadt Wien – MA57
• Bundeskanzleramt/Frauen
• Fonds Soziales Wien

 Das Buch ist gratis bestellbar und es gibt einen gratis Download.
 Download: www.kraft-rucksack.at
 Bestellung: info@kraft-rucksack.at oder per Telefon 01 714 39 39

                                                                                   www.behindertenrat.at       13
Persönliche Erfahrung

Wie ich durch Social Media
meine Stimme fand
Social Media Aktivistin Rea Strawhill				                                                              Von Andrea Strohriegl

                                                                     V
                                                                           iele Jahre wusste ich, dass etwas mit mir nicht
                                                                           stimmte. Ich fühlte mich nicht gesund, doch laut
                                                                           meinen Ärzt*innen war alles in Ordnung. Ich hatte
                                                                     eine Infektion nach der anderen, Konzentrations-
                                                                     störungen, Verdauungsbeschwerden, Kreislaufprobleme,
                                                                     Schlafstörungen und ich fühlte mich immer schwächer
                                                                     und erschöpfter. Je mehr ich darum kämpfte, gesünder
                                                                     zu werden, desto schlechter ging es mir. Ich wurde mit
                                                                     Allergien und Depressionen diagnostiziert, doch keine
                                                                     Therapie half. Mein Zustand wurde von Jahr zu Jahr
                                                                     schlechter. Über sieben Jahre dauerte es, bis mir endlich
                                                                     ein Arzt zuhörte und die richtige Diagnose stellte: Ich
                                                                     habe ME/CFS.

                                                                     Was ist ME/CFS?
                                                                     ME/CFS steht für Myalgische Enzephalomyelitis und ist
                                                                     eine Neuroimmunerkrankung, deren Symptome sich auf
                                                                     den ganzen Körper auswirken. Oft wird die Krankheit
                                                                     auch „Chronic Fatigue Syndrom“ genannt (oder „chroni-
                                                                     sches Erschöpfungssyndrom“ im Deutschen) Doch diese
                                                                     Krankheit beinhaltet sehr viel mehr als nur Erschöpfung.

                                                                     In Österreich sind Schätzungen zufolge ca. 30.000
                                                                     Menschen betroffen. Ausgelöst wird sie oft durch virale
                                                                     Infekte und es gibt unterschiedliche Schweregrade. In
                                                                     schweren Stadien sind Betroffene auf Pflege angewie-
                                                                     sen, da sie oft das Haus oder gar das Bett nicht mehr
                                                                     verlassen können. Das Hauptsymptom ist PEM, das steht
                                                                     für „Post Exertional Malaise“ und beschreibt eine Zu-
                                                                     standsverschlechterung nach zu viel Aktivität. Das heißt,
                                                                     wenn man sich überanstrengt, verschlechtert sich der
                                                                     Zustand und das wird auch durch Ruhe oder Schlaf nicht
                                                                     verbessert. Man kann sich das Gefühl vorstellen, wie
                                                                     bei einem kaputten Handy Akku. Man kann ihn so viel
                                                                     aufladen, wie man will, die Batterie lädt einfach nicht
                                                                     richtig. Mehr als 20 % werden es nicht und mit diesen
                                                                     muss man durch den Tag kommen. Genau so fühlt sich
                                                                     ME/CFS an. Egal wie viel man sich ausruht, wie viel man
                                                                     schläft, der Akku wird nie voll. Das Ganze wird begleitet
                                                                     von Schmerzen, Konzentrationsstörungen, Schwindel,
Andrea Strohriegl - als Rea Strawhill engagiert sie sich als         Lichtempfindlichkeit und vielem mehr. Deshalb ist es
Online-Aktivistin zu chronischen Erkrankungen Foto: Karin Dihanich   wichtig, zu lernen, mit seinen Energiereserven sparsam

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und nachhaltig umzugehen. Das klingt in der Theorie        darüber zu sprechen, denn chronisch kranke Menschen
einfach, ist aber sehr schwer in der Praxis.               haben oft schlechtere Chancen, einen Job zu bekommen.
                                                           Doch genau diese Tatsache entfachte erst recht ein Feuer
Der Kampf um Anerkennung                                   in mir. Warum haben Menschen mit chronischen Krank-
Das Schlimme an dieser Erkrankung ist, dass man neben      heiten schlechtere Chancen am Arbeitsmarkt? Warum
all diesen Symptomen, gegen die man zu kämpfen hat,        werden wir als weniger wertvoll angesehen, sobald wir
auch noch dafür kämpfen muss, ernst genommen zu            aufgrund einer Erkrankung in unserer Leistungsfähigkeit
werden. Oft vergehen viele Jahre bis man überhaupt         eingeschränkt sind?
richtig diagnostiziert wird, da es noch keine eindeuti-    Durch die Vernetzung mit anderen Betroffenen habe ich
gen Labortests gibt. Der Durchschnitt liegt bei fünf bis   sehr viel Wertvolles gelernt - mich für mich selbst und
acht Jahren. Nur wenige Ärzt*innen kennen sich damit       für andere einzusetzen, dass ich wertvoll bin, so wie ich
aus und nehmen die Erkrankung ernst. Viele Betroffene      bin. Chronisch krank zu sein muss kein Tabu sein. Ich re-
bekommen zunächst die Diagnose einer psychischen           alisierte, dass ich eine Stimme habe, die es verdient hat,
Erkrankung. Man fängt an, Psychopharmaka zu nehmen,        gehört zu werden. Ich fühlte mich nicht mehr so hilflos.
sich mehr zu bewegen und es geht einem trotzdem
schlechter. Denn zu viel Aktivität (über die eigenen       Social Media
Grenzen hinaus) kann erst recht dazu führen, dass sich     Je mehr Menschen sich trauen, über ihre Erlebnisse zu
der Zustand weiter verschlechtert.                         sprechen, desto mehr können wir diese Tabus aufbre-
                                                           chen. Je mehr Berührungspunkte es gibt, desto mehr
Häufig wird die Krankheit missverstanden oder nicht        kann man von anderen Perspektiven lernen und sich in
ernst genommen, obwohl sie seit Jahren von der WHO         neue Situationen hineinversetzen. Das ist das große Po-
anerkannt ist. Betroffene bekommen oft keine Unter-        tential von Social Media: jede*r kann sich einen Account
stützung im Gesundheitssystem und von öffentlichen         erstellen und anfangen zu erzählen. Man muss nicht erst
Stellen. Auch mir wurden viele Dinge von Ärzt*innen an     darum bitten, inkludiert zu werden. Und irgendwer hört
den Kopf geworfen. Unter anderem, dass diese Krankheit     vielleicht deiner Geschichte zu und lernt etwas daraus.
ein Hirngespinst sei und ich mich aus der Verantwortung
ziehen wolle. Dabei wollte ich nichts mehr, als wieder     Sich öffentlich zu zeigen und so offen verletzbar zu sein,
gesund zu werden.                                          kann auch mühsam und anstrengend sein. Es gibt Tage,
Wenn man Hilfe sucht und abgewiesen wird, ohne Hilfe       an denen man sich vielleicht denkt: „Wozu mache ich
zu erhalten, ist das sehr verletzend und zermürbend. Be-   das eigentlich?“ und dann kommt eine Nachricht, in der
troffene kämpfen weltweit seit Jahren um Anerkennung,      sich jemand bedankt. „Durch deine Texte fühle ich mich
mehr Anlaufstellen und mehr Forschung. Durch Long-         verstanden“. Oder „Jetzt verstehe ich meine chronisch
Covid scheint die Forschung nun Fahrt aufzunehmen,         kranke Freundin besser“. Dann wird man daran erinnert,
doch es liegt noch ein langer Weg vor uns.                 wie wertvoll es sein kann, sich zu öffnen und andere
                                                           Menschen auf seinen Weg mitzunehmen.
Tabus sind da, um gebrochen zu werden.                     Darin liegt die Stärke, wenn Menschen über Dinge spre-
All diese Erlebnisse gingen nicht spurlos an mir vorbei.   chen, die ihnen widerfahren sind: man merkt, dass man
In mir entstand das Bedürfnis, etwas zu tun. So viele      nicht alleine ist. Und je mehr Menschen ich kennenge-
Menschen auf der Welt sind von dieser Krankheit betrof-    lernt habe, denen es ähnlich ging, desto mehr merkte ich:
fen, doch kaum einer kennt sie. Wie kann das sein? Also    wir sind viele. Und wir lassen uns nicht unterkriegen. 
fing ich an, zu schreiben. Über meine Erlebnisse, über
meine Wünsche, über meine Ängste. Das Schreiben hatte
für mich nicht nur etwas Therapeutisches. Es verband
mich mit vielen anderen Menschen, die Ähnliches durch-
lebt hatten. Menschen, die gleiche Ängste, Wünsche und      Zur Person
Sorgen hatten. Plötzlich wurde mir bewusst: es gibt so
viele da draußen, denen es ähnlich geht. Ich merkte, ich    Andrea Strohriegl findet ihr als Rea Strawhill
bin nicht alleine.                                          auf Instagram
Anfangs hatte ich große Angst, so offen zu meiner Dia-      Instagram.com/reastrawhill
gnose zu stehen. Einige hatten mich gewarnt, öffentlich

                                                                                        www.behindertenrat.at         15
Mobilität

Mit voller Power in die Diskriminierung
E-Ladestationen sind nicht barrierefrei                                                                      Von Emil Benesch

                                                                                           D
                                                                                                 ie Elektro-Mobilität entwickelt
                                                                                                 sich schnell, aber schlecht.
                                                                                                 Denn die Barrierefreiheit von
                                                                                           E-Ladestationen ist in Österreich
                                                                                           nicht sichergestellt. So sind Men-
                                                                                           schen mit Behinderungen von der
                                                                                           Nutzung einer Zukunftstechnologie
                                                                                           ausgeschlossen und gezwungen,
                                                                                           weiterhin Fahrzeuge mit Benzin
                                                                                           und Diesel zu fahren. Im Fall der
                                                                                           Neuanschaffung eines Fahrzeuges
                                                                                           bleibt Menschen mit Behinderungen
                                                                                           nur die Wahl zwischen Benzin und
                                                                                           Diesel. Wer wird schon ein Auto kau-
                                                                                           fen, das nicht eigenständig betankt
                                                                                           werden kann? Was passiert, wenn
                                                                                           alle Firmen- und Dienstfahrzeuge
                                                                                           E-Fahrzeuge sein werden? Werden
                                                                                           Menschen mit Behinderungen ihren
                                                                                           Job verlieren, weil sie das Dienst-
                                                                                           fahrzeug nicht laden und damit nicht
                                                                                           eigenständig fahren können? Werden
                                                                                           Menschen mit Behinderungen bei
                                                                                           der Arbeitsplatzsuche schlechtere
                                                                                           Karten haben, weil sie E-Firmenfahr-
                                                                                           zeuge nicht nutzen können?

                                                                                           5.912 Ladestationen
                                                                                           unbrauchbar?
                                                                                           Laut E-Tankstellenfinder sind zum
                                                                                           Stichtag 09.09.2021 in ganz Öster-
                                                                                           reich 5.912 E-Tankstellen errichtet.
                                                                                           Eine Norm, die die Barrierefreiheit
                                                                                           von E-Ladestationen vorgibt, gibt es
                                                                                           bis heute nicht. 15 Jahre nachdem
                                                                                           der Fahrzeug-Produzent Tesla mit
                                                                                           E-Fahrzeugen in die Serienproduk-
                                                                                           tion gegangen ist. Erst im Februar
                                                                                           2021 wurde mit Überlegungen zur
                                                                                           barrierefreien Ausgestaltung von
                                                                                           Ladestationen innerhalb einer Norm,
                                                                                           der RVS 03.07.21. „Ladeinfrastruktur
                                                                                           im öffentlichen Raum", begonnen.
Nicht barrierefreie Ladestation vor dem Digitalisierungsministerium   Foto: Emil Benesch   Mit der Produktion von E-Fahrzeu-
                                                                                           gen hätte klar sein müssen, dass

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Ausgabe 3/2021

E-Ladestationen benötigt werden,                                                                   verwendet. Inwiefern diese un-
die von allen Menschen benutzt                                                                     terschiedlichen Systeme und das
werden können.                                                                                     Umfeld der Stationen barrierefrei
                                                                                                   sind, ist nicht nachvollziehbar.
Barrierefreiheit kollektiv                                                                         Der Web-Tankstellenfinder liefert
verschlafen                                                                                        Informationen über Stecker-
Hersteller von E-Fahrzeugen,                                                                       typus und Ladeleistung von
diverse Firmen und Stromver-                                                                       Stromtankstellen in ganz Europa.
sorger, die E-Ladestationen                                                                        Jedoch fehlen auf der Webseite
errichten und Generationen von                                                                     sowie der „E-Tankstellen-Finder
politisch Verantwortlichen - sie                                                                   App“ das Thema Barrierefrei-
alle haben nicht dafür gesorgt,                                                                    heit völlig. Auch die App „Tanke
dass E-Ladestationen von                                                                           Wien Energie“ enthält keine
Menschen mit Behinderungen                                                                         Infos zur Barrierefreiheit von
uneingeschränkt genutzt werden                                                                     E-Ladestationen. Das zeigt die
können. Vor ca. 15 Jahren wurde                                                                    Gleichgültigkeit und Untätigkeit
mit dem Bau nicht barrierefreier                                                                   der Unternehmen. Menschen mit
E-Ladestationen in Österreich                                                                      Behinderungen erhalten keinen
begonnen. Noch heute bauen                                                                         Zugang zu E-Mobilität.
Firmen - etwa „Wien Energie“ an       09/2021: Werbekampagne mit nicht barriere-
der Wiener Ringstraße, Opern-         freier E-Ladestation Foto: Werbeplakat der Wien Energie      Umfassende Barrierefrei-
ring 17 – nicht barrierefreie                                                                      heit nur durch Reparatur
E-Ladestationen. Lenker*innen,            Auf die Zukunft vergessen?                            Verantwortung für die aktuelle
die einen Rollstuhl nutzen, werden        Schon heute zeichnet sich die                         Situation tragen Unternehmen
hier durch hohe Randsteine davon          nächste Diskriminierung ab. Tests                     und politische Entscheidungsträ-
abgehalten, die Ladebuchsen zu            und Pläne für die Automatisierung                     ger*innen. Neben der umfassenden
erreichen. Häufig sind die Ladebuch-      der Mobilität werden vorangetrie-                     Barrierefreiheit im Neubau von
sen so hoch montiert, dass eine im        ben. Selbstfahrende U-Bahnen sind                     Stromtankstellen, müssen tausende
Rollstuhl sitzende Person sie nicht       in Wien in Planung, selbstfahrende                    E-Ladestationen barrierefrei um-
erreicht. Nicht selten wird im Umfeld     Busse wurden getestet, selbstfahren-                  gestaltet werden. Menschen mit
von Ladestationen auch ein nicht          de Autos erwartet. Es ist gut mög-                    Behinderungen benötigen ein Netz
berollbarer Bodenbelag gewählt.           lich, dass in absehbarer Zeit auch                    an barrierefreien E-Ladestationen,
                                          Menschen mit Sehbehinderungen                         um gleichberechtigt klimaschonend
Forderung: Bau-Stopp für                  und blinde Menschen Auto fahren                       mobil sein zu können. Sie haben ein
E-Ladestationen!                          werden. Aus heutiger Sicht werden                     Anrecht darauf. 
Der Österreichische Behindertenrat        es keine E-Autos sein können, denn
hat bereits in der Vergangenheit          die E-Ladestationen verfügen über
einen Baustopp gefordert, für den         unzureichende tastbare Orientier-
Fall, dass die Barrierefreiheit neuer     ungsmöglichkeiten. Alle optischen                      Zum Autor
Ladestationen nicht sichergestellt        Informationen einer E-Ladestation
werden kann. Diese Forderung nach         müssten für Personen mit Sehbe-                        Emil Benesch leitet im
einem Baustopp für diskriminieren-        hinderungen taktil oder akustisch                      Behindertenrat die inklusive
de Ladestationen in ganz Österreich       vermittelt werden. Die zu tausenden                    Planungsgruppe und ist für den
bleibt aufrecht. Jede einzelne nicht      gebauten E-Ladestationen entspre-                      Themenbereich Barrierefreiheit
barrierefreie E-Ladestation ist ein       chen diesen Anforderungen nicht.                       zuständig.
weiterer Beitrag dazu, die gleichbe-
rechtigte gesellschaftliche Teilhabe      Digitalisierung ohne                                   Kontakt:
zu verhindern und viele Menschen          Mehrwert                                               e.benesch@behindertenrat.at
im ganzen Land auf Jahre zu               In Österreich werden unterschied-                      +43 660 91 19 813
behindern.                                liche E-Ladestationen-Varianten

                                                                                                       www.behindertenrat.at       17
COVID-19

Corona-Schutzimpfung
Informationen in Leichter Sprache
Von Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz

Impfen schützt Sie und Ihre Familie!
Die Corona-Schutz-Impfung ist der Weg
zurück zu einem normalen Leben.
Wer geimpft ist, schützt sich und sein Umfeld.
Denken Sie an Ihre eigene Gesundheit.
Denken Sie auch an die Gesundheit Ihrer Familie und
Ihrer Freundinnen und Freunde:
Lassen Sie sich impfen!

Welche Corona-Impfstoffe gibt es?
Es gibt verschiedene Impfstoffe.
Alle Impfstoffe wurden von Expertinnen und Experten geprüft.
Sie sind von der europäischen Behörde für Arzneimittel zugelassen.
Alle Impfstoffe sind sehr sicher.
                                                                                            Foto: pixabay.com

Reaktionen auf die Impfung
Die Einstichstelle kann rot werden oder anschwellen.
Die Haut kann warm werden.
Auch Schmerzen an der Einstichstelle sind möglich.
Häufig sind auch Kopfschmerzen oder Fieber.
Oder man fühlt sich sehr müde. Das ist ganz normal.
Diese Nebenwirkungen gehen rasch vorbei. Das ist kein Grund zur Sorge.
Alle diese Reaktionen auf die Impfung sind harmloser als die Erkrankung.
Die Corona-Erkrankung kann lebensbedrohlich sein. Sie kann auch Folgeschäden bringen.

Sicher geimpft
Die Impfstoffe wirken:
Wo bereits viele Menschen geimpft sind, geht die Zahl der Infektionen stark zurück.
Mehr als die Hälfte der Menschen in Österreich hat bereits eine Corona-Schutzimpfung erhalten.
Das heißt aber auch:
Viele sind derzeit noch ungeschützt! Nur eine Impfung schützt vor einer schweren Erkrankung.

Das müssen Sie vor der Corona-Schutzimpfung wissen
Kostet die Impfung etwas? Nein, die Corona-Schutz-Impfung ist kostenlos.
Wo kann ich mich für die Impfung anmelden? Dafür gibt es 2 Möglichkeiten:
• über die Online-Plattformen der Bundesländer Österreich impft – Initiative gegen das Coronavirus
   www.oesterreich-impft.at
• oder telefonisch unter der Telefonnummer 1450.

18      www.behindertenrat.at
Ausgabe 3/2021

Wo wird geimpft?
Geimpft wird
• in Impfstraßen oder
• bei niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten. Das sind zum Beispiel Hausärztinnen und Hausärzte.
   Mehr dazu erfahren Sie bei der Anmeldung zur Impfung.

Das müssen Sie zur Impfung mitbringen:
Bitte bringen Sie diese Unterlagen zur Impfung mit.
• Ihre E-Card
• Ihren Impfpass
• Ihren Allergiepass
• Den Aufklärungs- und Dokumentationsbogen Schutzimpfung COVID-19
Diesen Aufklärungs- und Dokumentationsbogen finden Sie im Internet.
Sie können ihn ausdrucken und ausgefüllt zur Impfung mitbringen.
Sie bekommen ihn aber auch in der Impfstraße oder bei Ihrer Hausärztin oder Ihrem Hausarzt.

Das gilt nach der Corona-Schutzimpfung

Welche Schutzmaßnahmen bleiben aufrecht?
Es gibt verschiedene Schutzmaßnahmen wie Abstand halten, Testen und das Tragen von Masken.
Diese Maßnahmen sind weiterhin wichtig, bis die meisten Leute geimpft sind.
So schützen wir all jene Menschen, die noch nicht geimpft sind.

Wo wird die Corona-Schutz-Impfung eingetragen?
Die Corona-Schutzimpfung wird in Ihren Papier-Impfpass oder in das Impf-Kärtchen eingetragen.
Sie wird auch in den elektronischen Impfpass, kurz e-Impfpass, eingetragen.
Das macht die Ärztin oder der Arzt bei der Impfung.

Wann kann ich wieder reisen und die Familie besuchen?
Geimpft, getestet oder nach einer Corona-Erkrankung wieder genesen:
Das wird in den Grünen Pass eingetragen.
Mit dem Grünen Pass können Sie in Lokale gehen.
Sie können Kultur-Veranstaltungen und Sport-Veranstaltungen besuchen.
Und Sie können wieder verreisen.

        Das ist eine Kurzinformation zur Corona-Schutzimpfung in leichter Sprache.
  Sprechen Sie vor der Impfung auf jeden Fall mit der behandelnden Ärztin oder dem Arzt.

 Mehr dazu auf der Website des Sozialministeriums:
 www.sozialministerium.at/Corona-Schutzimpfung
 www.sozialministerium.at/Services/Leichter-Lesen

                                                                           www.behindertenrat.at       19
Bildung

„Nicht genügend“ für das
Bildungsministerium
Behindertenrat verteilt 10-Jahreszeugnis			                                                       Von Heidemarie Egger

Ursula Naue (Universität Wien), Claudia Rauch (Pädagogische Hochschule NÖ), Wilfried Prammer (Pädagogische Hochschule OÖ),
Bernhard Bruckner (Österreichischer Behindertenrat)							 Fotos: M. Janousek

N
       och immer gehen 40 % der Kinder mit Behinderun-        tanz praktisch umsetzt. Das ist keine Utopie, andere Län-
       gen in die Sonderschule. Nicht alle erhalten dort      der setzen das bereits erfolgreich um,“ erläutert MMag.a
       die beste Bildung ihren Fähigkeiten entsprechend.      DDr.in Ursula Naue (Institut für Politikwissenschaft, Uni-
Oft liegt der Fokus auf Pflege und Therapie. Öffentliche      versität Wien). „Wir brauchen einen Systemwandel. Jedes
Gelder werden weiterhin für den Bau solcher Schulen ver-      Kind hat das Recht, wohnortnah qualitativ-hochwertige
wendet. Das ist die falsche Richtung. Bereits seit Jahr-      Bildung in der Regelschule zu erhalten. Österreich hat
zehnten kritisieren Betroffene und Wissenschaftler*innen      die Verpflichtung dafür zu sorgen und Ressourcen und
das Festhalten an Sonderschulen. Die von Österreich           Rahmenbedingungen dafür bereitzustellen,“ plädiert
ratifizierte UN-Konvention über die Rechte von Menschen       Prof. Claudia Rauch, MA (Department Diversität Pädago-
mit Behinderungen (UN-BRK) beinhaltet das Menschen-           gische Hochschule NÖ, Lehrstuhl für Grundschulpädago-
recht auf ein inklusives Bildungssystem. Alle Kinder          gik und -didaktik Universität Passau, Obfrau Uniability).
müssen die beste Bildung ohne Aussonderung erhalten.
Dieser Verpflichtung ist Österreich nicht nachgekommen.       Was wir in Österreich ändern müssen:
Die Arbeit des Bildungsministeriums in den letzten 10         •   inklusive Bildung bereits im Kindergarten
Jahren genügt nicht, es kann nur die Note „Nicht genü-        •   Ressourcen und Rahmenbedingungen
gend“ gegeben werden. Zum Schulende 2021 wurde dem                für ein inklusives Bildungssystem
Bildungsministerium im Rahmen einer Pressekonferenz           •   Barrieren dürfen nicht zur Einbahn in Richtung
ein ernüchterndes Zeugnis ausgestellt.                            Sonderschule werden
                                                              •   politischer Wille, um ein inklusives Bildungssystem
„Inklusive Bildung basiert auf Akzeptanz von Vielfalt und         vom Kindergarten bis zur Universität umzusetzen.
verlangt nach einem Bildungssystem, das diese Akzep-

20       www.behindertenrat.at
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Petition www.inklusive-bildung-jetzt.at                         Menschen mit Behinderungen in Österreich nachhaltig
Alle Menschen haben das Recht auf Bildung! – so der             verbessert werden!“ fordert Mag. Bernhard Bruckner
Leitspruch der Petition INKLUSIVE BILDUNG JETZT, deren          (interim. Geschäftsführer des Österreichischen Behinder-
Mitinitiator Prof. Wilfried Prammer ist. „Inklusive Bil-        tenrats) abschließend. 
dung ist kein Sparprogramm. Mit der Petition INKLUSIVE
BILDUNG JETZT verlangen die Unterzeichner*innen von
der Regierung, die dringend notwendigen Ressourcen zur
Verfügung zu stellen,“ fordert Prof. Wilfried Prammer, MA
(Institut Inklusive Pädagogik, Pädag. Hochschule OÖ)

Positionspapier
Der Österreichische Behindertenrat fordert die System-
umstellung in Richtung eines inklusiven Bildungssys-
tems. Die Bildungs-Expert*innengruppe erarbeitete dafür
ein Positionspapier mit konkreten Umsetzungsschritten:
• Schaffung von Aktionsplänen mit konkreten
    Schritten zur Errichtung eines inklusiven
    Bildungssystem
• Transfer der Ressourcen von der Sonderschule zur
    inklusiven Regelschule
• Qualifizierung der im Bildungsbereich tätigen
    Personen hinsichtlich Inklusion
                                                                                              Foto: Andi Weiland | Gesellschaftsbilder.de

„Die Forderungen des Behindertenrates müssen Eingang             Infobox
in den Nationalen Aktionsplan Behinderung 2022-2030              Die entstandenen Papiere finden Sie online:
finden. Wir brauchen endlich ein inklusives Bildungssys-         www.behindertenrat.at/2021/04/nap-ag-bildung/
tem in Österreich. Nur damit kann die Lebensrealität von

Ein Zeugnis voller Nicht Genügend für das Bildungsministerium

                                                                                           www.behindertenrat.at                   21
Kultur

Unbehinderter Kulturgenuss
Forderungen von Menschen mit Behinderungen                                             Von Susanne Buchner-Sabathy

ARCHES Workshop im Kunsthistorischen Museum                                                         Foto: KHM-Museumsverband

O
       b man sich nun für alte Burgen   ner*innen folgende Punkte:                   eine Abholung von öffentlichen
       oder neue Architektur inter-     • Wie ist die Bodengestaltung im             Verkehrsmitteln angeboten?
       essiert, für Dinosaurier oder       Außenbereich? „Unverfugtes            •   Gibt es ein tastbares Leitsystem,
Lokomotiven, für Michelangelos             Kopfsteinpflaster ist mit Roll-           das blinden Menschen das Auf-
Skulpturen oder für die Gemälde            stuhl kaum befahrbar“, so Karin           finden des Eingangs ermöglicht?
von Maria Lassnig – Museen und             Chladek.                              •   Gibt es in mehrstöckigen Ge-
Ausstellungen sind attraktive Frei-     • Gibt es einen barrierefreien               bäuden gut auffindbare Lifte,
zeit- und Bildungsangebote für alle        Zugang, der mit Rollstuhl oder            die alle Ausstellungsbereiche
Menschen. Für diesen Artikel wurden        Rollator problemlos genutzt               erschließen?
kunst- und kulturinteressierte Men-        werden kann?                          •   Sind die Toiletten mit Rollstuhl
schen mit Behinderungen gefragt,        • Ist die Webseite des Museums               zugänglich?
worauf Museen achten sollten, damit        barrierefrei? Gibt es dort Informa-   •   Gibt es ein tastbares Leitsystem,
ihr Kulturgenuss ungetrübt ist.            tionen zur Barrierefreiheit? Wird         einen tastbaren Plan oder an-
                                           eine Ansprechperson genannt?              dere technische Einrichtungen,
Gute Wege                               • Gibt es auf der Webseite des               die blinden und sehbehinder-
Für den Weg ins Museum und für die         Museums eine Wegbeschreibung,             ten Menschen Orientierung im
Wege im Museum, für die Ausstel-           die blinden und sehbehinderten            Gebäude und in Ausstellungen
lungsgestaltung und für die Ausstat-       Menschen ermöglicht, den Weg              ermöglichen?
tung nannten die Gesprächspart-            zum Museum zu finden? Wird            •   Werden Ausstellungsobjekte und

22       www.behindertenrat.at
Ausgabe 3/2021

    Beschriftungen so präsentiert,       Detaillierte Beschreibungen                Video-Material?
    dass sie aus sitzender Position      Wertvolle Informationen beziehen       •   Gibt es bei Führungen Unter-
    gut gesehen werden können?           blinde und sehbehinderte Menschen          stützung durch Gebärdensprach-
•   Gibt es Beschriftungen in            auch aus Beschreibungen von Ob-            oder Schriftdolmetscher*innen?
    Brailleschrift, sodass blinde        jekten oder Gemälden. Die visuelle
    Menschen erfassen können, um         Erfahrung eines sehenden Menschen      Leichte Sprache
    welches Objekt es sich handelt?      vor einem Bild ist komplex und         Die Inhalte, die in Museen vermittelt
                                         vielschichtig und kann wohl nie        werden, sind oft sehr komplex. Gibt
Denkmalschutz                            vollständig wiedergegeben werden.      es auf der Webseite des Museums
Bauliche Barrierefreiheit betrifft       Wichtig ist aber, dass alle Details    und in den Ausstellungen Informa-
Menschen mit unterschiedlichen           genau beschrieben und kulturge-        tionen in leichter Sprache? „Davon
Formen von Behinderungen. Um             schichtlich und kunstgeschichtlich     profitieren nicht nur Menschen mit
Mängel in diesem Bereich zu recht-       erklärt werden. „Auch die Empfin-      kognitiven Einschränkungen“, be-
fertigen, wird oft der Denkmalschutz     dungen, die das Bild bei sehenden      tont Jörgis Maislinger, „sondern auch
angeführt. „Davon sollte man sich        Menschen auslöst, gehören zu einer     gehörlose Menschen und Menschen
nicht abschrecken lassen“, sagt          guten Bildbeschreibung“, betont        mit nicht-deutscher Muttersprache.“
Karin Chladek, „Denkmalschutz und        Erich Schmid, „aber sie sollten klar
bauliche Barrierefreiheit lassen         getrennt sein von objektiveren Tei-    Entspannter Respekt
sich durchaus vereinbaren.“ Monika       len der Beschreibung.“                 Alle Gesprächspartner*innen wün-
Schmerold erzählt begeistert von         Der direkte Kontakt mit Expert*in-     schen sich in Museen einen respekt-
der ehemaligen königlichen Yacht         nen, die Ausstellungsobjekte           vollen und entspannten Umgang
Britannia, die in allen Teilen mit       beschreiben, wird sehr geschätzt.      mit dem Thema Behinderung. Um
Rollstuhl besichtigt werden kann.        Wolfgang Kremser empfiehlt das         das zu erreichen, müssen Mitarbei-
                                         Technische Museum Wien, das            ter*innen sensibilisiert und alte
Ertasten können                          persönliche Führungen für blinde       Konzepte hinterfragt werden. Wobei
Sehbehinderte und blinde Menschen        Menschen anbietet.                     sich Museen, wie Monika Schmerold
schätzen es sehr, wenn sie sich                                                 betont, unbedingt von erfahrenen
mittels Tastmodelle oder Tastreliefs     In vielen Museen gibt es Audiogui-     Expert*innen mit Behinderungen
einen Eindruck von einem Objekt          des, mit denen akustische Infor-       beraten lassen sollten. Franz Mayer
oder einem Bild verschaffen können.      mationen zu Ausstellungsinhalten       sieht hier viel Raum für spannende
In seltenen Fällen dürfen Skulpturen     abgerufen werden können. Dabei         Experimente und eine Chance für
oder Gerätschaften berührt werden,       stellt sich die Frage:                 einen fruchtbaren Dialog.
manchmal gibt es gute Nachbil-           • Ist das Gerät auch für Menschen      „Wir möchten genauso wahrgenom-
dungen. „Auch wenn ich sehr gute             bedienbar, die einen Touch-        men werden wie alle anderen Besu-
Beschreibungen bekomme“, sagt                screen nicht sehen können          cher“, betonen Veronika und Franz
Marion Putzer-Schimack, „möch-               oder die darauf nicht gut tasten   Mayer. „Es geht lediglich darum,
te ich ganz unmittelbare, eigene             können?                            den fehlenden visuellen Eindruck zu
Erfahrungen machen. Ich wünsche          • Kann man das Gerät umhängen          kompensieren.“
mir ein Erlebnis für alle Sinne, wie         und den Kopfhörer anstecken,       Stefan Musil hat im Projekt ARCHES
zum Beispiel im Loisium oder bei             sodass die Hände frei sind – zum   erlebt, was eigentlich selbstver-
den archäologischen Ausgrabun-               "Händchenhalten" oder für die      ständlich sein sollte: eine Begeg-
gen in Aquileia.“ Erich Schmid fand          Betätigung eines Rollstuhls?       nung mit Wertschätzung und auf
das Museum der Deutschen Einheit                                                Augenhöhe. 
beeindruckend: „Es gibt viele Hör-       Das Mehr-Sinne-Prinzip ist auch für
stationen und eine Reliefdarstellung     Film und Videos wichtig.
des Brandenburger Tors.“ Veronika        • Können die Audioinhalte auch
Mayer besichtigte die Britischen             abgeschirmt vom Umgebungslärm
Kronjuwelen im Tower von London:             angehört werden? Ist eine Kopp-
„Bei jeder Vitrine gibt es ein tastba-       lung mit Hörsystemen möglich?
res Relief.“                             • Gibt es Audiobeschreibungen für

                                                                                       www.behindertenrat.at       23
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