Morgen - Evangelischer Kirchenkreis Gladbeck Bottrop Dorsten

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Morgen - Evangelischer Kirchenkreis Gladbeck Bottrop Dorsten
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                          morgen
          Das Magazin der Evangelischen Kirchengemeinde Bottrop
Morgen - Evangelischer Kirchenkreis Gladbeck Bottrop Dorsten
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      EDITORIAL

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          VOM ENDE HER DENKEN

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      STREIFLICHTER

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          BOT IN SPE

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          SZENENWECHSEL

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          THE KIDS ARE ALRIGHT

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          LESERBRIEFE

     20
          HEUTE, MORGEN, ÜBERMORGEN

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          EHRENSACHE

     24
          GUTES MORGEN

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Morgen - Evangelischer Kirchenkreis Gladbeck Bottrop Dorsten
morgen
                                                              E D I TO R I A L :
                                                              L . K R E N G E L , P FA R R E R I N

Liebe Leserin, lieber Leser,

Charlotte ist zwei Jahre alt. Beim gemeinsamen Abendessen
lauscht sie aufmerksam dem Gespräch der älteren Schwester
mit den Eltern. Es geht um Berufe und darum, wie man
für sich den richtigen findet. Völlig unerwartet mischt sich
Charlotte ein und sagt: „Ich Einhorn!“

Mit einem einfachen Zweiwortsatz macht Charlotte deut-        und betrachten diese aus unterschiedlichsten Perspekti-
lich, was sie sich für die Zukunft wünscht und erhofft: Sie   ven. Holger Pyka schreibt, wie er sich die Kirche von mor-
will ein Einhorn sein. Was genau das bedeutet, weiß sie       gen vorstellt, und Bottroper SchülerInnen erzählen, was
vielleicht noch nicht. Aber es hat mit Sicherheit mit viel    sie sich von der Zukunft erhoffen. Wir stellen Projekte aus
Glitzer zu tun.                                               unserer Region vor, die in die Zukunft weisen, und wagen
                                                              den durchaus professionellen Blick in die Glaskugel.
Die Zukunft ist ein großes Thema, schon für die Kleinen.
Charlotte ist das beste Beispiel dafür. Die Welt von mor-     Und wenn Sie diese Zeilen lesen, hat die Zukunft, über die
gen ist ein riesiges Mysterium voller Überraschungen. Sie     ich jetzt gerade schreibe, längst begonnen … Verrückt.
verbindet Generationen und trennt sie zugleich. Es ist eine
Zeit, die wir im Grunde mit Spannung erwarten und die
manchmal auch einfach nur Angst macht. Wir widmen die                                        Viel Freude beim Lesen,
neueste Ausgabe unseres Gemeindemagazins der Zukunft                                           Ihre Lisa J. Krengel

                                                                                                                       03
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HER
            DENKEN

     VOM
     ENDE
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Morgen - Evangelischer Kirchenkreis Gladbeck Bottrop Dorsten
T E XT : H . PY K A , P FA R R E R

         „Es ist spannend im Moment,
          und mir ist es ein bisschen
                  zu spannend.“

I
     ch lese gern Krimis. Eigentlich. Manchmal sind sie mir          nach monatelanger Abstinenz wieder aufzuraffen? Es war
     nämlich ein bisschen zu spannend. Dann tue ich etwas,           klar, dass diese Fragen irgendwann kommen würden, spä-
     das man eigentlich nicht tut: Wenn es mir zu aufregend          testens dann, wenn die letzten VertreterInnen einer Gene-
wird, dann blättere ich vor, bis ganz zum Ende. Meistens             ration, die noch wie selbstverständlich in die Kirche rein-
reichen die letzten zwei Seiten: Dann habe ich ziemlich              gewachsen sind, verschwunden sind. Die coronabedingte
klar, wer bis zuletzt überlebt, und mit diesem Wissen fällt          Zwangspause sorgt nur dafür, dass dieser Zeitpunkt wo-
es mir leichter, das Kapitel, in dem die Hauptperson allein,         möglich schneller kommt als gedacht.
ohne Handy und Taschenlampe durch einen dunklen Kel-
ler schleicht, zu Ende zu lesen.                                     Es ist spannend im Moment, und mir ist es ein bisschen zu
                                                                     spannend. Also mache ich das, was ich beim Krimilesen
Ich mag meinen Beruf auch gern, sehr sogar. Eigentlich.              auch mache, und blättere ein bisschen vor. Auf die letzten
Manchmal ist mir auch das Pfarrersein ein bisschen zu                Seiten verschiedener Bücher der Bibel, in der Hoffnung,
spannend. So wie jetzt. Die Gegenwart fühlt sich für mich            dass ich da etwas lese, das mir Perspektiven für das Hier
an wie ein besonders aufregendes Kapitel in der Geschich-            und Jetzt gibt.
te unserer Kirche. Die Pandemie scheint abzuebben, und
nach fast anderthalb Jahren des fröhlichen Improvisierens            Das erste Ende, das ich mir vornehme, ist das Ende der Tora,
hier und gelähmten Nichtstuns dort schlägt die Stunde der            der fünf Bücher Mose. In Dtn 34 werden die letzten Tage
Wahrheit: Kommen wenigstens unsere treuen Kirchgän-                  Moses beschrieben: Kurz vor seinem Tod klettert er auf den
gerInnen wieder in unsere vorsichtig wieder aufgenomme-              Berg Nebo in der Nähe von Jericho. Dort sieht er das gan-
nen Präsenzgottesdienste? Oder haben sie in den Corona-              ze Land vor sich, das Gott seinen Vorfahren versprochen
monaten festgestellt, dass es eigentlich ganz schön ist, von         hat. Vierzig Jahre lang hat er sein manchmal murrendes
zuhause aus den Gottesdienst im Fernsehen oder bei You-              Volk durch Wüsten und Gefahren geführt. Das Land darf
Tube mitzufeiern? Werden wir wieder zur Tagesordnung                 er noch sehen, aber selbst hineinkommen wird er nicht. Ein
übergehen oder bleiben unsere Gemeinderäume leer, weil               trauriges Ende eines tragischen Helden, aber mir macht es
viele Gruppen und Kreise keine Kraft mehr haben, sich                paradoxerweise Mut. Es nimmt mir ein wenig die Angst vor

                                                                                                                             05
Morgen - Evangelischer Kirchenkreis Gladbeck Bottrop Dorsten
den großen Veränderungen: Es kann sein, dass die jetzt Ak-
tiven Veränderungen in der Kirche anstoßen werden, deren
vollen Effekt wir nicht mehr erleben werden. Und wie bei
Mose wird es ein Exodus sein: Wir werden die Kirche aus
mancher bequemen Sicherheit herausführen müssen. Schon                                    Zum Autor:
jetzt bröckeln rechtliche Privilegien, die wir bislang für
                                                                                   Dr. Holger Pyka ist Pfarrer der Ev.
selbstverständlich gehalten haben. Der Religionsunterricht
                                                                               Kirchengemeinde Uellendahl-Ostersbaum
an den Schulen, Lobbyisten in den Parlamenten, vielleicht                        in Wuppertal und Dozent am dortigen
sogar die Kirchensteuer. Und wie die Israeliten werden wir                   Predigerseminar, d. h. Ausbilder für angehende
zwischendurch jammern und uns danach zurücksehnen.                          PfarrerInnen. Als Predigt- und Gottesdienstcoach
Aber vielleicht entdecken wir auch, dass uns manche die-                        ist er an der Seite von PfarrerInnen und
                                                                                 Kirchengemeinden unterwegs, die sich
ser Bindungen unfrei gemacht hat. Und vielleicht werden
                                                                               weiterentwickeln wollen. Zu hören ist Pyka
wir mit einer Waghalsigkeit gesegnet, die etwas verändern
                                                                                regelmäßig als Autor für Kirche in 1Live.
kann. Ich stelle mir vor, dass die Kirche den Einfluss, den
sie als zweitgrößte Arbeitgeberin des Landes immer noch
hat, nutzt, um für gerechte Arbeitsbedingungen zu kämp-
fen. Dass sie als Großkundin Versicherungen und Konzer-
ne dazu zwingt, klimafreundlich und fair zu arbeiten. Bei        bis fünf Beerdigungen in der Woche beschert. Also ma-
Licht betrachtet, haben wir nichts zu verlieren, was uns der     chen sie aus der Not eine Tugend und sich selbst zu einer
demografische Wandel nicht ohnehin nehmen wird.                  Profilgemeinde mit dem Schwerpunkt Trauerarbeit. Statt
                                                                 Seniorenkreisen gibt es Trauergruppen und Seminare zur
Am Ende des letzten Kapitels des nächstes Buchs, in Richter      Sterbebegleitung. Kleine Abordnungen der Gemeindechöre
21, heißt es am Ende: „Damals gab es noch keinen König in        singen auf Beerdigungen und aus der Synagogengemeinde
Israel, und so konnte jeder tun und lassen, was er wollte.“      leiht man die Idee, dass Menschen aus der Gemeinde Trau-
Das klingt nach Anarchie – oder nach heiligem Chaos, das         ernde in der Zeit bis zur Beerdigung mit Essen und prakti-
der schillernden Vielfalt der Welt gerecht wird. Ich würde       schen Alltagshilfen unterstützen, damit sie in Ruhe trauern
mir wünschen, dass die Gemeinden viel häufiger das tun           können. Es wäre an den Kirchenämtern, für solche Gemein-
und lassen, was sie wollen. Die Gemeinde X sieht endlich         den die rechtlichen Rahmenbedingungen zu schaffen.
ein, dass zehn Menschen im Sonntagsgottesdienst zu we-
nig sind. Also stellt sie dieses Angebot ein. Stattdessen geht   Es gäbe noch viele spannende Schlusskapitel in der Bibel.
sie raus in den Stadtteil, lädt sich dort ein, wo Menschen       Am Ende des Buchs Nehemia werden die Regeln des Sab-
zusammenkommen, und bringt Gottesworte und Segen als             bats wieder in Kraft gesetzt, und ich spüre beim Lesen und
Gastgeschenk mit: Auf den Pausenhof der Grundschule am           beim Erinnern an Sabbate in Israel die Energie, die von
ersten Tag nach den Ferien. Im Supermarkt kurz nach Ge-          dieser Vorstellung ausgeht: Eine regelmäßige und absolute
schäftsschluss. Auf den Parkplatz einer Fabrik kurz nach         Auszeit zu nehmen, 24 Stunden lang nichts zu tun (auch
einem Großbrand. Gemeinde Y kriegt seit zehn Jahren              keine Ausschusssitzungen oder Gemeindebriefredaktions-
kaum noch ein beschlussfähiges Presbyterium zustande,            treffen!), um durchzuatmen und sich neu auszurichten.
weil niemand dort wohnt, der sich auf vier bis acht Jahre        Am Ende des Jesajabuchs stehen große Friedensvisionen,
dazu verpflichten will, monatlich langen Sitzungen beizu-        von Löwen, die mit den Schafen Stroh fressen. Sie machen
wohnen. Also stellt sie ihre ganze Arbeit auf Projekte um,       mir Mut, auch auf das Unmögliche zu vertrauen. Am Ende
die von Teams geleitet werden. Einmal im Jahr fahren alle        des Matthäusevangeliums steht das Versprechen Jesu: „Ich
Projektverantwortlichen für ein Wochenende ans Meer und          bin bei euch, alle Tage, bis ans Ende der Welt.“ Und das be-
erträumen die Gemeindearbeit für das nächste Jahr. In Ge-        deutet auch: über das Ende der Volkskirche hinaus. Mehr
meinde Z ist das Pfarrteam kaum noch arbeitsfähig, weil          brauche ich eigentlich nicht. Verdammt spannend bleibt es
das hohe Alter der Gemeindeglieder jedem von ihnen vier          doch.

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Morgen - Evangelischer Kirchenkreis Gladbeck Bottrop Dorsten
„Wir werden
die Kirche
aus mancher
bequemen
Sicherheit
herausführen
müssen.“

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STREIFLICHTER

                     Sternenblick                                                    Mythenlust

Widder, Steinbock, Krebs. Die Sternzeichen weisen auf indi-    Einer rätselhaften Inschrift des Mayakalenders folgend,
viduelle Charaktermerkmale, die genaue Geburtsstunde auf       sollte die Welt am 21. Dezember 2012 untergehen. In Bottrop
den ganz persönlichen Lebensweg – so sieht es die Astrolo-     war es an diesem Tag tatsächlich bedeckt, es regnete sogar.
gie in ihren Horoskopen seit etwa 500 vor unserer Zeitrech-    Und dann kam der 22. Dezember. Bereits drei Jahre zuvor
nung vor. Wie immer, wenn etwas unfassbar ist, scheiden        machte ein weltweiter Kinoerfolg Lust auf das Jahr 2012 und
sich hier die Geister zwischen spinnertem Blödsinn und be-     ließ die Erde auf der Leinwand kurzerhand kollabieren. Pas-
lastbarer (Halb-)Wissenschaft. Doch egal wie kritisch man      siert ist auf dem Planeten nichts Vergleichbares – jedenfalls
den Allerwelts-Horoskopen begegnet, die Astrologie erlebt      nicht mit derartigem Krabumm. Apokalyptische Rhetorik
derzeit eine Renaissance. Besonders junge Menschen grei-       und mystischer Endzeit-Horror faszinieren die Menschen
fen zu Sternen-Apps wie „Co-Star“ und bringen Tierkreis-       wohl, seit es sie gibt. Maximale Naturkatastrophen und töd-
zeichen und Aszendenten zurück in die Mitte ihrer Milleni-     liche Plagen inklusive. Themen, die auch in der Bibel viel-
ums-Gesellschaft. Dorthin, wo der Blick in die Sterne früher   fach ihren Platz finden. Und doch wissen wir, dass in der
schon mal (sehr lange) war. Wissenschaftler gehen davon        Menschheitsgeschichte bisher jedes noch so wuchtige De-
aus, dass eine Generation, die mit 9/11 und dem faktischen     saster überstanden ward. Mythen der Endzeit folgen dabei
Klimawandel in einer Welt ohne Wohlstand und Frieden           einem identischen Schema: Die Krise kündigt sich an – die
aufwächst, gerne ein geordnetes und vorherbestimmtes Zu-       Krise ist da – die Krise ist überstanden. Und danach ist alles
kunftsbild hätte. Eben das, was Horoskope bieten.              wieder gut. Es ist auch ein urmenschlicher Zweckoptimis-

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Morgen - Evangelischer Kirchenkreis Gladbeck Bottrop Dorsten
mus, der uns durch dramatische Zeiten schifft. Mit so viel     te machen sich dann eher durch eine leere Batterie des Ta-
positiver Grundenergie lässt sich auch der cineastische        schentranslaters als in mangelhaften Vokabeltests bemerk-
Weltuntergang gar köstlich aushalten.                          bar.

                     Wiederbelebt                                                   Beam me up!

„De-Extinction“ klingt nach einem Stück Software und           Bereits in den 1960er Jahren telefonierte die Besatzung des
meint doch die Wiederbelebung längst ausgestorbener Le-        Raumschiffs Enterprise mit Kommunikatoren, kleinen auf-
bewesen. Mit dem technologischen Fortschritt ist es durch-     klappbaren Geräten, die den ersten Klapphandys Mitte der
aus möglich, das Genom ausgestorbener Tiere der Eiszeit zu     1990er Jahre erstaunlich ähnlich sahen. Um im Beispiel
entziffern und daraus … ja was eigentlich? Erst vor wenigen    Enterprise zu bleiben, gelang es Forschern der Johannes Ke-
Monaten gelang es WissenschaftlerInnen das bislang älteste     pler Universität in Linz im Jahr 2018 tatsächlich zu beamen.
jemals entdeckte Mammutgenom aus dem sibirischen Per-          Die Teleportation einzelner Quantenzustände ist möglich,
mafrostboden zu entschlüsseln. Geschätztes Alter: 1,65 Mil-    allerdings (noch) nicht für Menschen. Stattdessen handelt es
lionen Jahre. Beim Woolly Mammoth Project der Harvard          sich um eine Schlüsseltechnologie für künftige Quanten-
Universität werden jüngere Gene für spezifische Merkmale       kommunikationsnetzwerke. Die Idee ist identisch, nur nicht
in das Genom eines Elefanten eingesetzt. Sollten die Versu-    ganz so publikumswirksam. In Stanley Kubricks 1968 veröf-
che „glücken“, handelt es sich bei den lebenden Nachfahren     fentlichtem Film „2001: A Space Odyssey“ gab es sprechende
um Mischwesen aus Elefant und Mammut. Die Vergangen-           Computer, künstliche Intelligenz und Computer im
heit wird zur ethisch diskutablen Zukunft. Übrigens starb      iPad-Format. Technik, die zum Teil erst ein halbes Jahrhun-
das letzte Mammut vor rund 4.000 Jahren in Sibirien. Mam-      dert später Wirklichkeit wurde. Gerade Science-Fiction-Fil-
muts sind keine Dinosaurier, die wiederum vor 65 Millio-       me setzen also entweder jüngste Innovationen noch vor de-
nen Jahren ausstarben – auch wenn sie in Animationsfilmen      ren Marktreife um oder sind ihrerseits Treiber der Forschung
gerne gemeinsam auftreten.                                     – schließlich gehen auch Wissenschaftler ins Kino. Oder die
                                                               Autoren sind aufmerksame Leser der Wissenschaftslitera-
                     Sprechen 2.0                              tur ihrer Zeit, die oftmals der Umsetzung Jahrzehnte voraus
                                                               ist. So wird's sein.
Einst war das Lateinische eine Weltsprache. Später domi-
nierten das Spanische, Französische und dann vor allem
das Englische. Deutsch steht heute im internationalen
Sprachen-Ranking immerhin auf Platz 12 – von weltweit
rund 6.500 Sprachen. Und auch wenn die Globalisierung
die englische Sprache in all ihren bisweilen stark vereinfa-
chenden Dialekten zur beinahe universellen Weltsprache
erhebt, ist ihre Vorherrschaft keinesfalls gesichert. Im Ge-
genteil, diese Sprachenmacht ist fragil. Künstliche Intelli-
genz sorgt längst für eine simultane Automatik-Überset-
                                                                           „Apokalyptische Rheto-
zung in beinahe jede Sprache dieser Erde. Google Translate,                rik und mystischer End-
DeepL und viele Computerhilfen mehr weisen den Weg
der Sprache von morgen. Noch müssen SchülerInnen Vo-                        zeit-Horror faszinieren
kabeln und Grammatik büffeln, aber wie lange noch? Die
IT wird jegliche Sprachbarriere überwinden und damit der
                                                                           die Menschen wohl, seit
weltweiten Kommunikation einen weiteren Schub verlei-                               es sie gibt.“
hen – und zugleich ganze Berufssparten auslöschen. Die
Weltsprache der Zukunft ist damit weit von der um 1890
gebildeten Kunstsprache Esperanto entfernt. Sprachdefizi-

                                                                                                                       09
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Beim Blick vor die Haustür ver-
            schwimmen die Veränderungen der
        Umgebung, weil sie tagtäglich sichtbar
           sind. Unserer Wahrnehmung fehlen
   schlichtweg die Sprünge. Die schleichende
Veränderung wird auf diese Weise alltäglich,
  bevor sie zum Alltag erwächst. Wer jedoch
       lange nicht hier war, wundert sich über
                        eine sich wandelnde Stadt.

W
            elcher Bottroper hätte vor 30 Jahren vorherge-     Lage als kupferfarbener Monolith und bereichert diese Stadt
            sehen, dass auf einer Abraumhalde der Stadt        seit dem 1. September 2009 um eine akademische Kom-
            in Kürze eine gigantische Pyramide aus 210         petenz mit bundesweiter Duftnote. Sie darf nicht nur auf-
Tonnen Stahl stehen würde? Ein weithin sichtbares Geo-         grund ihrer matt schimmernden Hülle glänzen, hier blicken
metriegerippe, das irgendwann mal zum wortwörtlichen           ForscherInnen auch in eine vielleicht glänzende Zukunft,
Highlight der Region erwachsen würde? Eine Skihalle? Ein       die uns alle betrifft. Das Institut für Energiesysteme und
Filmpark? Eine Hochschule? Gar eine Stadt der Innovation       Energiewirtschaft betrachtet dabei u. a. die Energienetze
und eine, durch die eine saubere Emscher fließt?               Deutschlands und geht der Frage nach, wie die Integration
                                                               erneuerbarer Energiesysteme ins Netz funktionieren kann.
Aus der Gegenwart betrachtet klingt es irritierend und ge-     Etwas griffiger formuliert überlegen die Wissenschaftler
wöhnlich zugleich, wie sehr sich Stadt, Region, ein ganzes     also, wie es möglich ist, Sonnenenergie für jeden dauerhaft
Land in wenigen Jahrzehnten verändern. Auch wenn es            verfügbar zu machen, auch wenn die Sonne nicht scheint.
Bauprojekte gibt, die langfristig geplant werden, offenbart    Gleiches gilt für die Windenergie bei Flaute. „Das alles hat
doch erst ihre Realisierung, welchen Einfluss diese bauliche   limitierende Folgen für das Energiesystem. Wie man das
Veränderung auf das Leben vor Ort hat. Es ist wie ein neues    aber trotzdem sinnvoll zusammenbringen kann, daran for-
Rezept, dessen Aromen sich allein in der Mixtur erschließen.   schen wir“, erklärt Prof. Dr. Jens Paetzold, Leiter des Insti-
Ob diese Melange wiederum schmeckt, steht auf einem ganz       tuts. Seit 10 Jahren ist er in Bottrop aktiv und forscht zum
anderen Blatt.                                                 Blackout – zum totalen Stromausfall, wenn schlichtweg
                                                               nicht genug Strom da ist, um alle Steckdosen zu befüllen. Es
Also erschließen wir uns Bottrop beispielhaft aus zwei Rich-   ist ein riesiges Thema, an dem viele mitdiskutieren: Ökono-
tungen, betrachten die Hochschule und einen renaturierten      men, Energieunternehmen, PolitikerInnen, Umweltgruppen
Abwasserfluss und sehen uns an, wie planbar Zukunft ist        und natürlich auch eine breite Öffentlichkeit. Unlängst sollte
– oder wie planlos.                                            der Hambacher Forst dem ausgezählten Braunkohletagebau
                                                               weichen, und eine Nation lief Amok. Der Wasserkocher soll
             Akademisches Lüftchen                             dennoch Teewasser erhitzen. Ein Dilemma? „Wie viele klas-
                                                               sische Energiequellen brauchen wir noch? Und wie lange
Deutschlandweit gibt es derzeit 423 Hochschulen. Eine steht    müssen sie als Schattenkraftwerk fungieren – quasi als Not-
in Bottrop. Auch wenn sie als kooperatives System mit Mül-     stromaggregat, um einspringen zu können, wenn die Rege-
heim an der Ruhr verschmolzen ist, steht sie hier in bester    nerativen nicht reichen?“, fragt sich auch Paetzold.

                                                                                                                          11
„Wie viele
                                                                                          klassische
                                                                                        Energiequellen
                                                                                          brauchen
                                                                                          wir noch?“
                                                                                           Prof. Dr. Jens Paetzold

     Gespeicherte Energie                Batterien der Welt sind derzeit Pump-     ich heute tue, auch nur im Ansatz vor-
                                         speicherkraftwerke, bei denen gi-         hersehen können“, gesteht Paetzold.
Das alles sind europaweite Fragen,       gantische Mengen Wasser von einem         Wie auch? Wer eine klassische Ausbil-
keine deutschen. Im Grunde gelten        tieferliegenden See in einer höher lie-   dung macht, ist anschließend etwa 40
sie für die ganze Welt. Seit Jahrzehn-   genden See gepumpt werden – und           Jahre berufstätig. Die meisten Berufe
ten ist die Endlichkeit der fossilen     zwar, wenn genug Strom da ist. Wird       verändern sich in dieser Zeit so sehr,
Energieträger bekannt, und noch          der Strom in der Steckdose knapp,         dass die Tätigkeiten beim Einstieg ins
länger, dass ihre Verbrennung zum        fließt das Wasser von oben nach unten     Berufsleben kaum noch etwas mit de-
Klimawandel massiv beiträgt. Die         an mächtigen Generatoren vorbei, die      nen beim Ausstieg zu tun haben.
großen Veränderungen lassen sich         wiederum Strom produzieren. Voilà –
indes Zeit. Oftmals Jahrzehnte – mit     eine Batterie in XXL. Leider eine mit     Es ist auch eine Ansage an die Studie-
dem Segen der verantwortlichen Po-       erheblichen Auswirkungen auf die          renden der Gegenwart: Was sie lernen,
litik. Was können also Bottrops For-     Ökosysteme, weil dafür in der Regel       wird oftmals in wenigen Jahren über-
scherInnen tun? Sie können forschen!     natürliche Räume unwiederbringlich        holt sein. Wichtiger ist aber, dass sie
Beispielsweise an Batterien, um die      zerstört werden. Stattdessen ist der      lernen, mit Fragestellungen umzuge-
Energielücken zukünftig zu füllen.       vorherrschende Energieträger der Zu-      hen. Die Fragen werden sich ändern,
Und das tun sie auch. Sie liefern in     kunft derzeit das Gas. Irgendwie auch     der Weg zur Antwort kaum. „Wir ha-
vom Bund geförderten Forschungs-         keine echte Lösung. Aber vielleicht       ben wirklich alle Möglichkeiten, durch
projekten Erkenntnisse, nahe an der      kommen die Lösungen ja noch.              neue Entwicklungen die uns umge-
Grundlagenforschung. Sie kümmern                                                   benden Probleme zu lösen. Wir kön-
sich um zahllose Speicherdetails, die      Verändertes Berufsleben                 nen es schaffen. Auch wenn es uns in
später einmal Wirkung zeigen. Eine                                                 der Geschichte nicht immer gelungen
Batterie bauen sie aber nicht. Dabei     „Als ich anfing zu studieren – vor 35     ist, diesem Ideal zu folgen.“ Das nennt
sind diese so wichtig. Die stärksten     Jahren – hätte ich nichts von dem, was    man wohl mal Lokal-Realismus.

12
Natürliches Abwassersystem                          terernährt, die hygienischen Bedingungen verheerend.

S
                                                             Krankheiten wie Tuberkulose breiteten sich rasant aus. Ne-
       pricht man über die globalen Umweltprobleme, sind     ben vielen Problemen gab es auch einen Entwässerungsnot-
       sich die Fachleute quer durch die Disziplinen wei-    stand. Wohin mit den frischen Industrieabwässern? Wohin
       testgehend einig, dass sich die mannigfachen Folgen   mit den menschlichen Abwässern? Bis 1899 wurden alle
der Industrialisierung zu jenem Klimawandel formen, in       Abwässer nahezu ziel- und planlos in die nächstmöglichen
dessen umwälzenden Folgen wir knöcheltief stecken. Ein       Flüsse geleitet. Die Emscher mit ihren zahlreichen Nebenbä-
Dilemma, das natürlich irgendwann mal begann: Bereits        chen, wie die Boye und die Berne auf Bottroper Gebiet, war
1525 wurde eine sogenannte Kohlebank in Witten entdeckt.     ein natürliches Abwassersystem. Aus den Augen, aus dem
1637 gab es die erste offizielle Zeche in der Region, 1856   Sinn. Dann begründete der preußische Landtag die Emscher-
eröffnete Prosper I – damals noch auf Borbecker Gebiet.      genossenschaft und zwang diese, das heillose Hygienechaos
Die Industrialisierung lief auf Hochtouren. Aus Landwirt-    zu lösen. „Für das ökonomische Überleben Deutschlands
schaft wurde Industriegebiet. Aus Einzelhöfen verdichtetes   war die Entscheidung, die Emscher als Abwasserfluss zu op-
Wohnen. Bottrop wuchs in wenigen Jahrzehnten von einer       fern, existenziell. Nur so konnten die Menschen im Ruhrge-
kleinen Landgemeinde zur rund 60.000 Einwohner zäh-          biet weiterleben. Die hygienische Situation hätte man sonst
lenden Bergbaustadt heran. Die Menschen lebten mit ihren     nicht in den Griff bekommen“, erklärt Prof. Dr. Uli Paetzel,
Familien in viel zu kleinen Wohnungen, waren oftmals un-     Vorstandsvorsitzender der Emschergenossenschaft.

                                                                                                                      13
Fließender Gestank                  Wasser des von Grün eingerahmten                  Teurer Leuchtturm
                                          Borbecker Mühlenbachs – wie Boye
Damals entstanden die berühmt-be-         und Berne ein ehemals verdreckter Ne-      5,5 Milliarden Euro verschlingt dieses
rüchtigten Betonsohlschalen, die die      benfluss der Emscher. Es ist beinahe ir-   weltweit nicht nur einmalige, sondern
Emscher einfassten, kanalisierten und     ritierend, weil dieses idyllische Stück-   auch mit großem internationalen Inter-
schneller machten. Das gesamte Ab-        chen Natur zwei Gehminuten vom             esse verfolgte Projekt. Nirgendwo gab
wasser wurde nun oberirdisch abge-        Rhein-Ruhr-Zentrum an der Grenze           es bisher einen derart ambitionierten
leitet. Erste Kläranlagen reinigten ab    zwischen Mülheim und Essen verläuft.       Versuch, wieder gut zu machen, was
Ende der 1920er Jahre immerhin vor,       Bebautes Gebiet, Mietwohnungen, ein        Generationen vor uns so gravierend
bevor der einstmals dreckigste Fluss      schmaler Grünstreifen, den Jogger nut-     verändert haben. Es ist ein Leucht-
Deutschlands in den Rhein eingeleitet     zen – und Hundebesitzer. Jeder Besu-       turmprojekt für alle Industrienationen,
wurde. So blieb es – lange. Fast jeder,   cher kann hier bis ans ruhig fließende     mit beeindruckenden Fakten.
der irgendwann mal die Emscher in         Ufer gehen und sich wundern. Bereits
Zeitlupe querte, erinnert sich an ihren   150 Kilometer Flusslandschaft sind         - Zwischen Dortmund und Dinsla-
gnadenlosen Gestank. Es war wirklich      derart renaturiert. Aus Schmutzwas-          ken verläuft bereits heute der 51 km
eine irre Kloake aus Industriedreck       serablauf wird wieder Bach. 1992 be-         lange Abwasserkanal Emscher
und menschlichen Abfällen.                gannen im Rahmen der IBA, der In-            aus Stahlbeton-Rohren mit Innen-
                                          ternationalen Bauausstellung Emscher         durchmessern zwischen 1,60 und
            Idylle pur                    Park, die Arbeiten an diesem Mam-            2,80 Meter.
                                          mutprojekt. In genau 30 Jahren sollte
Und nun kniet sich Paetzel nieder und     die stinkende Emscher in einem un-         - Drei Pumpwerke heben das Abwas-
fischt mit der Hand durch das klare       terirdischen Abwasserkanal verlaufen.        ser aus dem Abwasserkanal Em-

14
„Eine Fischart, die
 sonst an keiner an-
  deren Stelle mehr
 im Emschergebiet
 vorkommt, hat 140
   Jahre überlebt –
     die Groppe.“

  scher und vier dezentrale Klärwer-     wird, symbolhaft ‚Emschergroppe′, da        machten Umweltsünden das natürli-
  ke reinigen das Wasser bis zur Ein-    er wieder in die renaturierten Flüsse       che System dieser einen Erde auszuhe-
  leitung in den Rhein.                  zurückkehrt und für den ökologischen        beln. Wie gesagt – wir sind mittendrin,
                                         Erfolg des Emscher-Umbaus steht.“           die Konsequenzen zu (er)leben. Auch
- Rund 180 km Flussläufe werden                                                      wenn die Kosten für die Renaturie-
  noch renaturiert.                            Alternativloser Plan                  rung der Emscher gigantisch schei-
                                                                                     nen, sie sind ein Nichts im Vergleich
- Es entstanden bis 2021 über 200 km     Und wozu der ganze Aufwand? Spä-            zu den Summen, die die Menschheit
  Radwege und echte Naherholung.         testens jetzt blickt man von den Feh-       in die Hand nehmen müsste, um die
                                         lern der Vergangenheit in die Zukunft       ökologischen Vergehen der Vergan-
So ziemlich alle Gewässerlebewesen,      und kommt zu einer einfachen Ant-           genheit für eine lebenswerte Zukunft
die ehemals in der Emscher lebten,       wort: Weil es so einfach nicht mehr         zu garantieren.
sind durch die Nutzung als Abwasser-     weiter- ging und -geht. Das Bewusst-
lauf verschwunden. Es gibt aber einen    sein für die Natur spielt heute eine        Und doch gilt: Ein langer Weg beginnt
Oberlauf in der Bottroper Boye, der      zentrale Rolle, weil der Blick in die Zu-   mit einem ersten Schritt. Jene Rena-
nie mit Abwasser verschmutzt wurde.      kunft düster wird, wenn man sich die        turierung eines Industrieflusses, die
„Das ist ein Glückstreffer, weil dort    Konsequenzen einer verschmutzten            auch Bottrop ein gutes Stück alte Na-
eine Fischart 140 Jahre überlebte, die   Welt ansieht.                               tur neu beschert, ist superb. Bottrop ist
sonst an keiner anderen Stelle mehr                                                  – nach Remscheid – die zweitkleinste
im Emschergebiet vorkommt – die          Der Beginn der Industrialisierung           Großstadt in NRW. Dafür passiert hier
Groppe. Wir nennen den Fisch, der        wird etwa ins Jahr 1830 datiert – viel      eine ganze Menge auf dem Weg in die
von Experten der Uni Köln erforscht      Zeit, um in endlos vielen menschenge-       Zukunft.

                                                                                                                          15
THE KIDS ARE
                   ALRIGHT
     In einem Fragebogen haben wir im Frühsommer 2021 Bottroper SchülerInnen nach
      ihrem Bild von Zukunft befragt. Es kamen über 160 Fragebögen zurück. Der Blick
     der Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen zeigt einmal mehr, wie intelligent
     diese Generation ist, wie informiert und wie optimistisch. Dabei greifen die jungen
       Köpfe nahezu alle gesellschaftlichen, wissenschaftlichen wie politischen Themen
                        dieser Zeit auf. Quer durch alle Schulformen.

16
Idalena Ostroske (12)
Die Zukunft ist ein bisschen wie Modelliermasse: Wenn wir
unsere Zukunft falsch formen, dann hat man vielleicht eine
Delle in einer Modellierkugel. Aber wenn man alles richtig
formt, dann ist die Kugel schön rund. Und wenn wir unsere
Zukunft gut formen, dann gibt es durchaus gute Aussichten.
Es ärgert mich allerdings, dass wir in der Schule so wenig
darüber lernen. Wir sind schließlich die nächste Generati-
on und müssen doch erfahren, wie wir die Erde am besten
schützen können. Ich blicke daher eher mit gemischten Ge-
fühlen in die Zukunft. Ich habe Angst, dass immer weniger
Menschen auf die Umwelt achten. Zugleich hoffe ich, dass
genügend Menschen auf unsere Welt aufpassen. Es ist alles
so ungewiss. Zukunft ist wie Wind: Man kann ihn zwar vor-
hersagen, aber ob er genau so weht, das weiß man nicht.

                                                             Fares Alfachtaki (10)
                                                             Vor 5 Jahren bin ich mit meinen Eltern aus Syrien vor dem
                                                             Krieg geflohen. Wenn ich an die Zukunft denke, denke ich
                                                             daran, wie ich später in der Berufsschule bin oder studiere
                                                             und dann arbeite. Ich möchte gerne Polizist oder Pilot wer-
                                                             den. Mein großer Bruder ist Polizist. Ich möchte gerne da-
                                                             für sorgen, dass böse Menschen, die etwas falsch machen,
                                                             bestraft werden. Das ist eine gute Vorstellung. Später lebe
                                                             ich hier in diesem Land und bin vielleicht auch ein Papa.
                                                             Hier herrscht Frieden. Syrien ist zwar ein total schönes
                                                             Land, aber es ist sehr gefährlich und es ist alles kaputt dort.
                                                             Viele aus meiner Familie sind im Krieg gestorben. Das ist
                                                             schlimm. Die Zukunft wird trotzdem gut. Ich hoffe, dass
                                                             alle Menschen etwas Schönes erleben, Schönes mit ihrer Fa-
                                                             milie teilen und eine gute Zukunft haben.

                                                                                                                        17
Information:
                                                              In unserem alle zwei Monate erscheinenden Newsletter einwortAktuell
                                                              berichten wir ausführlich über die Fragebogenaktion. Dort erhalten Sie
                                                              auch einen umfassenden Überblick über die tollen Antworten der 162
                                                              Bottroper SchülerInnen, die uns geschrieben haben. EinwortAktuell
                                                              bekommen Sie gedruckt in allen Gemeindehäusern der Evangelischen
                                                              Kirchengemeinde Bottrop oder digital über die Homepage der Kirchen-
                                                              gemeinde www.ev-kirche-bottrop.de.

Dominik Papke (19)                                            Dana Tanz (18)
Den Begriff Zukunft verstehe ich als sehr nah, weil wir       Im Grunde blicke ich sehr positiv in die Zukunft. Ich glaube
diese nahe Zukunft im Hier und Jetzt mit unseren eigenen      einfach, dass es meiner Generation noch gut gehen wird.
Händen beeinflussen können. Hier habe ich Einfluss auf        Aber die nach uns kommen – also die, die noch gar nicht
das, was ich mache. Das gilt für mich und für alle Men-       geboren sind – die werden es schwerer haben. Ansonsten
schen. Kann ich mich demgegenüber auf die ferne Zukunft       sprechen wir untereinander beim Thema Zukunft eher da-
freuen? Nicht so richtig. Ich weiß ja nicht, was kommt. Das   rüber, was wir nach der Schule machen. Der eine geht ins
ist doch sehr diffus und nebulös. Wie soll man sich darauf    Ausland, die andere studiert, wieder ein anderer macht ein
freuen? Aber vielleicht freue ich mich in der Zukunft über    Freiwilliges Soziales Jahr. Wir wollen alle auf eigenen Bei-
die Gegenwart, das wäre klasse. Dennoch glaube ich, dass      nen stehen. Ansonsten haben wir noch viel Zeit, um z. B.
die meisten Menschen in der Zukunft über ihre Verhältnis-     darüber nachzudenken, was wir beruflich machen wollen.
se leben werden. Das wäre der gleiche Fehler, den wir seit    Zugleich kümmern sich bereits ganz viele in meinem Alter
Jahrhunderten machen. Bei all dem hilft mir mein Glaube.      um Multikultiprojekte oder um den Naturschutz. Bahn frei
Er ist mir wichtig, weil der Glaube dafür sorgt, dass meine   für die Jungen – das ist doch eine coole Bereicherung für
Zukunft eben nicht aussichtslos ist.                          die Zukunft!

18
Ihre Meinung                                                                                           Leserbriefe
Seit der ersten einwort-Ausgabe erhalten wir Rückmeldungen von unseren
LeserInnen. Briefe, die wir gerne (gekürzt) abdrucken.                                                 Offen und ehrlich

01 / „Einwort war über das Thema ‚Liebe′ sehr informativ                 es schafft, Menschen und ihre Gedanken und Geschich-
und interessant. Habe dem einiges Wissenswertes entnom-                  ten zum Sprechen zu bringen: Wie Ihr sie findet, wie sie
men. Und ich habe Einwort direkt zweimal weiter geschenkt                sich öffnen und Einblick geben, wie Ihr das thematisch
an mir bekannte Katholiken und meinem Philosophen-                       zusammenstellt – das alles ist große Klasse. Ich weiß zwar
bruder aus Kiel auch noch etwas daraus zugeWhatsappt.                    nicht, ob ‚das entgegensetzte Prozedere der apperzeptiven
Meine Erfahrung mit der Liebe hat direkt etwas mit Jesus/                Ergänzung′ (S. 25) unbedingt Erwähnung finden musste,
Geist/Gott zu tun. Ich lebe und bin Mensch nicht allein                  es darf gern weniger intellektuell daherkommen. Aber das
nur in der Liebesbeziehung mit meiner Ehefrau Christina,                 schmälert nicht das Gesagte: ein erstaunliches, im wahrs-
sondern auch mit Jesus/Gott. Mit beiden bin ich in Liebe                 ten Sinne ‚ansprechendes′ Magazin, trotz viel Lokalkolorit
zusammengekommen. Ich bin mit beiden gemeinsam und                       auch überregional interessant, und völlig unbeeinträchtigt
vereint, verbündet. Beide wollen auch durchaus etwas von                 von Corona. Prädikat: sehr besonders. Chapeau!“
mir und bekommen es auch. Diese Liebe hat mich in 30 Jah-                Joachim Anicker, Ochtrup
ren viel verändert als Mensch und auch als Mann.“
Ulrich Hübner-Füser, Bottrop                                             04 / „Der Artikel [sc. Des Priesters Eh(r)e] ist sehr gut
                                                                         geworden. Gratulation! Das Heft ist im Ganzen sehr profes-
02 / „Ich habe mit großer Begeisterung das aktuelle ein-                 sionell. Sehr ansprechend und gleichzeitig inhaltlich sehr
wort-Magazin zum Thema ‚amore′ online gelesen. Vielen                    gutgemacht.“
Dank erstmal für die ganze Liebe und Mühe, die dort in                   Generalvikarin Anja Goller,
die Arbeit zu dem Heft gesteckt wurde/wird. Das war die                  Katholisches Bistum der Altkatholiken in Deutschland, Bonn
erste Ausgabe, die ich davon gelesen habe. Ich habe es als
sehr angenehm empfunden, dass so ein alltägliches Thema                  05 / „Von einem Kirchenmagazin hatte ich bisher ein tris-
aus so unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet und                     tes Design, trockene Texte und um ehrlich zu sein, nicht
zwischendrin der Bezug zum Glauben hergestellt wurde,                    viel Ansprechendes erwartet. Das ‚einwort′ ist so ganz
jedoch ohne einen erzwungenen missionierenden Charak-                    anders. Schon die schlichte Ästhetik des Covers ist optisch
ter (im negativen Sinn) zu bekommen.“                                    so ansprechend, dass man neugierig auf den Innenteil
Robin Kattner, Berlin                                                    ist. Die Texte sind persönlich und informativ gestaltet,
                                                                         wodurch das Magazin einem Kirche auf moderne Art und
03 / „Herzlichen Dank für das neue Heft ‚amore′! Es ist                  Weise näher bringt. Ich freue mich schon auf Eure nächste
– von gleichbleibender Qualität und Tiefe – wieder mal                   Ausgabe.“
eine Freude, darin zu lesen. Ich bin beeindruckt, wie Ihr                Carmina Blum, Bottrop

                                                                                                                                      19
20
T E XT : A . W I L I N S K I , P FA R R E R I N

                       Heute, morgen, übermorgen
                Darum sorgt nicht für morgen, denn der morgige Tag wird
                    für das Seine sorgen. Es ist genug, dass jeder Tag
                                  seine eigene Plage hat.

Da prallen sie wieder aufeinander:         Chefin ansteht. In der Nacht fehlt                     ten mit unseren Kräften, damit sie
Meine Perspektive als Mutter und die       der Schlaf, weil die Gedanken schon                    auch dann noch da sind, wenn das
meines Kindes. „Mama, ich möchte           um die Aufgaben von morgen krei-                       Morgen zum Heute wird.
ein Eis!“ „Wir hatten doch vorhin          sen. Alles Momente, in denen sich
schon eins. Morgen können wir wie-         die Gegenwart hauptsächlich um die
der eins essen.“ Es folgt ein Tobsuchts-   Zukunft dreht und der Stress Besitz
anfall. Das, was mein Kind will, will      von einem ergreift.
es jetzt oder wenigstens noch heute.
                                           In Momenten wie diesen ist Gott der-
Was meinem Kind das „Heute“ ist,           jenige, der uns daran erinnert, uns zu                 Palingenia longicauda
war meinen Großeltern das „Morgen“.        fokussieren, zu konzentrieren auf das,
Hinarbeiten auf eine unbeschwerte          was jetzt, was heute dran ist. Unsere                  Bei Eintagsfliegen vergeht das ganze Erwachsenen-
Zukunft, auf eine sorglose Rente.          Sorgen um den morgigen Tag sollen                      leben wie im Flug. Ganze drei Jahre harren sie am
Immer auch getrieben von der Angst,        uns nicht davon abhalten, den heuti-                   Grund des Flusses als Larven im Schlamm aus. Das
die Anstrengungen im Heute könn-           gen bewusst zu gestalten.                              Erwachsenenleben der Eintagsfliege dauert dann
ten nicht ausreichen für ein „Morgen“,                                                            tatsächlich nur wenige Stunden, und die sind genau
wie man es sich erträumt mit den gro-      Gott sagt vor dem Besuch: Das wird                     durchgetaktet. Das Startsignal dazu gibt den Tieren

ßen Reisen um die Welt.                    schon. Es war doch bisher immer nett                   ihre innere Uhr. Eintagsfliegen müssen sich schnell

                                           mit ihnen. Gott erinnert im Meeting:                   fortpflanzen. Sie haben es so eilig, dass nicht einmal
                                                                                                  zum Schlafen oder Fressen Zeit bleibt. Deshalb flie-
Für Kinder ist das Morgen unendlich        Du und deine Ideen sind jetzt hier
                                                                                                  gen die Männchen nach dem Verlassen ihrer letzten
weit weg. Für Erwachsene ist häu-          gefragt. Das Gespräch ist erst morgen.
                                                                                                  Metamorphose-Hülle zurück zur Wasseroberfläche,
fig das Gegenteil der Fall, da wird        Gott entlastet abends im Bett: Schlaf
                                                                                                  wo die ersten Weibchen auftauchen. Nach gut einer
das Morgen schnell übermächtig und         jetzt und erhol dich.
                                                                                                  Stunde ist das Spektakel vorüber. Und mit ihm das
lässt für das Hier und Jetzt kaum
                                                                                                  kurze Leben der Männchen. Für die Weibchen hinge-
noch Raum. Der Besuch der Schwie-          Gott sorgt gut für uns, indem er uns                   gen geht es noch weiter. Sie fliegen flussaufwärts, oft
gereltern verursacht vielleicht schon      ermutigt, unsere Kraft und Ener-                       mehrere Kilometer weit. Dabei berühren sie ab und
Tage im Voraus Stress. Für das Mee-        gie voll und ganz in die Plagen, in                    zu das Wasser und legen einige ihrer 9000 winzigen
ting fehlt die Konzentration, weil         die Herausforderungen des heutigen                     Eier ab. Ist die Mission erfüllt, sterben auch sie. Ein
morgen ein Einzelgespräch mit der          Tages zu investieren, gut zu haushal-                  Tag wie im Rausch.

                                                                                                                                                    21
EHRENSACHE
         In Deutschland üben 23 Millionen Menschen ein Ehrenamt aus.
     Sie engagieren sich freiwillig und übernehmen wichtige gesellschaftliche
                  Aufgaben. Auch in unserer Kirchengemeinde.

Tobias Schmidt                          Swantje Tapper                           Jürgen Erbel
34 Jahre                                16 Jahre                                 61 Jahre

Taufe, Krabbelgruppe, Konfirmation.     Schon als kleines Kind ging Swantje      Bereits in jungen Jahren engagierte
Die Verwurzelung mit der Kirche         Tapper zu den Kinderbibeltagen, die      sich Jürgen Erbel in der Jugendar-
wird Tobias Schmidt quasi in die        sie später auch (neben der Advents-      beit seiner Gemeinde im Eigen. Zwi-
Wiege gelegt. Als Jugendlicher          werkstatt) organisatorisch beglei-       schen Studium und Kind ruhten seine
machte er eine mehrwöchige Ehren-       tete. Bereits während des Konfirma-      Aktivitäten einige Jahre, bevor er
amtlichen-Ausbildung und begleitete     tions-Unterrichts spürte sie, dass sie   sich der hiesigen Männerkochgruppe
dann u. a. die großen Sommerfreizei-    noch aktiver mitgestalten will. Also     anschloss. Seit etwa 2010 ist er Mit-
ten der Kirchengemeinde. Bereits        lernte sie nach der Konfirmation         glied im Bezirksausschuss, seit 2020
nach der Schule wurde er Mitglied       als Start-up ein Jahr lang, wie man      im Presbyterium. Darüber hinaus
im Bezirksausschuss und war auch        zukünftig als Teamerin Kinder und        nahm er vor einigen Jahren an einer
zeitweise Teil des Presbyteriums.       Jugendliche anleitet. Mit dem im Juni    Arbeitsgruppe zur neuen Öffentlich-
Nach einer zweijährigen Weltreise ist   angelaufenen neuen Konfi-Jahrgang        keitsarbeit der Gemeinde teil. In einer
er nun Finanzkirchmeister für den       unterstützt sie nun die PfarrerInnen     Neuauflage dieser Gruppe wirkt er
Bezirk Batenbrock.                      in Kirchhellen bei ihrer Arbeit.         auch jetzt wieder mit.

22
Swantje Tapper

                                           Zukunft ist total weit weg –
       Tobias Schmidt                     2050 oder so. Das klingt nach                        Jürgen Erbel
                                           ungewisser Science-Fiction.
 Ich sehe im Grunde positiv                                                            Beim Blick nach vorne
 in die Zukunft, auch wenn                                                             sollte man auch immer
    die Krisen dieser Welt                                                              zurückblicken. Denn
  bedrückend sind. Sie sind                                                            nur wenn man sich die
    leider ein Teil unserer                                                          Vergangenheit ansieht, kann
Normalität, die uns mal mehr,                                                        man aus den Fehlern dieser
     mal weniger betrifft.                                                           Zeit für die Zukunft lernen.

     „Ich bin selbst Ingenieur für        „Ich mag es, wenn Sachen sicher sind       „Für mich persönlich hoffe ich, dass
   Energiesysteme und blicke daher         und ich mich darauf verlassen kann.       meine Familie und ich lange gesund
      schon sehr bewusst auf die            Und die Zukunft ist eben gar nicht          bleiben und wir eine sorgenfreie
Klimadebatte mit allen nachgelagerten                    sicher.                        Zukunft haben. Wenn ich in die
 Technikfragen. Aber am Ende muss                                                        ferne Zukunft blicke, muss ich
    sich jeder seine Zukunft selbst       An meiner Schule wird kein Italienisch        befürchten, dass der Mensch es
   gestalten. Vielleicht will jemand           angeboten, darum lerneich das in         als erstes Lebewesen auf diesem
     ein Haus bauen oder in den            meiner Freizeit. Nach dem Abi 2023          Planeten schaffen kann, sich seine
  Urlaub fahren, das sind absehbare         würde ich gerne ein Jahr Au-Pair in          Lebensgrundlage zu entziehen,
            Zukunftspläne.                    Italien machen. Da wäre ich zwar       indem er so weitermacht wie bisher.
                                          alleine, ohne Freunde und Familie, aber     Zumindest wird das Überleben zum
     Aber wie die Welt in 30 Jahren          ich bin dann ja in einer Gastfamilie    Problem, wenn sich die Klimapolitik
    aussieht ist ja nun wirklich nicht      eingebunden. Vielleicht studiere ich                  nicht ändert.
     vorhersehbar. Von daher kann           danach dann Mathe und Italienisch
   ich mein Leben im Hier und Jetzt              auf Lehramt. Ich denke auch         Die Zukunft der Kirche betrachte ich
  gestalten, und zwar so, dass es für           manchmal, dass wir mehr beim           leider ebenfalls mit Sorge, weil ich
   mich mit Blick auf das Klima und              Thema Klimaschutz machen            glaube, dass viele den ausgleichenden
 die Gesellschaft vertretbar ist. Jeder         müssen. Aber es fällt mir total          Charakter von Kirche zwischen
   muss seinen Beitrag dazu leisten,       schwer, hier konkret zu werden. Und         Arbeit und Privatleben nicht mehr
  ich leiste meinen – und sei es, dass        ich weiß auch nicht genau, welche         erkennen und sich daher aus der
 ich die Gemeindearbeit unterstütze.      Einschränkungen das mit sich bringen            Kirche zurückziehen. Um hier
   In Batenbrock steht beispielsweise        würde und ob ich die auch wirklich         attraktiver zu werden, muss sich
   die Frage im Raum, wie es in dem        leben könnte. Reisen ist ja auch nicht       die Kirche ein moderneres Image
Bezirk, in dem ich ehrenamtlich tätig     umweltfreundlich. Im Jahr 2050 bin ich     zulegen. Ich vergleiche das gerne mit
 bin, nun weitergeht – jetzt, wo eine       erst 45. Wenn ich mir vorstelle, dass     dem Kräuterlikör Jägermeister. Der
Pfarrstelle wegfällt. Da das Ehrenamt        ich dann in einer komplett anderen       Hersteller hat mit großem Aufwand
   dort aber stark ausgeprägt ist, bin     Welt lebe, fühlt sich das nicht gut an.    daraus ein Modegetränk kreiert und
ich sehr zuversichtlich, dass wir es in       Beruhigend ist, dass Gott mich die      spricht heute die breite Gesellschaft
Batenbrock gemeinsam gut umgesetzt        ganze Zeit über begleitet. Das gibt mir       an. So ähnlich müsste Kirche das
               bekommen.“                        wiederum ein gutes Gefühl.“                     auch machen.“

                                                                                                                        23
Es gehört zu den Menschheitsträumen, die Zukunft vorherzusehen.
      Also gab und gibt es Seher, Visionäre, Autoren und Forscher, die
         aus unterschiedlichsten Blickwinkeln leidenschaftlich in die
                              Zukunft blicken.
24
ls sich die Corona-Pandemie 2019 zögerlich das erste Mal in      trends, soziale Trends, politische Trends – völlig egal. Eine
China zeigte, hätte wohl niemand auf der Welt eine derart        Idee, die natürlich nur funktioniert, wenn sich die Bedin-
anhaltende Pandemie prophezeit. Wenngleich – niemand             gungen und das Umfeld für diese Trends nicht verändern.
stimmt nicht wirklich. Wissenschaftler fanden durch Erb-         Oft tun sie das auch nicht. Manchmal aber doch. Daneben
gutanalysen heraus, dass SARS-CoV-2 bereits in den 1960er        müssen sich Zukunftsforscher auf Expertenwissen stürzen,
Jahren entstanden sein könnte und dann jahrzehntelang in         weil diese Experten in der Regel mehr als andere wissen
Fledermäusen kursierte, bis es dann auf den ersten Men-          und so erahnen können, was da kommen mag. Dieses Wis-
schen überging. Das Phänomen der Zoonose, also einer             sen müssen die Forscher dann nur noch vom Fachkauder-
vom Tier auf den Menschen übertragenen Krankheit, ist            welsch in eine allgemeinverständliche Sprache übersetzen.
uralt. Auch die mittelalterliche Pest war nichts anderes.        Und nicht zuletzt nutzen Zukunftsforscher sogenannte
Bloß tötete sie im 14. Jahrhundert rund 50. Millionen Men-       Szenariotechniken, die tatsächlich zukünftige Szenen kurz
schen. Forscher warnen seit Jahrzehnten vor solchen Gefah-       und knackig in Form gießen. Interessanterweise stammt
ren. Einer von ihnen ist der Zukunftsforscher Dr. Karlheinz      der Begriff von einem Hollywood-Drehbuchautor – damit
Steinmüller, wissenschaftlicher Direktor der Z_Punkt             wäre die Zukunftsforschung beinahe ein illegitimes Kind
Foresight Company – einem Unternehmen, das für Regie-            Hollywoods. Im Grunde handelt es sich beim Blick in die
rungsorganisationen wie für Unternehmen professionell            Kristallkugel oftmals um komplexe Ideen auf theoreti-
in die Zukunft blickt. „Ich habe die Zoonosen bereits vor        schem Unterbau. Zukunfts-Forschung eben. Und damit die
25 Jahren in unseren Risikobewertungen für die Zukunft           auch verstanden wird, kann ein bisschen Dramatik nicht
als wichtigen Punkt aufgeführt. Zoonosen treten durch-           schaden.
schnittlich alle zehn Jahre auf. Wir hatten MERS, SARS, das
Ebolafieber, Noroviren, die Vogelgrippe und viele mehr. Es       Tatsächlich leben wir heute in einer prognosegetriebenen
war klar, dass da wieder etwas kommen wird – bloß wann,          Zeit. Wir malen düstere, aber realistische Zukunftsbilder,
das wussten wir nicht.“                                          um menschliches Verhalten zu verändern. Das war nicht
                                                                 immer so. Historia magistra vitae – die Vergangenheit ist
Steinmüller ist Physiker und Philosoph, er lehrt an der Freien   die Lehrmeisterin des Lebens. Jahrhunderte lebte man
Universität Berlin im Masterkurs Zukunftsforschung, ver-         genau danach. Demgegenüber formulierte der amerikani-
öffentlicht Wissenschaftsbeiträge und mit seiner Frau Scien-     sche Futurologe Herman Kahn den drastischen Satz: Every
ce-Fiction-Bücher. Er ist jemand, der seit Jahrzehnten in die    fool can learn from the past, but we have to learn from the
Zukunft sieht und dabei das Gestern und Heute im Blick           future. Man solle also Zukunftsentwürfe entwickeln, um
behält. Anders geht es nicht. Mit der Trendextrapolation         aus diesen für das Hier und Jetzt zu lernen. Etwa um das
greifen Forscher wie Steinmüller heutige Trends auf und          Jahr 1800 wandte sich der Blick vom Historischen zum Futu-
versuchen sie für die Zukunft fortzuschreiben. Technik-          ristischen. Aufklärung, Industrialisierung und die Franzö-

                                                                                                                          25
sische Revolution waren Motoren dieser Umkehr mit Weit-
sicht. Passend dazu veröffentlichte Louis-Sébastian Mercier
1771 den erste Utopienroman. Titel: „Das Jahr 2440: Ein
Traum aller Träume“. Jahrzehntelang galt fortan das Jahr
2440 als jene Zielzeit, auf die man Zukunftsvisionen pro-
jizierte. Erst 1889 schrieb Edward Bellamy „Ein Rückblick
aus dem Jahr 2000 auf das Jahr 1887“. Mit diesem Zukunfts-
roman manifestierte sich das Jahr 2000 lange zum Synonym
für die Zukunft. Insbesondere nach dem Zweiten Weltkrieg
wurden die Zukunftsvisionen abenteuerlich. Raumschiff-
ähnliche Autos flogen durch zackige Hochhaussiedlun-
gen, die Menschen pressten sich in formschöne Anzüge.
Es gibt zahllose filmplakat-ähnliche Visualisierungen die-
ser Zukunft in Technicolor. Freilich, die Zukunft ist auch
nicht mehr das, was sie einmal war, und das fliegende Auto
alleine hat es über ein Versuchsstadium nie in die wirkli-
che Welt geschafft. Trotzdem waren es Zukunftsbilder, die
entweder mit bestem Wissen oder dank einer blühenden
Phantasie skizziert wurden. Oder beidem. Mit Zukunfts-
forschung hat das wenig zu tun. Die belastbare Forschung
arbeitet mit multiprofessionellen Teams, in denen Ingeni-               „Every fool can learn from
eure und Naturwissenschaftler, Betriebswirte, Sozialwis-
                                                                     the past, but we have to learn
senschaftler und Philosophen im Mix mehr sehen und ent-
wickeln. Automobilhersteller haben Zukunftsforscher im                         from the future.“
Team, Technologiezentren, Beratungsunternehmen nutzen
die Expertise der Zukunftsforschungsinstitute. Auch das                        Herman Kahn, Futurologe
Büro für technische Abschätzung beim Deutschen Bun-
destag lässt Studien zur künstlichen Intelligenz machen.
Zukunftsforschung ist dort, wo die Zukunft wichtig wird
– überall.
                                                              sie. Ob diese Risiken wirklich bedacht werden, ist fraglich.
„Wir gehen davon aus, dass die Zukunft noch nicht fest-       Es gibt übrigens eine Wildcard, die in den Seminaren zur
geschrieben ist, sondern dass die Zukunft offen ist. Sie      Zukunftsforschung immer wieder genannt wird, und die
ist nicht beliebig. In einem bestimmten Rahmen wird sie       heißt: Jesus Christus. Christen erhoffen sich die Rückkehr
lediglich vorgegeben.“, sagt Steinmüller. Wer sich mit dem    des Herrn. In einem weltweiten Gesamtsystem würde sein
autonomen Fahren von morgen beschäftigt, muss die Infra-      Auftreten – einem globalen Megaereignis gleich – alles
struktur vor Ort berücksichtigen, weil diese für Jahrzehnte   verändern und jedwedem Zukunftsplan wohl die Basis
mehr oder weniger existent ist. Die Zukunft wird durch        entziehen. Aber: Selbst praktizierende Christen denken in
heutige Begebenheiten eingeengt. Eigentlich könnten die       den Forschungsseminaren nicht an dieses Wunder. Den
Prognosen also einfach sein. Wären da nicht die gemeinen      Glauben professionell in Zukunftsszenarien einzuordnen,
Wildcards. Ereignisse, die alles verändern und die nicht      scheint abwägig. Unmöglich ist es aber nicht. Forscher fän-
100%ig planbar waren. 9/11. Trump. Brexit. Corona. Es gibt    den auch hierfür eine Zahl, die nüchtern als Risikoabwä-
immer etwas, das die reibungslose Vision zunichtemacht,       gung definiert würde. Niemand hat gesagt, dass Zukunfts-
darum bauen die Zukunftsforscher in ihre Szenarien auch       forschung besonders emotional sein muss. Hollywood liegt
solche Wildcards ein. Sie erkennen Risiken und benennen       dafür direkt nebenan.

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lichen Liste der Beratungsstellen und       se mit und ab sofort erhalten Sie eine         Und nicht zuletzt verändert sich
Einrichtungen unserer Kirchenge-            gedruckte Ausgabe von einwortAktu-             einwortAktuell kontinuierlich.
meinde in Bottrop.                          ell per Post.                                  Wir haben hier ein neues Medium
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